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Sechstes Kapitel.
Wieder im Walde

Bild: Hans Baluschek

Es war Abend im Walde; am Fuße der alten Tanne warfen die letzten Strahlen der untergehenden Sonne ihre Lichtfunken über das Moos.

Auf seinem Platz, nicht weit vom Eingang zum Bau des Onkel Dachsmann war Pips wieder auf dem Grün des Waldbodens wie anfangs; nur mit einem feuerroten Köpfchen.

Still saß er da; ganz still guckte er vor sich hin und nur von Zeit zu Zeit strich er sich mit den Händchen über den grauweißen kleinen Pilzleib, der nicht mehr in zwei Beinchen geteilt war.

* * *

Schwirr! … kam der kleine Zeisig Zensle mit dem Abendbrot für seine Frau, einer dicken Made vorbeigeflogen und sah den Zurückgekehrten. Fast hätte er die Made fallen lassen, so erstaunt war er über das rote Köpfchen im Moos und, auf dem Nestrand angekommen, zeigte er gleich seiner kleinen Frau die neue Entdeckung.

»Guck mal, da ist der Pips wieder! Aber er sieht ganz anders aus; er hat einen roten Kopf bekommen! Wie eine große Blume sitzt er im Moos!«

Neugierig guckte Frau Zensle, die bis dahin still zusammengeduckt auf ihren Eierchen gesessen und ein wenig geschlafen hatte, über den Nestrand und, nachdem sie die Made schnabuliert hatte, legte sie das Köpfchen an den Flügel ihres Männchens und piepte: »Ja, ja, er sieht aus wie eine große Blume. Flieg' doch mal hin und frag' ihn, wie es war unterwegs, was er alles erlebt hat, und warum er einen so roten Kopf bekam!«

Schwirr! … flog das Männchen auf einen Zweig der Tanne, dicht über Pips und rief: »Pitt-pitt, Herr Pips! … Pitt-pitt, Herr Pips! … Sind Sie wieder da? War es schön unterwegs? Haben Sie viel erlebt? Erzählen Sie doch einmal von Ihrer Reise! Pitt-pitt, Herr Pips! …

Pips blieb ganz still und guckte vor sich hin.

Noch näher flog der Zeisig.

»Pitt-pitt, Herr Pips! … Warum antworten Sie mir denn nicht? Sie denken wohl, daß ich nichts weiß von Ihrem Laufen? Ich weiß alles, habe alles mit angehört, ehe Sie auf die Reise gingen. Sie wollten doch klug werden unterwegs. Sind Sie nun klug? Sind Sie nun sehr klug, Herr Pips?« –

Pips blieb still und guckte vor sich hin.

Nun kam der kleine Zeisig ganz dicht an ihn heran und tippte ihm mit dem Flügelchen an den Kopf.

»Pitt-pitt, Herr Pips! … Sind Sie so still, weil Sie so klug geworden sind? Haben Sie so einen roten Kopf bekommen von aller Klugheit?« –

Pips zwinkerte mit den Augen, sah sehr böse aus, sagte aber wieder nichts.

Bild: Hans Baluschek

In diesem Augenblick kam Onkel Dachsmann mit der Pfeife im Mund, wie am Morgen, aus seinem Bau, um sich noch einmal vor dem Schlafengehen ein bißchen vor seiner Wohnung umzuschauen, ob auch alles in Ordnung sei.

Schwirr! … flog Zensle zu seinem Frauchen aufs Nest zurück, beide duckten sich eng traulich nebeneinander und paßten genau auf, was nun geschehen würde.

* * *

Na, da wäre mal wieder ein Tag herum mit seinem Werk!« grunzte Onkel Dachsmann, paffte große Wolken aus seiner Pfeife und reckte die Arme.

»Ach ja, man hat so seine Arbeitsmühe, wenn man viele Kinderchen hat. Aber Spaß macht es doch. Die Buben sind prächtig, wie die mir da beim Anlegen der neuen Speisekammer geholfen haben; alle Achtung, was da die Lehmklumpen flogen! Werden mal tüchtige Dächse werden; Baumeister und Grubenräte, die sich vom Jäger nicht überlisten lassen.«

Und er nickte zufrieden vor sich hin, während zwei kleine Dächse hinter ihm aus dem Bau gehüpft kamen und Purzelbäumchen schossen in dem Sandhaufen vor dem Ausgang.

Plötzlich brachen die beiden in lautes Freudengequietsche aus; denn sie hatten Pips gesehen.

»Ui-ui-ui-ui! … Guck mal den Pips! … Ui-ui-ui!« … Und augenblicklich liefen sie zu ihm.

Onkel Dachsmann fuhr herum: »Nanu! – Ihr Frechdächse, wollt ihr wohl in den Bau und zu Bett! Es ist schon viel zu spät für euch!«

Die kleinen Dächse aber hüpften um Pips herum und quietschten weiter: »Ui-ui-ui-ui! … Guck mal den Pips, Vater! Pips hat 'nen roten Kopf gekriegt! Pips ist ein Blümchen geworden! Ui-ui-ui!« …

Onkel Dachsmann rückte sich die Brille auf der Nase zurecht, setzte eine sehr wichtige Miene auf, trat näher, sah nun auch den kleinen rotköpfigen Zurückgekehrten, der mit zugekniffenen Augen im Moos auf seinem Wurzelstühlchen saß, und jagte darauf die Frechdächse mit dem Spaten in den Bau zurück. »Husch! – Husch! – Macht mal, daß ihr zu Muttern in den Bau kommt! Das geht euch garnichts an und ist eine höchst ernsthafte Angelegenheit!«

Die Kleinen verschwanden quietschend im Bau, und der Alte stellte sich breitbeinig und, kräftig paffend, vor Pips, der noch immer die Augen zugekniffen und das Mäulchen verzogen hatte.

* * *

Nachdem Dachsmann sich den Pips ein Weilchen betrachtet hatte, grunzte er: »Na, ich denke, wir sind unterwegs, um die Welt zu entdecken, wie? Als ich heute morgen zum zweiten Male aus meinem Bau kam, warst du fort, und ich dachte mir, daß dich jemand aufgefressen hätte oder, daß du auf irgend eine Weise doch noch das Laufen gelernt hättest. Das letztere scheint mir ja der Fall gewesen zu sein. Aber du bist schon wieder zurück und auf deinem Wurzelstühlchen? – – – Was soll ich denn davon halten, Herr Wanderpilz?«

Pips antwortete nicht.

»Hm, hm, und eine rote Haube hast du?« grunzte der Alte weiter; »das ist wohl jetzt Mode draußen auf dem Felde, oder bekommt man das, wenn man besonders klug geworden ist, wie?« –

Pips sagte nichts.

Langsam ging Dachsmann um ihn herum und tippte ihm prüfend an Kopf und Stiel.

»Na ja,« bemerkte er dazu; »fest auf seinem Stühlchen scheint er ja wieder zu sitzen, der weitgereiste Herr, und scheinbar ist es doch die gesammelte Erfahrungsweisheit, die ihm so aus dem Dicktopf leuchtet; he?« –

Nun konnte sich Pips nicht mehr beherrschen und fing an, ganz jämmerlich zu weinen.

* * *

Onkel Dachsmann betrachtete diesen Schmerzausbruch kurze Zeit, aus seiner Pfeife schmauchend. Dann faßte ihn das Mitleid; er streichelte den so Verzweifelten und meinte, daß er sich nur wieder beruhigen möge. Er sei jetzt klug geworden unterwegs; anders allerdings, als er es geglaubt hätte. Das Klugsein sei aber viel wert. Mancher würde es freilich schon durch Nachdenken; andere müßten erst die Erfahrung machen, die schmerzliche. Jedenfalls habe Pips'chen aber erreicht, was er wollte und wisse jetzt, daß jeder dort bleiben soll, wo er hingehört und das tun solle, was er kann. Jeder könne etwas anderes; ein Pilz sei kein Hase, und ein Dachs kein Eichhörnchen. – Pips möge sich nur freuen, daß er nicht an seiner Neugierde gestorben sei.

Wieder streichelte er den Kleinen, der sich allmählich zu beruhigen begann, und fragte ihn dann, wie er am Morgen das Laufen noch gelernt habe.

* * *

Pips fand nun die Sprache wieder und erzählte, allerdings noch immer schluchzend, vom Mooskönig und vom Taumariechen, vom Wunschkleeblättchen und von seiner Abreise mit Flips.

»Und wie hast du unterwegs so ein rotes Köpfchen bekommen?« grunzte der Alte; »warum denn das?«

»Weil ich böse bin, weil ich schrecklich zornig bin, weil ich ganz furchtbar grimmig geworden bin!« – schluchzte Pips mit dicken Safttränen in den Augen.

»Nanu, so böse?« lächelte Dachsmann; »hm hm, ich kann mir ja denken, daß es viel Ärger gab unterwegs; aber ein Pilz soll eben nicht laufen wollen; ich will ja auch nicht fliegen!«

»Geflogen bin ich auch!« piepte Pips.

Beinahe fiel dem Alten die Pfeife aus dem Mund.

»Wie, was, geflogen bist du?« – –

»Witt – witt!« piepte oben im Nest der kleine Zensle zu seinem Frauchen; »hörst du? Er ist auch geflogen!« – Beide schüttelten die Köpfchen. – –

»Ja, Onkel Dachsmann, geflogen bin ich auch!« fuhr Pips fort »Das Laufen war nicht sehr schön. Ich kam durch das Laufen dorthin, wo es nicht sehr schön war. Da bin ich geflogen, weil Doktor Schwarz geflogen ist, und Doktor Schwarz war noch viel klüger als Flips.«

»Hm, hm!« machte Onkel Dachsmann, schüttelte den Kopf und paffte.

Und weiter berichtete der Kleine, wie er durch das Fliegen dorthin kam, wo es noch viel häßlicher für ihn war. –

Oben in ihrem Nestchen nickten sich die beiden kleinen Zeisige mit stolz gehobenen Schwänzchen zu. Ja, es geschah ihm ganz recht, daß es noch häßlicher für ihn wurde, wenn er geflogen war auf seiner Reise. In der Luft sind doch die Vögel allein die Herren, und auch die Insekten sind nur dazu da, daß sie von den Vögeln schnabuliert werden! – Beide waren nun im tiefsten Innern davon überzeugt, daß es ihm so sehr schlecht bekommen war, weil er sogar geflogen wäre.

»Und dann bin ich geschwommen!« berichtete Pips nun weiter.

»Hm, hm!« machte Onkel Dachsmann wieder, schüttelte den Kopf und paffte immer größere Wolken.

Darauf erzählte Pips, daß das Schwimmen am schrecklichsten gewesen sei. Beinahe wäre er tot gewesen; aber ein Blättchen war noch da, und damit habe er sich zurück in den Wald auf sein Wurzelstühlchen wünschen können. Eben sei er angekommen und sei doch sehr froh, daß er wieder daheim wäre. Hier sei es doch am besten.

»Das will ich meinen!« schmunzelte der Alte; »du Lauf-, Schwimm- und Fliegepilzchen!«

Mit einem tiefen, glückseligen Seufzer nickte Pips vor sich hin. – –

Da kamen der Mooskönig und das Taumariechen auf ihrem Abendspaziergang durch den Wald.

»Hallo!« grunzte Onkel Dachsmann; »da kommt der Mooskönig! … Na, ich will mich lieber drücken, bis er wieder fort ist. Ich habe doch deinem verrückten Wunsch nachgegeben und dich ausgegraben. Ich glaube nämlich, er macht mir noch böse Augen dafür, wenn er mich jetzt sieht. Erzähl' ihm deine Abenteuer nur! Ich werde alles derweil meiner Frau berichten.« Und schmunzelnd verschwand er in seinem Bau. –

* * *

Nun standen der Mooskönig und das Taumariechen vor Pips, und Pips machte ein sehr verlegenes Gesicht.

Der Mooskönig strich sich den Bart, nickte bedeutungsvoll und lächelte vielsagend.

»Sieh einmal an, da ist ja auch das Pipschen wieder und wohl durch seine Abenteuerfahrt ein ganz klein wenig klüger; wie?«

Pips fing wieder zu weinen an.

»Nicht wahr, mein kleines Pipschen, das war ein schlimmer Tag!« sagte der Mooskönig und, als Pips erzählen wollte, aber im Schluchzen nichts heraus bekam, strich er ihm gütig über das Köpfchen und sagte, daß er alles wisse und ihm nichts berichtet zu werden brauche. Er wisse auch, wie froh der kleine Reisende nun sei, daß er wieder daheim auf seinem Wurzelstühlchen sitzen dürfe, im Schatten und Frieden der alten, guten Tanne; dort, wo er hingehöre auf der Welt.

Bild: Hans Baluschek

Wieder auf dem Stühlchen im Walde: der vierte Wunsch

Mit einem tiefen, glücklichen Seufzer nickte Pips: »Ach ja, ach ja, ach ja!«

»Und ganz gewiß wirst du nicht wieder dein Plätzchen verlassen wollen und wandern in der Welt,« fuhr der Mooskönig fort. »Klüger wolltest du werden und du bist noch viel klüger geworden als du glaubtest. – Zur ewigen Erinnerung aber an deine Abenteuerfahrt sollst du dein rotes Köpfchen behalten, das du aus Zorn über die eigenen Dummheiten bekommen hast.

Wie ein rotes Blümchen wirst du von heute ab im Moose stehen, und jeder, der dich von deinem Wurzelstühlchen reißen will, soll von einem feinen Gifte zu leiden haben, das in deinem Lebenssafte ist durch die vielen Enttäuschungen auf der Wanderung im Fremden. – Das soll dich schützen, mein kleiner Pilz!« – – –

Pips nickte still.

* * *

Nun wandte sich der Mooskönig an das Taumariechen, das lächelnd neben ihm stand.

»Taumariechen, kleines, gib ihm jetzt zu trinken, wie es sich für ihn gehört. Keine Raupen und Libellen soll er essen; aber den zarten Tau soll er auf seinem Würzelchen haben. Das ist für ihn das Gute.« –

Das Taumariechen beugte sich dicht über den Kleinen, begoß ihn aus ihrem Goldkännchen und fragte flüsternd: »Ist es schön, Pipschen? Ist das nicht viel schöner als Laufen, Fliegen und Schwimmen?«

»Ach ja, das ist schön!« antwortete er glücklich. »Nun weiß ich es: Das ist das Schönste auf der ganzen Welt

»Wer Abenteuern sich ergibt,
Wer Zauberei und Zufall liebt,
Der lernt am Leid, wo auf der Welt
Dem braven Mann das Glück sich stellt!«

sagte der Mooskönig und verschwand mit dem Taumariechen im Walde.

Bild: Hans Baluschek


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