Ludwig Bechstein
Die schönsten Märchen
Ludwig Bechstein

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Die beiden Brüder

Es waren einmal zwei Brüder, von denen der eine klug war und der andere unklug, und beide waren Schäfer, welche wechselweise Tag um Tag die Schafe eines reichen Metzgers hüteten. Jedesmal, wenn der eine hütete, blieb der andere zu Hause, besorgte das Essen und trug es hinaus auf die Schafweide, wo dann das Mahl von beiden gemeinschaftlich verzehrt wurde.

Nun traf einmal die Reihe des Hütens den Klugen und die des Kochens den Dummen, und nachdem letzterer das Essen gekocht hatte, trug er es zu seinem Bruder auf die Trift hinaus. Auf dem Wege aber kam er an eine alte wackelige Brücke, die über einen Bach führte und die viele Spalten hatte, unter denen das Wasser hinfloß, und da dachte der Dumme in seinem Sinne: Das ist ein gefährlicher Steg, da kann zuletzt ein Schaf oder ein Mensch durchfallen; da ist schwer, darüber zu kommen, willst doch die Brücke bessern. Und da begann der Dumme die Spalten mit den Klößen, die er gekocht hatte, auszustopfen, hart genug waren sie ohnehin, und in die schmalen Ritzen stopfte er Sauerkraut, dann ging er getrosten Mutes über die Brücke, die nun recht fest und haltbar aussah, und als ihn sein Bruder fragte: »Wo hast du denn das Essen?« – so lachte der Dumme und antwortete: »Essen habe ich nicht, aber ich hatte einen klugen Gedanken; ich habe den Brückensteg ausgebessert, daß er wieder hält. Ich habe die Klöße in die Klunsen gestopft und in die Ritzen das Sauerkraut, damit wir und unsere Schafe nicht durchfallen.«

»Ei, was du für ein Pfiffikus bist!« spottete der kluge Bruder über den dummen. »Es ist nur gut, daß du morgen hütest und ich koche, sonst gäbe es für uns zwei Fasttage hintereinander. Aber das sage ich dir: wenn du morgen hütest, so sei so gut und habe nicht wieder kluge Gedanken nach deiner Art. Du hast dich um nichts zu bekümmern, als daß die Schafe hübsch nach der Reihe liegen bleiben. Wenn du so tust, machst du nichts Dummes.«

»Will so tun«, sagte der Dumme.

Am andern Tage, als der Kluge zu Hause blieb und kochte und der Dumme die Schafe auf die Weide trieb, wollten die Schafe sich nicht nach der Reihe hinlegen, und da hatte der Dumme mit ihnen recht seine Not und Plage, bis er rackrig wurde und schrie: »Wartet, ich will euch – wenn ihr nicht wollt, wie ich will!« und nahm einen Knüttel und schlug sie alle mausetot und legte sie hübsch nebeneinander in Reihen.

Wie nun der Bruder mit dem Kessel voll Essen kam, wunderte er sich, daß die Schafe so schön lagen, und rief: »Ei, die liegen ja prächtig nach der Reihe!«

»Gelt?« antwortete der Dumme mit großer Selbstzufriedenheit. »Erst wollten sie freilich nicht, hab Mühe genug gehabt, hab sie totgeschlagen, die Nösser, nun muckt keins mehr.«

»Um des Himmels willen!« schrie der kluge Bruder. »Was hast du getan! Jetzt sind wir beide verloren!«

»Ach, geh weg!« antwortete der Dumme mit großer Gemütsruhe. »Verloren? Das wäre! Wer uns findet, wird schon ein ehrlicher Finder sein, wird uns wiederbringen.«

»Dummkopf!« schrie der Bruder erbost. »Der Metzger schlägt uns tot, wie du seine Schafe totgeschlagen hast! Packe auf! Wir müssen auf der Stelle fliehen!«

Und da flohen die beiden Brüder und liefen, so sehr sie laufen konnten, und kamen in einen dichten, finsteren Wald, und als die Nacht kam, stiegen sie auf einen Baum, droben zu schlafen, und nahmen ihren Kessel, darin noch ihr Essen, Brühe und Brocken, war, auch mit hinauf, denn der Hunger war ihnen über Schreck und Furcht vergangen, und sie wollten droben zu Nacht speisen.

Aber da sind zwei Räuber gekommen, die hatten einen Sack voll Nüsse und einen Sack voll Geld, beide Säcke schleppten sie unter den Baum, darauf die beiden Brüder saßen, setzten sich hin und wollten das Geld teilen. Da schwippte der Kessel etwas über, und der eine Räuber sprach zum andern: »Du – es tröpfelt!«

Da fielen aus dem schwippenden, schwappenden Kessel auch Graupen und Brocken, und der andere Räuber rief: »Du – es graupelt und hagelt!«

Die Brüder droben aber fürchteten sich und zitterten und vermochten den Kessel, der auf dem runden Aste nicht Stand halten wollte, nicht zu erhalten – und da stürzte der ganze Kessel hinunter. »Herr Gott! Ein Wolkenbruch! Der Himmel fällt ein! Da kommt schon eine Pauke! Das ist eine schöne Musik!« schrien die Räuber, liefen davon und ließen ihren Geldsack und ihren Nußsack im Stiche.

Die Brüder aber stiegen vom Baume herab und fanden die Säcke, und da sprach der kluge Bruder zu dem dummen: »Sieh, da sind zwei Säcke, in einem ist hartes Zeug, das ist klein, der andere ist groß und sind Nüsse darinnen. Es fragt sich nun, welchen Sack du willst, denn du bist der Ältere und hast die Vorhand.«

»Richtig!« antwortete der Dumme. »Ich habe die Vorhand, mir gebührt der große Sack, der mit den Nüssen. Die Nüsse kann ich essen, das harte Zeug aber kann man nicht essen.«

So nahm jeder seinen Sack, und so wanderten sie miteinander. Der Dumme aß aus dem seinen fort und fort Nüsse und gab auch seinem Bruder ein paar, so daß er immer leichter zu tragen hatte, bis der Sack ganz leer war, den andern aber dünkte sein Geldsack immer schwerer zu werden, so daß er zuletzt nicht vermochte, ihn weiter zu tragen.

»Du kannst jetzt meinen Sack auch eine Strecke tragen!« sagte der Kluge zu dem Dummen. »Er wird mir gar zu schwer.«

»Nä! So haben wir nicht gewettet!« antwortete der Dumme. »Du hast ja meinen Sack auch nicht getragen. Ich habe dir noch dazu Nüsse gegeben, du aber hast mir nichts gegeben. Willst du's leicht haben, so teilen wir, du die Hälfte von dem harten Zeug, ich die Hälfte, das ist brüderlich, da trägt keiner zu schwer.«

Erst wollte der Kluge davon nichts hören, er probierte, ob er nicht dennoch den Geldsack allein fortbringen könnte, war dies aber nicht imstande. Und so teilten sie denn, kauften sich Schafe für das Geld, hüteten sie und fingen ihr Wesen wieder von vorn an.


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