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VII.

Abenddämmerung. Ueber dem schweigsamen Walde das letzte Purpurglühen. Hinter der östlichen Hügelkette die falbe Mondsichel. Auf den Wiesen, wogende Nebel. Ein leiser Windhauch trägt Blüthendüfte über die träumende Welt. Verstummt das Lied der Vögel und der Schnitter im goldigwogenden Kornfeld. Ueber den thauigen Waldesgrund eilt das Reh zum Gränzbach in's Buschholz. Fern klingen einzelne Glocken heimkehrender Heerden. Des Tages dumpfe Schwüle ist gewichen.

Ein einsamer Wanderer schreitet durch den Sandbergwald gen Norden. Dort glänzen ihm aus einer Lichtung die Thurmspitzen eines alterthümlichen Schlosses entgegen. Umflossen vom Abendglühen, dicht umschlossen von schwarzgrünen Nadelhölzern macht das einsame Gebäude einen ganz seltsamen Eindruck. Man ist versucht, es für eine Luftspiegelung zu halten. Das ganze Bild stimmt so wenig zu dem Charakter des einförmigen Tieflandes, das mit seinen endlosen Getreidefeldern, seinen Wiesen und Mooren sich weit vorschiebt in's Meer, zu dem vor Zeiten dieses muldenförmige Flachland gehört haben muß… Gleich jener wundersamen Märchenherrlichkeit, von denen die Orientalen so gerne erzählen, liegt es vor dem erstaunten Blicke jenes Wanderers und lockt ihn zu sich heran.

Auch der düster blickende, ernste Mann scheint diese magnetische Anziehungskraft zu fühlen. Mit schnellerem Schritte eilt er die Lichtung hinab, dem Schlosse zu.

Wir erkennen in ihm den Maler, den Beschützer Meta's.

Es ist der dritte Abend, seitdem er die Arme im Walde gefunden.

Schon zwei Mal war er vergebens zum Eremiten hinausgegangen. »Der Herr sei verreist,« hatte der Schloßpförtner gesagt.

Heute schien der Maler glücklicher. Als er die große Zugbrücke überschritten hatte und die Glocke zog, welche an dem Quaderportal angebracht war, über dem ein verwittertes Wappen mit ehedem buntbemalten und vergoldeten Schildern glänzte, erschien alsbald der Pförtner mit den Worten: »Es sei nach ihm schon von dem Herrn gefragt und er möge unverzüglich sich hinaufbegeben.«

Die verwitterten Mauern und Zinnen, die halb, zerfallenen Balkone, die eingesunkenen Thürme, die Trümmer eines Heiligenbildes, in der Nähe betrachtet, erwiesen sich als absichtliche, künstliche Zerstörung, die ein jedenfalls abnormer Geschmack von vorneherein so aufgeführt. Die Ruine mochte kaum zwei Jahre alt sein. Der eigentlich bewohnbare Raum inmitten all' dieser Kapellen und Thürme war ziemlich beschränkt. Die innere Einrichtung des Schlosses war keineswegs so gesucht alterthümlich wie das Aeußere – sondern im grellsten Gegensatz dazu, sehr modern und comfortable, dabei mehr an amerikanische als an deutsche Arrangements erinnernd.

Im Souterain befanden sich Küche und Vorrathskammer. Das Parterre bewohnte der Schloßeigenthümer. Zur Rechten und Linken der Flur lagen je drei Zimmer. Das war für einen einzelnen Hagestolzen genügend. Je genauer und sorgsamer man Alles prüfte, desto mehr drang sich Einem die Ueberzeugung auf, daß ein ganz besonderes Original hier seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Todtenstille herrschte ringsumher. Auch auf der Hausflur lagen Teppiche und Strohmatten, jeden lauten Schritt zu dämpfen. Der vordere Hofraum zeigte überall Spuren jener künstlichen Verwüstung, die sich überall hier zeigte. Gestürzte Kapitale, zerbröckelte Vasen, eingestürzte Brunnenhäuser und verwitterte, vom Regen ausgehöhlte Leichensteine lagen in wilder Unordnung auf dem großen Raum zerstreut. Dazwischen wuchs Ginster und Farrenkraut. Das war die Aussicht, die sich der Schloßherr selbst geschaffen…

Seinen Lebensabend unter selbstgeschaffenen Ruinen zu beschließen – es war auf alle Fälle eine ganz wunderliche Idee. Daß diesem künstlich hervorgerufenen Verfall eine besondere Bedeutung zu Grunde liegen müsse, ward Jedem klar, der nur einmal den Schloßeigenthümer gesehen! Das war nicht das Aussehen und Gebahren eines halbwegs verschrobenen, alten Hagestolzen mit allerlei fixen oder baroken Ideen! Geist und Gemüth zugleich lag in dem edlen Greisenantlitz. Die scharfen Züge, das durchdringende Auge, die schneeweißen Locken, die hohe imponirende Figur gaben dem Alten etwas Königliches, Gebieterisches. Schlossen sich – wie es oft geschah – die Augenlider, so sah das gelbe Gesicht auffallend todt und abstoßend aus. Es lag dann etwas Geistesabwesenheit in den Zügen – vielleicht auch nur ein unendlicher Schmerz; Eines von den beiden sicherlich. Man schauerte zusammen bei diesem Anblicke und empfand doch Mitleid. Auch wenn sie geöffnet waren, lag es um diese tiefen Augen wie ein großes, unaussprechliches Weh. Langsam und feierlich war seine Sprache. Jedes Wort schien hervorzuquellen aus einem tiefen, tiefen Grunde, es war, als habe es einen gar langen Weg zurückgelegt, ehe es über die Lippen strömte… Wie oft hatte der Maler diesen feierlichen Tönen gelauscht in stillen Abendstunden. Er gehörte zu den wenigen Gästen, denen sich die Thore des alten Schlosses öffneten; zu den Wenigen, für die der Eremit nicht – todt sein wollte.

Auch jetzt saß er ihm gegenüber. Ein Tisch mit einem Schachbrett stand zwischen ihnen. Sie hatten sich stumm begrüßt und begannen alsbald das Spiel.

Das war allabendlich die Einleitung. Bei'm Spiel wurde kein Wort gesprochen. Der alte Herr hat oft geäußert, daß er dieser besonderen Anregung bedürfe, bevor sein Geist fähig und willig sei, auf eine lebhafte Unterhaltung einzugehen. Nur in dem durchdringenden Auge offenbarte sich das lebhafte Interesse, mit dem er das geistreiche Spiel durch alle Chancen verfolgte. Der Maler war stets im Nachtheile, nicht sowohl durch Unvertrautheit mit dem Spiele, als vielmehr durch Zerstreutheit. So oft er von den gleichmäßigen Marmorquadraten aufblickte zu dem ehrwürdigen Greise mit dem gelben, tiefgefurchten, träumerischen Angesichte, in dem ihm wieder und wieder neue Räthsel aufstiegen, vergaß er die vorbedachten Coups, die wohlüberlegten Angriffsplane, die sichernden Retiraden und – verlor das Spiel.

Heut' mochte ihn noch etwas Anderes vom Spiele abwendig machen. Früher als sonst erhoben sich die Spieler. Der Eremit hatte dasselbe wie gewöhnlich gewonnen. Er lehnte sich zurück in seinen Rollsessel und warf einen fragenden Blick auf den zerstreuten Gegner, der einen letzten überlegenden Blick auf sein unrettbares Spiel warf.

»Deine Gedanken, Freund Richard,« begann er endlich, »waren heut nicht auf diesem Schlachtfelde. Deine Truppen ließen sich fast ohne Widerstand schlachten – ihre Führer waren planlos. Darf ich wissen, was dich beschäftigt, was mir einen so leichten Sieg verschafft?«… Ein leichtes Lächeln flog hastig über das dunkle Antlitz.

Der Maler schien unschlüssig mit sich, wie er sein Anliegen vorbringen sollte. Er war es gewöhnt, sich in allen wichtigeren Lebensangelegenheiten bei dem väterlichen Freunde Rath zu holen. Das Gefühl einer gewissen Abhängigkeit, in welches er dadurch gerathen war, drückte ihn nicht. Er fühlte sich dadurch vielmehr um so inniger an den verehrten Greis angeschlossen. Noch hatte er nicht Gelegenheit gehabt, das Abenteuer mit dem entflohenen Pflegekinde des Paulinums zu erzählen. Ohne seine Schuld hatte die zweitägige Abwesenheit des Eremiten ihn daran, wie wir bereits wissen, verhindert.

»Du zögerst? Führe medias in res wie der Epiker! Etwas Wichtiges muß es sein, das meinen jungen Freund heute doppelt trüb und düster stimmt!«…

Die Rolle, welche der Commerzienrath in seiner Erzählung spielen mußte, beunruhigte Richard und veranlaßte diese Zögerung. Er wollte schonen und – doch wahr sein. Diese Rücksicht erwägend zauderte er mit seinen Enthüllungen. Bei der zweiten Aufforderung des Eremiten begann er endlich, der vollen Wahrheit gemäß Alles zu erzählen, was er von Meta wußte. Er schloß mit der Bitte, ihm bezüglich der Zukunft des verlassenen, schutzlosen Mädchens mit Rath und That beizustehen

Der Alte schwieg eine lange Weile. Richard sah abseit. Er konnte den Anblick des Angesichtes mit geschlossenen Augen nicht ertragen.

»Das sind also die Früchte dieser zelotischen Menschendressur?« sagte der Greis mit leiser Stimme, ohne die Augen zu öffnen. »Ich habe mich schon vordem persönlich überzeugt, wie es um dieses vielgepriesene Institut steht!… Unter dem Mantel christlicher Nächstenliebe und schwärmerischer Frömmigkeit hat sich zu allen Zeiten am sichersten der Tartüffe verstecken können … Die Nachricht überrascht mich nicht! daß der Commerzienrath dabei betheiligt ist, thut mir weh. Ich bin fest überzeugt, daß er nur aus wahrer Menschenliebe sich jenes verlassenen Wesens angenommen, daß er nur aus aufrichtiger Frömmigkeit in näherer Beziehung zu dem Vorstand des Paulinums getreten, dessen schurkische Gleißnerei seine arglose Einfalt bis jetzt nicht durchschaut. Noch heute Früh war er bei mir. Du weißt, er kommt selten. Jetzt erst verstehe ich vollkommen jene räthselhaften Aphorismen über Täuschung durch heuchlerische Freunde, vor denen auch ich schon ihn gewarnt… Er hat also, leider spät genug, erkannt, daß er sich zu tief mit jener Partei eingelassen, die kein Mittel scheute, ihn in ihre Kreise zu ziehen. Mit Schmerzen sah ich ihn nach jahrelanger Trennung in dieser Gesellschaft. Nicht ohne Absicht verschmähte ich, ihm eine stürmische Radikalkur aufzuoktroyiren. Er mußte durch sich selbst gesunden – nur so stand eine völlige Genesung zu erwarten. Mir scheint, er ist auf dem Weg dazu!… Was das Mädchen anlangt, so wollen wir dem armen Wesen die auf so seltsame Art ihm entrissenen Eltern treulich zu ersetzen suchen, in so fern das überhaupt möglich. Es bedarf dazu längerer Prüfung und Ueberlegung.«

Richard berichtete von der Beurtheilung dieses Vorfalls in den Organen der Presse, wobei er darüber staunte, wie es derselben gelungen sein möchte, dieses Faktum überhaupt zu erfahren. Er reichte dem Alten mehrere Blätter, welche von dieser Flucht aus dem »Paulinum« in mehr oder minder leidenschaftlichem Tone referirten.

Der alte Herr wählte einige Blätter und überflog die betreffenden Artikel mit schnellem Auge. Er bedurfte trotz seines hohen Alters keiner Brille und hielt mit fester Hand das Papier. So lange er aufgerichtet da saß, hatte seine Haltung etwas Straffes, Militärisches.

Als er zu Ende gelesen und sich wieder zurücklehnte in seinen Lehnstuhl, sagte er:

»Die Aufsätze sind von dir.«

Richard verneinte. Der Alte lächelte und drohte mit erhobenem Finger.

»Mein Beispiel hat dich verführt,« meinte er, trotz Richard's Betheuerung an seiner Ansicht festhaltend. »Ich bereue es nicht, mich in dieser Angelegenheit wieder einmal eingemischt zu haben in die Händel dieser Erde, die ich fast bis auf die Erinnerung vergessen, Ist mir doch die Genugthuung geworden, daß die Stimme des Prediger aus der Wüste nicht ungehört verhallte. Ich weiß, daß der Senat selbst die ganze Angelegenheit in die Hand genommen. Man wird revidiren – und aufräumen. Dem Paulinum wird die Staatssubvention entzogen; der Verwaltungsrath des unermeßlich reichen Cäcilienstiftes soll Rechenschaft ablegen und eine Generalrevision aller Kassen soll anberaumt werden. Es ist ein schreiendes Unrecht, daß diese vor Zeiten von Bürgern gestifteten Legate ausschließlich von der ultramontanen Clique verwaltet und zu ganz anderen Zwecken vergeben werden, als zu welchen die Stifter dieselben ursprünglich bestimmt. So ist in der Kapelle des heiligen Geist Hospitales ein neuer prachtvoller Altar aus dem Fonde der Cäcilienstiftung erbaut, deren Gelder lediglich und ausdrücklich zur Unterstützung alter Seeleute, Schiffsknechte und deren Wittwen und Waisen bestimmt sind… die reich dotirte Maria-Magdalenen-Stiftung verwendet ihre Ueberschüsse auf den Druck von Traktätchen!… Also wirthschaftet man mit diesen edlen Vermächtnissen einer glaubensfreudigen und opferfreudigen Zeit, vor der unser egoistisches Säculum beschämt zu Boden blicken muß! Was thun wir für unsere Armen und Hilfsbedürftigen? – Die Philanthropen und Pädagogen befassen sich mit Schulreformen… Gut! Aber ist's ihnen wohl eingefallen, ihr Hauptaugenmerk auf derlei Correktionshäuser zu richten, wie das Paulinum? Und doch wie nöthig sind leider dieselben in jeder Stadt! Es handelt sich dort darum, von der Hefe des Volkes zu retten, was zu retten ist. Und wie verfährt man?… Unser Paulinum zeigt's ja! Als unnütze, verwilderte Buben kommen die Zöglinge – als Heuchler und Betrüger gehen sie!…

»Mir graut davor,« sagte Richard, »einen Blick zu thun in die tiefsten Tiefen der Gesellschaft, in diese Höhlen des Lasters und der Verbrechen. Der Mensch, das schöne Ebenbild Gottes, tritt mir dort in so schrecklicher Verzerrung entgegen, daß ich die Augen abwenden muß. Halb Thier – halb Teufel grinsen sie mich an aus ihren Lumpen!«…

»Du bist als Künstler gewohnt, dich aus der Welt des Seins in die des schöneren Scheins hinüber zu flüchten. Hüte dich, daß dein ästhetisches Schönheitsgefühl dich dabei nicht zum herzlosen Egoisten mache! – Jenes treibende Element unserer staatlichen Gesellschaft, das tief unten in ungezählten Massen nach oben hin sich drängt und schiebt, das durch Noth und Elend gezwungen wird zu diesen vulkanischen Eruptionen in die höheren Schichten, verlangt gebieterisch das Hauptaugenmerk des Menschenfreundes und des Politikers zu werden! Die Neugestaltung der socialen Ordnung, die sich jetzt anbahnt, beruht, soll sie eine sichere werden und wahrhaft segensreich sich zeigen, immer auf jener breiten Basis. So lange diese nicht gefestigt ist und beruhigt in ihren gerechten Forderungen, steht unsere Hypercultur auf einem rein vulkanischen Boden… und auf die Höhe folgt – wer weiß wie bald! – der tiefe, der donnernde Fall!… Der Herr Professor in seinem bequemen Lehnstuhl und der orthodoxe Splitterrichter auf der Kanzel haben es gar bequem in schön klingenden Phrasen das alte pauperiem pati des Horaz zu variiren! Mit Phrasen aber ist hier nichts gethan! Das Wort muß zur That werden! … Man hat gesagt: ›die Armuth sei die ewige Krankheit des Menschengeschlechtes.‹ Wohlan, wir müssen Heilmittel suchen für diese Krankheit, deren giftiger Pesthauch allein die Masse des Volkes aufjagt zum Verzweiflungskampfe gegen die bestehende Ordnung und gegen den Besitz!«

»So denke auch ich,« fiel Richard lebhaft ein. »Der Mensch ist gut,« rufe ich mit Jean Jaques!… Noth und Elend sind die Lehrmeister der meisten Verbrechen!«

»Darum gilt's, diese Quellen zu stopfen. Staat und Kirche müssen gemeinsam sich zu dieser großen Aufgabe verbünden. Der Staat soll sie lösen durch sociale Reformen, welche Abhilfe schaffen für das schreiende Mißverhältniß zwischen Arbeit und Lohn, soll alle Schlagbäume mittelalterlicher Gerechtsame niederhauen, welche dem frischen Streben aller Kräfte hemmend entgegen stehen, soll alle Hilfsmittel des Landes heranziehen, die der Masse dienen zum Erwerb… die Kirche öffne ihre Schatzkammern. Das Göttliche bedarf keines irdischen Schmuckes. Man kann Tausende speisen, ohne dem Göttlichen etwas zu entziehen. Die Kirche erwecke die trägen und selbstsüchtigen Herzen der Reichen und stimme sie zu gleicher Opferfreudigkeit, wie unsere Vorfahren sie gezeigt. Gaben Jene auch meist im blinden Köhlerglauben unter Angst und Zittern – so laßt uns geben aus freier Erkenntniß und aufrichtiger Bruderliebe!«

»Bruderliebe? Das Wort klingt in unserer materiellen Zeit wie ein längst vergessenes Märchen.«…

»Sie suchen nach dem Stein der Weisen,« sagte der Alte wie abwesend vor sich und seine sonst so milde Stimme klang voll Bitterkeit und scharfem Spott. »Sie haben Augen und sehen nicht!… Sie wird sich rächen diese Blindheit!«…

Eine tiefe Stille trat ein. Die Blicke des Alten wandten sich abseit und fielen auf ein weibliches Portrait. Er winkte hastig mit der Hand.

Richard zog die Vorhänge zusammen, die sonst das Bild bedeckten.

Ermattet lehnte sich der Alte zurück. Seine Lippen zuckten krampfhaft. Der Blick schien nach innen gewendet. Hin und wieder sprach er leise, unzusammenhängende Worte – wie zu sich selbst.

»Du sollst mir mit Nächstem die Kleine bringen,« sagte er endlich. Er schien sich zu zwingen, jene peinigenden, stummen Gedanken abzubrechen, die ihn ängstigten. »Beschreib' es mir.«…

Richard folgte dem Wunsche des Eremiten. Der Maler hatte leichtes Spiel – Wirklichkeit und Phantasie vermengend – den Zuhörer durch ein so lockendes Bild zu fesseln, daß in die düsteren Züge des Alten endlich wieder ein leises Lächeln trat. Richard's Absicht war erreicht. Der finstere Dämon schien von dem Greis gewichen. Er ward wieder gesprächig und heiter.

»Dies neue Zeugniß deines edlen Herzens,« sagte er, dem jungen Freund die Rechte reichend, »erfreut mein altes, freudeleeres Herz, mein Richard. Immer neue Aehnlichkeiten mit deinem allzu früh heimgegangenen Vater! Ich segne den Zufall, der uns zusammenführte. Kann ich doch gut machen an dem Sohne, was ich an ihm verschuldet und verbrochen.«

»Es ist unrecht, Euch mit solchen falschen Vorwürfen selbst zu peinigen. Wenn Ihr wirklich den Jugendfreund einmal verkannt – Ihr waret ja schuldlos. Auch mein Vater wußte das. Er starb mit einem Segenswunsch für Euch auf den bleichen Lippen.«

»Es ist mein Schicksal« – sagte der Alte und wieder trübte sich sein Blick – »daß Alle, die mich geliebt, von mir verletzt und gekränkt wurden, als hätte ein böser Dämon mich geblendet, daß ich Haß zu sehen glaubte, wo Freundschaft und Liebe mich zärtlich anblickten. Selbst in meinem Hause stand es ebenso! Dem alten König Lear gleich, theilt' ich meine Habe… doch die Besten schloß ich aus vom Erbe! Von denen ich durch diese ungerechte Theilung Dank erwarten konnte – sie stießen mich zurück, da ich heimkam in der Maske eines Bettlers… Ich mag des Abends nicht denken, da ich rückkehrend von Drüben, in einem abgenutzten Reisekleide eintrat zum Protonotar, in dieser Bettlerhülle das Herz des Sohnes zu prüfen … Noch klingt sein kalter Spott in mein Ohr!… Der Commerzienrath war gerade fern… Bei ihm, hoffe ich, wäre es mir besser ergangen. Er hat ein weiches und frommes Gemüth. Und doch fehlt auch zwischen uns die ächte Liebe!… Ach Richard, sich am Abende des Lebens sagen zu müssen: Du selbst hast das verschuldet – das ist ein hartes, bitteres Schicksal!… Kann ich Liebe ernten wollen, wo ich Haß gesäet? Wende mir nichts ein – was du sagen willst, errath' ich schon… Meine Söhne sind nie glücklich gewesen in ihrem Berufe. Der Commerzienrath ist mit Widerwillen Kaufmann, wie der Protonotar ohne Lust und Liebe die Jurisprudenz betrieben. Ich war's, der sie zwang, sich diesem Berufe zu ergeben. Ich folgte der alten Tradition unserer Familie. Seit den ältesten Zeiten war der Erstgeborene Chef der alten Firma, der Folgende Jurist gewesen, und Beide hatten stets die höchsten Aemter im Staate inne gehabt! Ich folgte dieser Tradition bei der Erziehung und Berufswahl meiner Söhne! Ich Thor! Wie konnte ich glauben, für ihr Glück zu sorgen, da ich ihnen die wesentlichste Bedingung aller irdischen Wohlfahrt und Zufriedenheit entriß!… Glaube mir, mein junger Freund, es ist in jeder begabteren und edleren Menschennatur ein gewisses ureigenthümliches Element, in der sich seine tiefinnerlichste, besondere Art abspiegelt. Wohin dieses Element den Geist treibt, dahin gehört er! Auf anderen Bahnen wird er stets, bald mehr bald weniger bewußt, sich unbefriedigt fühlen! Wie manch' zerrüttetes Familienleben, wie mancher Sturz eines Geschäftes, wie mancher Selbstmord sogar stammt sich her aus der falschen Berufswahl!… Auch der Protonotar starb… darum als Selbstmörder! Niemand widerlegt mir diese Ansicht!… Und auf mich fällt diese entsetzliche, fluchenswerthe That zurück!… Man hatte mich schonen wollen… Der Commerzienrath theilte mir die Schreckensbotschaft nach langen, wohlmeinenden Vorbereitungen erst dann mit, als der Bruder bereits im Grabe lag! Man hatte absichtlich die Beerdigung beschleunigt, damit ich nicht vor der Zeit die Schreckenskunde vernehmen sollte und durch den Anblick des Selbstmörders… o welcher Qual hätte mich solch' ein schneller Tod überhoben, wenn, wie der Sohn fürchten mochte, jener entsetzliche Anblick mich augenblicklich dahin gerafft!… Zu leicht wäre die Buße gewesen! Zu leicht!… Gerecht ist die Strafe des Himmels! … Tag und Nacht steht der drohende Geist des Selbstmörders vor mir – schaudernd schließt sich mein Auge vor der blutbefleckten Gestalt… Mir ist als höre ich seine halb erstickte, röchelnde Stimme, welche ruft: nicht ich, Du, nur Du bist in Wahrheit mein Mörder!… Und dann gesellen sich andere Gestalten dazu… aus alten Tagen… auch sie erheben Anklage gegen mich!… Und nirgend ein Ort, wo ich Ruhe fände vor dieser Fülle schrecklicher Gesichte… Selbst im Traume stehen sie vor mir… ihre Klagen verwirren die Gebete auf meinen Lippen… sie drängen sich wie Furien ein in die Gedanken und jagen sie wild und toll durcheinander, daß die Nacht des Wahnsinnes mir Elenden oft willkommen wäre, könnte ich sie eintauschen gegen diese schreckliche Helle! Ringsumher mahnt Alles mich an den Tod, an Untergang und Vergehen… Trümmer und Schutt erinnern mich allstündlich daran!… Ich selbst habe mir diese sichtbare, symbolische Mahnung vor das Auge gestellt! … Es heißt: abschließen mit dem Leben!… Ich ziehe die Summen zusammen zur Rechten und Linken… und schaudere vor dem Resultat! … Ich will nicht von hinnen als ein Schuldner gehen gegen irgend einen Mitbruder… aber ach… wie tilge ich meine Schuld?!«…

Er hatte das Gesicht mit beiden Händen bedeckt und seine Stimme erstarb in ein unverständliches Röcheln. Erschreckt bog sich der Maler über ihn – der Athem ging langsam und stockend. Er ergriff die Hände des Alten. Sie waren eiskalt. Als er sie sanft hernieder zog, war das Gesicht wie das eines Todten. Er eilte zur Glockenschnur. Ein alter Diener trat ein. Er schien diesen Zustand seines Gebieters zu kennen und winkte dem Maler zu, sich still zu verhalten. Aus einem Wandschrank holte er sodann eine Flasche mit rothbrauner Flüssigkeit, von der er dem Bewegungslosen ein Löffelchen einflößte. Alsbald schlug der Greis die Augen auf und richtete sich hastig empor, wie Einer, der plötzlich aus dem tiefsten Schlafe aufgeweckt wird. Der alte Diener entfernte sich sogleich und flüsterte dem Maler im Vorüberstreifen die Worte zu: »es ist vorüber – aber sprechen Sie nichts über diesen Anfall.«…

So oft Richard den Eremiten besuchte, war ein solcher Fall nicht eingetreten. Sein Erstaunen wuchs zumal bei den Worten des Dieners. Dieser hatte das Fläschchen mit sich genommen. Richard vermuthete, daß der Anblick desselben den Alten nach diesem Zufall unangenehm berührt haben möchte. Es fehlte an Zeit, es zu verbergen – so schnell erholte sich der Ohnmächtige. Der Maler hatte sich, der Weisung des Dieners folgend, auf seinen Sessel nieder gelassen, als sei nicht das Geringste vorgefallen. Der Alte hatte sich erhoben und schritt zu dem Fenster. Es war draußen frühzeitig dunkel geworden. Ein Gewitter schien im Anzug. Gegen Osten zu thürmten sich schwarze Wolken auf

»Ihr bleibt für diese Nacht mein Gast,« sagte der Alte. »Ich darf nicht zugeben, daß Sie unter solchen Auspizien da draußen heimgehen. In wenig Minuten wird das Wetter losbrechen… Wenn Ihr mir versprechen wollet, nicht wieder so zerstreut zu spielen, wie vordem, so möchte ich Euch auffordern, noch eine Parthie Schach mit mir zu spielen…

Richard versprach es. Sie spielten.

Der Alte verhielt sich noch feierlicher, zurückhaltender als sonst. Es war dem Maler aufgefallen, daß er an die Stelle des zutraulichen Du urplötzlich das ceremonielle Sie eintreten ließ. Erst während des Spieles belebten sich die noch immer starren Züge und der Geist schien jetzt allgemach in die ihn umgebende Wirklichkeit zurückzukehren. Auch die Blicke, die er auf seinen Gast warf, waren freundlicher und vertrauter… Das Alles gab dem jungen Manne Stoff zu den mannigfachsten Reflexionen und – er spielte just so zerstreut als das erste Mal.

Wider seine Gewohnheit unterbrach der Alte dieses Mal das bei'm Spiel sonst streng bewahrte Schweigen mit den Worten: »Ich verbiete dir, mich gewinnen zu lassen! Nur durch einen eklatanten Verlust kann ich wieder heiterer werden!«…

Das Gewitter brach inzwischen mit furchtbarer Gewalt los.

Der alte Diener brachte Licht, denn tiefe Finsterniß herrschte trotz der frühen Stunde in dem Zimmer.

»Keine Briefe?« fragte der Schloßherr.

Der Diener schüttelte den Kopf.

»Der Herr schläft bei uns!«…

Der Diener nickte.

»Du weißt? Oben… links.«…

Sie spielten das Spiel zu Ende. Richard hatte verloren. Der Alte blieb finster und schweigsam auch während des Abendessens, das bald folgte. Kaum hatte die Uhr im Schloßthurm die neunte Stunde angesagt, als er sich von dem Maler mit einem Händedrucke verabschiedete.

»Gute Ruh,« sagte er mit gepreßter Stimme. Der Ton drang dem Maler tief in's Herz. Er klang so schwer, so trüb. Das Auge schien umflort wie von Thränen, die vergebens einen Ausgang suchten über diese starren Wimpern.

Er schellte. Der alte Diener erschien.

»Oben… links!« wiederholte er auf Richard zeigend mit seltsamer Betonung. Der Diener verneigte sich tief.

Mit festen Schritten verließ der Schloßherr das Gemach.

»Wenn's gefällig wäre, Herr Richard!«…

Eine heftig angezogene Klingel im Nebenzimmer störte den alten Diener in der Fortsetzung der an den Gast gerichteten Einladung, ihm zu folgen. So ging er denn, achselzuckend, kopfschüttelnd in das Nebenzimmer. Der Regen schlug an die Fenster. Von Zeit zu Zeit erhellten Blitze die undurchdringliche Dunkelheit. Der unmittelbar folgende Donner zeigte an, daß das Gewitter sehr nahe sei. Es dauerte eine geraume Zeit, bis der alte Diener zurückkam. Richard empfand ein ganz eigenthümliches, ihm unbekanntes Grauen. Wie still und öde war's in dem weitläufigen Gemäuer.

Vom Blitze erhellt, schimmerten hin und wieder die umgestürzten Capitäle und verwitterten Leichensteine in dem wüsten Vorhofe. Ein leichter Lichtpunkt am düsteren Portal verkündigte die ununterbrochene Wachsamkeit des Portiers, der in einem mittelalterlichen Erker ohne Ablösung des Thores hüten mußte.

Als der Diener endlich zurückkehrte, fand Richard das sonst so gutmüthige und heitere Gesicht dieses freundlichen alten Mannes überaus düster und traurig. Ohne Zweifel gab der Zustand des Schloßherrn Anlaß zu solcher Stimmung.

»Ist Euer Herr auf's Neue« – –

»Nein – nicht krank wie vordem! Aber«… Er vollendete den Satz nicht, sondern blickte sich scheu um, als fürchte er belauscht zu werden. Er ergriff den silbernen Armleuchter und schritt dem Gaste voran.

Richard folgte.

Der Weg führte über eine hohe Hausflur. Die gewölbte Decke stützte sich auf dorische Säulen. Ein gelblich grauer Farbenton überzog Wand und Gewölbe. Nirgend ein freundlicher Ausputz, nirgend das Zeichen, als sei die Halle der Eingang zu einer bewohnten Wohnung. Ueber eine breite Treppe mit reichgeschnitztem Geländer gelangte man in den ersten Stock. Die röthlich schimmernden Wachslichter warfen nur ein ungewisses Licht durch den weiten Raum. Auch hier sah es öde und unwirthlich aus. Ein offener Corridor schien sich um das ganze Haus zu ziehen, in dem alle Zimmer des ersten Stockwerks einmündeten. An beiden Enden erweiterte sich derselbe zu einem Rondell und füllte dadurch zum größten Theile den inneren Raum der hohen Thürme aus, welche das mittlere Wohnhaus einschlossen. Zum Thurme auf der linken Seite leuchtete der Diener. Sie traten aus dem Rondell, indessen Mitte eine Sphinx lag, in ein kleines, aber freundlich meublirtes Gemach. Dort fand der Gast das ihm bestimmte Lager.

»Das Gewitter läßt nach,« sagte der Alte, indem er die grünen Vorhänge an den Bogenfenstern herabzog. »So gibt's denn wohl auch für uns eine ruhige Nacht. Der arme Herr!« …

Staunend hörte Richard diese seltsamen Worte. Der Diener kam seiner Frage zuvor, indem er also fortfuhr. »So oft's draußen stürmt und wettert, scheint's auch bei dem Herrn Senator – da drinnen mein' ich – zu stürmen! Wie ein ruheloser Geist irrt er dann oft ganze Stunden umher!… Ihnen kann ich's schon sagen – nicht wahr, junger Herr? Wir haben unsere liebe Noth. Was sollen wir dabei thun? Niemand darf dem Herrn dann in den Weg treten. Wir können nichts thun, als für ihn beten … Na gehabt Euch wohl, junger Herr… und bleibt ruhig, sollt's auch da draußen hier und dort (er zeigte in's Freie und zurück in's Haus) unruhig sein!« .…

Dann ging er und überließ den Gast den mannigfachen, düsteren und beunruhigenden Gedanken, zu denen ihm die Erlebnisse dieses Abends Anlaß boten. Noch nie zuvor hatte er den würdigen Schloßherrn in einer so auffallenden Erregung gesehen. Die Ohnmacht war bei seinem Alter und der vorausgegangenen Gemüthserschütterung nicht unerklärlich – desto mehr die räthselhaften Enthüllungen des alten Dieners.

Richard hatte sich in einen hohen Sammtsessel geworfen, der in der Nähe des größten der Bogenfenster stand und hing hier mit geschlossenen Augen seinen Gedanken nach. Von Zeit zu Zelt streifte eine blendende Helle an den Wimpern vorüber. Prasselnd folgte der Donner. Es war, als dröhne das Firmament gerade über seinem Haupte. Der Regen floß noch immer in Strömen. Die Tannen schwankten hin und her vom unheimlich sausenden Winde und auf den Thürmen und Zinnen krächzten die verrosteten Wetterfahnen. Er öffnete die Gardinen und starrte – um seinem düsteren Gedanken-Labyrinth durch diesen Anblick zu entfliehen – in die stürmische Gewitternacht hinaus… Das Licht im Erker des Portiers war erloschen. Auf dem weiten Corridor heulte der Wind durch die hohen Kamine. Selbst ein männlich starkes Herz konnte sich eines Schauders nicht erwehren.

Die gewaltig kämpfenden Naturgewalten hätten ihm, dem Maler, doppelt anziehend erscheinen müssen in ihren wilden Ausbrüchen. Er wandten sich indeß bald ab von dem erhabenen Schauspiel. Sonst und Jetzt zerfloß in seinen Sinnen – abgewendet von der Außenwelt hing er seinen düsteren Träumereien auf's Neue nach. So saß er lange, lange – lautlos vor sich hinstarrend, das Haupt gestützt. Immer schmerzlicher ward der Ausdruck seines bleichen Gesichtes, immer höher hob sich die Brust, immer ängstlicher ging der Athem. Was ihn bedrängte, mußte sich von dem übervollen Herzen durch Worte entlasten, und so – ihm selber unbewußt – sprach die zitternde Lippe, was im tiefsten Heiligthume seines Innern aus alten oder jungen Tagen dort anklingen mochte

»Ist es nicht wahr – in jedes Menschen Leben ist ein düsteres Etwas, das bald heraustretend aus ihm die ganze, sonnenhelle Welt mit düsteren Trauerschleiern überzieht – bald innen sich zusammenballend das zuckende Herz abknirschen möchte. Umsonst ringen wir, es von uns zu thun… Es bleibt! Es bleibt!… Einem feindseligen Dämon gleich krallt es sich fest in Herz und Hirn und weicht nun und nimmer – weicht nicht dem eisernen Willen, nicht der Freundesbitte!… Du schönes Bild aus alten Tagen, steigst du auf vor mir, als wollest du es bannen?… Da ich dich noch mein eigen nannte, da war auch jenes düst're Etwas nicht in mir – da war es licht und hell in mir wie Frühlingsmorgen und der trunkene Blick schaute in eine ewige Perspektive voll Duft und Friede, voll Glück und Freude!… Wie sonnenhell lag da die Welt vor mir! Und da du gingst… wie finster, trüb und herbstlich öde ward es da!… da kam's auch über mir und grub sich ein mit spitzen Zähnen in mein betrogenes Herz und in mein wirres Hirn; das dunkle Etwas!… Und mit mir fort durch mein verdüstertes Leben trug ich's bis zum heut'gen Tage und nirgends – nirgends ein Hoffnungsstern auf der dunklen, dornenvollen Bahn – nirgends ein Vorzeichen der Erlösung – dunkle Nacht überall!… O jüngst, da ich in diese dunkelblauen Kinderaugen schaute – da war mir's wieder, als kehre jene längst vergangene Zelt zurück! Als flöhe der finstere Dämon davon, der brütend sitzt über meiner Schwermuth, als würde es wieder hell da drinnen, als blühten grüne Hoffnungstriebe empor aus den Gräbern meiner Jugendträume!… Gleich diesem wundersamen Alten hier blick' auch ich zurück auf Trümmer und Grabstätten, auf Zerstörung und Wüsteneien!… Jene Unglückselige Liebe hat's mir angethan und wärest du nicht meine Trösterin, ewige Kunst – was fesselte mich noch an dieses Dasein, was stärkte mich noch, diese Lasten mit mir zu tragen durch ein so freudenarmes Leben? Nur in dem Ringen nach jenem Ideal, das in jedes Künstlers Brust ersteht, find' ich Befriedigung und Trost!… Jenes unglückselige Phantom – ich will's abschütteln – will ganz und einzig dir nur angehören! Mögen sie spotten über uns die herzlosen Söhne des heutigen Materialismus – nur in der Welt des schönen Scheins allein ist noch ein Leben denkbar, das diesen Namen verdient! O wie unsäglich elend ist der Mensch, der dahinlebt ohne Diener zu sein einer höheren Idee, die erhaben über dem lauten Markte der Welt, erhaben über all' die niedrigen Leidenschaften dieser Egoisten, uns emporträgt auf goldenen Schwingen zu einem höheren Sein! Mögen sie uns immerhin verspotten als Phantasten – wir dulden es gern und schauen mitleidsvoll lächelnd herab auf die armseligen Spötter! … Ihr sprecht vom Verfall der Künste – die wahre Kunst ist durch ihre ewige Jugend ausgeschlossen von jenem herben Schicksal alles Irdischen. Ist sie doch auch nichts Irdisches!… Ihr redet von den großen Kämpfen unserer Zeit, der man als Sohn sich nicht entziehen soll… Wohl, auch wir winken grüßend Euch reineren Vorkämpfern der edleren Zeitideen zu… Ihr allein seid uns geistig Verwandte!… Auch Ihr lebt und wirkt ja für höhere Ideen! Wir streben zu einem und demselben Ziele – wenn auch auf scheinbar verschiedenen Wegen!… Freiheit, die ewige Losung des ringenden Menschengeistes steht auf unserem Panier! Auch wir erstreben sie! Wahrheit und Schönheit – unsere Ideale – und sie nicht Ehrenbürgerinnen im Reiche der Freiheit!… Horch was ist das?«…

Er fuhr empor aus diesen lauten Traumreden.

Ein rasselndes Geräusch, das die Wölbung über ihm durchtönte, hatte ihn aufgeschreckt. Es war als schleife man Kugeln an langen flirrenden Ketten. Das Wetter draußen hatte sich völlig ausgetobt. Der Mond leuchtete friedlich und klar. Auch der Wind hatte sich zu Ruhe begeben. Alles wieder still. Schon glaubte er an eine Sinnentäuschung, als sich jenes eigenthümliche Geräusch wiederholte. Jetzt klang's wie Fußtritte eines Geharnischten. Er eilte zur Thüre. Auf dem Corridor war Alles ruhig. Das Geräusch zog sich nach dem anderen Flügel des Hauses… Er öffnete die Thüre … Tiefes Dunkel ringsumher… Die Tritte verklangen, das Rasseln hörte auf… doch jetzt – ein Schrei! Es klang wie ein unterdrückter Hülferuf. Er erkannte die Stimme des Schloßherrn.

Schnell entschloßen ergriff er den Armleuchter und eilte mit demselben dem Corridor entlang… Ein leises flehentliches Wimmern erscholl vom Thurme an dem entgegengesetzten Ende desselben. Unten im Hause war Alles still wie in einem Grabe. Das Mondlicht fiel durch die hohen Fenster, die zum hinteren Park hinausschauten und warf einen zweifelhaften Schatten auf den Fußboden der Gallerie. Bald war das Rondell erreicht, das demjenigen entsprach, wo man Richard sein Schlafgemach angewiesen. Aufrichtige Besorgniß für seinen edlen alten Freund hatte seine Schritte beflügelt. Dicht über ihm klang das Wimmern des Alten stärker denn zuvor…

Er suchte nach der Treppe, die in den oberen Stock führte. Das Mondlicht zeigte ihm die Thüre derselben. Seine Lichter hatte der Zugwind im Corridor ausgelöscht. Die Thüre war nur angelehnt. Ohne sich zu bedenken, stieg Richard die schmale Wendeltreppe hinan. Wieder eine Thüre … auch diese war angelehnt… das Wimmern hatte aufgehört. Ein kalter Wind strich durch den dunkeln Raum. Er sah über das Geländer tief hinab bis zur großen Halle. Ihm graute vor dem Abgrund…

Abermals Geräusch in dem Thurmzimmer. Ein Kasten wurde mit einem Schlüssel geöffnet. Der eiserne Deckel fiel zurück auf den Steinboden. Er hörte wiederum das leise Stöhnen und Wimmern… Allerlei Geräthe und Papierballen mußten umher geschleudert werden … endlich fiel klirrend ein Dolch oder Degen. Gleich darauf ein herzerschütternder Schrei des Alten… Richard öffnete die Thüre… Es hielt ihn nicht länger in jener schrecklichen Ungewißheit…

Hell beleuchtete der Mondschein die seltsame Scene. Auf dem Boden lag der Alte im leichten Nachtgewande – vor ihm ein Kasten, dessen Inhalt zerstreut umherlag… Er stierte auf einen Dolch, den er in den mageren Händen hielt… Richard erkannte ihn als denselben, den er einst dem Alten entriß, da Jener im Walde drüben sich selbst den Tod geben wollte… (So hatte der Zufall ihn mit diesem seltsamen Menschen zusammen geführt)… Der Schloßherr schien seinen Gast nicht zu bemerken. Selbst als die Thüre sich knarrend öffnete, wandte er sein Gesicht nicht ab von dem Mordinstrument… Den einzigen Schmuck der kahlen Wände des Thurmzimmers bildete ein großes Oelgemälde… Richard erkannte staunend das Gesicht seiner… Madonna!…

Der Greis hob sich jetzt mühsam auf und zu dem Bilde gewendet, den Dolch in den erhobenen Händen rief er mit tonloser Stimme: »Nein – ich muß leben um deinetwillen!… Ich will gut machen… Ich schwör's!… Blick mich nicht so finster drohend an… Ich will gut machen!… Komm… meine Arme sind dir offen!… Noch immer blickst du so finster und kalt, so fremd, so drohend? Habe Mitleid mit mir! … Mitleid? Hatte ich's mit dir?…

Er fiel zusammen. Sein Körper zuckte konvulsivisch zusammen.

Wie erstarrt stand der Maler auf der Schwelle, keines Lautes, keiner Bewegung mächtig!

Endlich richtete sich der Greis wieder empor. Der Dolch entfiel seiner Hand. Er hatte die starren, leblosen Augen gerade auf Richard gewendet. Dennoch schien er ihn nicht zu sehen – wie ein Nachtwandler!… Dieser Gedanke überkam unwillkürlich den Maler und er beschloß, so lange der Alte nichts Feindseliges gegen sich selbst übernähme, lautlos an der Schwelle zu verharren… Er sah wie der Eremit sorgsam die Papiere zusammen legte und mehrere kleinere Kästchen nicht ohne Mühe wieder in die eiserne Kiste legte. Zuletzt auch den Dolch und ein altes Gebetbuch mit silbernem Beschlag. Dann erhob er sich und schritt auf das weibliche Bildniß zu. Dort verharrte er lange mit gefalteten Händen. Seine Lippen bewegten sich hastig, doch vernahm der Zuschauer dieser seltsamen Scene kein Wort. Endlich näherte er sich dem Fenster. Hell fiel das Mondlicht auf die weißen Locken des Alten, der nicht ohne Anstrengung den Riegel der Bogenfenster öffnete. Es gelang jedoch nur bei dem unteren, der obere leistete zum Glück Widerstand. Er schüttelte den Kopf und näherte sich der Thüre, ohne zu bemerken, daß ihm dort jemand im Wege stand.

Der Maler wich zurück und suchte die Wendeltreppe vor ihm zu erreichen. Es gelang. Langsam mit feierlichen Schritten folgte der Alte. Schon hatte er den Corridor des ersten Stockwerks erreicht, als er plötzlich still stand und nachzusinnen schien. Dann kehrte er um und kletterte noch einmal die Wendeltreppe hinan. Richard hörte, wie er dort die Thüre des Thurmzimmers dreimal umschloß. Dann sah er ihn zurückkehren. Auf dem Absatz der Treppe bog er sich weit über das eiserne Geländer. Jeden Augenblick schien er sich hinabstürzen zu wollen.

Was thun? Der Maler stand rathlos. Er wußte, daß jeder laute Schrei die Nachtwandler fast immer bis zum Tode erschreckt – und doch, wie durfte er dem gräßlichen Selbstmorde unthätig zusehen. So verging, da er in höchster Erregung Rath suchte und nicht fand, eine schreckliche Minute.

Da wandte sich der Alte zum Weitergehen. Beruhigt sah Richard den Armen sodann auf der breiten Treppe dem unteren Wohnhause zuschreiten. Jetzt erst schien alle Gefahr beseitigt. Er hörte bald darnach wie sich eine Zimmerthüre unten öffnete… Dann ward Alles still… Schaudernd kehrte Richard in sein Thurmzimmer zurück.

*


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