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Des Teufels Erbe

Lebte da zu Paris ein guter alter Domherr Unserer Lieben Fraue in seinem behaglichen Hause unweit des Petersmarktes. Der war einstmalen als junger Landpfaff, arm wie eine Ratte, hierher gekommen; aber da er ein hübscher Kerl und in jeder Beziehung so wohl gerüstet war, daß er das Amt mehrerer Männer ausfüllen konnte ohne sich Schaden zu tun, so widmete er sich sonderlich den Damen als Beichtiger. Und sein Wirken war so wohltätig, seine Diskretion nebst andern kirchlichen Tugenden so groß, daß er gar zu Hofe gezogen wurde. Um aber auch künftig jegliche Eifersucht der Manneswelt von ihm fern zu halten und seinem Wirken noch mehr Heiligkeit zu verleihen, beschenkte ihn die Marschallin Desquerdes mit einem Knochen des heiligen Viktor, und fortan wurde jede Wundertat des Domherrn diesem Knochen zugeschrieben und neugierigen Fragern geantwortet: »Er hat einen Knochen, der alles heilt!'« Seine Sutane beschirmte ihn, wie den Krieger sein Gewaffen, und so lebte er herrlich und in Freuden wie ein König, prägte mit dem Weihwedel Gülden und wandelte Weihwasser in köstlichen Wein. Schließlich wäre er gar zum Erzbischofe gemacht worden, aber er schlug alle gebotenen Ehren aus, um weiter als Seelenhirte seine Beichtkinder zu melken. Es kam aber doch der Tag, wo er seine Kräfte erschlaffen fühlte, sintemalen er bei unermüdlichem Beichtdienste achtundsechzig Jahre alt geworden war und mit stolzer Befriedigung auf das Geleistete zurückblicken konnte: besaß er doch an die hunderttausend Gülden, die er im Schweiße seines Angesichts erworben hatte. Drum beschloß er, seine apostolische Tätigkeit einzustellen und nahm nur mehr höchstgestellten Damen die Beichte ab, derweile sich die jüngeren Pfaffen vergeblich mühten, die Lücke aufzufüllen. So ward der Domherr mählig ein schöner Neunziger mit schneeweißem Haar und zitternden Händen, aber noch immer imposant; nur — hatte er einst gespuckt ohne zu husten, so hustete er nunmehr ohne zu spucken, und entgegen siner früheren Regsamkeit im Dienste der Menschheit war er jetzt in seinen Lehnstuhl gebannt. Nun gabs aber Lästermäuler, die seine Zurückgezogenheit, seine fast sprichwörtliche Gesundheit und ungebrochene Jugendlichkeit zusammen mit den Gerüchten von seinem früheren lockeren Lebenswandel zum Schaden der Kirche ausbeuten wollten und herumerzählten: der richtige Domherr sei längst tot und in seiner sündigen Leibeshülle hause nunmehro der Teufel. Aber da selbiger Teufel doch offenbar selbst für eine zwanzigjährige Königin sich nicht mehr geregt hätte, so fragten erleuchtetere Gemüter zurück, wozu sich jener denn noch weiter in seiner Domherrnrolle dem Weihrauchdufte, dem Weihwassergetröpfel und sonstigen peinlichen Dingen aussetze. Und so kamen manche darauf, daß der Teufel solchermaßen mit den drei Neffen und Erben des würdigen Greises seinen Spott triebe und sie wohl bis zu deren seligem Ende narren würde.

Von all diesem Klatsch war natürlich nur soviel richtig, daß besagter Domherr keineswegs ans Sterben dachte und drei Neffen besaß, mit denen er sich abfand wie mit anderen Schattenseiten des irdischen Daseins. Der eine jener drei Burschen war Soldat und wohl das übelste Elaborat allen menschlichen Eheglücks. Schon als er diese Erde betreten sollte, hätte er schier den bergenden Mutterschoß zersprengt. Pelzig wie ein Tier und zähnefletschend erblickte er das Licht der Welt. Unmäßig war er in allem und hatte seines Oheims Kraft und Ausdauer geerbt, die er an einen Haufen Dirnen verschwendete, ohne ihnen aber je einen Pfifferling zu bezahlen. Im Kampfe war er ein rücksichtsloser Draufgänger, und diese seine einzige Tugend verschaffte ihm den Posten eines Hauptmannes und die Schätzung des Herzogs von Burgund, der sich den Teufel um sein außerdienstliches Lasterleben kümmerte. Der Teufelsneffe hieß Saukopf und seine Gläubiger nannten ihn ob seiner Heimtücke und Kraft: Schweinsaffe. Im übrigen hatte er einen Buckel, aber man hätte niemand raten mögen, ihm den hinaufzusteigen, maßen solch Vergnügen etwas teuer geworden wäre.

Der zweite hatte Landrecht studiert und verdankte seinem Oheim eine gute Klientel unter dessen Beichtkindern. Ihn nannte man daher spöttisch Säueschinder, und er war gar gebrechlich und blaß, fror immer und schaute aus wie ein Luchs. Immerhin war er fünf Pfennige mehr wert als sein Bruder und hatte auch mal ein Quentlein Anhänglichkeit zu seinem Oheim besessen, die aber seit zwei Jahren mählig versiegt war, so daß er nur mehr bei gutem Wetter hie und da den Alten aufsuchte — um nachzusehen, ob der fette Braten noch nicht bald gar sei. Dabei fand er gleich seinem Bruder, dem Soldaten, das zu erwartende Erbteil noch recht karg, da nach Recht und Sitte ein Dritteil an einen armen Vetter ging, der als Schäfer unweit von Nanterre lebte. Selbigem Bauernlümmel nun rieten sie nach Paris zu kommen, allwo sie ihn bei dem Oheime einquartierten in der stillen Hoffnung, er würde es durch Eselhaftigkeiten, Tölpelei und plumpe Unmanieren mit dem Domherrn verschütten und aus dem Testamente hinauskomplimentiert werden.

So kam's, daß der arme Strunk (so hieß der Schäfer) seit einem Monat mit seinem alten Onkel einsam hauste und solchen Wachtdienst gar unterhaltsamer fand, als das Schafehüten. Er ward des Alten Stecken und Stab, sagte ›Wohlbekomm's‹ wenn jener rülpste, und ›Gesegne's Gott‹ wenn er nieste; grüßte ein Fürzlein mit einem fröhlichen ›Zum Wohlsein‹ und sah bei Regenwetter nach der Katze; lauschte andächtig-stumm seinen Worten, ließ sich geduldig anhusten und bewunderte ihn von Herzen in aller Unbefangenheit als dasMusterbild eines Domherrn. Dafür sekierte ihn sein Oheim auch nach Noten und erklärte gar den andern Neffen: »Der Strunk ärgert mich noch zu Tode!« worob dieser sich dann dreimal mehr abrackerte. Aber mit Hinterbacken wie Riesenkürbisse und klobigen Gliedern vermochte er es einem Zephir nicht nachzutun und blieb ein ungeschlachter Bauernklotz mit der Hoffnung einst als glücklicher Erbe dekorativer zu werden.

Strunk

Strunk

Eines Abends plauschte der Alte mit ihm über den Teufel und die Folterqualen der Verdammten. Der gute Strunk riß die Augen auf wie Ofentüren mochte aber doch nicht recht daran glauben. So meinte der Domherr: »Ich dachte du seiest ein Christ! «

»Das freilich; aber mich bedünkt, der Teufel ist doch zu nichts nütze. Denn just so wie Ihr, verehrter Herr Oheim, einen, der Euch alles verschandelte, einfach vor die Türe setzen würdet, so wäre der liebe Gott doch ein Narr, wenn er in dieser prächtigen Welt einen Teufel beließe, der ihm seine herrliche Schöpfung verdirbt. Nein, so lange es einen Herrgott gibt, gibts keinen Teufel. Und glaubt mir, wenn ich den mal zu sehen bekäme, dann würden mir seine Krallen nicht bange machen.«

»Ach, hätte ich deinen Glauben, dann würde mir meine entschwundene Jugend keine Sorgen machen, jene Zeit, da ich wohl meine zehen Mal die Beichte abnahm! Aber ich fürchte, dein Glaube wird dir schlimme Folgen eintragen.«

»Nein, nein! Gott wird mich vor dem Teufel beschirmen, da er weit klüger ist, als die klugen Leutchen meinen, und so was garnicht duldet.«

Just in diesem Augenblick traten die zwei andern Neffen ein und entnahmen dem wohlwollenden Tone des Alten, daß er den Strunk keineswegs haßte und wohl gar nur unter seinem Gejammere seine Zuneigung verbarg. Und da sie ihn wohlaufgelegt fanden, so fragten sie: »So Ihr jetzo Euer Testament machtet, wen würdet Ihr das Haus bestimmen?«

»Strunk.«

»Und die Zinshäuser?« – »Strunk.« — »Und Euer Lehen?« – »Strunk.«

»Aber dann wird Strunk ja alles kriegen!« polterte der Hauptmann daher.

»O nein,« lächelte der Alte, »denn ich habe ausdrücklich bestimmt, daß der Pfiffigste von euch dreien mein Erbe wird. Ich bin meinem Ende so nahe, daß ich euer Geschick sehr klar voraussehe.« Dabei warf der schlaue Pfaff unserem Strunk einen verständnisinnigen Blick zu, unzweideutig wie das Äugen einer Metze beim Jünglingsfang. Und dieser Blick schärfte dem Schäfer plötzlich Auge und Ohr, wie es die Hochzeitsnacht bei einem Jüngferlein tut.

Indessen ließen sich die beiden andern jene Worte gesagt sein, nahmen ehrfürchtiglich Abschied und wandelten selbander sorgenvoll heimwärts. »Was dünket dich um Strunk?« fragte Säueschinder den Schweinsaffen.

»Mich dünkt, mich dünkt,« knurrte der, »daß ich ihm in der Jerusalemerstraße auflauern und den Kopf vor die Füße legen werde. Mag er ihn wieder auflesen, wenn er Lust hat.«

»Oh nein,« rief der andere, »deine Hiebe kennt man und wird gleich sagen: das war der Saukopf. Ich denke vielmehr ihn zu Gaste zu bitten und ein Sacklaufen zu veranstalten. Wie‹s bei Hof im Schwange ist. Seinen knüpfen wir fein zu, werfen ihn in die Seine und dann mag er seine Schwimmkünste zeigen.«

»Das will reiflich bedacht sein,« sprach der Hauptmann.

»Ist schon! Und derart wird die Erbschaft unser.«

»Hols der Teufel, wie viel Worte um solchen Bauernlümmel! Wer ihn zuerst abtut, kriegt eben zwanzigtausend Franken extra. Und ich werde ihm mit Genuß zurufen: ›Heb deinen Kopf auf!‹«

»Und ich: ›Schwimme, Freundchen!‹« rief der Advokat und lachte wie ein Riß im Wams. Und dann trennten sie sich, der Hauptmann ging zu seiner Dirne, der Advokat zu eines Goldschmieds Weib, das seine Buhle war. Wem flimmerten die Augen? Strunken, der sein Todesurteil vom Vorplatz her vernommen hatte, obgleich die beiden so leise sprachen wie in der Kirche. »Höret Ihr, Herr Kanonikus?«

»Ja, ich höre das Holz im Ofen prasseln.«

»Hoho,« meinte Strunk, »glaub‹ ich auch nicht an den Teufel, so glaub ich doch an meinen Schutzpatron Sankt-Michael und folge seinem Rufe.«

»Geh‹ nur, mein Sohn!« sprach der Domherr, »und hüte dich vor Wasser und Nackenschlägen, denn mich dünkt, es plätschert und Straßenräuber sind nicht immer die übelsten Kumpane.«

Ob dieser Worte blickte Strunk gar verwundert auf den Alten, der wie immer fröhlich dreinschaute. Doch da es sein Leben galt, eilte er unverweilt zur Stadt wie ein Weibsbild zum Tanze. Seine Vettern hatten immer geglaubt, er habe ein Brett vor dem Kopf, und daher ruhig ihre Streiche vor ihm besprochen. So hatte der Säueschinder eines Abends dem Domherrn zur Erheiterung von seiner Liebschaft mit der Goldschmiedfrau erzählt, die er als ein gar verteufeltes Frauenzimmer schilderte. Da sie sich mit gleichem Schwunge ihrem Haushalte widmete, wie dem Minnespiel, so war sie allenthalben ehrengeachtet und genoß bei ihrem Manne grenzenloses Vertrauen.

»Und wann ist Kosestündlein?« fragte der Domherr.

»Alle Abend. Und oft schlafe ich bei ihr. Denn in einer Kammer steht eine Truhe, darin ich mich verberge. Der Mann geht täglich zu seinem Gevatter, dem Tuchmacher wo er oft der Frau das Maß nimmt. Kommt er von dort heim, so läßt sie ihn zubettgehen und schlüpft darauf zu mir. Sitzt dann morgens der Goldschmied wieder in der Werkstatt, so verdufte ich; und da das Haus zwei Ausgänge hat, laufe ich ihm auch nie in die Arme.«

Des alles gedachte nun der Schäfer, dem die Gefahr die Sinne schärfte. Flugs eilte er zum Hause des Tuchmachers, wo der Goldschmied eben zu Abend aß, ließ ihn geheimnisvoll hinausrufen und fragte ihn gerade heraus: »Wenn Euch ein Nachbar hörnte, und man lieferte ihn Euch wohlgefesselt, würdet Ihr ihn da wohl ins Wasser werfen?«

»Darauf könnt Ihr Gift nehmen,« sprach jener. »Aber narrt Ihr mich, so gehts Euch schlecht.«

»Nein doch, ich will Euch nur freundschaftlich bedeuten: so oft Ihr mit der Tuchmacherin kost, ergetzt sich Euer Weib mit dem Säueschinder. Geht heim, so werdet Ihr Euern Hauskobold schon finden, dafern er nicht in die große Truhe gekrochen ist. Dann stellt Euch so, als hättet Ihr mir selbige verkauft und laßt sie zur Brücke schaffen, wo ich bereit stehe.«

Stracks nimmt der Goldschmied Hut und Mantel und rennt ohne Abschied heim wie eine vergiftete Ratte; klopft, tritt ein, findet zwei Gedecke, hört die Truhe zuklappen und fragt sein Weib, das aus der Liebeskammer kommt: »Liebste, da sind ja zwei Gedecke.«

»Ei freilich, Schatz, wir sind doch unsrer zwei.«

»Nein, mit dem Gevatter in der Truhe drei!«

»Welcher Truhe?« fragte sie. »Was ist dir? Wo siehst du hier eine Truhe? Seit wann stecken Gevattern in einer Truhe? Seid Ihr bei Troste mit Euern Gevattern und Truhen? Ich kenne nur einen Gevatter, den Tuchmacher, und nur die Truhe mit meinen Kleidern!«

»Denke dir, Frauchen, da hat mir eben so ein Kerl gesteckt, du ließest dir von unserm Advokaten schöntun, und der stecke in deiner Truhe.«

»Ich?« rief sie. »Nein, was die Leute zusammenlügen!«

»Ganz recht, Liebchen, ich weiß, du bist eine brave Frau, und ich mag mich nicht mit dir um diese dumme Truhe verzanken. Darum will ich sie auch dem Kerl verkaufen, der mir den Bären aufband. Er bat mich schon darum. Dafür kaufe ich dir zwei kleine, darin kaum ein Kindlein Platz hätte, und der Klatsch ist zu Ende!«

»Wie lieb von Euch — was liegt mir auch an dem Ding. Und nun kommt essen!«

»Nicht doch, die Truhe verdirbt mir den Appetit.«

»Hallo!« rief er seinen Gesellen zu, »kommt herunter.«

Die waren gleich zur Hand und auf des Meisters Geheiß ward das Liebesmöbel hinausexpediert. Dabei kam der Advokat auf den Kopf zu stehen und aus Mangel an Übung verlor er die Balance.

»Das sind die Pfosten, die krachen,« sagte die Frau.

»Nein, die Knochen, Liebste.« Und die Truhe rutschte hophop die Stiege hinab. »Heda, Fuhrmann!« rief der Goldschmied; und Strunk kam flugs mit dem Eselskarren, darauf die Gesellen die Truhe luden.

»Heh, heh!« machte der Advokat.

»Meister, die Truhe spricht,« sagte ein Lehrling.

»Welche Sprache?« fragte der und gab ihm einen Tritt wider die Hinterbacken, die zum Glück nicht aus Glas waren, darob der Lehrling umkegelte und seine Sprachstudien abbrach. Der Schäfer aber und der Goldschmied geleiteten die Truhe zur Seine, belasteten sie sorglich mit Steinen und warfen sie, ohnbekümmert um die Reden, die das Holz zum besten gab, in den Fluß. »Schwimm, Freundchen!« rief Strunk mit viel Behagen, als sie hurtig wie eine Ente in die Fluten tauchte. Und dann eilte er zur Andreasstraße, allwo er ein Haus suchte und dort stürmisch pochte: »Aufmachen! Im Namen des Königs!«

Schon kam ein alter Knacker, der berüchtigte Wucherer Versoris, zur Tür und bangte: »Was gibt's?«

»Der Profoß schickt mich, Euch zu sagen: Ihr sollt heut Nacht gut aufpassen, und er wird auch Leute bereitstellen, denn der Bucklige, der Euch schon einmal bestohlen hat, macht die Gegend wieder unsicher. Schaut zu, daß er nicht noch den Rest holt.«

Damit rannte er weiter zur Fratzengasse, wo der Hauptmann Saukopf mit Gänseblümchen, der schönsten, verbuhltesten und unverschämtesten aller Huren ein Gelage hielt. Strunk war voll Bangen, das Haus nicht zu finden oder die beiden im Bette anzutreffen. Aber sein Schutzengel half ihm wohl. Denn just, als er die Gasse betrat, hub in einem schönen Hause ein groß Geschrei an: »Mörder! Zu Hilfe!« und er hörte den Schweinsaffen blöken: »Tot schlag ich das Saumensch! Schrei nur, du Metze! Ach, Geld willst du? Paß mal auf!« Und Gänseblümchen wimmerte: »Au, au! Ich sterbe! Zu Hilfe!« Dann tats einen Schlag, man hörte die Dirne schwer zu Boden fallen und dann wurde alles totenstill: die Lichter erloschen und die Dienerschaft lief herzu, mit allen auch Strunk, der also just zurecht gekommen war. Aber als sie Flaschenscherben, zerfetzte Decken, Teller, Tische, Stühle, alles in wüstem Haufen auf dem Boden erblickten, blieben sie versteinert stehen. Nur Strunk drang mutig, seinem Ziel getreu, ins Schlafzimmer, allwo Gänseblümchen in Fetzen, mit aufgelöstem Haare und anscheinend verreckt auf dem blutüberströmten Teppich lag und Schweinsaffe etwas kleinlaut herumstand und nicht recht wußte, was weiter werden sollte: »Hop, mein kleines Gänseblümchen, stell dich doch nicht tot! Komm, ich will ja wieder gut sein. Hier, einen Kuß, weil du so hübsch bist!«

Und er packte sie schlau und trug sie aufs Bett. Als sie aber darauf schwer wie ein Gehenkter niederfiel, ward dem Kumpan mulmig zumute und ihm schien gut zu verduften. Doch vor dem Weggehen sagte er voll Arglist: »Ach, das arme Gänseblümchen! Wie konnte ich nur meinen Herzensschatz ermorden! Ach, sicher hab‹ ich sie getötet, denn nie, so lange sie lebte, hing ihre hübsche Brust so schlaff wie jetzt. Weiß Gott, wie ein leerer Sack!«

Der bucklige Grobian in Nöten

Der bucklige Grobian in Nöten

Da öffnete Gänseblümchen ihre Augen, blickte schnell auf ihren blinken, festen Busen, und dann gab sie ein deutliches Lebenszeichen in Gestalt einer schallenden Ohrfeige, die sie dem Hauptmann versetzte. »Ich will dich lehren, Tote zu verläumden!« rief sie lachend.

Flugs fragte Strunk:

»Weshalb schlug er Euch denn so, schöne Base?«

»Weil mir der Büttel morgen alles wegholt und er, der so wenig Geld wie Tugend hat, nicht leiden will, daß ich mir die Gunst eines reichen Gönners erkaufe.«

»Ach, wenn‹s weiter nichts ist!« rief Strunk, den Schweinsaffe nun erst erkannte, »da sorgt Euch nicht, mein Lieber, ich bringe Euch einen Haufen Geld.«

»Wo hast du's?« verwunderte sich der Hauptmann.

»Komm, ich will's Euch ins Ohr sagen: Wenn nächtlings einige dreißigtausend Gülden im Schatten eines Birnbaumes umherspazierten, würdet Ihr Euch nicht ihrer Schutzlosigkeit erbarmen?«

»Strunk, wie einen Hund bring' ich dich um. wenn du mich narrst. Aber einen Kuß kriegst du, wenn du mir die Gülden weist, und koste es auch drei Krämern das Leben!«

»Nicht 'mal eine Nachtmütze braucht Ihr zu töten. Die Sache liegt so: ich bin in allen Ehren der Magd eines Wucherers zugetan und so erfuhr ich, daß selbiger heut früh über Land gereist ist, nachdem er zuvor jenen Schatz unter einem Birnbaum vergrub. Er meinte, nur die Englein schauten ihm dabei zu; aber das Mädel war zufällig wach und sah ihm vom Fenster aus. So Ihr nun schwört, ehrlich mit mir zu teilen, dann leihe ich Euch meine Schultern, damit Ihr über die Mauer zu dem Birnbaum klettern könnt. Also wie ist's, bin ich wirklich ein schwerfälliges Viech?«

»Nein, nein! Du bist ein Prachtkerl und wenn du 'mal jemanden um die Ecke zu bringen hast. so komm‹ nur zu mir, ich tu's und wäre es ein Freund von mir. Ich bin fortan nicht mehr dein Vetter, sondern dein Bruder.«

»Heh, Schatz!« rief er dem Gänseblümchen zu »Auf! Putz' dich und lache, so will ich's. Und stracks vom besten Wein herbei, hier mein Vetter muß gefeiert werden, denn morgen sind Kisten und Kasten wieder gefüllt. Und jetzt 'ran an den Speck!«

Da war mit einem Schlage das Jammern aus und die Tränen wandelten sich in Lachen. Der Hauptmann Saukopf aber tobte vor Vergnügen und traktierte feinen Vetter, bis der sich trunken stellte und allerlei Zeug schwatzte: da führte ihn der Hauptmann schnell hinweg aus Angst, er könnte aus der Schule plaudern, im Grunde aber wohl zufrieden. Denn er gedachte, ihm vor der Beuteteilung den Bauch zu schlitzen, um nachzuschaun, ob er keinen Schwamm darin habe. So kamen sie zu der Gartenmauer, dahinter des Wucherers Gülden barmten. Saukopf nahm Strunkens breiten Rücken als Sprungbrett und wollte sich auf den Birnbaum schwingen, aber Versoris saß auf der Lauer und eins, zwei, drei, hatte er ihm den Kopf abgesäbelt, derweile der Schäfer gar vernehmlich rief: »Heb' ihn nur auf, Freundchen !«

Dann aber bedünkte es Strunken, dessen Tugend so ihren Lohn fand, es sei klug, zu des Domherrn Haus zurückzukehren, maßen nunmehro durch Gottes Gnade die Erbfolge sachgemäß vereinfacht war. So lief er heim, was Zeug hielt, und schlief alsbald den Schlaf des Gerechten. Als er nun am nächsten Morgen nach Schäferart mit Sonnenaufgang sich erhob und nach seinem Oheim schauen wollte, sagte ihm die Schaffnerin, der Herr Kanonikus sei heute zur Frühmette gegangen, um sodann mit dem ganzen Kapitel beim Erzbischofe zu frühstücken. Worob Strunk meinte: »Ist er denn nicht bei Troste? Will er sich bei der Kälte das Reißen oder kalte Füße holen? Da werd' ich schnell ein Feuerchen machen, das ihn wärmt, wenn er heimkommt.«

Und flugs ging er in die Stube, darin sich der Domherr immer aufzuhalten pflegte; dort aber sah er ihn im Sessel und ward starr: »Was hat mir nur die Närrin gesagt?! Ich dacht's mir schon, daß Ihr so früh nicht zur Messe geht.«

Der Domherr schwieg und der Schäfer achtete sein Schweigen, setzte sich ehrfürchtiglich abseits und harrte des Momentes, da jener mit seinen Gedanken wieder da wäre. Dabei ward er inne, daß des Alten Fußnägel mählig durch die Schuhe hindurch wuchsen und daß seines lieben Oheims Füße bei näherer Betrachtung feurig-rot erschienen und durch die Strümpfe durchschimmerten. Und bangend dachte er: »Wäre er gar tot?« Aber just in diesem Augenblick tat sich die Tür auf und herein trat der Domherr mit blaugefrorener Nase. »Gott behüte!« rief der Strunk. »Was ist Euch, teurer Oheim, daß Ihr zu gleicher Zeit in der Tür steht und am Kamin sitzt?! Seit wann habt Ihr Euch verdoppelt?«

»Ach, mein Lieber, die Zeiten sind vorbei, wo ich gern an zwei Stellen zugleich hätte sein mögen. Leider ist uns Menschen dies Glück nicht beschieden und du scheinst mir nicht bei Troste, denn ich bin doch hier!«

So blickte Strunk schnell wieder nach dem Sessel: aber der war leer und als jener verdutzt herzutrat, fand er auf der Diele ein Häuflein Asche, das nach Schwefel roch. Da rieb er sich verwundert die Augen und sagte: »Somit hat sich der Teufel zu mir gar ehrenhaft gezeigt, und ich werde für ihn beten!« Und dann erzählte er dem Domherrn offenherzig, wie der Teufel ihm beigestanden und von seinen Vettern befreit hatte; und der Alte, der ja schon gar manches erlebt hatte, ward staunend inne, daß auch das Schlimmste bisweilen seine guten Früchte tragen könne. Worob er dem Schäfer riet, fürder alles Fragen über das Jenseits zu lassen, zumal das arge Ketzerei sei.

Derart also kamen die Strünke zu ihrem Reichtum, der ihnen erlaubte, jene Michaelsbrücke zu erbauen, darauf der Teufel zu Füßen des Erzengels gar trefflich ausschaut, — zum Gedächtnis an das hier erzählte wahrhaftige Erlebnis.


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