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X. Capitul. Der Schreiber, so Baron gewesen, macht ein Hochzeit-Carmen. Discurs von der häuslichen Klugheit.

Wer heute küßt und morgen beißt,
Vor diesem hüt dich, wie du weißt.

Niemand aber befand sich mehr beschimpft als der Musicus, weil der Schüler wider seinen Willen und Vorbewußt eine Sach unterfangen, darob das Frauenzimmer wie die wilde reißische Bären murrte. Ja, ich glaube, er hätte ihm die Baßgeige über den Kopf geschlagen, daß er mit demselben durch den Boden herausgegucket, wenn ich nicht der dritte Mann in dem Spiel gewesen und den erzürnten Menschen in etwas befriedigt hätte. »Monsieur,« sagte ich, »was ist es mehr, ob der Schüler mit Eurem oder ohne Euren Willen das Lied gelernet, componiert und abgesungen hat? Dardurch ist Eurer Ehr und Reputation nicht das geringste genommen. Ihr seid weder klüger noch närrischer dadurch geworden und habt Euch also nur einen unnötigen Zorn zugezogen.

Was der Schüler kann, das werdet Ihr ihm nicht nehmen, und es liegt an mir, daß ich den Schüler zu meinem Kammerdiener mache, so ist er mehr als Ihr und die Trompetta-Mariner. Er hat dem Frauenzimmer nicht den geringsten Schimpf, aber mir und allen anwesenden Cavalieren wohl eine solche Dienstleistung erwiesen, die Ihr zu erweisen nicht im Vermögen gehabt. Sonst wären wir nicht so irräsonabel gewesen, Eure Person vorbeizugehen und Euch um eine solche Sache zu ersuchen, die wir Eurem Vermögen nicht gemäß geschätzet. Hiermit wünschen wir Euch eine gute Nacht, schlaft wohl, und morgen will ich Euch ein Glas Wein zubringen.« Mit solchen Worten ging ich schlafen. Aber folgenden Morgens, als ich aus dem Schlaf erwachte, machten sich die mit den Trompette-Marinen schon tapfer lustig. Sie strichen etliche alte Stücklein von dem Schwedischen Mörser, und das Geld, so sie vor Calovonium begehret, versoffen sie im Brandewein. Ob sie auch gleich keinen Groschen in dem Säckel wußten, waren sie doch lustiger als ich und satzten ihre Hüte auf die Halbe des Kopfes gleich den Sackpfeifern, die anstimmen wollen.

Diesen Morgen wurde der Bräutigam samt der Braut trefflich durch das Leder gezogen. Aber Caspar lachte mich nur aus, vorgebend, daß ihm lang kein solcher Poß wie mir mit dem Ludwig widerfahren. Als wir aber zu Mittage den Betrug mit dem Schreiber offenbaret, schämte er sich in dem Herzen, daß er diesem Masculini so schrecklich und fast alle mögliche Ceremonien erwiesen. Hiermit erhebte sich ein neues Gelächter, und der Schreiber wurde aller seiner bis anhero gehabten Dignitäten und Würdigkeiten gleichsam in einem Augenblick entsetzet. Isidoro befahl ihm hierauf, dem Brautvolk zu Ehren ein Carmen aufzusetzen. Solches arbeitete er innerhalb einer Viertelstunde aus und brachte solches Concept, ehe die Tafel halb aus war, zu Tische.

Nil iuvant Status splendidi,
Si non habemus
Weib.
Qua sine sumus miseri
An unserm ganzen Leib.
In cœlibatu vivitur
Wahrhaftig nicht gar wohl,
Ibique male agitur,
Und raro, wie man soll.

Vos ergo cæci monachi,
Wie seid ihr doch so arm!
Absque fæmella stolidi,
Wird keiner von euch warm.
Die Eh' ist gut, ihr wißt es ja,
Nemo negabit hoc:
Habetur caro optima
,
Im langen Weiberrock.

Confiteor me labilem
In meiner Liebesnot,
Ni dederis mulierem,
So bin ich morgen tot.
Hanc ego amo unicam,
Ich wollt', sie wär schon da!
Tunc vellem meam fæminam,
Gar bald, et cetera.

Das Frauenzimmer, welches des Lateins nicht kündig, ließ sich solches meist von den Schülern auslegen, weil sie der Verteutschung des Ludwigs wie auch den andern studierten Edelleuten nicht getrauet. Denn sie wußten, daß wir unterweilen gar zu teutsch gewesen und in allen Sachen mit ihnen nur gescherzet hatten. Damit ging auch dieser Tag zu Ende, und in angehender Nacht satzten wir uns auf die zubereitete Schlitten und fuhren bei brennenden Pechfackeln, daß es taugte. Ihr viel wurfen das Frauenzimmer mit Fleiß in den Schnee, dadurch man sehen können, was sie ihr Leben lang in dem Schilde geführet, und solchergestalten vollendeten wir auch diese Lust, nach welcher wir drei Wochen aneinander auf dem Schlosse zugebracht, welche nicht viel anders als verloren waren.

Wir hatten zwischen dieser Zeit dem Monsieur Caspar so viel in der Stube verzehret, daß fast nichts mehr in seiner Kammer von Mitteln übrig war. Zuletzt mußten noch etliche Amts-Schweine herhalten, mit welchen er auch alle diejenige zu bezahlen pflegte, die sich bei seiner Hochzeit mit Aufwartung oder sonst einem Ämtlein bedient gemacht. Aber etliche waren damit nicht wohl zufrieden. Derohalben wurde er von denjenigen, von welchen er Wein, Bier, Fleisch und anders geborget, fast stündlich angelaufen. Es gingen nach diesen drei Wochen kaum zwei Tage ins Land, da fanden sich schon ein Haufen Mahnbriefe, daß er ganz ungeduldig darüber war. »Bruder,« sagte er zu mir, »so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, diejenigen Leute, die es am wenigsten brauchen, die lassen mich zum öftern überlaufen. Du kennest den weißkopfichten Edelmann hinter dem Wald, der hat weder Weib noch Kind und eine solch stattliche Barschaft an seinen Mitteln, daß es nicht zu sagen. Jedennoch lasset er immerzu an mir zupfen wie an einem Bettlersmantel. Nun weiß ich gar wohl, daß die Schulden müssen bezahlt sein. Aber das unaufhörliche Mahnen macht mich so verdrossen, daß es nicht zu beschreiben. Vor diesem hat er mir versprochen, mit hundert Talern zu Hülfe zu kommen. Aber nun lasset er mich vor ein Lumpengeld kaum schlafen noch ruhen, sondern will wider des Teufels Dank bezahlt sein, und du hast heut selbst gesehen, daß mich seih Diener, wie die unhöfliche Flegel alle tun, unter euch allen fein öffentlich gemahnet und die Sache so nötig gemachet hat, gleich als ob seinem Herrn seine ganze Wohlfahrt daran gelegen. Ich wollte es gern tun, aber, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, wenn ichs im Vermögen habe. Ja, ich wüßte nicht sechs Taler bar Geld aufzubringen, wenn ich nicht die Mittel meiner Liebsten an der Hand hätte, welche ich aber unangefochten lasse. Nur dieses verdreußt mich zum meisten, daß er mein so guter Bruder sein will und mir acht oder zehen Taler nicht borgen will. Jeder Mensch braucht zwar das Seinige, aber einem Freund zu Gefallen wollt' ich den Rock an dem Leibe entbehren und warten, bis es seine Gelegenheit wäre.«

»Narr,« sagte ich zu ihm, »was betrübest du dich deswegen. Ich will dir tausend Taler vorstrecken, und solche Schuld will ich entbehren, solang du nicht bezahlen kannst. Die guten Brüder sind zuweilen schlimme Freunde, bei dem Trunk kann ein jeder große Sprünge tun, aber wenn sie in dem Werk helfen sollen, so sind sie lahm und hinken. Ach, daß du solchen Leuten trauest! Du siehest manchen vor deinen besten Freund an, und ists doch am wenigsten. Ein jeder kann mit fremdem Gut liebkosen, aber wenn es aus seinem Säckel gehet, da ist altum silentium, heißt: eine lange Kleiderbürste.

Du guter Freund,« sagte ich weiter zu ihm, »du bist noch kein Hofmann, denn sonst würdest du wissen, daß nichts Nötigers zur Ruhe sei, als keinem Menschen von Herzen vertrauen. Ja, mir Selbsten darfst du nicht alles glauben, denn in diesem bestehet die Erkenntnis der Vergnügung, welche nur deswegen bei so vielen ausbleibet, weil sie gar zu viel auf andere gebauet haben oder noch bauen. Ein Mensch ist zwar dem andern zu helfen geboren, und in diesem Stück ist ein Mensch des andern sein Gott. Aber sie verlassen diese Majestät so oft als Jupiter, wenn er mit Menschen gebuhlet. Dahero werden sie leichtlich aus Hilfsgöttern Plageteufel, welche darnach viel mehr peinigen, als sie geholfen haben. Wenn du willst mit Ruhe leben, so siehe zu, daß du alle deine Schuldende eher je besser, bezahlest; denn dardurch wälzest du dir einen großen Stein von dem Herzen, welcher sonst viel Jahr von deinem Leben abfrißt und in sich gleich einem Schwamm verschlucket. Ehe daß du borgest, leide lieber Not, denn ein bezahltes Stück Brot schmeckt besser als ein geborgter Braten, welchen ich nicht zu bezahlen im Vermögen habe. Vors ander so schenke nichts vergeblich hinweg und sei nicht gar zu gastfrei, denn solang du aufträgst, bist du ein wackerer Kerl, kommst du aber in die Armut, achtet dich kein Mensch mehr. Ja, nicht allein deine beste Freunde, sondern deine Brüder und Schwestern verachten dich und spotten deiner, wo sie können. Darum behalt das Deinige zusammen, weil du nicht weißt, wann eine schlimme Stunde kommt. Darum ist es besser, du machst dich vor der Not gefaßt, als daß du dich in derselben erst zu rüsten verlangest. Ein Soldat, der vor der Schlacht sich in dem Harnisch exercieret, ist in dem Streit desto gefaßter.«

»Wahrhaftig,« sagte Monsieur Caspar zu mir, »so will ichs machen. Deine Lehre ist nützlicher als der ganze Discurs, den wir zeit meiner Hochzeit untereinander geführet haben. Ich weiß der Exempel mehr, daß solche Herren, nachdem sie in Abschlag geraten, nicht allein von ihren vorigen Freunden, sondern von ihren gewesenen Dienern und Knechten hernachmals sind verlachet und verspottet worden. Wer sich zuvor mit Wasser versiehet, der kann in der Feuersgefahr desto besser löschen. Hierbei entsinne ich mich, was einem berühmten Kaiser begegnet. Derselbe, als er sich eine Braut beilegte, sagte er das erstemal zu ihr: ›tota es formosa‹, du bist ganz Wohlgestalt. Er zog darauf hin und schlug seine Feinde aus seinen Grenzen, nach welchem gloriosen Sieg er wieder zurückkehrte, aber seine Kaiserin mit einem heftigen Fieber eingenommen antraf. Ihre vorige Gestalt war durch diese Krankheit dergestalten verschwunden, daß er sie beinahe nicht mehr gekannt. Sagte derohalben zu ihr: ›periit facies tua‹, meine Schöne, wollte er sagen, deine Gestalt ist ganz dahin, sie ist vergangen und verloren.

Eben also heißt es auch mit vielen guten Freunden. In dem ersten Anblick kann man zu ihnen sagen: totus es formosus: mein lieber Freund, du bist ganz aufrichtig, ganz vertraulich, ganz freundlich und liebreich. Währt es eine Zeitlang und kommt etwan ein kleiner Krieg darzwischen, so verändert sich die schöne Gestalt in eine häßliche Fieber-Krankheit und heißet alsdann: facies tua periit: mein Freund, dein Gestalt, das ist deine Aufrichtigkeit, deine Redlichkeit, deine brüderliche Liebe, ist vergangen, facies tua periit, deine Hülfe ist verschwunden, facies tua periit, du bist nicht mehr der alte Teutsche. Und dieses ist auch eine unter den Plagen, welchen der Mensch auf dieser Erden unterworfen ist, indem sich des Menschen Wandel gleich einem Rad an dem Wagen herumdrehet, da alle Teile bald unten, bald oben, bald wieder auf der Seite stehen, und also der ganze Mensch nichts anders ist als ein ringer Ball, mit welchem das Glück so lang spielet, bis der Zwirn reißet.«

Unter währendem Gespräche hörten wir schon die Schlittenpferde angeschirren. Derohalben machte sich jeder aufs beste zur Abreise bereit, und ehe wir voneinander schieden, bat ich Monsieur Caspar, er möchte mir vertrauen, ob die Geschieht, welche er von seinem Leben auf meiner Hochzeit erzählet, in der Tat geschehen oder ob es nur eine Geburt der Phantasie wäre. Daraufgab er mir zur Antwort, daß sie einem jungen Studenten in der Tat selbsten widerfahren, welcher deswegen die Flucht genommen und sich vierzehen Wochen auf diesem seinem Schlosse aufgehalten und hernachmals seinen Weg weitergenommen hätte. Dieses war mir ein genügsamer Bericht, denn, in der Wahrheit zu gestehen, so habe ich mir über seiner damaligen Erzählung tausend Einbildungen gemacht.


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