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Vorwort des Herausgebers

Am 21. Juli des vorigen Jahres schrieb mir Bebel einen Brief aus Zürich, in dem er zunächst sein lebhaftes Interesse für eine Polemik bekundete, die ich damals führte, und dann fortfuhr:

»Ich habe eine letztwillige Verfügung getroffen und hoffe, Du bist damit einverstanden, daß, wenn ich zur großen Armee abberufen werden sollte, bevor der dritte Band »Aus meinem Leben« fertig geworden ist, Du die Herausgabe übernimmst, soweit das Manuskript druckfertig vorliegt. Ich habe noch wenig zu tun, so ist der Band bis mit 1882 abgeschlossen. Nachher geht's rascher.

Voraussetzung ist, daß an dem Manuskript keine anderen als nur stilistische Änderungen vorgenommen werden. Tatsächliche nur dann, wenn sich herausstellt, daß eine von mir angegebene Tatsache eine irrtümliche ist, die ich berichtigen müßte. Insbesondere sollen auch keine Namen noch lebender Personen, die ich nenne, unterdrückt oder abgekürzt wiedergegeben werden, soweit ich dieses nicht selbst im Manuskript getan habe. ... Da ich mit Wissen niemand unrecht getan habe und die historische Wahrheit erfordert, daß nicht gefärbt wird, so liegt kein Grund vor, an dem Niedergeschriebenen zu ändern.

Eine Weiterarbeit an dem Bande, falls er bei meinem Tode noch nicht fertiggestellt ist, durch Dich oder einen anderen halte ich für ausgeschlossen. ...

Ich bitte Dich, diesen Brief besonders sorgfältig aufheben zu wollen, zwecks Deiner Legitimation.«

Nach diesen Anordnungen ging Bebel in dem Briefe auf Sommerpläne und Familiensachen über, nannte sein Befinden zufriedenstellend, äußerte sich über einige Personalia aus der Reichstagsfraktion und schloß mit der Bemerkung:

»Ich arbeite jetzt am dritten Bande so, daß ich jeden Abschnitt druckfertig mache und dem übrigen Manuskript hinzufüge.«

Der ganze Charakter des Briefes deutete darauf hin, daß er doch noch hoffte, seine Erinnerungen selbst fertigzustellen, woran ihm ungemein viel gelegen war, und daß meine Bestimmung zum Herausgeber nur eine Vorsichtsmaßregel darstellte. Auch der nächste Brief an mich vom 29. Juli war voll von Interesse für die Gegenwart und ihre Polemiken, namentlich wegen der Haltung der Fraktion gegenüber den Steuervorlagen. Er äußerte sich da ähnlich wie in dem Brief, den Molkenbuhr auf dem Jenaer Parteitag verlas. Wohl beklagte er seine »Arbeitsunfähigkeit«, doch bezeichnete er als solche den »scheußlichen Zustand, eingreifen zu wollen und doch vor dem Kampf zurückschrecken zu müssen«. Es war seine Kampfunfähigkeit, die ihn bedrückte und die er der Arbeitsunfähigkeit gleichsetzte. Kämpfen und Arbeiten war ihm gleichbedeutend. Gleich darauf schrieb er aber in demselben Brief von seiner Arbeit für den dritten Band, die er nur für einige Wochen unterbreche. Auf eine Ausgrabung aus dem Jahre 1876, auf die ich ihn aufmerksam machte, antwortete er:

»Was Du über die Erklärungen und Angriffe in der »Berliner Freien Presse« schreibst, war mir unbekannt oder ich werde es, wie so vieles andere, gänzlich verschwitzt haben. Wieviel ich verschwitzte, erfahre ich täglich bei dem Studium der Papiere für den dritten Band.«

Das waren Bebels letzte Äußerungen an mich über den letzten Band seiner Erinnerungen. Sie zeigten ihn mitten in der Arbeit für dessen Vollendung. Zwei Wochen später weilte er nicht mehr unter uns, war er jeder Arbeit, jedem Kampfe entrückt. Sanft entschlief er, die Schmerzen eines langen Todeskampfes blieben ihm erspart: der einzige Trost in dem ungeheuren Schmerz des Abschieds für immer, der jeden von uns niederdrückte, auch wenn er nicht das Glück gehabt, Bebels persönlicher Freund zu sein; jeden, dessen Herz an unserer großen Sache hängt, die in Bebel ihren gewaltigsten und treuesten Vorkämpfer verloren hatte.

Sobald das Material aus Bebels schriftlichem Nachlasse in meinen Händen war, machte ich mich sofort daran, das Vermächtnis meines toten Freundes zur Ausführung zu bringen.

Meine Arbeit war, wie schon Bebel selbst angedeutet hatte, keine große; wesentlich nur die eines feilenden Redakteurs. Stilistische Unebenheiten wurden geglättet, wobei ich die Eigenart des Autors möglichst zu wahren suchte. Zitate und Daten wurden nach Möglichkeit mit den Originalen verglichen. In den zum Abdruck gebrachten Briefen waren aus Bequemlichkeit viele Personen nur mit dem Anfangsbuchstaben ihres Namens bezeichnet. Wo die Namen sich von selbst verstanden, habe ich sie ausgeschrieben. Wo nur große Wahrscheinlichkeit bestand, habe ich den Namen in einer Fußnote genannt. In einigen wenigen Fällen war es mir unmöglich, den Namen mit einiger Sicherheit festzustellen. Da blieb es bei den Anfangsbuchstaben.

Ebenso natürlich dort, wo Bebel absichtlich den vollen Namen verschwiegen hatte.

Nie dagegen kam ich in die Lage, einen voll ausgeschriebenen Namen nur andeuten oder gar verschweigen zu wollen.

Bebels strenge Vorschrift in diesem Punkte hatte mich stutzig gemacht. Sie sah so aus, als fühle er sich in rücksichtsloser Wahrheitsliebe gedrängt, Enthüllungen zu machen, die manchen angesehenen Genossen kompromittierten. Zu meinem Erstaunen fand ich nichts, das auch nur im entferntesten in dieser Weise wirken konnte. Vielleicht sollten die für einige Namen peinlichen Wahrheiten erst in den kommenden Ausführungen vorgebracht werden, die nun für immer begraben sind.

Zur Veröffentlichung habe ich nur gebracht, was an druckfertigem Manuskript vorlag. Für die Arbeit darüber hinaus hatte Bebel ein umfangreiches Material zusammengetragen. Briefe, Dokumente, Zeitungsausschnitte, Exzerpte, Flugschriften und dergleichen mehr. Das Material reicht bis zum Jahre 1890 und wird den Geschichtschreibern der Partei manchen wertvollen Fingerzeig liefern.

Ich erlaube mir, hier schon einen Passus aus einem Brief an Schlüter zu zitieren. Er behandelt den Elberfelder Prozeß. In meiner Besprechung der Wendelschen Bebelbiographie hatte ich bemerkt, der Prozeß und Bebels Rolle dabei scheine ziemlich vergessen zu sein. Wendel hatte ihn nicht erwähnt. In einer späteren Auflage hat er allerdings das Versäumte nachgetragen. Trotzdem dürfte es von Interesse sein, zu erfahren, was Bebel noch während des Prozesses selbst am 1. Dezember 1889 schrieb:

»Der Prozeß ist ein Skandal, wie noch keiner da war, eine Schmach und Schande für die Staatsanwaltschaft und Polizei.

Das ließen sich beide nicht träumen, daß das Hereinziehen meiner Person unter die Anklage ihnen dieses furchtbare Fiasko bereitete. Der Staatsanwalt hat schon am zweiten Tage sich privatim geäußert: Dieser Mensch verpfuscht mir den ganzen Prozeß, und die nächsten Tage wurde es noch schlimmer. Ich hoffe, daß der Prozeß für die allermeisten Angeklagten glücklich verläuft. Ein Teil fällt auf lokale Geschichten und wegen seiner Beziehungen zu Z. (Zürich) beziehungsweise Ld. (London) herein.

Ärgerlich ist nur die Masse Zeit, die er erfordert. Aber wenn ich überlege, daß die Angeklagten höchstwahrscheinlich wie Hammel abgeschlachtet wurden, wenn ich nicht dabei war, weil sie das Material nicht beherrschten, dann soll mich das Opfer nicht reuen.

Ich denke, es ist der letzte große Geheimbundprozeß, den sie in Deutschland aufspielen.«

Es war der letzte Prozeß dieser Art. Bald darauf fiel das Sozialistengesetz.

Daneben fand ich auch eine Reihe kurzer, handschriftlicher Notizen, die aber über die bloße Feststellung von Daten in wenigen Worten nicht hinausgehen. Ausführungen einzelner Partien sind nicht vorhanden, auch nicht solche in fragmentarischer Form. Außer dem hier veröffentlichten Manuskript vermochte ich nichts zu entdecken, das man als »Erinnerungen« Bebels hätte veröffentlichen können. Jede Hinzufügung zu dem druckfertig vorliegenden Manuskript wäre die Weiterarbeit eines andern an dem Bande gewesen, die sich der Autor, und mit Recht, verbeten hatte, denn alle derartigen Hinzufügungen konnten, auch wenn sie noch so einwandfrei waren, nicht als Erinnerungen Bebels gelten. Deren Weiterführung durch mich war ausgeschlossen. Ich habe mir nur erlaubt, da sie ganz unvermittelt abbrechen, ein abschließendes Nachwort anzufügen, in dem ich einige Briefe aus dem Briefwechsel zwischen Bebel und Engels mitteile, die sich zeitlich an die letzten Ausführungen des unterlassenen Manuskripts anschließen.

Meine Arbeit als Herausgeber war also nicht sehr groß. Weit größer der Genuß, den sie mir bot, schon dadurch, daß sie mir erlaubte, jene Zeiten nochmals zu durchleben, die das Heldenzeitalter unserer Partei bedeuten. Keiner, dem es vergönnt war, sie mitzumachen, kann ihrer anders gedenken als mit Stolz. Die jüngere Generation aber vermag aus der Erinnerung an jene siegreich bestandenen schweren Prüfungen Mut und Kraft zu schöpfen für die großen Kämpfe, die ihr bevorstehen. Denn das Schwerste liegt noch vor uns: die Eroberung der politischen Macht.

Bebels heißester Wunsch, uns dabei vorangehen zu können, ist unerfüllt geblieben. Aber was unsterblich war an unserem großen Vorkämpfer, das lebt in uns weiter und wird uns führen zu Sieg und Triumph!

Januar 1914
K. Kautsky


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