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VII.

Ein recht unheimliches, triumphirendes Lächeln lag auf den Zügen des Doctors, als er langsamen Schrittes den schmalen, von Weiden eingefaßten Feldweg eingeschlagen hatte, der von dieser Seite des Dorfes nach der großen Hamburger Landstraße führte.

»Das wäre also glücklich erreicht« sagte er leise vor sich hin, »und was hab' ich nun eigentlich dabei riskirt? Nichts, gar nichts; denn hätte der alte Schwachkopf darauf bestanden, den Schuldschein selbst zu lesen – aber ich hatte meine Zeit gut gewählt, es fehlte ihm ja auch die Brille, und dann verbot es ihm auch die Schicklichkeit – hätt' er indeß darauf bestanden – und Schlimmeres konnte mir ja nicht passiren – nun, die kleine Unübereinstimmung wäre eben nur ein Schreibfehler gewesen, weiter nichts, und ich hätte einen anderen Schein geschrieben. Allerdings, meinen Zweck hätt' ich heute nicht erreicht, aber anderseits wäre auch nicht der leiseste Verdacht in ihm aufgestiegen. – Jetzt gewinn' ich bei diesem geschickten Coup de hasard 9000 Mark Banco – ein artiges Sümmchen, meiner Treu! – Wäre nur er nicht dieser brutale Mensch, der keine Leidenschaft kennt als die Flasche, der für keinen anderen Antrieb ein Verständniß hat als seine eigenen viehischen Gelüste, dieser halb gezähmte Büffel, dieser ungeleckte Bär mit seinem derben Zutappen – den ich hasse und verabscheue – und der mir doch so unentbehrlich ist. – Von gleicher Theilung spricht er – oho! – nous verrons, mon cher frère! Doch nun winkt mir noch ein süßeres Geschäft, ein Geschäft der Rache! – Aber werde ich nicht auf einen hartnäckigen Widerstand stoßen – bei ihrer Sprödigkeit, ihrem maßlosen Stolz? Selbst das Verlangen, ihre Eltern vor dem äußersten Elend zu schützen – sonst ein herrlicher Köder – wird er stärker sein, als ihr Dünkel, ihr Hochmuth? – Wird sie gutwillig – pah! gutwillig oder nicht – ich will es, und eben der Widerstand ist es, der mich reizt. Ich werde ihr auf diesem Wege begegnen – und dann – nun wir werden sehen.«

Der Doctor war während dieses Monologs an einen tiefen, reißenden Mühlbach gelangt, der den Feldweg unter einem stumpfen Winkel durchschnitt. Ueber den Bach war eine schmale Brücke gelegt, die nur an der einen Seite mit einem Geländer versehen war. Er stand hier einen Augenblick still und musterte genau den vor ihm liegenden Weg, den er von hier aus auf eine ziemlich weite Strecke hin übersehen konnte. Da er Louise aber noch immer nicht erblickte, überschritt er die Brücke und ging noch langsamer als zuvor weiter. Bald wurde er indeß an der nächsten Krümmung des Weges eine Gestalt gewahr. Er konnte deutlich unterscheiden, daß es eine weibliche war, ja, er glaubte sogar Louisen zu erkennen – sie mußte auch endlich kommen – doch der Doctor war ein wenig kurzsichtig und deshalb seiner Sache nicht gewiß.

Louise ihrerseits – denn sie war es wirklich – erkannte den Doctor sogleich. Sie stand still, denn sie mochte überlegen, ob sie nicht umkehren solle; doch dann konnte sie nur auf einem sehr weiten Umweg nach Hause gelangen; auch wäre es eine Beleidigung gewesen, ihm so absichtlich, in so auffallender Weise auszuweichen. Und was konnte eine solche entschuldigen? Sie war ja durch nichts veranlaßt. Und nun ihre Eltern, deren Wohlthäter dieser Mann leider war! – Louise seufzte tief auf und ging ruhig ihres Weges weiter. Wir sagen ruhig, denn so schien es; aber ihr Herz pochte stürmisch. Eine seltsame Angst und Beklemmung bemächtigte sich ihrer, so oft sie mit dem Doctor zusammentraf und sein Blick mit jenem ihr unheimlichen, unerklärlichen Ausdruck auf ihr ruhte; was mußte sie nun erst fühlen, da sie ihm hier auf dem einsamen Feldweg, bei anbrechender Dunkelheit und allein unter vier Augen begegnete?

Auch den Doctor versetzte die bevorstehende Begegnung, trotz seiner großen Selbstbeherrschung, in einige Aufregung; man errieth es leicht aus dem lebhaften Mienenspiel seiner Züge. Indeß ging er, sobald er dem jungen Mädchen so nahe war, daß er sie deutlich erkannte, rasch auf sie zu.

»Ich danke dem günstigen Zufalle,« sagte er, indem er sie ehrerbietig grüßte, »der mir noch heute die Freude vergönnt Sie zu sehen, Fräulein Louise. Ich habe leider so selten Gelegenheit Ihnen – – –«

»Sie kommen von meinen Eltern, Herr Doctor?« unterbrach ihn Louise mit leicht zitternder Stimme.

»Ja, ich war kaum von meiner Reise zurückgekehrt, als ich zu ihnen eilte, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen, sowie auch nach dem Ihrigen, Fräulein Louise. Sie mögen daraus auf die Ungeduld schließen, die – – –«

»Sie sind sehr gütig, Herr Doctor, und ich danke Ihnen. Aber es ist schon spät und Sie haben noch einen weiten Weg vor sich bis zur Stadt; ich darf Sie nicht aufhalten; auf Wiedersehen also!« Sie machte eine freundlich grüßende Bewegung und wollte an ihm vorübergehen.

»O, für mich ist es noch nicht spät, mein Fräulein, und wenn Sie erlauben, daß ich Sie die kurze Strecke bis zu Ihrer Wohnung begleite. – – –«

»Bemühen Sie sich nicht Herr Doctor, ich bitte Sie,« sagte Louise, grüßte noch einmal und ging schnell weiter.

Aber es war nicht so leicht sich des Doctors zu entledigen. Er schritt ruhig und unbefangen neben ihr her, als habe sie seine Begleitung gar nicht abgelehnt; da aber von Seiten Louisens auf verschiedene seiner im süßesten Tone gelispelten Artigkeiten keine oder nur sehr einsilbige Antworten erfolgten, begriff er, daß er andere Saiten aufziehen müsse, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.

»Fräulein Louise,« begann er deshalb in feierlicher Weise, »was mich noch weit mehr als die bloße Pflicht der Höflichkeit angetrieben hat, Ihren Eltern heute noch meinen Besuch abzustatten, ist die innige Theilnahme, die ich für sie in ihrer bedrängten Lage empfinde. Glauben Sie mir, diese verursacht mir, dem treuergebenen Freunde, Kummer und Unruhe.«

Er hatte diese Worte in einem so eindringlichen, ernsten und aufrichtigen Tone gesprochen, daß sie die beabsichtigte Wirkung auf Louise nicht verfehlten.

»Mein Gott, Herr Doctor,« sagte sie, zu ihm aufblickend, »Sie erschrecken mich. Ist die Lage meiner Eltern noch schlimmer, als ich mir habe vorstellen können, dann, o bitte, sagen Sie es mir. Verhehlen Sie mir nichts, Herr Doctor.«

»Wenn Sie es wünschen, Fräulein Louise, will ich ganz offen mit Ihnen darüber sprechen.«

»Ich bitte Sie dringend darum.«

»Aber gehen Sie nicht so schnell, mein Fräulein; denn ich habe Ihnen Vieles zu sagen. – Die Lage Ihrer Eltern,« fuhr er seufzend fort, »ist – ich muß es gestehen – in der That sehr, sehr bedenklich.«

»Indeß hatte mein Vater noch eine letzte Hoffnung,« sagte Louise angstvoll, »o, mein Gott sollte auch diese nicht in Erfüllung gehen?«

»Welche Hoffnung, mein Fräulein?«

»Die, durch Ihre gütige Verwendung einen kleinen Posten zu erhalten. O, Herr Doctor, wenn Sie meinen schwer geprüften, unglücklichen Vater diese Wohlthat erweisen könnten!«

Und sie sah ihn mit einem flehenden Blick an, der wohl jeden Andern gerührt haben würde als den Doctor Schönfeld. Er empfand dabei Nichts, als wie schön sie sei, wenn sie bat.

»Ihr Herr Vater hat mich heute nach dem Stande dieser Angelegenheit gefragt,« entgegnete er zögernd.

»Und Sie haben ihm geantwortet?« fragte Louise mit peinlicher Spannung.

»Ich habe ihm diese letzte Hoffnung nicht rauben wollen, Fräulein Louise.«

»Sie wird also nicht in Erfüllung gehen?«

»Das sag ich nicht. Die Erfüllung derselben möchte aber – verstehen Sie mich recht – an eine Bedingung geknüpft sein.«

Der Doctor hatte dies in dem leisen, eindringlichen Tone gesagt, der nur ihm eigen war, wenn sie auch nicht im Entferntesten ahnte, worauf er anspiele.

»O, Herr Doctor,« sagte das unglückliche Mädchen, indem sie die Hand vor die Augen preßte, wie um ihre hervordringenden Thränen zurückzuhalten, »was soll noch aus meinen armen Eltern werden!«

»Beruhigen Sie sich, liebes Fräulein; so lange ich in der Lage bin, ihnen Hülfe leisten zu können – – –«

»Ach, wir verdanken Ihrer Güte schon zu viel, Herr Doctor, viel zu viel! Wie könnten wir Ihnen je lohnen, was Sie schon für uns gethan haben!«

»Sie, Fräulein Louise, könnten mir Alles, was ich gethan habe und noch zu thun bereit bin, tausendfach lohnen,« sagte der Doctor mit vor Aufregung leicht zitternder Stimme.

Louisen überlief bei diesen Worten ein kalter Schauder, sie erblaßte und wandte sich von ihrem Begleiter ab.

»Ich habe heute wieder Gelegenheit gehabt,« fuhr der Doctor fort »Ihrem Vater gefällig zu sein. Er bedurfte in sehr hohem Grade meiner Hülfe. Dem äußersten Mangel dürfen aber Ihre Eltern nicht preisgegeben sein. Nicht wahr, Fräulein Louise, das würde auch Ihnen das Herz brechen. Ich danke dem Himmel, daß es mir noch vergönnt war, sie davor zu schützen.«

In Louisens Seele war eine Ahnung aufgetaucht, die sie mit namenlosem Schrecken erfüllte. Warum hob er in so eindringlichen Worten die Armuth ihrer Eltern hervor, warum pries er in so unedelmüthiger Weise seine ihnen geleistete Hülfe? Konnte ihr über seine Absicht ein Zweifel bleiben? Der Athem stockte ihr; kaum vermochte sie die Worte hervorzustammeln:

»Wenn Ihnen meine aufrichtigste Dankbarkeit etwas gilt – – –«

»Sie gilt mir viel,« unterbrach sie lebhaft der Doctor, »sie gilt mir Alles! und – warum sollt' ich es nicht gestehen – ich habe darauf gerechnet; nicht weil ich glaube, den Lohn verdient zu haben, sondern weil es mich zum Glücklichsten der Menschen machen würde, ihn zu empfangen.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Louise angstvoll und verwirrt durch die heftige Leidenschaft, die sich in des Doctors Ton und Benehmen mehr noch, als in seinen Worten ausdrückte.

»Sagen Sie das nicht Fräulein Louise,« entgegnete er, »da Sie ja doch die Gefühle kennen, die ich für Sie hege. – Sie blicken zu Boden – Sie schweigen. Bedenken Sie, theuerste Louise, daß ich Sie mit aller Innigkeit geliebt habe, deren mein Herz fähig ist, seit ich Sie zum ersten Mal in dem Hause Ihrer Tante sah. – Sie erwiederten meine Gefühle nicht, und ich zog mich mit schwer erkämpfter Resignation von Ihnen zurück; aber ich liebte Sie darum nicht weniger. Ich hoffte, daß die Beständigkeit meiner zärtlichen Zuneigung endlich Ihr Herz gewinnen würde. Ich wagte später, um Ihre Hand anzuhalten. Ihre offen dargelegte Abneigung zwang mich zum zweiten Mal, auf die schönste Hoffnung meines Lebens Verzicht zu leisten; aber meine Liebe erkaltete nicht. Konnte ich auch an Ihrer Seite das geträumte Glück nicht genießen, so konnte ich Ihnen doch wenigstens in der Zeit der Noth und Drangsal eine hülfreiche Hand reichen, ich konnte Ihnen Gutes thun, indem ich Sie und mit Ihnen auch Ihre Eltern – der Dürftigkeit darf ich nicht sagen, denn das gestatteten mir ja nicht die obwaltenden Verhältnisse – aber der äußersten Noth entriß.«

Die zarte Gestalt Louisens hatte mehrmals heftig zusammengezuckt, während der Doctor sprach. Was er von seiner Liebe gesagt, konnte aufrichtig gemeint sein; sie hatte ja eigentlich keinen Grund, es zu bezweifeln. Jedenfalls aber enthielt die wiederholte Berufung auf seine den Eltern bewiesene Opferwilligkeit, so wenig angemessen sie auch den Begriffen eines edelgesinnten Mannes war, dennoch die reine Wahrheit; sie zeigte ihr nur zu deutlich die unermeßlich große Verpflichtung, die sie gegen ihn hatte.

»Wollen Sie von mir verlangen, Louise,« fuhr der Doctor in immer leidenschaftlicherem Tone fort, »daß ich hierbei stehen bleibe? Es hieße das Unmögliche fordern; es hieße, von der Liebe erwarten, was nur die Freundschaft leisten kann. Die Liebe aber ist egoistisch, sie kennt keine unübersteiglichen Schranken, sie hört nie auf zu hoffen. Ja, ich sag' es frei heraus, ich hab' auf Ihre Erkenntlichkeit gerechnet.«

»Ich verstehe jetzt« sagte Louise, mühsam nach Fassung ringend, »was Sie vorhin von einer Bedingung sprachen, und ich will Ihnen so aufrichtig antworten, wie Sie von mir zu erwarten berechtigt sind. Sie haben mir offen dargelegt, zu welch' großer Dankbarkeit ich gegen Sie verbunden bin – es wäre nicht nöthig gewesen; denn, Gott ist mein Zeuge, keinen Augenblick hatte ich es vergessen. Nun, mit derselben Offenheit will ich Ihnen sagen, in welchem Maße ich im Stande bin, diese Schuld abzutragen. Nein, unterbrechen Sie mich nicht, ich muß jetzt reden. Für meine unglücklichen Eltern kann ich Alles hingeben, was nur noch geblieben ist – meine Freiheit! – o mein Gott, es ist ja so wenig, für so viel! Ist es also, damit meine Eltern nicht an den Bettelstab kommen, nothwendig, erfülle ich damit die Bedingung, von welcher Sie sprachen, unter welcher allein ihre alten Tage vor Noth und grenzenlosem Elend geschützt werden können, so darf und will ich Ihnen meine Hand nicht verweigern, Doctor Schönfeld. Aber wie ich Ihnen aufrichtig meine Triebfeder nenne, die Kindespflicht und meine innige Dankbarkeit, so sage ich Ihnen auch offen und unverhohlen: mehr als meine Hand dürfen Sie nicht von mir erwarten, denn es ist Alles, was ich Ihnen bieten kann. Mein Herz – Sie wissen es ja – schlägt für einen Anderen und wird nie für Sie jene Liebe empfinden können, die Sie gegen mich zu hegen versichern. Kann Ihnen aber dieser Dank genügen, Doctor Schönfeld? Bedenken Sie, was eine Ehe ohne gegenseitige gleich innige Liebe ist! Nehmen Sie dafür den Segen meiner tiefgebeugten Eltern und meine wärmste, aufrichtigste Freundschaft; auch Ihretwegen bitte ich Sie darum!«

Des Doctors Augen funkelten vor leidenschaftlicher Erregung, während sie auf dem jungen Mädchen ruhten; ihre heftige Gemüthsbewegung schien ihm in ihrer Gestalt ihrer Haltung, ihren schönen, sprechenden Zügen neue Reize hervorzuzaubern, die seine Sinne berauschten. Feurig ergriff er die ihm gereichte Hand und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

»Sie nehmen die Sache von einer zu ernsten Seite, theuerste Louise,« sagte er, »ein so großes Opfer, als solches bezeichnen Sie es ja – fordere ich nicht. O geliebtes Mädchen, wenn Sie mich nur recht verstehen wollten!«

»Wie?« rief sie entsetzt, denn jetzt zum ersten Mal, aber mit Blitzesschnelle durchzuckte ein schrecklicher Gedanke ihre Seele. Sie entzog ihm ihre Hand und trat schaudernd ein Paar Schritte zurück. »Wie?« wiederholte sie, »ich hätte Sie unrecht verstanden?«

»Mein Gott warum erschrecken Sie denn so?« entgegnete der Doctor, ein wenig aus der Fassung gebracht durch die Heftigkeit des jungen Mädchens. »Hören Sie mich ruhig an, Louise! Sie sind in der That zu stolz – o, lächeln Sie nicht so verächtlich, ich wiederhole es, zu stolz in Anbetracht Ihrer Stellung im Leben, zu stolz in Anbetracht der verzweifelten Lage Ihrer Eltern, die nur von meiner Großmuth abhangen, viel zu stolz endlich einem Manne gegenüber, der es selbst in so hohem Grade ist, daß nur« – der Doctor ging hier wieder in den Ton der höchsten Verzückung über – »daß nur die Allgewalt einer verzehrenden Liebe ihn vermögen kann, einem Weibe zu Füßen zu sinken!«

Blaß und starr wie eine Marmorstatue stand Louise vor ihm. Aus ihren Wangen schien jeder Blutstropfen gewichen zu sein, ihre Lippen waren krampfhaft zusammengepreßt, ihre dunkeln Brauen gerunzelt, Entrüstung und Verachtung drückten sich in jedem ihrer Züge aus. Sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Der Doctor jedoch war nicht der Mann, sich durch die Majestät gekränkter Frauenwürde imponiren zu lassen. Er ergriff noch einmal die Hand der sich heftig Sträubenden und sank vor ihr auf die Kniee.

»Louise!« rief er mit vor Leidenschaft halb erstickter Stimme, »was ich von Ihnen verlange, ist ja nicht das Opfer eines ganzen Lebens, nur eine geringe Gunstbezeugung erflehe ich von Ihnen, seien Sie nicht grausam gegen denjenigen, der Sie so grenzenlos liebt, der Sie anbetet! Louise, hören Sie mich doch!« fuhr er fort, als sie gewaltsame Anstrengungen machte, sich von ihm loszureißen, »es hängt mehr davon ab, als Sie denken. Stürzen Sie nicht sich selbst und die Ihrigen in's Verderben, indem Sie mich auf's Aeußerste treiben – ich beschwöre Sie – Sie werden es bereuen!«

Aber Louise riß sich von ihm los und eilte der Brücke zu, von welcher sie nur wenige Schritte entfernt waren.

Er lief ihr nach und holte sie ein, bevor sie dieselbe noch erreicht hatte, umschlang mit seinem Arm ihre Taille und wollte sie an sich drücken. Mit fast übermenschlicher Anstrengung entwand sie sich seiner Umarmung und stand mit einem Satze auf der Brücke.

»Kommen Sie mir nicht nahe!« rief sie, indem sie sich auf der Seite, an welcher das Geländer fehlte, halb über das Wasser hinausbeugte, »oder bei Gott – –!«

»Louise,« sagte der Doctor mit vor Zorn und wilder Leidenschaft flammenden Augen, und indem er wieder seinen leisen aber schneidenden Ton annahm, »ein freundliches Wort von Ihnen – das schwöre ich Ihnen – kann die ganze Schuld tilgen, die Ihren Vater meiner Willkür überliefert, Ihr rasendes Benehmen aber entzieht ihm das letzte Stück Brod! Bedenken Sie, was Sie thun.«

»Und Sie haben auch nur einen Augenblick daran zweifeln können, Elender, der Sie sind,« rief sie mit einer Energie, die ihn zugleich mit Schrecken und Bewunderung erfüllte, »Sie haben daran zweifeln können, daß meine Eltern, auch wenn sie ihre jetzige Armuth mit allem Reichthum der Welt vertauschen könnten, diese nicht lieber mit Verachtung von sich weisen würden, als ihn um den Preis meiner Ehre zu erkaufen? Verstoßen würden mich meine Eltern, ihren Fluch würde ich auf mich laden, wenn ich fähig wäre, Ihren schändlichen Anträgen mein Ohr zu leihen; mich selbst aber würde ich verachten, tiefer noch, als ich Sie verachte, wenn ich noch länger die Schmach ertrüge, Sie anzuhören. Zurück, sage ich Ihnen, wenn Sie nicht meinen Tod wollen!«

In diesem Augenblicke ließ sich dicht neben der Brücke aus dem Gebüsch am Mühlbache ein Geräusch und dann ein heiseres Lachen vernehmen. Der Doctor wandte sich nach der Seite hin, von wo es ertönte; Louise aber ergriff die ihr so gebotene Gelegenheit, ihre Flucht zu bewerkstelligen. Sie lief, so schnell sie vermochte, und bald hatte sie ein kleines Hinterpförtchen erreicht, durch welches sie in den Garten ihrer Eltern schlüpfte.

Der Doctor aber stand wie angewurzelt, bald der fliehenden Louise nachsehend, bald grimmige Blicke dem Gebüsch zuwendend, aus welchem immer lauter das heisere, rohe Lachen erscholl. Die Zweige der Weidenbüsche wurden jetzt auseinander gebogen, und bald kam die stark geröthete Nase, dann der von Weindunst sichtbar eingenommene Kopf Martin's zum Vorschein, endlich seine ganze Person. Er machte einige Schritte auf den Doctor zu, stellte sich in eine theatralische Positur und rief, indem er den Arm in der Richtung ausstreckte, in welcher Louise davongeeilt war, mit groteskem Pathos:

»Johanna geht und nimmer kehrt sie wieder!«

worauf er abermals in ein schallendes Lachen ausbrach.

»Du bist's, Martin?« schnaubte ihn der Doctor wüthend an, »was soll's, was – – –«

»Ja,« unterbrach ihn Martin,

»ich bin's den Du genannt, bin's den jene Wälder kennen –«

er zeigte auf das Weidengebüsch –

»Bin's, den Mörder Bruder nennen,
Bin der Räuber Jaromir!«

»Verdammt seist Du mit Deinen Narrheiten!« rief der Doctor, vor Wuth mit den Zähnen knirschend und mit dem Fuße stampfend.

»O, August, Bruder, Goldherz,« entgegnete Martin, »warum dieses grimmige Gebahren? Sieh, das Stück ist zu Ende, Du hast meisterlich gespielt und wirst jetzt bei noch offener Scene gerufen und applaudirt. Bedanke Dich doch, wie sich's gebührt, bei mir, dem hochgeneigten Publikum.«

»Du bist berauscht« sagte der Doctor mit verächtlicher Miene und wandte sich von Martin ab.

»Nur leicht angesäuselt, Brüderchen,« betheuerte dieser, »angesäuselt ist der rechte terminus technicus; hab' eigentlich Nichts getrunken, als zwei Flaschen sehr guten Bordeauxwein, weiter nichts – das schwör ich Dir, Plump von Pommerland, bei Gott und Ritterehre! aber Du, Brüderlein, bist berauscht von Liebe, und das ist der höchste Rausch, in welchem man nicht selten heillos dumme Dinge begeht, ganz haarsträubend alberne Streiche – die aber zum Todtlachen sind – hahaha! O, Augustus, Du bist steinhageldick besoffen, sag' ich Dir! – Doch immerhin, Du hast famos gespielt – nein, nein, in vollem Ernst, Devrient und Davison mögen nur das Abcbuch der Mimik wieder zur Hand nehmen und bei Dir in die Schule gehen. Noch klingt es mir in den Ohren: ›Ein freundlich Wort von Ihnen, Louise, hätte die Schuld Ihres Vaters getilgt!‹ Siehst Du, das nenn' ich der Sache einen hochpoetischen Schwung geben, darin ist Effect, drastische Wirkung! Und wenn man nun bedenkt – so ganz ohne Souffleur – es ist erstaunlich!« –

»Ich möchte Dir rathen, Martin, nicht zu weit zu gehen« sagte der Doctor, seinem Bruder einen von Haß und Verachtung flammenden Blick zuwerfend, »Du kennst mich.«

»Ich kenne Dich, sagst Du?« fuhr der nicht einzuschüchternde Martin fort, »Ja, jetzt kenn' ich Dich; doch bisher hab' ich Dich nicht gekannt; hab' nie gedacht, daß in Dir ein erster tragischer Held stecke, der an jeder Hofbühne Furore machen müßte. Ja, jetzt kenn' ich Dich und gestehe Dir freimüthig, daß Du eine große, glorreiche Zukunft vor Dir hast. August sei kein Thor, nimm einen Freundesrath an, stelle Dein Licht nicht unter den Scheffel, laß es erglänzen als einen Stern erster Größe am dramatischen Himmel! Geh', laß Dich engagiren, tritt auf als Egmont, als Hamlet, Tell, Carlos, o laß mich die Freude erleben, Dich mit edler Begeisterung declamiren zu hören:

                   Heißes Blut
Ist meine Bosheit; mein Verbrechen Jugend.
Schlimm bin ich nicht, schlimm wahrlich nicht, wenn auch
Oft wilde Wallungen mein Herz verklagen –
Mein Herz ist gut.

Mit welchem hinreißenden Ausdruck innerer Ueberzeugung müßtest Du nicht diese Worte sprechen!«

Der Doctor mochte aus schmerzlicher Erfahrung wissen, daß sein Bruder, wenn er ein Paar Gläser Wein zu viel getrunken, in seiner spottlustigen Geschwätzigkeit kein Maß und keine Grenze kenne. Er hatte sich, während Martin sprach, auf das Brückengeländer gesetzt und, scheinbar ohne auf dessen Gerede zu achten, in dumpfes Brüten versunken starr vor sich hingesehen. Nur hin und wieder ertönte aus seinem Munde, wenn in Martin's Suada eine kurze Pause entstand, ein zorniges: »Verflucht,« oder »Elender Trunkenbold!«

»Ich will Dir was sagen, August« fuhr sein Peiniger fort, indem er sich vor ihn hinstellte, »die Scene war – hol' mich der Geier – göttlich! nur hättest Du hie und da einige passende Citate einflechten können; es nimmt sich gut aus und ist von glänzender Wirkung. Würdest Du mir von der Sache etwas gesagt haben, so hätten wir erst eine Probe gehalten und das Ganze hätte dadurch mehr Schliff und Rundung gewonnen. Du würdest z. B. gesprochen haben:

So laß, o Göttliche, mich denn Dir sagen,
Daß alle meine Pulse für Dich schlagen,
Daß Du geliebt wirst wie kein Weib auf Erden!
Für meinen Sieg, will ich Dein Sklave werden!

Ich aber hätte auf der Guitarre, unter meinem grünen Laubdache versteckt, nach Art der Troubadoure, einige begleitende, schmelzende Accorde dazu ertönen lassen. Gesteh', es wäre entzückend gewesen. Wir hätten dann auch für einen Blumenstrauß gesorgt, der bei solchen Gelegenheiten unerläßlich ist. Ich habe Dir einen im Gebüsch gepflückt, sieh her« – er erhob einen Gabelzweig, in den er einige Blumen eingeklemmt hatte, und hielt den Doctor diese unter die Nase – »es sind nur Hundskamillen und Gänseblümchen; ich konnte in der Eile keine anderen finden. Die wollte ich Dir gerade ganz verstohlen zureichen, als es – leider! – zu spät war.«

Der Doctor mochte für die ihm zugedachte Gabe keine besondere Dankbarkeit empfinden, denn er schlug den Zweig mit den Blumen, die ihm Martin, wie ein Ballettänzer auf einem Beine balancirend, dicht vor das Gesicht hielt, zornig bei Seite und blickte seinen Bruder drohend an.

»Ei, warum in drei Teufels Namen wirst Du denn so böse?« fragte Martin. »Zwar hab' ich mir oft gewünscht, den Mann mit dem vernichtenden Blick zu sehen, wie er sitzt auf den Ruinen von Carthago; jetzt wünsch' ich es nicht mehr! Doch nun will ich Dir auch gestehen, Brüderchen,« fuhr er nach einer Pause fort, »weshalb ich eigentlich gelacht habe. Sieh, ich dachte mir, in welchem Costüm Du Dich wohl eigentlich am schönsten ausnehmen möchtest, ob als arkadischer Schäfer – Damon etwa, vor seiner Phyllis knieend – mit dem Hirtenstabe und der unvermeidlichen Flöte; oder als gepanzerter Ritter – der tapfere Durandarte im Staube vor der Dame Belerma – oder endlich im spanischen Mantel und dem Federbarret – Carlos zu den Füßen der Königin? Aber das Alles verwarf ich; als Amor, sagte ich bei mir selbst, müßte mein Brüderchen am reizendsten sein. Ganz Tricot – gekräuselte Locken – hinten regenbogenfarbige Flügel – ein leichter Umwurf von rosenrothem Musselin – passend angebracht – aber sonst, wie Du aus der Schöpferhand der Natur hervorgegangen bist! Sieh, August, da mußte ich lachen, ich konnte mir wahrhaftig nicht helfen; ich hätte mir einen inneren Schaden zugefügt, wenn ich nicht gelacht hätte.«

»Wirst Du endlich schweigen, Martin?« sagte der Doctor, kirschroth vor zurückgehaltener Wuth. »Meine Geduld ist jetzt zu Ende.«

»Ich werde schweigen, August,« entgegnete Martin, »aber nur unter einer Bedingung. Versprich mir, Dich zu meinem Geburtstag für mich photographiren zu lassen – versteht sich – als Amor. Deine Hand darauf?«

Des Doctors Geduld war, wie er gesagt hatte, wirklich zu Ende. Mit einem »Himmelkreuzdonnerwetter!« sprang er auf und wollte entfliehen; aber Martin faßte ihn hinten am Rockschoß und hielt den vor Wuth Schäumenden zurück.

»Max, bleibe bei mir!« rief er mit dem Ausdruck der innigsten Rührung. »Geh' nicht von mir, Max!«

»Es kann nicht sein, ich mag's und will's nicht glauben,
Daß mich der Max verlassen kann!«

Der Doctor war offenbar unschlüssig, ob er seinen Rockschoß im Stiche lassen, oder sich noch ferner den Folterqualen unterwerfen solle, die ihm sein unbarmherziger Peiniger auferlegte. Er entschied sich nach einem kurzen, aber entsetzlichen Kampfe für das Letztere und nahm seufzend und stöhnend seinen früheren Platz auf dem Geländer wieder ein.

»Martin,« sagte er, sich mühsam bezwingend, um einen einigermaßen ruhigen Ton anzunehmen, »wenn es möglich wäre, vernünftig mit Dir zu reden, so hätt' ich Dir wohl etwas zu sagen.«

»Sprich, mein Fürst,« versetzte Martin, »Dein Sklave ist ganz Ohr.«

»Du hast gesehen, in welch' verächtlicher Weise mich das Mädchen zurückwies.«

»Ja, beim Jupiter! ich hab's gesehen und will's vor der Mit- und Nachwelt bezeugen. Sie hat Dir ihr: ›bis hierher und nicht weiter!‹ in so unzweideutiger Manier zugerufen, daß mir der letzte Zweifel über ihre wahren Gefühle benommen wurde. – Wahren Gefühle? Hab' ich gesagt: Gefühle? Ich nehme das unbedachte Wort zurück. Sie kennt kein Gefühl, ihr Herz ist wie der harte Kiesel; es birgt keine menschliche Empfindung!«

»Du wirst nicht von mir denken, Martin, daß ich diese kränkende Behandlung ungerächt lasse.«

»Nein, Rache, furchtbare Rache! – Und zähle dabei auf mich. Bedarfst Du meiner zur bestimmten That, dann ruf' den Tell; es soll an mir nicht fehlen! – und dann, Verderben, gehe deinen Gang! Doch halt!« Er stellte sich dicht vor seinen Bruder, legte diesem beide Hände auf die Schultern und sah ihm ernst und forschend in's Gesicht. »Malvolio, sag', bist Du wirklich verrückt, oder stellst Du Dich nur so?«

»Laß' doch zum Henker die Possen!« rief erbittert der Doctor.

»Possen,« wiederholte Martin; »das sagst Du Niemand, als dem Fiesko! Possen? Ich mache keine. Ich calculire ganz richtig so: bist Du verrückt, so etwa im siebenten oder zehnten Stadium des hellen Wahnwitzes, so recht außer Rand und Band, wie man zu sagen pflegt, dann würd' ich vergeblich ausleeren der Worte Köcher und erschöpfen der Bitten Kraft! Stellst Du Dich aber nur verrückt, so würd' ich Dir sagen, daß der Schuldschein, den Du so eben noch, einem freundlichen Blick Deiner Herzensdame zu Liebe, in ein Nichts zerfließen lassen wolltest wie einen schönen Traum, daß dieser Schuldschein, mein' ich, doch immer die Hauptsache bleibt.«

»Den Schuldschein hab' ich bei mir,« sagte der Doctor. Martin sah' ihn zweifelnd an. »Carlos!« sagte er,

»Sie spielen falsch, gestehen Sie, Sie wollen
In dieser Schlangenwindung mir entgehen!«

»Ich könnt' ihn Dir zeigen,« betheuerte der Doctor.

»Thu's, und ich schwöre Dir den Vasalleneid.«

»So laß aber endlich die Komödiantenspäße, und laß uns vernünftig reden.«

»Komödiantenspäße?« sagte Martin. »Sieh, August, ich war einst Mime im edelsten Sinne des Wortes; denn ich war es aus innerem, unwiderstehlichen Drange, nicht des schnöden Goldes halber. Ich fühlte den Beruf und die Befähigung eines Roscius, eines Garrick in mir; ja halte es nicht für Selbstüberhebung, wenn ich die Behauptung ausspreche, daß Roscius und Garrick, im Vergleiche zu dem, was ich hätte sein können, nur dumme Jungen und erbärmliche Stümper waren. Was aber hemmte meinen Siegeslauf? Soll ich's Dir sagen? Ich fand kein entsprechendes Publikum! Ja, das war mein Unglück. Der Sinn für dramatische Kunstleistung ist in unserem materiellen Jahrhundert leider tief gesunken! – Und dann, Brüderlein, sieh, was noch schlimmer war, Neider und Mißgünstige nagten wie giftiges Gewürm an der Palme meines Ruhmes. Sie sagten, daß ich zwar die Naturburschen vortrefflich spiele, jedoch nur in der Kneipe; und daß ich die Rolle eines Betrunkenen unübertrefflich gebe, jedoch nur, wenn ich drei Flaschen Wein zu mir genommen hätte – und, Du wirst es nicht für möglich halten, aber es ist die lautere Wahrheit, das Publikum war so blitzdumm, ihnen Alles auf's Wort zu glauben, und – pfiff mich schmählich aus! Das kränkte mich sehr, denn das ist die Stelle, wo ich sterblich bin! Ich schwor, mich zu rächen an meinen Mitmenschen, und ich hielt meinen Schwur: denn ich verließ das Theater! Das war grausam, wirst Du sagen; doch gesteh', Augustus, es war gerecht. Ich beschloß, meine großen Gaben auf einen empfänglicheren Boden zu verpflanzen, ich ging nach Amerika, ein freier Mensch zu werden in dem freien Lande. – Bruder,« schloß er in einem bewegten Tone, »Du hast schmerzliche Erinnerungen in mir erweckt; Du thatest Unrecht.«

Martin zog das Schnupftuch aus der Tasche und machte eine Pantomime, als wische er sich die Thränen aus den Augen. Auch der Doctor zog das Schnupftuch; aber es geschah, um die wirklich vorhandenen hellen Tropfen wegzuwischen, die ihm Aerger und Ungeduld ausgepreßt hatten, und die ihm in reichlicher Menge über Stirn und Wangen rannen.

»Ja, Du thatest Unrecht,« wiederholte Martin, »doch jetzt, Vater, laß genug sein des grausamen Spiels; zeig' mir den Schuldschein.«

»Hier ist er,« sagte der Doctor, indem er ein Papier aus der Brieftasche zog, die er schon seit einigen Minuten in der Hand hielt.

»Täusche mich nicht, mein guter Philemon,« entgegnete Martin, »dieses Papier könnte eine miserable Schneiderrechnung sein, und wisse, hast Du mich belogen, dann – ich schwör' es beim Styx – dann lade ich Deine zwei Augen in eine Windbüchse und schieße Sperlinge damit!«

»Nun, in des Teufels Namen, lies,« sagte der Doctor, indem er das Document entfaltete und es dem Bruder so nahe hielt, daß er es lesen konnte.

»So seh' ich Nichts!« rief dieser, indem er schnell dem Doctor den Schuldschein entriß.

»Was thust Du, Rasender?« schrie der Doctor aufspringend, und indem er vor Wuth und Entrüstung mit dem Fuße stampfte.

»Was ich thue?« sagte Martin, plötzlich sehr ernsthaft werdend. »Ich will's Dir sagen, mein Bürschchen. Dieses Papier zerreiße ich vor Deinen Augen in Millionen Stücke, wenn Du mich nicht ruhig gewähren lässest. Also, Freund August, wappne Dich mit Geduld, umpanzere Dich mit Sanftmuth, verschlucke Deinen Aerger, gesticulire nicht wie ein Hampelmann und halte Dein Maul.«

Mit großer Ruhe begann er nun die Schuldverschreibung zu lesen, während ihm der Doctor zähnefletschend und vor Wuth an allen Gliedern zitternd zusah.

»Alles in bester Form,« sagte Martin, »ich Endesunterschriebener u. s. w. u. s. w. – die alte Leier – laß sehen, hier kommt's – die Summe von 1000 Mark Banco, geschrieben zehn tausend Mark Banco – brav, Moritz, Du bist ein großer Mann, oder es hat ein blindes Schwein eine Eichel gefunden! Da bedarf es nur der Hinzufügung einer armseligen Null, und es heißt klar und deutlich: 10000 Mark, geschrieben zehn tausend Mark. Die Sache wär' also in Ordnung.«

»So gieb mir den Schein zurück!« sagte befehlend der Doctor.

»Warum?« fragte Martin.

»Warum? Weil ich es will, weil Du mußt.«

»Muß? O bedenke, daß Carlos nicht
Gesonnen ist zu müssen, wo er zu wollen hat!.«

Mit diesen Worten steckte Martin höchst gelassen den Schein in die Brusttasche und knöpfte seinen Rock zu.

»Was soll das heißen?« rief der Doctor wüthend.

»Das soll heißen,« entgegnete Martin ruhig, »daß ich, wenn ich auch berauscht bin, wie Du so freundlich warst zu bemerken, meine fünf Sinne immer noch einigermaßen beisammen habe, während Du, wenn auch nüchtern, der größte Tropf und Faselhans Deines Zeitalters bist. Auf Deinen subtilen Geist und Deine Erfindungsgabe, Deine Schlauheit und Keckheit gebe ich so viel« – hier schlug er ein Schnippchen – »da Du bei dem Allen Esel genug sein kannst, um für das Lächeln eines Mädchens, das Dich noch dazu als einen übergeschnappten Gecken auslacht, Alles zu opfern, wonach Du so lange gerungen hast, und woran ich auch meinen Antheil habe. Sieh, edler Lord, Du könntest wieder einen solchen Raptus bekommen, denn

Mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew'ger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.

Darum hab' ich mich, so weit möglich, vor den Folgen sicher gestellt, und ich vergönne Dir zehn Jahre Zeit, fern von Madrid darüber nachzudenken.

Damit wären denn unsere Geschäfte erledigt, und jetzt:

Sag', was werden wir nun beginnen,
Da die Fürsten ruhen vom Streit,
Auszufüllen die Leere der Stunden
Und die lange, unendliche Zeit?

Hier unter dem Sternenzelte die Nacht verbringen, möchte uns einen Schnupfen zuziehen, also schlage ich vor, daß wir hinüber ins Wirthshaus gehen. Sie haben da ganz trinkbaren Wein.«

Es würde sehr schwer sein, die Mimik zu schildern, in welcher sich die Leidenschaften ausdrückten, die des Doctors Inneres durchbebten. Ein Paar Mal, während Martin sprach, hatte es den Anschein, als wolle er sich mit der Wuth eines gereizten Tigers auf seinen Gegner stürzen, ihm die Beute wieder zu entreißen. Doch, er mochte überlegen, daß er dem ebenso robusten als entschlossenen Martin durch gewaltsame Maßregeln Nichts würde abtrotzen können, und so machte er denn, so gut es gehen wollte, gute Miene zum bösen Spiel.

»Es mag d'rum sein,« murmelte er zwischen den fest zusammengepreßten Zähnen, »behalte den Schuldschein, da Du es so willst, bis ich das Geld werde eincassiren können.«

»Wobei ich aber, mit Deiner gütigen Erlaubniß, zugegen sein werde, um sofort meinen Antheil in Empfang zu nehmen.«

»Deinen Antheil wirst Du empfangen, Martin, wenn Du mir behülflich sein wirst, meinen Racheplan auszuführen.«

»Richtig, die Rache! die hätt' ich fast vergessen. Wie wär' es, Herzensbrüderchen, wenn wir die Unholdin von Saverns Zinnen rücklings in den Abgrund schleuderten? Oder entspricht es mehr Deinem Geschmack, dann wollen wir den Ocean vergiften, daß sie aus allen Quellen den Tod trinkt.«

»Kannst Du denn gar nicht zu Ende kommen mit Deinen verdammten Narrheiten? Komm Martin, laß uns gehen und die Sache ernsthaft mit einander besprechen.«

»Ja, komm,« entgegnete Martin, indem er seinen Arm unter den seines widerstrebenden Bruders schob,

»O Carl, wie süß,
Wie groß ist dieser Augenblick – Ich bin
Mit Dir zufrieden!«

Und die beiden Brüder gingen schnell in der Richtung nach Hamburg von dannen.



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