Josef Baierlein
Der Derotero des Indianers
Josef Baierlein

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9.
Vor dem Stollen.

Die zwei Cateadores waren derart von der Anstrengung des Schaufelns erschöpft, daß sie, obgleich sie den Tag über nichts gegessen hatten, tief und fest schliefen. Ihnen ging die Pracht des nächtlichen Himmels verloren, an dem die Sterne des südlichen Firmaments gleich Feuerbällen glänzten. Aber wenn sie auch den Glanz des über ihnen sich wölbenden Himmels nicht sahen, so erblickten sie in ihren Träumen doch einen anderen Schimmer, der von dem gelben Metall ausstrahlte, das sie im freigelegten Stollen finden sollten.

Beurteilen wir die armen Bursche, die da in ihren rauhen Ponchos sich in Sand gebettet, nicht zu strenge, weil sie den Eingang zum Bergwerk nicht verlassen wollten, sondern in seiner nächsten Nähe der Nachtruhe pflegten. Wenn der Derotero Glauben verdiente, – und bisher waren noch alle seine Angaben richtig gewesen, – dann gab es in 67 der Mine einen mächtigen Gang von gediegenem Golde, das offen zutage lag. Das freigelegte Bergwerk führte ja Gold – nicht Silber, das mehr als zwanzigmal niedriger im Werte stand. Was konnten die Brüder mit einem solchen Reichtum alles beginnen! Welches Leben des Genusses und der Freude lag vor ihnen! Da darf man sich nicht wundern, daß sie den Ort, der so große Reichtümer barg, keinen Augenblick verlassen wollten.

Als sie aber des anderen Tages erwachten, hatte sich auch die Überlegung wieder bei ihnen eingestellt. Zuerst stellten sie fest, daß die schlechte Luft noch nicht aus dem Stollen entwichen war; das seit Jahrhunderten eingeschlossene Element lag träge im Stollen und mußte auf andere Weise aus ihm getrieben werden.

Bis dies geschehen, mußten die Brüder aber wieder essen. Sie hatten seit den wenigen Bissen, die sie am Morgen des vergangenen Tages zu sich genommen, nichts genossen, und jetzt verlangte ihr Magen gebieterisch nach Nahrung.

»Franz!« sagte der jüngere Bruder daher, »es geht nicht an, daß wir warten, bis sich die Luft im Stollen langsam erneuert hat. Wir können unmöglich so lange hungern. Gehe 68 also du zur Pumahöhle und hole unseren Proviantkorb. Wir haben noch auf etwa zwei Tage Vorräte an Lebensmitteln. Wenn du dann in die Schlucht hinabsteigst, in der ich den von dir geschossenen Puma zerwirkte und wo ich zum erstenmal die in den Felsen eingehauene Hand entdeckte, so kannst du Stücke Fleisch des getöteten Löwen mitbringen, die für einige Tage weiter reichen werden. Unterdessen werde ich trachten, den Stollen von seiner verdorbenen Luft zu reinigen.«

»Wie willst du das anfangen?«

»Ich werde zurück in den Urwald gehen und dort einen Haufen dürres Holz und Äste sammeln. Es liegen deren ja in Massen auf dem Boden. Dieses Holzwerk schichte ich vor dem Eingang zum Stollen auf und setze es dann in Brand. Wenn es einen Tag und eine Nacht in Flammen steht, wird das Feuer wohl einen solchen Luftzug verursachen, daß die Stickluft im Stollen entweicht.«

»Haben wir denn auch Zündhölzer, um das Reisig und die dürren Äste anzuzünden?«

»Ich habe eine ganze Büchse voll in der Tasche meines Poncho. – Aber da fällt mir ein, daß wir in dieser Steinwüste, die uns umgibt, nicht mehr aus den Quellen trinken können, die uns während unserer Wanderung 69 in den Schluchten des Waldes so reichlich mit Wasser versorgten. Fülle also die große Steinflasche, in der sich unser Apfelwein befand, – wir haben ihn ja schon bis auf den letzten Tropfen ausgetrunken, – mit frischem Quellwasser und bring sie hierher.«

»Gerne, mein Bruder, will ich tun, was du von mir verlangst,« gab Franz zur Antwort. »Ich fürchte nur, daß ich in dieser Öde, wo ein Felsenblock dem anderen gleichsieht, den Weg verliere.«

»Habe keine Sorge! Die Pumahöhle kannst du nicht verfehlen, da sie von hier aus deutlich sichtbar ist. Auf dem Rückwege aber wird dir der Rauch des Feuers, das ich bis dahin angezündet habe, die Richtung angeben, in der du mich wieder finden wirst. Auch können wir uns durch Ruf und Gegenruf miteinander verständigen. Oder noch besser: Du nimmst Bello mit dir. Der Hund findet zuverlässig den Weg wieder zurück, den er ein paar Stunden zuvor gegangen ist.« –

Nachdem die Brüder derart alles miteinander besprochen hatten, lockte Franz den Hund zu sich und verließ mit ihm den Stollen, während Fritz sich nach dem Walde begab, wo er dürres Brennmaterial sammelte. –

Franz Winkler hatte keine Mühe, die 70 Pumahöhle wieder aufzufinden; denn schon von ferne war die dachähnliche Öffnung in der Felsenwand sichtbar. Er nahm die gerade Linie nach derselben wahr und schritt zwischen den Steintrümmern und dem Geröll, das ihn von allen Seiten umgab, wacker auf sie zu.

Nach etwa anderthalb Stunden hatte er sie erreicht. Er nahm den Korb mit dem Rest von Eßvorräten an sich und schickte sich an, die Höhle wieder zu verlassen. Da erblickte er in der Richtung, aus der er gekommen, über dem Wirrwar von kleinen Gipfeln und zerborstenen Felsen, aus denen die ganze Hochebene bestand, eine Säule dünnen Rauches, die sich in der Luft kräuselte.

»Ah!« sagte er; »mein Bruder hat also seinen Vorsatz, die schlechte Luft im Stollen durch Feuer zu vertreiben, bereits ausgeführt. Jetzt nur schnell unsere Apfelweinflasche mit Wasser gefüllt und einige Stücke Fleisch des zerwirkten Löwen in den Korb gepackt, – und dann wieder zurück zu ihm! Wenn er das gleiche Gefühl in seinem Magen hat wie ich in dem meinigen, dann wird er froh sein, mich und meinen Proviantkorb wieder zu sehen.«

Als er an die Stelle kam, wo der erschossene weibliche Puma lag, da stutzte er. Das Tier 71 sah nämlich nicht aus, als ob es gestern noch am Leben gewesen wäre. Es machte vielmehr den Eindruck, als liege es schon wochenlang tot an der Luft; denn die Augen fehlten ihm gänzlich, aus der Nase und den äußeren Teilen des Mundes waren Stücke gerissen und das gestern noch so schöne und glatte Fell war zerhackt und teilweise fehlte es ganz.

»Die Kondors, – die Aasgeier!« rief Franz Winkler bei diesem Anblick aus. »Wer hätte gedacht, daß sie sich schon so schnell über unsere Pumas hermachen würden! Wie mag aber erst der zerwirkte Löwe ausschauen, der vor ihren Schnäbeln und Krallen durch kein Fell mehr geschützt war!«

Das sollte er sofort erfahren. Er kam an die Schlucht, in die der Kadaver gestürzt war, und stieg darin abwärts, bis er den Felsen erreichte, der zum erstenmal die eingehauene Hand zeigte.

Dort sah er etwas Sonderbares. Auf dem Boden verstreut lagen abgenagte Knochen ohne das mindeste Fleisch; um dieselben herum aber teils auf den niedrigen Ästen der Bäume, teils auf dem bloßen Boden saßen und kauerten gegen zehn Kondors oder Adler des amerikanischen Südens, die sich 72 stumpfsinnig dem Geschäft der Verdauung überließen.

Von der Witterung des toten Tieres angezogen, hatten sich die gefräßigen Raubvögel mit heißer Gier auf die Fleischstücke gestürzt und so lange gefressen, bis sie, überwältigt von der Menge des verzehrten Fleisches, sich nicht mehr in die Luft erheben konnten, sondern träge auf dem abgenagten Gerippe saßen.

Franz Winkler erinnerte sich hierbei, daß die Indianer auf ähnliche Weise ihre Kondorjagden veranstalten, indem sie ein zugrunde gegangenes Maultier oder ein anderes Aas den Vögeln zum Fraße vorwerfen. Ist dann der Augenblick eingetreten, in welchem die Kondors durch ihr übermäßiges Fressen am Fliegen gehindert werden, dann schlagen die Indianer die Vögel mit Holzknütteln tot.

Das gleiche tat jetzt Franz Winkler. Er ergriff einen abgefallenen Baumast und tötete mit demselben vier auf dem Boden sitzende Kondors; diejenigen, welche noch die Kraft gehabt hatten, sich auf die Äste der nächsten Bäume zu schwingen, fing er mit dem Lasso ein und schlug sie hierauf gleichfalls mit dem Baumast tot. Dann schnitt er ihnen den Leib auf und nahm daraus Herz und Lungen; denn diese gelten als Leckerbissen.

73 Nachdem er noch die Steinflasche mit frischem Quellwasser gefüllt und aus dem auf der Hochebene liegenden Puma die Zunge und andere Stücke Fleisch geschnitten hatte, machte er sich auf, seinen Bruder wieder zu erreichen. Der Rauch, der in der Ferne aufstieg, wies ihm ebenso den rechten Weg, wie der freudig voraus laufende Bello, der sich am Fleisch des Löwen ein Gutes getan. – – 74

 


 


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