Josef Baierlein
Der Derotero des Indianers
Josef Baierlein

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11.
Beim Intendenten.

Die erste Sorge Fritz Winklers nach dem Verlassen des Stollens galt seinem Bruder Franz. Er bot einen traurigen Anblick. Die Wunde, die ihm, als er vom ersten Erdstoß zu Boden geschleudert wurde, ein spitziger Felsen über der Stirne und einem Teil der linken Schläfe versetzt hatte, blutete ziemlich heftig und sein ganzes Gesicht war beschmiert.

Dazu kam, daß er noch niemals in einem Bergwerk gewesen war, – hatte er ja mit seinem Vater und mit Bruder Michael bisher lediglich Landwirtschaft getrieben und das heimatliche Gut in Mono mit in Ordnung gehalten – und nun mußte er beim erstmaligen Betreten einer Mine unter der Erde in völliger Finsternis solche grauenvolle Augenblicke erleben.

Die hierdurch verursachte seelische Erregung, verbunden mit dem Blutverlust, schwächte Franz derart, daß er, als kaum der Stollen hinter ihm lag und die freie Luft sein 84 Gesicht fächelte, das Bewußtsein verlor und in den Sandhaufen, den er tags zuvor selbst mit aufgeschaufelt hatte, niedersank.

Zum Glück befand sich in der Steinflasche noch ein Rest Wasser. Fritz träufelte dem Besinnungslosen einige Tropfen in den Mund und verwandte das übrige dazu, ihm Stirn und Gesicht vom Blute rein zu waschen. Seine Bemühungen hatten auch den gewünschten Erfolg: nach einiger Zeit schlug Franz die Augen wieder auf.

»Wo bin ich?« sagte er. »Ah, ich bin gerettet! Wir befinden uns nicht mehr in dem finsteren Stollen, nicht mehr unter abstürzendem Gestein und unter Felsen, die ins Wasser fallen.«

»Nein, lieber Bruder, Gott war uns gnädig; er hat uns wieder ans Licht der Sonne geführt. Allein du täuschest dich, wenn du glaubst, daß Felsen ins Wasser gefallen sind. Ich wüßte nicht, wo das herkommen sollte; der Stollen ist ganz trocken und die Hochebene selbst zeigt keine Spur von Feuchtigkeit. Sie ist ja wie übersät von unzähligen kleinen Felsengipfeln und Steintrümmern.«

»Gleichwohl habe ich deutlich das Aufklatschen des Wassers gehört, wie wenn ein 85 großer Block losen Gesteins in dasselbe stürzte,« beharrte der andere fest.

»Auch ich vernahm mehrmals ein ähnliches Geräusch,« stimmte jetzt Fritz zu; »da aber die Anwesenheit von Wasser in der hochgelegenen Mine ausgeschlossen erscheint, so liegt jedenfalls nur eine Täuschung des Gehörs vor, die in dem engen Stollen leicht möglich ist. Übrigens lassen wir das Gespräch über die Töne, die wir unter der Erde vernahmen, lieber sein! Viel näher liegt mir, zu erfahren, ob du dich kräftig genug fühlst, jetzt gleich mit mir nach Mono zurückzukehren, oder ob du dich noch eine Zeitlang von dem ausgestandenen Schrecken erholen willst.«

»Ach, nur heim nach Mono! Mir ist alle Lust vergangen, noch länger den Cateador zu spielen. Hier nimm mein Taschentuch und binde es mir um die verletzte Stirn, und dann machen wir uns sofort auf den Rückweg. Wir haben ja das alte Bergwerk, das wir suchten, glücklich gefunden und nichts hält uns hier oben mehr zurück.«

»Wenn du dir die Kraft zutraust, den Weg nach Hause sofort zurückzulegen, dann komm; mich treibt die Sehnsucht, unserm Vater schnell zu verkünden, welches Glück uns bevorsteht. 86 Sonst aber wäre ich auch bei dir hier auf dem Berge geblieben.«

»Nein, nein! Nur heim nach Mono!« drängte Franz.

Und wirklich besserte sich sein Zustand, namentlich als die Brüder den Urwald erreichten und die kühlen Schluchten abwärts stiegen, derart, daß sie in etwa vier Stunden ihr Heimatsdorf wieder betraten. Lautes, lustiges Gebell des sie begleitenden Hundes meldete sie an. –

Wir müssen es uns versagen, den Eindruck zu schildern, welchen die Erzählung der bestandenen Abenteuer auf den Vater und auf den Bruder Michael hervorbrachte. Bei der Schilderung des Kampfes mit den zwei Pumas stockte das Blut in ihren Adern; bei der Darstellung, wie die verschüttete Mine entdeckt und der Sand von ihrem Eingang weggeschaufelt wurde, leuchteten die Augen der Zuhörer und ein Gefühl hoher Freude und eines reichen Glückes zog in ihre Brust ein, als sie von den Adern gediegenen Goldes vernahmen, das der Stollen führte. Aber Entsetzen spiegelte sich in ihren Mienen bei der Erzählung, welche Schrecken die zwei Brüder ausgestanden während des Erdbebens, 87 das sie im finsteren Schachte, umgeben von abbröckelndem Gestein, erleben mußten.

»Mich will es schier verwundern, daß ihr von einem großen Erdbeben sprecht, also von einem Terremoto, da wir doch hier in Mono kaum einen Temblor wahrnahmen, sondern höchstens ein etwas stärkeres Erzittern des Erdbodens, als wir es gewohnt sind,« sagte Vater Winkler.

»Ach, Vater,« fiel Franz ein, »es war ein grauenvoller Aufruhr, ein Brüllen, das aus der Tiefe der Erde drang, und ein Getöse, das kaum zu beschreiben ist. Dazu die immerwährenden Stöße, das herabfallende Gestein und sein Aufklatschen, wenn es vom Wasser verschlungen wurde, – –«

»Das war natürlich nur eine Gehörstäuschung,« unterbrach Fritz da seinen Bruder, »denn es gibt kein Wasser auf der steinigen Hochebene. Aber furchtbar war es, im Finstern und in einem so engen Gange den entsetzlichen Tönen lauschen zu müssen. Jetzt aber liegt das schreckensvolle Grausen hinter uns, und es erübrigt nur, schnell zum Intendenten nach Valdivia zu gehen, damit das entdeckte Bergwerk uns zugeschrieben wird. Wir haben dann die Anwartschaft auf viele Millionen erworben und du, lieber Vater, 88 siehst deinen Herzenswunsch in Erfüllung gehen; denn wir alle können dann nach Deutschland zurückkehren und dort als reiche Leute leben. – Wie hoch schätzest du die Erzstufe, die ich aus dem Bergwerk mitgebracht habe?«

Der Vater hob die etwa drei Fäuste dicke, gelbglänzende Metallmasse vom Tisch, auf dem sie lag, auf und wog sie bedächtig in der Hand.

»Wenn sie aus gediegenem Golde besteht,« meinte er dann, »zahlen die Bankiers in Valdivia wohl vier- bis fünfhundert Pesos1600 bis 2000 Mark in deutscher Währung. dafür.«

»Unter solchen Verhältnissen hat unser Bergwerk den Wert von vielen Millionen,« rief Fritz ganz begeistert aus. »Meine Erwartungen sind eingetroffen. Jetzt bitte ich dich nur, lieber Vater, mach dich bereit, uns nach Valdivia zu begleiten; wir wollen alle miteinander zum Intendenten, um die Erlaubnis zum Betrieb unseres Goldbergwerks zu erhalten.« – –

Das in der Republik Chile zur Zeit dieser Erzählung geltende Berggesetz steht auch heutigen Tages noch mit wenigen Abänderungen in voller Kraft. Es sagt über die 89 Aufschließung eines neuen oder die Wiederausbeutung eines alten Bergwerks unter anderem folgendes.

»Findet jemand einen guten Gang, einen Stollen oder ein Lager, dessen Bauwürdigkeit er sofort oder nach vorgenommener Untersuchung erkennt, so reicht er ein auf einem Stempelbogen von 2 Real2 Real = 1 Mark an den Intendenten der Provinz gerichtetes Gesuch, dem er eine Probestufe beilegt, bei dem öffentlichen Notar ein, welcher Jahr, Monat, Tag, Stunde, Minute und Sekunde der Präsentation darauf notiert und es dem Intendenten schon in der nächsten Amtsstunde zur Genehmigung vorlegt.«

Da so viele Leute in Chile sich mit dem Aufsuchen von Minen beschäftigen, ist die genaueste Angabe der Zeit notwendig, zu welcher ein Gesuch eingebracht wird, denn nur derjenige, welcher als Erster sein Gesuch beim Notar abgibt, erhält die Erlaubnis zum Betrieb einer Mine und damit das Eigentumsrecht an ihr.

Fritz Winkler begab sich also zu einem Notar in Valdivia und bat ihn, nachdem er ein bohnengroßes Stückchen Erz von seiner Stufe abgelöst und als Beilage zu seiner 90 Eingabe bestimmt hatte, um die Ausfertigung eines Gesuches.

Sofort wurde dieses in folgender Form niedergeschrieben:

»Ich, Fritz Winkler, geboren in Lichtenfels im Staate Bayern (Deutschland), wohnhaft in dieser Provinz Valdivia zu Mono, einer Kolonistenniederlassung, Bergmann von Beruf, stelle mich ehrerbietig Ihnen, Herr Intendent, vor und melde, daß ich auf der Hochebene des Gebirges, das östlich vom Crucesflusse, westlich vom Stillen Ozean, im Norden vom Mehuinfluß, und im Süden von den Ansiedlungen der Kolonisten begrenzt wird, ein altes Goldbergwerk neuentdeckt habe, laut beiliegender Probe. Dieses Bergwerk streicht von West nach Ost. Da ich das nötige Werkzeug besitze, es ausbeuten zu können, so bitte ich Sie, mir dieses Bergwerk laut gesetzlichen Bestimmungen zu verleihen.

Fritz Winkler.«

Darunter schrieb der Notar:

»Ich bestätige hiemit, daß vorstehendes Gesuch heute den 11. Dezember des Jahres 1860, vormittags zehn Uhr zwanzig Minuten und neun Sekunden in meiner Amtskanzlei in Valdivia präsentiert worden ist.

Timoteo Mera, öffentlicher Notar.«

91 Schon nach einer halben Stunde erhielt Fritz Winkler sein Gesuch mit nachstehender Bestätigung zurück:

»Ich gebe Ihnen hiermit die Konzession, das von Ihnen neu aufgefundene Bergwerk, nach der vorgelegten Probe ein Goldbergwerk, als dessen Eigentümer betreiben zu dürfen, mit dem Vorbehalte, daß darunter die Rechte eines anderen nicht leiden, der etwa sein Konzessionsgesuch schon früher als Sie präsentiert hat.

Gegenwärtige Konzession ist in den Zeitungen bekannt zu machen und in das Archiv einzutragen.

Valdivia, am 11. Dezember 1860, vormittags zehn Uhr achtundfünfzig Minuten und drei Sekunden.

L. S. Der Intendent der Provinz von Valdivia.
Matteo da Costa y SilveiraNach Paul Treutler, »Fünfzehn Jahre in Südamerika«, Bd. I..«        

Mit einer warmen Beglückwünschung legte der Notar das kostbare Dokument, das Fritz Winkler als Eigentümer des von ihm entdeckten Goldbergwerks anerkannte, in die Hände des Bergmanns. Dieser verließ fast schwindelnd vor Glück und in dem wonnigen Gefühl, in kurzer Zeit über Millionen 92 verfügen zu können, die Kanzlei und begab sich sofort in die Osteria, wo sein Vater und seine Brüder ihn erwarteten.

»Hier, Vater, hast du die Urkunde, die mich und mit mir euch alle in den Besitz von so viel Geld setzt, wie ich mir kaum zu erträumen hoffte. Denn die Bedingung, unter der ich Eigentümer der Goldmine geworden bin, daß mir nämlich ein Dritter in der Anmeldung zuvorgekommen wäre, trifft nicht zu. Wenn auch ein anderer den Stollen, den wir erst gestern verließen, aufgefunden haben sollte, so hat er doch sein Konzessionsgesuch nicht vor dem meinigen anbringen können – und das ist die Hauptsache.«

Der Vater nahm das Schriftstück mit zitternden Händen entgegen. Nachdem er dasselbe genau durchgelesen hatte, meinte er bedächtig:

»Ich halte es fürs beste, wenn wir dieses Dokument sofort einem Bankier vorlegen und ihn fragen, wieviel er bezahlen will, wenn wir ihm die Eigentumsrechte an dem Bergwerke abtreten. Dabei erfahren wir ohne Zweifel auch, wie er den Vorbehalt, ›daß darunter die Rechte eines anderen nicht leiden, der etwa sein Konzessionsgesuch schon früher präsentiert hat,‹ auffaßt. Leute, die 93 sich stets mit solchen Angelegenheiten befassen, wissen auch Bescheid über diesen Vorbehalt.«

Den drei Brüdern leuchtete der Vorschlag des Vaters ein und sie begaben sich deshalb in eines der zahlreichen Bankgeschäfte, die in Valdivia den Handel mit Edelmetallen und Berwergs-Kuxen betreiben. 94

 


 


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