Honoré de Balzac
Die Kleinbürger
Honoré de Balzac

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Wäre la Peyrade gefragt worden, so hätte er vielleicht nicht dasselbe angeraten, denn er hatte schon mehr als einen Beweis von den Steinen erfahren, die eine geheimnisvolle Macht seinen Heiratsplänen in den Weg zu werfen bemüht war, und auch dieser Besuch schien ihm von böser Vorbedeutung zu sein.

»Führen Sie ihn in mein Arbeitszimmer«, sagte Thuillier, der sich entschlossen hatte, dem Rat seiner Schwester zu folgen, und indem er die Tür öffnete, die aus dem Salon in den Raum führte, wo er seinen unbequemen Besucher empfangen wollte, trat er vor diesem hinein.

Fast unmittelbar darauf guckte Brigitte durch das Schlüsselloch und sagte:

»So, nun läßt dieser dumme Thuillier ihn sich auch noch setzen und noch dazu hinten im Zimmer, so daß man nichts hören kann von dem, was sie reden.«

La Peyrade, der seine Erregung hinter einem unbefangenen Äußeren verbarg, ging auf und ab; er näherte sich sogar den drei Damen, die zusammen saßen, und richtete einige liebenswürdige Worte an Céleste, die sie mit dem lachenden beglückten Gesicht aufnahm, das zu ihrer Rolle gehörte. Colleville vertrieb sich die Zeit damit, daß er ein Anagramm auf die sechs Worte: »die Zeitung Echo de la Bièvre« machte, und durch Kombination der Buchstaben hatte er bald eine für die Zukunft des Unternehmens wenig beruhigende Version gefunden; aber da ihm für das letzte Wort noch ein Buchstabe fehlte, war sein »Werk« noch nicht ganz fertig geworden.

»Wie viel er schnupft!« sagte Brigitte inzwischen, die beständig ihr Auge am Schlüsselloch hatte; »gegen seine goldene Dose ist die von Minard gar nichts, ich habe noch nie ein solches Format gesehen! Vielleicht ist sie bloß vergoldet,« fügte sie nach einigem Nachdenken hinzu. »Aber reden tut immer nur er, und Thuillier sitzt dabei und hört zu wie ein Schaf. Das ist mir übrigens egal, ich gehe jetzt hinein und werde ihnen sagen, daß man die Damen nicht so warten läßt.«

Als sie schon die Hand auf die Türklinke gelegt hatte, hörte sie Thuilliers Besuch sehr laut sprechen, was sie veranlaßte, wieder durchs Schlüsselloch zu sehen.

»Endlich ist er aufgestanden«, sagte sie befriedigt. Als sie aber bald darauf sah, daß sie sich getäuscht hatte, und daß der kleine Alte nur aufgestanden war, um die Unterhaltung lebhafter fortzusetzen, indem er das Zimmer der Länge und Breite nach durchmaß, sagte sie:

»Nein, wahrhaftig, ich gehe jetzt hinein und melde Thuillier, daß wir vorausgehen; er kann nachkommen, wenn er fertig ist.«

Und die alte Jungfer klopfte zweimal kurz und energisch an und trat entschlossen in das Arbeitszimmer ihres Bruders.

Jetzt war la Peyrade so geschmacklos – seine Neugier war übrigens durch sein großes Interesse an der Sache verzeihlich –, seinerseits durch das Schlüsselloch zu sehen, was drin vorging. Zuerst glaubte er den kleinen Alten wiederzuerkennen, den er schon einmal, als Herr Kommandeur angeredet, bei Frau Godollo bemerkt hatte; dann nahm er wahr, wie Thuillier zu seiner Schwester mit einer Ungeduld und einer befehlenden Geste sprach, die in nichts an seine gewöhnliche Nachgiebigkeit und Unterwürfigkeit erinnerte.

»Thuillier scheint ja ein ganz besonderes Interesse an der Unterhaltung mit diesem Menschen zu finden,« sagte Brigitte, als sie in den Salon zurückkehrte, »denn er hat mir ganz grob befohlen, sie allein zu lassen, obgleich der kleine Mann, der seinerseits sehr höflich war, mir sagte, daß sie gleich fertig seien! ›Jedenfalls soll man auf mich warten!‹ hat Jérôme noch hinzugefügt. Seitdem er in der Zeitung schreibt, ist er nicht wiederzuerkennen, er benimmt sich, als ob er mit dem Stock regieren wollte . . .«

»Ich habe große Angst, daß er sich von einem Intriganten beschwatzen läßt«, sagte la Peyrade. »Ich bin sicher, daß ich den kleinen Alten bei Frau Komorn gesehen habe, an dem Tage, da ich bei ihr war, um ihr zu erklären, daß sie den Platz räumen solle; das muß jemand sein, der zu derselben Gesellschaft gehört.«

»Das hätten Sie mir auch vorher sagen können!« entgegnete Brigitte; »dann hätte ich mich bei ihm nach der Gräfin erkundigt, damit er sieht, daß wir über seine Ungarin genau Bescheid wissen.«

In diesem Moment hörte man, wie die Stühle gerückt wurden; Brigitte lief wieder an ihr Schlüsselloch.

»Ja,« sagte sie, »jetzt geht er; und Jérôme begleitet ihn mit lauter Bücklingen hinaus.«

Da es noch etwas dauerte, bis Thuillier wieder erschien, hatte Colleville Zeit, ans Fenster zu treten und, als er den kleinen Alten in das elegante Kupee, von dem schon die Rede war, einsteigen sah, auszurufen:

»Donnerwetter! Was für eine strahlende Livree! Jedenfalls ist das ein Intrigant im großen Stil.«

Endlich erschien Thuillier wieder. Sein Gesicht war nachdenklich und seine Worte sehr ernst.

»Mein lieber la Peyrade,« bemerkte er, »du hast uns nicht gesagt, daß noch ein anderes Heiratsprojekt dich ernsthaft beschäftigt hat.«

»Doch, ich habe dir gesagt, daß man mir die Hand einer sehr reichen Erbin angetragen hat, daß mein Herz mich aber hierher zog und daß ich nicht die Absicht hatte, mich auf die Sache einzulassen, die deshalb auch niemals ernsthaft ins Auge gefaßt wurde.«

»Ich glaube aber doch, daß du mit Unrecht über diesen Vorschlag so leichtfertig hinweggegangen bist.«

»Was? du machst mir, und noch dazu in Gegenwart dieser Dame, Vorwürfe, daß ich meiner ersten Neigung und unsern alten Abmachungen treu geblieben bin?

»Lieber Freund, die Unterhaltung eben war für mich sehr belehrend; und wenn du erst alles wissen wirst, was ich erfahren habe, und viele andere Dinge, die dich allein angehen und dir anvertraut werden sollen, dann wirst du mir zustimmen. Eins ist jedenfalls sicher, daß wir nämlich heute nicht zum Notar gehen werden; und was dich betrifft, so kannst du nichts Besseres tun, als dich unverzüglich zu Herrn du Portail begeben.«

»Schon wieder dieser Name, der mich wie ein Gewissensbiß verfolgt!« rief la Peyrade aus.

»Geh nur gleich hin, er erwartet dich; das ist die unerläßliche Vorbedingung, wenn wir weiterkommen wollen. Wenn du mit diesem ehrenwerten Rentier gesprochen haben wirst und du dann noch auf der Heirat mit Céleste bestehst, dann können wir auf deine Wünsche eingehen; bis dahin aber werden wir keinen Finger rühren.«

»Aber, alter Junge,« sagte Brigitte, »du läßt dich da ja von einem Wortverdreher beschwatzen; das ist ja einer von derselben Clique wie die Godollo.«

»Frau von Godollo,« antwortete Thuillier, »ist durchaus nicht das, was ihr denkt, und man wird in unserm Hause am besten kein Wort über sie sagen, weder im guten noch im bösen Sinne. Was aber la Peyrade anlangt, an den diese Aufforderung nicht zum erstenmal ergangen ist, so begreife ich wirklich nicht, warum er noch zögert, diesen Herrn du Portail aufzusuchen . . .«

»Nanu?« sagte Brigitte, »hat dich denn dieser kleine Alte ganz verhext?«

»Ich sage dir, daß dieser kleine Alte alles das wirklich ist, worauf sein Äußeres schließen läßt. Er besitzt sieben Ordenskreuze, eine wundervolle Equipage und hat mir Dinge mitgeteilt, die mich in das größte Erstaunen versetzt haben.«

»Dann ist er wohl ein Kartenleger, so wie die Frau Fontaine, bei der sich mir einmal alles herumgedreht hat, als ich mit Frau Minard bei ihr war und wir gedacht hatten, wir würden über die alte Zauberhexe uns recht auslachen können.«

»Wenn er auch kein Zauberer ist,« erwiderte Thuillier, »so ist er doch ein Mann, der einen sehr langen Arm hat, und ich glaube, es würde Einem schlecht bekommen, wenn man seine Wünsche nicht berücksichtigte. Übrigens hat er dich, Brigitte, obwohl er dich kaum gesehen hat, gleich richtig erkannt, denn er sagte mir, du seiest eine echte Herrscherin, zum Befehlen geboren.«

»Er macht in der Tat einen sehr vornehmen Eindruck, der kleine Alte«, entgegnete Brigitte, die sich nach diesem Kompliment die Lippen ableckte, als ob sie Sahne gegessen hätte. – »Hören Sie, mein Lieber,« wandte sie sich dann an la Peyrade, »wenn ein so großes Tier so dringend darauf besteht, dann gehen Sie doch zu du Portail; das verpflichtet Sie ja doch noch zu nichts.«

»Aber gewiß«, sagte Colleville; »ich würde hundertmal zu allen du Portails oder allen ›Portalen‹ der Welt gehen, wenn man mir das anempfehlen würde.«

Die Szene begann der aus dem »Barbier von Sevilla«, wo jeder zu Basilio sagt, er solle zu Bett gehen, weil er Fieber habe, so ähnlich zu werden, daß la Peyrade ärgerlich seinen Hut nahm und sich dorthin begab, wohin ihn sein Schicksal rief: Quo sua fata vocabant.

Als la Peyrade in der Rue Honoré-Chevalier anlangte, wurde er zweifelhaft; der Anblick des verfallenen Hauses, in das er sich begeben sollte, ließ ihn annehmen, daß er die Nummer falsch verstanden habe. Es erschien ihm unwahrscheinlich, daß eine Persönlichkeit von der Bedeutung, die man bei du Portail voraussetzen mußte, hier wohnen könne. Zögernd wandte er sich daher an den Meister Perrache, den Portier. Aber sobald er das Vorzimmer der Wohnung, wohin er gewiesen wurde, betreten hatte, sah er, daß das gute Äußere des alten Kammerdieners Bruneau und das ganze äußerst vornehme Mobiliar vollkommen seinen Erwartungen entsprachen. Auf seine Anmeldung hin unverzüglich in das Arbeitszimmer des Rentiers geführt, sah er sich zu seinem nicht geringen Erstaunen dem angeblichen Kommandeur, dem Freunde der Frau von Godollo, oder wenn man lieber will, dem kleinen Alten gegenüber, den er kurz vorher bei den Thuilliers erblickt hatte.

»Endlich!« sagte du Portail und erhob sich, um einen Stuhl heranzurücken, »endlich sieht man Sie, Sie widerspenstiger Mann; Sie haben sich recht lange nötigen lassen!«

»Darf ich fragen, mein Herr,« sagte la Peyrade stolz und ohne sich zu setzen, »welches Interesse Sie daran haben, sich in meine Angelegenheiten zu mischen? Ich kenne Sie nicht, und ich darf hinzufügen, daß der Ort, wo ich Sie ein einziges Mal gesehen habe, nicht gerade einen übermäßigen Wunsch bei mir hervorgerufen hat, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Wo haben Sie mich denn gesehen?« fragte du Portail.

»Bei einem gemeinen Frauenzimmer, das sich mit Gräfin von Godollo anreden ließ.«

»Und zu der der Herr auch hingegangen war,« sagte der kleine Alte, »und zwar mit viel persönlicherem Interesse als ich.«

»Ich bin nicht hierhergekommen,« sagte Theodosius, »um einen geistreichen Disput zu halten. Ich habe das Recht, von Ihnen, mein Herr, Erklärungen über Ihr Vorgehen in bezug auf mich zu verlangen; ich darf Sie daher bitten, diese Erklärungen nicht länger durch Scherze hinauszuschieben, zu denen ich nicht die geringste Lust habe, mich herzugeben.«

»Nun, mein Lieber, dann setzen Sie sich, denn ich habe auch keine Lust, mir den Hals zu verrenken, wenn ich so von unten herauf mich mit Ihnen unterhalten soll.«

Diese Aufforderung war durchaus begründet und in einem Tone gehalten, der annehmen ließ, daß sich der Rentier durch großartige Manieren nicht sehr einschüchtern ließ. La Peyrade entschloß sich also, dem Wunsche des Hausherrn zu willfahren, aber er bemühte sich, das so unwillig als möglich zu tun.

»Herr Cérizet,« sagte du Portail, »ein Mann in ausgezeichneter gesellschaftlicher Position, der die Ehre hat, zu Ihren Freunden zu gehören . . .«

»Ich sehe diesen Mann nicht mehr«, unterbrach ihn la Peyrade lebhaft, der die maliziöse Absicht des Alten wohl verstand.

»Also jedenfalls zu der Zeit, als Sie ihn noch zuweilen sahen,« fuhr du Portail fort, »zum Beispiel bei dem Diner im ›Rocher de Cancale‹, da hatte ich den ehrenwerten Herrn Cérizet beauftragt, Sie wegen einer Heirat zu sondieren . . .«

»Die ich abgelehnt habe,« unterbrach ihn Theodosius, »und die ich entschiedener als je ablehne.«

»Das ist die Frage«, fuhr der Rentier fort; »ich denke im Gegenteil, daß Sie darauf eingehen werden, und gerade um von dieser Sache zu reden, wünsche ich schon seit so langer Zeit eine Zusammenkunft mit Ihnen.«

»Aber in welcher Beziehung,« sagte la Peyrade, »steht denn diese Irre, die Sie mir an den Hals werfen wollen, zu Ihnen? Es ist weder Ihre Tochter noch eine Verwandte von Ihnen, wie ich annehme, denn sonst würden Sie bei Ihrer Jagd auf einen Mann für sie wohl mehr Zartgefühl entwickeln.«

»Das Mädchen ist die Tochter eines meiner Freunde,« sagte du Portail; »sie hat ihren Vater schon vor mehr als zehn Jahren verloren; seit dieser Zeit habe ich sie zu mir genommen und sie mit all der Sorgfalt umgeben, die ihr trauriger Zustand verlangte; ihr Vermögen, das ich noch erheblich vermehrt habe und zu dem noch das meinige kommt, das ich ihr zu hinterlassen gedenke, macht sie zu einer sehr reichen Partie. Wie ich weiß, sind Sie kein Feind einer großen Mitgift und suchen nach einer solchen an den übelsten Stellen, zum Beispiel in einem Hause wie dem Thuilliers, oder, um mich Ihres Ausdrucks zu bedienen, bei einem ›gemeinen Frauenzimmer‹, das Sie kaum kennen; ich habe mir daher gedacht, daß Sie auch eine aus meiner Hand annehmen würden, zumal die Krankheit meines jungen Mädchens von den Ärzten für leicht heilbar erklärt worden ist, während Sie Herrn und Fräulein Thuillier niemals davon werden kurieren können, daß der eine ein Dummkopf und die andern eine Megäre ist, ebensowenig wie Sie Frau Komorn davon heilen werden, daß sie eine Dame von sehr mäßiger und sehr zweifelhafter Tugendhaftigkeit ist.«

»Wenn es mir so paßt,« antwortete la Peyrade, »kann ich auch das Mündel eines Dummkopfs und einer Megäre heiraten; ebenso kann ich der Gatte einer Kokette werden, wenn eine Leidenschaft mich dazu treibt; wenn man mir aber selbst die Königin von Saba aufzwingen wollte, so werden weder Sie, mein Herr, merken Sie sich das wohl, noch die mächtigsten und geschicktesten Leute mich dazu bringen, sie hinzunehmen.«

»Deshalb beabsichtige ich ja auch, mich an Ihre gesunde Vernunft und an Ihre Einsicht zu wenden, aber um mit jemandem zu reden, muß man ihn auch zur Hand haben. Erwägen wir nun einmal Ihre Lage, und fahren Sie nicht gleich auf, wenn ich, wie ein Chirurg, der seinen Kranken heilen will, meine Hand erbarmungslos auf die wunden Stellen einer bisher recht mühseligen und recht bewegten Existenz lege. Dabei muß ich zuerst feststellen, daß die Angelegenheit Céleste Colleville für Sie vollkommen erledigt ist.«

»Und warum das?« fragte la Peyrade.

»Weil ich eben von Thuillier komme und ihn in Schrecken versetzt habe, indem ich ihm alle Unannehmlichkeiten ausmalte, die er schon erfahren hat und die ihm noch bevorstehen, wenn er daran festhielte, Ihnen sein Mündel zur Frau geben zu wollen. Er weiß jetzt, daß ich es war, der den wohlwollenden Absichten der Frau Gräfin du Bruel in der Ordenssache entgegengetreten ist; daß ich seine Broschüre habe beschlagnahmen lassen; daß ich die Ungarin in sein Haus entsandt habe, die euch alle so glänzend zum Narren gemacht hat; daß auf meine Veranlassung heute der Angriff in den Regierungsblättern begonnen wurde, der mit jedem Tage heftiger werden wird, nicht gerechnet die übrigen Hindernisse, die seiner Kandidatur nötigenfalls in den Weg gelegt werden würden. Sie haben also, wie Sie sehen, mein lieber Herr, in Thuilliers Augen nicht mehr das Verdienst, sein Wahlmacher zu sein, sondern Sie sind für seine ehrgeizigen Ansprüche ein Stein des Anstoßes geworden: ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß die Festungsmauer, in der Sie diese Familie, die im Grunde genommen niemals ernstlich etwas von Ihnen wissen wollte, eingeschlossen hielten, vollständig in Bresche geschossen und niedergerissen ist.«

»Aber wer sind Sie denn,« fragte la Peyrade, »daß Sie alles das, dessen Sie sich rühmen, ausführen konnten?«

»Ich werde Ihnen nicht antworten, daß Sie zu neugierig sind, denn Sie sollen es gleich erfahren; aber fahren wir, wenn es Ihnen recht ist, mit der Inaugenscheinnahme Ihrer Existenz fort, die heute vernichtet ist, für die ich aber eine glänzende Auferstehung plane. Sie sind achtundzwanzig Jahre alt und haben kaum eine Karriere begonnen, in der ich Sie hindern werde, noch einen weitern Schritt vorwärts zu tun. Noch einige Tage, und der Vorstand der Advokatenkammer wird zusammentreten und Ihr Verhalten in der Angelegenheit des Grundstücks, das Sie so naiv waren, den Thuilliers in die Hände zu spielen, mehr oder weniger scharf verurteilen. Sie dürfen sich also keinen Illusionen hingeben: hätten Sie auch nur eine ernste Verwarnung zu gewärtigen, und ich nehme nur den günstigsten Fall an, so ist ein Advokat doch kein Kutscher, den die Rüge des Gerichtshofs nicht hindern konnte, weiter mit seinem Wagen zu fahren; denn einmal verwarnt, sind Sie sogut wie von der Liste gestrichen . . .«

»Und dieses wertvolle Ergebnis«, sagte la Peyrade, »habe ich jedenfalls auch Ihrem Wohlwollen zu verdanken?«

»Und ich rühme mich dessen sogar,« erwiderte du Portail, »denn um Sie in den Hafen zu lotsen, mußte das Schiff erst vollständig abgetakelt werden; ohne das hätten Sie immer weiter mit eigenen Segeln durch die Untiefen der Bourgeoisie steuern wollen.«

Da er merkte, daß er es unzweifelhaft mit einem starken Gegner zu tun hatte, hielt es der kluge Provenzale für angemessen, seine Haltung etwas zu mäßigen, und sagte in erheblich ruhigerem Tone:

»Sie werden mir erlauben, mein Herr, daß ich den Ausdruck meiner Dankbarkeit noch aufschiebe, bis ich weitere Aufklärungen erhalten habe.«

»Sie sind also«, fuhr du Portail fort, »im Alter von achtundzwanzig Jahren ohne einen Pfennig Geld, ohne Stellung und mit sehr . . . zweifelhaften Antezedenzien und mit Beziehungen, wie die zu Herrn Dutocq und dem ›kühnen‹ Cérizet, belastet; Sie schulden Fräulein Thuillier zehntausend Franken, die Sie ihr ehrlicher Weise auch dann würden zurückzahlen müssen, wenn Sie sich nicht aus Selbstgefühl dazu verpflichtet hätten; Frau Lambert schulden Sie fünfundzwanzigtausend Franken, die Sie unzweifelhaft genötigt sind, ihr baldigst wiederzugeben; endlich ist soeben diese Heirat, die Ihre letzte Hoffnung und Ihre Rettungsplanke war, für Sie unmöglich geworden. Wenn ich Ihnen nun, unter uns gesagt, etwas Vernünftiges vorzuschlagen habe, meinen Sie nicht, daß Sie sich mir ein wenig zur Verfügung stellen sollten?«

»Es wird immer noch Zeit sein,« antwortete la Peyrade, »Ihnen das Gegenteil zu beweisen, und ich habe nicht die Absicht, auf das, was Sie mit mir vorhaben, einzugehen, bis ich Ihre Pläne nicht genauer kennengelernt habe.«

»Ich habe Ihnen eine Heirat vorschlagen lassen«, begann du Portail wieder; »diese Heirat steht nach meiner Absicht in engem Zusammenhang mit einer andern Kombination, die Ihnen eine Existenz bieten soll, auf die Sie gewissermaßen schon durch erbliche Beziehungen hingewiesen werden. Wissen Sie, was der Onkel, nach dem Sie um das Jahr 1829 suchten, in Paris machte? Bei Ihrer Familie galt er als Millionär, und als er, bevor Sie noch mit ihm zusammengekommen waren, plötzlich starb, hinterließ er nicht einmal so viel, daß die Beerdigung davon bezahlt werden konnte; ein Armensarg und ein Massengrab, das war sein Ende.«

»Haben Sie ihn denn gekannt?« fragte Theodosius.

»Er war mein bester und ältester Freund«, erwiderte du Portail.

»Aber die Summe von hundert Louisdor,« sagte la Peyrade lebhaft, »die mir bei diesem Anlaß während der ersten Zeit meines Pariser Aufenthalts von unbekannter Hand zugestellt wurde . . .«

»Kam in der Tat von mir«, antwortete der Rentier; »unglückseligerweise konnte ich, mit einer Unzahl von Geschäften überhäuft, was Sie sogleich besser verstehen werden, mein wohlwollendes Interesse für Sie, mit dem mich das Andenken an Ihren Onkel erfüllte, nicht weiter betätigen: so erklärt es sich, daß ich Sie auf dem Strohlager einer Mansarde bis zu einem solchen Grade von Elend gelangen ließ, daß Sie einem Dutocq und einem Cérizet in die Hände fielen.«

»Ich bleibe Ihnen darum nicht weniger verpflichtet, mein Herr«, sagte la Peyrade; »seien Sie überzeugt, daß ich, wenn ich gewußt hätte, daß Sie der edelmütige Beschützer, den ich bisher nicht aufzufinden vermochte, waren, auch ohne Ihre Aufforderung abzuwarten, die erste Gelegenheit benutzt hätte, zu Ihnen zu kommen und Ihnen meinen Dank auszusprechen.«

»Lassen wir die Komplimente beiseite«, sagte du Portail; »um nun zu dem ernsten Gegenstand unserer Besprechung zu kommen: was würden Sie sagen, wenn Sie erführen, daß dieser Onkel, wegen dessen Gunst und Hilfe Sie nach Paris kamen, ein Agent jener geheimen Macht war, die der Gegenstand so vieler lächerlicher Fabeln und törichter Vorurteile ist?«

»Ich verstehe nicht recht«, sagte la Peyrade mit unruhiger Neugier; »darf ich Sie bitten, sich deutlicher auszudrücken?«

»Ich will den Fall setzen,« fuhr du Portail fort, »daß Ihr Onkel noch lebte, dann würde er wohl so zu Ihnen sprechen: ›Mein guter Neffe, du strebst nach Vermögen und Einfluß; du wünschest dich aus der Masse herauszuheben und an allen bedeutenden Angelegenheiten deiner Zeit teilzunehmen; du möchtest ein Betätigungsfeld für deinen lebhaften, gewandten, erfindungsreichen und ein wenig zur Intrige geneigten Geist finden und in einer hohen, vornehmen Sphäre diese Willenskraft und diese Erfindungsgabe betätigen, die du bisher an die törichte und unnütze Ausbeutung des trockensten und ledernsten, was es auf der Welt gibt, nämlich eines Bourgeois, verschwendet hast. Deshalb, mein guter Neffe, bücke dich und komm mit mir durch diese kleine Tür, die ich dir öffnen will, und die in ein großes Haus führt, das zwar übel berüchtigt, das aber dennoch besser ist als sein Ruf. Sobald du die Schwelle überschritten hast, wirst du dich zu der ganzen Größe deiner Begabung aufrichten können, wenn nur ein Funke davon in dir vorhanden ist: die Staatsmänner, die Könige sogar, werden dir ihre geheimsten Gedanken anvertrauen; du wirst ihr heimlicher Mitarbeiter sein, und dementsprechend wird kein Glück, das Geld und wichtige Stellung einem Manne verschaffen können, dir versagt und unerreichbar sein.«

»Aber, mein Herr,« wandte la Peyrade ein, »ohne daß ich Sie noch zu verstehen glaube, muß ich doch bemerken, daß mein Onkel in so elenden Verhältnissen gestorben ist, daß die Armenfürsorge seine Bestattung hat auf sich nehmen müssen . . .«

»Ihr Onkel«, erwiderte du Portail, »war ein Mann von seltener Begabung, aber er neigte zu einem Leichtsinn, der seine ganze Karriere gefährdete. Er war verschwenderisch, von leidenschaftlicher Vergnügungssucht und kümmerte sich nicht um die Zukunft; er wollte auch die Genüsse auskosten, die für den gewöhnlichen Menschen geschaffen, die aber für die außergewöhnlich genial Begabten das schwerste Hindernis und die gefährlichste Falle sind; ich rede von seiner Familie: er besaß eine Tochter, die er leidenschaftlich liebte, und an diesem Punkte gelang es seinen furchtbaren Feinden, seine Existenz zu erschüttern und die fürchterliche Katastrophe herbeizuführen, die sein Leben vernichtete. Ihr Onkel ist – Sie sehen, daß ich jetzt auf Ihre Angelegenheiten komme – vergiftet worden.«

»Und das«, sagte la Peyrade, »soll für mich eine Ermutigung sein, den dunklen Weg zu betreten, auf den er mich veranlaßt hätte, ihm zu folgen?!«

»Und wenn ich es nun wäre, mein lieber Herr,« entgegnete du Portail, »der Ihnen diesen Weg weist?«

»Sie, mein Herr?« sagte la Peyrade verblüfft.

»Ja, ich, der Schüler Ihres Onkels und dann sein Beschützer und sein guter Engel; ich, dessen Einfluß seit fast einem halben Jahrhundert fast täglich gewachsen ist; ich, der ich reich bin, und zu dem die Regierungen, von denen eine die andere stürzt, wie man Kartenhäuser umwirft, kommen, um von ihm Sicherheit und Unterstützung für ihre Zukunft zu erbitten; ich, der ich der Direktor eines großen Theaters von Drahtpuppen bin, der ›Golombinen‹ vom Schlage der Frau von Godollo besitzt; ich, der ich morgen, wenn es für den Erfolg eines meiner Vaudevilles oder meiner Tragödien erforderlich sein sollte, als Inhaber des Großkordons der Ehrenlegion, des Hosenbandordens und des Ordens vom goldenen Vließ vor Sie hintreten könnte! Und wollen Sie wissen, warum weder Sie noch ich durch Gift sterben werden? Warum ich, glücklicher als die zeitgenössischen Herrscherfamilien, mein Szepter dem Nachfolger, den ich mir gewählt habe, übergeben kann? Weil ich, ebenso wie Sie, mein junger Freund, trotz Ihrer anscheinenden südländischen Feurigkeit, kühl und alles berechnend bin und niemals meine Zeit mit unerheblichen Dingen vergeude; weil Leidenschaftlichkeit, wenn die Umstände mich veranlaßten, solche zu zeigen, bei mir immer nur eine äußerliche Sache geblieben ist. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß Sie schon von mir gehört haben; für Sie will ich nun einen Zipfel der Hülle, die mich verbirgt, lüften; sehen Sie mich genau an und achten Sie scharf auf mich: ich habe weder einen Pferdefuß noch einen Schwanz am Rücken; ich erscheine im Gegenteil in der Gestalt des friedlichsten aller Rentiers im Viertel Saint-Sulpice; hier, wo ich, wie ich wohl sagen kann, seit fünfundzwanzig Jahren mich der allgemeinen Achtung erfreue, nennt man mich du Portail; für Sie aber heiße ich, wenn Sie mir gestatten wollen, Corentin!«

»Corentin!« rief la Peyrade aus, aufs äußerste überrascht.

»Ja, mein Herr, und Sie sehen, daß ich mit dieser Enthüllung meines Geheimnisses meine Hand auf Sie lege und Sie anwerbe. Corentin! ›Der größte Polizeimann der modernen Zeit‹ wie mich der Verfasser eines Artikels in der ›Bibliothek der Zeitgenossen‹ nennt, dem ich übrigens die Gerechtigkeit widerfahren lassen muß, daß er von meinem Leben keine Ahnung hat.«

»Ich werde Ihr Geheimnis unverbrüchlich bewahren«, sagte la Peyrade; »aber die Stellung, die Sie so gütig sind, mir in Ihrer Nähe anzubieten . . .«

»Erschreckt Sie oder beunruhigt Sie jedenfalls«, unterbrach ihn der Exrentier lebhaft. »Schon das Wort erschreckt Sie, bevor Sie sich noch über die Sache Rechenschaft abgelegt haben. Die Pooliizei! . . . Sollten Sie sich Vorwürfe darüber machen, daß Sie das furchtbare Vorurteil, das sie brandmarkt, nicht teilen?«

»Ganz gewiß ist sie eine nützliche Institution,« sagte la Peyrade, »aber ich glaube nicht, daß man sie immer nur verleumdet hat. Wenn das Handwerk ihrer Mitglieder ein ehrenwertes ist, weshalb brauchen sie sich versteckt zu halten?«

»Weil alles, was die Gesellschaft bedroht,« antwortete Corentin, »und was sie berufen sind zu unterdrücken, im Dunkeln vorbereitet und angezettelt wird. Die Diebe, die Verschwörer – stecken sie etwa einen Zettel an ihren Hut mit der Aufschrift ›Ich bin Guillot, der Hirt dieser Herde?‹ Und ist es nötig, daß wir, wenn wir sie packen wollen, es ausläuten lassen, wie der Kommissar morgens durch den Polizeidiener, wenn er anordnet, daß die Portiers vor der Tür fegen sollen?«

»Wenn eine Empfindung so allgemein ist, mein Herr,« entgegnete la Peyrade, »so ist das kein Vorurteil, sondern eine Anschauung, und eine solche Anschauung muß jeder Mann, der auf Selbstachtung und die Achtung der andern Anspruch erhebt, sich zur Richtschnur nehmen.«

»Und als Sie den in Konkurs geratenen Notar ausbeuteten?« rief Corentin. »Als Sie einen Kadaver bestahlen, um die Thuilliers zu bereichern, nahmen Sie damals Rücksicht auf Ihre Selbstachtung und die Vorschriften Ihres Standes? Und wer weiß, was für andere dunkle Handlungen sich in Ihrem Leben noch finden! Ich habe mehr Anspruch darauf, für einen ehrenhaften Mann zu gelten als Sie, denn abgesehen von meiner Berufstätigkeit habe ich mir auch nicht eine einzige zweifelhafte Handlung vorzuwerfen, und wo ich konnte, habe ich immer und überall Gutes getan. Glauben Sie, daß ich in den elf Jahren, wo ich diese Geisteskranke behüte, immer auf Rosen gebettet war? Aber es ist die Tochter Ihres Onkels, meines alten Freundes; und wenn ich nun im Gedenken daran, daß meine Tage gezählt sind, Sie bitte, für schönes bares Geld mich auf diesem Posten abzulösen . . .«

»Wie?« sagte la Peyrade, »diese Kranke ist die Tochter meines Onkels la Peyrade?«

»Ja, mein Herr, das Mädchen, das ich Ihnen zur Frau geben will, ist die Tochter Peyrades, denn er hatte seinen Namen demokratisiert, oder wenn Sie lieber wollen, die Tochter des Vaters Canquoëlle, des Pseudonyms, das er nach dem kleinen Gut Canquoëlle annahm, auf dem Ihr Vater mit elf Kindern kaum zu leben hatte. Kenne ich Ihre Familie, trotz der Verschwiegenheit, die Ihr Onkel in bezug auf sie bewahrte, nicht ganz genau? Habe ich nicht, bevor ich Sie für Ihre Kusine bestimmte, die genauesten Erkundigungen eingezogen? Sie verziehen den Mund über die Polizei; aber, wie das Volk sagt, sie steht Ihnen ja noch am besten zu Gesicht; Ihr Onkel gehörte zu ihr, und dank der Polizei war er der Vertraute, ich möchte beinahe sagen der Freund Ludwigs XVIII., der ein außerordentliches Vergnügen an seiner Unterhaltung fand; Ihre Kusine ist ein echtes Kind ihres Vaters; Ihrem Charakter und Ihrem Geiste entsprechend, muß Ihr ganzes Wesen aus der törichten Lage, die Sie sich geschaffen haben, heraus nach der Lösung streben, die ich Ihnen vorschlage; das bedeutet, daß Sie an meine Stelle treten sollen, daß Sie, machen Sie sich das klar, der Nachfolger Corentins werden sollen, mein Herr! Und Sie glauben, daß ich Sie nicht wie ein Lehen einziehen werde, und daß Sie mir mit törichten Erwägungen bourgeoiser Eitelkeit entschlüpfen werden?«

La Peyrade mußte in Wahrheit doch nicht so eigensinnig auf seiner Ablehnung bestehen, wie es den Anschein hatte, denn der Eifer des großen Polizeimannes und die Art, wie er sich seiner Person bemächtigen wollte, ließen seine Lippen sich zu einem Lächeln verziehen.

Corentin war inzwischen aufgestanden und durchmaß das Zimmer, in dem die Unterhaltung stattfand, mit großen Schritten, während er mit sich selbst zu sprechen schien.

»Die Polizei!« rief er aus. »Von ihr kann man dasselbe sagen, was Basilio zu Bartolo von der Verleumdung sagt: ›Die Polizei, mein Herr! Die Polizei, Sie wissen nicht, was Sie da gering achten!‹ Und wer schätzt sie denn wirklich gering?« fuhr er fort. »Die Schwachköpfe, die nichts besseres wissen, als das zu mißachten, worauf ihre Sicherheit beruht. Schaffen Sie die Polizei ab, so ist auch die Zivilisation erledigt. Und verlangt sie denn Hochachtung von diesen Leuten? Sie will ihnen nur ein Gefühl einflößen: Furcht, den starken Stock, mit dem man die Menschen regiert, diese gemeine Rasse, deren niedrige Instinkte man selbst mit der Hilfe Gottes, der Hölle, des Henkers, und der Gendarmen kaum zu bändigen vermag.«

Dann fuhr er, vor la Peyrade stehen bleibend und ihn mit verächtlichem Lächeln musternd, in seinem Hymnus fort:


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