Theodor Birt
Frauen der Antike
Theodor Birt

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Drittes Kapitel

Die Hausfrau

Wenden wir uns zur irdischen Wirklichkeit zurück und versuchen, in das Familienhaus mit seinem verschlossenen Innenleben einzudringen. Es handelt sich um die Hausfrau und um die Töchter. Nur die Verhältnisse selbst dieses Innenlebens, das für die Neugier zugedeckt hinter der Haustür sich abspielt, sollen hier, vornehmlich im Hinblick auf die Kreise des wohlhabenderen Bürgertums, angedeutet werden. Ohne das bliebe alles folgende unverständlich, und die persönliche Bekanntschaft namhafter Frauen, auf die wir zielen, müssen wir, in Geduld gefaßt, uns auch jetzt noch versagen.

Ich nähere mich den Hausfrauen freilich mit Sorge und Beklommenheit. Es gab davon natürlich, wie heute, sehr verschiedene Exemplare; aber nur allzu üble Stimmen werden laut. Am brutalsten redeten die Spott- und Schimpfdichter von Beruf: die eine ist hündisch, die andere ein Ferkel oder wie ein Iltis, wie ein Affe und so fort. Aber sogar der edle Sophokles hat angeblich, alt geworden, als man ihm zu einer zweiten Heirat riet, gerufen: »Nie wieder solch rasende Despotie!«Stobäus Eklog. ed. Hense 6, 42. Suchen wir indessen gerecht zu sein.

Die Ehefrau war allerdings »Hausfrau« im eigentlichsten Sinne des Wortes; sie war Hausherrin und schon nach Solons Urteil dem Manne voll 19 ebenbürtig.Solon bei Stob. Florileg. 28, 18. Ebenso dann Xenophon Oekon. 3, 15. Aber es war ein arg getrenntes Leben: der Mann immer aushäusig; es duldet ihn nicht in den vier Wänden. Er gehört nach draußen, heißt es,Xenoph. Oek. 7, 30. auf Markt und Gasse. Die Frau herrscht also naturgemäß allein im Haus; es ginge ohne sie zugrunde. Arbeit genug, Verantwortung genug! Allein schon die Bändigung der oft fremdblütigen Dienerschaft.

Frauenwohnung und Männerwohnung sind im Wohnhaus scharf getrennt; beide sind abschließbar, und der Mann, der Liebe sucht, hat zum Lager der Frau nachts nur Zulaß nach ihrem Willen. Mehr noch; sie nimmt alles Geld in die Hand, das der Mann ins Haus bringt;Xenoph. Oek. 3, 15. sie muß es vor ihm sichern, verwaltet, bewacht und verausgabt es und hält es fest abgeschlossen in ihren Räumen. Dadurch wird sie allmächtig. Sie hat den Tresor, griechisch »Thesaurus«.

Aber es ist auch sonst gut, daß sie die Schlüsselgewalt hat; denn die leichtlebigen Männer gehen nur zu oft auf schlechten Wegen. In solchen Fällen läßt sie ihn nicht ins Haus. So einer raubt ihr gar aus ihrer Truhe ihren schönen Mantel und die Spange, um damit ein anderes Weibchen zu schmücken; sie merkt es und verschließt ihm, als er kommt, vor der Nase die Haustür.Plaut. Men. 662 und 668. Das hatte er verdient. Es kann schließlich so scheinen, als wäre der Mann nur Gast im Hause. Auf alle Fälle war Gefügigkeit ratsam.

Durch Gewohnheitsrecht stand alles dies felsenfest, obwohl die Frauen zivilrechtlich im Staat unmündige Personen waren und ihnen jede Rechtsfähigkeit abging. Sie konnten keinen Prozeß 20 anstrengen, auch nicht als Zeugen vor Gericht auftreten. Und so rächte sich ihre häusliche Machtstellung denn doch erheblich; sie galt nur in den vier Wänden. Auch jeder Ausgang war alltags der Frau der besseren Gesellschaft verwehrt.Plutarch, Solon 21: sie sollen nur im Wagen auf die Straße, und Licht muß den Wagen begleiten. Es gab im Staat sogar Frauenaufseher, γυναικονόμοι, über die Aristoteles Polit. p. 1300 und 1323. Sie hütet das Haus, und das Haus hütet sie. Schon von Solon stammten diese Einschränkungen, und die Passage auf den Gassen war also einigermaßen uninteressant; man begegnete da nie den stolzen Frauen, die bei uns die Promenade schmücken, und geschah es doch, so waren sie von Dienerinnen begleitet und verstopften grausam ihre Ohren, wenn eine Ansprache drohte.Plaut. Stich. 114. Zumeist ist es dann eine ältere Dame, wo man nicht fragt: wessen Frau ist das? sondern: wessen Mutter ist das?Hyperides frg. 205 ed. Blass.

Nur zu gewissen gottesdienstlichen Frauenfesten, durch die das Geschlechtsleben geheiligt wurde, durften sie hinaus und miteinander schreitend oder auch zu Wagen sich zum Festort begeben. Es war ein Austoben, wie bei den Hunden, die von der Kette gelassen. Aber kein Mann durfte sich zeigen. Auch nahmen sie wohl nachts an den jubelnden Reigen teil, die am Athenefest auf der Akropolis geschahen. Ins Theater aber ging man familienweise, Mann, Frau und Kinder, wo es zu Ehren des großen Heilgottes Dionys an vier Tagen im Jahr die berühmten Schauspiele gab. Auch da mußte die Frau sich beaufsichtigt fühlen.

Nach dem anfangs Gesagten ist es nun aber begreiflich, daß es bei den Männern gang und gäbe war, über ihr Hauskreuz zu lamentieren. Sophokles war nicht der einzige, und das »wir sind die 21 Sklaven unserer Weiber«Alexis frg. 146 Kock. kann als Motto gelten. Der eine erkundigt sich »wie geht's deiner Frau?« »Leider besser, als ich es wünsche« ist die Antwort.Plaut. Trin. 51. Ein anderer ruft: »Was sagst du? Ist es wirklich wahr? Unser Freund X hat sich verheiratet? Aber ich traf ihn doch eben noch lebend an.«Antiphones frg. 221 Kock. Und wieder einer: »Könnte ich meine Frau doch als Sklavin verkaufen! Aber niemand wird sie wollen!«Plaut. Men. 1160.

Indes nur, wenn die Männer unter sich sind, führen sie solche Reden. Vorsicht war geboten. War es doch auch in den gebildeten Kreisen verpönt, ein irgendwie unanständiges Wort in der Frauen Gegenwart zu gebrauchen.s. Terenz Heautont. 1042; Demosth. Mid. 79. Darin verrät sich: die Hausfrau hält auf ihre Würde. Sie hält auf das, was sich ziemt.

Was leistete sie nun im Hause? Das Kindergebären war die erste Pflicht, Berufspflicht; sie konnte es darin weit bringen, und die Männer hatten nicht zu klagen. So hören wir denn als Ultraleistung von einer Begnadeten, die 29 Kinder in die Welt setzte, trotzdem 105 Jahre alt wurde und noch ohne Stock durch die Stuben ging; alle die Kinder aber lebten noch.Anthol. Pal. VII 224.

Beköstigung, Reinigung, Feuerung und Bad verstanden sich ferner von selbst. Dazu die Beherrschung der Dienerschaft und das Geldwesen. Es gab wohl Schuster, aber noch keine Schneiderinnen, Modistinnen und Kleiderhändler; sondern jedes Haus mußte hierin sich selbst versorgen. So spinnt und spinnt die Frau mit dem Gesinde Tag für Tag – mit der Sonne wird aufgestanden –, steht dann aufrecht am Webstuhl und 22 fertigt alle nötigen Anzüge für jeden Hausgenossen aus eigenem Gewebe nach Maß, sorgt dabei auch für Zierat an Troddeln und bunten Borten,Für kunstvolle Stickereien gab es freilich Sticker von Beruf, die Phrygiones. und die Truhen füllen sich. Aber sie arbeitet nicht für den Verkauf. Zu alledem aber kam die Erziehung der Kinder. Das waren die hohen Pflichten, die sie belasteten. Man meißelte auf den Grabstein einer solchen Frau als Symbole einen Zügel, einen Maulkorb und einen Hahn; das bedeutete, daß sie den Haushalt zügelte und daß der Hahn sie früh zur Arbeit weckte. Am wertvollsten der Maulkorb; er verrät, daß sie nicht geschwätzig war.Anthol. Pal. VII 424. Denn die Frauen können kein Geheimnis bewahren.Plaut. Trin. 800 f.

Kein Wunder also, daß für Beschäftigung mit hochgeistig literarischen Dingen keine Zeit übrig war. Die ästhetischen Interessen dieser Griechinnen beschränkten sich auf die eigene Schönheit. Auch die Frau, die einsam ist, schmückt sich gern.Dies führt Ovid aus, Medic. formae 29 f. Man kennt die schlichte, edle griechische Frauentracht. An Festtagen aber sah man die Armspangen und Ohrringe, Blumen im Haar, wenn die flotten Gestalten im schleppenden Safrankleid und weißen Bänderschuhen über die Straße fegten; die Schuhe mit hohen Hacken. Den Sonnenschirm trägt die Sklavin (Regenschirme gibt es nicht). Haben sie gut gewachsene Zähne, ist es ratsam zu lächeln, damit man sieht, wie schön ihr Mund ist.Alexis bei Athenäus p. 568 C.

Was kümmerte sie dagegen Astronomie und Philosophie? und was sollten sie mit den unbequemen Rollenbüchern, in denen die großen Dichtungen geschrieben standen? Diese Matronen 23 konnten also in der Tat geistig minderwertig scheinen, und die Halbwelt und ihre Verehrer sahen auf sie mit Spott herab. Pikante Konversation mußte man bei den Hetären suchen. Borniert ist, wer wie in der Schachtel lebt. Um so überwältigender aber wirkte es auf solche Seelen, wenn die große Dichtung trotzdem zu ihnen sprach. Wenn sie im Theater ein Stück wie die Phädra sahen (sie sahen da eine Ehebrecherin auf der Bühne, wie sie um den Buhlen wirbt und verschmäht den Tod sucht); gewisse Frauen aus der Gesellschaft, heißt es, die sich selbst ebenso schuldig fühlten, erhängten sich da. Das ist durchaus glaublich. Nie wirkt das tragische Bühnenspiel mächtiger als auf literarisch unerfahrene Menschen. Sie suchen in allem, was sie sehen, sich selbst.

Nichts scheint für uns verborgener als das Gefühlsleben dieser Frauen, und doch möchten wir ihm näher treten. Nehmen wir also das Selbstverständliche. Sie waren Mütter; den Herzschlag der Mütter können wir fühlen, und da offenbart sich auch ihre Klugheit. Denn nicht der Mann, nur die Frau bewacht und erzieht den Nachwuchs, auch die Knaben bis in das Jünglingsalter hinauf, und es war gut so. Stumpfsinnig sollen sie gewesen sein, diese Hausmütter? Wer das glaubt, irrt gewaltig.Die Ehefrau hat Klugheit wie die Männer, ἀνδρικὴ διάνοια, Xenoph. Oek. 10, 1. Die höchste Intelligenz und Schlagfertigkeit schlummerte oft in ihnen; sie schlummerte, um durch Vererbung in ihren Söhnen zu erwachen. So geht es mit Mutter und Sohn auch bei uns, ein wundervolles Spiel der Natur, von dem alle Zeiten wissen. Der 24 »Mutterwitz« wird im Kinde laut, und das wußten auch die Alten; denn wir lesen: »Einen gut veranlagten Sohn gibt es, wenn er vom Vater den mannhaften Sinn, den weisen Sinn von der Mutter erbt.«Physignomika II S. 16.

Daher nun auch die Freude am Sohn und des Sohnes Spezialverhältnis zur Mutter, mag sie ihn in der Erziehung auch noch so knapp gehalten haben.Letzteres erwähnt Plaut. Asin. 78. Sogar Sparta gibt uns dafür das Beispiel in den Söhnen Kleobis und Biton, die statt des Zugtiers sich selbst vor den Wagen spannten, um die Mutter zum Gebet in den entlegenen Tempel zu fahren. Sie starben an Erschöpfung, aber der Ruhm war ihr Lohn.s. Stob. Florileg. 52, 43.

Gleichwohl lasse ich das Spartanertum hier beiseite, von dem sich kaum sagen läßt, daß es ein Familienleben kannte. Es wirkte auf die andern Griechen halbwegs barbarisch. Anstoß gab schon, wie gering dort das Schamgefühl in den Frauen, die nur im kurzen, hemdartigen Chiton herumliefen, der, an den Seiten aufgeschlitzt, mehr sehen ließ, als sich ziemte. Die Stadt selbst aber, oder der Staat, war wie eine Kaserne, das ganze Ländchen wie ein Truppenübungsplatz, die Erziehung Dressur der Knaben für den Krieg. Wie im heutigen Bolschewismus ersetzte so der Staat die Familie; aber es war ein Militärstaat. Er also erzog die Söhne, die er den Müttern im frühen Lebensalter wegnahm. Und die Mütter? Es klingt zwar heroisch ergreifend, wenn die Spartanerin, der ihre Söhne bei den Thermopylen fürs Vaterland starben, lakonisch nur das berühmte Wort fand: »ich wußte, daß sie 25 sterblich waren!« oder wenn sie gar den Sohn selbst tötet, der vor dem Feind geflohen ist.Anthol. Pal. VII 230. Aber es fehlte da der rechte Herzenszusammenhang, die Verwachsenheit, und sie konnten die Söhne leichter dahingeben.

Ganz anders sprach die Natur bei den übrigen Griechen. Die Freude, wenn Mutter und Sohn, die sich verloren, endlich sich wiederfinden, liebte Euripides zu schildern, und so ist es auch die Liebe der Söhne, an der die Mutter sich tröstet, da sie sterben muß; davon lesen wir auf einem Grabstein,Anthol. Pal. VII 335. und auf einem andern hören wir eine Witwe sprechen: »Ich hinterließ einen löblichen Reigen von Söhnen, heiratete nie wieder, und sie sind es, in denen ich weiterlebe.«Anthol. Pal.. VII 331. Ist ein Mann verklagt, so führte man den Richtern, um ihr Mitleid zu erwecken, dessen Mutter vor, die um den Ausgang bangt und untröstlich ist. Das pflegte zu wirken.Hyperides, frg. 46 u. Apsines bei Walz, Rhet. gr. VII p. 591. Ein verliebter Jüngling aber weiß seine Liebe zum Mädchen nicht besser zu beteuern, als wenn er sagt: »Ich liebe dich noch mehr, als ich meine Mutter liebe.«Plaut. Trucul. 551. Es war das Äußerste, was sich sagen ließ.

Die Töchter dagegen halten zu ihrem Vater. Das kleine arme Töchterchen bettelt beim Vater, nicht bei der Mutter, um Brot;Aristoph. Pax. 120 und die Erwachsenen? Da genügt wohl eine kleine Szene, die ihre Fürsorge verrät und die zugleich den verbindlichen Ton zeigt, der da waltet. Zwei Schwestern, die zeitweilig Strohwitwen sind, sitzen zusammen auf schönen Stühlen. Der Vater spricht bei ihnen vor. Da springen sie auf mit dem »Sei gegrüßt«, und der Kuß erfolgt, 26 aber mehr als einer, so daß er »genug!« rufen muß. Dann bieten sie ihm ihren Sessel an: »Nimm doch Platz, Vater.« »Nein, nicht da, wo ihr sitzt. Ich setz' mich hier auf die Bank.« »Aber nimm dann doch wenigstens unser Kissen!« »Sehr lieb. Aber die Bank ist weich genug.« »Nein, nimm doch.« »Soll ich?« »Ja, du sollst.« »Dann gehorch' ich.« Endlich sitzt der Alte weich, und das Gespräch kann beginnen; denn er hat viel auf dem Herzen.Plaut. Stich. 90 ff.

Genug hiervon. Rückblickend können wir sagen: die griechische Hausfrau, so wie sie sich uns gezeigt, hat für das Volkswohl viel bedeutet. Sie war wie das Feuer, das Prometheus den Göttern stahl; sie gab dem Haus zugleich Licht und Wärme und hatte bei aller räumlichen Beschränkung etwas Universales. Während der Mann in so vielen Fällen nur einen Beruf aus dem Grund versteht, ob er tischlert oder schmiedet, müssen die Frauen für die Kinder, die sie der Zukunft geben, die Welt zu erschließen beginnen, so eng diese Welt auch anfangs ist. Sie nähren und lehren, bis das Lallen zum Sprechen, das Sprechen zum Denken wird, wehren den Krankheiten, bestimmen das Kinderspiel, wecken das Geschick für jeden Handgriff, spornen den Eifer, schlichten schmiegsam verständnisvoll den Neid und Hader der Wildlinge und wecken schon früh den Schönheitssinn in Kleidung und Geste, aber auch, indem sie schöne Gefäße für den Hausbedarf wählen und den Raum überdies anmutig gestalten, indem sie die Dinge so aufstellen, daß sie für das Auge harmonisch wirken.Dies erwähnt Xenoph. Oek. 8, 20.

27 Die Welt draußen ist ein Wirrwarr; drinnen ist alles Ordnung, »Kosmos«, d. h. eine geordnete Welt. Was wäre ohne solche Frauen das Leben? Für den Mann, der das Haus floh, bedeutete das wenig, viel für die Sprößlinge, die ihm einst Ehre machen sollten.

Und nun endlich die heiratenden jungen Mädchen. Sie gingen dem Ehestand, anders als heute, zumeist mit Ablehnung, Scheu und Bangen entgegen. Nach einem Festgelage, an dem die Trauzeugen als Gäste teilnahmen, war die Braut unter den Klängen des Hochzeitsliedes, das Freundinnen sangen, bei Nacht dem Bräutigam ins Ehegemach zugeführt worden. Eine geziemende Mitgift folgte ihr danach ins Haus; denn nur so wird das Gleichgewicht zwischen Mann und Frau gesichert.Dies ist z. B. das Thema des Lustspiels »Trinummus«. Aber sie ist noch gar zu jung, kaum fünfzehnjährig (so jung müssen wir uns auch die Elektren und Antigonen denken), zwar körperlich reif, aber bei normalen Verhältnissen, da sie im Haus eingeschlossen erzogen worden, in den wichtigsten Dingen noch unerfahren; versteht sich auf den Umgang mit Männern noch nicht, hat auch noch nie geküßt, wenn wir den Familienkuß nicht rechnen; kennt also auch ihren jungen Eheherrn noch wenig. Eines Tages kommt er unwirsch zu ihr nach Haus; denn jemand hat ihm bemerkt, daß er an üblem Mundgeruch leidet, und tadelt die Arme: »Warum hast du mir das nicht gesagt?« »Lieber, ich dachte eben, das müßte so sein,« antwortet sie schüchtern; »ich dachte, alle Männer seien so beschaffen.«Es ist die Geschichte vom Hieron bei Plutarch, De cap. ex inimicis util. 7.

28 Nur in den seltensten Fällen ist es die Liebe, die die Gatten zusammenführt.Dies ist der Fall, wenn Jüngling und Jungfrau durch abenteuerlichen Zufall sich schon vorher kennengelernt haben, wie einige Lustspiele, z. B. Terenz' Andria und Phormio uns dies zeigen. Der Amor, heißt es geradezu, steht zur Ehe im Gegensatz,Plaut. Trin. 264 f. und vom Eros und der Liebesgöttin Aphrodite ist in den Hochzeitsliedern, die da erschollen, nie die Rede. Die Heirat ist ein Familienkontrakt. Es ist also Sache des Glücks, wenn auch die Liebe in der Ehe sich einstellt.

Um so lieber versichern wir uns, daß dies Glück nicht ausblieb. Soll ich auch dafür Zeugnisse sammeln? Das heiße Verlangen der jungen Ehemänner wird uns in der Tat gelegentlich drastisch beschrieben. Sie sitzen beim Weintrunk zusammen im Konvivium; da treten Spieler auf, darstellend, wie Paris und Helena oder Dionys und Ariadne sich in Liebe finden. Die Wirkung des Anblicks ist überwältigend; kein Halten; alle stürzen aus dem Lokal davon, um zu ihren Frauen zu kommen.So endet das Symposion Xenophons. Und nun gar das zärtlich neckische Getue des Weibleins mit dem schmachtenden Gatten, das uns eine Aristophanes-Komödie mehr als ausgiebig zeigt.S. Aristoph. Pax. 114 ff.

Solche wollüstig irritierende Szene war etwas fürs Theaterpublikum der Dionysien. Aber wir lesen auch, wenn wir die Grabinschriften befragen, wie da die Gestorbene spricht: »Wir lebten in keiner glücklichen Ehe und haßten uns doch nicht. Nun aber, vor dem strengen Richter der Unterwelt, wird uns beiden ein gnädiges UrteilOder »den weißen Stein«, Anthol. Pal. VII 596. nicht verwehrt werden.« Überhaupt aber hielt sich die Jugendfrische der Südländerin nicht lange, und es ist viel, wenn wir von einer Frau von dreißig Jahren hören, daß sie noch 29 der Rose glich.Anthol. Pal. VII 557. Die Männer waren gewohnt, das hinzunehmen. Erweist sich andererseits der Mann als zu alt für sie, so kann man sich auf Scheidung einigen.Vgl. den bei F. Blass »Die attische Beredtsamkeit« II² S. 533 besprochenen Fall.

Hier gedenken wir der lieben Mädchen und Frauen, die man als Terrakottafigürchen bildete und in die Gräber stellte; wir nennen sie nach dem Hauptfundort die Tanagräerinnen. Sie alle sind unter 30 Jahren und offenbaren uns die genußsüchtige Freude der Künstler, die sie bildeten, an der Anmut und süßen Grazie der Griechin, ob sie nur sinnend dasaß oder den Blattfächer führte oder reich gekleidet staziös einherschritt, das Spitzhütchen auf dem Haupte wiegend: zum verlieben.

Auf alle Fälle aber ist es gut, wenn der welterfahrenere Gatte sein Frauchen rechtzeitig in die Lehre nimmt. Ist das erste Kind geboren, soll sie es nicht der Amme oder Wärterin überlassen; denn, heißt es, solch dumme Person macht es oft schlimm, legt das Kind schlafen, wenn es doch gerade hungrig ist, und wenn es schlafen möchte, regt sie es mit der Kinderklapper auf.s. Teles bei Stob. Florileg. 34, 72.

Wie methodisch der Mann, wenn er extra weise ist, bei solcher Erziehung vorging, zeigt uns Xenophon in einem viele Seiten langen Gespräch, das er für seine Zeitgenossen als Muster aufgeschrieben hat, wo wir sehen, daß es für die Anfängerinnen das schwerste war, sich rechtzeitig die Herrschaft übers Gesinde zu sichern; es galt vor allem, der alten Schaffnerin, die im Haus die Überlegene spielt, zu imponieren.

Das erwähnte Gespräch war gewiß nützlich, 30 aber sein Ton nimmt sich erschreckend pedantisch aus, und man staunt, daß die junge Frau dabei nicht die Geduld verlor. Der weise Ehemann aber, der da das Wort führt, heißt Ischomachos. Sonst läßt Xenophon in seinen Lehrschriften immer nur Sokrates, den allweisen, solche erziehende Vorträge halten; warum wählte er in diesem Fall einen anderen Sprecher? Weil Sokrates selbst mit seiner Ehehälfte, wie allbekannt ist, die übelsten Erfahrungen gemacht hatte.

Seine Xanthippe war schuld; das ist nicht zu verkennen; und so ist ein uns nur allzu geläufiger Name, Xanthippes Name, gefallen, und von ihr ist abschließend zu reden. Dies scheint Pflicht des Historikers, der von Frauen handelt. Leider ist dies die erste persönliche Bekanntschaft, die wir auf unserem Pirschgang machen, und manchem graut vielleicht, als sollte ihm eine Hexe begegnen, ein Weib zum Bangewerden, runzelig und mit zahnlosem Munde. Aber die voreilige Phantasie soll uns nicht irreführen. Ich gebe nur das Nötige und versuche das Objekt unsrer Beobachtung mit Nachsicht zu behandeln. Man muß verstehen, um zu verzeihen.

Fest steht, daß Sokrates sagte: »sie ist die bösartigste aller Frauen, die waren, sind und sein werden.«Xenoph. Sympos. 2, 10. Auch Xenoph. Mem. 2, 2 scheint dasselbe angedeutet, wenn schon dort Xanthippes Name fehlt. Er hatte sie erst spät geheiratet; angeblich war sie seine zweite Frau. Als er siebzig Jahre alt ist, sind seine Kinder noch zum Teil unmündig. Dieser berühmteste der Weisen Griechenlands, so edel und gotterfüllt er war, hatte doch etwas arg sonderbar Kauzartiges im Wesen, das ein Weib gemeinen Schlages provozieren konnte.

31 Daß er immer aushäusig, verstand sich von selbst; aber der Gedankenvolle war auch oft geistig abwesend, und das war schlimm. Als Menschenforscher, Frager und Erzieher ging er auf den Gassen und Sportplätzen um und in fremde Häuser der vornehmen Leute, und sie, die Frau, hockte im erbärmlichen Häuschen und mußte mit den geringsten Mitteln wirtschaften, wenn nicht reiche Gönner des Sokrates gute Sachen ins Haus schickten. Früh vor Sonnenaufgang ging er schon ins Haus des Kallias, wo alles noch in den Betten lag,S. Platos »Protagoras«. oder verbrachte die ganze Nacht bis zum Morgengrauen beim Agathon, um mit den Prominenten der Geistesbildung beim Wein, den er sehr gut vertrug, zu philosophieren. Es war ein gar zu ungeordnetes Leben. Auch die Picknicks seiner Verehrer machte er mit und erschien gewiß nicht immer prompt im Haus zur täglichen Mahlzeit. Auch sein intimes Verhältnis zu dem übermütigen jungen Alkibiades war ihr ohne Frage zuwider, und als dieser wohlmeinend einen schönen Kuchen ins Haus schickt, schließt sie ihn weg statt ihn aufzutischen, einerlei, ob er verschimmelt. Sokrates aber sagte dann nur seelenruhig: »so bekommst du nun auch nichts davon.«Athenäus p. 643 F.

Viel derartiges wurde von seinen Schülern erzählt. Gelegentlich war sie auf ihn so ergrimmt, daß ihr, wenn er fortging, das Schimpfen nicht genügte; sie goß ihm hinterdrein aus dem Fenster Wasser über den Kopf. Auch das ertrug er ruhig und sagte schmunzelnd: »Ich wundere mich nicht; auf den Donner folgt der Regen.« Diesen 32 Ton wahrte er durchgängig.Cicero, Tusc. III 31. Vielleicht aber goß sie das Wasser aus Zorn, weil er so selten badete. Wer an solch nette Erzählungen, als wären sie zu anekdotenhaft, nicht glauben will,Über das Maß der Glaubwürdigkeit solcher Dicta habe ich in meinem Aufsatz »Das Dictum in der Geschichtsschreibung des Altertums« (in »Studien und Skizzen der Johanniter«, Hamburg 1929, S. 183 ff.) gehandelt. muß sich anderes ausdenken, um sich die Verbostheit der Frau auszumalen. Aber der weise Menschenfreund kam schließlich doch mit ihr aus und sagte dankbar: »Wer einmal ein wildes Pferd zugeritten hat, der kann alle Pferde bezähmen, und so ist mir durch den Umgang mit ihr der Umgang mit allen Menschen so leicht geworden.«S. Diog. Laert. II 35 f. Dieser Vergleich mit dem Reitpferd stammt gewiß von Sokrates selbst; denn er kehrt in seinem Mund bei Xenoph. Sympos. 2, 10 wieder, auch noch in Xenoph. Oekon. 3, 11.

Gleichwohl war er eingeschüchtert und unterfing sich nicht, so vielseitig er war, junge Ehefrauen über die Führung des Hausstandes zu belehren. Das mußte an seiner Stelle, wie wir sahen, in Xenophons Darstellungen Ischomachos tun.

Als es ans Sterben geht und Sokrates im Gefängnis, umgeben von seinen Schülern, den Giftbecher trinken will, kommt im letzten Augenblick auch die Frau mit einer Dienerin und den Kindern, um ihn noch einmal zu sehen, ins Gefängnis. Er aber ist inmitten seiner jungen Freunde von den tiefsten Fragen nach der Unsterblichkeit der Menschenseele und den Verheißungen des jenseitigen Lebens erfüllt, erträgt ihre gedrückten Trauermienen nicht und heißt sie gehen, wir erfahren nicht, mit welchen Worten.s. Plato, Phaedon p. 116 B. Das dünkt uns hart. Aber er war eben jetzt im Begriff, sich, da schon die Sonne sank, wie er mußte, den Tod zu geben, und die Frau sollte sein Sterben nicht miterleben.

Schon diese Szene zeigt aber: diese Xanthippe, 33 die böse, kannte ihre Frauenpflicht, und sie hatte auch sonst Verständnis für ihn. »Mit Unrecht bist du zum Tod verurteilt,« sagte sie zu ihm; sie wußte also, daß die Anklage, er zerstöre den Götterglauben, die ihm den Tod brachte, erlogen war. Sokrates aber antwortete darauf: »wäre es dir lieber, ich wäre mit Recht verurteilt?«

Vor allem steht fest, daß sie Schriften ihres Mannes im Nachlaß treulich aufbewahrte und um ihre Veröffentlichung besorgt war; sie hat sie zu diesem Zweck einem seiner Verehrer ausgeliefert.s. Diog. Laert. II 35 f.; Athenäus p. 611 E. Sokrates schrieb zwar nicht selbst; aber die Hörer pflegten seine fesselnden Gespräche nachzuschreibenDas bekannteste Beispiel ist dafür Platos Theätet. – es gab damals allem Anschein nach auch schon Stenographies. Rhein. Mus. 79 S. 1 ff. –, und sie wollte nicht, daß die Sachen zugrunde gingen.

Gewiß, sie war grobes Kaliber, eine höchst stachlige Person, ihr Organ mutmaßlich kläffend wie das der athenischen Fischweiber. Was der Thersites unter den Männern war, war sie unter den Frauen; so wenigstens dachte die Folgezeit, und wir nennen heute jeden Hausdrachen eine Xanthippe. Schon im Altertum hat man sie immer mehr zur Karikatur gemacht. Freilich nicht in der bildenden Kunst; kein realistischer Künstler hat sich meines Wissens an dieser verlockenden Aufgabe versucht. Mutmaßlich aber haben die Komödiendichter,Auf diese weist Seneca Dial. II 18, 5. Auffällig scheint, daß Aristophanes in seiner Sokrateskomödie, den »Wolken«, die Xanthippe noch nicht vorbringt. Vielleicht war damals, im Jahr 423 v. Chr., die Heirat noch nicht vollzogen. Aber dieser Dichter vermeidet m. W. überhaupt, Frauen, die noch am Leben sind, mit Namennennung zu verspotten, es sei denn, daß sie in die Politik eingegriffen haben wie Aspasia. In den »Wolken« v. 685 bringt er gewisse Frauennamen nur aus sprachwissenschaftlichem Interesse. die auf die gröbsten Effekte ausgingen, sich dessen befleißigt, und das Wasser, das sie dem Sokrates über den Kopf goß, sollte nun gar schmutziges Wasser gewesen 34 sein.Seneca Dial. II 18. Noch toller Hieronymus adv. Jovinianum I p. 170. Auch sollte sie ihre Kinder übel erzogen haben, und sie glichen ihr, nicht ihm.Seneca Epist. 104, 27. Das glaube, wer will; ich aber, ein unbedingter Bewunderer des Sokrates, kann nur mit einigem Respekt von ihr Abschied nehmen. 35

 


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