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VI.

»Nachdem wir die Dirn' so zum Mosevius hinübergeschafft hatten, schleppte ich sie in das Hinterzimmer, das die Frau Klingelbeutelinspektorin für den heimlichen Gast hergerichtet. Da sitzt nun das hübsche Ding wie ein gefangener Vogel im Käfig und weint sich die Augen roth. An Widerstand – an Flucht denkt sie nicht. Wenn sie auch noch so laut um Hülfe schreien wollte, kein Nachbar würd's hören können. Der Herr Commerzienrath können mit uns, denk' ich, zufrieden sein. An und für sich, war's ein leicht Stück Arbeit – aber die Verantwortung – Goddam – die möcht' ich nicht auf mich nehmen.«

»Keine Angst, Freund Fischering! Ihr wißt, daß es nicht meine Art ist, daß meine Leute Dinge verantworten, die – – doch genug davon. Wie's sonst mit dem Mädel steht, werd' ich bald erfahren.«

»Ein Wettermädel ist's! Alle Teufel, ein paar solche Augen sah ich mein Lebtage noch nicht! Daß sie sich so fügt, scheint mir mehr Berechnung als Furcht oder Muthlosigkeit. Ich werd's nie vergessen, wie sie mich anstarrte, da ich ihr das Tuch vom Munde nahm und sie in der Kammer auf den Boden setzte. Es war, als wollte sie mit dem einen Blicke mir alle Teufel der Hölle zum Entgeld auf den Hals hetzen – und doch auch wieder war's, als wolle sie alle Engel des Himmels für sich zum Schutz 'runter rufen.«

Der Commerzienrath warf einen mißtrauischen und spöttischen Blick auf seinen Agenten, dem er einen so poetischen Rapport schwerlich zutraute. Sein Argwohn sagte ihm, daß eine ganz besondere Inklination zu dem Mädchen diesen sonst so rohen Burschen zu diesen hochgeschraubten Phrasen inspirirt habe. Macht die Liebe doch auch niedere und prosaische Naturen in gewisser Weise zu Dichtern. Fischering war sonst der Typus der krassesten Prosa und des niedrigsten Materialismus. Hatte sich eines solchen Menschen einmal eine höhere Neigung bemächtigt, so war Alles von dieser in mehr als einer Hinsicht gefährlichen Nebenbuhlerschaft zu befürchten. Es fehlt in der Geschichte aller Zeiten nicht an Beispielen, daß der wahren Tugend oft aus den rohesten Elementen schützende Vorkämpfer erwuchsen.

Diese und ähnliche Reflexionen mochten in der That den von Haus aus übermäßig argwöhnischen Commerzienrath beängstigen. Eine finstere Wolke lagerte sich auf der hohen Stirn und das gemüthliche, selbstvergnügte Lächeln schwand aus dem Vollmondsgesichte… Die Möglichkeit, daß sein Vertrauter seine Lebensgrundsätze vom Lebensgenuß adoptirt haben könne, und in rein sinnlicher Weise für die hübsche Meta entbrannt sei, schien ihm in diesem Augenblick ganz fern zu liegen. Außergewöhnliche Gemüthsstimmungen bei uns bekannten Charakteren pflegen wir ja gemeinhin nur außergewöhnlichen Motiven zuzuschreiben und führen dieselben am liebsten auf die abnormesten Anlässe zurück…

Der Commerzienrath mochte es schließlich am gerathensten halten, die wundersame Phraseologie sein Agenten von Teufeln und Engeln gar nicht weiter zu betrachten und auf ein anderes Thema überzuspringen.

»Habt Ihr« – so frug er nach einer Weile – »den Mosevius einmal über die bewußte Angelegenheit ausgeholt? Ihr sagtet mir, daß der Wein seine Zunge löse. Gelang's durch dieses Mittel, ihn zum Schwatzen zu bringen?«…

Fischering zögerte mit der Antwort. Wollte er absichtlich unterdrücken was er über diesen Punkt erforscht oder wußte er wirklich nichts? Endlich sagte er leichthin: »Die Xantippe saß uns immer auf dem Nacken – ich muß es ein anderes Mal versuchen.« …

»Sonst nichts von Belang?«

»Nichts!«…

»Gut… Sucht mir den Mosevius auszuholen, mir liegt daran! Jetzt geht!«…

Aber Fischering ging nicht.

»Was gibt's denn noch?« fragte der Commerzienrath, da er den Burschen steif und fest, mit eingestemmten Armen neben seinem Tische Posto fassen sah.

»Ich möchte nur wegen der versprochenen Remuneration –«

»Ah so, lieber Fischering – ja das hatte ich fast vergessen. Ich werde Euch das morgen oder übermorgen zuschicken.«

»Hm – s' ist fatal! Hätt's heute gern gehabt!«

»Morgen – morgen, lieber Fischering.«

Der Bursche kratzte sich hinter die Ohren, drehte den Strohhut in der Hand und schien nicht die geringste Miene zu machen, sich zu beurlauben.

»Alle Wetter – Ihr hört ja, daß ich heute das Geld nicht habe. Laßt mich jetzt allein. Die Abrechnungen für das Cäcilienstift drängen – ich habe keine Minute mehr für Euch übrig!«…

Fischering warf den Hut trotzig auf den Kopf.

»Also morgen? Gut! Dann aber bestimmt! Ich brauche das Geld! Ich verlasse mich auf Ihr Wort, Herr Commerzienrath. Auf das meine haben Sie sich alle Zeit auch verlassen können!«

Damit ging er zur Thüre hinaus, die krachend hinter ihm zuschlug.

Das trotzige Gebahren des Menschen schien den Commerzienrath nicht im Geringsten zu erbittern. Er zündete sich eine neue Cigarre an und vertiefte sich sodann auf's Neue in die Bücher, die vor ihm lagen. Mit großem Fleiße schien er die ihm vorliegende Arbeit zu betreiben. Ein eigenthümliches Lächeln trat in sein Gesicht, so oft er ein Convolut Quittungen zusammen band und deren Summa in das große Hauptbuch ein trug. Nach einer Stunde war er mit seiner complicirten Abrechnung fertig. Dann erhob er sich und durchschritt das Arbeitszimmer. Das Lächeln war verschwunden. Sein Blick ward unstät und wirr – den Gedanken gleich, die ihn jetzt erfüllten.

»Noch nie sah ich diesem Abrechnungstage mit einem so eigenthümlichen Gefühle entgegen,« murmelte er. »Diese bängliche Aufregung hat ihren Grund! Daß auch die Stadtverordneten den Doktor Pauli zum Revisor ernannten! – Ihn, der mein Feind war von Jugend auf! Umsonst hat Freund Sorgenthal alle Minen springen lassen, um diese gefährliche Wahl zu hintertreiben! Freilich bleibt diese eine Stimme des sauberen Patrons immer nur eine lächerliche Minorität gegen die drei anderen, die mir zugethan!… Aber die Revision!… Es ist unmöglich vorzubeugen – wenn er auf sein Recht besteht und… Aber er wird nicht! Warum wird er nicht?… Ich muß den Gedanken nicht gewaltsam vertreiben. Gar zu nahe liegt er mir! Wie aber helfen – wie mich retten!«…

Er hielt inne. Kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn. Ein gräßliches Lachen unterbrach endlich diese Pause.

»Nun wenn die Maske fallen muß« – rief er mit entsetzlicher Stimme – »dann falle sie! Auch darauf sind wir vorbereitet. Jetzt zum Paulinum! Ist Rettung möglich, so wäre es einzig durch den Candidaten… Hätte ich nur den Mosevius noch so in Händen wie früher! Wüßte ich jene Geheimnisse, die er in Händen halten soll – ich könnte den alten Herrn zwingen, mir beizustehen… Und kein Lichtstrahl, der dieses Dunkel erhellt. Ich selbst erinnere mich dieses Sennor Jannos nicht. Ich war dazumal in London. Eine Katastrophe entsetzlicher Art ging seinem Austritte aus dem Geschäfte meines Vaters voran – aber welche?… Der Eremit ist der Schuldige! Er erbebt, so oft man nur den Namen nennt!… Und jetzt, wo sich eine Sennora dieses Namens plötzlich bei uns eingestellt – wird es nicht durch diese … ha, welch' ein Gedanke! Die Idali ist ja mit ihr befreundet, sie sprach sogar davon, daß sie mich mit jener räthselhaften Fremden, die alle Welt entzückt, bekanntmachen könnte!… Wie, wenn es mir gelänge, durch sie – – aber wer sagt mir, daß sie mit jener Familie zusammenhängt. Der Name mag öfters vorkommen!… Gleichviel – der Versuch ist ja leicht gemacht! Ich will's!«…

Er ergriff Hut und Stock und schickte sich zum Gehen an. Als er eben die Thüre öffnen wollte, trat ihm sein alter Buchhalter mit einer kleinen corpulenten Frau entgegen.

»Hier ist Ihr Herr Curator,« sagte der Buchhalter.

Die wohlbeleibte Dame, in höchst auffälligem Costüm, schritt mit großer Lebhaftigkeit dem Commerzienrath entgegen.

»Ah das ist ja so recht apropos, wie der Franzose sagen thut, daß ich Ihnen noch treffen thue, bester Herr Cummerzrath. Ich habe nur blos mit Sie zwei Worte!«…

»Wenn ich vielleicht morgen das Vergnügen haben könnte« – warf der Angeredete mit sichtlicher Verlegenheit aber zugleich auch mit großer Zuvorkommenheit ein. »Ich bin sehr pressirt – für den Augenblick.«

»Ach ich bin's ja auch – recht sehr dressirt und es sollen auch man blos zwei Worte sein. Nämlich – ach Herr Kurater – Sie wissen, es ist nicht gut, daß der Mensch allein sein thut und ich habe das nu so oft schon sagen hören von unserem Paster und auch von meinen Nachbaren, daß ich mir denn nu wieder entschlossen habe zu heirathen.«

»Viel Glück, meine Gute, aber ich bin eilig.«…

»Nur blos zwei Worte. Sie sind mein Kurater und ich muß Sie das anzeigen thun, daß ich mir wieder in den Stand der heiligen Ehe bewegen will! Ja des ist nu ganz schnackisch so gekommen. Letzten Sonntag hatt' ich davon noch nicht die bloße Ahnung, daß ich…? Na wahrhaftig, Herr Kurater! Aber da sitz' ich nu – letzten Sonntag mein' ich – bei meiner Gevatterin Krautschneider, der Bäckersfrau an der alten Führe – Sie wissen die Haus, wo sich in's vorige Jahrhundert die drei Schneidergesellen erhängt haben. Es spuckt auch in dem Haus – aber die Krautschneidern will's nicht wahr haben, man blos von wegen, wenn sie's 'mal verkaufen will und ihr da Niemand nicht einziehen thut. Na – da sitz ich nu und esse von dem Rosinenkuchen, den die Krautschneidern so gut backen thut, ja das muß ihr der Neid lassen – den Rosinenkuchen backt sie farmos – keinen besseren nicht gibt es in die ganze Stadt. Und nu trinken wir ja auch Kaffee und da kommt Ihnen – na rathen Sie Herr Kurater – wer glauben Sie wohl?… Ich hatte auch 'n Schreck, als er kam. Ich hatte justement die sechste Tasse vor'm Mund.«

Die Redselige hatte den Commerzienrath bei'm Rockzipfel ergriffen und wieder in die Stube gezogen. Der Buchhalter war auf einen Wink seines Herrn davon gegangen. Jener mußte sich in das Unvermeidliche fügen. Er ließ sich in einen Sessel fallen und hörte die ferneren Expektorationen der Frau mit gefalteten Händen an.

Diese aber fuhr also fort:

»Ja – da kommt also – denken Sie blos an – der Steuerschreiber von die Fähre und da sagt die Krautschneidern zu mich: das ist gerade so ein rechter Mann für dich!… Damit kommt er selbst nu herein und sagt: guten Tag, Frau Nachbarin, und zu mich: wie geht's schöne Frau? … Schöne Frau – zu einer Wittwe von fünfundvierzig!… Schöne Frau! Was sollt' ich nu wohl dazu sagen?… Na, er erzählt ja Allerhand und wir bleiben bis 'n Abend. Da macht die Krautschneidern Punsch! Das ist im immer gefährlich für mir. Und der Steuerschreiber Morgenroth – was'n hübschen Namen; nicht? – Der wird ja nu immer freundlicher und gibt mich 'n Kuß und die Krautschneidern nimmt ihr Glas und sagt: Die Brautleute sollen leben! Und das ist die Geschichte.«

Sie hielt erschöpft inne.

»Das ist ja recht charmant,« meinte der Commerzienrath, der sich von seinem Martyrium bereits befreit glaubte. »Ich werde sicherlich auch auf die Hochzeit kommen, gute Frau. Doch nun – –«

»Ja, nu kommt die Hauptsache!… Das heißt zur Hochzeit sind Sie tausend Mal willkommen. Oh das weiß die ganze Stadt, daß der Herr Cummerzrath kein so'n hochnasiges Mann ist, als wie die andere großen Kaufleute und Senaters, sondern daß der Herr Cummerzrath auch 'n gemeinen Mann was achten thut! Ja, das weiß die Stadt! Ach so'n Mann gibt's nicht wie Ihr Kurater, so sagte die Krautschneidern und der Steuerschreiber von die Fähre auch und meint: Das ist so der rechte Vater für alle Wittwen und Waisen und daderfür behüt' ihn der liebe Gott! So'n frommen Mann gibt's nicht mehr! Ja und nu will er 'ne Biertabagie anlegen… Das beißt, mein Bräutigam… und wir wollen auf die neue Fähre das alte Schenkhaus kaufen und ein extrafeines Itablissemang hinbaun und das soll: zum ›weißen Engel‹ heißen! Und dazu… ja das ist nu die Hauptsache – wollte ich den Herrn Kurater bitten, meine Gelder all' zu kündigen, wo sie auch liegen thun, denn ich muß das Alles für den ›weißen Engel‹ haben!«…

»Sie könnten aber doch weit bequemer leben, wenn Sie Ihre Gelder sich ruhig verzinsen ließen wie früher! Ihr Vermögen ist sehr sicher angebracht und zu guten Prozenten.«

»Ja das soll wohl sein, Herr Kurater, aber der weiße Engel, der ist nu so'ne Idee von uns und da wollten wir nicht abgehen. Außerdem will auch der Steuereinnehmer genau wissen, was ich ihm zubringen thue. S' ist ein gar so akkorater Mensch und da hat er sich nu den Doktor Pauli gekriegt, der soll für mich und ihn die Vermögensverwaltungsgeschichte redividiren, wie er mich gesagt hat und das wollt' ich nu was blos noch sagen, daß ich ja dadamit auch ganz einverstanden bin. Früher als Wittfrau war das etwas Anderes, da konnte ich ohne Kind und Kegel so man in den Tag hineinleben. Für mich hatt' ich genug, deß wußte ich schon. Aber nu ist das doch 'ne andere Sache mit mich und es ist doch gut, wenn man weiß, was man hat und was nicht. Na, der Herr Cummerzrath haben ja seit mein letzter Mann (Gott hab' ihn selig, es war erst mein Vierter!) Alles regalirt und verwaltet und da war's in guten Händen, aber nu kommt wieder 'n Mann in's Haus und da muß er doch wissen, wie er mit mich daran ist, denn das liebe Geld ist doch nu einmal eine Hauptsache mit.«

Wiederum trat eine wohlthätige Pause ein und die angestrengten Lungen der glückseligen Braut des Steuerschreibers bedurften einer kleinen Erholung. Auf den Commerzienrath schienen diese Eröffnungen einen überaus niederschlagenden Eindruck zu machen, so sehr er sich auch bemühte, davon wenigstens äußerlich nichts zu verrathen.

»Schon gut,« sagte er jetzt und erhob sich – obschon ein merkliches Zittern seine Glieder durchflog und er sich kaum aufrecht halten konnte – »ich werde den Herrn Doktor Pauli erwarten. In acht Tagen etwa – bis dahin bin ich sehr in Anspruch genommen. Dann aber sollen ihm alle Bücher und Rechnungsablagen zur Disposition gestellt werden. Wenn wir jetzt gehen wollten – ich war gerade im Begriff, einen wichtigen Geschäftsgang in die Stadt zu machen.«

»O will Ihnen durchaus nicht stören. Also zur Hochzeit kommen der Herr Cummerzrath doch ganz bestimmt? O sie soll brillant werden, dadarauf geb' ich Sie mein Wort. Vier hab' ich nu schon hinter mich, die fünfte soll alle anderen verdüstern, so hoch soll's da hergehen – ist es doch wohl die letzte, die mir der liebe Gott auf dieser Welt schenken thut! Wenn unser nächster Krammarkt kommt, werd' ich alt sechsundvierzig – aber sagen Sie's man blos nicht weiter! Ja, so fliehen unsere Tage hin, wie's in unserem Gesangbuch heißt! Die letzte Hochzeit! Na, ich will nicht klagen, man muß ja Alles so hinnehmen, sagt der Pastor. Und nu Adjes, Herr Kurater – nehmen Sie's man blos nicht übel, daß ich Ihnen so gestört hab'. – Adjes und von wegen der Hochzeit, da bleibt's doch dabei!«

Mit einem tiefen Knix empfahl sich die glückliche Braut und rauschte in ihrem schottischen Seidenkleide so stolz davon, als wären Königreiche ihr eigen.

Der Buchhalter hatte sich schon beim Beginne dieser Unterhaltung in das Entreezimmer zurückgezogen. Sein Herr trat zu ihm, um ihm einige Befehle für das Comptoir zu ertheilen. Als er das Zimmer verließ fest und stolz, ruhig und sicher mit dem stereotypen Lächeln – schüttelte der greise Diener wehmüthig das Haupt.

»Daß mein Auge diese Tage noch sehen muß,« flüsterte er. »Es geht zu Ende – zu Ende! O mein Gott! Und nirgends Hülfe! Auch nicht bei dem alten Herrn. Umsonst hab' ich ihm unsere Lage entdeckt – er will nicht helfen! Die Ehre der alten Firma, der ich mehr denn vierzig Jahre treu gedient – scheint ihm nicht mehr an's Herz gewachsen wie ehedem und der Herr Commerzienrath – – o es fährt mir wie ein zweischneidiges Messer durch die Brust, wann ich denke, daß er, er selbst schuld ist an Allem!… Seit Jahr und Tag hab' ich's ihm vorausgesagt. Er wollte die treue Warnerstimme niemals hören!… Ich hab' das Meinige gethan – meine Hände sind rein!«…

Es war spät am Abend, als der Commerzienrath die hohe Pforte des Paulinums erreicht hatte und dort um Einlaß schellte. Der Portier ließ den vielvermögenden Protektor der frommen Anstalt sogleich eintreten.

»Der Herr Candidat sind hinten im Kassenzimmer,« sagte er mit einer tiefen Verbeugung.

Der Commerzienrath begab sich über die hohe Hausflur in das bezeichnete Gemach. Mehrere Schreiber saßen dort an ihren Pulten. Hohe Repositorien mit Büchern angefüllt, standen an den Wänden. Nur das Kritzeln der Gänsekiele unterbrach die Stille. Man glaubte sich in ein Büreau der öffentlichen Staatsverwaltung versetzt. Hier lagen die Geheimnisse der frommen Anstalt, so weit solche in Zahlen niedergeschrieben werden konnten. Das Großartige des ganzen Unternehmens leuchtete dem Eingeweihten hier erst ein, wo Tag aus Tag ein ein völliges Comptoirpersonal zur Bewältigung der laufenden Arbeiten beschäftigt war.

Das stereotype »salve, amice« zirpte dem Eintretenden die Diskantstimme des frommen Candidaten entgegen. Sorgenthal mochte wissen, daß ein besonderes Anliegen den »Freund« zu ihm führe und so erhob er sich denn sogleich von seinem Sitze, um den späten Besuch in ein Nebencabinet zu geleiten, welches eine dicke Doppelthüre von dem Kassenzimmer trennte.

Als beide Thüren geschlossen waren, trat der Candidat dicht an den Commerzienrath hinan und flüsterte mit merklicher Aufregung wenige Worte dem Gast in's Ohr. Trotz aller angewandten Vorsicht mochte er dennoch fürchten, belauscht zu werden. Das Gesicht des Commerzienrathes entfärbte sich.

»Wann?« fragte er hastig.

»Gestern Vormittag – leider war ich nicht daheim. Der Doktor Sandelholz nahm die Visite an. Hier ist die Karte der Dame.«

Er reichte ihm eine Visitenkarte

Der Commerzienrath steckte dieselbe zu sich.

»Sie will wieder kommen – schon heute erwartete ich sie den ganzen Tag. Morgen dürfen wir zuversichtlich darauf rechnen!«

»Und ließ sich die Sennora nicht näher darüber aus, welches specielle Interesse sie bei ihrer Nachfrage leitete?«

»Nein! Der Doktor mag sich auch ein wenig unbeholfen angestellt haben. Er ist Damen gegenüber sonst nicht der Schüchternste, wie er selbst auch von sich prahlt – gleichwohl«…

»Also Morgen? Seltsam genug! Sollte sie mit dem Eremiten in Verbindung stehen? Daß dessen Schützling, der Maler Richard, bei jener Flucht die Hand mit im Spiele hatte, ist ja constatirt, wenigstens hat er sich der Kleinen bemächtigt.«

»Und wie steht's um Ihren Anschlag, den Mosevius und Fischering ausführen sollten?…

»Er – schlug fehl!«

»Und damit sind Sie entmuthigt – geben diese Sache auf?«

»Keineswegs – wir müssen aber einen günstigeren Moment abwarten! Vor der Hand sehe ich nicht ab –«

»Vor der Hand nicht? Amice, jeder Aufschub bringt Gefahr. Wer sagt uns denn, ob jener Maler, den Gott verdammen möge, das Mädchen noch bei sich hat? Das Interesse, welches der Eremit an diesem verdrießlichen Handel genommen, läßt fürchten, daß er selbstthätig eingreift und am Ende hat er jetzt gar schon die Kleine bei sich in seinem Zauberschloß! Dann wehe uns!«…

»Was könnten wir fürchten? Ist nicht Alles bedacht? Gibt's nicht die besten Ausreden und Entschuldigungen auf jede Anklage?« …

Der fromme Candidat blickte zu Boden. Er gedachte jener Scene in der Leichenkammer, die der Erinnerung des geraubten Kindes sicher nicht entfallen war. Warum der Commerzienrath von dieser nie etwas erfahren, dürfte dem aufmerksamen Leser schwerlich entgangen sein.

»Was thun?« stöhnte der Vorsteher des Paulinums, der sich nach den Eröffnungen Stolterfoths wie vernichtet fühlte und dem leidigen Troste desselben kein Ohr geschenkt hatte. Fühlte er selbst doch gar wohl, daß für ihn in diesem Falle von jenen Ausreden und Entschuldigungen kein Gebrauch gemacht werden könne. Sein Haar sträubte sich bei dem Gedanken, daß man, im Besitze jener schrecklichen Argumente, ihn vor ein öffentliches Gericht ziehen könne; daß die Maske, welche er so consequent festgehalten, fallen müsse, wenn die Welt erfahre, daß er, der Frömmste unter Frommen… Er vermochte nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Kalte Schauer schüttelten ihn. So saß er da ein Gerichteter vor dem Mitverdammten, der noch immer so ruhig und siegsgewiß von Ausreden und Entschuldigungen reden wollte!

»Wann mag sie morgen kommen?« fragte nach einer Pause der Commerzienrath, der entschieden einen ganz anderen Gedankengang verfolgte wie der fromme Candidat und seinerseits wiederum schwerlich das verzweiflungsvolle: was thun? von dem dicht neben ihm sitzenden Freunde vernommen hatte.

»Morgen? Morgen schon?« rief Sorgenthal.

»Sie sagten es ja selbst so eben, daß die Sennora jedenfalls« – –

»Ah so – ja die Sennora! Morgen! Ja – sie wird wohl kommen.«

Seine Stimme war lallend, das Auge stierte wie abwesend auf den Commerzienrath, der mit Schrecken einsah, daß er sich hier an einen selbst Hülfslosen um Hülfe gewendet.

So saßen Beide eine Weile regungslos neben einander. Die Züge des Candidaten waren welk und fahl. Ein vollständiger Geistesbankerott offenbarte sich auf dem ohnehin schon nichtssagenden, geistleeren Gesichte. Das sonst so regsame, listig funkelnde Auge war geschlossen. Er hatte die mageren Hände auf das Knie gestützt und der schmächtige Oberkörper lehnte sich weit über diese Stütze dem Boden zu.

Nicht so der Commerzienrath, dessen reger Geist bereits einen neuen Anschlag für seine Rettung ausspinnen mochte. Ein freudiges Aufblitzen in dem Vollmondsgesichte schien zu verkündigen, daß dieser rasch gefaßte Plan bereits zur Reife gediehen sei. Er sprang auf, indem er hastig den hohen Lehnstuhl an die Wand schob. –

»So muß es gehen,« murmelte er. »Es ist auf's Aeußerste! Kein Zweifel, daß die Sennora, der Maler und der Eremit sich zu meinem Verderben verschworen haben. Wie und durch wen sie in meine Karten geblickt – gleichviel! Es gilt einen Coup ausführen, der alle ihre Pläne mit Eins zerreißt! Es ist sonst nicht meine Art, die Knoten zu zerhauen durch einen gewaltigen Schwertstreich – langsames Entwirren und Auflösen gelingt mir im Allgemeinen besser und ist sicherer! Hier aber geht's nicht anders. Es muß!«

Er hatte unter diesem Selbstgespräch einige Male das kleine Gemach hastig durchschritten, jetzt machte er vor dem Candidaten Halt, der noch immer in seiner früheren Stellung verharrte und nichts zu merken schien von dem, was um ihn her vorging.

»Warum so leichtsinnig, Freund?« rief der Commerzienrath und legte seine breite Hand gewichtig auf die spitzen Schultern des dumpf für sich Dahinbrütenden, daß dieser plötzlich ganz erschreckt auffuhr und den Redner entsetzt anstarrte. Ein lauter Schrei der Angst entflog dabei den blauen Lippen des Candidaten, der noch immer mit dem völlig geistesabwesenden Blicke den Gast anstierte. Nur mühsam unterdrückte dieser ein Lächeln bei diesem halb komischen, halb bemitleidenswerthen Anblicke.

»Bekümmert Euch nicht, Amice« – fuhr der leidige Tröster fort – »ich hab' so eben einen Ausweg gefunden, der uns Ruhe schafft. Es ist ein Gewaltstreich – aber er führt zum Ziel!«

»Redet – redet!«

»Ich will's allein unternehmen. Niemand – auch Ihr nicht Amice, darf um mein Geheimniß wissen. Den Erfolg theile ich mit Euch – die Verantwortung trage ich allein!«

»Edelmüthiger, großherziger Freund! O meine Seele war tief betrübt bis in den Tod, Amice – denn mein geistiges Auge sah über uns herniederfahren ein Strafgericht wie das von Sodom und Gomorrha! Tag und Nacht ängstigen mich die Schreckbilder meiner erhitzten Phantasie – und die Träume Amice – o die bösen, qualvollen Träume! … Welche Gesichte! O es ist entsetzlich! Rettet – rettet – und meine Dankbarkeit kennt keine Gränzen!«

»Ihr werdet sie bald beweisen können!«

»Wann beweisen – wann?«

»Bei der bevorstehenden Revision der Cäcilienstifts-Verwaltung. Ihr wißt, daß Euer neuer Collega, der Doktor Pauli« – –

»Freilich – ja! das ist einer von denen, die da wandeln auf dunklem Pfade und Kummer bereiten den Auserwählten des Herrn. Gleichwohl, fürchtet nichts! Meine anderen beiden Collegen und ich werden sorgen, daß der Apostat nicht durchdringe mit seinen Neuerungen, sondern ihn nachdrücklich verweisen in seine Schrancken!«…

»Ich baue auf Euch!«

»Ihr dürft es, Amice bei den Wundmalen des Gekreuzigten!«…

»Auf Morgen also!«

»Der Herr der Heerschaaren stehe Euch bei in Eurem Werke!« …

Der Commerzienrath schickte sich an zu gehen, der Candidat gab ihm das Geleite. Als er das Licht ergriff, dem Gast zu leuchten und der helle Schimmer auf sein bleiches, fahles Gesicht fiel, wich der Commerzienrath entsetzt zurück. Es war ein grauenvolles Etwas in diesen todtbleichen Zügen – aus den Augen stierte der – Wahnsinn!… Das war nicht ein vorübergehendes, muthloses, verzweifelndes Zusammenbrechen – sondern eine völlige Auflösung, ein Zergehen in völligen Irrsinn, was aus diesem Gesichte ihn anstierte. Diese urplötzliche totale Veränderung des Mannes, den er kaum vor acht Tagen noch die gewohnte Heuchlermaske mit solchem Selbstbewußtsein tragen sah, der bis dahin so energisch seine Ziele verfolgt und mit starkem Geiste alle Angriffe seiner Gegner abgewehrt – mußte den »Freund« auf's Tiefste erschüttern. Der letzte, der einzigste Bundesgenosse, auf den er bauen konnte – in diesem Zustande! Der Egoist kannte kein Mitleid – die Furcht nur (das auf sich selbst bezogene Mitleid) für sich selbst veranlasste ihn, dem Zustande des Aermsten nachzuforschen. Sein Interesse erheischte das in mehr als einer Hinsicht. Nur bei dem Doktor konnte er eine völlig befriedigende Antwort erwarten.

Er fragte nach diesem unter irgend einem Vorwande.

»Er ist in der Leichenkammer,« antwortete der Candidat. »Nehmt das Licht – geht zu ihm, wenn's pressirt – ich gehe – des Abends nicht gern dorthin!«…

Damit drückte er dem Erstaunten den Leuchter in die Hand und eilte davon.

Der Commerzienrath begab sich in die Leichenkammer. Er fand den Gesuchten bei einem Sarge, in dem eine kleine weibliche Leiche lag. Die Brust derselben war durch mehrere Siegellacktropfen entstellt. Das war das Letzte, was man in diesem Hause »offiziell« für die Leichen that, bevor der Deckel sich auf immer schloß. Doktor Sandelholz that's nicht anders. Dann aber war sein Gewissen rein wie Schnee – wußte er nach diesem Experimente doch, daß er keine Lebendigen begraben ließ!!! Er bemerkte übrigens den Eintretenden nicht eher, als bis dieser hinter ihm stand und seine Hand auf den hochgewölbten Stirnnacken des Aeskulapsohnes legte. Daß er sodann den hochvermögenden Herrn Commerzienrath mit ganz besonderem Respekt und in tiefster Devotion begrüßte, war selbstverständlich, kannte doch der ehrenwerthe Doktor in der ganzen Gottesschöpfung bis dahin keine erhabeneren und höher stehenden Geschöpfe als diesen und den frommen Candidaten. Was man sonst auch immer gegen den Arzt des Paulinums einwenden mochte und an ihm aussetzen konnte – ein edles Gefühl bewahrte sein Herz unbedingt: das der aufrichtigsten Dankbarkeit gegen seine Wohlthäter und ihnen gegenüber trat er in seines Nichts durchbohrendem Gefühle stets als unterthänigster Sclave auf, eine Rolle, die ihm nebst seiner Unzurechnungsfähigkeit den fetten Posten der reichdotirten Hausarztstelle eingetragen hatte.

Als der Commerzienrath eintrat, war der ehrenwerthe Doktor just beschäftigt, eine, wie es schien sehr wichtige Notiz in sein Tagebuch einzutragen. Jener las über die breitgewölbten Schultern folgende Zeilen, die der hurtige Bleistift eben niedergeschrieben: »Agnes Sievers, acht Jahre alt, zwei Monate bei uns, am Typhus (wie ich glaube) gestorben. Das achte Opfer dieser Krankheit seit drei Tagen! Gott sei der Seele gnädig.«… Man muß gestehen, daß Herr Sandelholz ein überaus frommer Doktor war. Der Umgang mit den »Auserwählten des Herrn« schien nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. Der bescheidene Zweifel bei der Krankheitsart entlockte dem Commerzienrath ein sardonisches Lächeln. Und doch waren ihm derartige Zweifel bei dem Ehrenwerthen nichts Neues! Wußte er doch, daß – –

Doch wozu die Anklagen häufen gegen den freundlich lächelnden Mann mit den blendend weißen Zähnen und der sauberen Wäsche, dem der Todtengräber so oftmals sein täglich Brod zu danken hatte und der jetzt eben wieder neben dem achten »Typhusopfer« so heiterlächelnd, so unschuldig und so fromm dastand, als sei er der Reinste unter den Reinen! Was konnte denn er dafür, daß Gott bei der ungleichen Vertheilung der Gaben »unter der Menschen flücht'gem Geschlecht« ihn so gar wenig bedacht hatte, daß er mehr als einmal bei'm Examen durchfallen mußte? Suchte er doch dieses geistige Deficit durch jenen freundlichen Umgang zu ersetzen, den nur die Milch der frommen Denkart nährt und erstarken läßt zur alles umfassenden Bruderliebe vom Bruder mit dem Ordensband bis zur Schwester mit dem Leinwandmieder!

Und in der That, in diesem philanthropischem Sinne, durfte auch Sandelholz gleich jenem großen Philosophen der Hellenen von sich sagen: mundanus sum! Er liebte die Menschen von ganzem Herzen, von ganzem Gemüthe und mit allen seinen Kräften. Konnte man es ihm da nicht verzeihen, wenn er auch sich ein klein wenig liebte? Und wie harmlos und unschuldig äußerte sich diese Selbstliebe. Sie offenbarte sich nur in einer durchaus nicht verdammlichen Inklination zu gutgemästeten Kapaunen und unverfälschten Bordeauxweinen. Der gute Mann hatte über Hufelands »Kunst das Leben zu verlängern« so seine ganz aparten Ansichten. Mit Freuden opferte er sich, das von ihm entdeckte Prinzip zur Erreichung jenes edlen Zweckes an sich selbst zu erproben. Seine rothglühende Nase und die spitzvollige Rundung seines Bäuchleins bewiesen, daß ihm kein Opfer zu hoch sei!

Der Commerzienrath hatte mit leichter Mühe das Gespräch auf das Thema hinüberleiten können, das für ihn von Interesse war. Auch der Doktor schien den veränderten Gemüthszustand des gemeinsamen Freundes bemerkt zu haben und er zwang sich zu einem sehr besorglichen Stirnerunzeln, das er stets bei »wichtigen Fällen« aufsetzte.

»In der That hat auch mir,« so begann er nach einer kurzen Pause tiefsten Nachdenkens – »dieser Zustand des Herrn Candidaten bereits die größte Besorgniß eingeflößt. Es ist ganz sine dubio, will sagen zweifelsohne eine Art von Zerstörung der Denkkraft – eine Art von Irrsinn bei dem Aermsten im Anzug. Ob derselbe nun sich ausbilden wird zu einem continuirenden – oder blos intermittirenden oder periodischen Wahnsinn, bleibt abzuwarten. Der liebe Gott wird es indessen wohl nicht bis zu ersterem kommen, sondern bei letzterem bewenden lassen, denn unser Freund hat sein Lebelang vor ihm gewandelt wie nach seinem Wort und hat somit keine so harte Prüfung des himmlischen Vaters verschuldet… Es ist nöthig, daß ich diesen casum genauer mit Ihnen verhandle. Liegt doch das ganze Wohl und Wehe dieser frommen Anstalt in den Händen des Herrn Candidaten. Sein dermaliger Zustand aber läßt die Aerzte fürchten, und sollte sich derselbe verschlimmern, so ist es ein Ding der Unmöglichkeit, dem Herrn Candidaten hiefüro die unumschränkte Aufsicht über unsere gottesfürchtige Anstalt ferner zu überlassen. Der Herr Commerzienrath müssen genau wissen, wie die Lage der Dinge ist, derweilen Höchstdieselben quasi der Subrektor des Paulinums sind und jedenfalls die Zügel in Händen nehmen werden, wenn ich im Hinblicke auf unseren geliebten Kranken ausrufen muß: periculum in mora!«

»Und für so gefährlich halten Sie den Zustand des Aermsten, lieber Doktor?«

»Allerdings, hochverehrlichster Herr Commerzienrath, allerdings! Ich kenne den Zustand nun schon seit drei Wochen und habe ihn verfolgt durch alle Phasen!… Die Anlage zu einem solchen abnormen Zustand ist, wie Sie wissen müssen, zwiefach in jedem Menschen. Es gibt eine organische und eine psychische Das Original hat hier und im Weiteren ›physische‹. – D. Hrsg. Anlage zum Wahnsinn. Erstere bestehet in einer besonderen Beschaffenheit des Hirnorganes und der Verbindung desselben mit dem Nervensystem des Unterleibes. Diese ist bei unserem Freunde schwerlich vorhanden. Die zweite, die psychische Anlage betreffend, so erwächst diese zumal durch Herrschaft gewisser Leidenschaften, die mit seelischen Potenzen arbeiten, erzeuget ingleichen durch gewisse Stimmungen und Affekte der Seele, welche für sich alle anderen psychischen Kräfte absorbiren und somit negiren. Und dieses Letztere dürfte bei unserem bedauernswerthen Freunde wohl so recht eigentlich der casus sein! Er hat eine fixe Idee gefaßt, die seinen klaren Geist periodisch gänzlich verwirret und umdüstert.«

»Und worin besteht diese fixe Idee?«…

»Er glaubt, daß alle weiblichen Wesen, die er nur sieht, ihm nach sein Leben trachteten, weil er ihrer Ehre und Unschuld nachgestellt.«

»Seltsame Idee!«

Ein schneller, durchdringender Blick streifte aus den kleinen Augen des Doktors zu dem Commerzienrath hinüber. Da er sah, daß dessen ruhiges Vollmondsgesicht sich nicht im geringsten veränderte, glaubte er fortfahren zu dürfen. Ob er gefürchtet, daß Jener um die Liebesgeheimnisse des Candidaten doch schon wisse? Obschon er selbst damals mit einer sehr bemerkbaren Schadenfreude, wie wir wissen, bei jener Scene in der Leichenkammer die Judasrolle gespielt, stellte er sich jetzt doch so unschuldig wie möglich und fuhr mit erheuchelter Theilnahme für den Vorgesetzten also fort:

»Ich bemerkte diese fixe Idee zum ersten Mal vor etwa acht Tagen in dieser Kammer. Wir saßen beide bei einer Leiche – die wir der Klinik verkaufen wollten. Der Herr Commerzienrath wissen ja! Da fuhr er empor mit einem Schrei, der mir Mark und Bein durchdrang. Er glaubte, wie ich aus seinen Irrereden entnahm, daß die Leiche sich erhöbe und laut zu ihm spreche… ›Ich liebe dich nicht – laß ab von mir – es war eine Lüge, die Belzebub sprach durch meinen Mund.‹ So schrie er mit lauter, kreischender Stimme und gestikulirte fortwährend nach dem Sarge zu, als wolle er von dorther auf ihn eindringende Gestalten von sich abwehren. Umsonst suchte ich ihn zu beschwichtigen. Er stieß mich gewaltsam zurück. Wahnsinnige haben oft, wie Sie wissen werden, ganz abnorme Kräfte. Ich hab's an jenem Tage erfahren. Der schmächtige Mann schleuderte mich so heftig an die Wand, daß ich noch jetzt am Ellbogen blaue und rothe Stellen trage… Er perorirte fast eine halbe Stunde. Ich wollte kein Aufsehen machen und blieb ruhig… Endlich fiel er erschöpft in einen Sessel. Kalter Schweiß stand auf der Stirn und weißer Schaum auf den blauen Lippen. Ich ließ ihn in's Bett schaffen und wachte die ganze Nacht bei ihm. Einige Male sprach er laut im Schlaf und ich hörte ganz deutlich, wie er mit unverkennbarer Herzensangst den Namen: ›Meta‹ wiederholt ausrief!«

Er blickte bei den letzten Worten wiederum mit einem wahren Judaslächeln zu dem Commerzienrath hinüber. Dieser schien auch bei diesem Namen im Munde des Candidaten nichts Auffälliges oder für ihn Beunruhigendes zu finden, so daß selbst der Doktor ganz unbehaglich die Achseln zuckte, da man seine Winke nicht verstand. Was lag dem Ehrenwerthen an dem wahnsinnigen Candidaten? Ihm galt nur der höhere Zweck: das Paulinum – und wer war dessen Schirm und Hort anders als der Commerzienrath? Es galt also sich diesem möglichst unentbehrlich zu machen.

»Am anderen Morgen« – fuhr der Doktor nach einer langen Pause fort, in der er von Seiten des Commerzienrathes irgend eine Antwort oder Einwendung erwartet haben mochte – »am anderen Morgen wußte unser Patient nicht das Geringste von jenem schrecklichen Zufall.«…

»Und hat sich dieser in der Folge wiederholt?«

»Bis heute drei Mal und immer heftiger. Meist gegen Abend. Dazu sind seine Nächte sehr unruhig. Er redet, was er sonst nie gethan, laut im Schlafe. Die Opiumpillen, die ich ihm verschrieb, schlugen nicht an. Das deutet auf eine große Ueberreizung des ganzen Nervensystems!«…

»Und Sie fürchten in Folge dessen ernstlich?«

Der Arzt zuckte äußerst bedenklich die Schultern. War es Zufall oder Absicht, daß er sich gleich darauf abwandte und bei der Leiche zu schaffen machte.

»Ahnt Jemand in der Anstalt diesen Zustand?« fragte der Commerzienrath weiters.

»Ich habe vorgebaut! den wahren Grund – oder vielmehr den wahren Zustand ahnt, das will ich beschwören, keine Seele. Am Tage und im Geschäft wie in der Schule merkt man ihm noch nicht das Geringste an.«

»Ihnen brauche ich nicht die strengste Wachsamkeit und – Verschwiegenheit erst anzuempfehlen, lieber Doktor! Ich verlasse mich auf Ihren Takt, Ihre Umsicht und auf – Ihre Kunst!

Er legte nicht ohne Absicht einen besonderen Accent auf das letzte Wort. Der Doktor blickte ganz verblüfft dabei zu ihm auf. Eine solche Zuversicht hatte der Commerzienrath ihm gegenüber noch nie geäußert. An Ironie dachte Sandelholz nicht. Was sollte dann aber dieser Accent?… Er war nicht der Mann über derlei Dinge leicht hinzugehen… Für's Erste begnügte er sich mit einer tiefen Verbeugung. Daß Stolterfoth etwas ganz Besonderes durch jenen Ton andeuten wollte, stand fest bei ihm. Seine Kunst?… Er ward sich nicht klar über den seltsamen Ton.

Der Commerzienrath ging.

Es war draußen schon völlig dunkel geworden. Er eilte mit raschen Schritten der Stadt zu. Manchmal war's ihm, als schliche hinter den Bäumen Jemand ihm vom Paulinum her nach. So oft er still stand, war's verschwunden – zum völligen Umkehren hatte er jedoch nicht den Muth. Er beschleunigte seine Schritte. Endlich war das Stadtthor erreicht. Als er hier, in der Nähe der Pastors Wohnung Halt machte und die Brille aufsetzte, um die breite Allee hinabzublicken, auf der er sich verfolgt geglaubt, bemerkte er hinter den Baumstämmen einen Schatten, der nach dem Paulinum zurückzukehren schien. Er sah aus den mondhellen Sandwegen die Umrisse eines menschlichen Körpers. Die Gestalt war die des… Kandidaten! …

Er mußte sich selbst gewaltsam aufraffen aus dem düsteren Brüten, in das ihn diese Muthmaßung sowohl als auch die vordem vernommene unglückselige Wandelung seines frommen Freundes versetzt hatte.

Es wird Zeit, daß ich ihn aufsuche! Er allein ist der Mann dazu. Willigt er ein, so telegraphire ich sofort an Freund Cuno in S. dorthin – – Doch wozu? Sollte mir nicht Mosevius eine ebenso sichere Zufluchtsstätte gewähren? Meinte doch Fischering, daß jene kleine hübsche Meta dort so sicher sei vor jedem Späherauge wie in einem Grabe!… Das wäre zu überlegen.«

Mit eiligen Schritten eilte er der Altstadt zu. Es war schwer in dem Gedränge der gar engen und winkligen Gassen sich zurecht zu finden. Auch der Commerzienrath mußte, obschon in B. bekannt, von Kinderzeiten her, oftmals stille stehen, um sich zu orientiren.

Ein kleines Haus in einem schmutzigen Gäßchen schien sein Ziel.

Er zog die Glocke. Die Thür öffnete sich von innen. Er trat auf eine mit rothen Ziegelsteinen gepflasterte Diele, die ein qualmiger Fettgeruch erfüllte. Ein altes Weib trat ihm durch die dicken Qualmwolken entgegen. Er drückte ihr ein Geldstück in die Hand und setzte seinen Weg so schnell als möglich fort. Eine Glasthür mit trüben Scheiben führte in einen langgestreckten Hofraum hinaus. Die mephitischen Ausdünstungen einer breiten Gasse, welche der Länge nach den Hof durchschnitt, traten hier an die Stelle des widrigen Fettgeruchs, der im Vorderhause herrschte und der Commerzienrath beeilte sich, Nase und Mund auf's Neue mit seinem seidenen Foulard zu schließen. Nur an der einen Seite des Hofes standen Häuser, niedrige Baracken, nur ein Stockwerk hoch, zerfallen und altmodisch mit spitzemporlaufenden Giebeln, die sich an eine hohe Brandmauer lehnten. Vor jeder Baracke gab es kleine Gärtchen, d. h. zehn Quadratfuß Sandboden von Dornengeflecht umhegt, worin einige verkümmerte Stachelbeersträuche standen, auf denen die Einwohner ihre Wäsche trockneten.

Spärlich und in schrägen Strahlen fiel von Osten her über die hohe Brandmauer und die benachbarten gothischen Giebeldächer das Licht des Mondes auf diese Wohnstätten der Armuth und des Elends. Halbnackte, schmutzige Kinder spielten auf dem Sande und sangen dazu allerlei Lieder frivolen und gemeinen Inhaltes. So wie sie des Commerzienrathes ansichtig wurden, stürmten sie an ihn heran. Auch in den vorhin so stillen Häuschen, die wie ausgestorben schienen, ward es lebendig und der todte Hof bot auf einmal ein Bild voll rühriger Beweglichkeit. Wie Bienenschwärme strömten die Bettler zu dem »Vater der Waisen.« Nichts mehr von frivolen Liedern! Aller Augen waren zum Himmel gerichtet, alle Hände gefaltet. Die Weiber fingen laut an zu beten. Es war ein wundersames Schauspiel, diese zerlumpte Versammlung, auf deren Physiognomie man durchweg Faulheit, Trotz, Frivolität, Leidenschaftlichkeit und Entartungen jeder Art lesen konnte, urplötzlich in eine stille Betgemeinde verwandelt zu sehen. Alte Männer mit schlotternden Knieen, deren Gaunergesicht die professionirten Diebe und Beutelschneider verkündete, schleppten sich an Krücken heran, junge Dirnen, die das gemeinste Laster mit seinem Kainszeichen gestempelt, murmelten Bibelsprüche; Kinder und alte Weiber bildeten indessen den Hauptcontingent. Junge Bursche und kräftige Männer fehlten gänzlich. Sie waren – im Geschäft!

Der fromme Commerzienrath, der Vater der Wittwen und Waisen und Helfer der Mühseligen und Beladenen, ließ die Andachtsübungen dieser frommen Gesellschaft nicht unbelohnt. Jede Hand, die sich öffnete, empfing irgend ein Almosen oder eine Leckerei. Auch Taback und Cigarren kamen aus seinen unergründlichen Taschen zum Vorschein. Zum Schluß folgte auf all diese weltliche Atzung ein höchst moralisches, christliches und erbauliches Dessert: ein Convolut von Traktätchen, um die sich die Hofbewohner mit gutgespieltem Eifer förmlich rissen. Erkauften sie sich dadurch doch insgesammt das fernere Wohlwollen ihres frommen Gönners und empfahlen sich seiner ferneren Mildthätigkeit auf das Beste!

Am Ende der Budenreihe des Ganges stand ein etwas größeres Gebäude, abgesondert von den übrigen. Es glich einem alten Holzstall oder einer Wagenremise. Die Fenster im Parterre waren durch Holzläden geschlossen. Hinter dem Schuppen öffnete sich der schmale Hofraum zu einem kreisförmigen, grasbewachsenen Raum, in dessen Mitte ein alter Holzapfelbaum stand. Der Ort hatte etwas Freundliches im Vergleich zu der düsteren Vorderreihe.

Der Commerzienrath pochte dreimal an die grünbemalte hohe Thür des Schuppens, vor der die einzige Laterne des Hofes hing und einen grellen Schein über die nächsten Umgebungen fallen ließ. Es dauerte lange, ehe man ihm öffnete. Endlich flog die Thür auf, doch Niemand war in dem düsteren Raum, der sich ihm erschlossen und der ihm finster und unheimlich entgegengähnte. Aus einem Winkel und wie es schien von Oben her tönte eine bekannte Stimme. Der Commerzienrath suchte dem Laut derselben zu folgen und tappte langsam durch die Finsterniß vorwärts. Was die Stimme gesprochen, hatte er nicht vernommen, doch wußte er, daß es der Gesuchte gewesen, der ihm von Oben zugerufen.

»Gleich kommt Licht,« ließ sich nochmals und dieses Mal schon näher und deutlicher die Stimme vernehmen.

Bald darauf öffnete sich eine große Lücke im Bodenraume und ein Ungewisses Licht verbreitete sich in dem finsteren Raum. Eine Stalllaterne an einer langen Schnur senkte sich langsam herab aus der Oeffnung.

»Ich bin's,« rief der Commerzienrath »habt also keine Sorge und kommt herab!«

»Ich möchte hier oben um die Ehre bitten!«

»Glaubt Ihr, daß ich fliegen kann?« Wie soll ich zu der verdammten Lücke emporkommen?«

»Werdet's gleich sehen.«

Und gleich darnach senkte sich aus der hellen Oeffnung eine breite Leiter in den Schuppen herab.

»Vorsicht ist die Mutter der Weisheit!« rief die Stimme von Oben.

Der Commerzienrath stieg ohne Bedenken die Sprossen hinan. Eine fleischige Hand streckte sich ihm entgegen und zog den Keuchenden vollends hinauf. Es war ein wüster Bodenraum, auf dem er sich jetzt befand. Durch gläserne Dachpfannen fiel das Mondlicht auf die unheimliche Stätte. Fischering – denn er war der Gesuchte – bewillkommnete seinen Gast mit einem widrigen Lachen.

»Kommen Sie! Wenn man erst oben ist, macht sich's besser!« rief er immerfort lachend und schritt durch allerhand altes Gerümpel (das im Nothfall eine Barrikade abgeben mochte), dem entgegengesetzten Bodenraum zu. Nirgend war dort eine Thüre zu erblicken. Endlich gewahrte der Commerzienrath eine kleine Bodenlucke, die nach seiner Ansicht unbedingt auf die offene Dachrinne führen mußte. Fischering öffnete und – ein überaus comfortables Wohnzimmer öffnete sich vor dem erstaunten Auge des Gastes. Eine große Lampe erhellte den traulichen Raum, der allerdings weit mehr Luxus als Geschmack in seiner Einrichtung offenbarte. Da gab es amerikanische Schaukelstühle, kostbare Vasen, eine reichhaltige Waffensammlung und einen Glasschrank voll Silbersachen und Porzellain. In einer Ecke lagen Strickleitern, Brecheisen und allerlei anderes Geräth, das seltsam genug zu der übrigen Zimmerausstattung contrastirte.

»Freut mich, daß ich in meinen eigenen vier Wänden einmal von Ihnen die Ehre habe,« sagte Fischering, der sichtlich an dem Erstaunen des Gastes sich weidete. »Wie gefällt's Ihnen denn hier oben? Der Aufgang ist allerdings unbequem – sonst aber hat das Logis manches Angenehme.«

Der Commerzienrath nickte und klopfte seinen geheimen Agenten auf die Schulter, indem er mit einem seiner freundlichsten Lächeln ausrief: »auf Ehre, Freund Fischering, Ihr seid ein Mann, vor dessen Erfindungsgabe und Geschmack man gleich hohe Achtung haben muß! Doch – neue Environs da unten und zumal die Nachbarschaft – ist sie nicht gefährlich? Fromme Leutchen! Sehr fromm!«…

»O ja – sehr fromm! Desto sicherer!«

Sie mußten beide lachen, da sich ihre Blicke begegneten. Der Commerzienrath spielte den Cordialen. Er hielt diese Rolle am geeignetsten, um diesem eigensinnigen Burschen, der sich in der letzten Zeit von seiner Herrschaft zu emancipiren suchte, für seine besonderen Pläne zu gewinnen. Es zeigte sich bald, daß er hierin nicht fehlgegriffen.

»Ich komme zunächst, Freund Fischering! um Euch die bewußte Summe abzutragen, die ich Euch noch schulde,« sagte er, nachdem Beide Platz genommen.

»Ihr wißt, ich bin stets ein Mann von Wort. Nehmt!«

Der Agent steckte die Scheine ungezählt und unbesehen zu sich, als wolle er dem Gast dadurch seinerseits ein ganz besonderes Zeichen seines Vertrauens geben.

»Und Mosevius?« – fragte er lauernd nach einer Weile.

»Mit dem bin ich in Ordnung – aber sonst wenig zufrieden in Bezug auf –«

»Hm, ich verstehe«…

»Ich wollte, ich könnte mich auf ihn verlassen, wie auf Euch!«

»Zu viel Ehre, Herr Commerzienrath – aber die Frau Klingbeutelinspektorin – ich sollte doch meinen, daß die recht wirken könnte. Alte Weiber lieben es ja sonst, sich mit derlei Sachen abzugeben«…

»Dachte ich auch – aber«…

»Also auch von der Seite nichts zu hoffen? Da müssen der Herr Commerzienrath selbst eingreifen. Früher oder später muß es ja doch geschehen! Ich in Ihrer Stelle – seht Ihr – ich macht' mit der kleinen Dirn nicht halb so viel Firlefanzereien!«…

»Jede Uebereilung könnte Alles verderben!«

»Das wäre allerdings verteufelt – denn die Kleine ist ein Prachtmädel und so was läßt man nicht gerne aus den Fängen, wenn man's einmal hat!«

Er hielt den mißtrauischen Blick des Gastes ruhig aus, der diesen Worten folgte, nur ein unmerkliches ironisches Zucken der Mundwinkel ließ erkennen, daß er für sein Theil einen solchen Verlust jener sicheren Beute dem Schwarzrocke gar zu gerne gönnte.

Ein dumpfes Pochen im untern Raume hinderte den Commerzienrath, das Gespräch fortzusetzen. Er hielt indessen inne.

»Wenn er uns überfiele?« rief er aufspringend.

Der Andere gebot ihm hastig, sich ganz ruhig zu verhalten. Dann kniete er dicht bei dem Glasschrank nieder, schob dort eine Strohmatte zur Seite und öffnete im Boden einen Schieber. Mit sichtlicher Aufregung verfolgte der Commerzienrath jede Bewegung seines Wirthes, der sein Gesicht jetzt dicht zum Boden niederbeugte und durch diese Spionlucke aufmerksam niederzublicken schien. Nach einer Weile schob er geräuschlos die Klappe zu. Auf den Zehen näherte er sich seinem Gaste und flüsterte diesem in's Ohr: »Es meldet sich allerdings Besuch – ich lasse ihn aber nicht ein.«

»Wißt Ihr, wer es ist?«

»Gesehen habe ich ihn allerdings – doch kenne ich ihn nicht. S' ist ein schwarzer Teufel mit einem betreßten Rocke. Ein Mohrenbedienter, wie sie jetzt bei hohen Herrschaften Mode werden. Wer hat in der Stadt desgleichen?…«

»Laßt mich ihn sehen,« bat der Commerzienrath.

Der Schieber ward ihm bereitwilligst geöffnet. Er sah auf den Hof hinunter und erblickte dicht vor der Pforte des Schuppens denselben Diener, der stets die Equipage der Sennora Jannos begleitete. Die Laterne warf just ihr Licht auf das Gesicht des Mohren.

»Alle, Teufel, was macht Ihr? – schiebt nicht weiter auf, sonst sieht man Sie ja von unten!«

Der Commerzienrath gehorchte zögernd. Als er sich erhob, war sein Gesicht erdfahl.

»Auch dieser Elende ist bereits in den Händen meiner Feinde,« dachte er.

Während Fischering den Schieber vollends zurückschob, flüsterte er: »Wir müssen warten, bis er gegangen, jedes laute Wort ist unten zu verstehen. Oder wollen wir in's Nebenzimmer gehen, dort ist's sicherer!«

»Laßt mich dort eintreten und den Burschen heraufkommen. Vielleicht ist es für Euch von Wichtigkeit und ich will Euch nicht beeinträchtigen. Was es auch sei – auf meine Discretion, denke ich, könnt Ihr Euch verlassen, Freund Fischering? Zudem habe ich Zeit, die Visite abzuwarten.«

Fischering schien zu überlegen. Der Commerzienrath beobachtete ihn scharf. Kein Zug verrieth irgend eine Heimtücke.

»Ich kenne weder den Burschen noch seine Herrschaft« – sagte Fischering und seine Mienen schienen dieses Mal zu bestätigen, daß er die volle Wahrheit spräche.

»Wer weiß – irgend, ein Auftrag. Mohrendiener haben nur reiche Leute – das Geschäft könnte sich lohnen«…

»Hab keine Lust mehr zu neuen Unternehmungen. Ich will sobald als möglich wieder nach drüben. Dort lebt sich's besser als hier, wo die Polizei ohnehin schon mehr als ein Auge auf meine Wenigkeit geworfen hat. Das da, Herr Commerzienrath! sollte das Reisegeld sein. Mit dem nächsten Schiff segle ich nach Amerika!«

»Keine neuen Unternehmungen?« fragte der Andere, der durch das Geständniß des Agenten von dem gefaßten Argwohn befreit zu sein schien. – »Auch nicht für alte, bewährte Geschäftsfreunde?«…

»Nicht gerne – Herr Commerzienrath! Offen herausgesagt: nicht gern«!«

»Aber wenn ich selbst nun der alte Geschäftsfreund wäre?«

»Hm – ich hatt's halbwegs verschworen! Mir ist's in der letzten Zeit, als thäte mir die Luft hier nicht mehr gut!«

»Und wenn's –«…

»Still doch! will doch zuvor spioniren, ob der schwarze Bursche noch da ist.« Abermals kniete er nieder zu dem Schieber.

»Er ist fort!« rief er sich erhebend.

»Nun also hört, Freund Fischering. Es soll schon lohnen!«

»Mir fehlen zweitausend Thaler, um ein Sümmchen rund zu machen, das ich jetzt als reinen, waren Gewinn beisammen habe. Für diesen Rest bin ich noch zu haben – sonst aber nichts mehr!«

»Gut! Ich gehe!«

»Was ist's?«

»Darüber bei mir das Nähere in einer Stunde!«

»Heut' noch? Also pressirts?«

»Allerdings! Und ich darf sicher auf Euch zählen?«

»Nun –so sei's denn, bloß weil Sie es sind!«…

Kurze Zeit darauf verließ der Commerzienrath die Wohnung seines Agenten. Als er in die hell erleuchteten Straßen kam, bemerkte er den Mohren der Sennora Jannos, der mit hastigen Schritten dicht an den Häusern vorübereilte. Er versuchte eine Weile dem Menschen zu folgen, doch bald entschwand der Flüchtige seinen Blicken…

*


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