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5. Kapitel.
Der schwarze Koffer.

»Ivonne ...!?«

Schweigen, keine Antwort.

»Liebe ... Ivonne ...!?«

Dasselbe Ergebnis.

»Meine liebe, süße, kleine Herzensblume ...! Willst du nicht etwas aufmachen?«

»Nein. Ich will nicht. Überhaupt laß mich zufrieden. Ich will nichts mehr von dir wissen. Du bist ein ganz böser, schlimmer, grausamer Mann ... mmm ... mmm ... ja, das bist du!«

»Aber Ivonne, sei doch vernünftig! – Schließ wenigstens die Tür auf ...!?«

Erwin mußte eine Weile warten, dann aber knackte leise, ganz leise der Schlüssel.

Er sprang hinzu, und die Tür gab nach.

Als er eintrat, saß Ivonne in einem Sessel am Fenster, dessen Portieren zugezogen waren, rauchte eine Zigarette und würdigte ihn keines Blickes. Er wollte ihr einen Kuß geben, aber sie stieß ihn zurück.

»Laß das bitte, ja ...! Ich wünsche nicht von einem Manne geküßt zu werden, der außer mir noch mit zehn anderen ...«

Sie kam nicht dazu, weiterzusprechen, denn Erwin begann so laut und herzlich zu lachen, daß sie gezwungen war, erstaunt aufzusehen und dann ihre Tränen abzuwischen.

»Was ist denn los?« fragte sie schließlich kopfschüttelnd, als er gar nicht aufhören wollte.

»Was los ist? – Und das fragst du noch?! – Daß du eine ganz dumme, eifersüchtige, kleine Frau bist, das ist los, die aus der winzigsten Mücke den allergrößten Elefanten zu machen vermag ...«

»Ja, aber ... hast du heute nachmittag nicht im Piccadilly mit einer blonden, schlanken Dame zusammengesessen und Cherry getrunken?«

»Gewiß, habe ich das ...«

»Und dich auf das liebenswürdigste, also schon ganz auffallend liebenswürdig mit ihr unterhalten ...?«

»Auch das gebe ich zu!«

»Und hast du ihr beim Abschied nicht einmal, sondern zweimal ... hörst du wohl: zweimal hintereinander die Hand geküßt, wobei ihr euch tief und lange in die Augen saht?«

»Alles stimmt!«

»Und trotzdem kannst du lachen und mich verspotten wenn ich traurig, nein verzweifelt bin, wenn ich ...«

Sie fing wieder an zu weinen.

Erwin hörte die Sache eine Weile an, nahm dann die noch glimmende Zigarette Ivonnes vom Aschenbecher und begann, vergnügt im Zimmer auf und nieder wandernd, zu rauchen.

»Bitte, lauf nicht so hin und her. Es macht mich nervös!«

Er setzte sich und pfiff den neuesten Charleston.

»Pfeif nicht! Es ist unmanierlich, im Zimmer zu pfeifen!«

Nun wurde ihm die Angelegenheit aber doch zu bunt. – Er sprang auf, nahm sie in beide Arme, schwenkte sie mehrmals durch die Luft und setzte sie dann zu sich auf die Knie.

»Also allen Ernstes, Liebling ... Du bist eifersüchtig auf jene Frau?«

Stummes, aber sehr energisches Kopfnicken.

»Schön. – Ich hoffe, du wirst dich eines anderen besinnen, wenn du erfährst, wer jene Frau ist. – Jene Frau ist ...«

»... aber nicht flunkern!«

»Bewahre! – habe ich dich jemals nachweislich beflunkert? – Also jene Frau ist – die Frau eines andern!«

»Pfuiii!«

»Wieso pfuii!« – Was ist daran entsetzlich? – Jene Frau ist die Frau des Eisenbahningenieurs Courton und hat mir ...«

»... mit mir, wolltest du sagen ...«

»Nein, das wollte ich nicht sagen! – Sondern sie hat mir gestern im Auftrage ihres Mannes mitgeteilt, daß ... Na, rate mal!«

»Ach, laß mich zufrieden mit deinen Mätzchen! Du hast mich ja doch nur zum besten!«

»Gut. Ich werde dich zufrieden lassen. Überhaupt ich werde jetzt fortgehen und mir jemand anderen suchen, dem ich erzählen kann ...«

»Was?«

»Was mir Madame Courton mitgeteilt hat!«

»Also jetzt bist du direkt schlecht, Eri! – Du willst einem anderen ... Ich habe gesagt, daß du mich nicht mehr liebst ...!«

»Still! Keine Tränen mehr! – Ich kapituliere! – Frau Courton hat mir im Auftrage ihres Mannes mitgeteilt, daß die Eisenbahnverwaltung –«

»Eri ...???«

»... daß die Eisenbahnverwaltung für den Ankauf des ehemaligen Doufraisschen Terrains sechzig Millionen Franken bewilligt hat!«

Einen Augenblick blieb er ganz still in dem Zimmer. So still, daß nichts als die Geräusche von der Straße und das emsige Ticken eines Holzwurmes hörbar waren. Dann endlich sagte Ivonne leise:

»Liebster ... dann sind wir ja reich ... sooo furchtbar reich!«

»Tja, das läßt sich wohl nicht länger verheimlichen! Und du wirst nun hoffentlich auch einsehen, daß man der Überbringerin einer solchen, na sagen wir, gelinde ausgedrückt, recht angenehmen Botschaft auch ohne Überanstrengung und ohne sich des Ehebruchs oder der Untreue schuldig zu machen, zweimal hintereinander die Hand küssen kann!«

Ivonne stand auf. Sie wußte eigentlich gar nicht, was sie nun denken, tun oder sprechen sollte, so benommen war ihr der Kopf von der Nachricht.

Sechzig Millionen Franken!

Das übertraf alle Erwartungen! Nun konnte sie sich ja eigentlich jeden Wunsch leisten, den sie überhaupt im Leben gehegt hatte. Sie dachte nach, was brauchte sie? – Und seltsam, in diesem Augenblick fiel ihr nichts, aber auch rein nichts ein. So lange ihr das Geld nur in beschränktem Maße zur Verfügung gestanden hatte, war kein Tag vergangen, ohne irgendeine kleine oder große Forderung aufs Tapet zu bringen, und nun, da sie aus dem Vollen schöpfen durfte, war alles vergessen.

Ob Erwin ein Haus bauen lassen würde?

Die Doufraissche Privatvilla am Prado, in die sie sofort nach notarieller Bestätigung des Kaufvertrages gezogen waren, hatte sowohl der Lage als auch der Ausstattung nach so viele Vorzüge und war ihr in den wenigen Tagen, die sie darin wohnte, so lieb geworden, daß sie es nicht hoffte.

Und sonst ...?

Da fiel es ihr plötzlich ein, daß Erwin versprochen hatte, an dem Tage, wo die Eisenbahnverwaltung ihre Zustimmung zu seiner Forderung geben würde, den Schleier des Geheimnisses zu lüften und ihr zu erzählen, wie er zu den ersten fünf Millionen gekommen sei. Heute mußte er es tun, und zwar sofort.

Erwin war nicht sehr erbaut, als sie ihm ihre Forderung vortrug. Irgendein seltsam warnendes Gefühl hatte ihn bisher daran gehindert, das geheimnisvolle Erlebnis mit dem Inder irgend jemand preiszugeben und ihn veranlaßt, die Eröffnung bis heute aufzuschieben. Aber nun, wo alles so erstaunlich gut gegangen war, und das Geld des Inders ihm so reiche Zinsen gebracht hatte, wie er es selbst nie zu hoffen wagte, nun bestand ja eigentlich keine Veranlassung mehr, den Ursprung dieses großen Glückes länger verborgen zu halten.

Er erzählte.

Alles von Anfang an. Atemlos lauschte ihm Ivonne. Von den Kaschemmen, in denen ihn der Spielteufel zum erstenmal gepackt hatte, berichtete er, von den Nächten im Café de Paris und schließlich von jener Stunde, da ihm Sanjo Afru zum erstenmal gegenübertrat. Alle Phasen des furchtbar aufregenden Zweikampfes um die Palme des Glückes ließ er wieder erstehen, schilderte seine eigenen Zukunftsphantasien und schließlich die grenzenlose Verzweiflung, die ihn überkam, als er alles verloren sah.

Dann jene seltsame Begegnung mit dem Inder an der Brüstung der Parkmauer, das Aufklatschen der Waffe unten im Meer, die Rückgabe des Portefeuilles, der Fünfmillionenscheck und schließlich die Vereinbarung, den Puppenkoffer in Verwahrung zu nehmen ...

»... Am Samstag über eine Woche sollte er ...«

Ivonne fuhr auf.

»Heute ...?«

»Ja, heute!«

Erwin Gerardi sah nach der Uhr. Es war sechs. In etwa zwei Stunden mußte – falls der Inder Wort hielt – das mysteriöse Gepäckstück ankommen.

Seltsam, daß dieses Bewußtsein ihnen beide plötzlich völlig die gute Laune verdarb, in die sie die Courtonsche Nachricht versetzt hatte. Sie hatten – ohne es sich gegenseitig einzugestehen – das Gefühl, durch die Aufbewahrung des Koffers entweder etwas Unerlaubtes zu fördern oder doch mit Dingen in Berührung zu kommen, die irgendein düsteres Geheimnis bargen.

Um halb acht – die anderthalb Stunden bis zu diesem Zeitpunkt erschienen ihnen endlos – hielt eine dunkelblaue, geschlossene Limousine vor dem Gartengitter der ehemals Doufraisschen Villa und fuhr, nachdem das Tor geöffnet war, in den Hof ein.

Erwin selbst ging hinunter, um die Ankömmlinge zu empfangen. Es waren vier braune, hochgewachsene Burschen, die sich stumm vor ihm verneigten, ihm einen dicken, versiegelten Brief übergaben und sich dann daran machten, einen riesigen schwarzen Koffer aus dem Innern des Wagens zu heben und in das von Erwin bestimmte Zimmer zu transportieren.

Nachdem dies geschehen war, verschwanden sie lautlos, schwangen sich in ihr Auto und brausten davon.

Erwin steckte den Brief in die Tasche und betrachtete den Koffer. Er hatte den Umfang eines mittelgroßen Kleiderschrankes, besaß an der einen Seite eine Tür, die mit einem überaus kunstvollen Schloß indischen Ursprungs versehen war und wurde durch einen Überzug aus sehr dickem, schwerem Leder geschützt. An einigen Stellen befanden sich mehrere dicht nebeneinanderliegende Öffnungen, die scheinbar in das Innere des Behälters führten.

Erwin schaute und schaute. Es war ihm, als müsse er irgend etwas an diesem Koffer finden, irgend etwas, das ihn auf eine bestimmte Spur führen könne, von deren weiterem Verlauf oder gar Ziel er sich allerdings nicht den geringsten Begriff zu gestalten vermochte. Mehreremal wollte er fortgehen, aber ebensooft zog ihn eine unheimliche, unwiderstehliche Macht zu dem Kasten zurück und veranlaßte ihn, wieder und wieder nach den verdächtigen Merkmalen zu suchen.

Plötzlich stand Ivonne neben ihm.

Er hatte nicht gehört, wie sie eingetreten war und fuhr förmlich wie ein ertappter Verbrecher zusammen, als er so unerwartet ihrer gewahr wurde.

»Was suchst du an dem Koffer?« fragte sie.

»Ich? – Nichts, nichts. – Ich betrachte ihn bloß. Es ist eine höchst interessante indische Arbeit ...!«

Ivonne stand dicht neben ihm. Sie packte seinen Arm und er fühlte, daß ihre Hand zitterte.

»Das ist nicht wahr ...,« flüsterte sie heiser und angstvoll. »Das ist nicht wahr! Irgend etwas anderes zwingt dich, ihn immer wieder zu betrachten, irgend etwas ... Ich beobachte dich schon eine ganze Weile!«

Erwin konnte nichts antworten.

Er wußte, daß die Frau dasselbe empfand wie er, und dieses Bewußtsein steigerte noch die Unruhe, die ihn überkommen hatte.

»Komm!« rief Ivonne plötzlich und unvermittelt. »Komm! Es graut mir! In diesem Koffer ist irgend etwas Gräßliches verborgen! Mir ist zumute, als ständen wir vor einem Sarge, in dem die Menschen lebendig begraben werden!«

Sie zerrte ihn hinaus.

Als er oben in seinem traulichen Schreibzimmer angelangt war, fiel ihm wieder der Brief ein. Er machte sich daran, ihn zu öffnen. Das war nicht einfach, denn das Papier erwies sich so zäh wie dünnes Leder.

Schließlich hielt er das eigentliche Schreiben in der Hand. Es war von Sanjo Afru und trug links in der Ecke das eingepreßte Wappen des Maharadscha von Sukentala.

Sanjo schrieb:

»Hochwerter Sahib!

Es ist Samstag und ich halte Wort, wie ich das gleiche auch von Ihnen glaube. – Ich habe meinem erlauchten Herrscher mitgeteilt, daß seine geliebten Sammelobjekte in Ihrem Hause den letzten, sicheren Ruheplatz haben, bevor sie die Reise über das große Wasser antreten und er hat mich daraufhin beauftragt, Ihnen einen Ring von großer Kostbarkeit und seltsamer Bewandtnis als Dankgeschenk zu übergeben. Ich hoffe, daß es Sahib nicht unangenehm sein wird, wenn ich ihn in dieser Angelegenheit heute um die Zeit des europäischen Nachtmahles besuche.

Sahibs untertänigster Diener
Sanjo Afru

Das fehlte noch gerade!

Erwin sprang wütend auf und schleuderte den Brief in eine Ecke. Nicht genug, daß dieser unsympathische Koffer bei ihm abgeladen wurde, auch sein Besitzer meldete sich noch an, um ihn einen »Ring von großer Kostbarkeit und seltener Bewandtnis« zu übergeben. Schließlich lebte man weder in einer Zeit der Hexenverbrennungen noch in Jahren, da die Märchen von Tausendundeiner Nacht erstanden, sondern im zwanzigsten Jahrhundert, der nüchternsten und aller Romantik am entferntesten liegenden Epoche.

Warum also dieser ganze lächerliche Tamtam, für den er nicht das geringste Verständnis aufbrachte?

Immerhin vor der Tür konnte er den Mann doch eigentlich nicht stehen lassen. Fünf Millionen waren kein Pappenstiel, und im Grunde genommen verdankte er ihm doch schließlich seine finanziellen Erfolge.

Also gute Miene zum verdächtigen Spiel machen, Ivonne instruieren und im übrigen der Dinge harren, die da kommen würden.


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