Brigitte Augusti
Mädchenlose
Brigitte Augusti

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Erstes Kapitel.

Heilige Stunden.

Eine zahlreiche Menschenmenge drängte sich um den Altar der alten ehrwürdigen Pfarrkirche zu D.; heute sollte die Einsegnung durch den ersten Geistlichen stattfinden, welchem vorzugsweise die besten Familien der Stadt ihre Kinder anvertrauten. Selten erregt eine andere kirchliche Feier so sehr die Teilnahme der weitesten Kreise, als diese Weihe junger Christen, und in der That giebt es kaum einen schönern herzbeweglicheren Anblick, als diese Schar in der Blüte der Jugend, welche, durchdrungen vom Ernst des Augenblicks, vor dem Altar versammelt ist, um die heiligsten Gelübde vor Gott und der Gemeinde abzulegen. Da wird auch das oberflächliche Gemüt von einem feierlichen Schauer erfaßt, da dringt auch in das leichtsinnige Herz eine höhere Ahnung, die oft nur zu schnell wieder verrauscht, aber für den Augenblick auch der äußeren Erscheinung einen verklärenden Schimmer verleiht.

Jetzt erbrausten die mächtigen Klänge der Orgel, die Thür der Sakristei öffnete sich, und heraus traten in feierlichem Zuge die weißgekleideten Mädchen. Voran schritt Hand in Hand ein anmutiges Paar; die eine war eine kleine zierliche Gestalt mit einem lieblichen Kindergesicht, das von krausen braunen Löckchen umrahmt war und dessen Rehaugen gewiß zu anderen Zeiten gar fröhlich glänzen konnten. Jetzt waren sie ernst zu Boden geschlagen, und die Kleine drängte sich fast schüchtern an die Gefährtin, als wolle sie bei ihr Schutz suchen gegen die vielen neugierigen Blicke rings umher. Höher und schlanker war die Freundin gewachsen, und die kleine Krone von dunkelblonden Flechten ließ sie noch größer erscheinen; in ihren dunklen Augen, die fest vor sich hinblickten, und auf der jungen Stirn lag ein reifer Ausdruck, als hätte sie schon der Ernst des Lebens mit Sorgen und Erfahrungen berührt. –

Die feierliche Handlung war beendet, noch einmal hatte der ehrwürdige Geistliche mit warmen und beredten Worten das Eine, was notthut, den jungen Herzen nahe gelegt, hatte ihr Gelöbnis der Treue empfangen und sie gesegnet; unter abermaligem Orgelspiel verließ der Zug in der vorigen Ordnung den Altar, und die Konfirmanden kehrten in die Sakristei zurück, um nach einem kurzen Abschiedswort des Predigers mit ihren Eltern und Verwandten das Gotteshaus zu verlassen. Fast stürmisch flog die Kleine, Elly von Mansfeld war sie vorhin aufgerufen, einem älteren Offizier nm den Hals und sagte mit einer Stimme, in der noch die ganze Bewegung der erhebenden Feier nachzitterte: »Lieber guter Papa, ich will dir immer eine gute Tochter sein, viel aufmerksamer, als bisher.«

Der Herr zog einen Augenblick das lockige Köpfchen an seine Brust und küßte es mit den innigen Worten: »Meine Elly, mein kleiner Liebling, Gott segne dich!« Dann führte er die Tochter zu ihrer Mutter, einer stattlichen Dame, welche Ellys Stirn nur flüchtig mit den Lippen berührte, indem sie ihr dabei zuflüsterte: »Fasse dich, mein Kind, hier sind zu viele Zuschauer«. So schnell es das Gedränge erlaubte, verließen alle drei die Kirche, ein Diener in herrschaftlicher Livree riß den Kutschenschlag auf, und schnell machte der davonrollende Wagen andern Harrenden Platz.

Zu gleicher Zeit hatte auch das andere junge Mädchen, Nora Diethelm war ihr Name, ihre Mutter gefunden: die schlanke blasse Frau, in deren seinen Zügen ein tiefer Kummer deutlich geschrieben stand, konnte sich inmitten der andrängenden Menge kaum aufrecht erhalten; sie zitterte vor innerer Bewegung und zog die Tochter an sich, ohne eines Wortes mächtig zu sein. Diese schlang den Arm um sie und führte sie liebevoll ins Freie, wo eine Droschke beide aufnahm. Kaum hatte sich die Thür hinter ihnen geschlossen, als Frau Diethelm erschöpft in die Kissen sank, ihr Gesicht mit ihrem Tuch bedeckte und in einen Strom von Thränen ausbrach. Nora ergriff die Hand ihrer Mutter und bedeckte sie mit zärtlichen Küssen.

»Weine nicht so sehr, meine einzige Mama«, bat sie, »ach gewiß, es wird noch alles gut werden!«

»O mein Kind«, erwiderte die Mutter, »warum müssen wir den heutigen Tag ohne deinen Vater verleben? warum durchbricht kein Wort der Liebe und Teilnahme das grausame Schweigen der letzten Wochen? – sicher ist er krank – vielleicht schon tot, – und wir wissen es nicht und können ihn nicht erreichen.«

»Liebe Mama,« erwiderte Nora tiefbewegt, »laß uns meinen heutigen Einsegnungsspruch recht zu Herzen nehmen: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal! Als unser lieber Prediger mir diese Worte zurief, da schienen sie mir vom Himmel zu kommen, und es kam zugleich eine frohe Zuversicht über mich, daß der liebe Papa gesund und wohlbehalten heimkehren werde, wenn wir nur nicht aufhören, für ihn zu beten und sein Kommen geduldig zu erwarten.«

»Du hast recht, meine geliebte Nora,« sagte Frau Diethelm, indem sie die Arme um die Tochter schlang und das erglühende Antlitz des Mädchens mit tiefer Zärtlichkeit küßte, »habe Geduld mit meiner Schwäche, du mußt jetzt mehr als je meine Stütze und mein Trost sein.«


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