Josef Baierlein
Der Derotero des Indianers
Josef Baierlein

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6.
Die Pumas.

Es schien beinahe, als habe die Anwesenheit des Hofhunds Bello den zwei Cateadores tatsächlich Glück gebracht. Denn nachdem sie die Höhe der engen Schlucht, in der das Tier sie erreicht, erklettert hatten, fanden sie zum erstenmal ihren Ausgang nicht durch steile, unübersteigbare Felsen verschlossen, sondern sie traten aus der Schlucht heraus auf die Höhe des Gebirgs.

Der Urwald lag hinter und unter ihnen, und in der Ferne erblickten sie die Türme des Missionsklosters von San José, sowie links von diesem die Mission von Queule. Der Raum zwischen ihrem Standpunkt und den in gleicher Höhe liegenden Missionen aber war ausgefüllt von unzähligen felsigen Gipfeln und Felsstücken, die chaosartig über- und durcheinander lagen und nicht die Spur irgend einer Vegetation aufwiesen.

Während die Seiten des Gebirgs und die durch dasselbe sich hinziehenden Schluchten 46 mit immergrünen Araukarienbäumen, mit Tannen, Fichten, Nußbäumen, durch welche sich Lianen schlangen, bewachsen waren, so daß sie ein getreues Bild des Urwalds darstellten, bot die Höhe der Berge nur einen Anblick trostloser Verwüstung.

Wahrscheinlich war diese auf eines der in Südamerika so überaus häufigen Erdbeben zurückzuführen. Ein Erzittern des festen Bodens findet in der Republik Chile fast täglich statt; infolge davon sind die Häuser auf dem Lande stets nur aus Holz errichtet. Steinbauten kommen lediglich in den Städten vor.

Das Erzittern des Erdbodens sind die Einwohner derart gewohnt, daß sie ihm keine Beachtung mehr schenken. Desto mehr fürchten sie die eigentlichen Erdbeben, von denen sie jene, die milde verlaufen, ohne großen Schaden anzurichten, mit der Bezeichnung »temblores« belegen, während ein gefährliches Erdbeben, das Steinbauten einwirft und oft ganze Landstriche verwüstet, »terremoto« genannt wird. – –

»Da oben schaut's ja schrecklich aus,« sagte Fritz Winkler nach einer langen Pause, während welcher er die trostlose Öde, in der sie sich befanden, gemustert hatte.

47 »Ja; das sind jedenfalls die Spuren eines furchtbaren Erdbebens, das vor Zeiten hier wütete und das die Gipfel und Felsenwände durcheinander warf, als wären sie nur aus Kartenpapier gewesen,« antwortete sein Bruder. »Immerhin dürfen wir froh sein die Höhe des Gebirgs erreicht zu haben. Denn jedenfalls ist der Eingang zur Goldmine hier oben zu suchen. Eine Angabe unseres Deroteros hat sich schon bewahrheitet; wir sehen die beiden Missionen von San José und von Queule. Es fragt sich nur, welches der vielen hundert Felsentrümmer das richtige ist, das heißt, unter welchem die Mündung des Bergwerks sich befindet.«

Die letzten Worte hatten sehr kleinlaut geklungen. Zu verwundern war dies keineswegs; denn so weit das Auge schweifte, sah man nichts als geborstene Felsen und Steintrümmer, die in den sonderbarsten Formen aufgehäuft unzählige kleine Gipfel bildeten.

Fritz Winkler, der fürchtete, sein Bruder möchte den Mut verlieren, entgegnete sehr zuversichtlich:

»Hat der Derotero in Bezug auf den Anblick von San José und der Mission von Queule recht berichtet,« sagte er, »so verdienen auch seine anderen Angaben unser 48 Vertrauen. Wir müssen jetzt nur die Stelle zu finden trachten, wo das Erdreich dunkelgelb gefärbt ist; wenn wir dazu noch den Felsen mit der eingehauenen Hand entdecken können, dann ist uns geholfen. Denn dann kennen wir auch die Richtung, in welcher die verschüttete Mine liegt. Mir scheint also, daß wir in unserer Suche schon ein gutes Stück vorwärts gekommen sind. – Jetzt erübrigt nur, unsern Proviantkorb zur Stelle zu schaffen, da es zu zeitraubend wäre, stets zum Schlafen die Schlucht hinabzusteigen und morgens wieder heraufzuklettern. Einen Platz, wo wir die Nächte zubringen können, werden wir hier oben wohl auch finden.«

»Sollte jene Höhle nicht dazu passen?« fragte der ältere Bruder.

Dabei deutete er auf eine Felsenwand, die sich hart an der bewaldeten Seite des Gebirgs fast eine Meile weit hinzog, und in welcher sich eine Art von Höhle befand. die durch zwei dachähnlich aneinander gelehnte Steinplatten gebildet wurde.

»Richtig,« sagte Fritz Winkler. »Das gibt einen Unterschlupf, gerade als wäre er auf Bestellung hergerichtet worden. Wir wollen gleich sehen, ob er auch geräumig genug ist, 49 uns zwei, den Hund und den Korb mit unsern Lebensmitteln zu fassen.«

Die Cateadores schritten, vom Hunde begleitet, auf die Höhle zu. Vor derselben angekommen, begann der Hund mit eingezogenem Schweife kläglich zu winseln.

»Was hast du, Bello?« fragte Fritz. »Weißt etwa du, Franz. was er will?«

»Ach, der widerliche Geruch, der aus dieser Höhle strömt, hat es ihm angetan« antwortete der ältere Bruder. »Legt er sich doch selbst mir auf die Nerven. Es ist der Geruch von der Ausdünstung wilder Tiere.«

»Wilder Tiere?« sagte der andere bestürzt. »Vielleicht ist die Höhle von einem Jaguar oder Puma besetzt? Das könnte ein böses Zusammentreffen geben, wenn eine solche Bestie plötzlich erschiene und ihr Hausrecht uns gegenüber ausüben wollte.«

»Der Puma und der Jaguar sind sehr feig; sie greifen den Menschen nur selten an. Gleichwohl würden sie kein anderes Geschöpf so nahe an ihre Höhle herankommen lassen, ohne sich zu wehren oder einen Ausfall zu machen. Ich glaube daher in der Annahme nicht fehlzugehen, daß die Höhle leer ist.«

Um die Probe zu machen, schrie er mit lauter Stimme mehrmals in die Höhle 50 hinein. Doch kein bösartiges Fauchen, kein Gebrüll erwiderte die Rufe; das Echo der eigenen Stimme widerhallte an den Steinwänden. Dadurch sicher gemacht, betraten die zwei Brüder den Unterschlupf und fanden ihn tatsächlich leer. Nur der Hund ließ sich nicht verlocken, seinen Herren nachzukommen.

Während die Cateadores sich anschickten. die Höhle eingehend zu untersuchen, wurden sie plötzlich in ihrem Vorhaben gestört. Bello begann wie wütend zu bellen. Als sie hiedurch gewarnt schnell ins Freie traten, konnten sie anfänglich die Ursache von der Aufregung des Hundes nicht entdecken; sie wußten nicht, weshalb er mit gesträubten Haaren unausgesetzt bellte und dabei stets nach einem etwa hundertundfünfzig Schritte entfernten Felsblock schaute, der tafelförmig unter den ihn umgebenden kleinen Steintrümmern aufragte.

»Ha!« sagte da Franz Winkler auf einmal und riß sein Jagdgewehr von der Schulter, »da ist ja wirklich eine solche Bestie – ein Puma, – nein, es sind sogar deren zwei – –«

»Wo? Wo?« fragte Fritz, der ebenfalls schnell seine Flinte in Bereitschaft setzte.

51 »Dort in gerader Linie vor uns auf jener Felsentafel. Siehst du nicht die zwei schlanken gelbroten Leiber, die katzenartige, mähnenlosen Köpfe und die langen Schweife, mit denen sie sich die Flanken schlagen? Ich kann sogar das grünliche Leuchten ihrer Augen erkennen.«

»Ja, jetzt sehe auch ich die Tiere. Wahrscheinlich haben sie während der Nacht im Urwald gejagt, dann im Crucesfluß ihren Durst gestillt und wollten nun heim in ihre Höhle, als sie durch das Bellen unseres Hundes aufgehalten wurden.«

Die Mutmaßung des jungen Fritz traf tatsächlich das Richtige. Es war ein männlicher und ein weiblicher Puma, die von der Jagd nach ihrem Schlupfwinkel in der Felsenmauer zurückkehren wollten, auf dem Wege dahin aber durch das wütende Gebell des Hundes, der die Bestien schon von weitem gewittert, gebannt worden waren.

Franz Winkler tätschelte den Hund und brachte ihn zum Schweigen. Dann ließ er sich auf ein Knie nieder und brachte die Büchse in Anschlag.

»Mach' auch du dich bereit zum Schießen!« flüsterte er seinem Bruder zu. »Wenn die 52 Pumas nichts Verdächtiges mehr hören, werden sie näher kommen.«

Wirklich schickten die Löwen, nachdem ihr feines Ohr kein befremdendes Geräusch mehr vernahm, sich an, die kurze Strecke, die sie von der Höhle trennte, rasch zurückzulegen. Die zwei Bestien schnellten mit weiten elastischen Sprüngen von einem Felsblock zum andern, bis sie etwa hundert Schritte vor dem Höhleneingang zum zweitenmal in ihrem Lauf innehielten.

In diesem Augenblick krachte ein Schuß aus dem Jagdgewehr des älteren Bruders und der größere Puma, jedenfalls der männliche, tat einen Sprung mit allen vieren zugleich in die Höhe, fiel aber sofort wieder zur Erde und kollerte den Abhang hinunter in eine tiefe Schlucht. Die Kugel Franz Winklers hatte ihm den Schädel zwischen den Augen durchbohrt und ihn augenblicklich getötet.

Mit einem Wutgebrüll stürzte der weibliche Puma sich vorwärts gegen den Schützen, der kaltblütig seinen Revolver gezogen hatte und daraus einen Schuß auf das anstürmende Tier abfeuerte. Die Kugel traf aber diesmal weniger glücklich; sie zerschmetterte der Bestie 53 nur den rechten Vorderfuß und es wäre vielleicht – sogar sehr wahrscheinlich zu einem Nahkampf gekommen, wenn nicht ein wohlgezielter Schuß aus dem Gewehr des jüngeren Bruders dem Leben des Tieres ein Ende gemacht hätte.

»Ich wünsche dir Glück zu dem meisterhaften Schusse, mit dem du den ersten Puma niederstrecktest,« sagte Fritz da zu seinem Bruder. »Auch deine zweite Kugel war sehr gut gemeint und sie ging nur fehl, weil die Bestie sich zu schnell auf dich stürzte. Dadurch hast du dir zwei Pumafelle erworben, auf die du stolz sein kannst.«

»Noch besser ist es, daß wir frisches Fleisch haben und deshalb nicht genötigt sind, nach Mono zurückzugehen und neuen Proviant zu holen. Denn das Fleisch des Puma ist schmackhaft, wird von den Indianern als Leckerbissen betrachtet und auch von uns Weißen nicht verschmäht. Es ist daher gut, daß bereits für neue Nahrung gesorgt ist, da unser Vorrat an Lebensmitteln schon zu Ende geht, namentlich weil wir den Hund mit zu versorgen haben.«

»Immerhin müssen wir auch die wertvollen Felle in Anschlag bringen,« erwiderte der jüngere Bruder. »Wenn wir das verschüttete Bergwerk nicht neuerdings entdecken 54 sollten, so wäre der Erlös, den wir in Valdivia aus zwei Pumafellen erzielen können, ein hinreichender Lohn für unsere Mühen.«

»Fürchtest du, daß wir die Mine nicht finden?«

»Nein, – ich habe festen Glauben und Zuversicht – es ist nur für alle Fälle – –« 55

 


 


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