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VI. Capitul. Der Irländer glossiert die Erzählung.

Das Elend, so uns traurig macht,
Find't allezeit jemand, der drauf lacht.

Fräulein Anna hatte bis dahero dem Gespräche des Ludwigs mit sonderlicher Beliebung zugehöret, und weil sie ihm gerne eine Ruhe vergönnete, sprach sie den Irländer an, er sollte über die neue Erzählung des Ludwigs seine gutgegründete Meinung hören lassen und dadurch Monsieur Ludwigen einen kleinen Raum geben, sich auf das folgende zu besinnen. Auf welches der Irländer seine Reverenz machte und zu reden anfing, daß ers mit Erlaubnis der Compagnie auf ihr Geheiß tun wollte, aber sie möchten ihm nebenst Monsieur Ludwigen verzeihen, so er ein ungleiches Urteil fällete.

»Gestern«, sagte er, »hat die Frau von Pockau nicht übel von der angefangenen Erzählung Monsieur Ludwigens judicieret, und ich wollte, daß ich von dem Fortgang seiner Lebensgeschicht besser urteilen könnte, wenn ich nur nicht darzu von dem augenscheinlichen Mutwillen Monsieur Ludwigens getrieben würde, welcher sattsam vor Augen gestellet, wie er auf der Schule habe hausgehalten. Erstlich ist der Vater an seinem übeln Leben keine geringe Ursach gewesen, denn was gehet den Schneider die Aufsicht an? Solche Leute haben sich vielmehr um ihr Handwerk als um der Schüler Wohlfahrt zu bekümmern, und wenn es auch gleich wäre, daß sie vor solche Sorge trügen, so sind sie doch zu wenig, einem solchen Menschen vor Hofmeister zu dienen. Ist also hierinnen kein geringer Fehler begangen worden. Vors andere ist der Schneider gar kein guter Hauswirt gewesen, daß er Monsieur Ludwigen den Hausschlüssel anvertrauet, denn wo Freiheit ist, da sind gewiß die Laster nicht weit, und wer solchen mit ungehindertem Fuß nachgehen kann, der ist nicht leichtlich wieder auf eine gute Straße zu bringen. Man hat auch aus seiner Historia zu sehen, wie die Kinder gar oftermalen gleich in frühzeitiger Jugend von ihren Müttern verleitet und gehätschelt werden, und daß durch solches Liebkosen nicht geringer, sondern ein merklicher Schade in dem folgenden Alter entspringe. Denn wenn die Kinder keine Forcht in der Jugend haben, so ist es klar, daß sie solche auch in dem erwachsenen Alter hintansetzen werden, und binden sich also manche Eltern wegen ihrer Kinder eine ewige Rute über ihrem eigenen Kopfe zusammen.

Man hat auch zur Genüge gesehen, was Unheil diejenigen Schullehrer unter der Jugend anrichten, so sie in Ansehung der Geschenke denjenigen verschonen, um dessentwillen sie die Spendaschien empfangen. Ich hatte ehedessen auch einen Præceptor; je mehr man ihm aber verehrete, je mehr war er demselben auf der Haube und gab ihm fast allezeit um eine Ohrfeige mehr denn einem anderen, der ihm nichts gegeben, und solchergestalten machte er fleißige Jungen, weil keiner auf Connivenz zu hoffen Ursach hatte.

Aber leider, leider, heutzutage gibt es solche Schabhalser und Sparmunks. Wenn man nicht continuierlich mit den Spendierhosen zu ihnen kommet und fast stündlich neue Schmieralien verehret, so lassen sie den besten Kern ihres Fleißes zurück, sie sehen die Jungen mit dem Rücken an, und: Lernen sie was, ists gut, lernen sie nichts, so ist es auch gut. Aber was vor eine schwere Verantwortung sie ihnen sich auf den Hals ziehen, das predigt ihnen ihr eigenes Gewissen. Er hat weiter erzählet, wie es die Jugend in den Schulen zu treiben pfleget, welches mehr als zu erbarmen ist, und zum Überfluß setzte er anbei, wie er mit den Mägden schon dazumal zu charisieren angefangen, das ihn doch anjetzo von Herzen reuet. Daraus haben wir abzumerken die schröckliche Blindheit der Jugend, mit der sie ihre eigene Vernunfts-Augen besudeln und oftmals einer Sache nacheilen, welche sie hernachmals auch sogar mit Tränen bedauern.

Er bekennet, daß er durch die Abscheulichkeit der Laster sei zur Besserung und Erkenntnis der Sache gelanget; aber was hilft es einen, daß er sein Haus anbrenne, auf daß er solches möchte löschen lernen? Wahrhaftig, der Schaden übertrifft den Nutzen ein merkliches, und ich kann auf keine Weise sehen, was dabei vor ein Vorteil solle verborgen sein. Doch geschieht es gemeiniglich, daß diejenige, so in der Jugend in aller Unreinigkeit herumgezogen, in dem erwachsenen Alter bei allen ernstlichen Sachen untauglich sind. Sie sind mit vielen Worten nicht zu der Ehe zu bewegen, weil sie in ihrem Hurenweg schon zu tief eingewurzelt. Dahero entstehet die Verachtung des Frauenzimmers, die Kaltsinnigkeit in der Affection, und was man tut, geschieht aus keinem andern Grund, als die Leute zu betrügen.

Von der Doctorin erzählet er gar einen groben und häßlichen Possen, und ich weiß nicht, soll ichs gut oder schlimm auslegen. Aber Monsieur Ludwigen zu Gefallen will ich hierinnen parteiisch handeln und sagen, daß er nichts Strafwürdiges getan, denn es ist kundbar, wie der Stolzteufel fast die ganze Welt, absonderlich aber das Frauenzimmer, besessen, davon nicht ein geringer Schade, absonderlich aber in Teutschland, entspringet. Denn da will nun eine jede Smirallerin ein Leibstück tragen, da wollen sie flugs Florhauben tragen, Armbänder tragen, Rosen tragen, Ketten tragen, und daran ist niemand schuldig als solche großaugichte Frauen, die haltens nicht davon ab, sondern frischen sie noch darzu an. Manches Mägdchen, das anitzo einer Gräfin, einer Freiherrin oder sonsten einer Standesperson aufwartet, die will flugs Generalin über alle Regimenter zu Fuß werden. Sie meinen, man müsse auf die Knie niederfallen und sie mit abgedecktem Haupt anbeten, aber darnach lauern sie Tag und Nacht, wo einer kommen und sie ehlichen möchte. Geschieht es dann, witsch, da haben sie einen Stallknecht geheiratet oder einen Schuhflicker bekommen. Da steckt hernachmals die große Herrlichkeit. Sie verstehen in dem Hauswesen nichts, aber gewiß ist es, daß sie mit nichts mehrers als mit der Hoffart umzuspringen wissen. Da trägt man aufgesteckte Röcke am Leibe und keinen Taler im Säckel. Man trägt Florhauben auf dem Kopfe, aber wenig Hirn in dem Kopfe; und man glaube nur sicherlich, je größer der Aufputz ist außer der Frauen, je kleiner ist der Verstand in der Frauen, omnia enim sua ornamenta habent exterius: sie haben ihren Schmuck nur außen und sind oft gleich den Schnecken, welche ihr Hab und Gut, Haus und Hof mit sich auf dem Rücken tragen. Sie sind gleich dem Philosopho Phias, der gesagt: Omnium mea mecum porto: Alles, was ich habe, trage ich mit mir. Derowegen hat man sich vor solchen hochtrabenden Leuten wohl vorzusehen, damit man nicht in ihre Stricke gerate, und Monsieur Ludwig hat recht getan, daß er die Doctorin so delicat und nobel ausgezahlet.

Itzt meinet manche, wenn sie nur eine Doctorin sei, darnach ist dem ganzen Handel schon geholfen. Aber es gehöret mehr zum Tanz als ein neu Paar Schuh, und dieses ist fast das größte Netz des Teufels, in welchem er die Hochmütigen zu fangen pfleget, nämlich die Titulsucht. Dieses ist eine solche Seuche, welche fast alle Menschen angreifet und aufreibet. Ich selbsten befinde es bei mir, daß ich gerne mehr wäre, als ich bin. Aber die Doctorin mit ihrem Leibstücke hat genug zu verstehen gegeben, wie im Augenblick man wieder kann zuschanden gemacht werden, so sehr man auch nach der eitlen Ehre strebet.

Es hat auch Monsieur Ludwig beiläufig mit angemerket, wie fein sein Condiscipul den Wein aus dem Keller practicieren können, aus welchem zu lernen, welchergestalten oftermalen die Eltern von den Kindern vervorteilet und heimlich betrogen werden. Daran ist Ursach erstlich ihre faule und hätschlende Zucht, vors andere ihre Nachlässigkeit in der Obsicht, vors dritte die üble Anordnung mit dem Geldkasten. Denn was hat die Cassa in dem Keller zu schaffen? Die Gelegenheit macht den Dieb; und vors vierte sind auch die Eltern an ihrem eigenen Unheil keine geringe Ursach, indem sie die Kinder wegen begangenen Betrugs nicht abstrafen, sondern aus Furcht, als möchten sie dadurch offenbar und andern Leuten suspect werden, behalten sie es selbst in geheim und schenken den Kindern noch Geld darzu, damit sie es nur nicht aussagen sollen, daß sie etwas gestohlen haben. Andere Eltern lassen den Kindern den Zaum gar zu lang. Ja, ich weiß wohl Väter, die mit ihren eigenen Söhnen, als noch unerwachsenen Schißlingen, gespielet und sich oft wegen des Labets miteinander gezanket haben. Da hieß es: Vater, setzet zu! das lautet schön in den Ohren eines Verständigen. Wer seine Kinder handeln lasset, wie sie wollen, der muß sie hernach in Unglück sehen, das er nicht will, und man hat viel Exempel, daß Kinder, welche sich von ihrem Vater nicht ziehen wollen lassen, sich hernachmals von dem Henker haben müssen strafen lassen.

Aus der Erzählung seiner Krankheit haben wir zu betrachten, wie wunderlich die Phantasie in dem Menschen zu spielen pfleget, dabei ich ein merkliches beitragen könnte, so ich nicht zum Ende eilete. Man hat Exempel, daß sehr gelehrte Leute in die größte Wahnwitzigkeit und Raserei gefallen, mit welcher sie eine ziemliche Zeit angefochten worden. Aber die Vorstellungen waren bei Ludwigen um so viel desto lustiger, je lustiger er von Natur vor einem andern ist, denn seine Complexion hat eine absonderliche und von vielen Tausenden ganz eine entfernte Art. Dahero ist zu glauben, daß seine Visiones und Einbildungen auch um so viel rarer und ungemeiner gewesen, je ungemeiner seine Natur ist.

Ich habe auch gemerket, daß sich vornehme Leute an seinen in der Krankheit ausgearbeiteten Briefen noch erlustiget darzu. Dahero geschieht auf der Welt kein so elendes und erbarmungswürdiges Ding, das nicht seine gewisse Leute finde, die darüber lachen, da sie doch vielmehr Ursach hätten, den Zustand eines solchen Menschen herzlich zu bedauern und zu fürchten, daß es ihnen nicht noch ärger gehen dörfte, denn wir sind noch nicht alle über den Zaun und fallen gemeiniglich in das Übel, welches wir an andern verspottet haben.«


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