Otto Julius Bierbaum
Die Schlangendame
Otto Julius Bierbaum

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16. Kapitel

Ich glaube, die Situation zu durchschauen

An demselben Tage, an dem, aber nur für fünf Minuten, eine andere Seele in Herrn Ewald Brock gefahren war (Paul meinte, es sein ein Glück, daß sie so schnell von der echten, eigentlichen, aufgesaugt worden sei), wurden noch viele ernste Reden von Paul und Ewa geredet. In der Hauptsache von Paul. Ewa machte es, wie die Baßgeige, wenn die Violine singt. Schrumm-schrumm! Ja – wohl!

Das Resultat war, daß am nächsten Tage jener Brief im Depeschenstil wirklich nach Halle geschickt wurde.

Zwei Tage später erschien Herr Professor Brock bei seinem Sohne. Der war erst erschrocken, denn aus alter Gewohnheit war ihm immer ängstlich in der väterlichen Gegenwart. Als der würdige Vater aber immer und immer wieder von dem unauslöschlichen Danke sprach, den er jener Dame schulde, die seinen Ewald ihm und der bürgerlichen Gesellschaft wieder gewonnen habe, da erfüllte sich die Seele des zaghaften Sohnes mit fröhlichem Mute und lächelnder Zuversicht. Es war freilich ein Glück, daß Paul den plötzlichen Besuch des alten Herrn mit in das Bereich ihrer Dispositionen gezogen hatte, denn sonst wäre es Herrn Brock junior doch schwer gefallen, keine Dummheiten zu machen.

Als nun der Vater Professor sagte: »Und nun führe mich auch hin zu ihr, wenn es angängig ist, Ewald,« da machte Ewald ein harmloses Gesicht und sprach mit einem sanften Lächeln: »Sie ist hier, Papa, nebenan.«

»Wa . . was?!« stieß der erstaunte Erzeuger hervor, dem nicht ganz wohl wurde bei dieser Enthüllung.

Aber der Sohn strahlte mildes Licht in das beklommene Dunkel mit den schlichten Worten: »Es ist meine Wirtin, Papa!«

»Ah so, ah: Die Wirtin! Ganz wohl: Die Wirtin!« wiederholte beruhigt der Vater. »Wo wirst Du mich wohl ohne Weiteres bei ihr anmelden können? . . . Aber nein, vorher sage mir doch: Welcher Art ist die Dame? Wie alt? Wohl eine Witwe?«

»Nein, Papa, es ist keine Witwe. Es ist, hä, eine Pastorstochter aus dem Schlesischen.«

»Ah, eine Pastorstochter! So, so! Da begreife ich den heilsamen Einfluß. Aber sage mir doch: Wie kommt es, daß sie Zimmer vermietet? Verwaist vermutlich und in beschränkten Verhältnissen? Vielleicht könnte man sich da . . .«

»Nein, der Vater lebt noch. Es hat, weißt Du, hä, es hat da ein Zerwürfnis gegeben.«

»Ein Zerwürfnis? Oh! Zwischen Vater und Tochter . . . hm. Wohl wegen Liebessachen, schätz ich . . . ? . .«

»Nein, nicht wegen so was. Hä, weißt Du, Papa, sie ist nämlich eine etwas freigeistig angelegte Natur. Ja. Und der Alte, hä, der Vater, das ist so ein richtiger Orthodoxer, so ein ganz Schwarzer, weißt Du; entsetzlich, hä, borniert und intolerant, so ein, hä, theologischer Gewaltmensch. Ja. Und sie, na ja, hä, sie ist auch wohl ein bißchen, hä, wie soll ich sagen, hä, eigensinnig. Weißt Du: Eigensinnig. Will nicht klein beigeben.«

»Hm! Eine tiefe Natur, wie mir scheint. Selten das bei Frauen, daß sie wegen geistiger Fragen so viel aufs Spiel setzen! So viel! Es muß ein besonderes Mädchen sein.«

»Ja, es ist ein, hä, sehr besonderes Mädchen, Papa.«

»Höre mal, Ewald, . . . sie ist wohl, hm, wie soll ich doch sagen: Sie ist wohl nicht sehr weiblich . . ? . .«

»Oh doch, Papa, sie ist sehr weiblich!«

»Ja, ja wohl: Unzweifelhaft; indessen, ich meine: Es fehlt ihr wohl an jener gewissen mädchenhaften . . . ich will sagen: Sie ist wohl nicht sehr mit äußerliche Reizen . . . Ja, richtig, was ich schon frug: Wie alt ist sie denn?«

»Ich denke: So an die fünfundzwanzig. Aber sie sieht eigentlich, hä, jünger aus, jünger. Man könnte sie auf zweiundzwanzig schätzen. Ja. Sie ist übrigens sehr hübsch . . .«

»Sehr hübsch! Hm! Das ist doch höchst sonderbar! Ich hätte nicht gedacht, daß sie hübsch wäre.«

Pause. Der Professor schwang denkend das Haupt. Herr Ewald sah auf den Teppich nieder, und es war ihm, als sähe er im roten Lichte der Ampel Pauls blonde Fülle auf und niedergehn. Er lächelte.

Da brach der Vater Professor in seine freundliche Phantasie ein mit den Worten: »Sag' mal, Ewald, was ich noch wissen möchte: Hast Du bloß aus dem sehr begreiflichen Dankbarkeitsgefühle für dieses außerordentliche Mädchen daran gedacht, sie zur Frau nehmen zu wollen, oder sprechen da noch andere, hm, Gefühle mit?«

Herr Ewald wurde rot. Thatsächlich rot, wie es manchmal junge Mädchen werden. Und er antwortete mit schöner Schüchternheit: »Wie ich Dir schon schrieb, Papa, ich möchte keine andere Frau.«

Herr Brock senior reichte seinem Sohne die Hand. »Ich verstehe Dich, Ewald.« Dann sagte er mit dem Tone einer gewissen gelinden Ärgerlichkeit: »Aber, mein Gott, warum will sie denn nicht? Sie hat doch ein so schönes geistiges Interesse an Dir genommen? Es muß wahrhaftig ein ganz seltenes Mädchen sein.«

»Das ist ja eben, Papa. Sie ist ein so sehr seltenes Mädchen.«

Jetzt fing die Unterhaltung aber an, schwierig für ihn zu werden.

»Sage mal, Ewald, hast Du Dich, hm, hast Du Dich ihr erklärt?«

»Hä, ja, so nicht eigentlich, weißt Du, direkt.«

»Ich verstehe. Als Aftermieter hätte sich das wohl nicht so recht geschickt. Du hast recht daran gethan, Ewald, Dir Zurückhaltung aufzuerlegen. Indessen, nicht wahr: Sie hat bemerkt, obwohl Du nur andeutungsweise gewagt hast, ihr Deine Gefühle zu zeigen, und das hat schon genügt, sie in ihrem Zartgefühle zu verletzen. . .«

Herr Ewald neigte einigemale sein Haupt.

Der Vater Professor stand auf, so, wie ein Denker wohl aufsteht, wenn er einen Gedanken ersessen hat, tippte seinem Sohne auf das Vorhemd und sprach: »Ewald, ich gebe noch nicht jede Hoffnung auf. Ich glaube, die Situation zu durchschauen. Es wäre wohl möglich, daß ich hier, wenn ich es mit gemessenem Takt und rücksichtsvoller aber zielbewußter Geschicklichkeit anfasse, günstig zu vermitteln geeignet wäre. Laß mich nur machen, Ewald! Ich habe die besten Hoffnungen!«


 << zurück weiter >>