Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der »Sozialdemokrat«

Nachdem endlich alle vorhergehenden Hindernisse überwunden waren, erschien die erste Nummer des Blattes am 28. September mit einem Aufruf, unterzeichnet von dem Verlag und der Redaktion des Blattes. Der Aufruf wies zunächst darauf hin, daß das Sozialistengesetz eine Presse, die die Grundsätze der Partei offen vertrete, unmöglich gemacht habe, und zwar nicht bloß in Deutschland, sondern auch in Österreich, woselbst ohne Ausnahmegesetz, durch Konfiskationen und Verurteilungen jede noch so gemäßigte Vertretung unserer Prinzipien aufs äußerste erschwert worden sei. Ein Organ, das mit spezieller Rücksicht auf Deutschland und Österreich rückhaltlos und rücksichtslos für die Prinzipien der Sozialdemokratie und deren Verbreitung im Volk eintrete, sei also eine Notwendigkeit. Daß die deutsche Partei bisher, ohne ein eigentliches Parteiorgan zu besitzen, den Kampf zu führen wußte, habe der Erfolg gezeigt, aber auf die Dauer sei ein Blatt, das sich die prinzipielle Fort- und Weiterbildung der Parteigenossen zur Aufgabe stelle, unentbehrlich. Die Gründung des »Sozialdemokrat« gehe von einer Gruppe Sozialdemokraten deutscher Zunge aus, die sich in der Schweiz zusammengefunden und entschlossen hätten, ein internationales Organ der Sozialdemokratie deutscher Zunge erscheinen zu lassen als ein nach jeder Richtung hin kampfbereiter Vertreter der Partei. Die Haltung des Blattes werde bestimmt durch das Gothaer Einigungsprogramm, das ihm zur Richtschnur diene. Die Partei bleibe nach wie vor eine revolutionäre Partei im besten Sinne des Wortes, sie werde aber der törichten Revolutions- und Putschmacherei auf das entschiedenste entgegentreten. Der »Sozialdemokrat« stehe »voll und ganz auf dem Boden der deutschen Sozialdemokratie, wie sie war und wie sie ist«. Und da dem Blatt die berufensten Vorkämpfer der Sozialdemokratie aller Länder, vor allem der deutschen, ihre Mitarbeiterschaft zugesagt hätten, so sei es kein privates Unternehmen, sondern das offizielle Zentralorgan der Partei.

In den nächsten Nummern des »Sozialdemokrat« erschien der Rechenschaftsbericht der Fraktion über ihre Tätigkeit. In bezug auf die innezuhaltende Taktik bemerkte er: Die Aufgabe der Partei sei: Der Reaktion keine Möglichkeit zu bieten, die Sozialdemokratie als rotes Gespenst zu verwenden, das durch infame Verleumdungen auf uns geworfene Odium abzustreifen und so zu handeln, daß das Odium für die herrschende Mißwirtschaft und die herrschenden Mißstände auf diejenigen gewälzt werde, die es entweder durch aktives Verschulden oder durch passives Geschehenlassen wirklich verdient haben. »Wir sind, was wir waren, und werden bleiben, was wir sind.«

Der Bericht warnt vor der Illusion, als werde das Sozialistengesetz und der über Berlin verhängte Belagerungszustand ein Ende nehmen. Die Reaktion könne nicht und werde nicht einhalten, bis sie auf unübersteiglichen Widerstand gestoßen sei.

Der Schluß lautete: »Mögen die Genossen überall sich fest aneinander schließen, die Fühlung mit dem Ganzen erstreben! Jeder hat in dieser Zeit der Prüfung und Läuterung in vollstem Maße seine Schuldigkeit zu tun, alle seine Kräfte und Fähigkeiten in den Dienst der Partei zu stellen. Das Zusammenwirken aller ist dringend erforderlich. Wer es stört und Zwietracht sät, ist ein Feind unserer Sache. Kein blindes Vertrauen in einzelne Personen, aber auch kein blindes Mißtrauen, strenge Kritik der Genossen, verbunden mit strenger Selbstkritik. Wir kennen die gesteigerten Pflichten, welche das Sozialistengesetz uns auferlegt, und sind entschlossen, sie zu erfüllen. Hoch die Sozialdemokratie! A. Bebel, W. Bracke, F. W. Fritzsche, M. Kayser, W. Liebknecht, J. Vahlteich, Ph. Wiemer.«

Hasenclever, der erst nach Schluß der letzten Session in den Reichstag gewählt worden war, erklärte sich durch eine Nachschrift mit dem Rechenschaftsbericht der Fraktion einverstanden.

Ich lasse nun wieder einige Briefe folgen, deren Inhalt sich nicht ausschließlich auf den »Sozialdemokrat« bezieht, die aber, wie ich glaube, insofern von großem Interesse sind, als sie Meinungsverschiedenheiten zutage treten lassen, über die bis heute in der Partei nichts bekannt wurde.

Am 21. Oktober 1879 antwortete ich auf einen Brief Vollmars:

» Lieber Freund!

Daß nicht alles in Zürich so glatt abging, haben wir uns wohl gedacht; da indes das, worüber zu klagen ist, wie Sie selbst sagen, sich mehr auf Mängel an richtiger Auffassung und eine gewisse Ängstlichkeit zurückführen läßt, so wird sich alles allmählich einrichten.

Wenn Schramm sich ganz fernhält, Höchberg meist verreist ist, so soll Bernstein uns zwei Personen vorschlagen, die ihm das Geschäft regulieren und uns zeitweilig Bericht erstatten. Eine stramme und geregelte Expedition ist durchaus notwendig und wünschen wir sehr, daß speziell Bernstein sich recht darum kümmern möge, da er als Kaufmann entschieden das Zeug hat, die Verwaltung einzurichten. Ich habe auch geschrieben, daß es sich sehr empfehle, bei der Umsicht, welche die Expedition entfalten müsse, und in Anbetracht, daß sie möglichst auch den Schriftenbetrieb leiten und organisieren müsse, daß Uhle sich ganz und gar der Expedition widme; an Arbeit wird es ihm nicht fehlen. Beilage, die das auf die Expedition Bezügliche enthält, wollen Sie Uhle behändigen. Wir haben alle die feste Überzeugung, daß das Blatt in nicht ferner Zeit seine Kosten decken wird. Die Stimmung ist allerwärts günstig. Schwierigkeiten wird im Anfang der Bezug machen. Die Leute wissen sich noch nicht zu helfen, und damit gibt es auch hier und da zuzusprechen und zu organisieren. Sehr empfehlen würde es sich, wenn Sie an der Spitze mit allem Nachdruck bekannt machten, daß das Abonnieren und Lesen des Blattes nicht strafbar sei, sondern nur das Weitergeben an Dritte. Ich werde, sobald ich nur die dringendsten Arbeiten beseitigt habe, einige Artikel schreiben über das Verhalten unserer Leute im Falle von Maßregelungen auf Grund des Sozialistengesetzes. Man läßt sich vielfach mehr gefallen, als sich mit dem Gesetz verträgt, und wenn auch Beschwerden wenig nützen, so müssen sie bis in die letzte Instanz verfolgt werden, damit wir um so rückhaltloser seinerzeit im Reichstag angreifen können. Mit Ihrer Taktik gegen Most und ›Die Freiheit‹ sind wir ganz einverstanden, darüber bestand ja auch wohl von vornherein keine Meinungsverschiedenheit. Mag Most noch so ordinär im Briefkasten angreifen, wir sehen es nicht. Er richtet sich damit bei den Vernünftigeren seiner eigenen Anhänger. Tatsache ist, daß das bloße Erscheinen des Blattes allerwärts den günstigsten Eindruck gemacht hat und die Stimmung auch dort, wenn nicht zum sofortigen Umschlag, so doch zu bedeutendem Schwanken gebracht hat, wo man bisher ganz und gar auf Mostscher Seite stand. Soweit ich bis jetzt gehört, wird die Haltung des Blattes gebilligt...

Bringen Sie an die Spitze des Blattes einen energischen Aufruf für Sammlungen zugunsten der Ausgewiesenen. Ich bin in heller Verzweiflung, heute sind wieder sieben von den neuesten Berliner Ausgewiesenen – lauter Familienväter – hier eingetroffen, und ich weiß nicht mehr, woher ich die Mittel nehmen soll. Machen Sie auf die brutale Taktik Madais aufmerksam, mit raffinierter Bosheit hauptsächlich Familienväter auszuweisen. Der Kerl zielt offenbar auf Aufreizung ab und hätte gerne einen Putsch oder ein neues Attentat eines durch seine Brutalität zur Verzweiflung Getriebenen. Machen Sie ferner darauf aufmerksam, daß diese Ausweisungen nur den einen Zweck haben, die Erneuerung des Belagerungszustandes Dummen plausibel zu machen.

Mitteilen will ich, daß ich, wegen Sammlung für die Ausgewiesenen angeklagt, in vorvoriger Woche freigesprochen wurde. Erkenntnis folgt.

Sie können in dem Aufruf sagen, daß man Geld an die bekannten Adressen in Deutschland senden möge, außerdem erkläre sich aber auch die Redaktion, respektive die Expedition dazu bereit...

Herzliche Grüße von uns allen.

Ihr A. Bebel

Die in dem vorstehenden Brief erwähnten Artikel, die ich schreiben wollte, sind später erschienen; sie trugen die Überschrift: »Wie verhalten wir uns vor Polizei und Gericht?« Eine Aufklärung, wie sie die Artikel enthielten, war eine Notwendigkeit bei den unausgesetzten schweren Verstößen gegen die Gesetze, die sich sowohl zahlreiche Polizeibeamte wie Staatsanwälte und Untersuchungsrichter in der Behandlung unserer Genossen zuschulden kommen ließen. Namentlich wurde bei den zahllosen Haussuchungen in der Regel keine der gesetzlichen Vorschriften respektiert. Und solche Haussuchungen fanden im Jahre viele Tausende statt. Erlaubte sich doch zum Beispiel die Dresdener Polizei den Unfug, daß sie bei dem Genossen Kegel einen Monat lang Tag für Tag eine Haussuchung vornahm. Das war offener Mißbrauch der Amtsgewalt. Meine Artikel wurden nach ihrem Erscheinen zu einem Broschürchen zusammengestellt und in Tausenden von Exemplaren verbreitet. Es leistete den Parteigenossen gute Dienste.

Am 14. November 1879 erhielt ich von Engels Antwort auf meinen Brief vom 23. Oktober. Er schrieb:

» Lieber Bebel!

Besten Dank für Ihre Mitteilungen sowie die von F. und L., Fritzsche und Liebknecht. D. H. die uns endlich gestatten, den Sachverhalt klar zu überschauen. Daß aber die Sache von vornherein keineswegs so einfach lag, beweisen die früheren Leipziger Briefe sowie die Irrungen und Wirrungen mit Hirsch überhaupt. Letztere waren unmöglich, wenn die Leipziger dem Anspruch der Züricher auf Zensur von vornherein einen Riegel vorschoben. Tat man das und machte Hirsch davon Mitteilung, so war alles in Ordnung. Da dies aber nicht geschah, so kann ich bei nochmaliger Vergleichung des Geschehenen und des Unterlassenen der jetzigen Mitteilungen und der früheren Briefe aller Beteiligten nur zu dem Schluß kommen, daß Höchberg nicht so unrecht hatte, als er mir sagte, die Züricher Zensur sei nur wegen Hirsch eingesetzt gewesen, gegen Vollmar sei sie überflüssig.

Was die Fundierung betrifft, so wundert's mich nicht sehr, daß Sie die Sache so leicht nehmen. Sie probieren das Ding eben zum erstenmal. Hirsch aber hatte gerade an der ›Laterne‹ die Erfahrung praktisch gemacht, und wir, die wir dergleichen schon öfters gesehen und selbst durchgemacht, können ihm nur recht geben, wenn er diesen Punkt ernstlich erwogen sehen wollte. Die ›Freiheit‹ schließt trotz aller Zuschüsse ihr drittes Quartal mit einem Defizit von 100 Pfund gleich 2000 Mark ab. Ich habe noch nie ein im Inland verbotenes deutsches Blatt gekannt, das sich ohne bedeutende Zuschüsse gehalten hätte. Lassen Sie sich nicht durch die ersten Erfolge blenden. Die eigentlichen Schwierigkeiten des Schmuggels zeigen sich erst mit der Zeit und steigen unaufhörlich.

Ihre Äußerungen über die Haltung der Abgeordneten und der Parteiführer überhaupt in der Schutzzollfrage bestätigen jedes Wort meines Briefes. Schlimm genug war's schon, daß die Partei, die sich rühmt, dem Bourgeois so überlegen zu sein, bei dieser ersten ökonomischen Probe ebenso gespalten war, ebensowenig Bescheid wußte wie die Nationalliberalen, die doch wenigstens für ihren kläglichen Zusammenbruch die Entschuldigung hatten, daß hier wirkliche Bourgeoisinteressen in Konflikt kamen. Noch schlimmer, daß man diese Spaltung sichtbar werden ließ, daß man unsicher und schwankend auftrat. War einmal keine Einigung zu erzielen, dann war nur ein Weg: Die Frage für eine reine Bourgeoisfrage zu erklären, was sie ja auch ist, und nicht mitzustimmen. Am schlimmsten war, daß man Kayser erlaubte, seine Jammerreden zu halten und in erster Lesung für das Gesetz zu stimmen. Erst nach dieser Abstimmung hat Hirsch ihn angegriffen, und wenn Kayser dann in dritter Lesung gegen das Gesetz stimmt, so macht das die Sache für uns nicht besser, sondern eher schlimmer.

Der Kongreßbeschluß ist keine Entschuldigung. Wenn die Partei sich heute noch an alle alten in gemütlicher Friedenszeit gefaßten Kongreßbeschlüsse binden will, so legt sie sich selbst in Fesseln. Der Rechtsboden, auf dem eine lebende Partei sich bewegt, muß nicht nur selbstgeschaffen, er muß auch jederzeit abänderbar sein. Indem das Sozialistengesetz alle Kongresse und damit die Abänderung der alten Kongreßbeschlüsse unmöglich macht, vernichtet es auch die bindende Kraft jener Beschlüsse. Eine Partei, der man die Möglichkeit abschneidet, bindende Beschlüsse zu fassen, hat ihre Gesetze nur in ihren lebendigen, stets wechselnden Bedürfnissen zu suchen. Will sie diese Bedürfnisse aber früheren Beschlüssen unterordnen, die jetzt starr und tot sind, so gräbt sie ihr eigenes Grab.

Dies das Formelle. Der Inhalt jenes Beschlusses aber macht ihn erst recht hinfällig. Erstens steht er im Widerspruch mit dem Programm, indem er die Bewilligung von indirekten Steuern zuläßt. Zweitens im Widerspruch mit der unabweisbaren Parteitaktik, indem er die Bewilligung von Steuern an den heutigen Staat erlaubt. Drittens aber besagt er in klares Deutsch übersetzt folgendes:

Der Kongreß bekennt, über die Schutzzollfrage nicht hinlänglich unterrichtet zu sein, um einen entscheidenden Entschluß für oder wider fassen zu können. Er erklärt sich also in dieser Frage für inkompetent, indem er des lieben Publikums halber sich darauf beschränkt, einige teils nichtssagende, teils einander oder dem Parteiprogramm widersprechende Gemeinplätze aufzustellen, und ist damit froh, die Sache los zu sein. Und diese Inkompetenzerklärung, mit der man in Friedenszeiten die damals rein akademische Frage auf die lange Bank schob, soll nun in den jetzigen Kriegszeiten, wo die Frage brennend geworden ist, so lange für die ganze Partei bindend sein, bis sie durch einen neuen, jetzt unmöglich gemachten Beschluß rechtsgültig aufgehoben ist?

So viel ist sicher: Was auch der Eindruck ist, den die Hirschschen Angriffe gegen Kayser bei den Abgeordneten gemacht, diese Angriffe spiegeln den Eindruck wider, den das unverantwortliche Auftreten Kaysers bei den deutschen wie nichtdeutschen Sozialdemokraten des Auslandes gemacht hat. Und man sollte doch endlich einsehen, daß man nicht nur innerhalb der eigenen vier Pfähle, sondern auch vor Europa und Amerika die Reputation der Partei aufrechtzuerhalten hat.

Und dies führt mich auf den Rechenschaftsbericht. So gut der Anfang, so geschickt – unter den Umständen – die Behandlung der Schutzzolldebatte, so unangenehme Konzessionen an den deutschen Philister sind im dritten Teil enthalten. Wozu die ganz überflüssige Stelle über den ›Bürgerkrieg‹, wozu das Hutabnehmen vor der »öffentlichen Meinung«, die in Deutschland stets die des Bierphilisters sein wird, wozu hier die vollständige Verwischung des Klassencharakters der Bewegung? Wozu den Anarchisten diese Freude machen? Und dazu sind alle diese Konzessionen total nutzlos. Der deutsche Philister ist die inkorporierte Feigheit, er respektiert nur den, der ihm Furcht einflößt. Wer sich aber liebes Kind bei ihm machen will, den hält er für seinesgleichen und respektiert ihn nicht mehr als seinesgleichen, nämlich gar nicht. Und jetzt, nachdem der Sturm der Bierphilisterentrüstung, genannt öffentliche Meinung, sich zugegebenermaßen wieder gelegt hat, wo der Steuerdruck die Leute ohnehin wieder mürbe macht, wozu da noch diese Süßholzraspelei? Wenn Sie wüßten, wie das im Ausland sich anhört! Es ist ganz gut, daß ein Parteiorgan von Leuten redigiert werden muß, die mitten in der Partei und im Kampf stehen. Aber wären Sie nur sechs Monate im Ausland, so würden Sie über diese ganz unnötige Selbsterniedrigung der Parteiabgeordneten vor dem Philister ganz anders denken. Der Sturm, der nach der Kommune über die französischen Sozialisten hereinbrach, war doch noch was ganz anderes als das Nobilinggezeter in Deutschland. Und wieviel stolzer und selbstbewußter haben sich die Franzosen benommen! Wo finden Sie da solche Schwächen, solche Komplimente für den Gegner? Sie schwiegen, wo sie nicht frei ausreden konnten. Sie ließen den Spießbürger sich ausheulen, sie wußten, ihre Zeit werde schon wieder kommen, und jetzt ist sie da.

Was Sie über Höchberg sagen, will ich gern glauben. Ich habe ja gegen seinen Privatcharakter absolut gar nichts. Ich glaube auch, daß er sich erst durch die Sozialistenhetze darüber klar geworden ist, was er im Grunde seines Herzens will. Daß das bürgerlich ist, was er will, und nicht proletarisch, habe ich ihm – wahrscheinlich vergebens – klarzumachen gesucht. Aber nachdem er sich einmal ein Programm gebildet, müßte ich ihm mehr als deutsche Philisterschwäche zutrauen, wenn ich annähme, daß er es nicht auch zur Anerkennung zu bringen suchte. Höchberg vor und Höchberg nach jenem Artikel sind eben zwei verschiedene Leute.

Nun aber finde ich in Nr. 5 des »Sozialdemokrat« eine Korrespondenz von der Niederelbe, worin Auer meinen Brief zum Vorwand nimmt, um mich – zwar ohne Namen, aber hinreichend bezeichnet – anzuklagen, »Mißtrauen gegen die bewährtesten Genossen zu säen«, also sie zu verleumden (denn sonst wäre ich ja berechtigt dazu). Damit nicht zufrieden, lügt er mir ebenso alberne wie infame Dinge an, die in meinem Brief gar nicht stehen. Wie es scheint, bildet Auer sich ein, ich wolle von der Partei irgend etwas. Sie wissen aber, daß nicht ich von der Partei, sondern im Gegenteil die Partei von mir etwas will. Sie und Liebknecht wissen: Das einzige, was ich von der Partei überhaupt verlangt habe, ist, daß sie mich in Ruhe läßt, damit ich meine theoretischen Arbeiten abschließen kann. Sie wissen, daß ich seit 16 Jahren dennoch immer und immer wieder angegangen worden bin, in den Parteiorganen zu schreiben; daß ich dies auch getan, ganze Reihen von Artikeln, ganze Broschüren auf ausdrückliche Bestellung Liebknechts geschrieben habe, so die »Wohnungsfrage« und den »Anti-Dühring«. Was ich dafür von der Partei für Liebenswürdigkeiten besehen – zum Beispiel die angenehmen Kongreßverhandlungen wegen des Dühring –, darauf will ich nicht näher eingehen. Sie wissen ebenfalls, daß Marx und ich die Verteidigung der Partei gegen auswärtige Gegner freiwillig geführt, solange die Partei besteht, und daß wir dafür nur das eine von der Partei verlangt haben, daß sie sich nicht selbst untreu werden soll.

Wenn aber die Partei von mir verlangt, ich soll an ihrem neuen Organ mitarbeiten, so ist selbstredend, daß sie zum mindesten dafür sorgt, daß ich nicht noch während schwebender Verhandlung und noch dazu von einem der nominellen Miteigentümer von diesem selben Organ als Verleumder verleumdet werde. Ich kenne keinen literarischen oder sonstigen Ehrenkodex, mit dem das verträglich wäre, ich glaube, selbst ein Reptil ließe sich das nicht bieten. Ich muß also die Anfrage stellen: erstens, welche Satisfaktion können Sie mir anbieten für diesen unprovozierten und gemeinen Insult; zweitens, welche Garantie haben Sie mir zu bieten, daß sich dergleichen nicht wiederholt?

Übrigens will ich zu den Auerschen Unterschiebungen nur noch bemerken, daß wir hier weder die Schwierigkeiten unterschätzen, mit denen die Partei in Deutschland zu kämpfen hat, noch die Bedeutung der trotzdem errungenen Erfolge und die bisher ganz musterhafte Haltung der Parteimassen. Es ist ja selbstredend, daß jeder in Deutschland erfochtene Sieg uns ebensosehr freut wie ein anderswo erfochtener und noch mehr, weil ja die deutsche Partei von Anfang an in Anlehnung an unsere theoretischen Aufstellungen sich entwickelt hat. Aber eben deswegen muß uns auch besonders daran liegen, daß die praktische Haltung der deutschen Partei und namentlich die öffentlichen Äußerungen der Parteileitung auch mit der allgemeinen Theorie im Einklang bleiben. Unsere Kritik ist gewiß für manchen nicht angenehm, aber mehr als alle unkritischen Komplimente muß es doch für die Partei von Vorteil sein, wenn sie im Ausland ein paar Leute hat, die unbeeinflußt von den verwirrenden Lokalverhältnissen und Einzelheiten des Kampfes von Zeit zu Zeit das Geschehene und Gesagte an den für alle moderne proletarische Bewegung geltenden theoretischen Sätzen messen und ihr den Eindruck widerspiegeln, den ihr Auftreten außerhalb Deutschlands macht.

Freundschaftlichst der Ihrige.

F. Engels

Der aggressive Ton des Schreibens wie die Angriffe auf Auer veranlaßten mich, bereits am 18. November darauf zu antworten:

» Lieber Engels!

Ich schreibe deshalb so rasch auf Ihren Brief, obgleich ich mit Arbeit überhäuft bin, weil ich möglichst bald ein arges Mißverständnis Ihrerseits aufklären möchte. Sie betrachten die Korrespondenz in Nr. 5 vom 23. Oktober als gegen Sie gerichtet. Das ist ein Irrtum. An jenem Tage hatte Auer, wie ich Ihnen bestimmt versichern kann, das Schreiben noch gar nicht in Händen. Er hat es erst unmittelbar nach jener Zeit bekommen. Auer hat offenbar, und anders habe ich die Korrespondenz beim ersten Anblick gar nicht aufgefaßt, Hans Most damit gemeint und niemand sonst. Ich würde diesen Glauben selbst dann haben, wenn er Ihren Brief schon damals gehabt hätte, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil von einem »Mißtrauensäen gegen bewährte Genossen« bei dem kleinen Kreis der Leser des Briefes unmöglich die Rede sein konnte. Auer hätte sehr naiv sein müssen, wenn er solche Auseinandersetzungen, die jedenfalls als durchaus loyal auch von ihm aufgefaßt wurden – denn sie waren ja an alle Beteiligte gerichtet –, zum Gegenstand einer Korrespondenz machte.

Ich hoffe, daß diese Auseinandersetzung Sie überzeugt, daß Ihre Auffassung eine unrichtige ist und daß damit auch all die Folgerungen unrichtig sind, welche Sie daraus zogen. Hat Höchberg wirklich die Erklärung abgegeben, daß die Zensur nur wegen Hirsch eingesetzt gewesen, gegen Vollmar aber überflüssig sei, so verstehe ich das einfach nicht. Nach meiner Auffassung der Personen muß Hirsch Höchberg sympathischer gewesen sein als Vollmar, welcher in seinem ganzen Wesen etwas Derbes und keineswegs Fügsames besitzt. Auch steht Hirsch in der damals brennenden Tagesfrage, der Zollfrage, Höchberg weit näher wie Vollmar, denn Höchberg ist absoluter Freihändler.

Sie sagten, wir hätten sofort intervenieren sollen, als man von Zürich den Versuch machte, Hirsch unter Zensur zu stellen. Darauf habe ich zu erwidern, daß ich davon erst erfuhr, als Hirsch definitiv abgelehnt. Ich kann ferner versichern, daß Vollmar wütend war, daß man ihn, der sich damals in sehr prekärer Lage befand, mit definitiver Antwort hinhielt, weil man noch fortgesetzt an Hirsch arbeitete, trotz seiner bereits erfolgten Ablehnung anzunehmen, und Höchberg zu diesem Zweck sogar nach Paris reiste. Doch es ist heute zwecklos, weiter darüber zu schreiben.

Ihre Ansicht über unsere Haltung in der Zollfrage ist nicht richtig. Gerade weil wir zu unseren Leuten nicht sprechen konnten, mußten wir mehr als sonst auf die Stimmung Rücksicht nehmen, und diese war tatsächlich geteilt. Kayser konnten wir seine ›Jammerrede‹ nicht verbieten, weil wir vorher nicht wissen konnten, daß er eine solche hielt. Er hatte tatsächlich mit großem Fleiß das Thema einstudiert, aber er kam im rechten Moment nicht zum Wort und wurde durch die Unterbrechung konfus. Ein Malheur, was auch anderen Leuten schon passiert ist. Hintennach wäre es uns auch lieber gewesen, er hätte nicht gesprochen, aber mißhandeln, wie es Hirsch in der ›Laterne‹ getan hat, durften wir ihn deshalb nicht.

Kayser hat auch nicht in der ersten (richtiger zweiten) Lesung – denn in der ersten gibt es, weil sie Generaldebatte ist, keine Abstimmung – für das Gesetz gestimmt, er hat dies nur für den höheren Eisenzoll getan und einige andere Positionen. Für den hohen Eisenzoll hat er auch in der dritten Lesung gestimmt, aber schließlich gegen das ganze Gesetz.

Ich bin überzeugt, daß, wenn die Partei 1879 ebenfalls hätte einen Kongreß halten können, ihr Beschluß genau so ausfiel wir vor zwei Jahren, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil in dieser rein praktischen Frage verschiedene Strömungen vorhanden sind und die bloße Negation in den Wählerkreisen schwerlich Anklang gefunden hätte. Wir werden, solange wir parlamentarisch mittun, uns in der reinen Negation nicht halten können, die Masse verlangt, daß auch für das Heute gesorgt werde, unbeschadet dessen, was morgen kommt.

Ich gebe zu, daß man da leicht zu weit gehen kann und daß es fortgesetzter sorgfältiger Beratung von Fall zu Fall bedarf, wie weit man gehen darf. In allen diesen Fällen sind Meinungsverschiedenheiten sehr leicht, namentlich wenn man, wie Ihr, außerhalb der Fühlung mit den Massen steht, auf die man zunächst Rücksicht zu nehmen hat.

Lehrreich ist jedenfalls, daß der letzte Marseiller Kongreß in der Zollfrage fast wörtlich denselben Beschluß gefaßt hat wie wir vor zwei Jahren.

Und nun zu unserem Rechenschaftsbericht. Ich gebe Ihnen von vornherein zu, daß derselbe ungleich schärfer hätte ausfallen können, als er ausgefallen ist; aber Sie dürfen eines nicht vergessen, die Umstände und Zustände, unter denen er geschrieben wurde. Auf Grund unseres Preßgesetzes konnte man uns alsdann in Deutschland fassen, und daß uns daran nichts lag im gegenwärtigen Moment, ist wohl selbstverständlich.

Nun hätten wir den ganzen Passus mit der Revolution überhaupt weglassen können, allein den fortgesetzten Anklagen und Verdächtigungen Mosts gegenüber, dem, weil er allein das Wort führte, es gelungen war, eine Menge Köpfe zu verdrehen, war eine solche Erklärung notwendig. Ich glaube auch nicht, daß man aus dem bezüglichen Passus eine Konzession an den Bierphilister lesen kann, so naiv sind wir nicht. Wir haben wohl deutlich genug gesagt, was wir unter der ›öffentlichen Meinung‹ verstehen. Wir meinten dabei allerdings auch den Kleinbürger und Bauern, die in den letzten Jahren in größerer Zahl sich uns angeschlossen und bei der letzten Wahl in manchem Bezirk die Ehre der Partei gerettet haben, weil die Lohnarbeiter unter dem Druck und der Hetze der Fabrikanten auf der einen, der Krise auf der anderen Seite vielfach von der Stimmurne fernblieben, ja hier und da, wenn auch mit Wut im Herzen, sich zum Stimmen gegen uns herbeiließen.

Ich bin kein Freund vom Ducken und andere neben mir auch nicht; glaubte ich, daß auch nur einer unserer Gegner aus unserem Rechenschaftsbericht so etwas wie Sentimentalität oder Nachgiebigkeit herauslesen könnte, ich hätte ihn nicht unterschrieben. Ihr könnt Euch eben dort von der Situation hier keine rechte Vorstellung machen, und da legt Ihr eben einen ganz anderen Maßstab an und kritisiert, wie innerhalb Deutschlands keinem zu kritisieren einfällt. Unsere Gegner täuschen sich nicht über uns und wir uns nicht über sie. Daß wir leben und uns nicht tot machen ließen, bringt sie zur Verzweiflung, sie können es gar nicht begreifen, daß man ohne obrigkeitliche Bewilligung am Leben bleiben kann. Da wir aber eben zum Maulhalten in der Öffentlichkeit verurteilt sind, wohingegen unsere Gegner uneingeschränkt das Wort besitzen, so haben wir da, wo wir das Wort ergreifen, uns möglichst vorsichtig zu benehmen, um ihnen möglichst die Gelegenheit zu wirksamen Angriffen zu verleiden.

Das ist eine Taktik, womit wir uns meines Erachtens absolut nichts vergeben, aber sehr viel nützen. Ich wiederhole, unsere Gegner täuschen sich über unsere Taktik nicht, das zeigt das ruhige Geschehenlassen der größten Willkürlichkeiten gegen uns, aber wir setzen sie außerstande, weiterzuhetzen, und das ist, wie die Dinge liegen, notwendig und ein Erfolg.

Wir werden Eure Kritiken stets gerne entgegennehmen und wir wünschen auch, daß Ihr sie im Blatte selbst, nur nicht in verletzender Form, ungeniert übt. Wir erkennen an, daß gerade jetzt der Meinungsaustausch um so nötiger ist, wo Hunderte von Kanälen verstopft sind, durch die sonst das Gefühl der Zusammengehörigkeit und Übereinstimmung drang. Im ganzen glaube ich sagen zu dürfen, daß wir weit besser Eure Stellung begreifen wie Ihr die unsrige, und daraus geht hervor, welche Seite die schwierigere ist.

Ich hoffe, daß die Magdeburger Wahl am 10. Dezember wieder eine kleine Herzerfrischung wird. Wahrscheinlich werden wir an Stelle Brackes, der, wie er behauptet, unfähig ist, weiter mitzutun, auch eine Neuwahl bekommen. Wir wollen sie auf 1880 aufsparen.

Hans hat in meinem Brief an den Kommunistischen Arbeiterbildungsverein, wie ich glaube absichtlich, mehrere sinnstörende Entstellungen vorgenommen.

Mit den besten Grüßen an Sie und Marx Ihr

A. Bebel

Engels antwortete auf vorstehenden Brief bereits am 24. November 1879:

» Lieber Bebel!

Ich hatte meine guten Gründe, als ich Auers Wink auf mich bezog. Das Datum beweist nichts. Most schließt er ausdrücklich aus. Also fragen Sie ihn doch selbst, wen er gemeint hat, wir werden dann ja sehen, was er sagt. Ich bin überzeugt, das Mißverständnis ist nicht auf meiner Seite.

Die betreffende Erklärung hat Höchberg allerdings gegeben.

Daß Sie während der Verhandlung mit Hirsch meist abwesend waren, weiß ich, und es fällt mir nicht ein, Sie für das Geschehene verantwortlich zu machen.

In Beziehung auf die Zollfrage bestätigt Ihr Brief gerade das, was ich gesagt habe. War die Stimmung geteilt, was ja der Fall war, so mußte man, wenn man auf diese geteilte Stimmung Rücksicht nehmen wollte, sich ja gerade enthalten. Sonst nahm man nur auf einen Teil Rücksicht. Warum aber der schutzzöllnerische Teil mehr Rücksicht verdient als der freihändlerische, ist doch nicht abzusehen. Sie sagen, Sie können sich parlamentarisch nicht in der reinen Negation halten. Aber indem Sie alle schließlich gegen das Gesetz stimmten, hielten Sie sich doch in der reinen Negation. Ich sage nur, man hätte von vornherein wissen sollen, wie man sich verhalten wollte, man hätte handeln sollen in Übereinstimmung mit der schließlichen Abstimmung.

Die Fragen, in denen sozialdemokratische Abgeordnete aus der reinen Negation heraustreten können, sind sehr eng begrenzt. Es sind alles Fragen, in denen das Verhältnis der Arbeiter zum Kapitalisten direkt ins Spiel kommt: Fabrikgesetzgebung, Normalarbeitstag, Haftpflicht, Lohnzahlung in Waren usw. Dann allenfalls noch Verbesserungen im rein bürgerlichen Sinne, die einen positiven Fortschritt bilden: Münz- und Gewichtseinheit, Freizügigkeit, Erweiterung der persönlichen Freiheit usw. Damit wird man Sie wohl vorläufig nicht belästigen. In allen anderen ökonomischen Fragen, wie Schutzzölle, Verstaatlichung der Eisenbahnen, der Assekuranzen usw., werden sozialdemokratische Abgeordnete immer den entscheidenden Gesichtspunkt behaupten müssen, nichts zu bewilligen, was die Macht der Regierung gegenüber dem Volke verstärkt. Und es ist dies um so leichter, als hier ja regelmäßig die Stimmung in der Partei selbst gespalten sein wird und damit Enthaltung, Negation von selbst geboten ist.

Was Sie von Kayser sagen, macht die Sache noch schlimmer. Wenn er für Schutzzölle im allgemeinen spricht, warum stimmt er denn dagegen? Wenn er gegen sie stimmen will, warum spricht er für sie? Wenn er aber das Thema mit großem Fleiß studiert hat, wie kann er für Eisenzölle stimmen? Waren seine Studien einen Pfennig wert, so mußten sie ihn lehren, daß in Deutschland zwei Hüttenwerke sind, Dortmunder Union und Königs- und Laurahütte, deren jedes imstande ist, den ganzen inländischen Bedarf zu decken; daneben noch die vielen kleineren, daß hier also Schutzzoll reiner Unsinn ist, daß hier nur Eroberung des auswärtigen Marktes helfen kann, also absoluter Freihandel oder aber Bankrott. Daß die Eisenfabrikanten selbst den Schutzzoll nur wünschen können, wenn sie sich zu einem Ring, einer Verschwörung zusammengetan haben, die dem inneren Markte Monopolpreise aufzwingt, um dagegen die überschüssigen Produkte auswärts zu Schleuderpreisen loszuschlagen, wie sie dies im Augenblick bereits tatsächlich tun. Im Interesse dieses Ringes, dieser Monopolistenverschwörung hat Kayser gesprochen, und soweit er für Eisenzölle stimmte, auch gestimmt, und Hansemann von der Dortmunder Union und Bleichröder von der Königs- und Laurahütte lachen ins Fäustchen über den dummen Sozialdemokraten, der noch dazu das Thema mit Fleiß studiert hat.

Sie müssen sich unter allen Umständen Rudolf Meyers ›Politische Gründer in Deutschland‹ verschaffen. Ohne Kenntnis des hierin zusammengestellten Materials über den Schwindel, den Krach und die politische Korruption der letzten Jahre ist kein Urteil über die jetzigen deutschen Zustände möglich. Wie konnte es zugehen, daß diese Fundgrube nicht ihrerzeit für unsere Presse ausgebeutet wurde? Das Buch ist natürlich verboten.

Die Stellen im Rechenschaftsbericht, die ich vorzüglich meine, sind erstens die, wo so viel Gewicht darauf gelegt wird, die öffentliche Meinung zu gewinnen –, wer diesen Faktor gegen sich habe, sei gelähmt –, es war eine Existenzfrage, daß ›dieser Haß in Sympathie (Sympathie! von Leuten, die sich soeben während des Schreckens als Hundsfötter erwiesen!) verwandelt wurde‹ usw. So weit braucht man nicht zu gehen, namentlich da der Schreck längst vorüber war. Zweitens, daß die Partei, welche den Krieg in jeder Gestalt verurteilt (also auch den, den sie selbst führen muß, den sie trotzdem führt) und die allgemeine Verbrüderung aller Menschen zum Ziele hat (das hat der Phrase nach jede Partei und der unmittelbaren Wirklichkeit nach keine, denn auch wir wollen uns nicht mit den Bourgeois verbrüdern, solange sie Bourgeois bleiben wollen), nicht den Bürgerkrieg erstreben kann (also auch nicht in dem Falle, wo der Bürgerkrieg das einzige Mittel zum Ziele wäre) – dieser Satz kann auch so gefaßt werden: Daß eine Partei, die das Blutvergießen in jeder Gestalt verdonnert, weder Aderlaß noch Amputation brandiger Glieder noch wissenschaftliche Vivisektion erstreben kann. Warum solche Redensarten machen? Ich verlange nicht, daß Ihr »forsch« reden sollt, ich werfe dem Bericht nicht vor, daß er zu wenig sagt – im Gegenteil zu viel, was besser weggeblieben wäre. Was dann nachher kommt, ist wieder viel besser, und so hat Hans Most die paar Stellen glücklich übersehen, aus denen er Kapital schlagen konnte.

Ein Bock aber war's, im ›Sozialdemokrat‹ feierlich anzuzeigen, daß Liebknecht usw. den sächsischen Eid geschworen. Das hat Hans sich nicht entgehen lassen, und seine anarchistischen Freunde werden es schon weiterverarbeiten. Marx und ich finden die Sache selbst gar nicht so gefährlich, wie zum Beispiel Hirsch sie im ersten Eifer genommen hat; Ihr müßt wissen, ob ›Paris vaut bien une messe‹, wie Heinrich IV. sagte, als er katholisch wurde und damit Frankreich einen Dreißigjährigen Krieg ersparte; ob die Vorteile derart sind, daß man diese Inkonsequenz begeht und einen Eid schwört, der noch dazu der einzige ist, der einem keinen Meineidsprozeß zuziehen kann. Aber wenn man schwor, mußte man davon schweigen, bis andere Lärm davon schlugen, dann war Zeit genug zur Verteidigung. Ohne den ›Sozialdemokrat‹ hätte Hans kein Wort davon erfahren.

Sehr erfreut hat uns Ihre Vermöbelung des notorischen Trunkenbolds und Ludrians. Wir werden sorgen, daß dies in Paris weiterverbreitet wird, und sind nur um die französischen Worte verlegen, die obige Kraftausdrücke wiedergeben sollen.

Übrigens, daß wir hier, wie man sagt, gut reden haben und Eure Stellung viel schwieriger ist als unsere, verkennen wir keineswegs.

Der Zutritt der Kleinbürger und Bauern ist zwar ein Kennzeichen des reißenden Fortschritts der Bewegung, aber auch eine Gefahr für sie, sobald man vergißt, daß diese Leute kommen müssen, aber auch nur kommen, weil sie müssen. Ihr Zutritt ist der Beweis, daß das Proletariat in Wirklichkeit die leitende Klasse geworden ist. Da sie aber mit kleinbürgerlichen und bäuerlichen Vorstellungen und Wünschen kommen, so darf man nicht vergessen, daß das Proletariat seine leitende, geschichtliche Rolle verscherzen würde, wenn es diesen Vorstellungen und Wünschen Konzessionen machte.

Freundschaftlichst Ihr

F. Engels

Auf diesen Brief lautete meine Antwort:

»Leipzig, 11. Dezember 1879.

Lieber Engels!

Auer schreibt mir gestern, daß er in jener Korrespondenz Most und Ehrhart gemeint. Sie sehen also, ich hatte recht.

Höchberg hat mir beiliegende Zeilen vor einiger Zeit übersandt. Sie wollen von deren Inhalt Notiz nehmen. Auf die Schutzzollfrage, und was damit zusammenhängt, lasse ich mich nicht weiter ein, ich sehe, daß wir uns brieflich doch nicht verständigen.

Ich gehe zu der Eidesleistung über. Hirsch hat darüber kürzlich einen sehr rabiaten Brief geschrieben und Liebknecht beschworen, sich nicht von der ›faulen Leipziger Umgebung‹ beeinflussen zu lassen. Ich weiß nicht, was Hirsch damit meint, das aber kann ich versichern, daß es von Seiten der Leipziger noch keines Druckes bedurfte, um Liebknecht zu dem zu bringen, was er bisher getan. Speziell in der Eidesfrage stand ich auf einem anderen Standpunkt. Daß der Eid geleistet wurde, war auch meine Ansicht, denn wollte man ihn nicht leisten, so brauchte man überhaupt nicht zu wählen; aber ich wollte, daß vor der Eidesleistung erklärt würde, daß man den Eid nur als eine Formalie ansehe, die man erfüllen müsse, weil ohne sie kein Eintritt in die Kammer und keine Ausübung des Mandats möglich sei. Der Eid könne uns in unseren sozialistischen und republikanischen Ansichten nicht irritieren. Liebknecht war gegen diese Auffassung, und ich habe mich aus naheliegenden Gründen nicht weiter auf Streitereien eingelassen. Ebenso meine ich, wenn unsere Leute im Landtag ebenso, wie wir es konsequent im Reichstag gehalten, sich von allem intimen Umgang (Festlichkeiten, Präsidialessen, parlamentarische Kneipereien usw.) ferngehalten, es wäre besser. So oft jetzt dergleichen vorkommt, gibt es gewissen Blättern Stoff zu hämischen Bemerkungen, und da wir den Mund halten müssen, tragen solche Notizen dazu bei, unangenehme Kontroversen in den Reihen unserer eigenen Leute zu erzeugen. Wo die Sachlage so einfach ist wie hier, sollte man alles vermeiden, was zu Differenzen Anlaß gibt. Liebknecht läßt sich eben zu sehr von seinen Gefühlen beherrschen; wer ihm freundlich entgegenkommt, kann alles von ihm verlangen, und im sächsischen Landtag ist die gemütliche Seite sehr ausgebildet. Ich wünsche übrigens, daß Sie ihm über diese Dinge nichts schreiben, Gefahr ist für ihn nicht dabei, er bereitet sich nur allerlei kleine Unannehmlichkeiten, die er leicht vermeiden könnte.

Die Magdeburger Wahl ist wieder einmal so eine kleine Herzerfrischung und wird unsere Gegner weidlich ärgern. Bei der Stichwahl werden wir 2000 bis 3000 Stimmen mehr erlangen, einesteils, weil wir neues Element in den Kampf reißen, andernteils, indem ein großer Teil der Arbeiter und Kleinbürger, die für den fortschrittlichen Kandidaten gestimmt haben, nunmehr mit uns geht.

Leider werden wir in den ersten Monaten des neuen Jahres wiederum eine Wahl haben. Bracke kann krankheitshalber sein Mandat nicht länger behalten und wird es zu Ende des Jahres niederlegen. An seiner Stelle soll Auer kandidieren, für den sich die Vertrauensmänner des Bezirkes entschieden haben.

Gruß und Handschlag von Ihrem

A. Bebel

Engels gab sich aber keineswegs geschlagen und antwortete mit folgendem Brief:

»London, 16. Dezember 1879.

Lieber Bebel!

Es ist mir unbegreiflich, wie Auer jetzt sagen kann, er habe unter anderem Most gemeint, da er ihn doch im Artikel möglichst deutlich ausschloß. Doch mag das auf sich beruhen.

In Nummer 10 des ›Sozialdemokrat‹ stehen ›geschichtliche Rückblicke‹, die unbedingt von einem der drei Sterne herrühren. Darin heißt es: ›Nur ehrend sei für die Sozialdemokratie der Vergleich mit Belletristen wie Gutzkow und Laube, also mit Leuten, die schon lange vor 1848 den letzten Rest von politischem Charakter zu Grabe getragen, wenn sie je einen hatten‹. Ferner: ›Die Ereignisse von 1848 mußten kommen, entweder mit allen Segnungen des Friedens, wenn die Regierungen den Forderungen der Zeit genügt hätten, oder – da sie dies nicht taten – blieb leider kein anderer Weg als der der gewaltsamen Revolution.‹

In einem Blatt, wo es möglich ist, die Revolution von 1848, die der Sozialdemokratie erst Tür und Tor öffnete, förmlich zu bejammern, in einem solchen Blatt ist kein Raum für uns. Es geht aus diesem Artikel und aus Höchbergs Brief deutlich hervor, daß das Dreigestirn den Anspruch erhebt, ihre im Jahrbuch zum erstenmal klar ausgesprochenen kleinbürgerlich-sozialistischen Anschauungen im ›Sozialdemokrat‹ als gleichberechtigt neben den proletarischen zur Geltung zu bringen. Und ich sehe nicht ein, wie Ihr in Leipzig, nachdem der Karren einmal so weit verfahren, ohne förmlichen Bruch dies hindern wollt. Ihr erkennt die Leute nach wie vor als Parteigenossen an. Wir können das nicht. Der Jahrbuchartikel trennt uns scharf und absolut von ihnen. Wir können nicht einmal mit den Leuten verhandeln, solange sie behaupten, sie gehörten mit uns zu derselben Partei. Die Punkte, um die es sich hier handelt, sind Punkte, die in jeder proletarischen Partei gar nicht mehr diskutiert werden können. Sie innerhalb der Partei zur Diskussion stellen, heißt den ganzen proletarischen Sozialismus in Frage stellen.

In der Tat, es ist auch besser, daß unter diesen Umständen wir nicht mitarbeiten. Wir würden in einem fort protestieren und in wenigen Wochen unseren Rücktritt öffentlich erklären müssen, womit der Sache doch auch nicht gedient wäre.

Es tut uns sehr leid, Euch in diesem Augenblick der Unterdrückung nicht unbedingt zur Seite stehen zu können. Solange die Partei in Deutschland ihrem proletarischen Charakter treu blieb, haben wir alle anderen Rücksichten beiseite gesetzt. Jetzt aber, wo die kleinbürgerlichen Elemente, die man zugelassen, offen Farbe bekannt haben, liegt die Sache anders. Sobald ihnen erlaubt wird, ihre kleinbürgerlichen Vorstellungen stückweise in das Organ der deutschen Partei einzuschmuggeln, wird uns dadurch dies Organ einfach verschlossen.

Die Eidesgeschichte rührt uns sehr wenig. Man hätte vielleicht, wie Sie wollten, einen anderen Weg finden können, der den unangenehmen Schein etwas beseitigte, aber viel liegt auch nicht daran. Die gewünschte Diskretion werden wir beobachten.

Die Malonsche Zeitschrift kann gut wirken, denn erstens ist Malon nicht der Mann, um viel Unheil anzurichten, und zweitens werden seine Mitarbeiter unter den Franzosen dafür sorgen, daß die Sache im rechten Fahrwasser bleibt. Wenn Höchberg da einen Boden für seine Kleinbürgereien träumt, wird er finden, daß er sein Geld weggeworfen.

Die Magdeburger Wahl hat uns sehr gefreut. Die Unerschütterlichkeit der Arbeitermassen in Deutschland ist bewundernswert. Die Korrespondenzen der Arbeiter im »Sozialdemokrat« sind das einzig Gute, was drinsteht.

Höchbergs Brief hierbei zurück. Dem Mann ist nicht zu helfen. Wenn wir nicht in der Gesellschaft der Zukunftsleute mitmachen wollten, so ist das persönliche Eitelkeit. Aber ein Drittel der Leute waren und sind uns noch dem Namen nach total unbekannt, und ungefähr ein anderes Drittel waren notorische Kleinbürgersozialisten. Und das nannte sich eine ›wissenschaftliche‹ Zeitschrift. Und Höchberg glaubt noch, sie habe ›aufklärend‹ gewirkt; Zeuge sein eigener, so merkwürdig klarer Kopf, der bis heute noch, trotz aller meiner Bemühungen, den Unterschied von kleinbürgerlichem und proletarischem Sozialismus nicht fassen kann. Alle Differenzen sind ›Mißverständnisse‹. Ganz wie bei den demokratischen Heulern von 1848. Oder aber ›übereilte Folgerungen‹. Natürlich, denn jede Folgerung ist übereilt, die dem Gerede dieser Herren einen bestimmten Sinn entlehnt. Sie wollen ja nicht nur dies sagen, sondern womöglich auch das Gegenteil.

Im übrigen geht die Weltgeschichte ihren Gang, unbekümmert um diese Weisheits- und Mäßigkeitsphilister. In Rußland muß die Sache jetzt in wenig Monaten zum Klappen kommen. Entweder stürzt der Absolutismus, und dann weht sofort nach dem Sturz der großen Reserve der Reaktion ein anderer Wind durch Europa, oder aber es gibt einen europäischen Krieg; und der begräbt auch die jetzige deutsche Partei unter dem unvermeidlichen Kampf eines jeden Volkes um die nationale Existenz. Solch ein Krieg wäre unser größtes Unglück, er könnte die Bewegung um zwanzig Jahre zurückwerfen. Aber die neue Partei, die daraus schließlich doch hervorgehen müßte, würde in allen europäischen Ländern frei sein von einer Masse Bedenklichkeiten und Kleinlichkeiten, die jetzt überall die Bewegung hemmen. Freundschaftlichst Ihr

F. E.«

Zwischendurch hatte ich eine Korrespondenz mit Vollmar, die sich wesentlich auf den »Sozialdemokrat« bezog. Ich schrieb ihm:

»Leipzig, 30. November 1879.

Lieber Freund!

Es wird wohl Zeit, daß die Expedition instand kommt; wir haben bisher bis zu Nummer 7 erhalten, aber alles merkwürdig spät. Woran das liegt, weiß ich nicht. Ist denn eine schnellere Beförderung nicht möglich? In Berlin sind bisher 4, 6 und 7 ausgeblieben; wenn das so fortgeht, verlieren wir diesen wichtigsten Posten. Ob man am Aufgabe- oder am Empfangsort fehlt, ich weiß nicht, darüber müßt ihr Recherchen anstellen. Ich warte diesmal auf die Eröffnung des Reichstages nur, damit eine Agitation möglich ist...

In bezug auf die Haltung des Blattes rate ich zum entschiedensten Ton; die Stimmung unserer Leute gravitiert immer mehr nach links. Die fortgesetzten Maßregelungen und die Erneuerung des Belagerungszustandes erbittern aufs höchste, und dieser Erbitterung verlangen sie Ausdruck zu geben. Ebenso empfehle ich, die französischen Bourgeoisrepublikaner preiszugeben. Ich bin der Ansicht, daß es für die französischen Sozialisten gar nichts Besseres geben kann, als wenn sie sich von den Radikalen trennen. Die Selbständigkeit der Arbeiterpartei, die wir in Deutschland stets mit aller Entschiedenheit vertreten haben, müssen wir auch den französischen Arbeitern anraten. Zudem müssen die Franzosen am besten wissen, was sie von den Radikalen zu erwarten haben. Ich traue den letzteren nicht über den Weg, sie haben sich gegen die Kommune alle ohne Ausnahme schuftig benommen.

Karl Hirsch hat gleich Ihre schwankende Haltung in diesem Punkte benutzt, um in einem Brief an L. Liebknecht. D. H. auf Sie loszuschlagen. Daraus haben Sie und wir uns nichts zu machen, da Hirsch jetzt am allerwenigsten ein kompetenter und unparteiischer Richter ist. Aber er hat nach meiner Überzeugung in diesem Punkte die große Mehrzahl unserer Genossen auf seiner Seite, und das müssen wir beachten.

Unsere Aufgabe muß es sein, die Franzosen, soweit unser Einfluß reicht, mehr und mehr nach links zu drängen, damit sie endlich zu einer wirklichen selbständigen Organisation kommen...

Noch einmal bitte ich Sie, daß die Expedition ihre ganze Sorgfalt auf rasche Lieferung vom deutschen Boden aus legt.

Herzliche Grüße an Sie, und alle Genossen.

Ihr A.B.«

»Leipzig, 5. Januar 1880.

Lieber Freund!

Heute gab es zwischen Hasenclever und V. Das V. kann Viereck bedeuten, aber auch Vahlteich. Bebel hatte zu dem V. schon den Namen Viereck geschrieben, ihn aber wieder gestrichen. Er traute offenbar seinem Gedächtnis in diesem Punkte nicht. D. H. einerseits und mir andererseits lebhafte Auseinandersetzungen über die neueste Nummer. Man fand dieselbe zu kraß, die ›Freiheit‹ noch überbietend und uns kompromittierend, indem sie zu Prozessen wie der in Hannover führe.

Ich kann nicht leugnen, daß einige Stellen im Gedicht wie in dem Artikel sich befinden, die sehr geeignet sind, einem erwischten Verbreiter einen Hochverratsprozeß an den Hals zu bringen. Dann wird der zweitletzte Absatz des Artikels ›Unsere Festtage‹ gehörig gegen uns ausgebeutet werden, und zwar im Reichstag. Jedenfalls haben Sie gezeigt, daß Sie, wenn's gewünscht wird, auch à la Hans schreiben können, und das mag die Nörgler beruhigen.

In Berlin herrscht der weiße Schrecken; alle unsere bekannteren Genossen stehen in einem Maße unter Beaufsichtigung, daß keiner mit dem anderen zusammenkommen kann. Vorläufig ist Berlin vollständig gesperrt. Man munkelt von starken Verschärfungen des Sozialistengesetzes; man wolle einen Paragraphen hineinbringen, wonach an jedem Ort ohne Belagerungszustand gefährliche Personen ausgewiesen werden könnten.

Sollte dies sich bewahrheiten und der Plan durchgehen, gäbe es eine großartige Schubserei, in erster Linie hier am Platze. Bringen Sie vorläufig öffentlich nichts, es könnte sonst der Plan einzelner sehr bald Fleisch und Blut erlangen. Überhaupt rate ich, alle Nachrichten, welche die Gegner stutzig machen könnten, möglichst zu vermeiden; es ist augenblicklich nicht gut, uns gefährlicher zu machen, als wir sind.

Ihr A. B.«

Am 23. Januar 1880 schrieb ich noch zu der Differenz zwischen Vollmar und Engels an letzteren:

»Lieber Engels!

Ich sende Ihnen beiliegend ein Schriftstück, das mir Vollmar schon vor einiger Zeit auf Ihren letzten Brief und Druckschrift übersandte und von dem er nachdrücklich verlangt, daß ich es Ihnen übermittle, was hiermit geschieht.

Ich lasse mich mit Ihnen in bezug auf das früher Vorgefallene in keine Polemik mehr ein; ich bin in einer Weise mit Arbeit beladen, daß ich meine keineswegs gute Laune nicht mehr durch fruchtlose Auseinandersetzungen verderben will. Mir brummt der Kopf wegen anderer Dinge; die lange und heftige Dauer der Krise bringt uns materiell in das härteste Gedränge, und dabei steigen die Anforderungen bei den vielen Ausgewiesenen und der Menge der Existenzen, die, durch das Sozialistengesetz aufs Pflaster geschleudert, nicht wissen, was sie anfangen, wovon sie leben sollen. Ich bin zum Zentralpunkt geworden, an dem all die Klagen und Anliegen zusammenlaufen, und da mögen Sie sich denken, in welche Stimmung man allmählich hineingerät...

Alles, was über Spaltungen in der deutschen Sozialdemokratie gesagt und geschrieben wird, ist, wenn wir von dem Fall Hasselmann absehen, der uns keine Kopfschmerzen macht, Schwätzerei. Eine Differenz, die hier oder da mal zwischen zwei Leuten ausbricht und zufällig mal in die Öffentlichkeit gelangt, wird von der gegnerischen Presse zu einem Spaltungs- und Zersetzungssymptom aufgebauscht, und man jubelt um so lauter, je mehr man das Unbehagen über die fortdauernde Aktivität der Partei zu vertuschen suchen muß. Alles, was Euch also in dieser Richtung in der deutschen Presse aufstößt, das betrachtet mit dem größten Skeptizismus.

Mit den besten Grüßen an Sie und Marx

Ihr A. Bebel

Das im Eingang dieses Briefes erwähnte Schriftstück war eine Darlegung Vollmars, worin er sich gegen Marx und Engels wegen deren Angriffe auf seine Redaktion verteidigte. Der Brief hatte das praktische Resultat, daß Engels mir einen Scheck von 10 Pfund Sterling für die Kasse schickte.


 << zurück weiter >>