Ludwig Bechstein
Die schönsten Märchen
Ludwig Bechstein

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Der Dieb und der Teufel

»Es war einmal ein Einsiedler, dem schenkte ein frommer Mann aus Barmherzigkeit und um Gottes Willen eine Kuh. Ein Dieb erfuhr das und gedachte, diese Kuh sich anzueignen. Als er zur Nachtzeit sich auf den Weg machte nach der Klause des Einsiedlers, welcher einige Pilgrime bei sich beherbergte, was dem Dieb ebenfalls bekannt war, stieß er auf einen Mann, welcher auf dem gleichen Wege auf und ab ging. Der Dieb vermutete, es möge ein andrer Dieb sein, der dieselbe Absicht habe wie er, und fragte: ›Wer bist du? Was hast du hier zu schaffen? Was führst du im Schilde?‹ Darauf antwortete jener: ›Wenn du es wissen mußt, will ich dir es sagen. Ich bin der Teufel und will dem Einsiedel in dieser Nacht das Genick brechen, denn ich hasse ihn schon lange und habe nun heute endlich Macht über ihn gewonnen, denn er beherbergt in heutiger Nacht einen Missetäter. Darum warte ich nur hier, bis dieser mit seinen Gefährten sich schlafen gelegt habe. Und was suchst du hier?‹ – ›Ich?‹ fragte der Dieb. ›Ich habe es nicht so schlimm im Sinne wie du. Solche schwarzen Pläne hege ich keineswegs. Ich will dem Einsiedel nur aus Mitleid eine Kuh wegführen, denn ihr Gebrüll stört die Andacht des frommen Mannes, auch weiß er nicht mit einer Kuh umzugehen, und sie könnte ihn mit ihren Hörnern schädigen.‹

Nun gingen der Dieb und der Teufel miteinander nach der Klause des Einsiedels, welcher seine Kuh angebunden und sich zur Ruhe niedergelegt hatte. Jetzt dachte der Dieb bei sich selbst, du mußt eilen, daß du erst die Kuh gewinnst, denn wenn der Teufel an den Einsiedel kommt und ihn erwürgen will, so wird derselbe aufwachen und schreien, davon werden die Pilgrime ebenfalls aufwachen, und dann finden und fangen sie zuletzt dich. Darum, besser ist besser – erst die Kuh, dann den Hals. Sprach daher zu dem Teufel: ›Höre und halte einmal. Laß mich erst meine Kuh holen, hernach mache mit dem Einsiedel, was du willst.‹ – ›Mitnichten!‹ sprach der Teufel. ›Erst erwürge ich ihn, dann nimm du dir, was dir gefällt.‹

›Nicht also!‹ widersprach der Dieb. ›Ich muß zuerst in die Klause.‹

›Wagst du mir Trotz zu bieten?‹ zischte der Teufel leise und rollte seine glühenden Augen wild im Kopfe.

›Ich habe mich noch nie vor einem dummen Teufel gefürchtet!‹ antwortete der Dieb. Darauf krallte ihm der Teufel nach dem Halse – und da schrie der Dieb: ›Mordio! Mordio! Einsiedel! Holla! Der Teufel will uns an den Kragen! Hilfe! Hilfe!‹ – Indem so erwachte der Einsiedel aus dem Schlafe, und die Pilgrime wachten auch auf, und der Einsiedel eilte aus der Klause mit einem Kruzifix – vor diesem entwich spornstreichs der Teufel, und die Pilgrime hatten ihre harten und langen Stecken, vor diesen fürchtete sich der Dieb und lief, was er laufen konnte. So rettete der Einsiedel seinen Hals und seine Kuh, weil sich seine beiden Feinde entzweit hatten. Darum ist das ein weiser Mann, der seiner Feinde Zwietracht nützt und sie ausbeutet zu seinem Vorteil.«

 

Auf diese Rede des dritten Rates des Adlerköniges hub der erste Rat wieder an zu sprechen: »Traue, o König, nicht diesem Redner und seinen glatten Worten, wenn du nicht dich selbst und alles, was dein ist, verlieren willst. Folge meinem Rat und lasse diesen Raben töten, denn ich fürchte, daß wenn er am Leben und bei uns bleibt, so wird unser Ende ein schmähliches sein. Ein vernünftiger Mann läßt sich mit Worten nicht betrügen, wenn ihm Gott seinen Feind in die Hand gibt. Ein Unweiser aber wird mit schmeichelnden Worten getäuscht und betrogen. Glaube doch ja nicht den Worten des wunden Raben, denn in ihm ist keine Treue, er stammt aus einem falschen diebischen Geschlechte. Bis jetzt haben die Raben uns noch nicht überlistet, was aber weiter geschehen wird, und ob dieses Raben Gesellschaft uns nützlich und förderlich sein wird, läßt sich nicht voraussehen, ich aber bezweifle äußerst, daß er sich hier habe zu unserm Heil oder Vorteil finden lassen. Ich wiederhole meinen Rat: Tötet ihn! Ihr wißt, daß ich die Raben nie gefürchtet habe, aber dieser erweckt mir ein ahnungsvolles Bangen, daß er uns allen Unheil brüten werde.«

Der Adlerkönig hörte diese Worte an, aber er fühlte sein Herz von königlicher Großmut schwellen und wollte auch zeigen, daß er herrsche und daß seine Räte nicht Reichsregenten seien, obschon das zu sein mancher vielleicht sich einbildete, darum sprach er: »Ich gebe dem Unglücklichen Gnade, er soll leben. Man warte und pflege seiner wohl und heile seine Wunden.«

Mit Schmerz schwieg der treue Warner des Adlerkönigs und dachte sein Teil. Der Rabe aber, der mit hoher Einsicht begabt war und der Rede so mächtig, wie sein Ahnherr, aber besser als dieser geübt in der Kunst, zu rechter Zeit zu reden und zu rechter Zeit zu schweigen, machte sich bald Gunst und Gönnerschaft am Hofe des Königs, und am meisten bei diesem selbst. Gar manche schöne Mär wußte er zu erzählen, die zur Lehre wie zur Erheiterung diente; er wußte fein zu scherzen und anmutig zu huldigen. Er durfte des Adlerköniges jungen Prinzen und Prinzessinnen Unterricht erteilen und ihnen Vorträge halten, der König ernannte ihn zum Kammerherrn und hatte ihn stetig gern um sich. Dafür versicherte der Rabe dem Könige unausgesetzt seine Treue und seinen Haß gegen die Raben, und in einer Versammlung sprach er laut aus: »Wollte Gott, daß ich zu einem Aaren werden könnte, müßte ich die Wandlung selbst, dem Vogel Phönix gleich, mit dem schmerzenden Flammentode erkaufen! Wie wollte ich mich dann an meinen Feinden rächen und meine Rache in ihrem Blute kühlen!«

Da sprach der alte, strenge, erste Rat des Adlerkönigs: »O du Gleisner! Du herber Essig in unserm goldenen Becher! Und wenn du dich tausendmal selbst verbrenntest und ein anderer Vogel – wäre dies möglich – aus dir würde, so würde es doch immer wieder ein häßlicher, falscher, tückischer Rabe werden, wie es jener Maus erging, von der ein Märlein aus India meldet.« Auf diese Rede begehrten die Aaren das Märlein zu hören, und der scharfsichtige Adler erzählte.


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