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VII. Capitul. Ludwig erzählet weiter, was er auf der Universität getan.

Wenn alle Menschen wolln studiern,
Wer will die Sau ins Felde führn?

»Der Herr Irländer urteilet nicht übel von der Sache,« sagte Monsieur Ludwig, »ob er schon das Übel, so aus meiner getanen Erzählung zu entspringen pfleget, mit gewissen Umständen entworfen. Seine meiste Meinung läuft da hinaus, indem er die Notwendigkeit der Kinderzucht vor das allerbeste Mittel hält, durch welches die Welt könne zur Besserung gebracht werden, und dannenhero schilt er nicht unbillig auf diejenige Freiheit, welche vielmehr zum Verderben als Aufnehmen gereichet. Aber hierinnen ist, gleich andern Sachen allen, die mittlere Straß wohl zu observieren, denn gleichwie es ein großes Übel, der Jugend freien Zaum zu lassen, so ist es auch eine große Tyrannei, dieselbe in allzu scharfe und harte Fessel legen. Ich meine, daß man mit derselben nicht allzu scharf verfahren solle, wie vor diesem Otto Hahn, sechs Meil ober Linz, gewohnt gewesen, welcher alle seine Ergötzlichkeit, alle seine Lust und Freude in dem gesuchet, daß er die ihm untergebene Jugend nur streichen, aber nichts oder gar wenig lernen möchte. Denn durch solche Phantastereien wird die Jugend zu allen Dingen feige, sie wird von vielen guten Fortgängen abgeschrecket, und dieser Schrecken ist ein Pflock vor demjenigen Wege, welcher zur angenehmen Lust der Künste leitet. Mancher Jüngling wirft aus gar zu großer Schärfe seines Lehrmeisters das Buch hinter die Tür und will sich lieber auf dem Acker als in der Schule bei der Arbeit einfinden, nur darum, weil er sich fürchtet, gleich einem Hund ohne Unterlaß gepeitschet zu werden, dadurch viel Ingenia verderbet werden und zugrunde gehen. Arcus nimium intensus frangitur: ein allzu stark und stets gespannter Bogen zerreißet endlich. Und dannenhero halte ich unter allen Conditionen das Schulwesen vor das Allerkünstlichste, weil sich unter tausend kaum zwei recht und ohne Tadel dareinfinden können.

Nach meiner ausgestandenen und sehr schweren Krankheit eilete man mit mir auf eine Universität, und weil der Ort über dreißig Meilen von meinem Vaterlande abgelegen, muß ich bekennen, daß die Alteration der Luft wie auch die unbekannte Gegend des Orts selbsten mein ganzen Horizont verändert und verwechselt haben. Es ging allgemach zum Winter, und aus diesen Ursachen waren die Gärten und andere lustige Plätze unter dem freien Himmel mit Schnee beschlossen, in welchen ich sonsten gewißlich meine meiste Zeit würde hingebracht haben. In Ermanglung dessen mußte ich mich in meinem Quartier bei dem warmen Ofen zu meinem Autore setzen, und ich gestehe es rundheraus, daß ich solchergestalten diesen Winter mehr getan als die ganze Zeit meines vorigen Lebens.

Die satyrischen Schriften und andere Romanen gaben mir in allen Sachen das beste Licht, und ich achtete sie zu dem menschlichen Leben viel tauglicher und notwendiger als die Logik und alle andere Definitionen, weil ich gesehen, daß die Gelehrten viel uneiniger untereinander waren als die Satyri, welche einer wie der andere kein Laster vor gut geschätzet, sondern eines wie das andere durch gleiche Hechel gezogen, entgegen die Tugenden mit gleichgültigem Lobe beehret haben. Auf dieser Universität entäußerte ich mich vor dem vorigen Wandel. Aber, die Wahrheit zu bekennen, so wollte ich doch immer gern wieder auf der vorigen Schule sein; und ich halte, es sei allen jungen Studenten nicht ein Haar anders als mir dazumal gewesen, indem entweder die Gewohnheit der vorigen oder aber die Ungewohnheit der gegenwärtigen Gesellschaft daran schuld und Ursach ist.

Ich durchlas allda so viel teutsche Schriften, als nur möglich zu bekommen waren: als den ›Hercules‹ und den ›Herculiscum‹, welchen ein Geistlicher, Bucholtz mit Namen, Superintendent zu Braunschweig, soll ausgearbeitet haben. Die ›Arcadia‹, den ›Philander von Sittenwald‹, die ›Alamodische Hobel-Bank‹, des Barclai ›Argenis‹, den ›Wettstreit‹, alle Schriften des sinnreichen Harsdörffers, den ›Francion‹, die ›Aramena‹, die ›Aerumöna‹, die meisten Schriften des Erasmi Francisci, den ›Onogambo‹, die ›Clelia‹, den ›Simplicissimum‹, in welchem der ganze Teutsche oder Dreißigjährige Krieg beschrieben ist, die ›Stratonica‹, den ›Pastor Fido‹, alle Teil des ›Amadis‹, ›Lisimene und Pamelie‹, den ›Jan Peru, Erst und Andern Teil‹, Schweigers Reisebeschreibung samt viel andern mehr dergleichen, des vortrefflichen Jesuiten Massenii seine Schriften, item des Baldi, des geistreichen Drexelii, des Bonnae samt noch unzähligen kleinen Tractaten in politischen und theologischen Materien, teils auch von medicinischen Büchern, absonderlich aber den belobten und weitberühmten Pareum.

Mit einem Wort: wenn ich alle gelesene Schriften zitieren sollte, würde dieser Tag alleine nicht genug sein. Aber ich bekenne es, daß ich daraus zu einer bessern Beredsamkeit gekommen, als es mir mein Professor zwölf Monat aneinander von der Stellung einer Oration dahergesagt hätte. Denn ich fand darinnen allerlei Anredungen gegen die Könige, gegen die Kaiser, gegen die Fürsten, gegen Herren und andere, gemeine Leute. Ich sah beinebenst, gleichsam als auf einem Theatro, wie es die Welt zu treiben pfleget, und fand es nicht anders in dem Werke, als es mir der Buchstabe gewiesen. Dadurch ward ich schon ein halber Politicus, denn es begegneten mir viel Sachen, welche andern in dem Buche begegnet, und ich wickelte mich eben durch diesen Vorteil heraus, durch welchen sie sich vorsichtig losgemachet. Entgegen will ich flugs einen Eid schwören, wenn ich solche Klugheit in der Lection gelernet hätte.

Denn die Definitionen taugten gar nicht in meinen Kram, und es ist mir jetzt weit ein größerer Nutze, daß ich weiß, wie und wann man das Feld pflügen, das Korn säen, das Gras schneiden, die Äpfel abschütteln, die Schweine in die Mast tun, die Kälber abnehmen, das Holz fällen, das Hausgesind regieren und dergleichen nützliche Sachen tun solle, als wenn ich ein großer Doctor wäre. Und meine Scheunen prangen viel herrlicher angefüllet von Getreid als mit Büchern. Dadurch lebe ich viel vergnügter in meiner Freiheit, welche ich von Jugend auf so hoch gehalten, daß ich mich niemalen einer Meinung eines Philosophi unterwerfen wollen. Ich habe mein Tag keine Ordnung, eine Oration zu tun, gelernet, aber ich wollte flugs mit einem Gelehrten ex tempore auftreten und vielleicht mehr res auf die Bahn bringen als jener Wort. Denn wenn mir anjetzo ein Gelehrter reden sollte vom Ackerbau, da kommen sie daher mit einem abstrahierten Exordio, sie fangen an, einen Umschweif zu suchen, und brauchen unter dem Schein ihrer Gelehrsamkeit einen Haufen Phrases, aber sie tun es nur, daß sie sich inzwischen desto besser besinnen können, und machens so artig, daß, wenn ihnen gleich einer eine Viertelstund zugehöret, weiß er doch noch nicht, was er gesagt hat. Aber ich mache es schlecht und recht, ich greife der Sach geschwind ins Maul, und lauter res, lauter res, rede auch in einer Viertelstund so viel als jener in achtzehn Wochen. Ja, ich hab es selbsten gesehen, wenn gelehrte Leute vom Ackerbau reden wollen, haben sie Bauren zu sich kommen lassen und vorhero alles genau von ihnen erkundiget, darnach haben sie sich damit großgemachet und sich viel eingebildet in der Wissenschaft dessen, welches sie doch in dem Werke nicht tun mögen, haben also den Schatten höher als den Leib geschätzet. Aber ich bin viel anders gesinnet. Denn ich acker eines mit den Bauren herum, helfe ihnen säen, pflanzen, grasen, Haber abschneiden, eggen, pflügen, Korn und Weizen einführen, dreschen, die Garben binden und auflösen, den Zehenten auszählen, die Schnitter richten, dieselben heimführen.

Ich gebe auf die Tranksteuern, auf die Winkelzinsen, Erbzinsen, Haus- und Grundsteuern, Landsteuern, Kopfsteuern, auf die Extraordinar-Steuern fleißige Achtung, damit keinem zuviel noch zuwenig geschieht. Ich weiß um alle ihre Anlagen, Aufschläge, Dätz, Umgeld und andere Gefälle. Es sind mir bekannt ihre Gebührfuhren, Bittfuhren, Kirchendienste, Amtsdienste, Frondienste, Robeltdienste, Notdienste. Ich weiß um die Vierteläcker, halbe Äcker, ganze Hufen, halbe Hufen, wie lang dieselben sind und wieviel Ruten sie messen und was sie an Getreide tragen. Das Frühkorn, das späte Korn, den Haber, den Hirschbrei und Weizen weiß ich zu seiner Zeit auf das Feld zu bringen, den Hopfen kann ich bei hohem Wachstum erhalten, ich kann mich in die Brennreife, starke Nebel, giftigen Tau, Frühtau, Abendtau, Georgen-Tau, Viti-Regen und dergleichen Jahrereignungen perfect finden.

So weiß ich auch die Bäume zu pflanzen, die Reiser zu pfropfen, sie von den Würmern wie auch das Kraut selbsten zu hüten. Ich weiß die Obststämme mit Wachs, Kühekot und Teig schon hübsch zu verwahren und umzäunen. Über dieses so bin ich auch in der Viehzucht erfahren. Die Pferde kenn ich ingleichen, ob sie hufschlägig, seitig, strittwärtig oder mit dem Koller behaftet sind, vom Mast- und anderm Vieh, als Geflügel, Tauben, Enten, Fasanen, calecutischen Hühnern und dergleichen, mag ich nichts sagen. Und dieses alles erschwingt mein Hauswesen viel höher, als so ich alle Wissenschaften des Aristotelis mit Haut und Haar gleich einem gebratenen Speck auf dem Kraut hinweggefressen hätte.

Oh, es ist keine Narrheit um den Ackerbau, es gehört so wohl und noch größerer Fleiß darzu als zu der Philosophie. Man hält die Bauren nur deswegen vor einfältig, weil sie sich nicht bücken und wie die heutigen Weltphantasten anstellen können, aber sie sind in ihrer Profession so wohl Doctores als wir in unsern Wissenschaften. Denn ackerte der Bauersmann nicht, so würde der Doctor in der Schule wenig zu essen bekommen, ist also der Bauer als ein principium und causa sine qua non zu respectieren und in acht zu nehmen. Wir Adelige heißen denjenigen einen Bauren, welcher etwan ungebärdige Sitten oder grobe Wort saget. Aber, Ihr Herren, Ihr Herren, wären etliche unter uns gute Bauren, so gäbe es nicht so viel schlimme Edelleute. Bauren, ob sie schon nach unserer Meinung grob, schätzen sie uns doch nach ihrer Meinung auch vor grobe Leute; und ich will schwören, daß wir ihnen in vielen Lastern den Rang abgewinnen. Und also weiß ich nicht, welcher unter beiden vor den Besten soll gehalten werden.

Dieses rede ich nur darum, daß Ihr sehet, was vor eine Frucht ich aus dem Haus der guten Wissenschaften, nämlich von der hohen Schul, hinweggetragen, denn nach vier Jahren zog ich nach Hause, und anitzo sind es acht Jahr, da ich mich nach dem Tode meiner Eltern in diese gegenwärtige auserlesenste, großmächtigste und großgünstigste Madam Madamoiselle verehlicht habe.« – »Mich gedünkt,« sagte seine Frau darauf, »es kommt dich die vorige Krankheit aufs neue an.« Aber Fräulein Anna lobte die Vollendung seiner Historia auf das allerbeste, denn sie gestund selbst, daß durch einen guten Hauswirt nicht allein die Welt bei gutem Wohlstand erhalten, sondern der Nutz desselben in tägliches Aufnehmen gebracht werde. Entgegen hätte ihr Vater schon zu seiner Zeit sehr über den im Schwang gehenden Schulstreit geklaget, und sie wollte selbst lieber einen heiraten, der den Ackerbau als die Juristerei verstünde. »Ha, ha,« sagte Monsieur Ludwig, »Sie hätte gern einen, der sich auf das Pflügen wohl verstünde, ich merk es schon.« Hiermit wurde Fräulein Anna ausgelachet, und es war gleich Zeit, zur Mittagsmahlzeit zu gehen.


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