Berthold Auerbach
Barfüßele
Berthold Auerbach

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20. Kapitel.

Im Familiengeleise.

Nicht die Sittlichkeit regiert die Welt, sondern eine verhärtete Form derselben: die Sitte. Wie die Welt nun einmal geworden ist, verzeiht sie eher eine Verletzung der Sittlichkeit als eine Verletzung der Sitte. Wohl den Zeiten und den Völkern, in denen Sitte und Sittlichkeit noch eins ist. Aller Kampf, der sich im großen wie im kleinen, im allgemeinen wie im einzelnen abspielt, dreht sich darum, den Widerspruch dieser beiden wieder aufzuheben und die erstarrte Form der Sitte wiederum für die innere Sittlichkeit flüssig zu machen, das Geprägte nach seinem inneren Wertgehalte neu zu bestimmen.

Auch hier in dieser kleinen Geschichte von Menschen, die dem großen Weltgewirre abseits liegen, spiegelt sich das wiederum ab.

Die Mutter, die innerlich am meisten sich freute mit der glücklichen Erfüllung, war doch wieder voll eigentümlicher Besorgnis wegen der Weltmeinung. »Ihr habt's doch leichtsinnig gemacht,« klagte sie Amrei, »daß du so ins Haus gekommen bist, und daß man dich nicht abholen kann zur Hochzeit. Das ist halt nicht schön und ist nicht der Brauch. Wenn ich dich nur noch fortschicken könnte auf einige Zeit, oder auch den Johannes, daß alles mehr Schick bekäme.« Und dem Johannes klagte sie: »Ich höre schon, was es für Gerede gibt, wenn du so schnell heiratest: zweimal aufgeboten und das drittemal abgekauft, alles so kurz angebunden, das tun liederliche Menschen.«

Sie ließ sich aber in beidem wiederum beschwichtigen, und sie lächelte, als Johannes sagte: »Ihr habt doch sonst alles so gut durchstudiert wie ein Pfarrer, jetzt, Mutter, warum sollen denn ehrliche Leute eine Sache lassen, weil sich unehrliche dahinter verstecken? Kann man mir was Böses nachreden?«

»Nein, du bist dein Leben lang brav gewesen.«

»Gut. Drum soll man jetzt auch in etwas an mich glauben, und glauben, daß das auch brav sei, was nicht im ersten Augenmaß so aussehen mag; ich kann das verlangen. Und wie ich und meine Amrei zusammengekommen sind, das ist einmal so aus der Ordnung, das hat seinen besonderen Weg von der Landstraße ab. Und es ist kein schlechter Weg. Das ist ja wie ein Wunder, wenn man alles recht bedenkt, und was geht uns das an, wenn die Leute heut' kein Wunder mehr wollen und da allerlei Unsauberkeit finden möchten? Man muß Courage haben und nicht in allem nach der Welt fragen. Der Pfarrer von Hirlingen hat einmal gesagt: wenn heutigen Tages ein Prophet aufstünde, müßte er vorher sein Staatsexamen machen, ob's auch in der alten Ordnung ist, was er will. Jetzt, Mutter, wenn man bei sich weiß, daß etwas recht ist, da geht man grad durch und stößt hüben und drüben weg, was einem im Weg ist. Laß sie nur eine Weile verwundert dreinglotzen, sie werden sich mit der Zeit schon anders besinnen.«

Die Mutter mochte fühlen, daß ein Wunder wohl als glückliche plötzliche Erscheinung gelten könne, daß aber auch das Ungewöhnliche sich allmählich doch wieder einfügen müsse in die Gesetze des Herkommens und des gewohnten stetigen Ganges, daß die Hochzeit wohl wie ein Wunder erscheinen könne, die Ehe aber nicht, die eine geregelte Fortsetzung in sich schließt. Sie sagte daher: »Mit all den Leuten, die du jetzt gering ansiehst und stolz, weil du weißt, du tust das Rechte, mit denen mußt du doch wieder leben und verlangst, daß sie dich nicht scheel ansehen, und dir deine Ehre lassen, und dafür, daß die Menschen das tun, mußt du ihnen das Gehörige auch geben und lassen; du kannst sie nicht zwingen, daß sie an dir eine Ausnahme sehen sollen, und du kannst nicht jedem nachlaufen und ihm sagen: wenn du wüßtest, wie's gekommen ist, du würdest mir rechtschaffen recht geben.«

Johannes aber erwiderte:

»Ihr werdet es erfahren, daß niemand gegen meine Amrei was haben kann, der sie nur eine Stunde gesehen hat.«

Und er hatte ein gutes Mittel, die Mutter nicht nur zu beschwichtigen, sondern auch innerlichst zu erquicken, indem er ihr berichtete, wie alles das, was sie als Mahnung und Erwartung ausgesprochen habe, wie »angefremt« eingetroffen sei. und sie mußte lachen, als er schloß: »Ihr habt den Leisten im Kopf gehabt, nach dem die Schuhe da oben gemacht sind, und die drin herumlaufen soll, paßt wie gegossen darauf.«

Die Mutter ließ sich beruhigen, und am Samstag morgen vor dem Familienrat kam Dami, er mußte aber sogleich wieder zurück nach Haldenbrunn, um dort bei Schultheiß und Amt alle nötigen Papiere zu besorgen.

Der erste Sonntag war ein schwerer Tag auf dem Hofe des Landfriedbauern. Die Alten hatten Amrei angenommen, aber wie wird es mit der Familie werden? Es ist nicht leicht, in eine solche schwere Familie zu kommen, wenn man nicht mit Roß und Wagen hineinfährt und allerlei Hausrat und Geld und eine breite Verwandtschaft Bahn macht.

Das war ein Fahren am nächsten Sonntag vom Oberland und Unterland her zum Landfriedbauern. Es kamen angefahren die Schwäger und Schwägerinnen mit ihrer Sippe. »Der Johannes hat sich eine Frau geholt und hat sie gleich mitgebracht, ohne daß Eltern, ohne daß Pfarrer, ohne daß Obrigkeit ein Wort dazu gesagt. Das muß eine Schöne sein, die er hinter dem Zaune gefunden.« So hieß es allerwärts.

Die Pferde an den Wagen spürten, was beim Landfriedbauern geschehen war; sie bekamen manchen Hieb, und wenn sie ausschlugen, ging es ihnen noch ärger, und wer da fuhr, hieb drauf los, bis ihm der Arm müde wurde, und dann gab's noch manchen Zank mit der Frau, die daneben saß und über solch ungebührliches, waghalsiges Dreinfahren schimpfte und weinte. –

Eine kleine Wagenburg stand im Hofe des Landfriedbauern, und drinnen in der Stube war die ganze schwere Familie versammelt. Mit hohen Wasserstiefeln, mit nägelbeschlagenen Schnürschuhen, mit dreieckigen Hüten, wo bei dem einen die Spitze, bei dem andern die Breite nach vorn saß, war man beieinander. Die Frauen wisperten untereinander und winkten dann ihren Männern oder sagten ihnen leise: sie sollten nur sie machen lassen, sie wollten den fremden Vogel schon hinausbeißen, und es war ein bitterböses Lachen, das entstand, als man bald da, bald dort hörte, daß Amrei die Gänse gehütet habe.

Endlich kam Amrei, aber sie konnte niemand die Hand reichen. Sie trug eine große Glasflasche voll Rotwein unterm Arme und so viel Gläser und zwei Teller mit Backwerk, daß es schien, sie habe ganz allein sieben Hände; jedes Fingergelenk war eine Hand, und sie stellte alles so ruhig und geräuschlos auf den Tisch, auf dem die Schwiegermutter ein weißes Tuch ausgebreitet hatte, daß alle sie staunend betrachteten. Sie schenkte ruhig alle Gläser voll, sie zitterte nicht dabei, und jetzt sagte sie: »Die Eltern haben mir das Recht gegeben, euch von Herzen willkommen zu heißen. Jetzt trinket.«

»Wir sind's nicht gewohnt des Morgens!« sagte ein schwerer Mann mit ungewöhnlich großer Nase und flätzte sich auf seinem Stuhle weit aus. Es war Jörg, der älteste Bruder des Johannes.

»Wir trinken nur Gänsewein!« sagte eine der Frauen, und ein nicht sehr verhaltenes Lachen entstand.

Amrei fühlte den Stich wohl, aber sie hielt an sich, und die Schwester des Johannes war die erste, die ihr Bescheid tat und das Glas ergriff. Sie stieß zuerst mit Johannes an: »Gesegne dir's Gott!« Nur halb stieß sie mit Amrei an, die auch ihr Glas hinhielt. Nun hielten es die andern Frauen für unhöflich, ja sogar für sündhaft – denn es gilt beim ersten Trunke, dem sogenannten Johannestrunke, für sündhaft, nicht Bescheid zu tun – nicht auch zuzugreifen, und auch die Männer ließen sich dazu bewegen, und man hörte eine Zeitlang Gläser klingen und wieder absetzen.

»Der Vater hat recht,« sagte endlich die alte Landfriedbäuerin zu ihrer Tochter, »die Amrei sieht doch aus, wie wenn sie deine Schwester wär', aber eigentlich noch mehr sieht sie der verstorbenen Lisbeth ähnlich.«

»Ja, es ist keines verkürzt. Wenn ja die Lisbeth am Leben geblieben wär', wär' das Vermögen ja auch um einen Teil geringer,« sagte der Vater, und die Mutter setzte hinzu:

»Jetzt haben wir sie aber wieder.«

Der Alte traf den Punkt, der alle wurmte, obgleich sie sich alle einredeten, daß sie gegen Amrei so eingenommen seien, weil sie so familienlos dahergekommen. Und während Amrei mit der Schwester des Johannes sprach, sagte der Alte leise zu seinem ältesten Sohne:

»Der sieht man nicht an, was hinter ihr steckt. Denk' nur, sie hat im Geheimen einen gehäuften Sack voll Kronentaler gehabt; aber mußt niemand was davon sagen.«

Das geschah so unweigerlich, daß binnen weniger Minuten alle in der Stube es wußten, bis auf die Schwester des Johannes, die sich später viel zugute darauf tat, daß sie mit Amrei so gewesen sei, obgleich sie geglaubt hatte, daß Amrei keinen Heller besitze.

Richtig! Johannes war hinausgegangen, und jetzt kam er wieder mit einem Sacke, auf dem der Name: »Josenhans von Haldenbrunn« geschrieben war, und er leerte den reichen Inhalt desselben klirrend und rasselnd auf den Tisch, und alles staunte, am meisten aber der Vater und die Mutter.

So hatte Amrei also wirklich einen geheimen Schatz gehabt! Denn das war ja viel mehr, als jedes ihr gegeben!

Amrei wagte es nicht, aufzuschauen, und jedes lobte sie über ihre beispiellose Bescheidenheit. Nun gelang es Amrei, alle nach und nach für sich zu gewinnen, und als die schwere Familie am Abend Abschied nahm, sagte ihr jedes im Geheimen: »Schau, ich bin's nicht gewesen, der gegen dich war, weil du nichts hast, der und der und die und die haben dir's immer vorgehalten. Ich sag' jetzt, wie ich früher gedacht und auch gesagt habe: wenn du auch nichts gehabt hättest, als was du auf dem Leibe trägst, du bist wie gedrechselt für unsere Familie, und eine bessere Frau für den Johannes und eine bessere Söhnerin für die Eltern hätt' ich mir nicht wünschen mögen.«

Das war freilich jetzt leicht, weil sie alle glaubten, daß Amrei ein namhaftes bares Vermögen beibrachte. –

Im Allgäu redete man noch jahrelang von der wunderbaren Art, wie der junge Landfriedbauer sich seine Frau geholt, und wie er und seine Frau an ihrer eigenen Hochzeit so schön miteinander getanzt hatten, und besonders einen Walzer, den sie »Silbertrab« nannten, und sie hatten sich dazu vom Unterland her die Musik kommen lassen.

Und Dami? Er ist einer der ruhmvollsten Hirten im Allgäu und hat einen hohen Namen, denn er heißt hierzulande der »Geierdami«, denn Dami hat schon zwei gefährliche Geierhorste ausgehoben zur Rache dafür, weil ihm zweimal nacheinander frischgeworfene Lämmer davongetragen wurden. Wenn es noch Ritterschlag gäbe, er hieße: Damian von Geierhorst; aber der Mannesstamm derer Josenhansen von Geierhorst stirbt mit ihm aus, denn er bleibt ledig, ist aber ein guter Ohm, besser als der in Amerika. Wenn das Vieh gesommert hat, weiß er zur Winterszeit den Kindern seiner Schwester viel zu erzählen vom Leben in Amerika, vom Kohlenmathes im Moasbrunnenwalde und von Hirtenfahrten im Allgäugebirge; da weiß er besonders viel kluge Streiche von seiner sogenannten »Heerkuh«, die die tiefklingende Vorschelle trägt. Und Dami sagte einst seiner Schwester: »Bäuerin,« denn so nennt er sie stets, »Bäuerin, dein ältester Bub artet dir nach, der hat auch so Worte wie du. Denk' nur, sagt mir der Bursche heute: gelt, Ohm. deine Heerkuh ist deine Herzkuh? Ja, er ist ganz nach deinem Modell.«

Der Landfriedbauer Johannes wollte sein erstes Töchterchen gerne »Barfüßele« taufen lassen, aber es ist nicht mehr gestattet, daß man neue Namen aus Lebensereignissen bilde; der Name Barfüßele wurde nicht angenommen im Kirchenregister, und Johannes ließ das Kind »Barbara« nennen, änderte das aber aus eigener Machtvollkommenheit in »Barfüßele«.


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