Brigitte Augusti
Mädchenlose
Brigitte Augusti

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Achtes Kapitel.

Kleine Leiden.

An einem sonnigen Oktobertage ging Nora mit Erna auf der Promenade vor der Stadt spazieren; sie hatte noch nie diesen Weg eingeschlagen, denn bisher hatten sie sich immer im Garten aufgehalten, doch machte die kühlere Jahreszeit eine kräftigere Bewegung nötig. Sie waren noch nicht weit gegangen, als ihnen ein Offizier entgegenkam, der, als er sie erblickte, in freudiger Überraschung näher trat. Es war Herr v. Lilienkron, welcher erst vor ein paar Tagen aus B. zurückgekehrt war, und Nora konnte es nicht hindern, daß die helle Röte des Vergnügens in ihre Wangen trat und ihre Augen fröhlich glänzten bei diesem Wiedersehen, erschien er ihr doch wie ein Stück ihres vergangenen Lebens in der Heimat, kam er doch direkt von Elly.

»Mein gnädiges Fräulein, wie glücklich bin ich, Sie endlich zu treffen,« sagte der junge Offizier mit unverhohlenem Entzücken, »ich kann nur glauben, daß Sie bisher unter einer andern Gestalt hier umhergegangen sind, oder daß ein neidischer Dämon meine Augen blendete. Aber ich habe es Elly mit heiligen Eiden zugeschworen, daß ich zu Ihnen dringen wolle, selbst wenn Drachen und böse Geister mir den Zugang sperren sollten.«

»Es ist nicht so schlimm damit, wie Ellys lebhafte Phantasie es sich ausmalt,« erwiderte Nora, »ich bin nur meist im Hause beschäftigt. Aber erzählen Sie mir von Elly, wie geht es ihr und ihrer lieben Mutter?«

»Im Vertrauen, ich fand Elly als herrschende Königin in ihrem Kreise, man huldigt ihr enorm, und es ist, auf Ehre, ein Wunder, daß ihr der kleine Lockenkopf nicht arg verdreht wird.«

»Wirklich? – davon schreibt sie mir kein Wort.«

»Nein, sie ist noch gar nicht eitel, ganz derselbe famose Kamerad, der sie mir immer war. Und von Ihnen, gnädiges Fräulein, haben wir so viel gesprochen, daß ich meine, Ihnen müßten alle Tage die Ohren geklungen haben«

So plauderten sie fort und gingen immer weiter; Nora wurde nicht müde, zu fragen und zu hören, bis eine leise klagende Stimme sie in die unmittelbare Gegenwart zurückrief: »Ich bin so müde, Nora, ich kann nicht mehr.« Erschrocken blickte das junge Mädchen auf die kleine Gefährtin, die sich blaß und matt an ihrer Hand fortschleppte. »Mein armer Liebling,« sagte sie, »wir sind zu weit gegangen, wir müssen ausruhen. Leben Sie wohl, Herr v. Lilienkron, mich ruft meine Pflicht.«

»Und darf ich hoffen,« fragte der Offizier, »Sie auf diesem Wege öfter zu treffen?«

Nora zauderte; einen Moment hatte sie Lust, die Frage zu bejahen, war es doch so süß, in der alten Weise mit jemandem zu verkehren – aber schon im nächsten Augenblick erkannte sie die Gefahr. »Nein«, sagte sie ernst und bestimmt, »nur der Zufall giebt einem solchen Zusammentreffen seinen Reiz; jede Absicht würde ihn zerstören.« Sie verneigte sich und trat mit Erna in einen der kleinen Vorgärten ein, welche hier jedes Haus von der Straße abschließen. »Wir ruhen ein Weilchen aus, mein Vögelchen«, sagte sie ermutigend, »dann fliegen wir mit frischer Kraft nach Hause.« Aber es war ein mühseliger Flug, sie mußte das ermüdete Kind halb ziehen, halb tragen, und ganz erschöpft langten beide endlich zu Hause an. Nora brachte die Kleine früh zur Ruhe und saß voll Sorge und Selbstvorwürfen an ihrem Bett, bis sie einschlief. Erst als Erna am nächsten Morgen frisch und wohl erwachte, fühlte sie sich wieder beruhigt.

Zu ungewohnter Stunde wurde Nora zu Frau v. Westheim beschieden, sie fand sie nachlässig in einem Fauteuil ruhend; ohne das junge Mädchen zum Sitzen einzuladen, begann sie sogleich in herbem Ton: »Ich sehe mich genötigt, Fräulein Diethelm, Ihnen meine ernste Mißbilligung auszusprechen. Sie haben das Vertrauen, das ich Ihnen auf Frau v. Mansfelds Empfehlung schenkte, gemißbraucht.«

»Ich, gnädige Frau?« fragte Nora tief erschrocken, »womit habe ich diesen Vorwurf verdient?«

»Sie haben einen Spaziergang mit meiner Tochter, zu dem Sie meine Erlaubnis unter einem falschen Vorwand einholten, zum Deckmantel eines Rendezvous mit einem Herrn gemacht; Sie haben sich nicht gescheut, mit diesem Herrn eine lange Unterhaltung auf öffentlicher Promenade zu führen und dabei die Kräfte des schwächlichen Kindes über Gebühr anzustrengen. Was haben Sie darauf zu sagen?«

Jeder Tropfen Blut war bei diesen Anklagen aus Noras Gesicht entwichen; sie zitterte so sehr, daß sie sich an dem Stuhl in ihrer Nähe festhalten mußte, aber sie fühlte, daß sie ihre Fassung nicht verlieren dürfe, und die heftige Erregung ihres Innern niederkämpfend, antwortete sie in ruhigem Ton:

»Ich gestehe zu, daß durch meine Schuld Erna gestern übermüdet wurde, es thut mir herzlich leid. Ich habe Herrn v. Lilienkron zufällig getroffen, er brachte mir Grüße und Bestellungen von Elly v. Mansfeld, und da er sonst keine Gelegenheit hat, mich zu sehen, benutzte er diese. Aber ich habe ihm kein Rendezvous gegeben und seine Frage, ob er mich öfter so treffen würde, gänzlich abgelehnt. Ich freute mich, ihn zu sehen«, fuhr Nora mit fliegendem Atem fort, »denn er ist der einzige Mensch hier, der mich in meinem frühern Leben gekannt hat, das von dem jetzigen so himmelweit verschieden war, – als ich noch nicht einsam und verlassen war, sondern unter der Obhut meiner Eltern und lieber Freunde stand. O, was würde meine Mutter, was würde Frau v. Mansfeld sagen, wenn sie hörten, wessen man mich hier beschuldigt!« Ihr ganzer Körper bebte unter der Gewalt der unterdrückten Entrüstung.

»Regen Sie sich nicht unnötig auf, Fräulein,« sagte Frau v. Westheim kühl, aber doch weniger unfreundlich als vorher, »ich möchte die Sache ernst, aber nicht tragisch nehmen. Es ist mir lieb, daß Sie das Ungehörige Ihres gestrigen Benehmens schon selbst erkannt und einer Wiederholung vorgebeugt haben. Bedenken Sie, daß der Ruf eines jungen Mädchens ein Spiegel ist, den der leiseste Hauch trüben kann. Ich habe Ihnen weiter nichts zu sagen.« Sie neigte das Haupt zum Zeichen der Entlassung, schweigend verließ Nora das Zimmer.

Sie eilte die Treppe hinauf und war froh, ihr Schlafzimmer ungesehen zu erreichen; sie mußte die heißen Augen kühlen, ehe sie zu Erna ging, niemand durfte ahnen, was vorgefallen war; erst abends, wenn sie ganz allein war, konnte sie über das bittere Herzweh nachdenken, das man ihr angethan hatte. Aber Ernas scharfe Augen durchschauten bald ihre Stimmung: »Warum bist du so still, Nora, hast du geweint?«

»Ich bin sehr traurig, mein Liebling,« erwiderte sie unwillkürlich mit einem tiefen Seufzer.

»Arme Nora,« sagte das Kind liebevoll und streichelte ihr sanft die blassen Wangen, »hat Mama dich gescholten?« »Warum glaubst du das? ich habe ja kein Unrecht gethan.«

»Sie fragte mich so viel nach unserm Spaziergang und was Vetter Axel mit dir geredet hätte; ich wollte es ihr zuerst nicht sagen, aber da meinte sie, Lorchen hat dir wohl verboten, davon zu sprechen, und lachte, dabei so, daß es mir weh that. Da habe ich alles gesagt, was ich wußte. Bist du mir böse deshalb?«

»Gewiß nicht, meine kleine Erna, du mußt der Mama immer alles sagen, was sie wissen will; wenn wir nichts Böses thun, brauchen wir uns vor niemand zu fürchten. Und nun bringe mir unser Buch, ich will dir die schöne Geschichte weiter vorlesen.«

Mechanisch las Nora, ohne recht zu wissen, was; Ernas Zwischenfragen setzten sie zuweilen in Verlegenheit, aber wenigstens konnte sie nicht grübeln und denken. Endlich war die Kleine zu Bett gegangen, Nora war allein, und nun brach der Sturm in ihr um so heftiger los, je mehr er bisher zurückgedrängt worden war. Ein bitterer Haß gegen Frau v. Westheim, die sie so schonungslos und unbarmherzig verurteilte, so Schlimmes von ihr dachte, tobte in ihrer Seele; sie wollte fort, fort aus diesem Hause, wo man ihr so schnöde begegnen konnte, wo man ihr nur Pflichten, aber keine Rechte zuerkannte. So heftig war die Aufregung ihrer Seele, daß sie nach einer Weile selbst darüber erschrak, – wenn ihre Mutter, ihre Freunde, die oft ihre Sanftmut gerühmt hatten, sie so hätten sehen können! Sie faltete ihre Hände und betete inbrünstig um Kraft, den Groll und die Bitterkeit ihres Herzens zu überwinden. Allmählich legten sich die wilden Wogen, eine ruhigere Erwägung gewann Raum. Hatte nicht Frau v. Westheim ein Fünkchen Recht zu der Warnung, die sie freilich in der schroffsten Form ausgesprochen hatte? Und wohin sollte sie gehen? die Rückkehr ihrer Eltern war noch ebenso ungewiß, wie vor Wochen; Mansfelds mußten zwar gerade jetzt zu Hause angekommen sein, aber konnte sie bei ihnen um Aufnahme bitten, wenn sie hier mit Tadel und Unzufriedenheit entlassen wurde? Würde ihre Mutter sie mit Freuden in ihre Arme schließen, wenn sie in Zorn und Haß die Pflichten, die sie übernommen hatte, von sich schleuderte und Erna verließ, die mit so zärtlicher Liebe an ihr hing? –Nein! sprach ihr Gewissen, und: nein! sprach endlich auch der Wille nach. Geduld und Ergebung! schien ihr Tante Cäciliens sanfter Mund zuzuflüstern. Ja, sie wollte geduldig und ergeben ausharren und durch vermehrte Treue und Vorsicht alle Vorwürfe zu entkräften suchen!

Es war spät geworden, ehe Nora an dies Ziel gelangte, müde und zerschlagen von innerem Kampf, aber in sanfter, friedevoller Stimmung ging sie endlich zur Ruhe.


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