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II.

Nachdem der Graf einige der empfangenen Briefe erbrochen und schnell durchflogen, dann aber wie gewöhnlich, die Zeitungen laut gelesen hatte, bot er seinem Gaste eine Partie Schach an, denn, sagte er, die Damen seien heute Abend so einsilbig, daß man auch nicht einmal Whist mit ihnen spielen könne.

Der Leser wird wahrscheinlich öfters schon Gelegenheit gehabt haben, zwei Personen bei einer Partie Schach zu beobachten; nun gut, es bedarf alsdann keiner weitern Begründung unsers Vorschlags, uns ganz leise und unbemerkt zur Thür hinaus zu stehlen, um unsere Unterhaltung anderswo zu suchen. Sehen wir uns nach unserm Freunde Jacob um, von dem wir gern glauben möchten, daß er dem Leser kein ganz gleichgültiges Individuum sei.

Wir wissen, daß der ehrliche Jacob kein großer Freund des festen Landes ist. Hier von hohen Bergen rings eingeschlossen, hatte er anfänglich entsetzlich an der Landkrankheit gelitten, von der er behauptete, daß sie in ihm ein noch wabbelicheres Gefühl errege, als bei den Landratten die Seekrankheit. Man hatte ihn oft beobachtet, wie er augenscheinlich in düstere Betrachtungen verloren, einherging – wobei er instinctmäßig den Wind beobachtete und vor demselben hinlief oder gegen ihn lavirte – wie er dann plötzlich wieder stillstand und indem er fremdartig klingende Flüche ausstieß, bald seinen blanken Seemannshut vorn anfaßte und dann mit einem kräftigen Ruck rundum drehte, bald seine weiten Schifferhosen in die Höhe zerrte, oder andere nicht minder merkwürdige Dinge verrichtete.

Es waren dies seine herbsten Augenblicke, denn er dachte mit tiefem Kummer an den stattlichen Albatros, den sein Herr in einem Anfall von Geistesverwirrung – so schien es ihm – zu Rotterdam sammt der Ladung und Allem, was »daran bimmelte und bummelte,« verkauft hatte. Er unterließ dann nie, alle Frauenzimmer recht inbrünstiglich zu verwünschen; denn diese waren seiner Ueberzeugung nach die Urheberinnen dieses Unglücks, wie überhaupt alles Jammers und Elends, worunter die Menschheit seufzt.

Dann hatte man wieder beobachtet, wie er aus der rechten Brusttasche seiner Schiffsjacke eine kleine Ladung Kautaback hervorholte und in den linken Mundwinkel schob, und dann, wie sich plötzlich ermannend und, indem er ein lustiges Matrosenlied vor sich hinbrummte, nach dem Ufer hinunterschlenderte, wo sich am Ende des Parkes die kleine Schiffbrücke befand und daneben der Schuppen, in welchem die Boote lagen. Er hatte deren Tauglichkeit in jeder erdenklichen Weise erprobt, sie schließlich an's Land gezogen und umgekehrt, den Kiel nach oben; dann hatte er sie vom Spiegel bis zum Bordersteven genau gemustert, indem er oft bei dieser Beschäftigung halb mitleidig, halb verächtlich lächelte, oder in einem Zustande gelinder Verzweiflung sich den Kopf kratzte.

Dies waren übrigens für Jacob Augenblicke verhältnißmäßiger Seelenruhe, in welchen die Hoffnung wieder in seinem Herzen auftauchte und ihm zuflüsterte, sein Capitain werde doch am Ende die Frauenzimmergrillen fahren lassen und, seinem Berufe folgend, wieder frischen Muthes unter Segel gehen.

Die Familie des Grafen Landeck, namentlich aber Comtesse Amalie, bezeugte dem braven Bootsmann alle Achtung und freundliche Theilnahme, deren er würdig war, und hatten sämmtlich auf Mittel und Wege gedacht, wie sie wohl sein krankes Gemüth am besten heilen könnten. Da war nun eines Tages der Comtesse Amalie eine glückliche Inspiration gekommen, und sie hatte sich beeilt, ihren Liebling aufzusuchen. Sie fand ihn, wie er eben auf dem Kiele eines der umgekehrten Boote hockte und, ohne wohl selbst recht zu wissen, was er that, mit einer abgebrochenen Ruderpinne an die Planken desselben trommelte, wobei er mit gar trübseliger Miene über die Wasserfläche des kleinen Sees hinausspähte, mehr als gewöhnlich den Kopf schüttelte und den breitrandigen Hut hin und her schob.

Ein eigenthümlicher Zug um seinen breiten Mund – man hätte ihn, unterstützt von einer lebhaften Phantasie, für ein freudiges Lächeln halten können – verlieh seinem harten wettergebräunten Gesichte einen über aus drolligen Ausdruck, als er die Bitte der jungen Dame gehört hatte. Diese ging, wie wir wissen, auf nichts Geringeres aus, als daß Jacob das größte der Boote in ein Segelboot umwandeln möge, da sie des langsamen Ruderns überdrüssig, ein großes Verlangen darnach trage, einmal ordentlich zu segeln.

»Nun, mein schönes junges Fräulein,« hatte Jacob erwiedert – das Wort Comtesse fand sich nicht in seinem Wörterbuche – »wenn ich das nicht zu Stande bringe und den alten Kasten da mit neuen Inhölzern und sauberer Takelage binnen acht Tagen fix und fertig herstelle, so will ich nichts dagegen haben, daß Sie mich für einen nichtsnutzigen alten Seehund halten, der ein Vorbram- von einem Bramkreuzsegel nicht zu unterscheiden weiß. Oho!« hatte er dann in sich hineinlachend hinzugefügt, »wird'n kurioses Segeln werden auf dem Hut voll Wasser da, und die Landratten werden Augen machen!«

Eine Stunde später schon konnte man unter dem Schuppen ein gewaltiges Hämmern, Klopfen, Sägen und Feilen vernehmen, begleitet von einem eigenthümlichen Brummen, das ungefähr so klang, wie die traulichen Herzensergüsse eines in glücklichen Familienverhältnissen lebenden und deshalb sehr gut gelaunten Bären klingen mögen.

Von diesem Tage an war Jacob so umgewandelt, wie das alte Ruderboot es zu werden versprach, und seine Landkrankheit ging allmählig in einen Zustand physischen und moralischen Wohlbehagens über. Er zeigte sich sogar gegen die Dienstboten des Hauses leutselig und gesprächig, und das war ein untrügliches Zeichen, daß der Barometer seiner Laune auf »schön Wetter« stand; denn gegen Alles, was Domestiken heißt, hatte er stets eine schwer zu verhehlende, durchaus nicht zu überwindende Abneigung empfunden, besonders aber gegen solche, die Livréen trugen. Sie waren in seinen Augen herabgewürdigte Geschöpfe, und die Livrée das äußere Merkmal ihrer Schande. Sich mit ihnen auf eine gleiche Stufe socialer Werthschätzung zu stellen, würde er für eine Selbstbeleidigung gehalten haben, für die er sich hätte ohrfeigen müssen. Sogar für den Haushofmeister, einen ältlichen Mann, der sich eine gewaltige Wichtigkeit beilegte und dessen Autorität in der Küche wie im Bedientenzimmer der vollsten Anerkennung sich erfreute, hegte er keine bessere Meinung, seitdem er ihn bei Gelegenheit eines solennen Diners in einen grünen Rock gekleidet gesehen hatte, auf dessen Kragen mit Gold etwas gestickt war, das er für Salatblätter gehalten hatte, obgleich es in Wirklichkeit Eichenlaub war.

Jedoch nur gegen die männlichen Domestiken hegte Jacob eine so große Abneigung, gegen die weiblichen zeigte er eine Courtoisie, die seiner ritterlichen Denkweise alle Ehre machte. Der gute Bootsmann hatte sich in Betreff seines Herrn und der Comtesse Amalie gewisse Voraussetzungen gebildet, aus denen sich hinwiederum gewisse Folgerungen und gewisse Conclusionen ziehen ließen, die ihm nichts weniger als unerfreulich erscheinen mußten, denn so oft er in seinem Gedankengange bis zu diesem Punkte gekommen war, hatte er mit der geballten rechten Faust in die flache linke Hand geschlagen und dabei mit der fröhlichsten Miene von der Welt gesagt: »Blixem! so muß es kommen: und dann zur See!«

Durch weitere Ideenverbindungen war er endlich zu dem weisen Schlusse gelangt, daß er seinerseits nichts Gescheiteres thun könne, als sich um die Gunst der Köchin, Mamsell Babette zu bemühen, und es zeigte sich bald, daß er sich bei Erstrebung eines so schönen Zieles keineswegs einer leeren Illusion hingegeben hatte; denn kaum hatte Mamsell Babette die geheimen Gedanken des Seemanns errathen, als sie auch sofort begann, ihm – so weit es ihre streng sittlichen Grundsätze erlaubten – jede Ermunterung zu Theil werden zu lassen.

Jacob hatte, als er diese wichtige Frage in der tiefsten Tiefe seiner Seele erwog, die Eigenschaften Babettens folgendermaßen bezeichnet und festgestellt – wofür wir ihm Dank wissen, denn er hat uns dadurch der Mühe überhoben, selbst eine Schilderung der Dame zu entwerfen –: »Rumpf: etwas voll um den Bug herum – wie bei den holländischen Schmacks – gehen tief – keine Schnellsegler – aber sonst nicht uneben; Takelage und Segelwerk: complet; Ladung: nach Umständen – so, oder anders; Alter: läßt Nichts zu wünschen übrig.« Diese letzten Worte sind – wir gestehen es – ein wenig unklar, und wir können, um dem Leser zur Deutung derselben einen Fingerzeig zu geben, nur das eine Factum anführen, daß Mamsell Babette das vierzigste Jahr bereits überschritten hatte.

Ein Jeder hat seine Art und Weise, seine Gefühle zu äußern, und Freund Jacobs Art und Weise war, wie sich erwarten läßt, nicht gerade die gewöhnlichste. Erst verrieth er die zarte Regung seines Herzens dadurch, daß er fleißig auf den Forellenfang ausging und die erbeuteten Fische in einem eigenhändig aus Weiden geflochtenen Korbe der Köchin überreichte. Später bezeugten wiederholte Spenden von Krebsen und Aalen die wachsende Zärtlichkeit seiner Neigung, dann folgten sehr umfangreiche Sträuße von Wasserlilien und Callas als weitere Kundgebungen der ihn verzehrenden Liebesgluth.

Ein wunderbares Glucksen in seiner Kehle, sowie ein gewisses Zwinkern seines linken Auges, begleitet von dem Hintenauskratzen des rechten Fußes, waren jedesmal der Ueberreichung solcher Gaben vorausgegangen, und dann war eine Anrede gefolgt, wie z. B.: »Scharfer Nordnordostwind heut' – hm – wird aber nicht stehen bleiben – springt schon wieder um, Mamsell Babette, springt schon wieder um.«

Einmal, als er zu den Krebsen und Aalen auch noch einen schönen Hecht gefügt hatte, war der brave Bootsmann so weit gegangen – er wußte später selbst nicht, woher ihm nur der Muth gekommen – den Fingerspitzen seiner rechten Hand einen herzhaften Schmatz zu geben und sie dann mit einem ganz leichten Druck auf Babettens runden Arm zu legen, indem er hervorstotterte: »Mamsell Babette, sind Sie glücklich?«

Was er eigentlich damit hatte sagen wollen, können wir auch diesmal nicht genau angeben, indeß hatte er schwerlich mehr damit gemeint, als was Mamsell Babette daraus entnahm. Sie deutete, oder richtiger, sie ergänzte diese räthselhaften Worte etwa so: »Sind Sie in ihrer jetzigen Lage glücklich, Mamsell Babette? Giebt es nicht eine andere Lage, in welcher Sie sich glücklicher fühlen würden? Und wäre es mir wohl gestattet, Sie in diese andere Lage zu versetzen?«

Wir können auch nicht mit Bestimmtheit entscheiden, ob es eine gewissermaßen allegorisch eingekleidete bejahende Antwort von Seiten Babettens war, daß sie am Abend, wie ganz zufällig, dem ehrlichen Jacob im Gemüsegarten hinter der Milchkammer begegnete und ihn unter sanftem Erröthen fragte, »ob der Herr Bootsmann wohl in ihrer Kammer mit einem bescheidenen Imbiß vorlieb nehmen wolle,« und daß sie ihm dann den großen Hecht mit geschmolzener Butter und Meerrettig nebst einer guten Flasche Wein vorsetzte. Historisch festgestellt ist dagegen die Thatsache, daß sich der Bootsmann durch diese Einladung äußerst geschmeichelt fühlte und sich nach beendigtem Mahle erst mit der rechten Handfläche und dann mit der linken über den breiten Mund fuhr, indem er dem obenangeführten Verzeichnisse von Babettens Eigenschaften schmunzelnd hinzufügte: »Kochkunst merkwürdig!«

Den Dienstboten – wir nehmen selbstverständlich Mamsell Babette aus – war Jacob ein nicht zu lösendes Räthsel. Er erschien ihnen wie eine Art Fabelthier, ein Meerwunder, das sie in keine ihnen bekannte Kategorie menschlicher Abstufungen einzureihen wußten. Am auffallendsten war ihnen das zwischen ihm und seinem Herrn Statt findende Verhältniß; denn, wenn er einerseits seinem »Capitain« eine Ergebenheit und einen Gehorsam zeigte, die den Umfang ihrer eigenen Begriffe von solchen Beziehungen weit überschritten, so erwies er ihm andrerseits keinerlei persönliche Dienstleistung, wurde vielmehr von diesem mit einer ganz besonderen Rücksicht und Schonung, ja, mit einer Achtung behandelt, die auch die gräfliche Familie im vollsten Maße! zu theilen schien.

War nun auch dieser Umstand wohl geeignet, den Bootsmann in der Schätzung der Domestiken sehr hoch zu stellen, so war er doch zugleich eine Quelle des Neides und der Mißgunst; und es hätte sich leicht ein unfreundliches wenn nicht gar feindseliges Verhältniß zwischen beiden Theilen bilden können, wenn nicht Jacob in seinem ganzen Benehmen eine gewisse würdevolle Ruhe gezeigt hätte, die allen Anfeindungen von vorn herein die Spitze abbrach, und wenn nicht in seiner Persönlichkeit etwas nicht näher zu Bezeichnendes gelegen hätte, das zu sagen schien, es sei nicht rathsam, sich an ihm zu reiben.

Wir wollen, um über eine geringfügige Sache nicht zu viele Worte zu machen, in aller Kürze berichten, daß die Gutmüthigkeit, Biederkeit und eiserne Festigkeit des Seemanns ihm zuletzt Aller Achtung und Wohlwollen erwarb, und daß man ihm schließlich Manches verzieh, was man ihm anfänglich sehr übel genommen hatte, daß er nämlich die Bedienten mit »Ihr« anredete, sich in der Gesindestube höchst ungenirt betrug, die Fenster öffnete, wenn es ihm zu warm war, einheizte, wenn er es zu kalt fand, und ohne alles Bedenken, sobald es ihm gutdünkte, sich den Sitz im Lehnstuhle neben dem Ofen aneignete, welchen dem Haushofmeister streitig zu machen noch Keinem in den Sinn gekommen war; kurz, daß er sich benahm, als sei seine Ueberlegenheit und Suprematie über allen Zweifel erhaben.

Was besonders dazu beitrug, unserm Jacob seine bevorzugte Stellung zu verschaffen und zu bewahren, war der Respect, den sie vor ihm als einen vielgereisten, länderkundigen Mann hatten. Er sprach von London und Petersburg, von Boston und Barbados, von Madras und Calcutta, als sei er dort und überall nicht weniger zu Hause, als in dem Hinterstübchen seiner Mutter, und er wußte – wenn er nämlich bei guter Laune war, und sich überhaupt zum Sprechen herbeiließ – von Schiffen und Seereisen, von fernen Ländern und deren Bewohnern, ihren Sitten und Gebräuchen so Vieles und so Unterhaltendes zu erzählen, daß ihm Alle mit Vergnügen und einer nicht zu beschreibenden Bewunderung seiner Kenntnisse und Erfahrungen zuhörten.

Jedoch wäre es wiederum zu viel gesagt, wollten wir behaupten, daß des Bootsmanns Reiseberichte seinen Zuhörern in jeder Beziehung genügten. Sie wollten lauter Wunderdinge von ihm vernehmen, welche die Märchen von Tausend und eine Nacht wo möglich noch weit übertrafen; sie meinten, wer die fernsten fremden Länder besucht, wo man den Elephanten hohe Thürme an den Rücken baut und von diesen aus Löwen, Tiger und andere blutgierige Bestien mit vergifteten Pfeilen erschießt, wo man sich nicht aus dem Hause begeben kann, ohne Gefahr zu laufen, von einem Rhinoceros an einen Baum gespießt zu werden, wo die Giraffen in den Straßen umherspazieren und neugierig in die Fenster des dritten Stockwerkes gucken; oder wer das Meer dort ganz unten am Ende der Welt befahren habe, wo diese mit Brettern vernagelt ist, oder wo man sich auf den Bauch legen und über den Rand hinunter schauen kann, ein solcher müsse ganz Absonderliches und hart an das Unmögliche Hinstreifendes zu berichten haben. Da nun aber der ehrliche, wahrheitliebende Jacob sich immer an die Thatsachen hielt und seine Erzählungen nie mit Zuthaten seiner eigenen Phantasie ausschmückte, so kam man allmählig auf die Vermuthung, er halte aus Gründen, die nur ihm bekannt, jedem Anderen aber unerforschlich seien, absichtlich hinter dem Berge; denn es sei ja klar, daß er viel mehr wisse, als er sagen wolle.

So war namentlich der Haushofmeister, Herr Bernhard, wie er stets genannt wurde, von der nicht auszurottenden Idee besessen, es gebe Seeschlangen, furchtbare Ungeheuer von einer Alles übertreffenden Größe, Kraft und Grausamkeit. Ein Gall hätte den braven Mann trepaniren und ihm das kranke Organ ausschneiden müssen, in welchem sich die monströse Vorstellung von den Seeschlangen gebildet hatte, um ihn von seiner Behauptung abzubringen. Daß Jacob ihm jedesmal hartnäckig widersprach, indem er betheuerte, er habe, »so einen verdammt großen Aal« nie gesehen, noch je davon reden hören, hatte keine andere Wirkung gehabt, als daß Herr Bernhard, wenn jener gerade nicht zugegen war, gegen seine jüngeren Kameraden oft äußerte, der Bootsmann müsse ganz aparte Beweggründe haben, die Existenz der Seeschlangen zu läugnen.

Unserm Jacob war es nicht entgangen, daß man seine Berichte als weit hinter der Wahrheit zurückbleibend betrachtete, und er klagte es seinem Herrn öfters, daß er so wenig Glauben finde. »Die Leute sind doch gar zu einfältig,« sagte er »potz Handspaken und Harpunen, es ist kein Wunder, daß man sie dumme Stiken nennt!« Hugo aber ertheilte ihm den Rath, einmal gelegentlich einen ganz entgegengesetzten Weg einzuschlagen und zu versuchen, eine wie große Portion von Uebertreibungen und handgreiflichen Lügen die dummen Stiken denn wohl eigentlich vertragen könnten; der Bootsmann aber lachte dabei auf seine ihm eigenthümliche, glucksende Art in sich hinein, indem er meinte, »das könne wieder einmal einen prächtigen Jux geben.«


Das Bewußtsein, seinem Capitain und der gräflichen Familie durch seine rechtzeitige Hülfe einen wesentlichen Dienst geleistet zu haben, hatte unsern Jacob in die beste Laune versetzt, und er fühlte sich, als er Abends in die Bedientenstube zum Nachtessen ging, nicht wenig aufgelegt, den prächtigen Jux, falls sich die Gelegenheit dazu böte, vom Stapel laufen zu lassen. »Ich hab' noch nie gelogen,« murmelte er vor sich hin, »aber 'ne Seequalle will ich sein, wenn ich nicht mein Garn abhaspeln werde, wie der beste Advokat oder Zeitungsschreiber. Seeschlangen!« – fügte er dann kopfschüttelnd und verächtlich lächelnd hinzu – »ach über die Dummköpfe! Seeschlangen!«

Die heutige Begebenheit bot der Dienerschaft, als sich diese zum Abendessen versammelt hatte, einen reichen Stoff zur Unterhaltung, und es war dem ehrlichen Jacob, da nun einmal von den Gefahren und abenteuerlichen Erlebnissen zur See die Rede war, nicht schwer, auf die Seeschlangen anzuspielen. Doch that er dies nicht eher, als bis der Tisch wieder abgeräumt worden war, und die vollen Bierkrüge gebracht wurden.

»Und Sie behaupten, Herr Bootsmann,« sagte der Haushofmeister, indem er nach einem langen Zuge den Deckel seines Kruges zuklappen ließ, »Sie behaupten, daß Sie auf Ihren vielen langen Reisen noch nie eine Seeschlange gesehen hätten?«

»Will Euch was sagen, alter Freund,« entgegnete Jacob, »wir Seeleute sprechen nicht gern davon, denn seht,« setzte er leise flüsternd hinzu, »man soll den Teufel nicht an die Wand malen.« Er sah sich dabei scheu um, als erwarte er nichts Geringeres, als daß eine Seeschlange mit aufgesperrtem Rachen auf ihn losspringen werde.

Die zwei Bedienten, die Köchin und das Stubenmädchen sahen sich gleichfalls um, ja, die letztere ließ ein ängstliches: »O Gott!« vernehmen.

»Aha!« sagte der Haushofmeister triumphirend, »also doch, wie ich mir gedacht, Sie wissen mehr von der Sache, als Sie uns haben gestehen wollen.«

»Na und ob!« seufzte Jacob und schüttelte sich, als sei das ein bewährtes Mittel, gräßliche Erinnerungen von sich abzuwehren, »aber wie gesagt, ich spreche nicht gern davon.«

»Warum denn nicht?« fragte der Kammerdiener.

»Seht Ihr, Martin,« entgegnete Jacob, »es ist so 'ne Art von Aberglauben bei uns Seeleuten – na, Ihr mögt darüber denken was Ihr wollt – ich will Niemand meinen Glauben aufdrängen – aber darauf könnt Ihr Euch verlassen, an Bord eines Schiffes wird das Wort Seeschlange nie ausgesprochen.«

Dieses Letztere war nun allerdings die reine Wahrheit, und Jacob hatte es deshalb mit dem Ausdruck inniger Ueberzeugung gesagt.

»Können Sie uns denn nicht sagen,« fragte der Kammerdiener weiter, »worauf dieser Aberglauben beruht?«

»Die Seeschlange leidet es nicht,« sagte Jacob, »sie rächt sich!« Wieder guckte er verstohlen in alle Ecken, und wieder stieß das Stubenmädchen ein: »O Gott« aus.

»Aber,« warf der Haushofmeister ein, »hier sind wir ja nicht an Bord eines Schiffes.«

»Das ist freilich 'ne große Wahrheit,« erwiederte Jacob zögernd, als überlege er, ob er wohl diesen Einwand gegen seine Bedenklichkeiten gelten lassen könne.

»Und wir sind ja auch viele hundert Meilen vom Meere entfernt,« fuhr Herr Bernhard fort.

»Hm, kann's nicht bestreiten.«

»Darum könnten Sie das uns wohl erzählen, was Sie von den Seeschlangen wissen.«

»Na, in's Teufels Namen, ich will's d'rauf ankommen lassen,« sagte Jacob nach einer kurzen Pause, mit der Miene eines Mannes, der einen tollkühnen Entschluß gefaßt hat. Darauf stopfte er seine kleine Pfeife aus einem ledernen Tabacksbeutel und zündete sie an.

»Also, Ihr Alle,« fuhr er fort, »gebt wohl Acht: denn ich will Euch ein Stück Naturgeschichte zum Besten geben, wovon Eure Herren Stubengelehrten sich Nichts träumen lassen.«

Nach diesen Worten wurde er plötzlich noch nachdenklicher als zuvor, paffte aus seiner Pfeife, bis er sich in eine dicke Wolke von Tabacksrauch gehüllt hatte, und sah dabei unverwandt nach der Decke des Zimmers mit einer Miene, als bärge er in der Tiefe seines Geistes die ungeheuerlichsten und schauderhaftesten Geheimnisse.

»Also Sie haben die Seeschlange wirklich selbst gesehen?« sagte der Haushofmeister, um den Bootsmann zu animiren, endlich seine Erzählung zu beginnen.

»Ja!« platzte Jacob heraus, »zweimal. Das erste Mal war's da unten bei den Molukken herum, während eines furchtbaren Sturmes. Ja, das nenn' ich mir 'nen Sturm; aber davon habt Ihr freilich keinen Begriff. Typhon nennen sie ihn da. Ich will Euch nur sagen, daß die drei Masten abknickten, als wären sie nicht dicker gewesen, als mein Pfeifenstiel hier und – hui! – gingen sie über Bord, und die achtpfündigen Kanonen auf der Schanze flogen ihnen nach, als hätten sie ihnen noch was Wichtiges zu sagen gehabt, und in fünf Minuten war das Deck so rein gefegt und so kahl und glatt, wie der Teller da.«

»O Gott,« stöhnte das Stubenmädchen, »das muß ja ein schrecklicher Typhus gewesen sein.«

»Wie konnten sich nur die Matrosen auf dem Deck halten,« fragte der zweite Bediente, »daß sie nicht auch über Bord gerissen wurden?«

»Na, ein Dutzend Stück wurden auch über Bord gerissen, Christian; aber – versteht mich recht – nur zwei von dem Sturm, die andern zehn von den Wellen, die immer über das Schiff wegschlugen. Die übrigen mußten sich festbinden.«

»Die armen Menschen,« sagte mitleidig die Köchin, »woran konnten sie sich nur festbinden, da das Deck ja so glatt war, wie der Teller?«

Jacob war in einiger Verlegenheit; er fühlte, daß er in Gefahr sei, sich festzulügen; auch sträubte sich sein Gewissen dagegen, Mamsell Babetten so schreckliche Dinge zu sagen.

»Woran, Mamselle Babette?« stammelte er: »Nun, woran fest, als an den Rumpen, die von den Masten übrig geblieben waren.«

»Ach, ich verstehe.«

»Aber die Seeschlange,« sagte Herr Bernhard.

»Wird gleich kommen,« entgegnete Jacob offenbar nicht sehr geneigt, sich auf dieses ihm so fremde Thema einzulassen, »aber um erst mit dem Sturm fertig zu werden, so wollt' ich Euch nur noch sagen, daß das Meer so aufgewühlt wurde, daß wir öfters den Grund sehen konnten, obgleich wir 35 Klafter Tiefe hatten, ja, ein paarmal stießen wir unten ganz gottsträflich an; wir dachten, das Schiff müsse wie 'ne Eierschale zerplatzen.«

»Und da unten sahen Sie wohl auch die Seeschlange?«

Jacob, dem dieser Gedanke nie eingefallen wäre, fand ihn so komisch, daß er Mühe hatte, sein glucksendes Lachen zu verbeißen. Er sah den Frager mit einer unbeschreiblich drolligen Miene an, indem er das rechte Auge zukniff und mit dem linken blinzelte.

»Richtig errathen, Freund,« sagte er, »aber laßt mich nur erst mit dem Sturm zu Ende kommen, sonst verfilzt sich mein Garn so, daß ich gar nicht mehr durchfinde. Also, was ich sagen wollte, ohne zu lügen, wir kamen noch leidlich gut davon; als wir aber Abends, nachdem es plötzlich ganz windstill geworden war, an der Südspitze von Celebes vor Anker gingen, sahen wir die ganze Küste von Schiffstrümmern bedeckt, und ein kleiner norwegischer Schoner war von einer Welle so ungefähr 300 Klafter weit in's Land hineingeworfen worden und hing zwischen den Kronen einiger dicht neben einander stehender Arekapalmen fest. Wir konnten mit den Fernröhren sehen, wie die Mannschaft eben im Begriffe war, an Strickleitern herunter zu klettern.«

»Potztausend!« riefen die zwei Bedienten.

»Herr Je!« sagte das Stubenmädchen.

Jacob selbst entsetzte sich, aber nur über seine eigene ungeheure Frechheit. Er bedurfte einer Stärkung, um sich nach dem waghalsigen Salto mortale seiner Phantasie wieder zu erholen. Er setzte den Bierkrug an die Lippen und that einen kräftigen Zug.

»Nun werden wir wohl etwas von der Seeschlange hören,« sagte der Haushofmeister.

»Richtig,«0 entgegnete Jacob, indem er sich den Schaum aus dem Barte strich, »nun kommt's. Wir sahen zwei Stück.«

»Zwei?«

»Ja, und die kämpften mit einander.«

»Das muß ein schrecklicher Anblick gewesen sein.«

»Ja, ich glaub', so was hat noch kein Mensch mit Augen gesehen. Stellt Euch zwei Unthiere vor, so dick – ja, was soll ich nur gleich sagen – wie der achteckige Thurm an dem linken Schloßflügel.«

»Entsetzlich! Potzelement! O du meine Güte!« riefen Alle zu gleicher Zeit.

»Und so lang,« fuhr Jacob fort, »so lang – na, wie lang sie eigentlich waren, kann ich nicht genau angeben, und ich möcht' Euch nicht zu viel sagen; aber drei Kabellängen waren sie zum wenigsten.«

»Wie viel ist das, eine Kabellänge?«

»Nu, nach Umständen 120 bis 150 Klafter.«

»Das könnten also bis 450 Klafter sein.«

»So was wird's wohl auch gewesen sein,« meinte Jacob.

»Wie sahen die schrecklichen Thiere aus?« fragte das Stubenmädchen.

»Oben grün, Mamsell, unten milchweiß, rauh und schuppig wie – nun wie'n Schieferdach.«

»Sie hatten wohl entsetzlich große Augen?«

»Augen so feurig und groß,« betheuerte Jacob, »wie 'ne Schmiedeesse und Rachen, wie'n Scheunenthor.«

»Und sie kämpften mit einander?« fragte der Haushofmeister..

»Ja, seht Ihr, Freund, ich denk, sie müssen sich über eben keine Kleinigkeit entzweit haben; denn sie gingen sich teufelmäßig wüthend zu Leibe. Sie ringelten sich umeinander, wie zwei Pfropfenzieher, packten sich mit ihren ellenlangen Zähnen und spieen ihr scheußliches Gift über einander aus; sie peitschten das Meer mit ihren schuppigen Schweifen zu Schaum und zerkratzten sich mit ihren Klauen, und – – –«

Jacob hielt plötzlich inne und sah sich ängstlich um, was abermals zur Folge hatte, daß sich die Anderen gleichfalls umsahen, das Stubenmädchen aber die Schürze vor die Augen hielt und laut aufkreischte.

»Hatten sie denn auch Krallen?« fragte der Kammerdiener.

»Na, ob die Krallen hatten!« erwiederte Jacob, »zehn an jeder Tatze, so lang wie die Zacken einer Heugabel.« »Also hatten sie Tatzen?« fragte der Haushofmeister mit dem Ausdruck des höchsten Erstaunens.

»Na, freilich,« sagte Jacob, »woran hätten sonst die Krallen sitzen können? Aber das Merkwürdigste kommt noch.«

»Nun?«

Jacob machte eine Pause und griff wieder zu seinem Bierkrug; was noch kommen sollte, wußte er selbst nicht.

»Ihr müßt nämlich wissen,« sagte er dann, einen neuen, kecken Zulauf nehmend, »daß ein großer Wallfisch zwischen die Schlangen hinein gerathen war, und das ist jedenfalls ein merkwürdiger Umstand, sollt' ich meinen.«

Der brave Jacob mochte diesen Umstand allerdings für sehr merkwürdig halten; denn er sah, indem er sich verlegen am Kopfe kratzte, im Kreise umher, als wünsche er auf den verschiedenen Gesichtern zu lesen, ob er seine Münchhausiade doch nicht ein wenig zu weit treibe; als er aber zu seiner Beruhigung gewahrte, daß sich in den Zügen seiner Zuhörer nur Staunen und Neugierde, aber keine Spur von Unglauben zeigte, fuhr er muthig fort:

»Ja, verdammt merkwürdig, aber wahr. Wie das eigentlich gekommen sein mag mit dem Wallfisch, seht, das kann ich mir selbst nicht so recht auseinanderklauben; ich halte aber dafür, daß er sich jedenfalls wo anders hin gewünscht hat; denn das arme Thierchen kriegte ganz närrische Keile.«

»Wie, Sie nennen einen Wallfisch ein Thierchen?« fragte erstaunt der zweite Bediente.

»Na, versteht mich recht, Christian, nur im Vergleich mit den Seeschlangen; sonst – allen Respect! Aber, was ich sagen wollte, der Wallfisch hatte sich nun einmal in die Windungen und Verschlingungen der Seeschlangen so festgerammelt, daß er sich nicht wieder herauslantschen konnte, und da wurde er denn, wie Ihr Euch leicht denken könnt, so gequetscht und zusammengeschraubt und hin- und hergestoßen und zerbissen und zerkratzt, daß er laut aufbrüllte, ungefähr will ich sagen, wie so'n paar hundert Ochsen. Drei oder vier Mal wurde er auch in die Luft geschleudert und rund umgewirbelt, daß es nur so sauste. Na, um 'ne lange Geschichte kurz zu machen, als sich die Seeschlangen nach ihrem Dafürhalten lange genug herumgebalgt, oder, wie man zu sagen pflegt, sich Satisfaction gegeben hatten, war der Wallfisch alle geworden, das heißt, – so versteht mich recht – er war so todt, wie er's sein Lebtag nicht gewesen sein mochte, und trieb, elendiglich zugerichtet, auf dem Wasser, den Bauch nach oben gekehrt. Auch zählten wir 36 Haifische, die todt umhertrieben.«

»Blieben denn die Seeschlangen am Leben?« fragte Herr Bernhard.

»Kann's nicht behaupten,« entgegnete Jacob, »will's aber auch nicht bestreiten. Darauf könnt Ihr Euch aber verlassen, alter Freund, daß jede von ihnen wohl ihre 20 bis 30 Quadrat-Ruthen Heftpflaster hätte brauchen können. Wir sahen sie mit keinem Auge mehr und dankten dem Himmel dafür, aber auf 'ne weite Strecke hin war das Meer voller rother schlammiger Streifen.«

Jacobs Erzählung hatte einen Erfolg, der seine Erwartung gewiß weit übertraf. Mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen hatten ihm Alle zugehört und Schauder und Entsetzen prägten sich in ihren schreckenbleichen Gesichtern aus. Die Köchin war kreideweiß geworden, schaute aber den Bootsmann mit einer Miene der Bewunderung an, die zu sagen schien: »Das ist doch ein Mann, der was Nennenswerthes erlebt hat.« Das Stubenmädchen hielt noch immer die Schürze vor die Augen, vielleicht aus einem Instinkt, jenem ähnlich, der die Straußen veranlaßt, bei der nahenden Gefahr den Kopf in einen Busch zu stecken.

Als das maßlose Erstaunen, welches Alle erfaßt hatte, sich zu legen begann, ergriff der Haushofmeister das Wort:

»Sie sagten vorhin, Herr Bootsmann, Sie hätten die Seeschlangen zu zwei verschiedenen Malen gesehen!«

»Ja, das zweite Mal war's noch viel schlimmer.«

»Könnten Sie uns das nicht auch erzählen?«

Einige Augenblicke sah Jacob den Haushofmeister starr in's Gesicht, dann sagte er mit einer tiefen Grabesstimme:

»Nein, alter Kamerad, und laßt Euch sagen, ich wollt', ich hätt' Euch schon dieses nicht erzählt. Die Seeschlange wird sich grausam rächen. Der Himmel verhüte nur ein gar zu großes Unglück!«

Mit diesen Worten erhob er sich und ging mit langen feierlichen Schritten aus dem Zimmer. Als er die Thür heftig hinter sich zuschlug, fuhren Alle erschrocken zusammen, und das Stubenmädchen kreischte laut auf, als fühle sie schon die Krallen der Seeschlange an der Gurgel.

Jacob aber war nur fortgegangen, weil er nicht länger das Lachen zu verbeißen im Stande war. Er lief in den Gemüsegarten, warf sich auf eine unter einem Hollunderbusche befindliche Bank und lachte, daß ihm die hellen Thränen über die Wangen rollten.

»Seeschlangen!« wiederholte er in einem fort, »Seeschlangen! o dideldum, dideldei, Katzen- und Fidelgeschrei! Hat man je so was Dummes gehört, Seeschlangen!«

Und noch lange Zeit nachher sah man den ehrlichen Bootsmann mit der Gebärde eines nassen Pudels sich vor Lachen schütteln, wenn er an die Seeschlangen dachte.



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