Brigitte Augusti
Mädchenlose
Brigitte Augusti

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Siebentes Kapitel

Große Pläne

Den 14. Juli.

Wir haben Frau Klingemanns Geburtstag heute still und einfach begangen, nur der Morgen trug ein festliches Gepräge. Schon am Abend vorher hatten wir eine Menge von Kränzen geflochten und damit die Veranda und das Grab des verstorbenen Sohnes ausgeschmückt, denn der erste Gang der lieben Frau an diesem Tage gilt dieser Stätte, niemand als ihr Mann darf sie begleiten. Als die beiden von ihrer stillen Trauerfeier zurückkehrten, standen wir andern alle im Wohnzimmer bereit und empfingen sie mit dem Gesänge: O, wie selig seid ihr doch, ihr Frommen, die ihr durch den Tod zu Gott gekommen. Nach der Betrachtung sangen wir, Tante Emma, Rose und ich, das Engelterzett aus dem Elias: Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von denen dir Hilfe kommt.

Wir hatten es sehr sorgfältig einstudiert, und ich glaube, es klang recht gut. Nun sprachen die Kinder ihre Gedichte, die Fräulein Lietzner und ich gemeinschaftlich zustandegebracht hatten, und überreichten ihre Geschenke; auch wir brachten unsere herzlichen Glückwünsche dar, und mit ihrer rührenden, sanften Freundlichkeit dankte die teure Frau jedem für seine Liebe, während doch eine unverkennbare Wehmut über ihrem ganzen Wesen lag. Die Mittagstafel war sonntäglich geschmückt, die Herren kamen in feierlichem Zuge zur Gratulation, sonst verlief der Tag wie alle andern. Bruno zuliebe wurde an eine Spazierfahrt nicht gedacht; der arme Bursche hätte ja doch zu Hause bleiben müssen, und dann hätte seine Mutter sicher kein Vergnügen daran gehabt.

Nach der Vesper bat Dr. Kron um die Erlaubnis, uns einen Vortrag über polnische Dichter halten zu dürfen; sie wurde mit Freuden gewährt, und er hielt eine wunderhübsche kleine Vorlesung, die mir ganz neue Gebiete der Litteratur eröffnete. Die eingestreuten Übersetzungen fanden so viel Beifall, daß ich Mühe hatte, jeden Ruhm von mir ab- und dem Dichter zuzuwenden, dem er doch allein gebührte. Unter der allgemeinen Zustimmung schoß mir plötzlich ein kühner Gedanke durch den Kopf.

»Wäre es nicht möglich, Herr Doktor,« sagte ich, »diesen Vortrag vor einem größeren Publikum gegen Entree zu halten?«

Alle Blicke kehrten sich mit höchstem Erstaunen mir zu, niemand faßte im ersten Augenblick, wo ich hinaus wollte.

»Ich habe oft daran gedacht,« fuhr ich fort, »ob es nicht möglich wäre, auf irgend eine Weise Neßlers zu einem Ersatz für die verlorene Kuh zu verhelfen; vielleicht könnte man eine Gesellschaft veranstalten, auf der den Leuten etwas Geistreiches geboten und wofür jeder gern etwas zu diesem guten Zwecke beisteuern würde.«

»Ein großer Gedanke!« rief Rose und klatschte in die Hände, »wir müssen lebende Bilder dazu stellen.«

»Und den Garten mit bunten Lampions und bengalischen Flammen beleuchten,« jubelten die Knaben.

»Gesang hinter der Scene muß die Bilder begleiten, alle Künste werden aufgeboten,« setzte Fräulein Lietzner hinzu.

»Fräulein Erna tritt als Muse auf und spricht einen Prolog,« sagte Dr. Kron. Es entstand ein unbeschreibliches Gewirr von Vorschlägen, die Kinder schrieen alle durcheinander, die Mädchen drängten sich um ihre Mutter, um zu jedem neuen Gedanken ihre Zustimmung zu suchen, bis Frau Klingemann sich endlich Ruhe ausbat.

»Meine Lieben,« sagte sie, »soll die Sache wirklich eine Gestalt gewinnen, so ist das erste Erfordernis, daß mein Mann seine Erlaubnis dazu giebt, das zweite, daß Herr Dr. Kron sich zur Wiederholung seines Vortrages bereit erklärt. Die ganze Idee kann ich nur billigen, unsere Nachbarn pflegen wir in dieser Zeit ohnehin einzuladen; könnt ihr ihnen etwas Hübsches bieten und sie für euren guten Zweck gewinnen, so habe ich nichts dagegen, sondern will euch gern hilfreich sein.«

Dr. Kron erklärte sogleich, er stelle sich mit all seinen Kräften der guten Sache zur Verfügung; darauf wurden Rose, Mariechen und ich als Deputation zu Herrn Klingemann abgeschickt. Mit klopfenden Herzen trugen wir unser Anliegen vor; er machte zuerst ein erstauntes, dann ein sehr zweifelhaftes Gesicht, meinte, es widerstrebe ihm, eingeladene Gäste zu brandschatzen, für Neßlers sei genug geschehen, die Leute hätten kein besonderes Anrecht an die allgemeine Mildthätigkeit u.s.w. Er wolle sich es aber bis morgen überlegen. Sehr kleinlaut kehrten wir mit diesem Bescheide zurück, der wie ein Guß kalten Wassers auf die allgemeine Begeisterung fiel. Fräulein Lietzner tröstete uns heimlich und sagte, Frau Klingemann habe schon manchmal in stillem abendlichen Zwiegespräch ihren Gatten zu ihrer Anschauung bekehrt. So hoffen wir denn noch auf morgen!

Den 15. Juli.

Triumph! Die gute Sache hat gesiegt! Heute früh sagte uns Herr Klingemann, er wolle unserm Plan nicht entgegen sein, doch müßte er möglichst anspruchslos auftreten, auch dürften wir kein bestimmtes Eintrittsgeld erheben, sondern die Beisteuer müsse jedem freigestellt werden. Wir waren glückselig und versprachen, alle Bedingungen getreulich einzuhalten. Sogleich traten wir drei, Fräulein Lietzner, Rose und ich, zum engeren Komitee zusammen; wir denken alles aus und tragen unsere Ideen der höheren Instanz, die aus Frau Klingemann und Dr. Kron besteht, zur Begutachtung vor. Nun gilt es zu sinnen und zu arbeiten! Himmel, gieb uns erleuchtete Gedanken, damit etwas Hübsches zustandekomme!

Den 17. Juli.

Unser Programm steht nun fest, auch der Schauplatz ist gefunden. Hinten im Garten steht ein alter geräumiger Pavillon, der etwas baufällig ist und nicht mehr gebraucht wird, der ist uns zu beliebiger Verwendung übergeben. Die Vorderseite wird zur Hälfte mit Grün verkleidet, so daß nur ein breites Portal in der Mitte offen bleibt, das durch einen Vorhang geschlossen werden kann. Aus der Hinterwand lassen wir einige Bretter herausnehmen, damit wir zwei Ausgänge gewinnen. Dies wird unsere Bühne sein. Die Vorstellung wird durch einen Prolog eröffnet, den ich dichten und sprechen soll; dann kommt Dr. Krons Vortrag, an den sich drei lebende Bilder anschließen sollen. Dies sind die ungefähren Umrisse, aber es fehlt noch viel zu ihrer Ausfüllung.

Ich fragte Fräulein Lietzner, ob es nicht besser wäre, wenn Rose den Prolog spräche, sie wäre doch größer, hübscher und viel bekannter als ich. Sie sah mich mit einem sonderbaren Blick an.

»Und wenn Rose ein Engel an Schönheit wäre«, versetzte sie, »so würde es doch immer einen passenderen Eindruck machen, wenn Fräulein v. Westheim die Leute zum Geben aufforderte, als die arme, elternlose Rose Grund!« – Liebe Mama, ich kann Dir nicht beschreiben, wie klein mich diese Antwort machte; wenn sich eine Spur von Eitelkeit in mir regen wollte, so wurde sie gründlich gedämpft durch das Bewußtsein, daß kein persönlicher Vorzug, sondern allein der Name meiner Eltern mir eine Bedeutung giebt.

Den 20. Juli.

Heute sind die Einladungen herumgeschickt. Sonntag den 24. soll das Fest stattfinden. Als Nachschrift ist jedem Billet die Notiz beigefügt: bei gutem Wetter findet abends eine kleine Vorstellung zu einem wohlthätigen Zwecke statt. Das klingt ganz bescheiden und bereitet doch die Leute im allgemeinen daraus vor, ihr Portemonnaie mitzubringen. In einer Stube ist eine wahre Schneiderwerkstätte etabliert, Fräulein Lietzner giebt alles an, Rose und Frau Neßler, die sich als sehr geschickt erweist und erfreuliche Fortschritte in der Genesung macht, führen uns; ich helfe auch, so gut ich kann. Die Kinder fertigen Dutzende von bunten Laternen an, sie haben glücklicherweise Ferien und gehen nur vormittags in einige Arbeitsstunden. Alle sind mit ganzem Herzen bei ihrer Arbeit, auch Bruno hilft nach seinen schwachen Kräften. Wir haben einen Künstler aufgefunden, der hier Thüren und Fenster strich; in seinen Freistunden malt er uns einige Hintergründe, die transparent beleuchtet werden können, – kurz, es ist eine allgemeine Thätigkeit, und wir haben alle nur Zeit und Gedanken für unsere Vorstellung. Zwanzigmal des Tages wird an das Barometer gelaufen und gesehen, ob es auch schön Wetter verspricht; wir hatten in den letzten Tagen manchen Regenschauer, welcher die Ernte störte und die Laune der Herren tief sinken ließ. Bei Tische darf nicht von unseren Plänen gesprochen werden; wir haben alle Kinder scharf ermahnt, zu schweigen, damit Herr Klingemann nicht mit der Sache belästigt wird. Je überraschender sie ins Leben tritt, um desto besser.


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