Giambattista Basile
Das Pentameron
Giambattista Basile

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4. Vardiello

Sobald Meneca ihre Erzählung beendet hatte, die wegen der Fülle unterhaltender Ereignisse,, durch welche die Aufmerksamkeit der Zuhörer im höchsten Grade war gefesselt worden, nicht weniger schön als die vorhergehende geschienen, fuhr Tolla auf Befehl des Prinzen fort und begann, ohne Zeit zu verlieren, folgendermaßen zu reden:

Wenn die Natur den Tieren das Bedürfnis der Kleidung und die Notwendigkeit, sich für Geld Nahrung anzuschaffen, auferlegt hätte, so ginge ohne Zweifel das vierfüßige Geschlecht dabei zugrunde. Indem sie nun aber ihre Speise ohne große Mühe finden und ohne Gärtner, der sie pflücke; ohne Käufer, der sie einkaufe, ohne Koch, der sie zubereite, und ohne Vorschneider, der sie zerlege, schützt sie zugleich ihr eigenes Fell vor Regen und Schnee, ohne daß der Kaufmann ihnen Tuch gebe, der Schneider die Kleider mache und der Lehrjunge ein Biergeld verlange. Dem Menschen jedoch, welcher Verstand besitzt, hat die Natur diese Bequemlichkeit nicht verleihen wollen; denn er weiß sich selbst das, was er braucht, zu verschaffen, und dies ist auch die Ursache, warum man die Klugen gewöhnlich arm und die Dummköpfe reich sieht, wie ihr aus dem Märchen, das ich euch jetzt gleich erzählen werde, entnehmen könnt.

Grannonia von Aprano war eine Frau von sehr großer Klugheit, besaß aber an ihrem Sohne, namens Vardiello, den einfältigsten Tropf jener Gegend. Die Augen einer Mutter sind jedoch wie behext und sehen gewöhnlich ganz falsch; daher hegte sie für ihn eine äußerst blinde Liebe und schmeichelte und streichelte ihn, als wäre er das schönste Geschöpf der Welt gewesen. Nun hatte aber Grannonia eine Gluckhenne, welche Küchlein ausbrütete, aus denen, wie sie große Hoffnung hegte, ihr ein hübscher Gewinn erwachsen und ihr Glück hervorsprießen sollte. Indem sie nun einmal notwendig ausgehen mußte, rief sie ihren Sohn und sprach zu ihm: »Gib wohl acht, mein lieber Goldjunge, was ich dir sage; laß mir die Gluckhenne ja nicht aus den Augen, und wenn sie fortlaufen will, um zu picken, so paß auf und jage sie in die Steige zurück; denn sonst werden die Eier kalt, und wir haben dann weder Eier noch Hühnchen.« – »Laß mich nur machen«, erwiderte Vardiello, »du hast zu keinen tauben Ohren gesprochen.« – »Noch etwas«, fuhr die Mutter fort; »sieh, mein Herzenssöhnchen, in dieser Kammer steht ein Topf mit gewissen, giftigen Sachen; hüte dich, daß dich die böse Sünde des Naschens nicht antreibt, davon zu kosten; denn dann wäre es um dich geschehen.« – »Das sei fern von mir«, erwiderte Vardiello, »Gift lockt mich nicht an; du hast aber klug getan, daß du mir die Warnung erteilt; denn wäre ich daran geraten, so hätte ich alles mit Stumpf und Stiel aufgegessen.« Hierauf ging die Mutter fort, und Vardiello blieb zurück, welcher sodann ohne Zeitverlust in den Garten ging, um Gruben zu machen und sie mit Zweigen und Erde zu bedecken, damit die kleinen Obstdiebe sich darin fingen. Da er aber bei der besten Arbeit war, bemerkte er, daß die Glucke aus der Stube gelaufen kam und fing daher an, zu rufen: »Husch, husch, fort hier, geh dort«; aber sie achtete nicht auf ihn, weswegen Vardiello, da er sah, daß die Henne auf ihren Kopf bestand, anfing mit den Füßen zu stampfen und nach dem Fußstampfen die Mütze nach ihr zu werfen und nach der Mütze einen Knüttel, der sie auch gerade auf den Kopf traf, ihr den Garaus machte und das Lebenslicht ausblies. Als Vardiello das angerichtete Unheil wahrnahm, so dachte er daran, dem Schaden so gut als möglich Abhilfe zu leisten, und aus der Not eine Tugend machend, ließ er die Hosen nieder und setzte sich auf die Eier, fabrizierte aber, indem er sein Hinterteil plötzlich einer gewissen Bürde entledigte, einen Eierkuchen von zwiefacher Gestalt. Indem er nun sah, was er angerichtet hatte, war er nahe daran, mit dem Kopf gegen die Mauer zu rennen; endlich jedoch, da ja jeder Schmerz mit der Zeit nachläßt und sein Magen ihn ungestüm mahnte, beschloß er, die Henne zu verschmausen; er rupfte sie daher, steckte sie an einen Spieß, machte ein großmächtiges Feuer und fing an, sie zu braten; worauf er, da sie in kurzer Zeit gar wurde, und um alles in gehöriger Weise anzurichten, ein reines Tischtuch über einen alten Kasten deckte und dann mit einem Krug in den Keller stieg, um sich einen Schoppen zu holen. Wahrend er jedoch mitten im besten Anzapfen war, hörte er einen Lärm, einen Spektakel, ein Getöse im Hause als wie von einer Koppel Pferde, und als er ganz bestürzt den Kopf umdrehte, sah er, wie eine große Katze die Henne mitsamt dem Spieß erwischt hatte und eine andere ihr miauend nachjagte, um ihren Anteil zu erhaschen. Um dies wiedergutzumachen, stürzte sich Vardiello wie ein losgelassener Löwe auf die Katzen, ließ jedoch vor großer Eile den Hahn des Weinfäßchens aufgedreht, und nachdem er die Bestien in alle Winkel des Hauses umhergejagt, setzte er sich zwar wieder in den Besitz der Henne, das Fäßchen jedoch war inzwischen ganz ausgelaufen. Sobald nun Vardiello zurückkehrte und die schöne Bescherung wahrnahm, lief auch ihm beinahe das Faß der Seele durch die Spundlöcher der Augen aus, endlich jedoch, nachdem er sich lange den Kopf darüber zerbrochen, wie er den Schaden wiedergutmachen sollte, damit die Mutter die Verheerung nicht bemerke, nahm er einen bis an den obersten Rand gefüllten, dicht gepfropften, festgedrückten, angestopften Sack Mehl und schüttete ihn auf die Weinsuppe. Als er jedoch trotz alledem die stattgehabten Unglücksfälle an den Fingern herzählte und bedachte, daß er durch diese Masse von Eseleien, die er begangen, in der Gunst der Mutter gänzlich das Spiel verloren haben müßte, faßte er den herzhaften Entschluß, sich von ihr nicht mehr lebendig sehen zu lassen. Er fiel daher über den Topf mit eingemachten Nüssen her, von dem ihm die Mutter gesagt, daß er Gift enthielte, und hörte nicht auf, einzuhauen, als bis sich der Boden des Topfes zeigte, worauf er, nachdem er sich so den Bauch gehörig angefüllt, sich in einen Backofen verkroch.

Bald nachher kam nun die Mutter nach Hause und pochte eine lange Zeit, als sie jedoch sah, daß ihr niemand aufmachte, stieß sie die Tür mit einem Fußtritte auf und rief, in das Haus tretend, ihren Sohn mit lauter Stimme. Da ihr indes keine Seele antwortete, ahnte sie ein großes Unglück, und indem sie in ein lautes Jammern ausbrach, fing sie an noch viel stärker zu rufen: »Vardiello! Vardiello! Bist du denn taub, daß du nicht hörst? Bist du denn lahm, daß du nicht gelaufen kommst? Hast du denn den Pips, daß du nicht antwortest? Wo steckst du denn, du Galgengesicht? Wo bist du denn hingekommen, böser Bube? O hätte ich dich doch gleich erstickt, als ich dich herausgedrückt.« Als Vardiello dies Gekreisch vernahm, rief er endlich mit kläglicher Stimme: »Hier bin ich, ich stecke im Ofen, und du wirst mich nicht wiedersehen.« – »Warum?« fragte die arme Frau. »Weil ich mich vergiftet habe«, erwiderte der Sohn. »Herrgott«, rief Grannonia aus, »wie hast du denn das angefangen? Was hast du für einen Grund gehabt, diesen Selbstmord zu begehen, und wer hat dir das Gift gegeben», worauf ihr Vardiello all die schönen Dinge, die er ausgeführt, der Reihe nach erzählte und daß er um dessentwillen sterben und sich nicht mehr der Gefahr ähnlicher Streiche in der Welt aussetzen wollte.

Sobald nun die Mutter ihn ausgehört, wurde ihr übel und weh zumute, und sie hatte außerdem noch Not, dem Vardiello seine schwermütige Grille aus dem Kopf zu treiben; da sie jedoch ganz vernarrt in ihn war, so gab sie ihm endlich noch einige andere süße Sachen zu essen und brachte ihn durch diese zu der Überzeugung, daß die eingemachten Nüsse kein Gift, sondern nur eine Magenstärkung waren. Nachdem sie ihm nun so mit guten Worten zugesprochen und ihn mit tausend Liebkosungen überhäuft hatte, zog sie ihn aus dem Ofen, gab ihm ein Stück Leinwand und sagte zu ihm, er solle es verkaufen gehen, indem sie ihm zugleich den Rat erteilte, sich bei diesem Handel nicht mit Personen von vielen Worten einzulassen. »Schon gut«, sagte Vardiello, »habe nur keine Furcht und laß mich nur machen«, nahm darauf die Leinwand und trollte mit derselben nach Neapel, woselbst er in den Straßen umhergehend ausrief: »Wer kauft Leinwand, Leinwand!« So viele ihn aber auch fragen mochten, »was ist das für Leinwand?«, allen antwortete er: »Wir passen zueinander nicht, du machst mir zuviel Worte«, und wenn ihn jemand fragte: »Wie teuer verkauft ihr die Leinwand?«, so nannte er ihn einen Schwätzer, der ihn betäube und ihm den Kopf zerhämmere. Zuletzt erblickte er in dem Hofe eines wegen Gespenstern unbewohnten Hauses eine Bildsäule aus Stuck und daneben eine Bank, auf welche der arme Bursche, der vom vielen Umherlaufen ermüdet, fast seine Füße nicht mehr fühlte, sich niedersetzte. Da er nun in dem ganzen Hause, welches wie geplündert aussah, kein einziges lebendiges Wesen wahrnahm, so sagte er höchlich verwundert zu der Statue: »Höre Kamerad, wohnt niemand in diesem Hause?« Und indem er lange Zeit vergeblich gewartet hatte, bis sie ihm antworten würde, so schien sie ihm endlich fürwahr eine Person von sehr wenig Worten, daher er wiederum zu ihr sprach: »Willst du diese Leinwand kaufen? Du sollst sie billig haben!« Als nun die Bildsäule noch immer nichts erwiderte, begann er aufs neue: »Meiner Treu, ich habe meinen Mann gefunden! – Da nimm sie hin und sieh dir sie an und gib mir dafür, was du willst; denn morgen hole ich mir die Moneten.« Dies sagend, ließ er die Leinwand an dem Orte, an welchem er gesessen, liegen, von wo sie das erste Menschenkind, welches, um irgendeines dringenden Bedürfnisses willen in den Hof trat, über den unerwarteten Fund erfreut, mit sich fortnahm.

Sobald nun Vardiello, ohne Leinwand nach Hause zurückkehrend, der Mutter den geschlossenen Handel mitgeteilt hatte, wäre diese fast in Ohnmacht gefallen und rief endlich aus: »Wann wird doch endlich einmal dein Gehirn in Ordnung kommen? Erinnere dich doch, bedenke doch, wie viele dumme Streiche du mir schon gespielt hast! Aber ich selbst messe mir die Schuld bei, weil ich aus purer Affenliebe dir nicht gleich anfangs gegeben habe, was dir zukam; und jetzt sehe ich ein, daß ein mitleidiger Arzt nur die Wunde unheilbar macht; du wirst es jedoch so lange treiben, bis du einmal übel bei mir ankommst, und dann werden wir eine lange Rechnung abmachen.« – »Nur ruhig, liebe Mutter«, antwortete Vardiello, »es ist lange nicht so schlimm, als es aussieht! Verlangst du etwa mehr als funkelnagelneue Taler, und glaubst du etwa, ich sei so ein einfältiger Tropf und wisse nicht, was ich tue? Warte nur bis morgen, dann wirst du schon sehen; es ist ja nicht mehr so lange hin, und dann gib genau acht, ob ich wirklich so sehr auf den Kopf gefallen bin.«

Kaum war also der Morgen erschienen und die Schatten der Nacht, von den Häschern der Sonne verfolgt, aus dem Lande geflohen, so begab sich Vardiello eilig nach dem Hofraum, in welchem die Bildsäule stand, und sagte zu ihr: »Guten Tag, Freund, wäre es dir wohl gefällig, mir die paar Dreier zu geben und mir die Leinwand zu bezahlen?« Da er jedoch sah, daß die Statue keinen Laut von sich gab, ergriff er einen großen Kiesel und warf ihn aus allen Kräften mit der Spitze gerade auf die Brusthöhle, so daß er der Bildsäule eine Ader zersprengte, sich selbst aber zur vollen Gesundheit verhalf; denn indem einige Steine herunterfielen, entdeckte er durch die Öffnung einen Topf voll mit Goldtalern, welchen er alsbald mit beiden Händen packte und damit über Hals und Kopf nach Hause rannte, wobei er einmal über das andere rief: »Mutter, Mutter, sieh doch die große Menge roter Feigbohnen, diese große, große Menge.« Sobald die Mutter die Taler erblickte, sagte sie zu ihm, da sie fürchtete, er würde den Vorfall den Leuten erzählen, er solle vor der Tür stehenbleiben, bis der Milch- und Käsemann vorüberkäme; denn sie wolle ihm für einen Dreier Milch kaufen. Vardiello in seiner Einfältigkeit setzte sich vor der Türe nieder, und die Mutter ließ länger als eine halbe Stunde lang mehr als sechs Maß Rosinen und trockene Feigen durch das Fenster herabregnen, worüber er laut zu schreien anfing: »Mutter, Mutter, gib Becken her, stelle Töpfe auf, mache Tonnen zurecht; denn wenn dieser Regen lange fortdauert, dann werden wir reich«, und nachdem er sich so den Bauch gehörig vollgefüllt hatte, ging er schlafen. Es geschah nun eines Tages, daß, da zwei Tagelöhner, die das wahre Futter der Gerichtshöfe sind, wegen eines auf der Erde gefundenen Goldtalers gegeneinander klagten, Vardiello dazukam und sagte: »Was seid ihr doch für Erzesel, daß ihr wegen einer Feigbohne, wie diese da, miteinander prozessiert; in meinen Augen wenigstens gelten sie für nichts; denn ich habe davon einen ganzen Topf voll gefunden.« Als die Richter dies hörten, machten sie große Augen, examinierten ihn genauer und fragten, wie, wann und wo er diese Taler gefunden; worauf Vardiello antwortete: »Ich habe sie in einem Palast im Leibe eines stummen Menschen gefunden an dem Tage, als es Rosinen und trockene Feigen regnete.« Kaum hatte der Gerichtshof diese tolle Ungereimtheit vernommen, so merkte er gleich, wie es mit Vardiello stand, und befahl als kompetente Behörde desselben, ihn in ein Narrenhaus zu sperren. So machte die Dummheit des Sohnes die Mutter zur reichen Frau, und die Klugheit der Mutter machte die Eselsstreiche des Sohnes wieder gut, wodurch man ganz deutlich sieht:

Ist gut des Schiffes Steuermann,
stösst's selten an einen Felsen an.


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