Otto Julius Bierbaum
Die Schlangendame
Otto Julius Bierbaum

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

13. Kapitel

Prolet, der Du bist!

Am Abend desselben Tages, als Stilpe gegangen war, rückte Herr Ewald Brock sofort mit dem heraus, was ihm Der gesagt hatte. Es war ihm ganz unmöglich, es bei sich zu behalten. Es schob sich in ihm umher wie eine Wanderniere. Es war ihm, als trüge er einen Fremdkörper in der Magengegend mit sich herum. Er fühlte, daß etwas Bedrohliches über seiner friedlichen Existenz hing.

Er enthüllte, was er erfahren hatte, in einem schweren, vorwurfsvollen, bangen Tone, und er klavierte dabei recht erregt mit seinen Fingern auf dem Tischtuche, er, das Bild sonst innig gefesteter Ruhe.

Aber Paul nahm's gar nicht feierlich:

»Hat er dirs nun glücklich ausgefrachtet, der Gute? Ich sag's ja, der Mann ist zum Journalisten geboren. Er kann nichts für sich behalten. Und hast Du geweint, mein Lämmchen, über die rührende Geschichte?«

Aber Herr Ewald Brock ging nicht auf diesen Ton ein. Obwohl das Fett am menschlichen Antlitz zur Entfaltung würdigen Ernstes hinderlich ist (weshalb die meisten Pastoren bei ihren seriösesten Stellen so komisch aussehen), so brachte er es doch zu einem ganz respektablen Ansatze einer tragischen Maske, indem er sagte:

»Ach, Paul, Du glaubst nicht, wie mich das, hä, ergriffen hat!«

»Ich glaube Dir's schon, mein gutes Dickes, ich weiß ja, was Du für ein weiches Lämmerschwänzchen bist trotz Deines grauen Cylinders und der vielen verlassenen Konfektionösen. Aber, weißt Du, die Geschichte ist wirklich nicht so rührend, wie sie vielleicht aussieht. Ich wenigstens, na, ich bin recht gut dabei gefahren. Ich will gar nicht davon reden, daß ich Dich, mein Dickes, niemals gekapert haben würde, wäre ich ewig das Gänschen aus dem Pfarrgarten geblieben. Ich hätte wohl kaum gewagt, meine Augen zu einem grauen Cylinder zu erheben, und Du würdest, wenn Du mich in meiner Konfirmandenmantille, die mir bis zum 19. Jahre anhaftete, gesehen hättest, kaum Haksche-Baksche gesagt haben. Ich wäre Dir übelriechende Luft gewesen wie jene armen Hallenserinnen, die Du heiraten sollst. Nein, abgesehen davon auch, ich bin heilfroh, daß ich die Kurasche gehabt habe, ins Leben zu laufen aus diesem gräßlichen grauen Hause mit den ewigen Chorälen. Siehst Du, mein guter Junge, davon hast Du wohl kaum eine Ahnung, wie's Einem zumute ist, wenn man Beine zum Tanzen hat, und man soll immer blos Schrittchen her und Schrittchen hin machen: von der guten Stube in die Küche, von der Küche in die Kammer, von der Kammer in die Kinderstube. Herrgott Du, was war das für ein entsetzliches Leben! So lange meine Mutter lebte, ging's ja. Das war doch eine Französin, wenn auch eine protestantische. Die konnte lachen! Die konnte singen! Weißt Du, sie sang die Chansons von Lisette! Vater entsetzte sich schon vor den Melodien. Der gute Vater! Wenn er den Text verstanden hätte! Ich glaube, er hätte das Haus ausschwefeln lassen. Und einen Humor hatte sie! Dem war nichts heilig. Auch Vaters Predigten nicht. Manchmal übersetzte sie sie ins Französische und hängte ihnen Nutzanwendungen an in einem kollernden Pathos, daß man hätte schreien mögen vor Entzücken. Und wie sie es sprach, das Französische! Es war wieder ein Glockenspiel . . . .«

Sie ging an's Clavier und sang:

Gaité, persévère;
Amis, votre main.
Lise, emplis mon verre;
Eh! vite en chemin!

»Deinen Vater hast Du wohl nicht so lieb gehabt?« fragte Herr Ewald.

»Nein.«

»Lebt er denn noch?«

»Ich weiß nicht.«

»Und du hast, hä, gar keine Sehnsucht? Wie?«

»Gar keine.«

»Das ist aber doch, hä, das ist doch merkwürdig. Nich?«

»Kann sein.«

»Ich begreife das nich, Paul. Ich bin doch'n Mann und ziemlich, hä, ruppig in meinen Gefühlen, aber so ganz ohne, hä, ohne Familiensinn zu sein, das ist mir doch, das geht mir doch, hä, über die Hutschnur.«

»Ja ja, mein Dickes, und deshalb hab ich Dir auch nichts von meiner guten, meiner schönen, meiner anständigen Herkunft erzählt. Du bist ein so liebes und unerfahrenes Herrgottschäfchen, daß ich Dich schonen wollte. Du bringst es zwar fertig, Deinen guten Alten zehn Jahre unausgesetzt zur Verzweiflung zu bringen, indem Du das Gegenteil von dem thust, was er für recht hält, aber Du wärest gewiß nicht imstande, ihm zum Trotz etwa Baß-Buffo zu werden, Du pietätvolles dickes Tierchen!«

Herrn Ewald Brock war bei diesen Worten zu Mute, als hätte ihm soeben jemand mit einem breiten, dicken englischen Absatz auf sein ältestes Hühnerauge getreten. Er machte ein wehevolles Gesicht, an dem Physiognomiker zu erkennen vermocht hätten, wie er einst als zahnendes Baby ausgesehen hatte, und sagte: »Ja, natürlich, Dir wäre es freilich lieber, wenn ich so ein, hä, Tingeltangelmensch wäre. Verachtest mich wohl, weil ich kein ›Künstler‹ bin? Hä? Ich bin Dir wohl zu gewöhnlich!?«

»Nein, mein Dickes, Du bist mir gerade recht. Sonst würd' ich mich nicht so abquälen mit Dir. Bloß, Du mußt Dir nicht einbilden, daß es eine Tugend ist, wenn man kein Temperament hat. Siehst Du, das Temperament, das ist schuld daran gewesen, daß ich aus dem Pfarrnebel davon gegangen bin. Farben wollte ich, Luft, Menschen, Tumult, Leben. Ich wollte Arme und Beine rühren und laut reden dürfen. Ich erstickte da hinten in dem tristen Immerwiederdasselbe. Ich fühlte mich, weiß Gott, nicht zu Hause in dieser Pfarre. Mein liebster Gedanke war mir, wenn ich mir einbildete, mein Vater wäre gar nicht mein Vater, ich wäre gar nicht die Pfarrerstochter von Freienberge, nein, ich wäre eine verwunschene Prinzeß, so eine ganz feine und schöne, und eines Tages würde ein wundervoller Prinz mich holen in einer goldenen Kutsche mit vier Schimmeln. Kennst Du das Lied? –:

Komme doch, komme doch, komm in mein Haus,
Herzensprinz, laß mich nicht warten,
Führ mich doch, führ mich doch, führ mich hinaus,
Der Mond steht über dem Garten.

O, sieh, wie sein Silber die Beete beglänzt,
Die Blumen sind wie aus Seide,
Ich habe mein Haar mit Rosen bekränzt,
Ich warte in mondweißem Kleide.

Komme doch, komme doch, nimm mich mit Dir,
Herzensprinz, laß mich nicht warten,
Und kommst Du nicht balde, so sterbe ich hier,
Der Mond steht über dem Garten.

Das Lied hat auch eine schöne Melodie. Soll ich sie Dir vorspielen?«

»Ja, spiel nur.«

Und Paul spielte und sang das Lied. Wie es zu Ende war, sprang sie schnell auf, ging auf Herrn Brock zu und gab ihm einen Kuß, daß es schallte. »Da, mein Prinz!«

»Hä, ich komm' mir eher vor wie der p. p. Mond.«

»Unsinn, der Prinz bist Du. Allerdings, damals hab ich ihn mir anders vorgestellt. Nicht so umfangreich und mit mehr Haaren; weißt Du, so einen richtigen Bilderbuchprinzen mit langen Locken und einem Barett drauf und einem rotseidenen Mantel. Heute ist das mein Geschmack nicht mehr. Hast Du Dir nicht auch mal eine Prinzessin eingebildet, Dickes?«

»Nee, weiß Gott, das hab ich nich.«

»Siehst Du, deshalb bist Du auch nicht durchgebrannt. Sei übrigens froh. Wenn man sich solche Märchenmenschen vorstellt, gefallen einem manchmal die Zeitgenossen nicht recht. Wenn ich denke, wie viele Katzenjammer ich erleben mußte, ehe ich daran glauben lernte, daß es keine Märchenprinzen giebt . . . Pfui Teufel, was für Gesindel ist mir über die Seele gelaufen!«

Sie schüttelte sich. »Bloß das Tanzen hat mir darüber weg geholfen, und daß ich meinen Leib so nach Gefallen recken und strecken durfte. Armes Dickes, daß Du nicht weißt, wie wohl das thut. Oh, Du, wenn so die breiten Lichter über mir wechselten, und ich wußte von nichts mehr als von meinen Armen und Beinen, wie sie der Musik folgten. Ah, diese köstliche Mühe, die eine Lust ist, dieses wundervolle Gefühl, seine Wollust darzustellen. Ich bin mir immer wunder was vorgekommen, wenn ich oben stand.«

Herrn Brock kam ein ängstlicher Gedanke: »Sag mal, Paul, hä, schließlich sehnst Du Dich nach dem Brettl?«

»Nein, ich sehne mich nicht. Ich wundre mich selber, daß ich mich nich darnach sehne. Ich muß wohl sehr verliebt in Dich sein. Es ist unbegreiflich.«

»Hä, was? Was ist unbegreiflich?«

»Daß ich Dich so gerne habe, Du Klos. Das ist gerade so unbegreiflich, wie daß meine Mama meinen Vater hat gerne haben können.«

»Ach, Paul, bei Deiner Mutter, hä, da war es doch noch was andres.«

»Wieso?«

»Na, Dein Vater hat sie doch schließlich geheiratet . . .«

Kaum hatte Herr Brock das in aller Harmlosigkeit gesagt, da sprang Paul auf, sah ihn aus großen Augen erstaunt und verächtlich an, gab dem Stuhl, auf dem sie gesessen, mit dem Fuß einen Stoß und sprach: »Prolet, der Du bist.«

Herr Ewald Brock war sich über seinen Schrecken noch kaum klar, da war sie auch schon durch die Portière verschwunden.

Er bemühte sich vergeblich, in ihr Zimmer zu kommen.


 << zurück weiter >>