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Ein vergeßlicher Profoß

Damals, als unser Herr König es sich zur Bourges wohl sein ließ (jener selbe König, der später aller Freuden entsagte, um das Königreich zu gewinnen, und damit so zum Ziele kam), stand in seinen Diensten ein Profoß dieser Stadt, der für die nötige Ordnung zu sorgen hatte. Denn erst unter selbigen Königs Sohn wurde das Amt eines Hausprofoß begründet, das der früher erwähnte Herr vonMéré, genannt Tristan, etwas hart handhabte. Der hier gemeinte Profoß hieß Picot, was man zu Picotin verkleinerte; aber zu Bourges nannte man ihn kurz Petit, d.i. Kleinchen, denn er war so kümmerlich von Gestalt wie ein von seiner Mutter nicht ausgetragenes Zwerglein. Wenn er lachte, dann klafften seine Kiefern wie bei einer Kuh beim Pissen. Dies holde Lächeln nannte man am Hofe ein ›Profoßenlächeln‹, worob aber der König eines Tages scherzend äußerte: »Ihr irrt, meineHerren: Kleinchen lacht garnicht, vielmehr ist unten an seinem Gesicht die Haut zu knapp geraten.« Aber trotz seines mißlungenen Grinsens war Kleinchen hinter Übeltätern her wie der Deubel, ohne aber doch bei aller Freude, die er daran hatte, jemals zu viel Galgenvögel aufzuknüpfen. Denn wenn er in seinem Bette lag, waren ihm die Herren Strolche höchst gleichgültig. Das kam daher, daß er eins der schönsten Bürgermädel von Bourges zum Weibe genommen hatte, ein Glücksfall, der ihm nicht minder verwunderlich erschien als den anderen. Und oft, wenn er zu einer Hinrichtung lustwandelte, fragte er seinen Herrgott droben, warum er, Kleinchen, derProfoß, ein so wohlgeformtes, schmuckes Weiblein erwischt hatte, ob dessen Anmut sogar die Esel auf der Straße zu wiehern anhüben. Worauf Gott zwar nicht antwortete; aber die Lästerzungen der Stadt klatschten dafür herum: dem Mädel hätte bei seiner Ehe das Wesentliche zu einer Jungfernschaft bereits gefehlt; andere erzählten, daß sie sich keineswegs mit ihrem Manne begnüge; und sehr boshafte Spötter erklärten, es käme doch oft genug vor, daß Esel in schöne Ställe kämen. Von alledem kann man gut vier Viertel abziehen, denn Kleinchens Frau war eine tugendsame Gattin, die neben ihrem Manne, der die Pflichten repräsentierte, nur einen einzigen Liebsten hatte, um auch ihr Vergnügen zu haben. Dabei war sie gar häuslich, lief nicht viel herum, sondern saß im Stuhle oder lag im Bette, war allezeit zur Hand, wie ein Leuchter, wenn sie nach des Profoßen Weggange ihren Liebsten erwartete, oder umgekehrt den Profoß. Dessen ehelicher Stellvertreter, der Kleinchen die schwere Last eines Gatten leichter machen half , sintemalen diese nur von zwei Männern bewältigt werden kann, war ein reicher Landedelman, den der König ingrimmig haßte. (Das ist ein sehr wesentlicher Punkt dieser Geschichte!) Nun traf es sich, daß der Konnetabel, ein rauher, schottischer Haudegen Kleinchens Weib erblickte und sie gern einmal zur Morgenstunde für die Zeit, da man einen Rosenkranz abbetet, näher besehen (oder wie andere behaupteten, gehabt) hätte, ein gar christlich-ehrsamer oder ehrsam-christlicher Wunsch, denn er wollte mit ihr ja nur über die Dinge der Wissenschaft oder die Wissenschaft der Dinge plaudern! Aber da sie sich wohl schon für hinreichend belehrt hielt und wie gesagt gar tugendsam war, so mochte sie seinen zahlreichen Botschaften und Anfragen kein Gehör schenken, also daß der Konnetabel endlich bei seiner großen Coquedouille schwor, ihrem begünstigten Liebsten das Gedärm aus dem Leibe zu reißen, und wenn es der mächtigste Mann der Welt sei. In Bezug auf sie schwor er keinen Eid; und solches Gelöbnis tat er vor dem König und der Frau Sorel, die just Karten spielten und sehr froh waren, den fraglichen Landjunker solchermaßen ohn alle Unkosten loszuwerden. Was aber wollte damals das schöne Wort Coquedouille besagen? Ja, das ist so ein dunkler Punkt, an dem man sich in alten Schmökern gar leicht die Augen verderben kann: ›Douille‹ heißt man in der Bretagne ein ›Mädel‹. ›‹Coque‹ aber bedeutet einen Kochtopf mit langem Stiel (davon kommt ›coquin‹, das ist: ein Schelm, der überall etwas mit naschen, stibitzen und solcherlei Büberei zu besehen hat.) Aus alledem haben die Gelehrten geschlossen, daß jene große Coquedouille ein langgestielter Kochtopf ist, der den Mädchen fröhliche Beschäftigung bietet.

»Jawohl!« polterte der Konnetabel (es war der Herr von Richmond). »Ich werde nämlich den Profoß für einen Tag und eine Nacht auf die Felderwacht beordern, um nach verdächtigen Bauern zu fahnden. Und wenn dann die zwei Täubchen seine Abwesenheit benutzen und sichs so recht wohl sein lassen, werde ich das Haus, darin sie sich ergehen, von dem Profoß durchsuchen lassen und das wird dem lieben Herrn, der das Kapuzinerlein für sich allein haben wollte, seinen Kragen kosten!«

»Was heißt ›Kapuzinerlein‹?« fragte die Schöne. »Ratet selbst,« grinste der König. »Kommt essen,« entrüstete sich Frau Agnes. »Ihr seid zwei Schandmünder die in einem Atem ehrsame Frauen und fromme Mönche lästern.«

Schon lange hatte Kleinchens Eheliebste darauf gelauert, sich einmal so eine ganze Nacht auszutoben und zu dem Junker ins Haus kommen zu können, wo sie ohne Sorge um Nachbarn, die etwa davon aufwachen mochten, so recht von Herzen quietschen und lachen könnte. Darum sandte sie auch sofort ihre Zofe zu ihm und ließ ihm sagen, daß der Herr Gemahl über alle Berge sei und er ein gutes Nachtessen richten lassen möchte, sintemalen des Profoßen Arbeitsstube zu ihm verlegt werden solle und somit hungrige Mäuler zu stopfen wären. »Gut, gut,« sagte der Junker. »Deine Herrin wird in keiner Beziehung zu klagen haben.«

Und so konnten die Pagen des verdammten Konnetabel, die um das Haus herumschnüffelten, bald ihrem Herrn vermelden, daß der Liebhaber große Vorräte an Weinflaschen und Leckerbissen einkaufen ließe und somit alles nach Wunsch ginge. Und der Konnetabel rieb sich vergnügt die Hände und ließ den Profoß im Namen des Königs auffordern, in dem Hause des besagten Landjunkers nach einem engelländischenLord zu fahnden, der im Verdacht stände, mit jenem ein Komplott zu schmieden; zuvor aber solle er sich noch im Königsschlosse die nötigen Verhaltungsmaßregeln holen. Über die Aussicht vom Könige selbst empfangen zu werden, strahlte der Profoß natürlich und kam so eilig herbei, daß er in dem Schloß just in dem Augenblick anlangte, wo dem Pärchen die Vesperglocke ihren ersten Schlag tat. Der Herr von Hahnreiland und Umgegend, der halt ein arger Spaßvogel ist, hatte es also derart eingerichtet, daß Kleinchen mit dem Könige sprach, derweile sein Weib mit ihrem Liebsten anmutige Zwiesprach hielt und so also beide Ehegatten zu gleicher Zeit wohl befriedigt waren, was nicht oft vorzukommen pflegt. Als der Profoß in des Königs Gemach trat, rief ihm der Konnetabel entgegen: »Ich sprach eben davon, daß meines Erachtens jeder Mann hierzulande das Recht hat, sein Weib und dessen Liebsten zu erschlagen, wenn er die zwei auf frischer Tat ertappt. Aber unser Herr erklärte in seiner Milde, daß man nur den Reiter umbringen darf, aber nicht dessen Stute. Nun sagt einmal: was tätet Ihr, Geschätzter, wenn Ihr ohnversehens einen edlen Herrn erwischtet, der sich just auf der lieblichen Wiese erginge, wo Ihr allein das Recht habt zu gießen und Blümlein zu pflücken?«

»Ich schlüge alles zu Brei!« meinte derProfoß, »Blumen und Frucht, den Sack mit Kegeln und Kugeln, Kerne und Äpfel, Gras und Wiese, alles, gleichgültig ob Weib, ob Mann!«

»Daran tätest du Unrecht,« sprach der König, »und es widerspräche den Reichs- und Kirchengesetzen: denn du könntest so unversehens ein schuldlos Kindlein ungetauft zur Hölle senden und mir zugleich einen Untertan vorbehalten.«

»Also den Reiter können wir jedenfalls totschlagen?« rief der Konnetabel. »Amen! töten wir nur den Reiter. – Und jetzt flink zu dem verdächtigen Junker! Aber schaut zu, daß man Euch nicht zu Narren hält, und laßt dem Hausherrn den verdienten Lohn zuteil werden!« Den Profoß bedünkte, er würde zum mindesten Kanzler werden, wenn er seinen Auftrag gut ausführte. Stolz wie ein Spanier umzingelt er des Junkers Haus, läßt alle Ausgänge besetzen, das Tor im Namen des Königs öffnen, schleicht die Treppen hinauf, verhaftet die Dienerschaft, läßt sich das Zimmer zeigen, wo der Hausherr sich befindet, geht allein hin und pocht an die Tür, hinter dem die zwei Liebhaber ihren Strauß ausfechten, mit welchen Waffen wißt ihr ja!

»Aufgemacht im Namen des Königs!« Sein Weib lächelte erst, als sie ihres Mannes Stimme hörte, der sonst nicht im Namen des Königs Einlaß zu begehren pflegte. Aber dann bekam sie einen Mordsschreck. Der Junker aber nimmt seinen Mantel um und geht ahnungslos zu der Tür, wo er sich als Hofedelmann zu erkennen gibt. »Bah!« ruft der Profoß. »Ich habe strikte Befehle und jeder Widerstand wäre Auflehnung wider den König.«

Worauf der Junker durch die Tür hinausschlüpt, sie aber zuhält und sagt: »Wen suchet Ihr denn hier?«

»Einen Feind des Königs, den sollt Ihr ausliefern und mir mit ihm zum Schlosse folgen.«

»Das ist ein Streich des Konnetabels, den mein Schatz abblitzen ließ,« sagte sich der Junker. Stracks stellte er sich vor den Profoß und sprach, indem er kecklich alles auf eine Karte setzte, also zu dem Herrn Hahnrei: »Lieber Freund, Ihr wißt, ich halte Euch für einen Ehrenmann, der so höflich ist, wie es ihm sein Amt nur irgend gestattet. Darum will ich Euch anvertrauen, daß in meinem Bett die schönste Frau des königlichen Hofes liegt. Rebellen gibts bei mir so wenig als Euch der Herr von Richmond zu frühstücken geben könnte. Der hat Euch ja wohl geschickt, denn hier gehts um eine Wette mit ihm und dem König, die meines Herzens Dame kennen wollen. Ihr dürft also mein Haus von oben bis unten durchstöbern und auch hier mein Zimmer durchsuchen, aber dies nur Ihr allein. Aber erlaubt, daß ich der Schönen Antlitz mit einer Decke oder einem Schnupftüchlein bedecke, denn sie ist im Gewande eines Engleins und Ihr sollt nicht sehen, welchem Ehemann sie zugehört.«

»Einverstanden! Ich bin ein schlauer Fuchs und will mich nur versichern, daß es wirklich eine Hofdame und nicht so ein zarthäutiger Engelländer ist, wie ich schon manchen aufgeknüpft habe.«

»So will ich denn meine holde Freundin bitten, ob ihrer innigen Liebe zu mir für einen Augenblick ihre Scham abzulegen um mich durch solches Opfer vor jedem Verdacht zu bewahren.« Die Schöne hatte natürlich alles erlauscht und bereits ihr Hemd ausgezogen, an dem ihr Mann sie hätte erkennen können. Dies wie die Kleider steckte sie unter das Kopfkissen, wickelte dann ein Tuch um den Kopf und bot endlich die runden Zauberhügel dar, zwischen denen des Rückgrates rosiges Tal gar sanft verlief. Dann rief der Junker: »Nun tretet ein, lieber Freund!« Und der Profoß guckte in Ofen, Schrank, Kisten und Kasten, selbst unters Bett und die Bettdecke. Dann beschaute er sich seine so legitimen Reichtümer mit lüsternem Blick und meinte: »Edler Herr, ich sah schon mal einen jungen Engelländer, der ebenso reichlich versehen war. Bitte, laßt mich von Amts wegen mehr besehen!«

»Was heißt ›mehr‹?« fragte der Junker. »Na, die Kehrseite, oder deren Front, wenn Ihr so wollt !«

»So erlaubt, daß die Gnädige sich bedeckt, um Euch nicht unnötig viel von dem zu zeigen, was unser Glück genannt wird,« meinte der Junker, der an einige leichtkenntliche Leberflecklein dachte. »Also dreht Euch etwas um.« Das gute Weiblein lächelte dem Freunde zu, lohnte seine Gewandtheit mit einem Kusse, drapierte sich flink und so konnte ihr Ehemann in aller Herrlichkeit bewundern, was er bei seinem Schätzlein noch nicht zu sehen bekommen hatte, und sich sattsamlich überzeugen, daß kein Engelländer, sondern höchstens eine Engelländerin so entzückende Schmuckstücke zu eigen haben konnte.

»Ja,« flüsterte er dem Junker ins Ohr, »ich sehe, es ist eine Hofdame, das merkt man schon an der Bauart«. Dann durchsuchte er noch das Haus, und da kein Engelländer zu finden war, kehrte er wie befohlen zum Schlosse zurück.

»Ist er tot?« fragte sofort der Konnetabel.

»Wer?« – »Euer Hornemacher!«

»Ich fand nur eine Dame bei dem Herrn im Bett, mit der er sich just in Freuden erlustigte.«

»O du verdammtes Hornvieh! Hast das Weib mit eignen Augen gesehen und ihn nicht abgemurkst?«

»Das war kein Weib, sondern eine Hofdame, wie ich nach beiderseitiger Betrachtung feststellte.«

»Was heißt das?« barst der König schier vor Lachen.

»Mit Verlaub zu melden: ich habe die Vorderfront und Hinterfront genau beaugenscheinigt.«

»So weißt du Dämelskopf also nicht, wie dein Weib aussieht?« schrie der Konnetabel.

»Vor diesen Reizen meiner Frau habe ich zu viel Ehrfurcht, um sie mir anzuschauen, und zudem ist mein Weib so fromm und keusch, daß es lieber stürbe, ehe es mir nur ein Stückchen davon zeigte!«

»Ganz recht,« sprach der König, »das ist nicht zum Anglotzen da.«

»O du gerindviechter Heringsschwanz, das war ja dein Weib!« tobte der Konnetabel.

»Ach, edler Herr, die Ärmste schläft daheim.«

»Rasch zu Pferd! wir werden nachsehen!« Und er jagte mit dem Profoß schneller hin, als ein Bettler eine Geldkatze leert. Holla he! Ihr Lärm brachte die Mauern ins Wanken und so kam endlich die Zofe, die da gähnte und sich streckte, derweile sie die Tür aufmachte. Konnetabel und Ehemann stürmten ins Schlafzimmer: aber sie bekamen die Frau kaum wach, so fest schlief sie. Als sie endlich mühsam die Augen aufrat, da war sie ganz ererschrocken und das so naturgetreu, daß der Profoß sehr stolz war und ihre Tugend pries. Der Konnetabel machte sich zähneknirschend davon, aber der Profoß zog sich flink aus um schnell ins Bett zu kommen, denn das Erlebnis hatte ihm sein liebes Weibchen wieder eindringlichst in Erinnerung gebracht. Derweile fragte selbige, noch immer erstaunt:

»Sag' mal, mein Schatz, was soll nur der ganze Lärm heißen? Sollen jetzt neuerdings die Herren Konnetabel nachsehen, wie unsere . . .«

»Ich weiß nicht,« schnitt der Profoß das Wort ab, und erzählte ihr dann schnell sein Abenteuer.

»Wie! du hast eine Hofdame ohne meine Erlaubnis so im einzelnen besehen,« schluchzte sie. »Ach, ach, uhuhuhu!« und heulte und schrie so jammervoll, daß der Profoß ganz zerknickt war.

»Aber was hast du nur, Liebchen! Was ist denn?«

»Jetzt wirst du mich nicht mehr lieben, nachdem du gesehen hast, wie Hofdamen ausschauen.«

»Ach sei nur ruhig, Schatz. Ich muß dir sagen, bei diesen großen Damen ist alles verteufelt groß.«

»Wirklich?« lächelte sie. »Bin ich anders?«

»Ja.« rief er entzückt, »zwischen dir und jener ist mindestens eine Spanne Unterschied.« »Was mögen die Damen für Freuden erleben,« seufzte sie, »wenn ich bei so wenig schon so beglückt bin.« Und dann brachte er sie mit viel Erfolg zur Vernunft, indem er ihr bewies, daß Gott auch den Kleinsten Freude schafft. – Der Fall zeigt eben wieder, daß keine Gemeinde auf Erden so gläubig ist wie die der Hahnreihe.


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