Otto Julius Bierbaum
Die Schlangendame
Otto Julius Bierbaum

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19. Kapitel

Wie Bildung und Erziehung den Menschen ziert

Es thut mir leid: Die Geschichte von Herrn Ewald Brock und Fräulein Mathilde Holunder geht ihrem Ende entgegen.

Wäre ich nicht der exakte Mann mit dem Thatsächlichkeitsrespekte, den die realistischen Zeitläufte großgesäugt haben, – ich hoffe, Leser und Leserin danken es ihnen –; wäre ich einer von jenen prinzipienlosen Fabulisten, die sich nicht entblöden, die Spannung des Lesers durch emsig herbeigelogene Hindernisse, Intriguen, Zufälle, Beinbrüche, falsche Testamente, aufgefundene Taufscheine, und Gott weiß was noch für jammervolle Schwindelbehelfe grausam und systematisch zu steigern, (ich hoffe, Sie merken, wie wütend ich bin) so wäre mir es, bah, ein Leichtes, so vieles und erstaunliches Zeug zu erfinden, daß Ihnen Hören und Sehen vergehen sollte, ja, ich will es gar nicht für ausgeschlossen erklären, daß ich dieser wahren Geschichte am Ende einen tragischen Trichter voll gräßlich siedenden Öles furchtbarer Vergeltung überstülpen könnte.

Ich könnte z. B. den unglückseligen Vater der heuchlerischen Schlangendame am Hochzeitsaltar erscheinen und mit Donnertone rufen lassen: »Halt ein, Verworfene! Nimm erst den Fluch Deines Erzeugers!« Das wäre gewiß ein aufregendes Ereignis, und es würde mir das Lob der Gutgesinnten einbringen, die da mit Recht wünschen, daß die Tugend belohnt und das Laster bestraft werde.

Ich könnte aber auch anderen berechtigten Wünschen entgegenkommen. Ich könnte jenen Impresario auftauchen lassen. Jenen Impresario, Sie erinnern sich, mit dem Paul in Paris, London, Brüssel gewesen ist. Wer weiß, was das für ein sauberer Impresario war! Der Teufel traue einer Schlangendame! Beim heiligen Tovote, das könnte vielleicht Sekt auf die Mühle derer geben, die mit Recht wünschen, daß eine Schlangendame pikante Erlebnisse gehabt habe. Wer weiß, ob ich nicht die schätzbare Unterstützung des Staatsanwaltes gewönne, wenn ich z. B. den Impresario sprechen, nein, hauchen ließe: »Erinnerst Du Dich noch, Pauline, wie wir zusammen im Walde von Fontainebleau waren, – Du hattest Dein rotseidenes Corsett an, und es war der erste Mai?! . . .«

Ich verschmähe alles dieses, denn ich verachte die Künste, die nichts mit der Wahrheit zu thun haben. Ich lehne den Eichenlaubkranz der Tragik eben so stolz bescheiden ab, wie den Lorbeerkranz der Pikanterie und sage einfach: Sie kriegten sich.

Ihre Hochzeitsreise machten sie nach Ostende. Haksche-baksche, sagte Herr Ewald Brock, wie er das Meer sah.

Aber in Mecklenburg-Strelitz ließen sie sich als praktische Arztens-Eheleute nieder.

Kein Mensch in dem traulichen Städtchen, in dem sie heiter und zufrieden leben, hat eine Ahnung davon, daß Frau Doktor Brock dereinst geschlangendamt und Tänze getanzt hat, die keine Walzer sind, und Frau Amtsrichter Stüdteke sowohl wie Frau Pastor Hösemann bedauern es sehr, daß sie sich so selten machte, die liebe, nette, bescheidene Frau Doktor, der man es doch einmal ansähe, wie Bildung und Erziehung einen Menschen ziert.

Vielleicht befürchten Sie, daß Brocks sich da oben langweilen?

I Gott bewahre!

Herrn Ewald macht es Spaß, herumzuheilen in Stadt und Land, und erst wenn er sich rechtschaffen abstrapaziert hat, macht es ihm das volle Vergnügen, mit dem Nargileh im Munde auf dem Divan zu liegen und mir stetig sich steigernder Kennerschaft zu betrachten, was Sie, wenn's beliebt, im neunten Kapitel dieser wahren Geschichte nochmals nachlesen können.


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