Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

Wir wissen, daß es eine Hauptpassion der Madame Altmann war, Heirathen zu stiften. Nun hatte sich zwar die würdige Dame zu ihrem größten Bedauern entschließen müssen, die auf Hugo und Louisen bezüglichen Heirathsprojecte aufzugeben, oder doch vorläufig in statu quo zu lassen; anders aber verhielt es sich mit ihren Plänen in Betreff Werner's und Ida's. Die Bedenklichkeiten nämlich, welchen diese beiden ihre Wünsche und Hoffnungen zum Opfer brachten, theilte sie keineswegs, nannte dieselben vielmehr penibel und überspannt und ließ in ihrem lobenswerthen Eifer nicht ab, sie energisch zu bekämpfen.

Besonders gern brachte sie dieses Thema aufs Tapet, wenn sie mit Werner unter vier Augen war, und dieser Fall trat eines Abends ein, als Werner seiner Gewohnheit gemäß, punkt sechs Uhr zu ihr ins Zimmer trat.

Ida war nämlich ausgegangen, um einige Einkäufe für die Tante zu besorgen und wurde von dieser vor halb sieben Uhr nicht zurückerwartet. Ob sich die brave Tante nun wirklich erst drei Viertel auf sechs urplötzlich erinnert hatte, daß sie für die auf den Abend bestellte Näherin das Seidenzeug, die Spitzen und Agréments durchaus nothwendig haben müsse, oder ob dies nicht vielmehr ein kleines unschuldiges Manoeuvre war, um mit Werner eine halbe Stunde allein zu sein – ja, du lieber Gott, wer möchte sich getrauen, das zu entscheiden? Um Alles in der Welt möchten wir die alte Dame nicht eines, wenn auch noch so harmlosen Intriguenspiels beschuldigen, und es thut uns nur leid, die Frage überhaupt aufgeworfen zu haben; doch so geht es, wenn man aus übertriebener Gewissenhaftigkeit zu sehr in die Einzelnheiten eindringt.

Es möge also dem Leser die einfache Thatsache genügen, daß sich Madame Altmann mit Werner unter vier Augen befand. Daß die gute alte Dame die Gelegenheit sofort benutzte, können wir mit bestem Gewissen betheuern; denn sobald es schicklicherweise geschehen konnte, das heißt, sobald die üblichen Redensarten der Begrüßung und die eben so üblichen Bemerkungen über das Wetter abgehaspelt waren, und Werner sich auf ihre Aufforderung neben sie auf das Sopha gesetzt hatte, lenkte sie mit diplomatischer Gewandtheit auf die wichtige Angelegenheit en question ein und begann, ihre Ansichten darüber sehr scharfsinnig zu deduciren.

Es war nicht das erste Mal, daß die gute Tante dem jungen Manne gegenüber diesen Gegenstand auf's Tapet brachte und wir dürfen es ihm nicht verargen, daß er aus diesem Grunde, wenn er nur immer konnte, die Tête à Tête's mit der Tante vermied, denn der Gegenstand selbst mußte ihm natürlich äußerst peinlich sein, und die oft gehörten Argumente vermochten nicht, ihn zu überzeugen.

Er suchte auch jetzt, da er sich seiner Peinigerin nicht entziehen konnte, sich möglichst behende durch das künstliche Labyrinth ihrer Dialektik hindurch zu winden und in alle Schlupfwinkel höflicher Abwehr zu verkriechen; aber vergeblich! Er wagte hin und wieder kühne Absprünge auf andere Themata, wurde zuletzt sehr zerstreut, gab Antworten, die auf gestellte Fragen nicht paßten und stellte Fragen, die auf den Gegenstand der Unterredung äußerst wenig Bezug hatten; Alles vergeblich!

Zuletzt, als die Tante in ihrer Verfolgung nicht ermüdete, ergriff er das einzige Rettungsmittel, das, wie er aus Erfahrung wußte, ihm noch übrig blieb. Es bestand darin, daß er ihr zum, wir wissen nicht zum wie vielten Male die Geschichte des schlauen und kecken Betruges zum Besten gab, der sein Lebensglück zerstört hatte, die Geschichte nämlich, die der Leser aus der Unterredung kennt, die vor nicht langer Zeit zwischen Werner und Hugo Statt fand.

Es war eine vortreffliche Eigenschaft der Madame Altmann, daß sie gern mit etwas Altem vorlieb nahm, wenn man ihr gerade nichts Neues zu erzählen hatte. Erzählung blieb immer Erzählung, mochte sie dieselbe bereits gehört haben oder nicht. Vielleicht hatte sie ein sehr kurzes Gedächtniß, so daß das Alte ihr immer wieder neu vorkam; vielleicht auch – und das halten wir für das Wahrscheinlichste – mochte ihr Werner die Sache nie so ausführlich mitgetheilt haben, wie er es jetzt zu thun versprach; genug, sie gab es auf, für diesmal weiter in ihn zu dringen, nahm ihre Straminstickerei, die bis jetzt geruht hatte, wieder zur Hand und hörte ihm, während sie eine buntscheckige Blume vollendete, die einen Botaniker in Verzweiflung gesetzt haben würde, geduldig zu.

Alles hat aber ein Ende, so auch die ausführlichste Erzählung und das Sticken einer buntscheckigen Blume.

Es trat eine Pause ein.

»Wollen Sie mir wohl helfen, lieber Werner?« fragte Madame Altmann, indem sie ihm einen Strang grüner Wolle hinhielt.

Werner hatte schon oft geholfen, er wußte Bescheid und steckte seine beiden Hände durch den Strang. Madame Altmann begann den Faden abzuwinden.

»Sie sagten,« begann sie nach einer zweiten Pause, »daß jener Hemdsknopf, den der Betrüger im Hôtel so eifrig hatte suchen lassen, der sich aber später in einem der Beutel fand, das einzige Judicium war, von welchem man hoffen durfte, es könne zu einer Entdeckung führen?«

»So ist es, gnädige Frau,« entgegnete Werner.

»Und dieser Hemdsknopf befindet sich noch immer in den Händen der Hamburger Polizeibehörde?«

»Ja, ohne Zweifel.«

»Wie beschrieben Sie doch den Knopf? Bitte, wiederholen Sie mir das; ich habe wirklich nicht aufmerksam genug zugehört.«

»Er war von auffallend schöner Mosaikarbeit und nicht leicht mit einem anderen zu verwechseln. Ich habe nie einen ähnlichen gesehen.«

»Was stellte denn die Mosaikarbeit dar?«

»Ein Veilchenbouquet auf schwarzem Grunde, die Einfassung – – – –«

»Ein Veilchenbouquet?« unterbrach ihn Madame Altmann und ließ plötzlich das Knäuel in den Schoß sinken. Es lag dabei in ihrer Miene etwas, wie das Erwachen einer fast erloschenen Erinnerung. »Ein Veilchenbouquet sagen Sie?«

»Auf schwarzem Grunde, gnädige Frau.«

»Auf schwarzem Grunde,« wiederholte Madame Altmann, nachdenklicher werdend. »Sonderbar – – und die Einfassung? Wie war die Einfassung?«

»Einfach, aber sehr geschmackvoll, von Gold, am Rande fein ciselirt.«

»In der That wunderbar!« sagte die alte Dame, indem sich in ihren Zügen eine immer wachsende, fast ängstliche Aufregung ausdrückte.

»Warum wunderbar, gnädige Frau?« fragte Werner, dem die auffallende Veränderung in dem Mienenspiel der Madame Altmann nicht entgangen war.

Diese aber beantwortete seine Frage nicht. Sie warf das halbfertige Knäuel auf den Tisch, erhob sich rasch und watschelte mit so schnellen Schritten aus dem Zimmer, daß Werner, noch immer die Arme vor sich hingestreckt, ihr mit Erstaunen nachsah.

»Was kann die gute Tante nur haben?« murmelte er leise in den Bart, indem er sich nach allen Seiten umsah, wie um ein Mittel zu ergründen, sich des Stranges grüner Wolle zu entledigen.

Nach einigen Minuten watschelte Madame Altmann ebenso geschwind in das Zimmer, wie sie es verlassen hatte, und öffnete, nachdem sie ihren Platz auf dem Sopha wieder eingenommen, ein kleines Etui von rothem Maroquin, das sie in der Hand hielt.

»Gestehen Sie, lieber Werner,« sagte sie, indem sie ihm das Etui hinhielt, »daß die Beschreibung, die Sie von dem Knopfe entworfen, genau auf diesen paßt.«

Unmöglich läßt sich das Erstaunen schildern, welches sich in Werner's Zügen aussprach, sobald seine Blicke auf den im Etat liegenden Hemdknopf fielen.

»Mein Gott!« rief er, indem er mit sehr wenig Umständen die Wolle bei Seite warf und nachdem Etui griff, »was sehe ich! wie kommt dieser Knopf in Ihre Hände, gnädige Frau?«

Ganz verdutzt über die heftige Gemüthsbewegung des jungen Mannes starrte ihn Madame Altmann an, ohne zu antworten.

»Es ist der Knopf, von welchem ich Ihnen sagte,« fuhr Werner in der äußersten Aufregung fort, »das Seitenstück zu demjenigen, der damals in dem Sacke gefunden wurde. Ich begreife zwar nicht – und dennoch ich irre mich nicht, kann mich unmöglich irren – ich beschwöre Sie, gnädige Frau, sagen Sie mir, wie Sie in den Besitz dieses Knopfes gekommen sind?«

Aber noch bevor Madame Altmann sich zu fassen und eine Antwort zu geben vermochte, öffnete sich die Thür, und Ida trat ein. Ein flüchtiger Blick zeigte ihr die Verwirrung, die sich in den Mienen ihrer Tante ausdrückte, die fast fieberhafte Spannung, die sich in den Zügen Werners malte. Eine Frage schwebte ihr auf den Lippen, doch bevor sie dieselbe aussprechen konnte, rief ihr Werner entgegen:

»Ida, komm, o komm schnell! sieh, erkennst Du dies?« Und er hielt ihr das offene Etui entgegen.

»Ob ich das kenne?« fragte Ida erstaunt, nachdem sie den Inhalt des Etuis betrachtet hatte.

»Den Knopf, den Knopf, betrachte ihn genau! Erkennst Du ihn jetzt? Er ist es ja!«

»Ich verstehe nicht – – –«

»Aber mein Gott! ich hab' ihn Dir ja doch so oft beschrieben. Der Knopf des Elenden ist's, der mich bestahl!«

»Wär' es möglich!« rief Ida, indem sie schnell noch einen prüfenden Blick auf den Knopf warf. »Ja, gewiß – o, daß ich es nicht gleich sah! er ist ganz so, wie Du ihn beschrieben hast – das Veilchenbouquet – die Einfassung – also endlich, endlich ein Licht in diesem Dunkel!« Und sie sank freudetrunken ihrem Geliebten an die Brust.

»Ja,« rief Werner, »endlich ein Licht! und dieses Licht soll, will es Gott, zur Fackel werden, die Verruchtheit jenes Bösewichts zu beleuchten!«

»Aber wo kommt nur der Knopf her?« fragte Ida, zitternd vor Aufregung.

»Deine Tante hat ihn mir so eben gegeben.«

»Die Tante? – Aber ich begreife nicht – –.«

»Bitte, gnädige Frau,« unterbrach sie Werner, indem er sich nun wieder an Madame Altmann wandte, »sagen Sie mir, woher, von wem Sie den Knopf haben.«

»Liebe Tante,« fügte Ida hinzu, »sag' uns, bitte, wie bist Du dazu gekommen?«

Aber Madame Altmann war außer sich vor Erstaunen über die stürmische Scene, die sie so eben gesehen hatte, in die weichen Kissen des Sophas zurückgesunken. Sie faltete die Hände in dem Schoß und starrte die Decke an, als wolle sie in den Schnörkeln der Plafondmalerei die Antwort lesen, die sie in ihrem Kopfe nicht fand. Werner und Ida sahen sie mit einer auf's Aeußerste gesteigerten Spannung an.

»So sprechen Sie doch, gnädige Frau,« bat Werner.

»Bitte, bitte, liebe, gute Tante!« rief Ida, indem sie sich der alten Dame näherte und ihren Arm um deren Hals schlang.

»Wenn ich es nur wüßte, Kinder,« klagte Madame Altmann und wiegte mit zerstreuter Miene den Kopf hin und her, »aber ich – ich entsinne mich nicht mehr – ich – – – –«

»Sie sehen indeß, gnädige Frau,« sagte Werner, »daß es von der höchsten Wichtigkeit ist, daß wir es erfahren.«

»Geh in Deiner Erinnerung zurück, liebe Tante,« fügte Ida hinzu, »versuch' es, Du wirst dann schon darauf kommen.«

»Wenn Ihr mich so bestürmt, Kinder,« entgegnete die alte Frau, »so werd' ich es erst recht nicht finden – wartet – wartet – –«

Werner und Ida waren zwar nun nicht in der Stimmung, geduldig zu warten; indeß bezwang Werner doch einigermaßen seine brennende Begierde, etwas Näheres über den Knopf zu erfahren, und sagte ein wenig ruhiger:

»Erlauben Sie mir, gnädige Frau, daß ich versuche, Ihrem Gedächtniß durch einige Fragen zu Hülfe zu kommen?«

»Ich würde Ihnen in der That sehr verbunden sein, lieber Werner, – – –«

»Sagen Sie mir also zuvörderst, wie lange haben Sie wohl diesen Knopf?«

»O schon sehr lange, gewiß schon mehrere Jahre.«

»Aber, liebe Tante,« fiel Ida ein, »wie kommt es nur, daß ich ihn nie bei Dir gesehen habe?«

»Ach, mein Kind,« entgegnete Madame Altmann, »das ist sehr natürlich; er lag unter der Menge alter Schmucksachen, die ich nie gebrauche. Ich glaube, daß ich ihn selbst nicht zehn Mal angesehen habe.«

»Aber – –« fuhr Ida fort; Werner unterbrach sie indeß, indem er sie bat, ihn allein weiter forschen zu lassen.

»Wenn Sie den Knopf schon mehrere Jahre haben,« wandte er sich dann wieder an Madame Altmann, »so werden Sie ihn bekommen haben, als Sie noch in Altona wohnten.«

»Gewiß, ich hatte ihn schon in Altona.«

»Haben Sie ihn dort vielleicht gekauft?« examinirte Werner weiter.

»Nein, das nicht.«

»Sie müssen ihn also geschenkt bekommen haben.«

»Gewiß, ich hab' ihn geschenkt bekommen.«

»Sie wissen jedoch nicht von wem?«

»Nein, das ist's ja eben,« klagte die alte Dame, indem sie sich die Stirn rieb, »ach, daß ich mich doch dessen gar nicht entsinnen kann!«

»Jedenfalls werden Sie ihn von einer Ihnen genau bekannten Person erhalten haben,« fuhr der hartnäckige Werner fort.

»Freilich, freilich.«

»Von einer Dame etwa?«

»Nein, von keiner Dame, das weiß ich ganz gewiß.«

»Nun gut, Sie sehen, gnädige Frau, daß wir dem Ziele immer näher kommen. Sie haben den Knopf also in Altona von einem Herrn geschenkt bekommen. Gehen wir nun, wenn es Ihnen gefällig ist, die Herren aus Ihrer Bekanntschaft etwas genauer durch. Wer kam – doch ermüde ich Sie nicht mit meinen vielen Fragen?«

»O nein, fahren Sie nur fort.«

»Sie sind sehr gütig, gnädige Frau. Also, wer kam wohl am häufigsten zu Ihnen.«

»Es kamen gar viele zu mir, lieber Werner, namentlich von den Verwandten.«

»Kann Ihnen vielleicht der Onkel Ludwig den Knopf geschenkt haben?«

»Nein, er hat mir nie etwas geschenkt, als einmal eine Tüte von seinen abscheulichen Rettigbonbons, die er gegen seinen Husten brauchte, und die er allen Menschen anpries, sie mochten husten oder nicht.«

»Der Vetter Heinrich vielleicht?« fuhr der ungeduldige Inquirent fort.

»Ach, was hatte der wohl zu verschenken? Vielmehr gab ich ihm öfters ein paar Louisd'or, die der gottlose Junge dann sogleich verspielte.«

»Wer kam sonst wohl am häufigsten zu Ihnen?«

»Ja, du meine Güte, wer kam zu mir? Da war der Syndicus Gabel, der Major Lehfeld, der alte Consul Keller, der immer so viele Stadtneuigkeiten wußte. Erinnerst Du Dich seiner noch, Ida? Er war wirklich sehr unterhaltend, der alte Consul.«

»Hat Ihnen wohl einer von diesen den Knopf geben können, Madame Altmann?«

»O gewiß nicht.«

»Und wer besuchte Sie sonst noch?«

»Nun, lassen Sie sehen – ja damals kam ja auch der Doctor Schönfeld täglich zu mir – Doctor Schönfeld – mein Gott! daß mir das nicht gleich eingefallen ist! der Doctor Schönfeld gab mir den Knopf!«

»Ach, meine Ahnung!« sagte Ida mit leiser, bebender Stimme. Werner legte die Hand auf ihren Arm, wie um sie zu bitten, nun, da Madame Altmann im Zuge sei, seine Examination nicht zu unterbrechen.

»Sie wissen das ganz sicher, gnädige Frau?« fragte er mit vor Ungeduld pochendem Herzen.

»Ganz sicher,« entgegnete Madame Altmann, sichtbar erfreut, den abgerissenen Faden ihrer Erinnerung wieder angeknüpft zu haben. »Ich kann mich darin gar nicht irren, denn jetzt fallen mir auch manche einzelne Umstände ein, die damit in Verbindung stehen.«

»Wollten Sie wohl die Güte haben, uns diese mitzutheilen?«

»Herzlich gern. Sehen Sie, bester Werner, ich habe eine Broche, gleichfalls von Mosaikarbeit – Du kennst sie ja, Ida – aber, mein Gott, was hast Du denn, Kind, Du bist ja entsetzlich blaß!«

»Es ist nichts, liebe Tante; bitte, fahre fort.«

»Sie haben also eine Broche, gnädige Frau?« sagte Werner.

»Ja, von Mosaik. Der Doctor Schönfeld, der sich auf solche Dinge versteht wie der kundigste Juwelier, sah sie eines Abends bei mir und lobte die schöne Arbeit. Indeß, sagte er, besitze ich einen Hemdknopf von noch weit schönerer. Ich äußerte den Wunsch, dieses kleine Meisterstück zu sehen, und er war so gefällig, mir zu versprechen, daß er ihn am folgenden Tage mitbringen wolle. Er hielt Wort.«

»Er brachte Ihnen also diesen Knopf?«

»Ja, diesen und ich mußte ihm gestehen, daß er noch feiner und schöner gearbeitet sei, als meine Broche. Gnädige Frau, sagte der Doctor – er war in der That die Höflichkeit selbst – wollen Sie mir eine Bitte gewähren? Welche, Herr Doctor? fragte ich. Die Kleinigkeit zu behalten, entgegnete er, da Sie an derselben einigen Gefallen zu finden scheinen.«

»Und Sie antworteten ihm?«

»Daß ich sein Geschenk unmöglich annehmen könne, da ja alsdann der andere, zu diesem gehörende Knopf keinen Werth für ihn habe. O, sagte er, wenn das Ihr einziges Bedenken ist, so behalten Sie ihn nur, denn den dazu gehörenden hab' ich schon vor Jahren verloren.«

»Das sagte Ihnen der Doctor Schönfeld?«

»Ich erinnere mich dessen genau.«

»Wo und unter welchen Umständen er den anderen verloren habe, sagte er Ihnen nicht?«

»Nein, denn ich fragte ihn nicht danach.«

Werner mochte einsehen, daß von Madame Altmann weitere Aufschlüsse nicht zu erhalten wären; auch wußte er ja jetzt weit mehr, als er zu erfahren hatte hoffen dürfen. Er dankte der alten Dame in den herzlichsten Ausdrücken für ihre Mittheilungen und wandte sich gegen Ida. Diese hatte von Anfang an den Antworten ihrer Tante mit einer aufs höchste gespannten Aufmerksamkeit gehorcht. Als aber der Name Schönfeld genannt, als dieser Mann als derjenige bezeichnet wurde, von dem der verhängnißvolle Knopf herrühre, hatten ihre Züge einen Ausdruck angenommen, als wäre plötzlich vor ihrem inneren Auge der Schleier hinweggerissen worden, der bis jetzt das unglücksvolle Geheimniß ihres Lebens, die dunkle Quelle so vieler herben Leiden, verhüllt hatte. Sie war in der That, wie Madame Altmann sich ausgedrückt hatte, entsetzlich blaß, und man hätte die unruhigen Schläge ihres Herzens hören können.

»Meine liebe Ida,« sagte Werner, indem er ihre Hand ergriff und zärtlich drückte, »es ist durch die Aufklärungen, welche Deine Tante uns zu geben die Güte hatte, ein Anhaltspunkt gewonnen, der zu weiteren Nachforschungen benutzt werden kann, ja, benutzt werden muß. Du wirst begreifen, daß jetzt schon ein gewisser Verdacht sich in mir regen muß, obgleich, ich gesteh' es, der bloße Gedanke mir peinlich ist, daß er gerade auf einen Mann gefallen ist, dem Deine Eltern so große Verpflichtungen – – –«

»Er ist es!« rief Ida, ihn unterbrechend, in dem Tone fester Ueberzeugung, und ihre Augen strahlten mit dem Feuer der erwachten Hoffnung. »O zweifle nicht daran, er allein ist es, der unser Unglück herbeigeführt hat, der Doctor Schönfeld ist der schändliche Betrüger, kein anderer als der Doctor Schönfeld!«

»Aber, meine beste Ida – –,« sagte Werner, bestürzt über die Heftigkeit einer Aufregung, die er an seiner Geliebten noch nie wahrgenommen hatte.

»Kind, Kind!« rief zu gleicher Zeit Madame Altmann, »um des Himmels willen, was sagst Du da? Kann der Doctor denn nicht in eben so unschuldiger Weise zu dem Knopf gekommen sein, wie ich durch ihn? Und wer sagt uns denn, daß dieser Knopf auch wirklich der rechte ist? Man kann sich doch am Ende irren.«

»Nein, gnädige Frau,« entgegnete Werner, »das nicht, ein Irrthum ist hier unmöglich.«

»Und daß er nur einen hatte,« fügte Ida hinzu, »und daß er den anderen verloren hat, sind das nicht klare Beweise?«

»Beweise nun zwar nicht, liebe Ida,« erwiederte Werner, »aber allerdings sehr verdächtige Umstände.«

»Pah! seid doch nicht thöricht, Kinder,« sagte Madame Altmann vorwurfsvoll, »Doctor Schönfeld ein Dieb, ein Betrüger – o pfui! – ich begreife wirklich nicht, wie man nur einen solchen Gedanken fassen kann. Und angenommen auch, er wäre einer solchen schändlichen Handlung fähig – was ich aber nimmer glauben werde – so mußt Du mir doch Eines einräumen, Ida.«

»Was, liebe Tante?«

»Daß er kein Dummkopf ist.«

»Ich verstehe Dich nicht, Tante.«

»Sieh, Kind,« sagte die alte Dame mit einer Miene, als sei sie sich bewußt, mittelst eines einzigen Arguments ihre Gegner ad absurdum zu führen, »wenn der Doctor Schönfeld den Betrug begangen hätte – ach, Thorheit, fast muß ich darüber lachen – nun, wenn er es indeß wirklich gethan hätte, wäre es dann nicht eine unerhörte Unvorsichtigkeit, ein grenzenloser Leichtsinn, ja wahre Tollheit gewesen, diesen Knopf aus seinen Händen zu geben und dadurch selbst einen so schweren Verdacht gegen sich zu erwecken? Du kennst ihn, Ida; nun sage, kann man das dem klugen, berechnenden Doctor Schönfeld zutrauen?«

Ida wußte auf diesen Einwand nichts zu antworten.

Sie senkte schweigend den Kopf; ihre Ueberzeugung begann zu wanken.

»Erlauben Sie, gnädige Frau,« entgegnete Werner, »die Unvorsichtigkeit, die Sie in diesem Umstande sehen, ist in der That gar nicht vorhanden. Sie wäre es allerdings, wenn Schönfeld – ich nehme wie Sie für einen Augenblick den Fall an, daß er der Uebelthäter ist – wenn also Schönfeld gewußt hätte, oder nur hätte ahnen können, daß der zu diesem gehörige Knopf in einem der Beutel gefunden worden sei. Er wußte es aber nicht.«

»Wie so?« fragte Madame Altmann verwundert. »War denn nicht die ganze merkwürdige Begebenheit in allen ihren Einzelheiten bekannt, und wurde sie nicht überall besprochen? Warum hätte er also das Eine nicht wissen sollen?«

»Weil es sich die Polizeibehörde angelegen sein ließ, dieses Eine geheim zu halten, indem nämlich die Personen, die darum wußten, zur strengsten Verschwiegenheit aufgefordert wurden, und diese Personen, der Hotelwirth und ich, an der Habhaftwerdung des frechen Betrügers im höchsten Grade interessirt waren.«

»Und weshalb wurde denn dieser eine Umstand so geheim gehalten?«

»Weil sonst ein Fall, wie der jetzt vorliegende – Sie selbst haben es sehr richtig hervorgehoben, – unmöglich eintreten konnte. Weil sonst der Betrüger den Knopf, der allein seine Entdeckung herbeiführen konnte, nicht getragen, verkauft oder verschenkt, sondern sich desselben in einer Weise entäußert hätte, die ihn gegen alle Eventualitäten sicherstellte, indem er ihn etwa in die Erde vergrub, oder in's Wasser warf.«

Jetzt war die Reihe an Madame Altmann, den Kopf zu senken.

»Aber andere Gründe,« fuhr Werner fort, »widersprechen, das gesteh' ich, in hohem Maße dem Verdachte gegen den Doctor Schönfeld.«

Die beiden Damen sahen ihn fragend an.

»Meine Gründe sind, daß der Doctor, so viel mir bekannt ist, ein Mann von Bildung, hoher Begabung und ehrenhaftem Charakter sein muß.«

»Nun, das ist es ja eben, was ich sage,« entgegnete Madame Altmann.

»Seine Bildung, seine Begabung, will ich nicht in Abrede stellen,« sagte Ida, »aber sein Charakter ist es gerade, der mich in meinem Argwohn bestärkt.«

»Meine liebe Ida,« entgegnete Werner, »Du machst mich in der That ganz irre. Wie Du weißt, kenne ich den Doctor nicht persönlich, sondern nur aus Deiner Beschreibung, wie aus der Ihrigen, Madame Altmann. Nun aber hab' ich von Ihnen, gnädige Frau, nur Gutes von ihm gehört, und von Dir, Ida, zum wenigsten nie etwas Schlechtes.«

»Ich habe nur Ursache gehabt, Gutes von ihm zu sagen,« betheuerte Madame Altmann.

»Und ich hatte noch nie hinlängliche Ursache, Schlechtes von ihm zu sagen,« entgegnete Ida, »indeß – – –«

»Indeß?« fragte Werner.

»Indeß halt' ich es für meine Pflicht, Euch beiden meine Gedanken über diesen Mann unverhohlen mitzutheilen. Ihr mögt dann urtheilen, ob der Wunsch, Deinen guten Leumund wieder hergestellt zu sehen, Theodor, mich zu einer Ungerechtigkeit verleitet hat, oder nicht.«

Ida entwarf nun eine Charakteristik des Doctors, die im Wesentlichen ganz mit derjenigen übereinstimme, die wir selbst dem geneigten Leser von ihm zu geben versuchten, als wir ihm zuerst diesen Mann vorführten. Und Werner empfing davon den nämlichen Eindruck, den wir bei dem Leser hervorzurufen vor Augen hatten. Das heißt, er begann zu ahnen, daß der Doctor eine sehr mysteriöse Person sei, und daß er, unterstützt von einer großen Gewandtheit und der Zurschautragung einer höheren Bildung, hinter der Maske eines usurpirten Titels und einer nur fingirten literarischen Thätigkeit, einen durchaus nicht musterhaften Charakter und ein nichts weniger als rühmliches Treiben verberge.

Madame Altmann konnte nicht bestreiten, daß Ida das Bild des Doctors mit treffender Wahrheit gezeichnet habe. Sie konnte nicht läugnen, daß in seinem ganzen Wesen etwas Gleißnerisches, katzenartig Einschmeichelndes liege, daß sein Auge etwas Unstätes, Lauerndes habe, daß endlich seine Mienen nur so lange er sich beobachtet wisse, jenen stereotypen Ausdruck von Ruhe und Sanftmuth zeigten; aber wiederum in unbewachten Augenblicken etwas verriethen, wie eine gewaltige, nur mühsam zurückgehaltene Leidenschaft, etwas, das bei dem aufmerksamen Beobachter die unbestimmte Idee von einer unbeugsamen Willensstärke, einer vor keinem Wagniß zurückschreckenden Kühnheit hervorrief.

Madame Altmann hatte das Alles an ihm wahrgenommen; aber ohne je daraus weitergehende Schlüsse zu ziehen, sie hatte einen Eindruck davon empfangen; aber ohne daß dieser in ihr Bewußtsein eingedrungen wäre. Sie mußte auch einräumen, daß des Doctors Benehmen in ihrem Hause wohl kein so durchaus uneigennütziges gewesen sei, als sie bisher angenommen hatte.

Von Ida auf manche Umstände aufmerksam gemacht, die früher ihrer Beachtung entgangen waren, mußte sie gestehen, daß er von dem Tage an gegen sie selbst und Louisen ein Anderer geworden sei, an welchem sie ihm gewisse Mittheilungen über ihre pecuniäre Lage gemacht hatte, und nach und nach wurde ihr zwar klares aber träges Urtheil bis zu der Folgerung gebracht, daß seine Liebe zu Louisen mehr eine geheuchelte, als eine wahre gewesen sei, seine zweimalige Entsagung aber nicht so sehr der Abgeneigtheit Louisens, als vielmehr der Enttäuschung in Betreff ihrer Vermögensumstände zugeschrieben werden müsse.

Dennoch war die gutmüthige alte Dame weit entfernt, wie es nur zu oft geschieht, von einem Extrem zu einem anderen überzugehen und, weil sie erkannte, von dem Doctor zu gute Gedanken gehegt zu haben, nun das Schlimmste von ihm zu denken. Auch Werner, obgleich durch Ida's Worte in seinem ersten Argwohn bestärkt, beharrte bei seiner einmal ausgesprochenen Ansicht, daß alle bis jetzt zur Sprache gekommenen Einzelheiten, sowohl die, welche sich auf des Doctors Persönlichkeit bezogen, als auch jene verdächtigen Umstände mit dem Hemdknopfe, in ihrer Gesammtheit noch keinen hinlänglichen Grund bildeten, um einen so schweren Verdacht gegen ihn auszusprechen.

Da rief Ida plötzlich: »Ich erinnere mich an etwas, das ich aus des Doctors eigenem Munde hörte und dessen Sinn mir bisher dunkel und zweifelhaft war; jetzt aber zum unwiderlegbaren Beweis seiner Schuld wird. O, Ihr werdet mir dennoch Recht geben!«

»So sprich, meine liebe Ida,« sagte Werner.

»Erzähle, Kind,« bat auch Madame Altmann.

»Es mögen jetzt ungefähr zwei Jahr sein,« begann Ida, – »der Doctor wohnte damals zugleich mit meinen Eltern in dem Hause der Madame Pietschmann zu Ottensen – als ich mich eines Abends sehr spät im Garten befand. Ich war in Folge eines von Dir, lieber Theodor, empfangenen Briefes in einer sehr bewegten Stimmung und wünschte, mit meinen trüben Gedanken allein zu sein.

Ich ging in einem der langen Gänge des Gartens auf und ab, als ich plötzlich die nahenden Schritte und gedämpften Stimmen zweier Personen vernahm, und sogleich vermuthete ich, daß der eine der Doctor Schönfeld sein müsse. Ich wünschte zu dieser späten Stunde natürlich nicht, gesehen und vielleicht angeredet zu werden; darum bog ich schnell in einen schmalen Seitengang ein, und blieb, um mich durch kein Geräusch zu verrathen, hinter einer hohen und dichten Hecke stehen.

Die beiden Männer kamen näher, und sprachen dabei fast flüsternd, doch immerhin so laut, daß ich bei der lautlosen Stille der Nacht nicht umhin konnte, sie zu hören und zu verstehen. Da sie indeß sehr schnell vorübergingen, vernahm ich nur Folgendes:

›Somit wären wir denn einig,‹ sagte der Doctor.

›Ei, versteht sich,‹ entgegnete sein Begleiter.

›Und der Plan gefällt Dir?‹

›Er ist Deiner würdig, fast so keck und schlau, wie ein gewisser anderer, den wir zusammen ausheckten, Du aber ausführtest, weil Du den vornehmen Herrn so meisterlich zu spielen weißt.‹

›Sprich nicht so laut.‹

Ein, wie mir schien, ziemlich roher Scherz war die Antwort des Anderen. Doch hörte ich schon die einzelnen Worte nicht mehr deutlich. Gleich darauf wurde das Gartenpförtchen geöffnet, und die beiden Männer sagten sich gute Nacht. Der Doctor kam wieder zurück und ging in das Haus; ich aber blieb noch lange im Garten; denn eine neue Gedankenreihe beunruhigte jetzt mein ohnehin bewegtes Gemüth, und ich fühlte, daß für diese Nacht der Schlaf mich fliehen würde; wozu also Ruhe suchen, wo ich keine finden konnte.

Was waren, so fragte ich mich, dies für Männer, die einen kecken und schlauen Plan angelegt hatten, die schon früher einen solchen – wie der eine gesagt – ausheckten, bei dessen Durchführung der Doctor die Rolle eines vornehmen Herrn übernommen hatte? War das die Sprache ehrenhafter Leute? Eine Sprache, die selbst unter vier Augen und inmitten der Nacht nur flüsternd geführt werden durfte, damit sie das Ohr des Lauschers nicht höre? War nicht hier von einem Bubenstück die Rede gewesen, das man ausüben wollte, von einem andern, das man schon verübt hatte?

Von diesem Augenblicke an steigerte sich der Widerwille, den mir des Doctors scheinheiliges, gleißnerisches Wesen von jeher eingeflößt hatte, zu einem Abscheu, über welchen ich mir zwar oft Vorwürfe machte, der aber immer wieder mit neuer Stärke zurückkehrte, so oft er sich mir näherte.«

Ida schwieg. Die Aufregung, in welche sie selbst diese Erzählung versetzt hatte, röthete ihre Wangen, und ihre sonst so sanften Augen glühten jetzt mit dem Feuer – wir möchten fast sagen der Begeisterung, die ihr das Gefühl eingeben mochte, bei der Ehrenrettung ihres Geliebten mitwirken zu können.

Es läßt sich denken, welche Wirkung ihre Worte auf Werner und Madame Altmann geübt hatten. Bei Werner war, wie Ida vorausgesehen hatte, der letzte Zweifel geschwunden; aber Madame Altmann, deren weiches, empfindsames Herz jedem Verdachte schwerer zugänglich war, erhob noch einen letzten Einwand.

»Wenn Ihr,« sagte sie, »also wirklich in dem Doctor den frechen Betrüger seht, der Euer Unglück herbeigeführt hat, so erklärt mir einen Umstand, der, wie mir scheint, dieser Annahme gänzlich widerspricht, und ich will Eurer Meinung beipflichten.«

»Nennen Sie uns diesen Umstand, gnädige Frau,« bat Werner.

»Wissen wir nicht,« fuhr Madame Altmann gegen Ida gewendet fort, »daß der Doctor sich Deiner Eltern in ihrer bedrängten Lage mit einer seltenen Uneigennützigkeit angenommen und daß er Deinem Vater beträchtliche Summen vorgestreckt hat, obgleich er wissen muß, daß diesem die Rückzahlung vielleicht sehr schwer werden möchte. Nun frag' ich Dich, mein Kind, was sollte den Doctor, wenn er wirklich ein so elender, herzloser Gauner wäre, der nur darauf sänne, ehrlichen Leuten das Ihrige abzuschwindeln, was sollte ihn wohl zu einer solchen Großmuth bewegen können?«

»Ich kann Ihnen nur mit einer Vermuthung antworten,« entgegnete Werner, »aber mit einer Vermuthung, die, nach Allem, was wir jetzt gehört haben, sehr nahe liegt.«

»Und Ihre Vermuthung, lieber Werner?«

»Ist, daß der Doctor von den Vermögensumständen Falkner's weiß,«

»Und das halten Sie für möglich?«

»Nicht nur für möglich, sondern vielmehr für ebenso wahrscheinlich, als es mir unbegreiflich ist, daß der Reichthum Ihres Neffen Ihnen, gnädige Frau, sowie seinen übrigen Verwandten so lange ein Geheimniß bleiben konnte. Wenn nun aber meine Vermuthung richtig ist, so werden Sie auch einräumen, daß, was Ihnen in des Doctors Benehmen gegen Herrn Lüders als großmüthig und aufopfernd erscheint, sehr wohl nur eine schlaue Berechnung sein könnte, die ihm vielleicht einen größeren Gewinn verspricht, als alle seine früheren Gaunerstreiche zusammengenommen.«

Madame Altmann erschrak vor dem Abgrunde von Schlechtigkeit, der sich ihren Blicken öffnete; und doch, wie wenig war sie im Stande, seine ganze Tiefe zu ermessen?

»Genug, genug!« rief sie mit einer abwehrenden Handbewegung, und indem ihre Züge den höchsten Grad von Abscheu und Entrüstung ausdrückten, »das ist ja ein schreckliches Gewebe von Arglist und Schändlichkeit! Gerechter Himmel, wie kann nur ein Mensch so gottlos sein!«

Und die alte Dame faltete die Hände, und sah, in Ermangelung des Himmels, den sie angerufen hatte, nach der Plafondmalerei, indem sie sehr bedenklich den Kopf schüttelte.

Werner hatte einige Mühe, den beiden Damen – denn Madame Altmann war nun ganz auf die Seite Ida's getreten – klar auseinander zu setzen, daß noch immer kein genügender Beweis gegen den Doctor vorliege, um eine gerichtliche Untersuchung gegen ihn einzuleiten. Es gelang ihm endlich, und man begann zu überlegen, welches Verfahren wohl das geeignetste sei, um sich die noch fehlenden Beweismittel zu verschaffen.

Nach einer langen Berathung, die hier in extenso wiederzugeben wir nicht für nothwendig erachten, stellte man endlich Folgendes fest:

Werner sollte an einen zuverlässigen Freund in Hamburg schreiben, um über die Verhältnisse des Doctors, seine jetzigen, sowohl als seine früheren, eine, so weit es thunlich sei, genaue Auskunft zu erlangen.

Zu gleicher Zeit sollte Ida an ihre Schwester Louise schreiben und ihr die an den Tag gekommenen verdächtigen Umstände mittheilen, damit Louise, wenn etwa der Doctor seine Heirathsanträge erneuern sollte, gegen ihn auf ihrer Hut sei und zugleich dem Einfluß entgegenarbeiten könne, den er auf die Eltern ausübe.

Bis das Ergebniß der Nachforschungen vorliege, welche Werners Freund anstellen würde, wollte man keinen Schritt in der Sache thun. – Sollten aber die erhaltenen Aufschlüsse der Art sein, daß ein offenes Vorgehen gegen den Doctor rathsam erscheine, so wollte man sich erst über die ferneren Maßnahmen mit Hugo besprechen, und Werner wollte dann zu diesem Behufe dem Grafen Landeck einen Besuch abstatten und seinen Aufenthalt dort zugleich benutzen, um durch eigene Anschauung die Beziehungen Hugo's zu der jungen Comtesse kennen zu lernen und nach Maßgabe der Umstände ihn über anderweitige Verhältnisse in der Lüders'schen Familie aufzuklären, oder nicht.



 << zurück weiter >>