Raoul Auernheimer
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Antiquitäten

Personen: Cäcilie ForstDie Antiquitätenhändlerin und deren Gatte – später: Der Baron.

Ein Antiquitätenladen in der Inneren Stadt, halbdunkler niedriger Raum, von dessen Decke zwanzig verschiedene Lampen herabhängen, die nicht brennen. In den Fensteröffnungen Fauteuils und kleine Tischchen, längs der Wände alte Schränke, Kommoden, Vitrinen und in der Mitte ein ganzes Durcheinander von alten Möbeln, zu einem rechteckigen Block zusammengeschoben, so daß zwischen diesem und der Wandumrahmung nur ein schmaler Gang frei bleibt. An einem mit einer Glasplatte bedeckten Tisch, auf dem ein Colleoni, ein handgroßer borghesischer Fechter und eine Anzahl Porzellantassen stehen, sitzt die Antiquitätenhändlerin und liest in einem Buche.

Cäcilie (havannabraunes Frühjahrskostüm, breiter Hut mit orangefarbenen Seidenbändern und russischgrünen Straußfedern, Sonnenschirm mit Empiregriff; tritt gebieterisch ein). 22

Die Händlerin (hübsche junge Frau, sehr einfach und distinguiert gekleidet, gemessenes Benehmen, macht ein Eselsohr in das Buch und steht langsam auf)
Guten Tag! Womit kann ich der Dame dienen?

Cäcilie
Was kostet das Empiretischerl in der Auslage?

Die Händlerin
Das Biedermeiertischerl meinen gnädige Frau? Das da?

Cäcilie
Ja, das – Biedermeier.

Die Händlerin (sehr ernst, eher traurig)
Dreihundert Kronen.

Cäcilie
Wirklich?

Die Händlerin
Ja, es ist aus der Zeit.

Cäcilie (unschuldig)
Aus welcher?

Die Händlerin
Aus der guten.

Cäcilie
Es ist ja wirklich sehr hübsch . . . (lorgnettierend) die Malerei . . .

Die Händlerin (sieht sie durchdringend an)
Eingelegte Arbeit . . . 23

Cäcilie (verwirrt)
Ja, sehr kunstvoll . . .

Die Händlerin (müde)
Es wundert mich, daß es noch nicht verkauft ist. Die Gräfin Wimpfen war vormittags da, sie war ganz verliebt in das Tischerl . . .

Cäcilie
Was Sie sagen! Die Gräfin Wimpfen! Aber etwas teuer find ich es trotzdem.

Die Händlerin
Haben Sie eine Ahnung, gnädige Frau, wie die Sachen jetzt in die Höh gehen? Wie wir das letzte Mal in Paris waren, ich und mein Mann . . .

Cäcilie
Sie pflegen nach Paris zu reisen?

Die Händlerin
Jedes Jahr auf ein paar Wochen . . . Ja, Sie möchten nicht glauben, wie dort die Antiquitäten im Werte steigen. Derselbe Louis Quinze-Schreibtisch, der vor drei Jahren zweihundert Franks gekostet hat, kostet jetzt achthundert . . . Derselbe Schreibtisch von derselben Firma.

Cäcilie
Von derselben Firma? . . . Dann ist er also nicht einmal alt?

Die Händlerin (matt lächelnd)
Selbstverständlich nicht. Ein alter Louis Quinze-Schreibtisch, der alt ist, kostet achttausend Franks. Und dafür ist er nicht zu haben. 24

Cäcilie
Was Sie sagen.

Die Händlerin
Ich bitt Sie, gnädige Frau, ganz wertlose Sachen, wenn sie nur alt sind, werden jetzt in Paris zu horrenden Preisen bezahlt. Ich war selbst dabei, wie ein Sammler bei einer Auktion für ein Wickelband siebenhundertfünfzig Franks niedergelegt hat . . . »Chérissez l'amour, vous lui devez le jour« ist darauf gestanden.

Cäcilie
Auf dem Wickelband?

Die Händlerin
Ja.

Cäcilie
Unglaublich.

Die Händlerin
Jawohl . . . Das Tischerl ist gar nicht einmal teuer.

Cäcilie
Im Vergleich zu dem Wickelband allerdings . . . Wissen Sie was? Ich geb Ihnen zweihundert Kronen dafür.

Die Händlerin (beleidigt)
Aber gnädige Frau! Bei uns wird doch nicht gehandelt! Wir haben feste Preise.

Cäcilie
Wie die großen soliden Geschäfte? 25

Die Händlerin
Gnädige Frau, das Antiquitätengeschäft ist heutzutage eines der solidesten.

Cäcilie
Und einträglichsten.

Die Händlerin
Gott sei Dank! Wir können uns nicht beklagen. Wir haben eine sehr feine Kundschaft.

Cäcilie
Sagen Sie: Ist es wahr, daß sich jetzt die vornehmen Leute alt einrichten?

Die Händlerin (nickt)
Das ist das Neueste.

Cäcilie
Offen gestanden, ich denke auch daran. Und deshalb komm ich zu Ihnen, man hat mir Sie empfohlen. Ich will mir im Herbst einen kleinen Empiresalon vergönnen. Man hat mir gesagt, ich soll mich an Sie wenden.

Die Händlerin
Sie werden es nicht bedauern, gnädige Frau . . . Für fünf- bis sechstausend Kronen liefern wir Ihnen eine grüne Seidengarnitur, einen Tisch und einen Glaskasten.

Cäcilie
Mit Miniaturen darin?

Die Händlerin (lächelt matt)
Die Miniaturen werden natürlich separat berechnet. Die kosten mehr als die Einrichtung. 26

Cäcilie
Oho!

Die Händlerin
Sie brauchen dann eigentlich nur noch einen Luster, Vorhänge aus der Zeit, Seidentapeten, einen ovalen Teppich und ein paar alte Leuchter. Das kostet Sie auch noch ein paar tausend Kronen . . . Für zwanzigtausend Kronen, alles in allem, können Sie schon einen sehr hübschen kleinen Empiresalon haben, lauter alte Sachen . . .

Cäcilie
Das ist allerdings viel Geld.

Die Händlerin (gelassen)
Noo . . .

Cäcilie
Aber da es alle Leute tun, wird mein Mann schließlich wohl in den sauren Apfel beißen müssen. Sie glauben nicht, liebe Frau, wie schwer es heutzutage ist, auf allen Gebieten modern zu bleiben.

Die Händlerin
Ich bitt Sie, gnädige Frau, das wissen wir Antiquitätenhändler am besten.

Cäcilie
Und besonders Einrichtungen. Also das ist das Undankbarste, was es gibt. Ich bin jetzt zwölf Jahr verheiratet, und wir werden uns demnächst zum dritten Mal einrichten müssen . . . Das Tischerl wird der Anfang sein . . . Vor zwölf Jahren, als 27 wir verlobt waren, war alles noch alte Schule. Der Salon Louis-Seize-Möbel mit Seidenteppich, Speiszimmer altdeutsch, Herrenzimmer englisch, Rauchzimmer orientalisch . . . Nachher ist die Sezession gekommen. Vor fünf Jahren haben wir uns eine Villa in Hietzing gebaut und ganz neu einrichten lassen: Eingebaute Schränke, Wandverkleidungen aus Mahagoni, Kasten, in die man nichts legen, Tische, auf die man nichts stellen, Stühle, auf denen man nicht sitzen kann . . . Und jetzt ist das alles auch schon wieder passé . . . Man kann es zum Trödler schicken. Überall, wohin man kommt, sieht man nur noch alte Möbel, alte Bilder, alte Stoffe. Man spricht, man träumt, man lebt von Antiquitäten. Alles biedermeiert . . . (Sie ist zum Tisch vorgedrungen, auf dem das Buch liegt.) Was lesen Sie da? . . . Natürlich »Jettchen Gebert« – ein Biedermeierroman. Sogar die Literatur wird antiquarisch . . . Wirklich, es ist schwer heutzutage. Man kommt nicht zur Ruhe. (Sie setzt sich.)

Die Händlerin (lächelnd)
Ja, gnädige Frau, uns geht es ebenso. Wir sind auch gerade daran, uns neu einzurichten.

Cäcilie
Sie sind wohl noch nicht lange verheiratet?

Die Händlerin
Fünf Jahre. Aber die Verhältnisse haben sich unberufen gebessert, wir brauchen jetzt fünf Zimmer. Die neue Einrichtung macht meinem Mann schwere 28 Sorgen. Gerade vorhin ist er in die Wohnung hinübergegangen – nachschauen.

Cäcilie
Und Sie machen indes Geschäfte?

Die Händlerin
Wir wechseln ab, gnädige Frau.

Cäcilie
Also, wollen Sie mir das Tischerl um zweihundertfünfzig Kronen lassen?

Die Händlerin
In Gottes Namen, gnädige Frau, weil es das erste Geschäft ist.

Cäcilie
Ich kauf es – aber unter einer Bedingung. (Vertraulich) Nämlich: Daß Sie mich ein bißchen in das Geschäft einweihen.

Die Händlerin
Gnädige Frau wollen doch nicht vielleicht? . . .

Cäcilie
Nein, ich will Ihnen nicht Konkurrenz machen . . . Nur, unter uns, ich versteh nicht viel von Antiquitäten. (Die Händlerin nickt.) Und alle meine Freundinnen protzen so mit Fachausdrücken . . .

Die Händlerin
Ich versteh: Ich soll die gnädige Frau unterrichten. (Cäcilie lächelt.) Also, das zum Beispiel ist ein Louis-Quinze-Schreibtisch. (Sie spricht »Quin« aus, weil sie das für vornehmer hält.) 29

Cäcilie (lorgnettierend)
Aha! . . . Sagen Sie, woran merkt man eigentlich, daß es Louis-Quinze ist?

Die Händlerin (vag)
Die geschweifte Form.

Cäcilie
Aber die haben doch auch die Biedermeierschreibtische.

Die Händlerin
Ja, aber die haben andere Beschläge . . . Gnädige Frau müssen immer auf die Beschläge schauen. Daran merkt man am ehesten, ob ein Möbel echt ist. Deshalb geben die Fälscher ja auch immer echte Beschläge auf die Imitationen.

Cäcilie
Also, woran merkt man dann die Echtheit?

Die Händlerin (lächelnd)
Na, wir merken es schon.

Cäcilie
Pfeile sind Empire, nicht wahr? Und Kränze mit Schleifen Biedermeier?

Die Händlerin (liebenswürdig)
Die gnädige Frau weiß ohnehin eine Menge.

Cäcilie
No, was man halt so hört. (Vor einem Schrank stehen bleibend) Das ist ein Biedermeierschrank.

Die Händlerin (artig)
Richtig! 30

Cäcilie (lorgnettierend)
Ein hübsches Stück.

Die Händlerin
Ja, es ist aus der Zeit.

Cäcilie (blickt vorsichtig um sich)
Sie, hören Sie: Sie sagen immer: »Aus der Zeit« Was heißt das eigentlich?

Die Händlerin (etwas verlegen)
Das heißt eigentlich gar nichts. Man sagt halt so. Wenn gnädige Frau nicht genau wissen, aus welcher Zeit ein Möbelstück ist, sagen Sie ruhig: Aus der Zeit. Die was verstehen, wissen dann schon, aus welcher. (Der Baron tritt ein.) Einen Augenblick, gnädige Frau . . . Habe die Ehre, Herr Baron.

Der Baron
Guten Tag . . . Sie sollen da eine Serie von »London-cries« haben . . . (Bemerkt scheinbar erst jetzt Cäcilie.) Oh was seh ich, gnädige Frau? Seit wann interessieren denn Sie sich für Antiquitäten?

Cäcilie
Ich hab mir da das Tischerl gekauft.

Der Baron
Reizend! Allerliebst! Es gibt halt nichts über ein Biedermeiertischerl.

Cäcilie
Ja, besonders, wenn es aus der Zeit ist. 31

Der Baron
Natürlich . . . Selbstverständlich . . . (Leiser) Haben Sie leicht hergefunden?

Cäcilie
O, ich bin schon oft vorübergegangen. (Entfernt sich lorgnettierend etwas von der Händlerin.)

Der Baron (folgt ihr)
Gnädige Frau gustieren.

Cäcilie
Wissen Sie, Baron, daß schon dreiviertel ist?

Der Baron
Ja, beinah . . . Aber ich kann wirklich nichts dafür. Wie ich um die Ecke bieg, rennt mir der alte Hofer – der Exzellenzherr, Sie wissen doch? – über'n Weg, bleibt stehen und erzählt mir eine lange Tratschgeschichte aus'm Ministerium. (Mit völlig unbewegtem Gesicht) Also ich war wütend!

Cäcilie (die sich von der Händlerin beobachtet sieht)
Schauen Sie nur diesen Brokat an . . . Ich liebe dieses verblichene Violett, diese verblaßten Seidenrosen . . . Sie nicht auch, Baron?

Der Baron (unbewegt)
Wahnsinnig! . . . Übrigens, da rückwärts, im Hinterzimmer, sind noch schönere Stoffe . . . kommen S', gnädige Frau, schauen Sie's an. (Zur Händlerin, die intervenieren will) Lassen S' nur, ich kenn mich aus . . . (Geht voran, Cäcilie folgt ihm.) Man sieht zwar nichts – 32

Cäcilie (krampfhaft lorgnettierend)
Reizend!

Der Baron
Schöne Frau! (Küßt sie aufs Ohr.)

Cäcilie
Aber Baron! (Vorwurfsvoll) Und noch dazu vor einem Spiegel.

Der Baron (mit einer leichtsinnigen Handbewegung.)
Der ist alt und blind! . . . (In den Laden zurückkehrend) Was is mit die Meßgewänder?

Die Händlerin
Wir sind bereits in Unterhandlung, Herr Baron.

Der Baron (zu Cäcilie, die, immer lorgnettierend, folgt)
Ich laß mir nämlich einen Sofaüberwurf aus alten Meßgewändern machen. – Wird gut aussehn, wie?

Cäcilie
Apart!

Der Baron
Beinah sündhaft, was?

Cäcilie
Jetzt muß ich aber gehn.

Der Baron
Wenn Sie erlauben, begleit ich Sie ein Stückerl.

Cäcilie (zur Händlerin)
Schicken Sie mir das Tischerl in die Villa. (Gibt 33 ihr die Adresse.) Bezahlen wird's mein Mann . . . Und über die Empiregarnitur reden wir noch.

Die Händlerin (mit Haltung)
Bitte, wann's beliebt.

Der Baron
Wegen der »London-cries« komm ich später – wenn Ihr Mann da ist.

Die Händlerin
Da kommt er grad.

Händler (eintretend)
Meine Hochachtung, Herr Baron, küß die Hand, gnä' Frau.

Der Baron
Grüß Sie Gott . . . Wissen S' was? Schicken S' mir die »London-cries« einfach in die Wohnung. Wenn s' nicht zu teuer sind, behalt ich sie.

Händler
Sehr wohl, Herr Baron. Meine Hochachtung! Küß die Hand. (Schließt die Türe hinter dem Baron und Cäcilie.) Haben sich die hier zufällig getroffen?

Die Händlerin
Was fällt dir ein? Rendezvous haben sie gehabt, das ist doch klar. Eine verheiratete Frau – so ein Skandal! (Sittlich entrüstet.) Wenn ich das gewußt hätt, so hätte ich ihr nichts nachgelassen. (Kehrt zu ihrem Buch zurück.) Was macht die Wohnung?

Händler
Die Tapezierer sind fertig, nur die Möbel – 34

Die Händlerin
Weißt du, was mir eingefallen ist? Wie wär's, wenn wir uns den Salon alt einrichten würden. Uns kost't das doch nichts.

Händler (aufgebracht)
Alt? Ich soll mir alte Möbel in die Wohnung stellen? Nein! Ich will neue Möbel haben. – Übrigens hab ich vor einer Viertelstunde dem Herrn Beheim seinen Salon abgekauft.

Die Händlerin
Was du sagst. Wie teuer?

Händler
Sechshundert Kronen, Teppich, Lüster, Vorhänge, alles zusammen. Hochmodern und fast neu! (Mit Besitzerfreude.) Es gibt doch nichts Schöneres als so ein modernes Mobiliar.

Die Händlerin
Warum verkauft er's dann?

Händler
Weil er sich alt einrichtet, der Esel! 35

 


 


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