Ludwig Bechstein
Die schönsten Märchen
Ludwig Bechstein

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Die Wünschdinger

Es war einmal am Nordlandsmeere ein Seekönig, der gebot über vieles Land und viele Schiffe und hatte drei Söhne, die zu ihren Jünglingsjahren gekommen waren, die sollten nun hinaus in die See, tapfere Taten tun, Mut erproben und Gut erwerben. Da ließ der König drei neue, große, stattliche Schiffe bauen und wohl bemannen und ausrüsten, schenkte jedem seiner Söhne eines dieser Schiffe und fragte nun den ältesten Sohn: »Was gedenkst du zu beginnen mit dem Schiffe, das ich dir schenkte?«

»Damit, mein Herr Vater«, antwortete der älteste Seekönigssohn, »gedenke ich weit übers Meer nach Osten zu fahren und Schätze zu gewinnen von fernen Küsten und Inseln.«

»Wohl getan!« sprach der König. »Fahre hin und fahre wohl!«

Hierauf fragte er seinen zweiten Sohn: »Was gedenkest du mit dem Schiffe zu tun, das ich dir schenkte?«

»Damit, mein Herr Vater«, antwortete der mittelste Seekönigssohn, »gedenke ich weit übers Meer gen Westen zu fahren, neue Lande und Inseln zu entdecken und von ihren Schätzen ein gutes Teil heimzuführen.«

»Wohl getan!« sprach auch zu diesem Sohne der König. »Fahre auch du hin und fahre wohl!«

Nun wandte sich der König zu seinem dritten Sohne und fragte: »Was gedenkst du mit dem Schiffe zu tun, das ich dir geschenkt habe?«

»Ich gedenke, mein gnädiger König, Herr und Vater«, antwortete der jüngste Seekönigssohn, »damit auf Abenteuer auszuziehen und mich Eures hohen Namens und Eurer Liebe würdig zu zeigen, wohin mich auch mein Fahrzeug trage.«

Diese Antwort überraschte den König, weil er sie nicht so erwartet hatte, doch ließ sich nichts dagegen sagen, er sprach daher: »Soll mich freuen! Fahre hin und fahre wohl!«

Nun wurde ein Abschiedsbankett gehalten, und darauf gingen die drei Königssöhne zur See. Eine Zeitlang fuhren sie mit ihren drei Schiffen gemeinschaftlich zusammen, als sie aber in die hohe See kamen, da trennten sie sich – nach Osten, Westen und Süden. Der nach Osten fuhr, kam in das Silberland, allwo es Rubel schneite, und füllte sein Schiff mit Silber, so viel es zu tragen vermochte. Der zweite, der nach Westen gesegelt war, hatte eine ungleich längere Fahrt, kam aber in das Goldland, das man Eldorado nannte, und es gelang ihm, sein ganzes Schiff mit Golde zu befrachten, so viel es immer tragen konnte. Beide Brüder fuhren, der eine mit seinem Silberschiffe, der andere mit seinem Goldschiffe, wieder heimwärts nach ihres Vaters Schlosse, allwo sie wohlbehalten wieder anlangten und freudig empfangen wurden.

Der dritte Bruder, der nach Süden zu gesteuert war, fand weder ein Silberland noch ein Goldland, überhaupt schier gar kein Land, und schon gingen auf seinem Schiffe die Nahrungsmittel aus. Endlich gewahrte er von fern einen kleinen dunklen Punkt, auf den er lossteuerte, und hoffte mit Zuversicht, dort mindestens ein Brotland zu finden, aber als er näher kam, sah er, daß es eine wüste Insel war, von Korallenriffen umgeben, voll steiler schroffer Klippen und unwirtbarer Felsen; es war das Hungerleiderland, mindestens, wenn es auch nicht so hieß, denn es schien von gar niemand bewohnt zu sein, stand auch auf keiner Land- oder Seekarte, nannte der Königssohn diese unwirtbare Insel so, nachdem er drei Tage auf derselben herumgeirrt war, für sich und seine Mannschaften Nahrung zu entdecken, und nichts gefunden hatte. Vor Hunger fiel er am dritten Tage um und lag in Ohnmacht. Aus dieser erwachend, sah er eine holde Jungfrau vor sich stehen, die ihn mit Anteil betrachtete und ihn fragte: »Wer bist denn du, und wo kommst denn du hierher?«

»Ach!« ächzte der Königssohn, »wäre ich doch lieber nicht hierher gekommen. Ich bin ein Prinz, der nichts zu essen hat, und komme um vor Hunger!«

»Ei, wenn dir sonst nichts fehlt, dafür kann ich schon tun! Folge mir, mein Prinz!« sprach das Mädchen, und dem Königssohne klangen dessen Worte wie Musik.

Seine junge Führerin brachte ihn zu einem Häuschen, in welches beide eintraten, da saß ein altes Spinnfrauchen und war fleißig am Rocken, und das Mägdlein sprach zu der Alten: »Liebes Mütterlein, hier ist ein junger Prinz, der Hunger hat; wollen ihn essen und trinken lassen!«

»Mitnichten, denke nicht daran!« entgegnete die Alte. »Wünschtüchlein ist wohl im Schreine verschlossen. Geb's nicht heraus, nicht heraus!«

Aber da fing die Tochter der Alten an zu weinen und sich kläglich zu gebärden und rief: »Ich hab's ihm doch versprochen! Ich muß ihm Wort halten! Bitte, bitte, bitte schön, gib das Wünschtüchlein heraus!« Darauf schloß die Alte einen Schrein auf und brachte ein leinen Tüchlein hervor, das war wundersam künstlich ausgenäht nach uralter Art und hatte gesteppte Fransen. Das breitete die Alte auf den Tisch und murmelte die Worte:

»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für einen Mann mit Speis und Wein.«

Kaum hatte sie das gesagt, so stand und lag auf dem Wünschtüchlein Brot und Salz, Beizbraten und anderer Braten, gekochter Blaukohl und anderer Kohl, eine Flasche Wein nebst Glas und Messer und Gabel. So gut, wie es ihm diesesmal schmeckte, hatte es dem Königssohne selbst in seines Vaters Schlosse noch nie geschmeckt. Als er satt war, trank er unter Worten des Dankes die Gesundheit seiner beiden Wohltäterinnen und ging nach seinem Schiffe zu, um ehebaldigst weiterzufahren.

Da kam ihm das junge Mädchen nach und rief: »Nimm mich mit – ich sterbe ohne dich!«

Er aber antwortete: »Liebes, gutes Kind – mitnehmen kann ich dich nicht, ich würde dich nur ins Verderben führen, geht es mir aber wieder gut, so komme ich und hole dich ab.«

»Nun, so halte dein Wort!« sprach das Mädchen, »und nimm zum Andenken das Wünschtüchlein und brauche es so, wie du es meine Mutter hast brauchen sehen! Verwahre es gut und vergiß nicht!«

Der Königssohn nahm hocherfreut das werte Wünschding in Empfang und ging auf sein Schiff, wo die Mannschaft klägliche Gesichter schnitt vor eitel Hunger und schon davon murmelte, das Los zu werfen und einen aus ihrer Mitte in Braten und Kochwildbret zu verwandeln. Der Königssohn aber lachte, ließ eine große Tafel auf das Verdeck schaffen, breitete das Tüchlein darauf und sprach:

»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für alle die Meinen mit Speis und Wein.«

Da machte die Mannschaft einmal Augen, wie die Tafel sich füllte mit Schweinebraten und anderem Braten, Gartensalat und Gurkensalat, Kuhkäse und anderem Käse, Portwein und anderem Wein. Das war ein wahres Festessen, und fröhlich stach man wieder in See. Gegen Abend wurde an einer anderen Insel angelandet, welche der Königssohn ebenfalls untersuchte. Er fand sie gleichfalls unbewohnt und unwirtbar, wurde vom Umherwandern hungrig und müde, setzte sich daher an einen passenden Ort auf den Rasen, breitete sein Wünschtüchlein aus und nahm eine Mahlzeit ein. Da kam auf einmal ein Mann gegangen, der blieb verwundert stehen und sprach: »Wie? Ihr speiset hier vollauf, und ich, der ich vom Sturm an diese Hungerinsel verschlagen bin, falle vor Hunger fast um!«

»Seid mein Gast!« sprach freundlich der Königssohn und ließ sich das Tüchlein von frischem decken, erzählt' auch dem Manne, wie er zu demselben gekommen sei.

»Ach ja«, sagte der Fremde, »es gibt solche Wünschdinger, nicht alle helfen einem aber etwas. Sehet hier meinen Stab, das ist auch ein Wünschding. Drehe ich den Knopf ab und sage: Hundert – oder tausend – oder hunderttausend Mann, zu Fuß oder zu Pferde, so sind sie da und tun, was ich will, und drehe ich den Knopf wieder auf, so sind sie hinweg. Was hab ich aber davon? Was nützen mir Kriegsmannschaften, wenn ich sie nicht ernähren kann? Soldaten wollen auch leben – und wenn man selbst nichts hat, wie dann? Da lob ich mir so ein braves Wünschtüchlein, um das gäb ich gleich den Wünschelstab.«

»Nun, da könnten wir ja tauschen, wenn es Euch recht wäre!« sprach der Königssohn.

»Ihr kommt in der Tat meinem heimlichen Wunsche zuvor, edler Freund!« rief erfreut der Fremde, und der Tausch erfolgte auf der Stelle, worauf die beiden sich trennten. Aber nach einer kleinen Weile drehte der Königssohn den Stockknopf ab und rief: »Hundert Mann zu Pferde!« Da rasselten die Reiter heran. »Holt mir schnell mein Wünschtüchlein!« gebot der König, und wie der Wind vollzog die Mannschaft seinen Befehl, wie der Wind war sie zurück und schwenkte das Tüchlein als Standarte. Da breitete der Prinz das Kleinod aus und rief:

»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für hundert Mann mit Speis und Wein.«

Und er ließ die Mannschaft sich satt essen und satt trinken, wofür sie ihn hoch und abermals hoch und noch einmal hoch leben ließ. Hierauf bedankte sich der Prinz recht schön und schraubte seinen Stockknopf wieder auf, und alsbald verschwand die Mannschaft.

Hierauf begab sich der glückliche Besitzer der zwei Wünschdinger wieder auf sein Schiff, fuhr weiter und landete am nächsten Tage an einer dritten Insel, auf welcher er wieder umherging, Abenteuer zu suchen. Auf dieser Insel begegnete ihm ein altes Frauchen, das war in einen bunten Mantel, von lauter einzelnen Lappen zusammengesteppt, gehüllt und sah sehr elend aus und ächzte: »Ach, ich falle bald um vor Hunger und Durst, ich habe seit zwei Tagen nichts genossen. Habt Ihr nicht etwas Brot bei Euch?«

»Nein, altes Mütterlein«, antwortete der Prinz. »Mit Brot trage ich mich nicht. Möchtet Ihr nicht sonst etwas haben von Nahrung? Ich kann Euch geben, was Ihr wünscht!«

»Ei, du meine Güte!« rief das Frauchen. »Wenn ich doch nur ein Schälchen Kaffee hätte! Es ist mir gar zu hohl im Leibe!«

Da zog der Königssohn sein Kleinod hervor, breitete es aus und sprach:

»Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für uns zwei mit Kaffee, Frühstück und Wein.«

Da deckte sich das Tüchlein mit Tassen und Tellern, mit Kaffeekännchen, Sahnekännchen und Milchkännchen, alles warm, mit Semmeln und Kuchen, Brottorte und Bisquittorte, mit Rohrzucker und Kandiszucker, mit Butter und Honig, mit westfälischem Schinken und pommerscher Gänsebrust, mit Malagawein und Cyperwein. Da lachte das alte Frauchen im ganzen Gesicht und schleckte, was das Zeug hielt, und wurde ganz lustig und warf ihren Mantel in die Höhe; da flogen alle Läppchen einzeln auseinander und fielen rings umher auf die Insel, und wo ein gelbes oder rotes Läppchen hinfiel, da stand ein stattliches Schloß oder eine Villa, wo ein grünes lag, wurde ein Park, wo ein blaues, ein schöner See, da war auf einmal die öde Insel in ein Paradies verwandelt. Das gefiel dem Königssohn über die Maßen wohl, und er sprach zu dem Frauchen: »Um dieses Kleinod, wie Euer Mantel ist, könnte ich Euch fürwahr beneiden.«

»Ja, ja – er ist recht hübsch«, erwiderte die Alte, »was hilft mir aber der schönste See, wenn nichts weiter darin ist als Wasser, was der größeste Park, wenn das Wild darin nicht gebraten ist, und was das herrlichste Schloß, wenn man in selbigem keinen Kaffee und nichts zu schnabulieren bekommt? Euer Wünschtüchlein wäre mir traun fast lieber.«

»So laßt uns die Wünschdinger tauschen!« schlug der Prinz vor, und das war die Alte gleich zufrieden, klatschte in die Hände, da wurden die Schlösser, die Parks, die Seen alle wieder bunte Läppchen und setzten sich als Mantel zusammen, den gab das Frauchen in des Prinzen Hand und nahm erfreut aus der seinen das Wünschtüchlein.

Sie war noch nicht weit, so schraubte jener wieder den Knopf von seinem Wünschelstabe ab, befahl hundert Mann und sein Tüchlein wieder, und auf der Stelle wurde sein Befehl vollzogen. Hierauf begab sich der Königssohn wieder auf sein Schiff und segelte weiter. Am nächstfolgenden Tage wurde abermals eine südliche Insel entdeckt, auf welcher der Königssohn umherstrich. Er fand keine Schätze darauf, ging sich jedoch müde und schlummerte an einer schönen Stelle in einem Wäldchen ein.

Da weckten ihn wundersamschöne Violinsaitenklänge, er erhob sich und sahe über sich auf einem Felsen einen Geigenspieler sitzen, den er grüßte und ihm seinen höchsten Beifall bezeugte. Der Violinist nahm die Anerkennung des Königssohnes als eine wohlverdiente Huldigung sehr artig auf. Er sagte: »Ich freue mich, daß Ihr ein so richtiges Urteil und einen so guten Geschmack habt. Die Geige ist die Königin aller Instrumente; wer nicht geigen kann, ist ein Tropf, und ich bin hinwiederum der König aller Geigenspieler; alle Violinisten der ganzen Welt sind nur Stümper gegen mich; wenn ich auf einer einzigen Saite nur streiche, man nennt sie die G-Saite, so werden die Menschen verrückt und verzückt, schließen die Augen, fallen vor Wonne um und werden hin. Wenn ich aber die A-Saite streiche, so kommen sie wieder zu sich und schreien alle ah! Ah! und werden wütend vor Entzücken und Narrheit und gebärden sich, als ob die Erde und die gesamte Menschheit nichts Edleres, Besseres und Erhabeneres hervorbringen könne als solch ein bißchen Ohren- und Sinnenkitzel, weshalb ich auch die Narren alle tief verachte und mich mit meiner Geige, nachdem ich mit Gold und Schätzen von dem dummen Volke überhäuft worden bin, in diese Einöde zurückgezogen habe, wo ich nur mir selbst lebe, mich selbst höre und mich anbete, denn eigentlich bin ich ein Gott, mindestens ist mir das, als ich mich früher vor den Völkern hören ließ, häufig zugeschrien worden, absonderlich von verzückten Frauen, die nicht wußten, daß meine Geige eine Wünschelgeige ist, auf welcher sich alles, was ich im Sinne habe, das Erhabenste, Kühnste, Zarteste, Phantastischste und Tollste, von selbst abspielt, sobald ich es nur wünsche.«

»Das läßt sich in jeder Beziehung hören« sprach der Prinz. »Fürwahr, ich verehre Euch und Eure Geige, doch würdet Ihr mich sehr zu Danke verpflichten, wenn Ihr mir einen Imbiß reichen wolltet; ich bin hungrig und durstig und fand auf dieser Insel nicht das mindeste Genießbare.«

»O Mann des Erdentumes!« rief der Geiger. »Also meine Töne zu hören, war Euch kein Genuß? Nach Irdischem nur steht Euer Sinnen und Begehren? Wahrhaftig, Ihr tut mir leid. Zu essen und zu trinken gibt es hier kaum hinreichend so viel, als mein schwacher irdischer Leib selbst bedarf. Gar zu gern möchte ich einmal wieder ein Glas Champagner trinken, der sonst an meiner Künstlertafel in Strömen floß, wenn die, welche mich bewirtet, mich vergötterten – davon ist hier keine Rede.«

»Hm, hm«, machte bedenklich der Königssohn. »So ist es doch gut, daß es außer der Euren auch noch andere schöne Künste gibt, dieweil zwar die Virtuosen, aber nicht die Menschheit von Tönen zur Genüge satt werden. Ich zum Beispiel bin ein Eßkünstler, ein Koch, und da es Euch hier an guten Sachen gebricht und Ihr mich so schön erquickt habt, so will ich Euch nun auch meine Kunst sehen lassen und lade Euch bei mir zu Gaste.«

»Wo denn?« fragte der Geiger.

»Gleich hier zur Stelle!« antwortete der Prinz, zog sein Kleinod, breitete es aus und sprach:

»Decke dich mein Wünschtüchlein
Für zwei Künstler mit Frühstück und bestem Wein.«

Da entwickelte das Tüchlein eine Tugend wie noch nie; da kamen Lachs und Kaviar, Sardinen und Anchovis, Bremer Bricken und frische Matjes-Heringe, Hummer und Austern auf den Tisch, und Silleri-Champagner, feinster Burgunder, Jerez und Syrakuser kamen zum Vorschein, und die beiden ließen sich's über die Maßen schmecken, und der Geiger wurde ganz fidel, schenkte sein Glas voll Champagner, daß es stark überschäumte, stieß mit dem Prinzen an und jauchzte: »Sollst leben, Koch! Sollst mein Bruder sein! – Bruder! – Du bist auch ein Gott!«

»Das kann ich alle Tage haben«, lachte der Königssohn.

»Alle Tage?« lallte der Virtuose. »Höre – Bruder – laß uns tau – tauschen, gib mir das Wünschtüchlein – gebe dir meine Geige dafür – schlag ein, Bruderherz! Alle Tage! Juhu! Alle Tage – ein Gott! – Ein Götterleben!«

Der Königssohn ging den Tausch ein, nahm die Geige, gab das Tüchlein und ging. Der Geiger nahm das Tüchlein, verwechselte es in seiner Götterseligkeit mit einem Nastuch, schneuzte sich hinein, stolperte, fiel und entschlief, und es war an einem einzigen Manne genug, den der Königssohn sandte, das Tüchlein wieder von ihm zu holen.

Jetzt beschloß nun der Prinz, die Heimreise anzutreten. Dieselbe ging ganz glücklich vonstatten, und nach langer Fahrt wurde die Küste, die zum Lande des Seekönigs gehörte, erreicht, und der Prinz gelangte in die Nähe des Schlosses seines Vaters. Da es aber bereits Nacht geworden war, so wollte er keine Störung veranlassen, sondern suchte sich im Wildparke nahe dem Schlosse ein schönes Plätzchen, allwo er sich niederlegte und schlief.

Am nächsten Morgen hatte der König eine Jagd im Wildparke anberaumt, um für seine Tafel einen Hirsch, einiges Damwild und einige Fasanen, die sich überflüssig vermehrten, zu schießen. Da witterten die Jagdhunde im Parke einen Fremden und stürmten kliffend und klaffend nach dem Baume, unter dem der Schläfer lag, da sie aber nahe kamen, rochen sie ihm gleich an, daß er der Königssohn war, ein Kunststück, das nur Hundenasen möglich ist, und schweifwedelten, schlugen Purzelbäume vor Freude, wälzten sich im Grase und trieben ein tolles Wesen. Der König hörte den Hundelärm und kam nun selbst zum Baume und fand, daß sich alldort sein jüngster Prinz vom Schlummer erhob, von den Hunden auf das Freudigste bewillkommnet. Aber der König war keineswegs erfreut über das Aussehen seines jüngsten Prinzen, vielmehr sagte er: »Ei siehe, da bist du ja wieder und schaust aus wie einer, dem die Hunde das Brot genommen. Ich vermeine nicht, daß du Schätze erworben und mitgebracht, und lebte doch seither der frohen Hoffnung, daß du, indem dein ältester Bruder in das Silberland, der zweite in das Goldland gekommen, in das Diamantenland gelangt seiest und von dort mit reicher Fracht zurückkommen würdest, was mir Freude gemacht und dem Lande zum Nutzen gedient hätte, denn ich bin in einen schändlichen Krieg verwickelt mit dem Nachbarn meines Reiches, der mich hart bedrängt und mir bereits viele Orte und Schlösser zerstört hat. Alles Silber und alles Gold, welches deine älteren Brüder mit zur Heimat gebracht, ist aufgegangen für Rüstung und Erhaltung meines Kriegsheeres, und dieses Kriegsheer ist in mehreren Schlachten schon geschlagen worden, so daß die nächste Aussicht die ist, daß unser Feind mein Reich ganz erobert und uns vom Thron und Lande jagt.«

»Solches wird nicht sein, mein gnädigster König, Vater und Herr!« erwiderte der jüngste Prinz. »Wir werden diesen Dingen eine neue Wendung geben, lasset uns nur gleich aufbrechen nach dem Lager des Feindes, ohne alle Mannschaft!«

»So?« sagten der König und seine älteren Söhne. »Wir sollen uns selbst dem Leuen in den Rachen liefern? Du bist wohl unter die Mittagslinie gefahren, und die Äquatorsonne hat dir dein Hirn verbrannt? Etwas verrückt bist du jedenfalls geworden.«

»Selbiges wird sich zeigen«, sprach der jüngste Königssohn. Indem so kamen Eilboten mit der Nachricht, daß der Feind mit starker Heeresmacht von drei Seiten zugleich eingefallen sei und im raschen Anmarsch begriffen, und da meinten der König und seine beiden älteren Prinzen, es bliebe somit nur die vierte Seite zur Flucht übrig. Davon wollte aber der jüngste Prinz nichts hören, vielmehr bat er jene, sie möchten nicht so sehr eilen, schraubte den Stockknopf ab und gebot: »Hunderttausend Mann zu Roß und zu Fuß! Treibt den Feind zu Paaren und reibt ihn auf wie Schnupftabak.« Da wurde die ganze Gegend von streitbarer Mannschaft überwimmelt, daß der König sich nicht genug wundern konnte, und nach einer Stunde war nicht nur kein Feind mehr im Lande, sondern auch das Land des feindlichen Nachbarn völlig erobert. Hierauf breitete der Königssohn sein Wünschtüchlein aus und sprach: »Nun feiern wir das Siegesmahl!

Decke dich, mein Wünschtüchlein
Für hunderttausend Mann mit Speis und Wein.«

Da wurde abermals gehörig eingehauen, und das Traubenblut floß in Strömen. »Zur Festfreude gehört nun auch Musik!« rief der Prinz, »man veranstalte ein großes Konzert, ich werde mich populär machen und mich selbst hören lassen, und zwar zum Besten der Armen!« Solches geschah, der Prinz gab ein Violin-Solo zum besten, erst spielte er etwas Allgemeines, wodurch er allgemeinen Beifall errang, dann etwas Besonderes, das ihm ganz besonderen Beifall erregte, dann auf der G-Saite, davon alles hin wurde, dann auf der A-Saite, dadurch alles ah! und bravo! schrie. Der König, seine älteren Prinzen und sein ganzer Hofstaat kamen vor Erstaunen und vor Verwunderung gar nicht zu sich selbst. Desto mehr blieb der jüngste Prinz bei sich, er sagte: »Lasset uns, was der Feind zerstört hat im Lande, schöner wieder herstellen, lasset uns unser tapferes Heer in guter Kriegsbereitschaft erhalten, lasset uns auf Landesverschönerung denken, dadurch heben wir des Landes Flor!« Und zog den Wünschmantel hervor und warf ihn in die Luft, da wurde das ganze Land voll neuer Schlösser und Villen und Parks und Seen, und dann wurden aus einigen Schlössern schöne Kasernen gemacht, da kamen die Soldaten hinein und in die Villen die Obersten und Hauptleute, und hernach gab sich alles übrige von selbst. Mit dem Wünschtüchlein schaffte der Prinz dem Lande Nahrung und Wohlstand, mit dem Wünschelstabe, den er Generalstab nannte, schaffte er ihm eine selbstbewußte Macht und zugleich Respekt von Seiten der Nachbarn, mit dem Wünschelmantel hob er das Land zur Blüte, beförderte den Luxus und dadurch Handel und Gewerbe und dadurch nun ein wohlhabendes Bürgertum, und mit der Geige förderte er die schönen Künste und hob den Geschmack, indem er zugleich den einseitigen und einsaitigen Ungeschmack steuerte.

Zugleich fuhr er hinweg, holte jenes Mägdlein von der einsamen Insel, die ihm zuerst sich so gut und hilfreich erzeigte, und erhob sie zu seiner Gemahlin, indem er sagte: »Sie hielt mir Wort, und mir ziemet, auch ihr Wort zu halten.« Ach, wenn doch alle Prinzen solche Wünschdinge hätten und, für diesen Fall, so guten Gebrauch von ihnen machten, wie dieses Muster vom Sohne eines Seekönigs! Schade, daß selbiger nicht ein Landkönigssohn war!


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