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Drittes Kapitel.
In der Luft

Bild: Hans Baluschek

Summ! – – summ! – – flog Pips durch die Luft; immer höher und höher, den schönen, weißen Wolken entgegen, die im Tiefblau des Himmels schwammen.

Zuerst, als er so plötzlich den Boden unter seinen Füßchen verlor und wie von einer unsichtbaren Macht in die Höhe hinauf gerissen wurde, bekam er doch ein wenig Angst; auch sauste die Luft ihm gewaltig um seinen kleinen Leib, weil er sehr schnell flog. Er zog seine neuen Beinchen hoch an die Brust und umschlang sie eng mit den Ärmchen, so daß er wirklich wie ein kleiner Ball aussah.

Aber diese Angst dauerte nicht lange; denn es geschah ihm nichts Böses, und alles, was er nun sah und hörte, war ihm so neu und seltsam, daß bald die Neugier und Freude in seinem Köpfchen über die Furcht in seiner kleinen Brust siegte.

»Summ! – Summ! – Summ!« sang die Luft ihm in den Ohren und wiegte ihn jetzt weich und warm.

»Wirklich, das Fliegen ist ja lange nicht so mühsam wie das Laufen!« dachte der kleine Weltsegler.

Beim Laufen mußte man immer über die kleinen Wurzeln und Gräser turnen und dabei fiel man so leicht auf die Nase; oder man tat sich an den Beinchen mit den Dornen weh. Beim Fliegen tat aber gar nichts weh, und man konnte auch nicht hinfallen. Vor allen Dingen aber brauchte man das Fliegen nicht erst zu lernen, wie er das Laufen so mühevoll hatte lernen müssen von Flips, trotzdem das Fliegen soviel schneller war als das Laufen.

Er hatte sich das Fliegen sehr mühevoll gedacht, wenn er früher einen Vogel fliegen sah; aber jetzt? …

* * *

Ganz gewiß sind die Pipse mit den kleinen Vögeln sehr viel näher verwandt als mit den dummen, gefräßigen, häßlichen und bösen Lauftieren da unten auf der Erde oder gar mit den blöden Kulksköhlen!« So dachte Pips und flog immer weiter in der weichen, wiegenden Luft; immer höher und höher hinauf, einem wunderschönen, weißen, vom Sonnenlicht überstrahlten Wolkenberg entgegen.

Weit unter ihm breitete sich die Erde aus mit ihren Feldern, Wäldern und Wiesen wie ein wunderschöner Teppich in der goldenen Luft des Morgens.

Was er, der kleine Pilz, nicht alles sehen konnte! Keine Eiche war so hoch, daß sie so viel hätte überblicken können, wie er, der kleine Pilz, es jetzt konnte. Nur die Vögel konnten so weit sehen, und er war ganz gewiß jetzt den Vögeln sehr ähnlich; so dachte er und schwenkte glücklich die kleinen Ärmchen in der Luft, als seien es Flügel.

In den hohen, silbernen Wolkenberg, der vor ihm im Blauen schwamm, wollte der kleine Neugierige nun hinein, um zu erforschen, was darin sei, und selig segelte er, die Ärmchen und die Beinchen weit ausgestreckt, durch die Lüfte und quietschte vor Vergnügen. –

* * *

usch! – – – flog plötzlich Fräulein Zwitscherchen, die Schwalbe, an dem zappelnden Kleinen vorbei.

»Witt, witt, witt, wer sind Sie? – – Witt, witt, witt, was tun Sie in der Luft? – – Witt, witt, witt?« …

So zwitscherte sie und schoß pfeilschnell um den Kleinen herum, der, durch ihre Plötzlichkeit sehr erschreckt, Ärmchen und Beinchen wieder eng an den Leib drückte, gar nichts sagte und sie nur anstarrte.

»Witt, witt, witt, wer Sie sind, frage ich Sie! – – Sie sind doch kein Vogel, witt, witt, witt, mit Ihrem plumpen Leib, witt, witt, witt, und ohne Flügel, witt, witt, witt! – Sie sehen ja aus wie ein Stein, witt, witt, witt; ja, ja, genau wie ein Stein, witt, witt! – Aber die Steine können doch nicht fliegen, witt, witt, witt! – Oder sind Sie vielleicht doch ein Stein, witt, witt, witt, den jemand so hoch geschleudert hat, witt, witt? – – Sie, so antworten Sie mir doch, wenn Sie kein Stein sind, witt, witt, witt!« …

So zwitscherte sie weiter, schoß über ihn hin, unter ihm durch, rechts herum, links herum, und stieß ihn zuletzt mit ihrem langen, schwarzen Flügelchen an, daß er sich ein paarmal überkugelte in der Luft.

»Sie, wer sind Sie, witt, witt, witt?« …

Durch diesen Puff fand er nun doch seine Sprache wieder. Die Schwalbe benahm sich so herausfordernd gegen ihn, der doch auch fliegen konnte wie sie!? – – Sehr beleidigt war er.

»Sie wünschen zu wissen, wer ich bin? – Ich bin Pips, der Pilz, der fliegen kann, wie Sie es können, und verbitte mir diese Anrempeleien in der Luft!« platzte er heraus und stieß böse mit dem einen Beinchen nach ihr.

»Witt, witt, witt … hi, hi, hi … witt, witt, witt … hi, hi, hi …!« lachte sie laut und segelte hoch über ihm. –

»Ein Pilz sind Sie? ein Pilz? – Witt, witt, witt; ein Pilz kann doch nicht fliegen! – Witt, witt, witt … hi, hi, hi! – Ein Pilz sitzt doch im Walde auf seinem Wurzelstühlchen! – Hi, hi, hi … witt, witt, witt! Ein Pilz sind Sie doch nicht, witt, witt, witt? – Etwas ganz Verrücktes sind Sie, hi, hi, hi! So etwas Verrücktes habe ich noch nie gesehen, witt, witt, witt! – Und ich habe doch schon die ganze Welt gesehen, witt, witt, witt! – Ich bin doch Zwitscherchen, die Schwalbe! – Aber ein Pilz, der fliegt?? – So etwas Verrücktes, hi, hi, hi!« … So lachte das Schwälbchen weiter und schoß um den Kleinen herum, bald über ihm, bald unter ihm, so schnell, daß er gar nicht wußte, wo sie immer war und – – puff! … da hatte sie ihm schon wieder einen Stoß mit dem Flügel gegeben, daß er herumkugelte und nicht wußte, wo oben und wo unten war.

»Hi, hi, hi!« hörte er sie neben sich, über sich, unter sich lachen. »Witt, witt, witt, ein fliegender Pilz? – So etwas Verrücktes! …

Und er sah ihren weißen Leib, ihre schwarzen Flügelchen, ihr weit offenes Schnäbelchen auf allen Seiten, so daß ihm ganz schwindlig und wirr in seinem dicken Pilzköpfchen wurde, und er schließlich die Augen zukniff.

»Pfui, da kommen die Spatzen!« zwitscherte Zwitscherchen plötzlich. »Das ist eine freche und stinkrige Mistgesellschaft, mit der ich nichts zu tun haben will!«

Und damit schoß sie in einem großen Bogen hinter Pips in die Tiefe.

»Witt, witt, witt … hi, hi, hi! – Ein fliegender Pilz! – So etwas Verrücktes!« … hörte er noch ihr Lachen und Zwitschern aus weiter Ferne herauf. – –

* * *

Vorsichtig machte er die Augen auf und ließ die Händchen vom Leib ab.

Das war ja ganz schrecklich gewesen, wie die kleine Schwalbe ihn verhöhnt hatte! Er war sehr böse auf sie.

Aber nun war sie fort und zwar vor den Spatzen fortgeflogen. Die Spatzen kannte er noch nicht; aber, weil die Schwalbe vor ihnen fortgeflogen war, so hatte er sie eigentlich schon gern und, als er nun hinter sich ein lautes Schwirren in der Luft hörte, wandte er vorsichtig und neugierig den Kopf, um seine Befreier zu betrachten.

Ein Schwarm von Spatzen fegte heran.

* * *

Wohl hundert Sperlingsmännchen machten unter Führung ihres Stärksten, des Oberspatzen Schwips, eine Abenteuerreise in der Frühluft, während ihre Weibchen unten in ihren Nestern brüteten.

Zuerst waren sie eine ganze Weile ziemlich dicht über der Erde hin und her geschwirrt, hatten Mücken und Fliegen gefangen und mit ihrem lauten Geschrei und ihrer dreisten Gassenbubenfrechheit die anderen Vögelchen geärgert, wie sie das immer tun; plötzlich aber sah Schwips hoch oben in der Luft den Pips und das Schwälbchen, stieß ein schrilles »Schilp, schilp« aus, und alle guckten, wie auf Kommando, nach ihm und dann dorthin, wohin er guckte.

»Seht da oben!« … schrie er; »da fliegt die dumme Schwalbe um ein Äpfelchen, das vom Wind getrieben wird! Sie will es fressen! Das soll sie nicht! Das wollen wir uns holen! – Treng, tertettettett!« …

»Ja, das wollen wir haben! – Treng, tertettettett!« … schrieen sie alle und – schwirrrr! … schossen sie in die Höhe hinauf.

* * *

Als die Spatzen den beiden mit lautem Geschilpe näher kamen, flog Zwitscherchen, wie wir schon wissen, fort, und Pips blieb allein, sich neugierig umguckend.

Seine Freude, daß sie ihn vom Schwälbchen befreit hatten, verwandelte sich aber bald von neuem in Furcht und Sorge, als es ihr gieriges Geschilpe hörte und so knäuelte er sich wieder, wie vorher, eng zusammen.

»Ei, ei!« … schrie Schwips; »das ist ja ein herrliches, großes Pferdemistäpfelchen! Wunderbar ist nur, wie es von der Straße durch den Wind so hoch hinauf getrieben werden kann! Es muß recht leicht sein; aber hoffentlich ist es darum nicht weniger saftig und soll uns zum Frühstück gut schmecken! – Grüh, grüh, grüh... treng, tertettett!« …

»Grüh, grüh, grüh … treng, tertettet!« … schrien sie alle gierig durcheinander. »Ei, ei, der soll uns gut schmecken!« – Und schwirrrr! … waren sie auch schon von allen Seiten um ihn her.

Pick! – hatte ihn Schwips, als erster in den Leib gekniffen.

»Au!« … quietschte er ängstlich und böse zugleich; »was wollen Sie alle von mir? Ich bin nicht ein Pferdeäpfelchen zum Fressen! Ich bin Pips, der Pilz, der fliegen kann!« –

Mit Armen und Beinen strampelte er verzweifelt um sich gegen die höchst erstaunten Spatzen.

»Ja, tertettettett! … Es ist wahr! Du bist kein Äpfelchen! Du schmeckst ganz greulich!« … schrie Schwips und schüttelte den Kopf mit geplusterten Federn. »Pfui, pickt nicht nach ihm! Er schmeckt wie ein alter stinkiger Pilz, mit dem man sich nur Bauchschmerzen holen kann!« –

»»Pfui, trettettett! – Pfui, trettettett!« … schrieen die andern alle; ein alter, stinkiger Pilz, mit dem wir uns nur Bauchschmerzen holen können?« – Und schwirrr, schwirrr! … schoß der ganze Schwarm wieder in die Tiefe hinab, aufs Feld, woher sie gekommen waren. –

* * *

Flips zitterte am ganzen Leibe; denn das war ja wirklich schlimm gewesen.

Schrecklich weh hatte der Kniff von dem frechen, gierigen Oberspatzen getan. Auffressen hatten sie ihn gewollt; so, wie der Kulks immer gefressen wurde, so hatten sie ihn auch fressen wollen. Da war die Schwalbe ja noch viel besser gewesen als die Spatzen.

»Na, ich habe ihnen aber nicht geschmeckt! Sie haben es gemerkt, daß ich nicht zu fressen bin wie die Köhle; daß ich Pips bin, ein Pilz, der fliegen kann wie sie selbst!« So dachte er, sich tröstend, befühlte die Stelle, an der ihn Schwips gekniffen hatte, die auch noch immer etwas schmerzte, aber doch ganz geblieben war in der Haut, und richtete sich dann vorsichtig wieder auf aus seiner krummen Haltung.

Hätte er sich nicht so zusammengeduckt, dann hätten die Spatzen ihn gewiß nicht für ein Roßäpfelchen gehalten, dachte er und streckte Ärmchen und Beinchen wieder weit von sich, damit man ihn in der Luft nun auch wirklich erkennen könne als den, der er war; als einen fliegenden Pilz.

Nun war er schon ganz nahe der großen, leuchtenden Wolke.

»Wie es wohl in dem großen Lichtberg aussehen mag?« dachte er und riß in seinem forschhungrigen Köpfchen, daß sich von der Aufregung der letzten Erlebnisse schon ordentlich gerötet hatte, die kleinen Augen weit auf.

Gleich darauf segelte er mit weit ausgebreiteten Armen in den silbernen Nebel hinein.

* * *

Ach ja, das war wieder schön für den kleinen Allerweltsneugierigen! –

Der helle Wolkennebel strich ihm weich und feucht um den Leib. Es war fast so ein Gefühl, so ein urwohliges, wie er es am Morgen gehabt hatte, als das Taumariechen ihn erfrischte.

Das Fliegen war wirklich schöner als das Laufen, und er hatte schon fast den großen Ärger vergessen, den er durch die Spatzen und das Schwälbchen soeben noch gehabt hatte.

Selig reckte er alle Glieder und piepte einen langen Pipsfreudenton.

Husch! – – war plötzlich die Wildtaube neben ihm, die auf ihrem Morgenflug auch durch die Wolke strich und seinen Freudenpiepser gehört hatte.

»Rudiguh, rudiguh!« rief sie höchst erstaunt, als sie ihn sah. »Rudiguh … was soll denn das bedeuten? – Ein Pilz, ein richtiger Pilz, hier oben in der Wolke? – Ein Pilz, der fliegen kann? – Rudiguh … turrr, turrr! – Das ist seltsam und sehr wunderbar! …«

Und sie klatschte mit den Flügeln, nickte mit dem Köpfchen neben Pips und gurrte: »Gestatten Sie, mein Herr fliegender Pilz, daß ich mich vorstelle: Mein Name ist Fräulein Gurr, die Taube! – Darf ich vielleicht fragen, wer Sie sind? Einen fliegenden Pilz sah ich noch nie! Sie sind etwas sehr Neues und sehr Wunderbares in der Luft!«

Na, das gefiel dem kleinen Reisenden!

Endlich kam doch jemand, der ihn gleich als Pilz erkannte und zwar als fliegenden Pilz; und mit stolzester Miene und einer Verneigung, so würdig, wie es ihm in der Luft möglich war, erwiderte er:

»Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, mein Fräulein. Mein Name ist Pips, Pips der laufende und fliegende Pilz, und ich befinde mich augenblicklich auf einer großen Reise, um die Welt etwas zu erforschen.«

Und wieder nickte sie eifrig mit dem Köpfchen und flog, flügelklatschend, um den kleinen Weltreisenden. Dazu gurrte sie: »Es ist mir außerordentlich interessant, mein Herr Pips, daß ich Ihnen begegnete; denn wirklich, einen fliegenden Laufpilz sah ich bisher noch nicht und bin doch schon recht viel herumgekommen in der Luft. Auf der Erde im Walde, im Moose, auf dem Felde und auf Wiesen sah ich viele junge und ältere Herren und Damen Ihrer Familie. In der Luft aber, fliegend und mit kleinen Beinchen zum Laufen, sind Sie in Wahrheit der erste unter den Pilzen, der mir begegnet.«

Bild: Hans Baluschek

Die Reise in der Luft: der zweite Wunsch

»Ja, ich bin auch in dieser Hinsicht ein sehr bevorzugter Pilz,« meinte er sehr stolz. »Der Mooskönig hat mir die Beinchen geschenkt und das Fliegen erlaubt, weil er mich ganz besonders lieb hat und, weil er weiß, daß ich sehr klug werden will. So klug will ich nun werden, wie alle Tiere und Pflanzen zusammen sind!«

* * *

Oh ja! nickte das Täubchen eifrig; »das kann ich Ihnen wohl nachfühlen, Herr Pips, und es würde mir Freude machen, wenn ich Sie heute früh ein wenig begleiten könnte auf Ihrem Forscherflug. Wenn Sie nur ein klein wenig schneller fliegen möchten. Ich fliege nämlich sehr schnell und könnte Ihnen dann vielleicht, bei gemeinsamem Fluge, noch manches Neue in der Weite der Luft zeigen, das Ihnen sonst wohl entgehen würde!«

Dazu flog das Täubchen immerfort, flügelklatschend und kopfnickend, um den beglückten Pips herum.

»Ja, schneller kann ich leider noch nicht fliegen, Fräulein Gurr,« meinte er mit bedauernder Miene und zappelte verzweifelt mit den Ärmchen. »Ich weiß auch gar nicht, wie ich das machen soll. Das müßte ich erst von Ihnen lernen, wie ich das Laufen von Herrn Flips, dem Hasen, gelernt habe.«

Mit freundlichem Gurren flog sie, auf diese Bemerkung hin, plötzlich dicht unter ihn und bat ihn, doch auf ihrem Rücken Platz zu nehmen; es würde ihr große Freude bereiten, einen so klugen Forscher mit schnellem Flügelschlag durch die Welt zu tragen.

Das gefiel ihm natürlich wieder sehr.

Er strahlte über sein ganzes, rundes Pipsgesichtchen, breitete die kleinen Beinchen aus und nahm auf ihrem schönen bläulichen Federrücken, dicht hinter ihrem grün schimmernden Hälschen als ein kleiner Reiter Platz.

* * *

Rudiguh, rudiguh, rudiguh!« gurrte das Täubchen freundlich: »bitte halten Sie sich nur recht fest, da wir jetzt schnell aus der Wolke herausfliegen wollen, um Aussicht zu haben. Hier im Wolkennebel kann man nämlich nichts Neues sehen und entdecken. Es ist nur ein glücklicher Zufall, daß ich Sie hier traf, mein Herr Fliegelaufpilz, weil ich Ihre Stimme hörte!«

Husch!! – – flog Fräulein Gurr pfeilgeschwind vorwärts, daß unserm Pips die Luft nur so um das Köpfchen brauste, und er sich dicht an ihr weiches Federkleid schmiegen mußte, um von dem gewaltigen Wind nicht heruntergeblasen zu werden.

So ging es noch eine ganze Weile durch die Wolke; dann aber wurde der Nebel dünner und dünner und – plötzlich waren sie wieder unter blauem Himmel und hatten eine weite, weite Aussicht über die sonnenbestrahlte Welt unter sich. –

* * *

Die roten Dächer eines Dorfes leuchteten am Rande großer, grüner Felder zu dem kleinen Fliegerpaar herauf. Nicht weit davon sahen sie über einen großen Wald hin, in dessen Mitte ein weiter See das Blau des Himmels spiegelte.

Ja, das war schön!

Fest mit den Händchen am Hals der Taube, richtete Pips sich ein wenig auf und gab seiner Freude durch einen langen Quietscher Ausdruck.

»Nicht wahr, mein Herr, ist dies nicht eine sehr schöne Aussicht?« gurrte die kleine Taube und bog ihr Köpfchen zurück.

»O ja, o ja, Fräulein Gurr!« meinte er und beugte sich dicht neben ihren Kopf, da es doch noch immer sehr schnell ging. »Was ist denn das Rote da unten, das am Rande von dem Grünen liegt?«

Bild: Hans Baluschek

»Das sind die Dächer von einem Menschendorf, in dem es sehr viel Schönes für uns Tauben gibt, was die Menschen liegen lassen, und wir uns dann immer holen können.«

»Aber die Menschen sind doch ganz schrecklich! Das haben alle mir gesagt, die sie kennen,« antwortete Pips. »Ich habe sie ja noch nicht gesehen; aber ich habe den Karo gesehen, der mit ihnen befreundet ist und der ist sehr scheußlich. Umgelaufen hat er mich und gesagt: »Pfui, du stinkst!« und dann hat er den Flips in seinem großen Maul fortgetragen, den der Mensch totgeknallt hatte, damit er ihn aufessen kann. Flips aber hatte mich doch so lieb das Laufen gelehrt! – – Nein, der Mensch ist schrecklich!« –

»Zu uns Tauben ist aber der gewöhnliche Mensch nicht so schrecklich. Man muß sich nur vorsehen, wenn er knallt. Dann sieht er immer grün aus und hat so eine Röhre in der Hand, aus der es knallt. Er sieht aber sehr selten grün aus und, wenn er anders aussieht, ist er immer sehr freundlich.

Natürlich sind wir Wildtauben immer sehr vorsichtig und kommen dem Menschen nicht allzunahe; auch, wenn er nicht so grün aussieht. Man kann nämlich in der Welt nie vorsichtig genug sein, besonders so großen Wesen gegenüber, wie der Mensch eines ist. Wir kennen ihn ja auch nicht so genau, wie die Haustauben, unsere Vettern und Basen, ihn kennen, die bei ihm in seinen Dörfern wohnen.

Die pflegt er und hütet und streichelt sie, und Hunger haben sie niemals sehr, weil er ihnen immer alles hinträgt, was gut schmeckt. Die Haustauben sind auch viel dicker als wir, weil wir doch manchmal, besonders im Winter, recht nach unserem Essen suchen müssen und hungrig sind.« –

So erklärte Fräulein Gurr, die Wildtaube, ihrem kleinen Pilzreiter die Menschen nach den Erfahrungen, die sie mit ihnen gemacht hatte.

* * *

Pips besann sich ein Weilchen und meinte dann, daß es doch sonderbar sei, daß alle, die liefen und flögen, hauptsächlich wegen des Fressens liefen und flögen und immer vom Hunger erzählten. Er könne doch auch laufen und fliegen; aber fressen möchte er nicht und, was Hunger wäre, das wisse er eigentlich auch nicht.

»O, das ist etwas ganz Schlimmes, und man kann dadurch sterben!« gurrte die kleine Taube.

»Nun ja, Ihr macht Euch ja auch alle tot oder tut Euch so weh mit Beißen und Fressen durch den Hunger! Ich bin doch froh, daß die Pipse keinen Hunger haben, der Euch anderen so weh tut und Euch alle so böse macht!« antwortete er ihr.

»Ich bin doch nicht böse, Herr Pips?« gurrte sie ganz entrüstet.

Nun schämte er sich, schmiegte sein Köpfchen an ihres und beteuerte ihr seine Überzeugung, daß er sie ganz gewiß nicht für böse halte, daß sie, im Gegenteil, sehr gut sei, noch viel besser als Flips, da er auf ihr reiten dürfe, doch über die weite Welt hin und, da sie ihm so viel Neues erzählt hätte. Man könne sicher sehr gut sein, auch, wenn man Hunger hätte und fressen müsse. –

»Ja, man kann auch fressen und sehr gut sein, Herr Pips!« gurrte sie sehr energisch und klatschte mit den Flügeln.

* * *

In ihrem Schnellflug waren sie nun schon über dem See, und Pips bat seine kleine Trägerin, ihm doch zu sagen, was denn das wäre, das da unten, so hell und blau wie der Himmel, aus dem dunkelgrünen Walde heraufleuchtete.

»Das ist der See auf dem« … und plötzlich zuckte sie zusammen, mitten in der Antwort, und zwar so stark, daß Pips hoch im Bogen und köpflings von ihrem Hals flog; dann schrie sie angstvoll: »Rudiguh … der Falke Pfeilstoß kommt, der mich fressen will!« und schoß blitzschnell in die Tiefe. –

Pips überpurzelte sich mehrere Male in der Luft, preßte Händchen und Beinchen dicht an sich wie vorher und kniff die Augen zu, denn er hatte einen großen Schreck bekommen. Dann aber hörte er noch einen lauten Schmerzensschrei seiner kleinen Freundin und, als er ängstlich hinschielte, sah er, wie der Falke sie in der Luft in den Krallen hatte und ihr den Hals mit grimmiger Lust zerriß. –

Ihm war ganz schwindlig vor Schreck. O, wie fürchterlich war doch das Fressen auch hier in der Luft! Es war fast noch schrecklicher als unten auf der Erde! Genau so wie Karo, der Hund, den guten Flips im Maule gehabt hatte, hatte der Pfeilstoß, der Falke, das Fräulein Gurr im Schnabel! Alle seine Freunde wurden so gefressen!

Und er kniff wieder die Augen zu und purzelte weiter durch die Luft herunter, immer tiefer und tiefer, dem See entgegen, nur mit dem einen Wunsch in der Pipsseele, daß der grimmige Falke ihn nicht auch noch beißen möchte; denn ganz gewiß würde der noch viel schlimmer beißen, als Schwips der Oberspatz, ihn gebissen hatte. –

Bild: Hans Baluschek


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