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12. Kapitel.
Judith.

Nachdem Afrus Renommee durch den ergebnislosen Verlauf der Untersuchung glänzend wiederhergestellt war und sich sogar der französische Innenminister dazu bewogen gefühlt hatte, dem Inder sein Bedauern über die verschiedenen Vorfälle auszusprechen, legte sich auch Erwin Gerardis Mißtrauen nach und nach. Die Forderung Doktor Renees, den Koffer noch einmal auf eigene Faust heimlich zu öffnen, lehnte er glatt ab, da es ihm weder daran lag, mit dem Inder aneinanderzugeraten, noch sich sonstigen mißlichen Eventualitäten auszusetzen. Im übrigen bot sich vorläufig auch keine Gelegenheit zu einem gewaltsamen Eingriff, da Afru für den Winter Paris verließ und nach Marseille zur Kur kam, so daß die Koffersendungen ausblieben.

Afru tat seinerseits alles, um Erwin von seiner Freundschaft zu überzeugen, und dankte ihm des öfteren mit herzlichen Worten, daß er »als einziger« nicht in das Lager seiner Feinde übergegangen sei.

Die vorübergehende herbstliche Regenperiode war mittlerweile wieder dem schönsten Wetter gewichen, die Sonne lachte in strahlender Milde vom dunkelblauen Himmel und Tausende von Fremden begannen in Anbetracht der eröffneten Saison die Strandorte des Mittelländischen Meeres von Marseille bis San Remo zu bevölkern. Um diese Zeit kaufte Erwin einen größeren Landkomplex bei Nizza, um auf diesem ein Hotel ersten Ranges zu errichten. Dieses Geschäft war auf Anraten und durch Vermittlung Afrus zustandegekommen, da das fragliche Terrain einem indischen Konsortium gehört hatte und durch seine Bemühungen besonders billig veräußert worden war. Erwin, der anfangs keinen Gefallen daran finden wollte, seine Geschäfte noch zu verbreitern, wurde, als die ganze Angelegenheit endgültig perfekt war, doch – wie es bei seinem rührigen Charakter ja auch unvermeidlich sein mußte – von einem starken Interesse für die Neugründung ergriffen und beschäftigte eine Reihe hervorragender Architekten, Gartentechniker und Ingenieure mit der Ausführung seiner nun sehr hochfliegenden und großzügigen Pläne. Er wünschte, daß sein Hotel eben das Hotel an der ganzen Riviera werden sollte! Eine Gaststätte, mit der die luxuriösesten Häuser am Broadway oder der fünften Avenue nicht konkurrieren durften. Afru bestärkte ihn noch in seinen Absichten, versprach ihm kostbare Möbel, Decken und Teppiche aus Indien zu verschaffen und begleitete ihn nicht selten im Auto auf seinen Fahrten zum Bauplatz.

Noch öfter allerdings benutzte er die Zeit von Erwins Abwesenheit, um dessen schöner und sich nun zuweilen etwas vereinsamt fühlenden Gattin die Zeit zu vertreiben, war ihm infolge seines liebenswürdigen Temperaments und seiner glänzenden Unterhaltungsgabe auch uneingeschränkt gelang. Ivonne gewöhnte sich dadurch derart an die Gesellschaft des Inders, daß sie bereits mit Betrübnis an den Januar dachte, in welchem Monat er Marseille verlassen und seinen ständigen Wohnsitz wieder in Versailles nehmen wollte.

Wenn Erwin fort war, erschien Afru gewöhnlich gleich nach Mittag in der Villa am Prado und nahm mit Ivonne den schwarzen Kaffee ein. Darauf fuhren sie gewöhnlich im Auto an das Mittelländische Meer, bestiegen eine kleine Motorjacht, die Afru kürzlich erworben hatte und glitten über die im strahlenden Sonnenfeuer tausendfältig funkelnde und sprühende Wasserfläche dahin. Das Steuer und die Maschine besorgte dann regelmäßig der kleine häßliche Chinese Jen-Tsu-Tai, den Ivonne bereits kennengelernt hatte, als Erwin die erste Geldrate von der Bank du Commerce auf Grund jenes Schecks von Afru abhob.

Diese Fahrten übten auf die schlanke, empfindsame Frau einen eigenartigen Zauber aus, einen Zauber, den sie fürchtete und doch gleichzeitig mit großer Heftigkeit immer wieder und wieder herbeisehnte. Und warum sollte sie auch nicht, da doch Erwin diese Ausflüge gestattet hatte und selbst als er einmal daran teilnahm ganz entzückt gewesen war.

Die Wellen flüsterten und rauschten. Der schmucke, blendend weiße Rumpf des Bootes hob und senkte sich wiegend wie eine große rhythmische Schaukel. Ivonne lagerte in einem bequemen, gepolsterten Liegestuhl auf dem Verdeck, den Kopf in einen Berg seidener Kissen gebettet und die schönen Arme hinter dem Nacken verschränkt. Stundenlang konnte sie so liegen, in den wolkenleeren azurblauen Himmel starren und weltfernen Gedanken nachhängen, während die warmen Strahlen der Südsonne ihren Körper streichelten. Stundenlang, bis dann schließlich der Tag sank, die Dämmerung sich violett über dem östlichen Horizont emportastete, immer größere Flächen verdunkelnd, und endlich jäh und unvermutet das letzte Licht verschlang. Dann funkelten die Sterne durch das Schwarzblau der Nacht, winkende Fanale einer unerreichbaren Welt, und schleuderten leuchtende Funken durch die gewaltige Kuppel des Raumes, denen sprühende Feuerbogen folgten.

Erst um diese Zeit erschien Afru selbst auf Deck. Den Tag über war er fast gar nicht zu sehen, sondern gab vor, unten in der winzigen Kajütenstube arbeiten zu müssen. Tatsächlich hatte Ivonne auch gelegentlich einer Forschungsreise in diese unteren Regionen dort einen kleinen Schrank voll eigenartiger Bücher, deren Seiten mit indischen und chinesischen Schriftzeichen bedeckt waren, gefunden.

Afru brachte eine schwere, warme Decke mit und verhüllte damit Ivonnes Körper. Dieses tat er sehr sorgfältig und zart, gleichsam als fürchte er sie zu zerbrechen oder ihre Haut durch einen zu starken Druck zu beschädigen. Wenn Afru erschien, verschwand Jen-Tsu-Tai in der Kabine, und tauchte daraus erst nach Ablauf einer halben Stunde mit einem silbernen Tablett in den Händen auf, das neben einer dampfenden Teekanne allerlei Leckerbissen, die Ivonne gern aß, trug.

Nach diesen Mahlzeiten, während denen sich Afru in aufmerksamster Weise um Ivonne bemühte, wurden Zigaretten geraucht, wunderbare Zigaretten, die in Indien eigens für Afru Herstellung fanden, und dann ... erzählte er ...

Das war zweifellos das Schönste.

Das Rauschen, das sanfte, rhythmische Wiegen, die sternklare Nacht, und mitten darin Afrus tiefe, weiche Stimme, scheinbar losgelöst von allem Irdischen und ganz selbstverständlich von irgendwo aus dem großen Dunkel herüberklingend wie ein gespensterhaftes Lied.

Afru wußte, welche betörende, hypnotische Kraft in seiner Stimme schlummerte, er wußte es genau und suchte diese Zähigkeit noch durch Ausnützung von Gemütszustand und Umgebung zu steigern. Er war ein unübertrefflicher Frauenkenner und Psychologe. Während er selbst als Persönlichkeit scheinbar völlig zurücktrat, um die Individualität des anderen nicht zu beeinflussen, nahm er in Wirklichkeit von dieser Individualität doch völlig Besitz, da sie sich ja wehrlos und klar vor ihm auszubreiten pflegte.

Auch Ivonne merkte nicht, wie sie immer fester und fester von den Netzen seines Willens umstrickt wurde, wie sie erst seelisch und dann auch körperlich der Einflußsphäre Erwins entglitt und zu dem Inder hinübergezogen wurde. Sie merkte es nicht, bis eines Abends der traumhafte Schleier zerriß und sie vor eine jener Tatsachen stellte, vor denen es kein Entrinnen mehr gibt.

Es war ein besonders lauer Abend. Im Westen säumte den Horizont noch ein purpurgoldenes Flammenband, während im Norden bereits die Leuchtfeuer der Marseiller Hafeneinfahrt aus dem sinkenden Dunkel hervorzublitzen begannen. Kein Lüftchen regte sich. Das Meer lag glatt wie ein ungeheurer Spiegel unter dem geräuschlos dahingleitenden Boot und nur die klatschenden Flügelschläge zuweilen vorübereilender Seevögel unterbrachen die tiefe Stille der heranschleichenden Nacht. Jen-Tsu-Tai hatte den Motor abgestellt und schlief auf seinem Sitz, ein wenig in sich zusammengesunken und dadurch noch kleiner und merkwürdiger als sonst. Auch Afru verstummte, nachdem er ein altes indisches Lied gesungen hatte. Dessen Melodie war von einer großen Schwermut und seine Worte erzählten von dem Tode eines schönen, vielumworbenen Mädchens, das das Leben sehr geliebt hatte.

Ivonne lag in ihrer gewöhnlichen Stellung und schaute in den Himmel, dessen Blau immer dunkler und dunkler wurde und aus dessen Tiefe die Sterne einer nach dem anderen aufzublühen begannen. Sie fühlte deutlich, daß Afru sie ansah. Eine heftige Unruhe vibrierte durch ihr Blut, eine Unruhe, wie sie sie früher in der Gesellschaft dieses Mannes nie empfunden hatte.

Ganz plötzlich und gleichsam unter der Einwirkung eines gewaltsamen Zwanges mußte sie gegen ihren eigenen Willen den Kopf in die Richtung wenden, in der sie das Gesicht des Inders vermutete. Ihr Blick traf in ein paar stechende Augen, denen ein fahles Feuer zu entspringen schien. Eine große Müdigkeit, ein unendliches Anlehnungsbedürfnis überkamen das junge Weib. Ihre Arme glitten unter dem Kopfe hinweg und fielen kraftlos zu beiden Seiten des Liegestuhles herab. Sie hörte wie ihr Blut hämmerte und rauschte, sie sah wie das bräunliche, schmale Gesicht des Mannes näher und näher kam, schließlich den Sternhimmel verdeckte und auf sie niedersank. Was sie nun spürte, war kein Kuß im gewöhnlichen Sinne dieses Begriffes. Es war vielmehr ein elektrischer Schlag, so brennend und doch gleichzeitig so betäubend, daß sie nichts vermochte, als nur leise aufzuseufzen.

Als sie aus ihrer Betäubung erwachte, tagte es bereits wieder im Osten. Ein kühler Wind hatte sich aufgemacht und spielte mit den Wimpeln. Der Motor stöhnte und rollte unter den Fäusten des Chinesen, der vor dem Steuer hockte wie ein häßlicher Affe. Nur Afru war nicht zu sehen.

Ivonne versuchte es, sich zu erheben, sank aber sofort wieder zurück. Sie war völlig kraftlos wie nach einer langwierigen und schweren Krankheit und ihr Kopf schmerzte, als säße er zwischen Schrauben.

»Jen-Tsu-Tai ...!«, rief sie kaum hörbar, und doch hatte sie alle Kraft aufgeboten, die ihre Stimme noch hergab. Aber der Chinese hörte sie sogleich und kam diensteifrig herangeglitten.

»Was befehlen gnädige Frau?« fragte er unterwürfig, während sich in seinem pergamentfarbigen Gesicht nichts rührte.

»Wo ist Afru?«

»Er schläft in der Kajüte.«

»Wie kommt es, daß wir noch auf See sind? Sonst waren wir gewöhnlich gleich nach Mitternacht wieder im Marseiller Hafen.«

»Wir hatten einen kleinen Motordefekt und sind daher zu stark nach Süden abgetrieben worden. Gnädige Frau haben so fest geschlafen, daß Sie davon nichts merkten. Erst vor kurzem haben Herr Afru und ich den Schaden wieder repariert.«

»Wann werden wir zu Hause sein?«

»In spätestens einer Stunde.«

Ivonne nickte Jen-Tsu-Tai zu, der sich sofort wieder in seinen überdachten Führerstand zurückzog. Alle Willenskraft zusammennehmend, erhob sie sich nun, tastete sich an der Reeling entlang bis zum Geländer der schmalen Kajütentreppe und stieg taumelnd hinab.

Afru lag mit geschlossenen Augen auf dem kleinen, gepolsterten Ruhebett und atmete ruhig. Neben ihm auf einem Mahagonitischchen lag ein französischer Roman, in dem er jedenfalls vor dem Schlafengehen hatte lesen wollen, und darin ein kunstvoll gearbeitetes Papiermesser. Unwillkürlich nahm Ivonne den langen, schmalen Dolch in die Hand und betrachtete ihn aufmerksam. Die Klinge aus blankem, haarscharf geschliffenem Silberstahl glitzerte tückisch. Der Griff war mit wunderbaren, blutroten Rubinen besetzt und den Knopf bildete ein nußgroßer Smaragd. Wer weiß, welchen Taten diese Waffe bereits zur Vollendung verholfen hatte? Wer weiß? Es war nicht anzunehmen, daß sie ursprünglich zum Aufschneiden harmloser Kitschromane hergestellt worden war.

Afru schlief noch immer. Die Frau stand mit dem Dolch in der Hand vor ihm und sah auf ihn nieder, von draußen tönte das eintönige Rauschen der an der Bordwand zerschellenden Wogen und das gleichförmige Schüttern des Motors. Auf weite, weite Entfernung waren sie die einzigen Menschen. Der Chinese oben am Steuer zählte ja nicht.

In diesem Augenblick fiel Ivonne ein seltsames Bild ein. Judith, den schlafenden Holofernes betrachtend. Irgendwo in einer modernen Pariser Galerie hatte sie es gesehen. – Judith? Wer war Judith? – Ein Weib, das sich dem Feinde ihres Volkes näherte, um ihn nachher töten zu können. – War Afru ein Feind ihres Volkes, womöglich ihres Geschlechts? Hatte er tatsächlich alle jene aus so merkwürdige Weise im Laufe des letzten Jahres verschwundenen Frauen auf dem Gewissen? War er ein Frauenmörder, oder, was schlimmer sein mochte, ein Frauenhändler? War er das?

Die ersten gelben Strahlen der aufgehenden Sonne fielen durch die runden Bullaugen und tauchten den winzigen Raum in ein fahles Licht. Der Wind schien zugenommen zu haben, denn das kleine Boot begann heftig zu stampfen.

Sollte sie, sollte sie es tun ...?

Ein Grauen überlief das Weib. Mörderin! Ekelhaft dieses Wort! Es klang so schmutzig und niedrig. Aber mußte es so heißen? Konnte man in diesem Fall nicht auch Befreierin oder gar Rächerin sagen? Judith war beides: sie nahm Rache für die ihr angetane Schmach und befreite ihr Volk.

Wie eine glühende Woge nahm es Ivonne gefangen. Afru hatte mit schlangenhafter List sie vorsätzlich ins Garn gelockt, wochenlang alles getan, um ihr Vertrauen zu erobern. – Oder liebte sie ihn doch? – Nein, nein, sie liebte ihn nicht! Nun, da sie alles klar sah, da sie einen uneingeschränkten Überblick über seine Ränke gewonnen hatte, war auch jedes tiefere Gefühl für diesen fremdrassigen Mann aus ihrem Herzen gewichen. Nur der Magnetismus seiner Persönlichkeit hatte sie vorübergehend in Bann schlagen und bezwingen können. Nun aber war sie frei!

Langsam beugte sie sich über den Mann. Tiefer und tiefer. Deutlich sah sie das leise Vibrieren des Hemdes an der linken, ihr zugewendeten Seite des Mannes. Dorthin mußte sie zielen! Mußte die Spitze des tückisch funkelnden Messers gestoßen werden. Damit ein purpurner Blutquell aufsprang, damit ein Leben erlosch.

In diesem Augenblick öffnete Afru langsam die Augen und sah Ivonne an. Mit einem so durchdringenden, spöttischen Blick, daß sie sofort begriff, er habe sich die ganze Zeit über, während sie mit sich kämpfte, nur schlafend gestellt. Ihre ganze, mühevoll erworbene Festigkeit brach restlos zusammen. Der Dolch entfiel ihrer Hand und blieb federnd im Fußboden stecken. Afru sprang auf, bückte sich dann geschmeidig nach der Waffe und überreichte sie ihr galant.

»Zur Erinnerung an diese Stunde ...!« sagte er lächelnd.


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