Raoul Auernheimer
Gesellschaft
Raoul Auernheimer

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Eine mondäne Frau

Personen: FlattauDela – Die Zimmervermieterin.

Ein Parterrezimmer auf der Wieden, von jener besonderen Art, die man gemeinhin als »Nest« bezeichnet. Alles darin ist wattiert, maskiert, cachiert: Teppiche bedecken den Boden, Portieren die Türen, Decken die Tische, das Sofa, Vorhänge die Fenster, Bilder die Wände. Wenn man alle diese Hüllen wegräumen würde, so käme man auf sehr viel Schmutz, Gemeinheit, Ekel. Da dies aber glücklicherweise niemand tut, so bleibt der Raum, was er ist: Ein mit allerhand Illusionen ausstaffiertes Nest.

Am Kamin – natürlich ist es kein Kamin, sondern ein schwedischer Ofen, der noch dazu raucht, aber Leute, die »Nest« sagen, nennen das Kamin: Am Kamin also sitzt die Zimmervermieterin und wärmt sich. Es ist ihr Schicksal, sich an fremden Kaminen zu wärmen, seitdem die Jugend sie verlassen hat, was immerhin schon eine Zeit her ist. Ein ältlicher Fettklumpen, in einem Schlafrock, der in jungen Jahren rosa war, liegt sie, zusammengerollt wie eine faule alte Katze, in einem 112 Fauteuil beim Feuer und nimmt, mit halbgeschlossenen Augen blinzelnd, so viel Wärme in sich auf als sie nur irgend kann: Denn man ist mitten im Winter.

Es läutet, und gleich darauf tritt der junge Herr von Flattau – im »Nest«: Baron – sehr eilig ein. Die Zimmervermieterin hat sich auf das Glockenzeichen widerwillig erhoben und beginnt »aufzuräumen«. Das heißt, sie nimmt einen japanischen Fächer von der Wand und hängt ihn in Gegenwart des Barons wieder an seinen früheren Platz.

Flattau (Stadtpelz, weiße Handschuhe, Spazierstock mit Nashorngriff und Zylinder, den er auf dem Kopf behält)
Oh! Da sind Sie ja . . . Ist alles fertig?

Die Zimmervermieterin
Alles. Der Herr Baron werden zufrieden sein.

Flattau (sieht nervös um sich, natürlich ohne das geringste zu bemerken, denn er ist viel zu aufgeregt, um kritische Wahrnehmungen zu machen)
Nicht übel . . . Nicht übel . . . Aber Blumen fehlen. Blumen. (Er bleibt vor einem Öldruck stehen, der über dem Sofa hängt und Leda mit dem Schwan vorstellt.)

Die Zimmervermieterin
Oh! Die Dame kommt wohl zum ersten Mal?

Flattau (zerstreut)
Ja . . . (Besinnt sich.) Warum fragen Sie? . . . 113

Die Zimmervermieterin
Na, weil ihr der Herr Baron Blumen streuen wollen . . . Mir hat man auch einmal Blumen gestreut . . .

Flattau (ihre Intimität zurückweisend)
So? Das freut mich. Da haben S' zehn Kronen. Lassen S' Rosen holen.

Die Zimmervermieterin (nimmt das Geld)
Was meinen, Herr Baron, wie lang das her ist?

Flattau (geistesabwesend)
Was? . . . Ach so, daß man Ihnen, wie Sie sich ausdrücken, Blumen – no, es wird wohl schon längere Zeit her sein. (Legt ab.)

Die Zimmervermieterin (schalkhaft)
Achtundzwanzig Jahre.

Flattau (sieht zum Fenster hinaus)
Oh! Wirklich!

Die Zimmervermieterin (mit dem Bedürfnis älterer Frauen, sich mitzuteilen)
So lang bin ich Witwe.

Flattau (am Fenster)
Hängt das zusammen? – Mit den Blumen mein ich.

Die Zimmervermieterin (mit einer leichtsinnigen Handbewegung)
Woher? Ich hab meinen Mann bei Lebzeiten doch auch betrogen. 114

Flattau
So? – Das ist aber nicht schön von Ihnen, daß Sie mir das erzählen. Und überhaupt jetzt, achtundzwanzig Jahr nach seinem Tod.

Die Zimmervermieterin
Ich bitt Sie, Herr Baron, nach achtundzwanzig Jahren ist das so egal.

Flattau
No ja! – Auch ein Standpunkt. (Es läutet.) Lassen Sie nur, ich mach schon selbst auf. (Im Abgehen) Wenn ich nachher klingel, bringen S' den Tee. (Ab; die Frau sehr eifrig hinterdrein.)

Pause.

Hierauf erscheint Dela, hinter ihr Flattau. Beide auf Zehenspitzen. Dela ist in Besuchstoilette; violettes Kostüm, großer haariger Dreispitz mit goldener Kokarde und sehr dichter Schleier – ein sogenannter voile d'adultère, den sie sich offenbar zu diesem Zweck aus Paris verschrieben hat.

Dela
Ich fall um. (Sie setzt sich.)

Flattau
Was ist denn g'schehn? (Schließt die Türe und sperrt zu.)

Dela
Dem Baron bin ich begegnet – grad wie ich um die Ecke bieg. Bleibt der taktlose Mensch nicht stehen und fragt: »Wohin so eilig?« – »Zu Edelreichs«, lüg ich entschlossen: »Und Sie?« – 115 »Zu Reindorfs,« sagt er. »Aber wenn ich weiß, daß Sie dort sind, komm ich nachher auch zu Edelreichs.« – Also jetzt muß ich natürlich hinaufgehen. Und dabei sind wir doch bös miteinander.

Flattau (höflich, ihr Muff und Täschchen abnehmend)
Ah! Seit wann denn?

Dela
Aber schon seit vorigem Monat. Sie wissen doch, was mir die Olga angetan hat?

Flattau
Welche Olga?

Dela
Die Olga Edelreich. Bekanntlich gibt sie jedes Jahr im Jänner eine Soiree, und jedes Jahr waren wir eingeladen – nur heuer nicht. Ich hab mich gewundert, weil wir doch so intim sind, aber schließlich, alle Jahr dieselben Leut wird auch fad, hab ich mir gedacht, recht hat die Olga. – Da, zwei Tag vor der Soiree, telephoniert sie mir: Neumayers haben abgesagt, zwei Plätze wären frei, ob wir nicht für sie einspringen möchten? Einspringen! Ich und mein Mann sollen einspringen! Also was sagen Sie zu dieser Taktlosigkeit?

Flattau
Mein Gott – Fabrikanten.

Dela
Umso weniger läßt man sich's gefallen. Wenn mir das bei der Gräfin Meisenburg passiert, ist es etwas 116 anderes. Aber bei der Olga. Wer ist denn die Olga?

Flattau
Natürlich, Sie haben ja vollkommen recht. Aber wollen Sie nicht ablegen?

Dela
Nein, ich muß ja gleich wieder fort.

Flattau (zärtlich gekränkt)
Oh!

Dela
Wenn ich den Baron nicht getroffen hätt, könnt ich länger bleiben. Aber so –

Flattau
Ach ja, richtig. Er kommt ja auch zu Edelreichs. – Wissen Sie, daß das eigentlich ein Rendezvous ist?

Dela (entschuldigend)
Auf einem Jour!

Flattau
So fängt's an. – So hat's bei uns auch ang'fangen.

Dela
Na ja, das ist wahr . . . Aber was kann ich dafür? (Mit komischem Ernst) Da sieht man eben wieder einmal, wie der Ehebruch die anständigste Frau verdirbt. Denn wenn ich nicht hierher gekommen wär . . .

Flattau (vorwurfsvoll)
Dela, nicht! – Ich kann Sie nicht so reden hören. 117

Dela
Wie red ich denn?

Flattau
Frivol.

Dela
Erlauben Sie mir, wir sind doch nicht im Burgtheater.

Flattau
Vergessen Sie, wo Sie sind. (Herzlich) Sie sind bei mir.

Dela
Schön. Aber deswegen werd ich doch noch etwas Lustiges sagen dürfen. Überhaupt, wenn ich nicht lustig sein darf, freut mich die ganze Leich nicht – wie mein Mann immer sagt.

Flattau (mit Empfindung)
Können Sie lustig sein? Ich möcht am liebsten weinen – vor Glück. (Er nimmt ihre Hände und küßt sie.)

Dela (teilnahmsvoll)
Is wahr?

Flattau
Ich – ich liebe Sie.

Dela (mit einem kleinen nasalen Lachen)
Sie sagen das wie der Kramer.

Flattau
Aber Dela! 118

Dela
Das macht ja nichts. Im Gegenteil. Ich hab den Kramer sogar sehr gern. – Sagen Sie's noch einmal.

Flattau
Ich liebe dich!

Dela
Bravo! – Aber bleiben wir beim Sie bitte.

Flattau
Auf einmal soll ich dir Sie sagen?

Dela
Auf einmal ist gut. Als ob wir uns nicht immer Sie gesagt hätten.

Flattau
Bitte, am Semmering, beim Rodeln hast du mich geduzt!

Dela
Na ja, beim Rodeln läßt sich das wirklich schwer vermeiden. – Aber für gewöhnlich möcht ich mir's lieber nicht angewöhnen. Es geht mir sonst am End noch wie der Martha Beheim –

Flattau
Wollen Sie nicht wenigstens Ihre Jacke aufknöpfeln? Sie könnten sich sonst erkälten.

Dela
Aufknöpfeln, meinetwegen. (Da ihr Flattau dabei behilflich sein will) Nein, dank schön, das mach ich mir schon selber. – Sie wissen doch, was der Martha Beheim mit dem Bobbie Fischer passiert ist? 119

Flattau (gefaßt)
Ich habe keine Ahnung.

Dela
Bei einem Souper, in Gegenwart von dreißig Personen, hat sie sich verplauscht und ihm plötzlich »Du« gesagt. Ihr Mann ist vis-a-vis gesessen.

Flattau (zerstreut)
Oh! Das ist nicht schlecht.

Dela
Natürlich! So ist doch die ganze G'schicht herausgekommen . . . Darum hab ich mir vorgenommen, wenn ich jemals ein Verhältnis haben sollte – nur per Sie. Ich versicher Ihnen, es geht auch so.

Flattau
Woher wissen Sie das?

Dela
Ich hab meinem Mann doch auch die längste Zeit Sie gesagt. Noch nach der Hochzeit . . . Ich hab mich so schwer daran gewöhnt.

Flattau
An das Du?

Dela
Ja natürlich. (Sie geht durchs Zimmer, neugierig um sich schauend.) Also das ist das berühmte Absteigquartier?

Flattau
Wieso, das berühmte? 120
Na, weil man doch immer davon liest, in den französischen Romanen, und neuester Zeit auch in den deutschen. So also schaut's in Wirklichkeit aus, das – Absteigquartier!

Flattau
Gebrauchen Sie das häßliche Wort nicht.

Dela
Aber es gibt ja kein anderes.

Flattau
Sagen Sie »Nest«.

Dela (nach einigem Überlegen)
Schließlich man kann auch »Nest«sagen. (Sie geht zum Spiegel.)

Flattau
Dela – ich mach Ihnen einen Vorschlag.

Dela (im Gehen)
Nämlich?

Flattau
Legen Sie den Schleier ab.

Dela
Meinetwegen.

Flattau
Und den Hut.

Dela
Nein, den Hut nicht. – Solang kann ich nicht bleiben. 121

Flattau
Aber Sie werden doch wenigstens eine Tasse Tee –?

Dela
Bitt Sie, lieber Freund, alles nur keinen Tee. Ich hab bereits zwei Tassen getrunken, und bei Edelreichs werd ich eine dritte trinken müssen.

Flattau
Ja so. Ich vergesse, daß Sie zwischen zwei Jours sind. (Setzt sich verstimmt.)

Dela (schlicht)
Natürlich. Anders wär es doch überhaupt gar nicht gegangen. Ich bin ja so kontrolliert. Ich hab das Telephon ruinieren müssen, nur damit mir mein Mann, wenn er nach Hans kommt, nicht nachtelephonieren kann. Das tut er nämlich gern.

Flattau
Was Sie sagen!

Dela
Und dann die Kunststückeln, bis ich da hergekommen bin. Bitt Sie, alle Fiaker kennen mich, und wo ich aussteig, treff ich einen Bekannten. – Schließlich hab ich mich entschlossen, im Einspänner zu fahren.

Flattau
Sie sind im Einspänner gefahren?

Dela
Ihnen zuliebe. (Sie reicht ihm die Hand.)

Flattau
Ich danke Ihnen. (Er kniet vor ihr nieder und umschlingt sie leidenschaftlich.) 122

Dela
Nicht! Sie zerdrücken mir das Kleid. (Sie steht auf.)

Flattau
Dela! (Er sieht sie in kniender Stellung bittend an.)

Dela
Was denn?

Flattau
Einen Kuß! Geben Sie mir doch wenigstens einen Kuß!

Dela
Ja so . . . Meinetwegen. Aber stehen Sie auf, bitte. Ich hab ein neues Mieder, und da kann ich mich nicht so abbiegen.

Flattau (springt auf und zieht sie in seine Arme)
Geliebte!

Dela (weicht aus)
Nicht auf den Mund, bitte.

Flattau (gekränkt)
Oh! Sie lieben mich nicht.

Dela
Aber ja! Ich hab nur den Lippenstift zu Haus gelassen. Und wenn ich nachher zu Edelreichs –

Flattau
Ach so. 123

Dela
Ja natürlich. – (Ihm graziös die Wange hinhaltend.) Auf die Wange.

Flattau (unternehmend)
Nein, aufs Ohr! (Umschlingt sie abermals, fährt zurück.) Au!

Dela
Was ist geschehen?

Flattau
Nichts. – Die Hutnadel.

Dela
Sie sind ungeschickt, mein Freund.

Flattau
Ich bin berauscht – berauscht vor Liebe, Dela. (Umschlingt sie zum dritten Mal.) Wissen Sie, was ich jetzt tun werde?

Dela (besorgt)
Meine schöne Straußfeder abbrechen.

Flattau
Nein, ich werde Ihre schöne Feder nicht abbrechen. Aber da her werd ich Sie küssen, da her in Ihren reizenden Nacken. Das wünsch ich mir nämlich, seit ich Sie kenn . . . Oh! Wie Ihr Haar duftet. (Vergräbt sein Gesicht unterhalb des rückwärtigen Hutteiles.) Mmh . . . O weh! (Fährt zurück, eine Locke vor dem Mund, die sich in seinem Schnurrbart festgehakt hat.) 124

Dela
Was haben Sie? Ach so . . . Ja sehen Sie, das kommt davon, wenn man eine Frau aufs Haar küßt. (Nimmt ihm die Locke aus dem Mund und tritt damit vor den Spiegel.) Ganz schief sitzt jetzt der Hut –

Flattau (setzt sich müde)
Und dabei hab ich Sie nicht einmal geküßt. – Es ist eigentlich verdammt schwer, eine mondäne Frau zu küssen: Schwer und undankbar.

Dela (vor dem Spiegel)
Und überflüssig.

Flattau
Finden Sie?

Dela
Ja. Nehmen Sie mir's nicht übel, mir kommt das immer so chinesisch vor, dieses verliebte Aneinanderreiben der Nasen.

Flattau (empfindlich)
Chinesisch! Aber warum gehen Sie dann – nach China?

Dela
Ach so, meinen Sie . . . Warum ich? . . . Nun vor allem doch, weil Sie mich so schön gebeten haben.

Flattau
Sie haben noch einen andern Grund. 125

Dela
Ja. – Aber Sie werden bös sein, wenn ich ihn sage.

Flattau
Durchaus nicht.

Dela
Bestimmt nicht? Also gut. – Ich hab, ich hab wissen wollen, wie so ein Absteigquartier inwendig aussieht.

Flattau
Und jetzt wissen Sie's?

Dela
Beiläufig.

Flattau
Also Neugier? Und das ist ein Grund?

Dela
Glauben Sie mir, das ist bei vielen von uns der Hauptgrund. Man kommt sich so – so ungebildet vor, wenn man das als junge Frau nicht weiß. Beinah, wie wenn man als Österreicher die Adelsberger Grotte nicht kennen würde, oder die Salzachöfen –

Flattau
Oder die Liechtensteinklamm – St. Johann in Pongau. –

Dela
Sehen Sie, jetzt sind Sie bös.

Flattau
Na ja, man ist doch schließlich kein Fremdenführer. 126

Dela
Nicht? Das ist aber schad. Ich hab mir eingebildet, Sie werden mir alles erklären. (Im Ton des Fremdenführers) Hier, meine Herrschaften, sehen Sie das weltberühmte Absteigquartier, das Paradies der verheirateten Frauen: Ein schlechtgelüftetes niedriges Parterrezimmer, in das man durch einen finsteren Gang gelangt. Möbel aus Wollplüsch, Vorhänge zu zweiunddreißig Kreuzer der Meter, ein abgetretener Smyrna, ein Amor aus Gips mit einem zerbrochenen Bogen und an den Fenstern Lichtbilder – »Faust und Gretchen« – »Romeo und Julia«. Wie poetisch! (Anderer Ton.) Ich finde, es sieht aus, wie bei einem Zahnarzt in der Provinz. Bis auf das da. (Auf das Bett deutend) Das stört.

Flattau
Die Einrichtung mißfällt Ihnen?

Dela
Ich müßte lügen, wenn ich sagen würde, daß ich sie tiptop finde.

Flattau
Leider war nichts Besseres zu haben; wenigstens nicht in dieser Gegend, auf die Sie sich kaprizierten. – Was wollen Sie, die wirklich vornehmen Leute vermieten ihre Wohnungen nun einmal nicht für diesen Zweck.

Dela (zwecklos umhergehend)
Gott, es ist ja schließlich auch Nebensache. 127

Flattau
Nicht wahr? Die Hauptsache ist, daß man sich liebt.

Dela
Ja, das ist die Hauptsache. (Er will sie umarmen, sie weicht aus und macht ein paar Schritte, dann, sich umwendend.) Kommen Sie Samstag auf die Croy-Redoute?

Flattau (läßt die erhobenen Arme sinken)
Wenn Sie gehen, gewiß.

Dela
Ich weiß noch nicht . . . Die Gräfin Meisenburg hat mir eigenhändig geschrieben, und da haben wir natürlich Karten nehmen müssen. Aber wir sind am selben Abend auch nach zwei Seiten hin eingeladen.

Flattau
Na, das läßt sich ja allenfalls verbinden . . . Was ich sagen wollte! Wie war's vorgestern im Volkstheater?

Dela
O, sehr fesch. Im dritten Akt hat einer Trompete geblasen.

Flattau
Auf der Bühne?

Dela
Nein – im Zuschauerraum. – Nachher haben wir mit der Mimi und ihrem Mann soupiert. Eine geistreiche Person, die Mimi! Sie hat ein Kleid angehabt, mit einer Gazetaille – 128

Flattau
Mit einer Gazetaille?

Dela
Ja, bis daher – (in die Mitte der Brust deutend) alles Gaze, Arme, Schultern, Dekolletée – aus einer gewissen Entfernung hat man geglaubt, sie ist nackt.

Flattau
Interessant.

Dela
Ja, sie ist keine gewöhnliche Frau. Gestern war ich übrigens den ganzen Nachmittag mit ihr beisammen. Erst waren wir beim Demel und nachher haben wir uns das Bärenweib im Panoptikum angeschaut. Das heißt, die Mimi war schon zweimal dabei, aber ich hab's zum ersten Mal gesehen. –

Flattau
Na, wie ist es?

Dela
Also, ich find's eher ekelhaft. Aber die Mimi schwärmt für solche Sachen. Sie hat dann auch noch zu den Ringkämpfern im Prater hinunterfahren wollen, es war aber gestern keine Vorstellung. Da sind wir ins Kinematographentheater gegangen . . . (Überstürzt) Sie wissen doch, wer der maskierte Ringkämpfer ist? – Der junge Breitenstein, sagt man.

Flattau (ironisch)
Was Sie nicht alles wissen. 129

Dela (eifrig)
Bitt Sie, er ist ja so eingebildet auf seine Muskeln . . . Ich war selbst dabei, wie er sich in Gesellschaft einmal als Athlet produziert hat. Eine so dicke Eisenstange hat er an seinem Biceps abgebogen.

Flattau (ironisch)
Großartig.

Dela Das war auf dem Polterabend von der Daisy Morawitz vor zwei Jahren. Ein fescher Kerl übrigens die Daisy . . . Gestern hab ich sie aus dem Automobil steigen gesehen – einen Sealskinmantel hat sie angehabt, bis zu den Fersen, himmelblau gefüttert, und hirschlederne Schuhe. Also, das find ich eigentlich übertrieben.

Flattau
Die hirschledernen?

Dela
Ja . . . Aber jetzt muß ich gehen.

Flattau (bitter ironisch)
Natürlich, jetzt müssen Sie gehen.

Dela (ängstlich)
Ich versichere Ihnen, ich muß wirklich. –

Flattau
Aber natürlich! Aber gewiß! Ich halte Sie ja auch gar nicht . . . (Ausbrechend) Und für diese Stunde habe ich gelebt!

Dela
Wie meinen Sie? 130

Flattau
Für diese Schäferstunde – für diesen Jour zu zweien. (Auf und ab.)

Dela
Ich begreife nicht. –

Flattau
Durch hundert Gesellschaften bin ich Ihnen nachgegangen, über fünfzig Jours hab ich mitgemacht, mit fünfhundert Menschen, die ich mein Lebtag nicht mehr loswerden werde, bin ich bekannt geworden, – ganz blöd bin ich geworden vor Geselligkeit – nur um dieser einzigen einsamen Stunde willen, die mir in der Ferne winkte. Ich liebte Sie, und ich wollte Sie für mich allein haben, einmal, eine Stunde lang. –

Dela
Na, und war ich nicht da?

Flattau
Ja, Sie waren da. Aber die Mimi und die Daisy und der junge Breitenstein und der Bobbie Fischer sind uneingeladen mitgekommen und haben uns die ganze Zeit Gesellschaft geleistet. Die Gesellschaft, in der Sie jahrein, jahraus leben, hat Sie herbegleitet und geht mit Ihnen wieder fort . . . Die einsame Stunde bleibt ein Traum . . . Ich habe Ihre Wange gestreift, mich an Ihrer Nadel gestochen, und Sie haben mir ein bißchen vom Bärenweib im Panoptikum erzählt. Das ist die mondäne Liebe . . . 131

Dela
Mir scheint, Sie wollen mir eine Szene machen. – Da geh ich lieber. – Adieu.

Flattau (schreiend)
Warum sind Sie denn überhaupt gekommen?

Dela
Ich weiß es nicht. (Will gehen.)

Flattau
Antworten Sie. Ich lasse Sie nicht eher fort. Warum sind Sie gekommen?

Dela (weinerlich)
Aber ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht, weil Sie mich neulich in der Oper so lieb angeschaut haben. Oder, weil ich gestern einen Liebesbrief in der Tasche meines Mannes fand. Oder weil ich mich langweilte . . . Was weiß denn ich? Auf einmal – auf einmal war ich da, in diesem häßlichen Zimmer. (Sieht sich um.) Aber jetzt muß ich wieder gehen, es ist die höchste Zeit.

Flattau (wütend)
Nein, Sie werden nicht gehen. (Faßt sie an den Handgelenken.)

Dela
Lassen Sie los! Sie ruinieren mir meine Glacés.

Flattau
Das ist mir gleich!

Dela
Aber mir nicht. (Sie reißt sich los.) Was 132 unterstehen Sie sich überhaupt? Ich bin kein Stubenmädel.

Flattau
Nein, das sind Sie nicht! Denn ein Stubenmädel hat einen Zweck auf der Welt. Sie aber haben – keinen.

Dela
Immer schöner. (Schon wieder vor dem Spiegel.) Und wie ich nur ausschau . . . Die Olga wird glauben, Gott weiß was . . . (Ihren Hut richtend) Wenn sie noch wenigstens einen dreiteiligen Toilettespiegel hätten! . . . Aber da ist ja nicht einmal ein Handspiegel, keine Haarnadel, kein Kamm, gar nichts . . . (Zu ihm zurückkehrend) Sitzt mein Hut gerade?

Flattau (schreit)
Ich weiß es nicht!

Dela (zurückweichend)
Schrecklich . . . Und mit Ihnen soll ich meinen Mann betrügen? – Möcht wissen! (Entrüstet ab.)

Flattau (allein; nach einer angemessenen Pause)
Also das eine weiß ich: Eine mondäne Frau – nie wieder! 133

 


 


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