Theodor Birt
Frauen der Antike
Theodor Birt

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Viertes Kapitel

Die Frau des Euphiletos

Aber es gab nun auch Irrungen der Ehe, vielleicht nicht seltener als heute. Die Männer fühlten sich in diesem Punkt souverän, junge wie alte, wenn sie sich im Durst nach Abwechslung außer Hause Freundinnen suchten. Wir werden es sehen. Für die jungen Haussöhne schien das selbstverständlich; bei den Alten fand man es freilich nicht schön; aber ihr Ansehen in der Stadt litt nicht darunter.

Schlimmer dagegen der Ehebruch. Heute begnügt man sich, solche außerehelichen Beziehungen junger Frauen zu verstehen und interessant zu finden; die Romane leben heute von solchen mehr oder weniger pikanten und nicht immer appetitlichen Schilderungen, und unsere Damen, auch schon die Backfische, greifen mit besonderem Vergnügen, mit Neugier oder geheimem Lechzen danach. Damals stand bei den Griechen, insbesondere in Athen, nach Staatsgesetz der Tod auf dem, der eine vermählte Frau verführt hat, und der betrogene Herr des Hauses selbst durfte ihn töten,Vgl. Demosthenes contra Aristocr. p. 637. indes er sich mit seiner Frau abfinden mochte, wie er wollte. Einen Fall dieser Art anschaulich vorzuführen, soll mir hier genügen. Ob er für den modernen Geschmack gewürzt genug ist, weiß ich nicht. Der Fall hat sich um das Jahr 400 v. Chr. in Athen abgespielt.

36 Es handelt sich um Eratosthenes, einen Mann, der damals als Teilhaber an der blutigen Herrschaft der sogenannten dreißig Tyrannen in der Stadt eine so üble Rolle spielte. Gewiß war er, auch als er seine politische Machtstellung verloren, ein gefürchteter Mann. Euphiletos aber heißt der junge Ehemann, der ihn erschlug, der darum vor den Richtern steht und, um sich zu rechtfertigen, annähernd wörtlich folgendes erzählt.Das Folgende stammt aus des Lysias erster Rede. Nur wo es zum rechten Verständnis nötig schien, habe ich hie und da Worte eingefügt oder auch verändert. Die Erzählung liest sich ohne Lamento und Wortschwall wie ein Aktenstück oder ein möglichst nüchterner Pressebericht. Um so lesenswerter scheint er mir. Euphiletos also berichtet:

Ich hatte zu heiraten beschlossen und führte die Frau, von der zu reden ist, in mein Haus (er nennt sie schonend nicht mit Namen; nach dem Herkommen war sie gewiß noch kaum der Kindheit entwachsen, und von ihrem Charakter wußte er noch wenig). Nach der Hochzeit verhielt ich mich zunächst so, daß ich vermied, sie irgendwie zu kränken, ließ ihr die Freiheit im Haus und gab nur insoweit auf sie acht, wie es üblich und natürlich ist. Als sie das erste Kind gebar, faßte ich dann volles Vertrauen und überließ ihr den ganzen Haushalt; denn das verlangt die häusliche Vertraulichkeit. Auch erwies sie sich zunächst als vortrefflich, eine ausgezeichnete Hausfrau, sparsam und ordentlich in jeder Beziehung. Da verstarb meine Mutter, und ihr Tod war Anlaß und Ursache für all mein Unglück.

Denn bei der Bestattung ging meine Frau im Leichenzug mit, und der Mensch (ihr wißt, wen ich meine) sah sie, und seine Versuche 37 begannen, sie zu verführen. An ihre Zofe machte er sich heran, wenn sie zu Markte ging, und durch die Person geschahen die Verlockungen, die sie betört haben.

Man muß wissen, daß mein kleines WohnhausDas Haus war ein Einfamilienhaus; daher »klein«. zwei Stockwerke hat, die oben und unten räumlich gleich eingeteilt sind, die Wohnräume der Frau von denen des Mannes (wie üblich) getrennt. Unsere beiden Wohnungen hatten also ein durch Treppen verbundenes Oben und Unten.So glaube ich die viel erörterte Beschreibung des Hausinnern bei Lysias § 9 zu verstehen. Die Frauenwohnung hatte eine eigene Haustür, die Männerwohnung ebenso; s. Aeschyl. Choeph. 865. Vgl. übrigens Beckers »Charikles« II² S. 84 f. und 92. Als nun noch ein Kind geboren war,Dies ist anzusetzen, da im § 26 von mehreren Kindern die Rede ist. nährte die Mutter auch dieses selbst. Damit sie aber, wenn sie das Knäblein gebadet hatte (der Baderaum war immer unten) nicht nötig hätte, immer die Treppe hinabzusteigen, lebte und speiste sie mit der Zofe zeitweilig unten, ich oben.

Das war so zur Gewohnheit geworden, daß meine Frau auch oft nachts zum Schlafen nach unten zum Kinde ging, um ihm die Brust zu geben und es zu stillen. Das ging beträchtliche Zeit so, und ich hatte gar keinen Argwohn, sondern war so dumm, zu glauben, daß mein Weib in der Stadt das besonnenste und sittigste sei.

Nach einiger Zeit kam ich einmal unerwartet von unserem Landsitz nach Hause und speiste da mit ihr oben. Da hörte ich das Bübchen unten verdrießlich schreien. Es war aber die Zofe, die es absichtlich quälte, damit es schrie; es sollte ein Merkzeichen für meine Frau sein. Denn der Kerl war im Haus. Erst später habe ich das erfahren. Ich sagte also zu ihr: »Geh hinunter und nähre den Kleinen, damit er nicht mehr so weint.« Das wollte sie anfangs gar nicht, als ob 38 sie froh wäre, nach meiner Heimkehr bei mir zu sein, und als ich böse wurde und bestimmter forderte: »geh' hinunter,« sagte sie: »Du willst dir indes wohl nur mit unserer jungen Magd zu tun machen; denn du hast schon einmal mit ihr herumgezerrt, als du zu viel getrunken hattest.« Da lachte ich; sie aber steht auf, und macht beim Weggehen meine Tür zu; sie tat dabei so, als ob sie scherze; schließt die Tür sogar mit dem Schlüssel ab.

Ich gab kaum darauf acht und legte mich ohne allen Verdacht schlafen; müde war ich, da ich vom Land den Heimweg gemacht. Am andern Morgen kam sie und schloß auf. Ich fragte sie: »Wie ist es? Nachts hörte ich, daß die Haustür knarrte.« Da sagte sie: »Beim Bett des Söhnchens war die Lampe erloschen; mit Hilfe der Nachbarleute hab' ich wieder Licht gemacht.« Ich schwieg und glaubte das, nahm aber wahr, daß ihr Gesicht, das gebräunt, mit Weiß geschminkt war.»Weiß geschminkt«, ψιμυϑίῳ. Vgl. Alexis bei Athenäus p. 568 C.

Gleichwohl verlor ich kein Wort und verließ so schweigend das Haus.

Wieder verging eine Zeit; da kam vor dem Haus ein altes Weib auf mich zu, eine Dienstperson. Die war ausgeschickt worden von ihrer Herrin, mit der der Mensch, der mich betrog, gleichfalls Ehebruch trieb. Auch dies erfuhr ich erst später. Der Mensch kam nicht mehr zu jener Frau, die darüber erbost war, sich beleidigt fühlte und herausfinden wollte, was die Ursache.

Das alte Weibsbild, das mein Haus umlauerte, kam nun dicht an mich heran und sagte: »Mit Verlaub, glaube nicht, daß ich etwa vorwitzig 39 und ohne Anlaß hierher gekommen bin, denn der Mann, der jetzt dir und deiner Frau Schande antut, ist uns verhaßt. Wenn du eure Zofe, die ihr auf den Markt zu schicken pflegt, vornimmst und sie mit Gewalt verhörst, da wirst du alles erfahren. Es handelt sich um Eratosthenes. Das ist so seine Gepflogenheit, und nicht nur deine Frau hat er verführt, sondern so viele andere noch! Sein Gewerbe ist's!«

Damit verschwand sie. Ich aber war ganz erschüttert; alles wurde mir jetzt klar, warum sie mein Gemach abgeschlossen hatte und warum in der Nacht sowohl die Hintertür wie auch die Haustür knarrte, was sonst nie vorkam, dazu noch, daß sie so geschminkt war.

Von Mißtrauen erfüllt tret' ich also ins Haus, befehle der Zofe, mich auf den Markt zu begleiten, als gälte es irgend etwas Nötiges einzukaufen, und sagte ihr alles, was ich gehört. Dann fuhr ich fort: »Du hast nun die Wahl: entweder wirst du gegeißelt und wirst zur Treibarbeit im Mühlenwerk verdammt, und das soll nie aufhören, oder du sagst mir wahrheitsgetreu jetzt alles, was du weißt. Dann soll dir nichts Übles geschehen, sondern ich vergebe dir, was du Böses getan hast.«

Zuerst leugnete sie und sagte: »Tu' was du willst; ich weiß von nichts.« Als ich aber den Namen des Eratosthenes nannte, er sei es, der zu meinem Weibe käme, fiel sie ganz erschrocken mir zu Füßen und erzählte mir alles: wie er nach dem Begräbnis meiner Mutter sich ihr (der Zofe) genähert, wie sie hin und her Meldung getan und 40 meine Frau allmählich nachgegeben, und auf welche Weise er zu ihr ins Haus gekommen; ja, daß sie sogar beim Frauenfest der Thesmophorien, als ich draußen auf dem Land war, mit der Mutter des Menschen das Demeter-Heiligtum besucht. Alles erfuhr ich genau.

Darauf sagte ich: »Gib acht, daß kein Mensch von der Sache etwas erfährt. Andernfalls schone ich dich nicht, wie ich dir versprochen. Du sollst mir helfen, wie ich den Mann auf der Tat ertappe. Bloßer Bericht genügt nicht; die Sache muß ich sehen, ob es wirklich so ist.« Und sie versprach mir das.

Nach vier oder fünf Tagen geschah es, daß ich zur Zeit des Sonnenuntergangs dem Sostratos, der mir befreundet ist und der vom Lande kam, begegnete. Ich wußte, der Freund würde zu Haus kein Essen bereit finden, und lud ihn ein, bei mir zu speisen. So gingen wir bei mir in den Oberstock und speisten dort. Als er sich's hatte wohl sein lassen, verließ er mich, und ich ging schlafen. Eratosthenes aber kam wirklich ins Haus, und die Zofe weckte mich gleich und meldete: »Er ist drinnen.«

Da befahl ich ihr, die Haustür gut zu bewachen, verließ stillschweigend das Haus, ging zu dem und dem Bekannten, traf einige zu Haus an, andere auch nicht und machte mich mit möglichst vielen Männern, die ich angetroffen, auf, kaufte erst noch Wachsfackeln aus dem nächsten Geschäft, die uns Licht gaben, und betrat so mein Haus.

Die Zofe hatte die Haustür offen gehalten. 41 Dann stießen wir die Zimmertür auf, und die ersten, die da eintraten, sahen den Menschen bei meinem Weibe liegen. Die danach eindrangen, sahen, wie er noch nackt auf dem Bett stand. Er war aufgesprungen.

Da kam ich mit Schlägen über ihn und warf ihn nieder, band ihm die Hände auf den Rücken und fragte: »Was erfrechst du dich, so in mein Haus zu kommen?« Er gab sein Unrecht zu, bat kläglich um Vergebung und flehte, ihn nicht zu töten. Geld, Geld wollte er geben. Ich aber sagte: »Das Gesetz, nicht ich, ist es, das dich jetzt tötet, das Gesetz, das du verletzt hast und das du geringer achtest als deine Freuden.«

*

Soweit der Bericht. Der Mann war wehrlos. Wie er zu Tode kam, hören wir nicht. Ob durch Erwürgen? Waffen fehlten. Wir erfahren auch nicht, wie die Frau, die alles mit ansah, das Schreckliche ertrug, wo sie blieb, was aus ihr geworden ist. Die Sache aber machte in Athen gewaltiges Aufsehen. Der Eratosthenes, der in der Stadt unter dem Schutz des Theramenes und Kritias so manchen gut republikanischen Bürger umgebracht, so manches Vermögen beschlagnahmt hatte, war plötzlich aus der Welt geschafft.

Von dessen Anhängern wurde Euphiletos wegen Mißbrauch des Gesetzes verklagt; man log, er habe den vortrefflichen Mann selbst ins Haus gelockt, ins Haus gezerrt und, als er an den Herd des Hauses floh, dessen heilige Natur jede Tötung ausschloß, ihn gewaltsam fortgerissen. Erst 42 damit war es eine Anklage auf Mord. Zum Glück hatte der junge Ehemann Zeugen genug, um den Tatbestand, wie wir ihn soeben vernommen, festzustellen.

Der Wortlaut seiner Rede ist uns erhalten; aber er hat sie nicht selbst aufgesetzt, sondern der berühmte Redner Lysias tat es für ihn, der auch sonst gegen Bezahlung solche Prozeßreden verfaßte, die der Angeklagte (oder auch der Kläger) dann den Richtern vortrug.

Hoffentlich wurde Euphiletos freigesprochen. Seine Frau aber wird er nicht verstoßen haben. Daraus dürfte sich erklären, daß in der ganzen so anschaulichen Erzählung ihr Name so sorglich verschwiegen wird.Dagegen wird in der Rede der Name des Sostratos genannt; denn dieser war nicht kompromittiert. Auf einer Linie mit der Frau des Euphiletos steht wiederum jene andere Frau, der Eratosthenes gleichfalls nachstellte, und daher fehlt auch ihr Name. 43

 


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