Theodor Birt
Frauen der Antike
Theodor Birt

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Vierzehntes Kapitel

Cynthia

Von Ehe und Ehescheidung war bisher genug, von Liebe nur allzuwenig die Rede, und von den Dichtern Roms kamen fast nur die Spötter zu Worte. Es berührt uns wie Frost. Auf Martial folgt gar Juvenal, der gallenbittere Junggesell, der ein ganzes Buch zur Diskreditierung der Frauen schrieb. Da steht das Wort vom »raren Vogel«; es ist die seltene Frau, die ihrem Mann nicht davonfliegt. Da steht auch das »ich will's, ich befehl's« (hoc volo, sic jubeo); so herrscht die Frau den Mann an; »statt des Grundes genügt mein Wille«. Da erscheint auch das gelehrte Weib, das die Männer tot redet, die Dame, die für die Boxer in der Arena schwärmt, die andere, die zum Helm und Rapier greift und Fechtstunde nimmt, usw.Eine Analyse der großen 6. Satire des Juvenal habe ich im Rhein. Museum 70 S. 527 ff. gegeben.

Genug hiervon! Gibt es nicht auch andere Töne, nicht auch Liebesdichter in Rom? Jawohl! Wer wüßte nicht von ihnen? Sie klingen uns entgegen, jugendliche Stimmen von Troubadouren, die im Frauendienst sich verzehren, im Vers sich ausleben und der Welt bekennen, was sie fühlen. Sie sollen uns, bevor wir uns von der Römerin trennen und die Antike vor uns versinkt, das Herz erwärmen. Es gab auch in Rom Frauenverklärung, die Frau, die aufblüht 259 im Liede. Wir wollen sie schauen und versuchen, sie zu verstehen.

Der herzgewinnendste, aber auch der unglücklichste dieser Erotiker, Catull, lebte in der Ära der Bürgerwirren als Zeitgenosse des Cäsar, Cicero und Catilina und wurde so der urwüchsige Dichter vielmehr des Hasses als der Liebe. Jubelnd zwar hebt er mit den Verslein an von den Küssen, den unzähligen – »laß uns leben, Lesbia, laß uns lieben« – und plaudert uns vom Spätzchen, das seiner Liebsten Entzücken ist, das sie im Busen trägt und zum Beißen anreizt, wenn sie den Geliebten reizen möchte. Aber der Jubel und Scherz verklingt rasch, und wir hören fast nur von grausamer Enttäuschung. Denn diese Lesbia war eine vermählte Frau, vornehm, aber übelsten Rufes (Cicero redet von ihr; er kannte sie genau), für deren Männergier der Dichter nur einer unter den vielen war. Mit heißem Weh reißt sich Catull von ihr los, und die Gedichte des Verzichtes sind es, durch die dieser Dichter uns nahetritt wie wenige. Ihr wahrer und reiner Herzenston muß jeden Leser erschüttern. Man trauert mit ihm. Es ist die entblätterte Liebe.

Die große Liebespoesie Roms aber erblühte erst im Frieden der augusteischen Epoche, und Hetären sind es, die sie verherrlicht. Die Bohème tut sich uns auf, und der Junggesell hat das Wort, der keine Fesseln will, wenn er liebt. Nur in diesen Kreisen war die Liebespoesie möglich, und sie ist die einzige Dichtungsart, in der Rom die Griechen überboten hat. Das liegt nicht 260 an der Kunst, es liegt an den Menschen, um die es sich handelt.

Das griechische Hetärenwesen hatte sich in Rom festgesetzt, und zwar schon seit langem; das Personal war zugewandert, wie so vieles andere, was vom Osten kam. Aber die Italienerinnen lernten den Griechinnen ihre Kunst ab, und wir empfinden ihre Überlegenheit. Ihre Rasse war stärker an Vollblut, an Heißblut, und eine römische Mätresse, menschlich gewogen, mehr als eine griechische. Das zeigt uns Properz, der nahezu seine ganze Dichtung dem einen Weibe widmete und den dies eine Weib, und sie allein, zum Dichter machte. Es war das Mädchen aus Tibur, die er seine Cynthia nennt. Sie hieß in Wirklichkeit Hostia, wie uns bezeugt wird.

Der Dichter gibt uns viel Detail, und sie selbst taucht sichtbar auf hinter dem Gitter seiner Verse. Wir machen ihre persönliche Bekanntschaft, hoffentlich nicht zum Schrecken meiner Leser.

Sie war anscheinend von vornehmer Abstammung,Daß auch Senatorentöchter als Hetären auftraten, ist Digest. XXIII 2, 47 bezeugt. dazu blendend schön, hochbegabt und im Vollbesitz der Bildung jener Zeiten, brach aber mit ihrer Verwandtschaft, um in Rom siegreich ihre Netze zu werfen, und es gelang ihr, die große Rolle zu spielen, die sie wollte. Properz, der vornehme Junge, vom Ritterstande, erst 17jährig, als er ihr nahte, war nur einer der vielen, denen sie Zutritt gab. Sie hält Hof in Bajä, dem üppigen Badeort, schmückt in Rom die Promenade da, wo durch die Säulengänge die Menschen strömen, im Schleppkleid 261 einherstolzierend: Hetärentracht, ohne Überwurf, von zart durchsichtiger Seide, die weich am Körper lag. Auch über Land kutschiert sie im eigenen Wagen, plant Reisen mit reichen Lebemännern über See, und viele Verehrer sind's, die, wenn sie einmal krank ist, an ihr Bett kommen.

Der junge Fant erlebt dies alles zum erstenmal. Mag er die Nacht vor ihrer Tür verbringen, sie duldet nicht einmal, daß er ein Wort der Klage erhebt, und so irrt er durch die Einsamkeit auf Waldwegen, und schreibt Cynthias Namen in die Rinden ein.

Er muß sich an den Vielmännerbetrieb, die Polyandrie, erst gewöhnen, bis der Tag der Erhörung kommt, und er jauchzt: »Währe, du Wonne von heut, bis daß die Locke mir bleicht!« Orgiastischer Taumel, wenn sie ihm zum erstenmal die Nacht gewährt. Der Leib enthüllt sich, die Nacktheit siegt. »Was ist alle Kleiderpracht gegen des Leibes eigenste Schönheit?« Auch Tizian hat dies wie Properz in seiner »Irdischen und himmlischen Liebe« gepredigt. Aber wir hören doch, daß Cynthia zum wenigsten eine purpurfarbige Nachthaube trug.

Der junge Dichter gewinnt Macht über sie, wird bald der Begünstigte; das haben, wie er selbst jubelnd sagt, seine schönen Gedichte bewirkt, und so verliert er allmählich die Schüchternheit und scheint auch einmal ungetreu. Da schickt sie nachts nach ihm ihre Amoretten aus, die durch die dunkle Gasse kleine Fackeln tragen, um ihn zu suchen mit der Weisung: »lerne hinfort mir häuslich zu sein.« Diese 262 Flügelknaben überraschen uns nicht; es sind jene Spielkinder, die reiche Damen sich hielten und als Amoretten aufputzten, wie es auch Kleopatra, die Königin, getan.

Dann aber wird er immer kühner. Es entzückt ihn, sie zu reizen. »Meinem Feind,« sagt er, »wünsch' ich ein phlegmatisches Weib«, und freut sich, wenn sie entrüstet in ihrer Eifersucht den Tisch umwirft; die Trinkschale fliegt ihr aus den Händen vor Zorn.«

Das ist Drama. Die Figur bewegt, belebt sich vor uns. Wir sehen sie immer deutlicher vor Augen, und dies steigert sich noch. Denn der Dichter erzählt uns nun gar ein Erlebnis in Ausführlichkeit.

Mit einem Gladiator ist Cynthia morgens mit strudelnden Rädern über die Appische Straße aus der Stadt gefahren, selbst kutschierend. Der Wagen hat ein Schutzdach aus Seidenstoff; zwei stutzmähnige Ponys sind vorgespannt; zwei Doggen jagen nebenher. In Lanuvium wollen die beiden die Schlangenfütterung sehen. Wird sie den ganzen Tag da mit dem gefährlichen Menschen verbringen, der im Wagen sitzt? Properz macht ihn aus Eifersucht möglichst schlecht, den Fechter der Arena.

Einsam fühlt er sich, will sich rächen und läßt sich zum Abendtrunk in sein Haus zwei muntere Dirnen holen. Im offenen Peristyl (denn es ist Sommer) lagern sie zu dreien, er zwischen den beiden. Der Wein fließt. Musik wird gemacht; ein Ägypter spielt die Flöte, ein Zwerg muß die Trommel rühren; aber die Stimmung bleibt 263 öde. Mögen die Weiber süße Töne singen, ihre Reize enthüllen; er ist taub und blind, seine Gedanken abwesend; sie suchen Cynthia in Lanuvium.

Da, plötzlich, Lärm! Von der Vorhalle kommt's. Eilige Schritte, und Cynthia steht vor ihm, sie selbst, vorwurfsvoll, ja, rachedurstig, mit aufgelöstem Haar, aber im Rasen noch schön. Er soll merken, daß sie ihm treu und daß sie die Herrin ist, und es folgt das Groteske: mit Kratzen und Schlagen jagt sie die Dirnen aus dem Haus: ein Lärmen, daß die Nachbarn aus den Betten fahren. Dann geht es über den Dichter her, den sündigen, in volkstümlicher Wildheit. Wir kennen dies handgreifliche Vorgehen schon aus den Volksstücken der Togata. Ein Backenstreich erfolgt, nicht gelinde; in den Hals beißt sie ihn vor Zorn und Zärtlichkeit, rabiat, aber wundervoll in der Leidenschaft, bis er ihr zu Füßen sinkt. Wie Blitzschlag war's, und wie rollendes Gewitter folgt ihr Strafsermon: auch er soll treu sein, auf der Straße keine Sänften anhalten, in denen anmutige Frauen sitzen usw. Dann aber wird Friede gemacht. Mit Schwefel berührt sie abergläubisch das Haupt des Dichters, um es von den Küssen der schlechten Weiber zu reinigen. Er aber muß froh sein, daß sie ihm gezürnt hat, und doppelt froh, daß sie nun ihm gut ist. Er hat dies Erlebnis nie vergessen.Die Elegie IV 7, der die obige Erzählung entnommen, ist offenbar nur eine Illustration und szenische Ausführung zu dem Gedicht III 8; ein Merkmal dafür, daß beide Gedichte mit dem Hinweis auf »gestern« beginnen.

So aber blieb es nicht. Ihre Verhältnisse gingen augenscheinlich zurück. Gleichwohl sehen wir, daß sie doch noch ein behagliches Heim bewohnt. Ihre Amme ist ihr aus der Kinderzeit 264 treugeblieben; auch die Latris, die kleine Dienerin, die ihr beim Frisieren den Spiegel hält, liebt sie zärtlich, und so führt sie einen kleinen Haushalt, spinnt und webt mit ein paar Mägden für den Hausbedarf, und der Dichter erfährt durch seinen Diener, den er als Boten schickt, wie sie den Mägden bei der Arbeit ihr Herz ausschüttet, wenn sie sich grämt und schmollt.

Sie muß aber auch in schlimmere Lage gekommen sein, ja, zeitweilig unter unliebsamer Aufsicht gelebt haben; denn es kam vor, daß sie sich nachts heimlich am Strick zu dem Liebhaber aus dem Fenster herabließ, und es muß dies öfter geschehen sein; denn die Holzbrüstung des Fensters war abgerieben vom Seil.Vgl. Properz IV 7, 16. Es war die Dekadenz, die solche Frauen nur zu oft ereilte.

Drei Jahre hat so der Dichter mit ihr verkehrt.Vgl. Properz III 15, 7. Dann kam der übliche Überdruß, oder er hatte andere Ziele, die die Trennung bewirkten. Aber er vergaß sie nie, hörte von ihr zu dichten nicht auf, und ein Büchlein nach dem andern, das von ihr redete, entstand.

Properz dichtete nicht im Stil der kurzatmigen, nach Pointen suchenden griechischen Liebesdichter der hellenistischen Zeit. Auch fehlte ihm die lachende olympische Laune, die uns wohl andre beglückte Menschen zeigen. Auch Horaz zeigt uns, wo er sich seine Freundinnen holt, nicht viel mehr als ein schmunzelndes Behagen. Dieser berühmte Poet ist schon 35 Jahre alt, als er anfängt, jene Freundinnen zu besingen, war in Hofkreisen gut akkreditiert und ist daher die Dezenz selber. Die harmlose Lustigkeit, wie 265 sie uns der alte Komödiendichter Plautus zeigt, war damals versiegt; sie schien in diesen Zeiten zu plebejisch. Bei Properz ist alles ernsthaft und strömend pathetisch. Die Beredsamkeit dichtet, aber sie kommt aus der Seele, eine heiße Wonne.

Man muß sie lesen, die ersten flammenden Frühgedichte, die er, kaum der Hut der Mutter entwachsen, dichtete – ein Jüngling im Alter des heutigen Primaners oder angehenden Studenten –, man muß sie lesen, um sich das Herz zu wärmen, wenn man den fiebernden Pulsschlag der ersten knabenhaften Sehnsucht mitfühlen, die Macht des Weibes über die erwachenden Sinne des werdenden Mannes mit erleben will.

Da sehen wir endlich das Mädchen von Tibur so, wie er sie als junger Schwärmer sah, das Weib, das unvergleichliche; fleckenrein; kein Tadel reicht an sie heran. Göttin ist sie ihm und wert, dem Zeus selbst beizuwohnen, ist der Helena gleich, um deren Besitz Troja zugrunde ging, junonisch schön, dunkelblond; schwebender Gang; schmale Hände; das Auge Flammen werfend; der Teint, als schwämmen auf Milch Blätter der Rose verstreut. Entzückender aber das Geistige; denn sie tanzt den wirbelnden Solotanz herrlich beim Gelage und dichtet sogar bewundernswert wie die Korinna der Griechen. So ist sie auch die feinste Richterin, wenn der junge Poet ihr hingebend seine Verse liest.

Tausendförmig ist das Sterben der Sterblichen; so denkt er; aber was soll mir der Tod? »Mag der Orkus sich auftun und Charon mir winken am 266 stygischen Strom: ruft mich mein Mädchen, kehre ich von den Toten wieder, aus der Hölle ins Leben wieder, zu ihr!«Properz II 27 fin. Auferstehung durch die Allmacht der lockenden Liebe des Weibes: das ist der Gipfel der Phantastik. Himmlische Torheit. Von ewiger Liebe träumt das junge Blut und kann kein Sterben begreifen.

Cynthia aber starb jung. Sie ist von der Rivalin beim Trunk vergiftet worden. Es war der Giftmord, der damals so vielen drohte. Im Traum aber erscheint sie als Gestorbene dem erregten Dichter wieder, reißt ihn als Schatten noch einmal in ihre Umarmungen und findet Worte, beteuernd, daß sie auch im Tod ihm treu. »Ich harre auf dich. Die Zeit verrinnt und auch du wirst sterben; da schmiegt sich mein Totengebein an das deine, und du bist mein, bist mein allein!«

So liebt ein römischer Jüngling; so träumt er; so dichtet er hingerissen und hinreißend, und es soll mich nicht reuen, obschon noch manches andere sich vortragen ließe, hier die Feder abzusetzen und dies Frauenbuch zu schließen. Vielmehr scheint es mir das schönste, was der Rückblick in die Vergangenheit gibt, mit der Jugend zu schwärmen, die einst gelebt, und die wahrhaftige Sprache dessen zu hören, der an die Schönheit sein Herz verlor.

Properz aber gab uns mehr als das. Er hat uns geholfen, ein römisches Frauenbild aus der Halbwelt zu zeichnen, das gewiß nicht ideal, aber so klar lebendig ist wie wenige der Bilder, die ich hier sonst gegeben. Für zarte Sinne mag diese Cynthia brutal und schlechthin abstoßend sein, 267 dem Ehrbaren mag sie verächtlich scheinen. Man kann nicht schön färben, was die Vorwelt Unschönes gibt. Die echte italische Rasse aber ist an ihr nicht zu verkennen: eine Natur, nicht kleinlich witzelnd wie die griechischen Weiber ihrer Gattung und niemals gemein im Sprachton wie jene, vielmehr geradlinig schlicht, bald streng, bald klagend wo sie redet, wuchtig, gewaltsam und herrisch, wo sie handelt, trotz allem und allem ein rechtes Prachtgewächs Latiums und des wonnigen Anio-Tals, wo die mächtigen Wasserfälle rauschen. So war sie; so könnte sie dort heut noch umgehen. Was ich hier gab, ist nicht genug. Ich habe mehr von ihr und ihrem Dichter in meinem Buch »Die Cynthia des Properz« geredet.Grundlegend für die gegebene Darstellung von der Entwicklung der Dichtkunst des Properz und seinem Verkehr mit Cynthia war mein Properzaufsatz im Rhein. Museum 70 S. 253 ff.

Und hiermit mögen sie ausruhen, die Frauen der Antike. Ihre Schatten sind über uns hingezogen wie Wolken, die sich ins Abendrot verlieren und funkelnd Farbe, Wesen und Gestalt gewinnen, bis dasselbe Licht sie rasch verzehrt. Sie sind vergangen. Ewig ist nur das Vergänglichste, die Gegenwart. Auch sie aber gibt uns Frauen, ja, wertzuschätzende Frauen in allen Spielarten, und man wird es dem, der das Obige geschrieben, nicht verdenken, wenn er sich freut, zu ihnen zurückzukehren. Es soll ihm wohltun, im lachenden Leben noch auf einige Zeit in geziemender Auswahl mit den Lebendigen froh zu sein.

 


 


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