Hugo Ball
Hermann Hesse
Hugo Ball

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Die Mutter ist bei der Geburt des Kindes fünfunddreißig Jahre alt. Außer in ihr Tagebuch schreibt sie in jenen Monaten für die Mission an einem »Traktat über Indianer«. Noch am 7. Oktober ist sie von der Geburt sehr schwach und fühlt sich »plötzlich alt und matt geworden«. Die Besonderheit des Kindes ist der Mutter auffällig. Getreulich vermerkt sie, daß der Neugeborene ein überaus freundliches Kind sei, »sogar in seiner schweren Krankheit lächelte er uns oft so lieblich an«. Im Dezember beschäftigt sich die Mutter mit einem zu gründenden frommen Fabrikmädchenverein, der im Januar des nächsten Jahres bereits verwirklicht ist. Viel Freude macht den Eltern in dieser Zeit auch des Dichters vier Jahre ältere Schwester Adele. »Sie ist zum Aufessen lieb«, schreibt die Mutter. »Wie lange wird sie bei uns sein? Es ist etwas an ihr vom Paradies. Weit und breit hab ich noch nie ein so reizend lieblich Kind gesehen.« Auch der Dichter ist dieser Schwester von frühester Kindheit an besonders zugetan.

Das Jahr 1878 bringt nach Adele und Hermann einen kleinen Bruder Paul, der am 14. Juli geboren wird und im Dezember bereits stirbt. Der Vater ist auf Missionskongressen viel unterwegs. So reist er nach Barmen, nach Bremen, nach Heilbronn. Im andern Jahr 1879 bricht der kleine Hermann sein rechtes Ärmlein, ohne Fall, bloß durch ungeschickte, gewaltsame Bewegung. Die Mutter notiert über den zweijährigen Jungen: »Gott Lob, es ging sehr gut vorüber, doch war es eine schwere Zeit und harte Schule, den unglaublich lebhaften und verwegenen Jungen zu hüten.« Klingt es nicht, als handle es sich um einen Zehnjährigen? Auch in diesem Jahre wieder wird ein Kind geboren, Gertrud (im August); das Kind stirbt bereits ein halbes Jahr später. Das Märchenwort »Speckbröckelein« taucht im Tagebuch auf. Vom dreijährigen Knaben heißt es Ende Dezember: »Entwickelt sich sehr rasch, erkennt alle Bilder sofort, ob sie aus China, Afrika oder Indien, und ist sehr klug und unterhaltend; aber sein Eigensinn und Trotz sind oft geradezu großartig.«

Das Jahr 1880 nennt die Mutter »ein Jahr der Gnade und Zucht«. In der Karwoche betet sie: »Herr, lehre mich etwas von der seligen Gemeinschaft deiner Leiden, zieh mich nur zu dir!« Oh, sie ist nicht, wie man annehmen könnte, erkrankt. Sie ist nur, in einer merkwürdigen Relation mit dem Geburtsdatum ihres Sohnes, in ein inniges Gebetsleben versunken, das sich ungeachtet vieler Besucher und Verwandte bei der baldigen Übersiedlung nach Basel noch verstärkt. Mitunter steigt bei der Lektüre des Tagebuchs der Eindruck auf, daß die Tragödienhöhe der Gefühle nicht immer gleichen Schritt zu halten vermag mit dem Alltag, in dem sich diese Frau verzehrt. Aber wer vermag über die Abwesenheit und die Anliegen einer betenden Mutter auszusagen? Ein fünftes Kind, des Dichters Schwester Marulla (der Vater ist ja Russe) wird geboren. Von Hermann heißt es: »Er ist unglaublich lebhaft und intelligent, dabei leidet er an großer Heftigkeit.« Dann kommt (Neujahr 1881) bereits die Berufung des Vaters nach Basel und der sechsjährige Aufenthalt dort.

Der Dichter hat seine frühesten Erinnerungen an Basel in einem selten gewordenen Büchlein dargestellt, in den »Hinterlassenen Schriften und Gedichten von Hermann Lauscher«, herausgegeben von H. Hesse, Basel 1901. Die Familie wohnte draußen vor dem Spalentor im Bereich des Missionshauses, an dem der Vater die Kandidaten unterrichtete. Die Kinder kamen nur selten in die Stadt. Hermann besuchte die für die Kinder der Missionare errichtete Knabenschule. Orgelklänge, Psalmen und Betstunden mischen sich in die Freuden auf der damals noch viel ausgedehnteren sogenannten »Schützenmatte«. Die hohe wogende Märchenwiese, auf der die Mutter mit den Kindern zu spielen pflegte oder auch kleine ländliche Ausflüge mit ihnen unternahm, begann gleich hinterm Elternhaus.

»Wenn ich mich streng auf meine früheste Zeit und ihre Stimmungen besinne«, sagt Hermann Lauscher, »habe ich den Eindruck, es müsse nächst dem Sinn für Wohlwollen kein Gefühl so früh und stark in mir wach gewesen sein wie das der Schamhaftigkeit. Mit meiner Schamhaftigkeit, welche schon früh mit einem Widerwillen gegen eigenmächtige Berührung meines Leibes durch fremde Hände des Arztes oder der Dienstboten begleitet war, hängt vielleicht meine frühzeitige Lust am Alleinsein im Freien zusammen. Die vielen stundenlangen Spaziergänge jener Zeit hatten immer die unbetretensten grünen Wildnisse zum Ziel. Diese Zeiten der Einsamkeit im Grase sind es auch, die beim Erinnern mich besonders stark mit dem wehen Glücksgefühl erfüllen, das unsere Gänge auf Kindheitswegen meist begleitet.« Der sommerliche Duft des Basellandes und die Schützenmatte mit ihren Zittergräsern und Schmetterlingen, mit ihren Lichtnelken und Wasserpflanzen, ihren Glockenblumen und Skabiosen gibt allen ähnlichen späteren Darstellungen Hesses Inbrunst und Klang.

Hier fliegt zum erstenmal auch jener Schmetterling Apollo, der in späteren Erzählungen wiederkehrt: »... er setzte sich in meiner Nähe an die Erde und regte langsam die wunderbaren alabasternen Flügel, daß ich ihre feine Zeichnung und Rundung sehen konnte und die blanken Diamantlinien und auf den Flügelpaaren beide hellblutrote Augen.« Er taucht dann in einer Skizze vom Vierwaldstättersee wieder auf, dieser Apollo; in der »Musik des Einsamen« von 1915 wieder, und wird noch 1925 ins »Bilderbuch« aufgenommen. Er ist das Zeichen für Hesses Dichtkunst selbst. Die flirrenden edelsteinfarbenen, die blitzenden Akzente seiner Sprache; auch die blutigen, spitzen Aufschreie der Schönheit: sie könnten aus Zinzendorfs ähnlich intensiven Funkelworten genommen sein; sie könnten von den pietistischen zwölf Edelsteinen herrühren, die an den Toren der himmlischen Stadt erglänzen. Wahrscheinlicher aber stammen sie von den Falterflügeln der Schützenmatte und von den blitzenden Fischflossen im Schwarzwaldbach.

Ein anderes Bild, neben der Schützenmatte, ist das Elternpaar. »Ich sehe die ganze hohe, magere Gestalt meines Vaters aufrecht mit zurückgelegtem Haupt einer untergehenden Sonne entgegengehen, den Filzhut in der Linken tragend. An ihn ist meine Mutter sanft im langsamen Gehen gelehnt, kleiner und kräftiger, mit einem weißen Tuch auf den Schultern.« Der Dichter spricht von der Neigung seines Vaters zum Genuß der bildenden und der Dichtkunst, sowie von derjenigen seiner Mutter zur Musik. Er gesteht, Erzähler und Plauderer von Weltruhm gehört und sie steif und geschmacklos gefunden zu haben, sobald er sie mit den Erzählungen seiner Mutter verglich. »O ihr wunderbar lichten, goldgründigen Jesusgeschichten, du Bethlehem, du Knabe im Tempel, du Gang nach Emmaus!... Ich sehe dich noch, meine Mutter, mit dem schönen Haupt zu mir geneigt, schlank, schmiegsam und geduldig, mit den unvergleichlichen Braunaugen!«

Und dann folgt im »Lauscher« gleich das Gruseln. »Nächst dem unerreichbaren Klang und Sinn der Bibelgeschichten sog ich tief aus dem Quell der Märchen. Ein schmaler Raum im Schlafzimmer der Eltern, zwischen den beiden Bettstellen, war vorzüglich der ständige Wohnort schlitzäugiger Kobolde, rußiger Bergmänner, geköpfter Umgänger, traumwandelnder Totschläger und grünschielender Raubtiere, so daß ich eine Zeitlang nur in Begleitung Erwachsener und noch lange später nur mit äußerster Aufbietung alles Knabenstolzes daran vorübergehen konnte.« Als der Vater einmal befiehlt, ihm seine dort stehenden Pantoffel zu holen, wagt sich der Knabe nicht an den Ort des Entsetzens und kehrt lautlos zurück, vorgebend, er habe die Schuhe nicht gefunden. Der Vater, der etwas Phantastisches ahnt und ein strenger Feind auch der Notlüge ist, schickt ihn nochmals hin: »Du lügst. Sie müssen dort stehen.« Der Junge kehrt nochmals unverrichteterdinge zurück, und der Vater geht selbst, »während ich mich heulend an ihn hängte, wobei ich ihn unter heißen Tränen beschwor, sich dem Winkel nicht zu nähern«. Es ist hier, in frühesten Kinderjahren, dieselbe Magie des Gedankens, die man als mystische Abhängigkeit von den Hervorbringungen der eigenen Seele bei Hypnotisierten und Primitiven, bei Heiligen und in Neurosen findet.

»Ein anderes Mal, fährt Lauscher fort, wuchs mein Angstgefühl vollends ins Krankhafte. Ein befreundetes Mädchen erzählte die Geschichte von der Glocke Barbara. Diese Glocke Barbara hing in der Kirche Barbara und war aus Zauberei und Verbrechen hervorgegangen. Sie rief immerfort den Namen einer ruchlos erschlagenen Barbara mit blutiger Stimme aus und wurde deshalb von den Mördern gestohlen und vergraben. Da, als es Zeit zum Nachtläuten war, beginnt die Glocke aus der Erde laut und jämmerlich zu tönen:

Barbara bin ich genannt,
In der Barbara bin ich gehangt,
Barbara ist mein Vaterland.

»Diese halbgeflüsterte Geschichte«, sagt der Verfasser, »regte mich schrecklich auf. Mein Grausen wurde dadurch gesteigert, daß ich es in mir zu verbergen bemüht war. So stieg mein Schaudergefühl mit jedem Wort der Erzählung, bis mir die Zähne klapperten. Als aber nach eben beendeter Geschichte auf Sankt Peter die Abendglocke zitternd anschlug, ließ ich in rasender Angst die Hand des kleinen Jungen fahren und rannte, von der ganzen Hölle gehetzt, in die Nacht hinein, stolperte, stürzte und wurde keuchend und zitternd heimgebracht.«

Es ist schon derselbe Alp, von dem der Dichter in der Traumfolge der »Märchen« und immer wieder erzählt; dieselbe Gewissensangst aus tiefen Verstrickungen der Phantasie, die ihn gleich Baudelaire die erfüllteste und unerfaßbarste Kunst, die Musik, und Chopin lieben läßt; die ihn zu dem gehetztesten aller Dichter, zu Strindberg, in eine Beziehung bringt. Es ist dieselbe atemlose Gewissensangst und unbewußte Verstrickung, die ihn sich später für die Analyse und für psychotische Fragen interessieren läßt. Es ist auch dasselbe Erschrecktwerdenkönnen durch unvermutet im Gespräch, im Erleben, im Briefwechsel auftauchende peinliche, unliebsam Erinnerungen und Berührungen; eine Gemütsanlage, die Hesse mit Gottfried Keller teilt und die hier wie dort den Verkehr mit dem Dichter mitunter ihm zur Qual gestaltet. Im Barbara-Erlebnis seiner frühen Kindheit tritt die entsetzende, schreckende Welt, die mehr als ausgeprägte, die halluzinierte Mahnung von Vater und Mutter mitten im Wachtraum zutage. An anderen Stellen seiner Dichtungen ist diese Stimme nur als ein unterirdisch grollender Donner, als ein blitzendes Zucken über den heiteren Himmel hin vernehmbar.

Hier in der Basler Zeit und im »Hermann Lauscher« ist auch schon jene sehr gefährdete, zerbrechliche, übersensible Kinderseele namhaft gemacht, die als »Pierre« in dem Eheroman »Roßhalde« (1914) nach langer Verschüttung und Verschüchterung wieder lebendig wird: Was ist der Regenbogen? Warum winselt der Wind? Woher kommt das Verwelken der Wiesen, woher das Wiederblühen? Wozu die Analogie in »Roßhalde« lautet: »Ich möchte das verstehen, was die Rotkehlchen zueinander sagen. Und ich möchte auch einmal sehen, wie es die Bäume machen, daß sie mit ihren Wurzeln Wasser trinken und so groß werden können. Ich glaube, das weiß gar niemand richtig. Der Lehrer weiß eine Menge, aber lauter langweilige Sachen.« »Auf solche Fragen«, sagt Hermann Lauscher, »ging mein Vater, wenn die Weisheit oder Geduld der Mutter zu Ende war, oft mit unvergleichlicher Liebe und Feinheit ein.«

Von einem Orbis pictus ist sodann die Rede, von einem Lieblingsbilderbuch, das den Dichter von der ersten Schaulust bis weit ins reifende Knabenalter begleitete und das in seiner Phantasiewelt »die umgekehrte Rolle des Robinson und Gulliver in der wirklichen spielte«. Auch Züchtigungen von der Hand des zärtlich geliebten Vaters werden erwähnt. Lauscher setzt diesen Züchtigungen, die er als Strafart durchaus anerkennt, zwar »meist Trotz und Schweigen« entgegen; »aber«, sagt er, »mein kleines Herz empfand sie unsäglich bitter, weh und beugend: Sie sind die frühesten Leiden, auf die ich mich besinnen kann, und in der Vorstellung, die ich von meinen Kinderjahren habe, die einzigen Trübungen, die noch vor der Schulzeit eintraten.« Einmal in jenen Jahren, nachdem er die Rute bekommen, singt der kleine Dichter abends im Bett und sagt dann: »Gelt, ich singe so schön wie die Sirenen und bin auch so böse wie sie?« Nur das Rätsel der Schläge berührt ihn, nicht die Züchtigung selbst, nur ihr Bezug auf die Eltern, denen gegenüber er sich eine dämonisch verführende Schönheit, und zwar die weibliche, zuschreibt.

An der Verzeihung der Mutter, die er abgöttisch verehrt, scheint dem Knaben mehr gelegen als an derjenigen des Vaters. »Der erste Abend«, so fährt Hermann Lauscher in seiner Erzählung fort, »an dem ich ohne Kuß und ohne Begleitung der Mutter stumm und scheu zu Bette ging, ist mir noch wohl erinnerlich. Vielleicht hat, sooft auch später mir das Wasser an die Kehle ging, doch das Gefühl namenlosen Schmerzes und Zwiespaltes niemals mehr so unsäglich auf mir gelastet wie an jenem traurigen Abend. Es war auch der erste Abend, an welchem ich nicht zu beten vermochte. Der Wortlaut meines Betverses stockte mir auf der Zunge und zeigte mir zum erstenmal seinen schweren Ernst und würgte mich wie einen Erstickenden.« Auch hier wieder führt das Erleben zur Komplikation. Das sehr kluge, sehr hoch geartete Kind kann den zarten Sinn der Frömmigkeit und die unzarte Art der Züchtigung nicht in Einklang bringen. Dieses Kind wird später die hohen Worte der Erzieher aufs genaueste mit ihrem persönlichen Verhalten vergleichen und streng zu unterscheiden wissen zwischen frommer Liebhaberei und zärtlicher Gotteshingabe aus ganzem, durchlichtetem Wesen.

Doch genug von »Hermann Lauscher«. Nein, eine kleine Episode noch. Der Junge hat unbeabsichtigt im Eifer mit der Schleuder das Fenster eines armen Handwerkers zerschossen. Man verklagt seinen Mutwillen; er leugnet die Absicht, wird hart gezüchtigt und glaubt nun, seinen Trotz nicht brechen lassen zu dürfen. Vater und Sohn schweigen tagelang; ein Schatten liegt auf dem Hause. Der Vater muß für eine Woche verreisen und hinterläßt ein Brieflein: »Ich habe dich für ein Vergehen bestraft, das du nicht gestanden hast. Hast du die Sache dennoch begangen und mich also angelogen, wie soll ich dann noch mit dir reden? Ist's anders, dann habe ich dich mit Unrecht geschlagen. In einer Woche, wenn ich wiederkomme, sollte doch einer von uns dem andern verzeihen können.«

Es ist, wie man sieht, ein prächtiger Vater, aber es ist auch ein früh selbstbewußter Sohn, den man nicht wie ein Kind behandeln kann; der in den Schlägen einen Handel zwischen zwei erwachsenen Männern empfindet, von denen der jüngere dem bejahrten auf Gedeih und Verderb übergeben ist. »Am nächsten Tage«, sagt der Dichter, »kam ich mit dem Blatt ans Bett meiner Mutter, weinte und fand keine Worte... Abends saß ich seit langer Zeit zum erstenmal meiner Mutter zu Füßen und hörte sie erzählen wie in den Kleinkinderjahren. Es kam so süß und mütterlich von ihrem Munde, aber was sie erzählte, war kein Märchen. Sie sagte mir von Zeiten, da ich ihr fremd geworden sei und wie da ihre Angst und Liebe mich begleitete; sie beschämte und beglückte mich mit jedem Wort, und dann redeten wir beide mit Namen der Liebe und Ehrfurcht von meinem Vater und freuten uns mit Sehnsucht auf seine Heimkehr.« Die kleine Episode erinnert bereits an die schmerzlich umliebte Frau Eva im »Demian«.

Der »Lauscher« enthält auch einen Anhang früher Gedichte. Eines davon, »Philosophie« betitelt, scheint an die Lektüre Schopenhauers anzuschließen. Die erste Strophe lautet:

Vom Unbewußten zum Bewußten,
Von da zurück durch viele Pfade
Zu dem, was unbewußt wir wußten,
Von dort verstoßen ohne Gnade
Zum Zweifel, zur Philosophie,
Erreichen wir die ersten Grade
Der Ironie.

Ehe ich aber die Darstellung der Kindheit abschließe, möchte ich diese ersten Basler Jahre noch durch einige Auszüge aus dem Familientagebuch ergänzen. Es ist bei den Eintragungen der Mutter mitunter, als gebe sie irrtümlich das Alter des Knaben um einige Jahre höher an, als es der Wirklichkeit entspricht. So gleich bei Beginn des Basler Aufenthaltes, wenn es da heißt: »Die Kinder freuen sich sehr der netten Wohnung, ländlichen Umgebung, des Gartens und Hofes, wo sie sich fleißig tummeln. Bei einem großen Baum im Missionshausgarten schreit Hermann: Au! An dem bliebe der Absalom mit seinem Haar gewiß auch hängen!« Woher kennt das vierjährige Kind die Geschichte vom Absalom? Die Mutter mag sie ihm als eine abschreckende Heldengeschichte erzählt haben; denn Absalom, das ist doch der Abtrünnige, der seinem Vater den Krieg macht; der alles Volk um Haupteslänge überragt und der auf der Flucht vor dem Vater mit den Haaren (das ist mit seiner besten Kraft) am Baume (das ist am Symbole der Mutter) hängenbleibt. Man lese in der »Wanderung« und auch im »Bilderbuch« (»Besuch aus Indien«) nach, was die Bäume für Hesse noch anderes bedeuten.

In Basel fühlt sich die Mutter sehr wohl. »Wir teilen«, so schreibt sie, »nun Freud und Leid mit der Basler Mission, und das macht uns reich und glücklich.« Oder: »Hier ist ein so reicher Verkehr, so viel Anregung aus der Missionswelt, das Herz wird immerfort in Anspruch genommen, und man muß in der Fürbitte mehr einstehen als anderswo, denn die heimkehrenden Kranken, die ausziehenden jungen Geschwister, die Kinderlein und der Abschied von ihnen, Nachrichten von Todesfällen und so weiter greifen ins Herz.« Es ist eine Mutter der großen Missionsfamilie, der Todgeweihten und ihrer Hintersassen. Sie könnte Äbtissin eines im Brennpunkt der geistigen Interessen stehenden Klosters oder auch eine Fürstin sein.

Des Knaben fröhliche Lebendigkeit gerät mit diesem dunklen, ihm nicht einzig zugewandten Leben, in dem er nur ein Rädchen sein soll, in Konflikt. Die Mutter notiert von ihm: »Hermann geht in die Kinderschule; sein heftiges Temperament macht uns viel Not...« Die Bücher der Könige beschäftigen ihn sehr. Besonders die Salbung zum König. »Möcht' nur wissen«, sagt er, »wie man aus Öl etwas werden kann! Den David hat der Samuel zum König gesalbt, aber Öl kann doch jetzt mich nicht zum König machen!« Das ist sehr früh eine kernprotestantische Spekulation über den Sinn der Weihe und Zeremonie, und sie zeigt, daß sich der Junge zu hohen Dingen bestimmt und geboren fühlt.

Auch eine letzte wichtige Notiz darf ich nicht übergehen. Sie stammt aus dem Jahre 1884 und lautet: »Hermann, dessen Erziehung uns so viel Not und Mühe machte, geht es nun entschieden besser. Vom 21. Januar bis zum 5. Juni (ein halbes Jahr also) war er ganz im Knabenhaus und brachte bloß die Sonntage bei uns zu. Er hielt sich dort brav, aber bleich und mager und gedrückt kam er heim... Die Nachwirkung«, so fährt die Mutter fort, »war entschieden eine gute und heilsame. Er ist jetzt viel leichter zu behandeln, Gott sei Dank!«

An interessanten und lieben Besuchen verzeichnet die Mutter: Dr. Borchgreviczs von Madagaskar, Otto Hörnle, den Japaner Nisima, Pastor Bublitz, Dr. Grundemann, Professor Douglas und Frau. Das Resümee des letzten Basler Jahres lautet: »Wir hatten nicht bloß frohe Familienvereinigung, sondern auch Gemeinschaft der Heiligen.«


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