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* * *

 

An einem der nächsten Tage bekam Hans Thordsen Besuch. Sein Kapitän, der noch immer auf dem gestrandeten Schoner gehaust hatte, suchte ihn auf. Er wollte dem Reeder schreiben und ihm den Vorschlag machen, daß er Hans Thordsen mit der Aufsicht über das gestrandete Schiff betrauen solle, bis die Versicherungssache geregelt sei, selbstverständlich gegen eine anständige Heuer. Nach ein paar Tagen kam er wieder, es war alles mit dem Reeder abgemacht. Hans Thordsen nahm mit herzlichem Dank Abschied von seinen Wohltätern. Er fragte auch nach Meta Norgaardt und suchte sie in der Küche, aber sie war im Augenblick nicht zu finden. Es hieß, sie sei in den Garten gegangen, um Kohl zu schneiden, so ging er denn dorthin.

Draußen lag hoher Schnee. Über Hof und Garten hatte der Winter eine dichte, weiße Decke gebreitet. Er brauchte nur den Spuren nachzugehen, sie zeigten ihm den richtigen Weg. Hoch geschürzt sah er Meta zwischen den grünen Büschen stehen und emsig schneiden. Sie hatte gar nicht gehört, daß jemand kam, der weiche Schnee dämpfte das Geräusch seiner schweren Schritte. Sie stand vornüber gebeugt, den Rücken ihm zugekehrt. Er blieb stehen und beobachtete sie. Er sah, wie aus den groben Holzschuhen zwei zierliche Fußgelenke hervorschauten; wo dann der Schneerand des Kleides den Blick begrenzte, da traten kräftigere Formen hervor. Die schwarzen Strümpfe, die stramm und glatt sie umschlossen, hoben sich deutlich ab von dem weißen Boden. Er stand ganz stille und regte sich nicht. – Nun richtete sie sich langsam auf, stemmte beide Hände auf die Hüften, hob den feinen Kopf und äugte nach der Dorfstraße hinüber. Sie schien jemanden zu erwarten.

Hans Thordsen mochte nicht länger den Lauscher spielen. Er räusperte sich, um sich bemerkbar zu machen. »Peter!« rief sie in diesem Augenblick und wandte blitzschnell den Kopf.

Eine Glutwelle schoß ihr hinauf bis ins Haar, als sie in Hans Thordsens bestürztes und verlegenes Gesicht sah; der stand da und sagte kein Wort. Einen Augenblick kämpfte sie einen schweren Kampf, ihre Augen blitzten, die Hände ballten sich und das glühende Rot wich zurück. »Schleicher!« rief sie mit zischender Stimme. Das gab ihm seine Fassung und sein Selbstgefühl wieder:

»Ich bin dir noch nie nachgeschlichen«, sagte er stolz.

»Was stehst du denn da und erschreckst mich?!«

»Ich wußte nicht, daß du am hellichten Tage vor Menschen so erschrickst!«

»Wenn man so überfallen wird.«

»Andere Leute überfallen dich vielleicht –, ich nicht!« Nun wurde auch seine Stimme hart und scharf. »Ich bin ordentlich und wie immer durch den Garten gekommen, was kann ich dafür, wenn deine Gedanken anderswo sind?«

»Was weißt du von meinen Gedanken?!«

»Genug, Meta Norgaardt, ich weiß jetzt genug!«

»Ach was! Kümmere dich um deine eigenen Sachen!«

»Das will ich auch. Ich will fort und kam nur hierher, um dir das zu sagen.«

»Na, das freut mich! Glückliche Reise!« sagte sie schnippisch.

»Es freut mich auch!« erwiderte er. »Ich komme an Bord des Schoners.« Als sie sich dann kurz umdrehte, setzte er hinzu, und jetzt hörte man deutlich den Ärger daraus hervor: »Nun brauchst du nicht mehr auf mich zu passen, und das ist auch gut, denn du hast wohl genug auf dich selbst zu passen. Nimm dich in acht, Meta!«

»Wie meinst du das?« Sie stand vor ihm und schaute ihm gerade ins Gesicht. Zwischen der Zornesfalte schaute so etwas wie Furcht heraus.

»Vor wem soll ich mich in acht nehmen? Vor dir?« Sie maß den breitschultrigen Riesen von oben bis unten mit flackernden Blicken; es war, als ob sie sich scheute vor dieser reinen, ruhigen Zornesglut.

»Vor mir nicht! Nein, vor mir bist du sicher! Ich tue dir nichts! Aber vor dir selbst nimm dich in acht und vor ihm, an den du dachtest, vor Peter Ottsen.« Nun war es heraus; er blickte sie fest an.

»Du bist ein Narr!« Sie lachte kurz und gezwungen und drehte sich halb von ihm ab.

»Ich bin's nicht, aber gar zu leicht hat er dich zum Narren und macht dich zum Gespött der Leute.«

Da sah sie zu ihm auf, halb mit trotzigem, halb mit bittendem Blick: »Bring' mich nicht ins Gerede, Hans!«

»Bring' du selbst dich nicht ins Gerede, Meta.«

»Es ist doch alles nicht wahr.« Sie griff nach seiner Hand; er zog sie aber zurück und steckte sie in die Tasche. Da faßte sie seine beiden Arme und redete hastig mit übersprudelndem Eifer: »Es ist doch gar nichts zwischen uns los. Was hast du nur? Ich stand hier in Gedanken und auf einmal hörte ich, daß einer hinter mir stand. Da dachte ich, es wäre der junge Herr.« Sie betonte stark dies Wort. »Und da fuhr es so aus mir heraus wie früher: Peter! – Was ist denn dabei los?«

»Deine Augen sagten mir eben noch etwas anderes.«

»Meine Augen? Ja, mir sieht jeder Mensch das Schlechteste von den Augen ab. Mir traut man jede Schlechtigkeit zu.« Sie zog die Schürze an die Augen und schluchzte: »Keinen Menschen auf der weiten Erde habe ich, der es gut mit mir meint, alle hacken auf mich los und treten mich in den Schmutz. Ich will fort! Ich will hin, wo mich niemand kennt!«

Da regte sich wieder bei ihm das Mitleid mit dem armen Geschöpf, das von klein auf für fremde Schuld hatte büßen müssen. Er zog ihr sanft die Hände vom Gesicht fort. – Wie schnell veränderten sich doch diese Züge. Der Trotz war verflogen und demütig bittend blickten ihn die Augen an, die eben vorher noch in aufloderndem Zorn gefunkelt hatten: »Hans, sprich nicht darüber, zu keinem Menschen! Es ist nichts, glaube es mir doch! Aber die Leute drehen mir aus meinen Worten einen Strick und peitschen mich damit vom Hofe.«

»Ich sage keinem was, aber ich wollte dich doch warnen.«

»Gib mir die Hand darauf, daß du keinem einzigen Menschen etwas sagst, auch deiner Mutter nicht.«

»Da brauch' ich nicht die Hand darauf zu geben. Wenn ich's sage, dann genügt das. Überhaupt ist Klatschen nicht meine Sache.« Aber sie hatte schon seine Rechte in ihre beiden Hände genommen: »Du gibst mir die Hand darauf, sonst habe ich keine Ruhe. Sag' ja, Hans!«

»Na meinetwegen denn: Ja!«

Ein heller Schein flog über ihr Gesicht. »Ich danke dir, Hans! Du bist gut! Und denke auch nicht schlecht von mir! Nein, das darfst du nicht!« – Sie fuhr mit der Schürze über die nassen Augen. »Fahrwohl, Hans, auf Wiedersehen!« – Ein Blitz aus ihren dunklen Augen, dann nahm sie den gefüllten Korb und lief nach Hause zu. An der Ecke beim Wall sah sie sich noch einmal nach ihm um. Er wandte sich links, der Dorfstraße zu, und ging ohne aufzuschauen den Weg weiter nach Falshöft zu.

Der Winter verging Hans Thordsen in gleichmäßiger Arbeit. Nachts schlief er auf dem Schoner, behielt ihn auch am Tage im Auge, dann aber arbeitete er fleißig im Hause und Garten seiner Mutter. Haus und Stall wurden neu ausgebaut, und im Garten gab es viel instandzusetzen. Er hoffte zu Ostern in Flensburg gute Heuer auf einem größeren Schiff zu erhalten; bis dahin sollte nämlich der gestrandete Schoner verkauft sein. Eine Bergungsgesellschaft, die ihn wieder frei baggern und ins tiefe Wasser schleppen wollte, hatte ein Angebot gemacht.

Acht Tage vor Ostern wollte Meta Norgaardt eines Abends nach der Birk, weil – wie sie zu Frau Ottsen sagte – sie notwendig etwas mit ihrem Vater zu besprechen hatte, und Peter Ottsen wollte eben mal nach Nieby hinüber zu August Nissen. In Wirklichkeit stand aber nach einer kleinen halben Stunde das Mädchen ganz allein in der Dämmerung am Kliff und spähte hinüber nach der Langfelder Straße. Sie sah nicht mehr so frisch aus wie vor einem halben Jahre. Müde und mit zusammengezogenen Augenbrauen sah sie starr ins Weite. Plötzlich zuckte sie zusammen. Ein Schrei, wie ihn die Rebhühner ausstoßen, wenn sie abends längst den Furchen laufen und sich suchen, erklang von der Noorseite her. Sie wandte den Kopf und sah, wie Peter Ottsen mit raschem Anlauf über den Graben sprang und dann mit eiligen Schritten den Abhang hinaufschritt.

»Ich habe einen Umweg machen müssen«, rief er ihr zu. »Hans Thordsen kam mir entgegen.«

»Ich warte schon lange«, sagte sie, »ich wollte erst –«.

Ja, was soll das überhaupt?« unterbrach er sie und seine Stimme klang hart. »Was jagst du mich hinaus in Nacht und Nebel aufs Kliff? Du hättest ja nur auf den Zettel gleich schreiben können, was du willst!«

»Ich muß dich notwendig sprechen, Peter! Glaube mir, es ist notwendig, sonst würde auch ich hier nicht stehen.«

»Na, denn heraus damit!«

Sie trat dicht an ihn heran, legte beide Arme um seinen Hals und blickte ihm gerade in die Augen. Er sah darin den Abglanz der auflodernden Leidenschaft; er zog sie an sich, aber einen kurzen Augenblick nur, dann ließ er sie los und versuchte ihre Arme von seinem Nacken zu ziehen: »Laß los, Füchslein!« neckte er.

»Nein!« rief sie laut und heftig; sie umklammerte ihn fester noch: »Nein, Peter, ich lasse dich nicht frei! Nie, niemals!« Da wurde er ungeduldig: »Sei nicht eigensinnig! Sonst muß ich dir zeigen, wer Herr ist!«

»Du sollst mein Herr sein, Peter. Schlag' mich, tritt mich, aber stoße mich nicht von dir!« Ein Zittern ging durch ihren Körper und schluchzend legte sie den Kopf an seine Schulter.

»Donnerwetter, was hast du denn heute, du kleine, wilde Hexe? Was willst du mir überhaupt sagen?« Seine Stimme klang unsicher.

Da reckte sie ihre zierliche Gestalt in die Höhe, legte den Mund an sein Ohr und flüsterte ihm leise einige Worte zu. – –

»Donnerwetter, Deern, das Malöhr fehlte uns gerade noch!«

Tief errötend stand sie vor ihm: Peter, verstoß mich nicht!« – Wie konnte sie süß und schmeichelnd bitten. Wie leidenschaftlich schmiegte sie sich an ihn!

Ja, Mädchen, was willst du denn von mir?«

»Du hast es mir doch versprochen, damals!«

»Was denn? Was meinst du, hätte ich versprochen?« Er machte sich frei von ihrer Umarmung, seine Stimme klang einen Ton härter.

»Peter, sag' nicht so was.«

Ja, ich will dich doch auch nicht im Stich lassen. Gott bewahre, ich bin ein anständiger Kerl. Aber das ist sehr schlimm, gerade jetzt.«

Da faßte sie seine Hand und drückte sie ans Herz. »Oh, was habe ich in den letzten Tagen ausgehalten! Tag und Nacht keine Ruhe! Diese Angst! – Ach, nun habe ich wieder ein bißchen Mut. Aber was wird dein Vater sagen, Peter?«

»Na, er ist auch mal jung gewesen. Ich muß ihm das vorsichtig beibringen, und, weißt du, du mußt möglichst bald fort.«

Ja, das muß ich wohl. Aber wohin?«

»In die Stadt, irgendwo. Ich sorge für alles, für dich und das Kind, aber hier in der Gegend darf nichts davon laut werden. Du nimmst nachher in der Stadt einen Dienst an.«

Sie starrte ihn mit ängstlichen Augen an: »Wie lange?«

»Das kannst du machen wie du willst.« Er hatte finster vor sich niedergesehen. Als sie jetzt schwieg, sah er sie wieder mit einem halben Blick an. – Nur nicht weich werden, Peter, hatte er sich zuerst gesagt, als sie jammerte. Nun aber stieg ein anderes Gefühl in ihm auf. Er wollte ja für sie sorgen, was wollte sie mehr?! – Er fing nämlich an zu begreifen, was in ihr vorging und da wallte der rohe Bauerndünkel in ihm auf. Die verlangt wohl gar, er sollte sie heiraten. Er stieß es, wie es bei ihm hoch kam, unvermittelt hervor: »Du meinst doch wohl nicht gar, ich soll dich heiraten?«

Das wirkte wie ein Faustschlag! – Sie sank nieder und umklammerte seine Knie: »Peter, denk' an dein Wort!« flehte sie. »Mach' mich nicht ganz unglücklich! Erbarme dich meiner!«

»Du bist wohl verrückt geworden!« schrie er nun ganz wütend. »Was denkst du dir denn?! Mein Vater würde mich vom Hofe jagen, noch ist er Herr!«

»Wir können ja warten«, bat sie noch einmal.

»Unsinn! Ehe ich nicht heirate, gibt der Alte den Hof überhaupt nicht ab.« Und etwas ruhiger setzte er hinzu: »Sei vernünftig, Meta, das geht wirklich nicht, aber ich mach's gut. Das Geld muß der Alte herausrücken und das tut er auch.«

Da sprang sie auf, als ob sie eine Schlange unter ihren Knien gefühlt hätte; jetzt wußte sie es gewiß, daß sie getäuscht und betrogen war. Mit einem Male kam über sie die alte Wildheit; es brach hervor all der Haß und der Trotz, der ihr von Jugend an ins Blut geimpft war. Sie stieß ihn zurück und ballte die Faust: »Ist das dein letztes Wort?« fragte sie drohend.

So gefiel sie ihm besser. Jawohl!« sagte er eisig. »Nun wollen wir nach Hause gehen, du rechts, ich links. Morgen sprechen wir uns wieder.«

»Wortbrüchiger Lump! Betrüger!« schrie sie.

»Sei vernünftig!« warnte er noch einmal. »Dann sorge ich gut für dich!« Damit wandte er sich um und ging.

»Ich will dein Geld nicht, du Schurke!« gellte es ihm nach in den Ohren. »Ich will meine Ehre, die sollst du mir wiedergeben oder –«

Er blieb stehen und wandte sich noch einmal um. »Sei vernünftig, Meta, und überlege dir die Sache bis morgen. Sei vernünftig!« – Er besann sich einen Augenblick und sagte dann freundlicher: »Komm denn, bis zur Schmiede können wir zusammen gehen.«

»Ehrloser, wortbrüchiger Mensch!« schrie sie und lief den Abhang hinunter. Als er ihr nachging, sah er unten am Noorwall ihre Gestalt im Dunkeln verschwinden. »Meta! – Meta!« rief er unvorsichtig hinaus, aber keine Antwort kam. Nur das Meer rauschte drüben mit gleichmäßigen Schlägen am Strande. Eine Weile blieb er noch stehen und lauschte, dann nahm er den kleinen, grünen Jägerhut ab und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirne: »Die Deern ist ja zu unvernünftig!« brummte er. »Wie kann der Birkfuchs sich so was einbilden!« Dann ging er nachdenklich nach Hause.

Zwei Tage später stand Meta Norgaardt im Zimmer des Herrn Aagesen in Gelting und bat ihn dringend, ihr doch ihre Ersparnisse, die sie in den letzten Jahren der Spar- und Leihkasse übergeben hatte, ohne vorherige Kündigung auszuzahlen. Der alte Aagesen machte Einwendungen, denn er war ein wohlmeinender und welterfahrener Mann, der recht gut wußte, daß den jungen Leuten die Taler um so leichter aus der Hand rollen, je voller sie ist.

»Ich muß das Geld aber haben, Herr Aagesen, ich muß es notwendig gleich mithaben. Bitte, bitte, geben Sie es mir«, bat sie.

»Aber, mein klein Deern, dann verlierst du ja die Zinsen, und das geht doch nicht!«

»Das macht nichts, Herr Aagesen, wenn ich nur das Geld kriege, das ich eingezahlt habe.«

»Aber, mein klein Deern, das darf ich doch nicht, das geht nicht nach den Statuten, sieh mal hier, § 4 sagt ...«

»Ich gebe Ihnen mein Buch, Herr Aagesen, dann geben Sie mir wenigstens erst mal die Hälfte.«

»Willst dir doch nur ein neues Kleid kaufen oder einen neumodischen Hut mit roten Bändern. Nein, mein klein Deern, das –«

Da sah er, wie ihr die Tränen über die Backen liefen, wie Angst und Sorge aus ihren Augen sprach, und plötzlich sagte er mit ganz veränderter Stimme: »Es scheint mir doch ein besonderer Fall vorzuliegen. Sei ruhig, heul' nicht, ich will dir die Hälfte geben.« Dann zählte er ihr eine Reihe preußischer Taler auf den Tisch. »Der Rest ist zum 1. Juli fällig. Hier, schreib deinen Namen dahin.«

Meta schrieb, schob das Geld zusammen, wickelte es sorgfältig in ihr Taschentuch und ging.

Am nächsten Morgen, als alle auf Schnarstruphof noch in tiefem Schlafe lagen, trat aus der Küchentür leise und vorsichtig eine Frauengestalt und sah sich scheu nach allen Seiten um. Der alte Hektor, der aus dem runden Hundehaus hervorlugte, bellte kurz auf, sie rief ihn mit gedämpfter Stimme an, und verständnisvoll knurrend zog er sich zurück. Geräuschlos fiel die Klinke wieder ins Schloß, dann nahm sie ein ziemlich umfangreiches Bündel von der Erde und schwang es am Zipfel auf den Rücken. Vorsichtig ging sie hinten durch den Garten, dann den Fußsteig quer über die Koppel auf den Weg nach Gelting zu.

Als der alte Fuhrmann Lassen mit seinem Planwagen hinter Suterhallig langsam die tiefe Wagenspur entlang schleuste und dabei Berechnungen anstellte darüber, was er beim Verkauf der Eier verdienen könnte, die hinten im Buchweizenkaff lagen, wurde er plötzlich in seinem Exempel gestört. »Können Sie mich mitnehmen?« rief eine Frauenstimme.

»Brrr! Platz genug!« Als er anhielt, wurde ihm zuerst ein großes Bündel gereicht, dann schwang sich ein Mädchen in den Wagen und nahm an seiner Seite auf dem Wagenstuhl Platz.

»Wohin denn?«

»Nach Kappeln.«

»Wollen Sie da in Dienst gehen?«

»Nein.«

Das war ja merkwürdig. Erst nach einer ganzen Weile fragte der alte Lassen weiter: »Wo wollen Sie denn eigentlich hin, wenn man fragen darf?«

»Nach Amerika. – Nun wissen Sie es!«

Das klang abweisend und unwillig. Da nahm der Fuhrmann seine kurze Pfeife aus der Tasche und setzte sie in Brand. Keiner sprach ein Wort mehr, nur der »Näsenböter« brodelte und die Pferde schnaubten in der frischen Morgenluft. Als sie im Wirtshaus Knefferbek einkehrten, blieb das Mädchen auf dem Stuhl hinter dem Plan sitzen. Erst als sie in Kappeln aus dem Wagen stieg, fragte sie ihn: »Wann fahren Sie wieder zurück?« – »Morgen abend«, sagte er. »Dann bin ich schon weit«, sagte sie recht laut und gab ihm seine vier Schillinge. »Adjüs!«

Kopfschüttelnd ging er fort. Meta Norgaardt fuhr bald darauf mit dem Dampfer nach Schleswig.

Als man in Schnarstruphof aufstand, fehlte Meta, sie war nirgends zu finden. Auf dem Küchentisch lag ein Brief, der war an allen Ecken fest verklebt und mit einem Fingerhut petschiert; gerichtet war er an Frau Ottsen. Als sie ihn aufmachte, fand sie nur die Worte: »Ich muß fort. Hier kann ich die Schande nicht ertragen. Ich bin unglücklich, Ihr Sohn ist wortbrüchig und ehrlos!«

Nachher gab es in der Wohnstube einen Riesenkrach; zuerst hatte Peter einen großen Mund, dann aber kam es anders. Thomas Ottsen brüllte, daß es im ganzen Hause widerhallte, und Peter wurde immer stiller. Als er aber fortging, schlug er die Tür hinter sich zu, daß die Fenster klirrten, dann ging er schnurstracks ins Wirtshaus zu Lewetz, setzte sich auf den Platz, wo früher sein Vater so oft gesessen hatte und trank ein Glas Grog nach dem anderen, wie es sein Vater so oft getan hatte.

Im Leutezimmer war abends große Aufregung, man erzählte vielerlei. Da hatte der eine Knecht damals dies gesehen, der andere das. Die Meiereimädchen hatten das schon lange gemerkt, sie hatten bloß nichts sagen wollen. Aber natürlich: Ort lett nich von Ort, und Speck lett nich von Swort! hieß es. Die roten Haare stammten doch von der Komödiantendeern her. – Das war ihr ganz recht, sie hatte die Nase in der letzten Zeit so hoch getragen und war doch nichts weiter als die Betteldeern aus der Birkkate. Alle fielen sie über den Birkfuchs her und ließen ihm kein einziges gutes Haar.

*

Der Frühling hat in Angeln seinen Einzug gehalten. In den Gärten stecken die Kartoffeln ihre ersten grünen Blätter aus der grauen Erde, die Erbsen klettern in langen Reihen am Strauchwerk empor, auf den Beeten blühen Herzblumen, Akelei und Tulpen, auf den Wällen Syringen und Goldregen. Was ist das für eine Pracht und für ein Duft! Die Kastanienbäume haben tausende von rötlich-weißen Kerzen aufgesetzt. An allen Blüten summen und brummen fleißige Bienen. Auf dem Teiche schwimmen die Enten umher, die Alten mit ihren Küchlein. Sie schnabbeln und schnalzen im grünen Entenflott. Der Enterich führt seiner Schar Taucherkunststücke vor; wenn er wieder mit dem Kopf nach oben kommt, macht er einen Heidenlärm. Er freut sich der Kinderschar und des Frühlings, im übrigen handelt er nach dem bekannten, echt menschlichen Spruch: Selber essen macht fett! Sein großer Vetter, Herr »Gander«, nimmt es ernster mit seinen Vaterpflichten, er hat auch besser das Zeug dazu. Während seine gelbwolligen Kinder sich am frischen, jungen Gras am Teichrande laben, späht er argwöhnisch umher. Wehe dem barbeinigen Bübchen, das sich naht! Jetzt reckt er den Hals steifweg nach vorn, zischt in gewaltigem Grimm und geht zum Angriff auf den vermeintlichen Feind vor. »Laat mi gahn, ick don di nicks«, fängt dieser an zu verhandeln und bleibt stehen. Herr Gander bleibt auch stehen und macht den Hals etwas krummer. Das nennt man Waffenstillstand. Der Junge meint aber, der Friede sei schon gemacht, und schickt sich an, in weitem Bogen den Wegelagerer zu umgehen. Sofort macht Herr Gander einen Vorstoß, sein wütendes Geschrei ruft nun Frau Goos heran. Sie geht auch mit gesenkten Flügeln auf den Feind los. Das Büblein reißt aus; die beiden Sieger stecken die Köpfe zusammen, schlagen mit den Flügeln und stoßen ein schmetterndes Triumphgeschrei aus. Mit schweren Schritten kommt Mutter Thordsen gegangen. »Gaht los!« sagt sie ärgerlich, als die rotschnäbligen Raufbolde nach ihrem Rock herauffassen. – »Töw, du Racker!« Damit packt sie mit raschem, festem Griff Herrn Gander am Hals und schmeißt ihn in den Graben. Jungs möt nicht so bangbüchsig wäsen«, sagt sie und geht weiter ihres Weges. Der Junge hört es kaum noch, unter seinen bloßen Füßen wirbeln Staubwolken auf, so eilig hat er es. Die Gänse stecken wieder die Köpfe zusammen und beschnattern den Fall, Herr Gander beschönigt seine Niederlage; seine Frau ist anfangs sehr entrüstet, beruhigt sich aber bald. Die Kinder piepsen dazwischen und hocken sich dann am Teichrande zu einem gelblichen Knäuel zusammen. Still und friedlich ist es wieder auf der Dorfstraße. – Von dem weißgestrichenen Heck aus, an der anderen Seite des Weges, hat man einen herrlichen Überblick über die Gegend. Nicht jedem gab der liebe Gott die richtigen Brillengläser, die Wunder zu sehen, die er ausstreut über Felder und Wiesen. Die leichtlebige Jugend pflegt weitsichtig darüber hinweg zu blicken, sie meint, es seien ganz gewöhnliche Dinge und es sei jedes Jahr das gleiche. Sie sieht Gutes oder Nützliches, wie Gras und Korn, Schlechtes oder Unnützliches, wie Disteln, Klint und Quecke; sie glaubt, es müsse alles so sein, wie es nun einmal ist, und etwas besonders Schönes sei nicht zu finden in einem Lande voller Korn und Graskoppeln, Strohdächer und Knicks. Dem Alter aber, dem der Herrgott so manches nimmt, gibt er dafür etwas anderes: er schärft den Blick, er macht das Herz empfänglicher und dankbarer für alle Pracht und Herrlichkeit, die er über Tal und Höhen, über Moor und Heide ausbreitet.

Wie ein großer Garten liegt im Frühling das Land Angeln vor uns. Kreuz und quer durchschneiden buschbewachsene Knicks das Gelände. Eigenartige Gärtner müssen es gewesen sein, die einst dies anlegten, jedenfalls sind heute die Gründe nicht mehr erkennbar, die unsere Voreltern veranlaßten, hier in schwungvollem Bogen und dort im Zickzack den Wall um die grünen Roggenkoppeln zu führen. Sie wollten uns wohl etwas zu raten aufgeben. – Alle diese Hasel- und Weiden-, die Hainbuchen-, Erlen- und Kreuzdornhecken laufen kreuz und quer durcheinander, und was sie einschließen, sind unregelmäßige Figuren mit spitzen und stumpfen Winkeln, Kurven und Kreisbögen. Jede aber von ihnen zeigt sich in besonderen Farben. Rot und grün gesprenkelt liegt das Kleefeld, umrahmt von blühendem Weißdorn; braun das Brachland, über das der Pflug ging; grün, mit einem Schimmer von Gold, das Sommerkorn. Wenn der Bauer das sieht, wird er mißvergnügt, denn der Ackersenf nimmt seinem Hafer die beste Kraft und trotzt allen Angriffen. Es ist, als wenn »der böse Feind« ihn über Nacht gesät hätte. – Wie lacht er aber übers ganze Gesicht, wenn sein Blick auf dem Rapssaatfeld haften bleibt, das in goldigem Glanze weithin leuchtet! Wenn der Raps gut in die Säcke kommt, und wenn die Preise bis dahin nicht fallen, dann füllt sich die Schublade der alten Schatulle mit preußischen Talern und guten Scheinen! – Und der schmale Streifen Flachs leuchtet so blau wie der Himmel da droben; die Bauernfrau läßt seine zarten Stengel durch die Finger gleiten und ihre Augen leuchten auf, wenn er hübsch dicht steht und recht lang ist. Wie eben und fein wird sie ihn im Winter ausspinnen, wenn sie ihn erst auf dem Rocken hat.

Wenn man dann von all dem Sehen müde wird, legt man sich am Grabenrand ins hohe, weiche Gras und blickt hinauf in das grüne Dach des Knicks und in die weißen Wolken, die zwischen den Blättern hervorleuchten. Wie liegt man da schön! Der Hänfling, der im dichten Schwarzdorn sein Nest hat, singt sein schönstes Liebeslied; ein ganz altes ist es, aber kein Neuzeitlicher kann's besser. Die Goldammer hat in dieser Zeit den schönsten gelben Brustlatz vorgebunden und ruft so ganz anders ihr »leck, leck, schie!« als im Winterschnee, wenn sie scheu den Hühnern die Körner stehlen muß. Jetzt ist der Tisch ihr überall gedeckt.

In den Lüften summt und surrt und klingt es, als wenn in der Ferne oder im hohen Himmel Streichmusik gemacht würde; das sind die Bienen und Hummeln, die über uns hinweg mit leichtem Flug ins Feld ziehen und schwer beladen heimkehren. Sieh, da setzt sich eine auf die Himbeerblüte am Wall, sie ist müde, aber die dicken, gelben Höschen, die sie aus dem Ackersenf holte, sind noch nicht schwer genug! Sie nascht hier vom Löwenzahn und vom gelben Klee, sie setzt sich dort auf den nickenden Kelch des Hahnenfuß – fort ist sie wieder! Hoch über uns in der blauen Luft wirbeln schwarze Pünktchen hin und her, sie tummeln sich im Kreise und tanzen in der Sonne. – Eine Schwalbe schießt in pfeilschnellem Fluge durch die lustige Gesellschaft und hascht spielend ihre Beute: »Kwiwitt! Kwiwitt!« Noch eine und noch eine! Sie macht gute Geschäfte. Der Maisebber am Buchenbusch fürchtet die Schwalben nicht; die Sonne scheint ihm so warm aufs braune Rückendach, daß auch er Lust zum Auffliegen bekommt, obgleich er gestern abend bis Mitternacht in lauer Luft geschwärmt und geliebt hat. Er pumpt und pumpt mit den Flügeldecken eine ganze Weile, er spreizt an seinen Fühlern die Fächer so weit er kann. – Burrr nun geht er ab und sucht sich eine andere Frau. Ganze Schwärme von Kohlweißlingen und Pfauenaugen tummeln sich auf den Schafsgarben und den roten Distelköpfen am Wege; sie hängen oben an den leuchtenden Kelchen der wilden Rosen, die zwischen den Haselsträuchern hervorlugen, sie gaukeln und schweben leicht und lustig in den Lüften. – Unsere Blicke und Wünsche und Gedanken folgen ihnen ins Weite, ins Blaue, in die Unendlichkeit. – –

Hans Thordsen war auch wieder ins Weite gegangen. Das gestrandete Schiff ebenfalls. Man hatte ihm eine Fahrrinne durch den Sandrewel gebaggert, zwei schwarze Gesellen waren von Süden gekommen, sie hatten schwere Schlepptrossen an den Pollern des Strandlings festgemacht. Und dann qualmten beide los. Es war ein starker Toback! Der alte Kasten knarrte und knackte in den Fugen, genau wie damals, als er hier, zum ersten Male Sand unter dem Leibe gespürt hatte. Die Falshöfter Jungens standen und riefen: »He kümmt!« und dann riefen sie wieder: »He sitt!« Endlich aber schrien sie alle: »Hurra! – He geiht! – Hurra!!!« Das Schiff legte sich nach Backbord über in die Fahrrinne und glitt hinaus auf die hohe See.

Peter Ottsen hatte auch etwas auf dem Sand gesessen, er war aber auch wieder flott geworden. Sein Vater hatte es für gut befunden, daß er sich mal ein ganz anderes Fahrwasser aufsuchte. Es wurde nämlich in der Gegend so viel getuschelt und geflüstert, man steckte die Köpfe zusammen, wenn Ottsens sonntags vor der Kirche aus dem Wagen stiegen; wenn sie dann fragten, was da los sei, dann hatte niemand etwas gemeint oder gar gesagt. – Aus der Verlobung, die vor langer Zeit schon fix und fertig beredet und beschnackt war, war schließlich doch nichts geworden. Es war zu keinem Bruch gekommen zwischen Kallumhof und Schnarstruphof, weder zwischen den Alten, noch zwischen den Jungen. Dazu waren sie zu angesehene Leute. »De Saak is todrögt«, sagte der alte Weber. Warum? Na, wegen der dummen Geschichte mit dem Birkfuchs. – Was denn? – Ja, sie sollte doch mit Peter – –.

Bestimmtes wußte keiner. Und doch wußte man genug, denn der alte Ottsen hatte noch immer die Gewohnheit, daß er mit sich selbst redete. Wenn die Wände schon Ohren haben – die Knicks haben erst recht Ohren! – Und dann, was hatte Meta Norgaardt nötig, nach Amerika zu gehen? – Kurz und gut, damit das Gerede aufhörte, war Peter Ottsen fortgegangen. Er hatte eine Verwalterstelle auf einem adeligen Gut in Schwansen angenommen, wo es fein hergehen solle.

So ging denn alles wieder ruhig seinen alten Gang. Der Frühling war ins Land gerückt, der Sommer folgte und der Herbst brachte das Korn in die Scheuern. Auf jedem Hof hing wieder am Balken der Hausdiele die neue Erntekrone aus Ähren und Knittergold, und in der Geltinger Kirche war dem lieben Gott sein Recht geschehen; die Erntedankpredigt war gehalten. Nun konnte der Winter kommen.

Über ein Jahr lang hatte Thomas Ottsen keinen Grog und keinen Branntwein getrunken, Bier war für ihn niemals in Frage gekommen. Das Hausstandsbier, das in einem Faß unter der Bodentreppe im Hausflur lag, war zu dünn und labberig. Das spürte man nicht; Lagerbier aber hatte man in seiner Jugend noch gar nicht gekannt, daran hatte er sich nicht gewöhnt. Der Grog war sein schlimmster Feind gewesen.

»Thomas Ottsen hat 'ne Kur gebraucht«, sagte der Geltinger Krüger. »Die hat angeschlagen, er trinkt gar nichts mehr.«

»Was denn für 'ne Kur?« hieß es.

Man wußte verschiedene Mittel: Branntwein, in dem sich ein Aal totgelaufen hatte, Tee von Schöllkraut, der nüchtern bei abnehmendem Mond getrunken werden müsse, usw. Man sprach auch von Fällen, wo das nicht geholfen hatte, und war schließlich der Meinung, daß »Sympathie« das einzige sei, was vielleicht helfen könne. Bei Kappelholz sollte eine alte Frau wohnen, die sich auf so etwas verstand, vielleicht war Thomas Ottsen bei der gewesen. – –

Anfangs hatte er, wenn bei ihm Gesellschaft war und dann das Punschen losging, seine eigene Mischung bekommen. Der Arzt hätte ihm wegen seines Magens Tropfen gegeben, die er zum Punsch gießen sollte, sagte seine Frau. Die Dienstboten wußten aber, daß es Tee mit Zuckerfarbe war. Jedenfalls blieb der Hausherr dabei nüchtern, und die Gäste unterließen jede Anspielung. War er anderswo in Gesellschaft, so sorgte seine Frau dafür, daß er »sein Getränk« bekam, und er ließ anspannen, sobald man beim Punsch laut zu werden anfing. In Wirtschaften kehrte er selten ein, dann trank er seine Tasse Kaffee und wies jede Einladung zum Grog scharf zurück.

Er hatte durch den Vertrag, den er damals am Noor abschloß, etwas opfern wollen. Es war ihm dies Opfer groß und schwer erschienen in jenem ersten Augenblick, aber er forderte auch viel dafür: das Leben seines Sohnes. Nachher merkte er, daß er eigentlich nur gewonnen habe; der Verzicht hatte ihm den Sieg gegeben über seinen unsichtbaren, furchtbaren Feind. Ein Gefühl der Sicherheit kam nun über ihn, zugleich aber ein gewisses, ruhiges und sicheres Selbstbewußtsein.

An einem Sonnabendmorgen war es, als es an seine Wohnstubentür klopfte. Auf das kräftige »Herein!« erschien Jens Norgaardt und grüßte höflich: »Gunn Morgen!« – »Dag!« war die kurze, etwas verwunderte Antwort, und »Na?« klang es fragend hinterher. Jedem Tagelöhner wurde ein Stuhl angeboten, Jens Norgaardt nicht. Mit kurzen Tritten kam er näher an den Bauer heran: »Ich soll Sie mal sprechen.«

»Denn man los!«

»Ich soll Sie aber sagen, das ist eine wichtige Sache, um die ich komme.«

Thomas Ottsen wurde es etwas ungemütlich, es war ihm, als wenn eine Natter sich über seine Schwelle geschlängelt hätte, die nun den Kopf erhob und ihn mit der gespaltenen Zunge anzischte. »Was wollen Sie denn eigentlich?« fragte er barsch.

Jens Norgaardt holte sich einen Stuhl heran und im Flüstertone erzählte er dem Hausherrn eine lange Geschichte. Seine Tochter sei ein hübsches Mädchen und nicht schlecht. Sie sei fortgelaufen bei Nacht und Nebel, und nachher sei viel geklatscht worden. Er habe das nicht geglaubt. Kein einziges Lebenszeichen habe er seitdem von ihr erhalten, erst gestern sei eins gekommen, von weither, von Amerika. Nun wisse er alles.

»Zeigen Sie doch mal den Brief, sagte Thomas Ottsen und bezwang sich. Seine Stimme klang so ruhig, als wenn er um ein bißchen Feuer gebeten habe. Aber der andere war schlau.

»Den geb' ich nicht aus der Hand«, sagte er kurz.

»Warum nicht? Glauben Sie, daß ich Ihnen den wegnehme? Was geht mich die Sache überhaupt an?«

Der andere lächelte höhnisch. »Na, als Großvater wird Sie die Sache doch was angehen!«

Da fuhr der Bauer von seinem Sitz auf, als hätte die Schlange ihn mit ihrem Giftzahn geschlagen. »Kerl, mach', daß du 'raus kommst!«

»Oho«, sagte der patzig, »das hat keine Eile.«

Thomas Ottsen stand vor ihm. »Ich schmeiß' dich hinaus, daß du deine Knochen im Sack nach Hause tragen mußt, wenn du nicht gleich gehst. Heraus! sag' ich!«

Da fuhr Jens Norgaardt giftig auf: »Man zu! Dann weiß heute noch das ganze Dorf, was los ist. Sie fragten mich schon in Falshöft, ob Hans Briefträger mir nicht einen Brief von Meta aus Amerika gebracht hätte.« Er sah Thomas Ottsen an. Der hatte die Faust sinken lassen und stand nun da, die Zähne fest zusammengepreßt, hochrot; die Adern auf der Stirne waren geschwollen. Also das mit dem Brief mußte wahr sein. Verdammte Geschichte, nun ging die Schnackerei wieder von neuem los. Dieser Schuft würde schon für Stoff sorgen. »Was wollen Sie denn eigentlich von mir?« fragte er dann mit unsicherer Stimme.

»Es geht der armen Deern so schlecht drüben unter den fremden Menschen.« Jens Norgaardt machte wieder ein wehleidiges Gesicht.

»Na, denn will ich ihr Geld schicken, geben Sie mir die Anschrift«, sagte Thomas Ottsen.

»Herr Ottsen, Sie sind ein guter Mann«, schmeichelte der Vater, »Sie sollen auch vielen Dank haben! Aber ich will Ihnen einen anderen Vorschlag machen. Sehen Sie, was soll ich hier im Lande noch machen? Meine Frau ist tot, mein Kind ist fort, ich möchte auch nach Amerika. Geben Sie mir das Geld.«

»Wieviel?«

»Fünfhundert Taler.« Jens Norgaardt sagte das in sehr bestimmtem Tone.

»Fällt mir gar nicht ein.«

»Fünfhundert Taler!« sagte der andere drohend. »Keinen roten Dreiling weniger. Sonst –«

»Sonst?« fragte der Bauer und streckte wieder die Hand nach dem Manne aus, der frech lächelte.

»Na, ich sagte ja schon, was sonst passiert«, sagte der, gleichzeitig brachte er aber seinen Stuhl zwischen sich und den Gegner.

»Verfluchter Erpresser!« schrie der Bauer. Mit jeder Selbstbeherrschung war es nun vorbei. Im nächsten Augenblicke hatte er den Dänen an der Brust gepackt, daß der alte Rock in allen Nähten knackte. Da kam auch Hektor unter dem Sofa hervor und fuhr mit wildem Gekläff auf den Mann los. Bald darauf fiel die Tür dröhnend ins Schloß. Mit einem Hohngelächter eilte Jens die Stufen vor der Haustür hinunter. Als Thomas Ottsen aus dem Fenster blickte, sah er auf dem Hofplatz neben der Pumpe ein wutverzerrtes Gesicht und eine drohend erhobene Faust. »Das soll dir teuer zu stehen kommen, verdammter Geizhals!« hörte er ihn brüllen. Da rief er seinem Hund zu: »Hektor, faß!« Gleichzeitig ergriff er den dicken gebogenen Eichenstock, der neben der Uhr im Zimmer stand, und rannte hinaus auf den Hof. Es war aber nicht mehr nötig, hinter dem Teich bog Jens Norgaardt um die Ecke; man hörte nur noch sein höhnisches: »Auf Wiedersehen, vor Gericht, Großvater!« Die Tagelöhner auf der Lohdiele guckten über die untere Scheunentür hinweg. Als sie den Herrn sahen, traten sie eilig zurück und gleich darauf klappte es wieder laut und gleichmäßig auf der Tenne.

Der Himmel war so klar und hell, und doch herrschte an diesem Vormittag Gewitterluft auf Schnarstruphof. Zwischen die Drescher flog schon bald ein Donnerwetter, weil sie nach Ansicht des Herrn nicht rein ausgedroschen hatten. »Spitzbüberei überall!« knurrte Thomas Ottsen noch im Fortgehen.

»Der kommt heute noch mit 'nem Bussemann nach Hause, er hat seine Tour«, meinte der alte Tagelöhner Thomsen, und schwang wieder gleichmütig und gleichmäßig den Dreschflegel.

Die anderen bestritten das: »He is dorvon af!« war ihre Meinung.

Die Mädchen waren hinter der Scheune damit beschäftigt, das Buschholz aus den Knicks in kleine Stücke zu hauen; die Beile klapperten lustig auf den Haublöcken, ebenso fix gingen aber auch die Mäuler. Man hatte den Vater des Birkfuchses kommen und gehen sehen, er hatte geschimpft und mit der Faust gedroht. Das hatte was zu bedeuten. Nun ging der »Birkfuchs« von Mund zu Mund, und ihre Ehre ging dabei ebenso gründlich in Stücke wie das Holz. Line Carstens, eine starkknochige Meiereideern mit breiten Hüften und dreistem Gesicht, war am meisten darüber entrüstet, daß »die Rothaarige« sich so angeschmeichelt hätte bei »der Frau« und dann hochnäsig geworden sei. Sie stemmte beide Arme in die Seite und rief: »So 'ne Betteldeern, dachte wohl gar, sie wollte hier – .« Da bog Thomas Ottsen um die Hausecke, und das Gespräch verstummte, desto eifriger aber klapperten die Beile.

»Merkwürdig ist es«, knurrte der Alte und sah Line Carstens scharf an, »daß die faulen Deerns immer das fleißigste Mundwerk haben.« Damit ging er weiter. Er ging ins Dorf und machte in der Schmiede Skandal, weil die Kuhketten noch nicht heil gemacht waren, er schimpfte beim Rademacher, weil er das Eschenholz noch nicht bezahlt hatte; dann brummte er zu Hause, weil das Essen noch nicht auf dem Tisch stand.

Beim Mittagessen sprach er wenig. Seiner Frau, die im Nebenzimmer genug von der Unterredung gehört hatte, gab er ausweichende Antworten. Er wollte nachmittags nach Kappeln zum Advokaten, das sagte ihr genug.

Gleich nach dem Mittagessen fuhr Thomas Ottsen denn auch los, den Kutscher wollte er nicht mithaben, er kutschierte selber. Als der junge Fuchs, der noch nicht lange in den Sielen ging, vor dem weißen Kreuzpfahl die Ohren spitzte, hin und her tänzelte und dann einen kurzen Seitensprung machte, zog der Herr fluchend die Zügel scharf an; klatschend sauste die Peitsche dem »Schinner« um den Leib, daß er hoch aufstieg und schnaubend vorwärts drängte. – Aber die alte Liese war vernünftig, sie fiel nur einen Augenblick in einen kurzen Galopp und dämpfte den Übermut des jugendlichen Genossen. Der schlug noch einmal mit beiden Hinterbeinen aus, machte dann aber gute Miene zum bösen Spiel. Ja, es war heute ein schlechter Tag, und der Alte auf dem Bocke hatte noch eine feste Hand!

Dicht vor Kappeln kam ihm ein Mann entgegen, der blieb vor dem Sandbecker Wirtshaus stehen und grüßte höhnisch: »Gunn Dag, Großvadder!« Das war Jens Norgaardt. Was mochte der in Kappeln zu tun gehabt haben?!

Es gingen Thomas Ottsen allerlei Gedanken durch den Kopf, als er sich auf den Weg machte nach Rechtsanwalt Boysen. Dort war er bekannt, leider! Er hatte seine Hilfe in Anspruch nehmen müssen, als er damals im Geltinger Krug den dummen Handel gemacht hatte mit dem Hamburger Pferdehändler. Natürlich war er betrunken gewesen, sonst hätte er besser rechnen können. Aber übers Ohr hauen ließ er sich darum doch nicht. Ohne Zweifel hätten ihm die Gerichte darin recht gegeben, doch liebte er es, kurzen Prozeß zu machen, namentlich wenn er ein Dutzend Glas Grog hinter der Weste hatte. Das hatte er damals aber mindestens. Es dauerte dann auch gar nicht lange, da packte der breitschulterige Bauer den langen Pferdehändler an der Brust, schüttelte ihn wie ein Bund Flicken und warf ihn höchst eigenhändig zur Tür hinaus. Thomas Ottsen versicherte lachend, daß ihm so ein bißchen Bewegung gut tue; der Pferdehändler aber faßte die Sache anders auf. Er hatte statt des erhofften Gewinnes Hohn und Spott und außerdem eine Verrenkung der Schulter davongetragen, das ging ihm über'n Spaß! So ging denn das Klagen los. – Auf diese Weise war Thomas Ottsen mit dem Rechtsanwalt Boysen bekannt geworden. Er war damals mit einem blauen Auge davongekommen, aber allerlei Geld hatte es ihm doch gekostet. –

Als er jetzt wieder vor dem blanken Messingschild stand, auf dem zu lesen war: »Rechtsanwalt und Notar«, hatte er ein besseres Gewissen als damals. Das war eine dumme Sache gewesen, die in der Groglaune passiert war, und wegen der er sich nachher redlich schämte, heute aber vertrat er eine gerechte Sache. So sagte er sich wenigstens selbst.

Als er wieder aus dem Sprechzimmer fortging, sah er freilich nicht so recht zuversichtlich aus. Jens Norgaardt war nämlich auch schon dagewesen und hatte ein Attest von Dr. Spliedt vorgezeigt. Und dann die Sache mit dem Mädchen drüben in Amerika, das war recht unangenehm! – Abwarten!« sagte ihm der Advokat, »und dann einen möglichst annehmbaren Vergleich eingehen!« – Wenn man den Kerl gleichzeitig aus der Gegend los würde, dann sei das das beste. Aber er sei ein Blutegel und das ein ganz abgefeimter.

»Abwarten!« Das ist ein schlimmes Wort, das schlimmste für einen Mann, der am liebsten gleich alles übers Knie bricht. Durch Tage und Wochen hindurch drängen sich dann unangenehme Erinnerungen an den Menschen heran; man grübelt und plant, rechnet und redet, beugt hier vor und wehrt dort ab – und schließlich kommt doch alles ganz anders, als man es sich zurechtgelegt hatte. Thomas Ottsen war kein Mann fürs Abwarten! Lieber gleich ein Unglück oder ein Verlust an Geld, als sich darüber den Kopf zerbrechen, wie groß der Schaden werden kann. Wäre in diesem Augenblick Jens Norgaardt mit seiner Forderung ganz bescheiden an ihn herangetreten, dann hätte er die 500 Taler wahrscheinlich bekommen. Nur nicht diese verdammte Ungewißheit, die ihre Schatten weithin warf, die nachts die Augen offen hielt, daß er stundenlang die Regentropfen vom Strohdach fallen und die Mäuse auf dem Boden laufen hörte. Das machte ihn von jeher mürrisch und auffahrend und abends ruhelos.

Ein Mittel gab's freilich, die dumpfe Schwere im Gemüt zu heben, das unbehagliche Gefühl zurückzudrängen und Licht in die dunkle Gegenwart zu tragen. Aber das durfte er nicht mehr anwenden; und trügerisch war es doch auch immer gewesen. Nein, im Glase durfte er den Trost nicht suchen! – Mit finsterer Stirn ging er die Straße entlang dem Hafen zu. Am Markt wandte er sich links und kam auf den Kirchplatz, dort setzte er sich auf eine Bank. Aus den kleinen Häusern unter ihm am Bergabhang stieg blaugrauer Rauch empor; der Wind, der von der Schlei herüberwehte, trug ihm den Duft von geräucherten Heringen zu. Glatt und blank lag die Schlei, nur an den langen Heringszäunen kräuselten sich leise die Wellen. Ein paar Fischerboote kamen von Maasholm und legten unten am Bollwerk an, eine breite holländische Kuff mit grünem Rumpf und braunen Segeln glitt vorüber nach Schleimünde. Drüben jenseits der Schlei glitzerten die Bäume und Büsche im Silberglanz des Reifes, heller noch als die weißen Giebel und Schornsteine der Häuser von Ellenberg. Unter schimmernder, blendend weißer Schneedecke ruhten die Felder von Schwansen. Hinter der Anhöhe drüben, links von dem hohen Buchenholz, mußte Olpenitz liegen; da war jetzt sein Sohn. –

Ein Schatten glitt über sein Gesicht und verdüsterte ihm das lichte und freundliche Winterbild. Er sah nicht mehr das schöne Land, nicht mehr die helle Sonne, die selbst den Rauhfrost flimmern und schimmern läßt. – Er sah Schweres und Schwarzes vor sich. Daran war sein Sohn schuld. Er biß die Zähne zusammen und murmelte: »Du Bengel hast mir das alles eingebrockt, du sollst noch lange warten, ehe du den Hof kriegst!« Dann ging er den Weg zurück, den er gekommen war, und bog links ab, den Fährberg hinunter.

Als er bei Scharsteins Hotel vorbeikam, hemmte er einen Augenblick seinen Schritt. Wo wollte er überhaupt hin? – Früher war er oft bei Scharstein eingekehrt und hatte manches Glas Grog dort getrunken, aber seit Jahr und Tag nicht mehr. Nun, eine Tasse Kaffee konnte er wenigstens trinken, er hatte zu lange da oben neben der Kirche gesessen, er merkte es jetzt, es war kalt geworden.

Das Zimmer war nahezu leer. Ein Handlungsreisender trank still sein Glas Grog und schien auf einen Kunden zu warten. Sonst war nur noch der Kellner da.

»Eine Tasse Kaffee!« sagte Thomas Ottsen.

»Ich will gleich welchen bestellen!« Der Kellner sagte das langsam und in einem Tonfall, als wollte er andeuten, daß die Kaffeezeit vorbei sei. Thomas Ottsen verstand ihn. »Dauert das lange?« – »Mamsell muß welchen machen!« Ohne große Eile ging der Kellner ab. Thomas Ottsen wollte aber nicht lange hier sitzen und – – . »Lassen Sie nur! – Bringen Sie mir – geben Sie mir mal ein Glas Portwein«, rief er dem Kellner nach. Im nächsten Augenblick stand das Verlangte auf dem Tisch; die scheidende Sonne, die ihre letzten Strahlen über die schimmernde Schlei hinweg in die Fenster und durch das Weinglas warf, malte rote, zitternde Ringe auf das helle Tischtuch.

In diesem Augenblick fluteten allerlei Gedanken durch den Kopf des Mannes, der ins Glas und auf das Tischtuch starrte, ohne zu trinken. Er stand wieder am Noor, wo er die Hand emporgestreckt und geschworen hatte. – Er schob den Wein zurück. – Er grübelte und schaute finster ins Glas. – Es flüsterte ihm eine schmeichelnde Stimme zu: »Trink doch! Es ist Wein! Er erfreut des Menschen Herz und tröstet die Traurigen!« Und eine andere Stimme sprach: »Du hast geschworen!« – »Es war kein Schwur, es war nur ein Vertrag!« rief die Verführerin. Er aber fing an zu deuteln. War damals in jenem Augenblick nicht der erste Faden gesponnen zu der Schlinge, die seinem Sohne über den Kopf geworfen wurde, und in der er, der Vater, nun steckte?! – Da hatte also doch der Teufel seine Hand mit im Spiel gehabt. Thomas Ottsen aber hatte sein Wort bis jetzt treu und ehrlich gehalten, seine Lippen hatten kein Grogglas berührt.

»Nun sind wir quitt!« – Der Kellner trat fragend einen Schritt vor, der Fremde blickte über das Zeitungsblatt hinweg, hatte der Mann halblaut mit sich selbst gesprochen? – Die Stimme kam aus dem Glas! –

»Das ist doch Portwein?« fragte Thomas Ottsen den Kellner.

»Alter Portwein!« bestätigte dieser.

»Gut! Grog trinke ich nicht«, sagte er, als ob er sich selbst beruhigen wollte. Er nahm das Glas, nippte und stürzte es dann in einem Zuge hinunter. »Noch eins!«

Es war, als wenn er die aufbrodelnden Vorwürfe ersticken müsse, so hastig trank er. Nun gab es kein Zurück mehr! – Aber das tat gut! Wie wenn der frische Frühwind über die Wiese fährt und die dicken Nebelschwaden verscheucht, daß man hinwegblicken kann über das freie Feld und in die lachende Sonne, so fegte ihm der Wein das Hirn. Das träge Blut kam in Wallung, das Herz, das von grauer Sorge bedrückt war, wurde ihm leicht; er sah jetzt hinweg über kleinlichen Ärger und hämisches Gerede. Er lächelte verächtlich, als er an die Drohungen des verlumpten Birkkerls dachte. Was wollten sie denn von ihm, und was konnten sie ihm wohl machen, dem Besitzer von Schnarstruphof?!

»Noch ein Glas Portwein!« – Der Kellner griff nach der Flasche.

»Ach, bringen Sie mir nur gleich eine Flasche, dann hört die Lauferei auf.« – –

»Eine halbe Stunde später saß der Geschäftsreisende mit an Thomas Ottsens Tisch, bald kam auch dessen Kunde, und dann kamen noch ein paar der bekannten feinnasigen Leute, die immer wittern, wo was los ist. Die Gläser klangen aneinander, sie wurden leer und wieder voll und wieder leer. Die Gesichter wurden rot, die Stimmen laut, Gelächter hallte durchs Zimmer, schwer fiel die Faust auf den Wirtstisch, daß die Flaschen und Gläser klirrten: »Hoch lebe der Wohltäter!« so riefen sie und tranken.

Der Mond stand schon am Himmel, als Thomas Ottsen in schlankem Trabe auf dem holperigen Kappler Pflaster heimwärts fuhr. Er hielt sich krampfhaft gerade, die Pferde kannten den Heimweg und beeilten sich, an ihre Krippe zu kommen. Im Wirtshaus zu Knefferbek schloß der alte Hausknecht gerade das Tor der Durchfahrt, und der Wirt löschte die Lampe in der Wirtsstube aus, als im vollen Galopp ein leichter Federwagen um die Ecke sauste. Vor der Durchfahrt hielt der Kutscher die Pferde an, daß sie hochaufstiegen.

»Dör opp!« rief eine laute Stimme. Der Wagen fuhr ein. Gleich darauf raunte der Krüger Lorenzen seiner Frau zu, die schon im Bett lag: »Thomas Ottsen ist da, er ist in vollem Suus!« Dann wurde die Lampe wieder angesteckt, und bald stand der Grog auf dem Tisch. –

Eine Stunde später halfen Wirt und Hausknecht dem späten Gast wieder auf seinen Wagen. Das war keine leichte Arbeit, denn er hatte einen schweren Körper und die Gewalt über sich verloren. »Dör opp!« lallte er und hieb mit heiserem Lachen auf die Pferde ein. Im rasenden Galopp ging's um die nächste Ecke.

»Wenn dat man gut geiht«, sagte der alte Jürgen Spratt, als er das Tor wieder schloß.

Um Mitternacht sprengten zwei Pferde, die das zertrümmerte Vordergestell eines Wagens hinter sich schleppten, auf den Hofplatz von Schnarstruphof. Der Kutscher und Frau Ottsen waren gleich aus den Betten. Zitternd, schweißbedeckt, mit aufgeblähten Nüstern standen die Pferde da; sie brachten aufregende Kunde.

»Alle Mann heraus! Laternen holen! Vorwärts! Den Weg nach Kappeln zu!« schrie die Frau mit gellender Stimme. Sie selbst eilte voran.

Bei der kurzen Bucht am Geltinghofer Hausgraben fanden sie ihn am Abhang liegen. Er war tot.


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