Omar Al Raschid Bey
Das hohe Ziel der Erkenntnis
Omar Al Raschid Bey

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IV. Wirklichkeit dieser Welt – karma –

Ursache und Wirkung. Freiheit und Notwendigkeit. Tat und Duldung. Lust und Leid. Kein Gesetz dem Wissenden. Das Trinken der Vergeltung. Ausgleichende Gerechtigkeit der Gottheit. Alles Grauen dieser Welt ruht auf Lust. Alle Wirklichkeit dieser Welt ist im Ich. Zu dem, was ich dir ferner zu sagen gedenke, o Teurer, wisse: einfach ist alle Wahrheit, Vielheit ist Irrtum dieser Welt.

Wie das dichte Laubdach eines Urwaldes vor einem stürzenden Stamme zerreißt und helles Tageslicht plötzlich die Dämmerung am Boden überflutet – so brach bange Unwissenheit in sich zusammen und überstrahlte mich das Licht der Erkenntnis; und was große Lehrer vor mir als unausdenkbar erachtet hatten, als unergründlich, als ewiges Geheimnis – trat in mir zutage, wuchs und erstarkte zu voller Erkenntnis. Gesegnet sei die Stunde, da ich Gewißheit erlangte: also ist, was sie Tatgesetz nennen, also ist Wirklichkeit: Karma – Freiheit des Tuns – eherne Notwendigkeit.

Und schon einmal habe ich solche Erkenntnis ausgesprochen zu jenen Zeiten, als der König der Videha mich befragte; aber unverstanden blieb, was ich verkündete, unerkannt in seinen Tiefen – verlorene Wahrheit offenbare ich dir wieder.

 

* * *

 

Aus ur-Sprung –: ur-Teil-Ich-Erscheinung; aus ur-Teil-Ich –: ver-Langen; aus Verlangen –: Tat

– KARMA –

*

Tat und Tatergebnis, Wirken und Wirklichkeit dieser Welt – in dir, o Teurer, als Lust und Leid bewußt, als Tat und Duldung, als Ursache und Wirkung, als Freiheit und Notwendigkeit – in dir, o Teurer, als vergeltende Gerechtigkeit der Gottheit wach.

*

Also ist die Unterweisung:

Wie im dichtgeschlossenen Raume dein Atem die Luft verdirbt und die verdorbene Luft auf dich vergiftend zurückwirkt –

– wie ein fliehender Feind, von dir verfolgt, sich wendet und dich aus Tat und Angriff zu Abwehr und Leid zurückdrängt –

– wie das Geschoß der schwarzen Haut im Wurf auf dich zurückkehrt –

– wie dein Schwert, am Widerstand abprallend, dich selbst trifft –

– also ist Karma: Tat und Widerstand, Wirkung und Rückwirkung, Ausgleich, Vergeltung, ewige Gerechtigkeit – Wirklichkeit dieser Welt.

 

* * *

 

Karma, Wirklichkeit dieser Welt, wirkt sich in dir aus Ursache und Wirkung.

Ursache und Wirkung erscheint mit dem Zerfall in Ich und nicht-Ich.

Du empfindest eigner Tat Ursache in dir, schaust eigner Tat Wirkung außer dir, am wider-Stand; Widerstand ist Wirkung auf dich; Wirkung auf dich begreifst du als fremder Tat Ursache. Ursache wird Wirkung, Wirkung wird Ursache. Die Tat bedingt das Ergebnis, das Ergebnis bedingt die Tat; Voraussetzung ist Enderfolg; Folge ist Bedingung. Alle Wirkung ist in der Ursache; alle Wirkung ist Widerwirkung, Ausgleich von Ursache und Wirkung – Wechselwirkung – wie zwei Mühlsteine sich aneinander schärfen. – Eines Vorganges geschiedene Auffassung in dir, ur-teilende Namen. Was du fremd anschauend ›Ursache oder Wirkung‹ nennst, nennst du beteiligt ›Willen oder Unwillen‹ in dir. Je nachdem du willig-un-willig tust oder duldest, je nach Willen oder Unwillen in dir, erscheint verschieden, was Eines ist.

Eines ist, was du willkürlich scheidest – Eines ist Tat aus dir und Wirkung auf dich – Eines, was du seelisch auslegst und was du dir sinnlich vorstellst. Tuend nennt sich Ursache, was leidend sich Wirkung nennt, Beid-einheit – scheinbare Zweiheit durch zwiefache Benennung desselben.

Vor der ewigen Ich-gegenwart erscheint, was Eines ist, zu einer zeitlichen Kette auseinandergezogen, erscheint in Glieder zerstückt – ineinander greifende Glieder einer unlöslichen Kette von Ursache und Wirkung. Was in sich Eines ist, erscheint uns zeit-räumlich Schauenden zu Aus-ein-ander-folge ausgedehnt.

Es scheint, als sei Zerfall in Ur-teil und Gegen-teil, als sei Zu-stand und Gegen-stand, als sei Empfindung durch Wirkung des Empfundenen, als sei Folge und Folglichkeit. Keine Zeit an sich, kein Raum, keine Ursache, keine Wirkung, keine Folge, keine Folglichkeit.

Weil an sich keine Ursache ist, weil an sich keine Wirkung ist, darum ist keine Ursächlichkeit an sich. Im scheinbar bedingenden Worte »weil« liegt keine Ursächlichkeit; »weil« besagt nur: der weile, das ist: zur selben Zeit – nichts mehr. Im scheinbar folgernden Worte »darum« liegt keine Folgerung; »darum« besagt nur: daherum, das ist: am selben Ort – nichts mehr. Scheinbare Zweierleiheit zur selben Zeit am gleichen Ort ist Eines. Die scheinbar bedingenden, scheinbar folgernden Worte aller Sprachen besagen nur: in Zeit und Raum zusammenfallende Erscheinung, Beid-einheit – nichts mehr. Raumanstoß ist Zeitfolge – Selbeinheit, nicht Folglichkeit.

Was du Ursächlichkeit, Folge, Folglichkeit nennst, ist Fluß lückenloser Empfindung in dir, endlos in Einhauch und Aushauch atmende Willensbeziehung zum endlos aus dir geschaffenen Gegen-stand. – Nichts in der verlangenden Sinnenwelt, was nicht in Beziehung zu deinem Verlangen steht. Sinnliche Erscheinung ist Ausdruck deines seelischen Verlangens; Eines, durch rastlos irrendes Verlangen geschieden, und so, seelisch geschieden, sinnlich als Verschiedenheit geschaut. Wechselnde Eigenschaffung in dir erscheint außer dir als Wechsel der Beschaffenheit; zu-Stand und gegen-Stand bedingen einander; ändert sich dein Seelenzustand, so ändert sich deinen Sinnen der Gegenstand – erfasse es wohl: beides ist Eines.

Folglichkeits-erscheinung ist sinnliche Anschauung des Wechselnden im Beharrenden; Selbeinheits-erkenntnis ist seelisches Erschauen des Beharrenden im Wechselnden. Anscheinende Gesetzmäßigkeit ruht auf Vielheitstäuschung, das ist: deiner sinnlichen Auffassung zeit-räumliches Aus-ein-ander-fallen des in sich Einheitlichen. Folglichkeit – nur aus-ein-ander-gezerrtes Bild der Selbigkeit; ein Hinweis, daß Raum und Zeit bloße Erscheinung sei und nicht in sich. Kein Folglichkeitsgesetz dem Wissenden.

Zerfall in Ursache und Wirkung erscheint mit dem Zerfall in »Ich und Du« im Ursprung; erscheint mit dem Zerfall des Ich in Zeit und Raum. – Wie Nacht dem Tage folgt und Tag der Nacht, so folgt in endloser Flucht des Geschehens Wirkung auf Ursache und Ursache auf Wirkung. Ursache bewirkt und Wirkung verursacht. Wie einer Sohn seines Vaters ist und Vater seines Sohnes, Vater und Sohn zugleich, so ist Ursache Wirkung und ist Wirkung Ursache – Wirkung und Ursache zugleich.

Vieler Worte bedarf es, Selbstverständliches darzulegen: Eines ist Ursache und Wirkung – willkürliche, an sich nichtige Unterscheidung in dir; doppelte Benennung des Einen, zwei Worte für dasselbe: Wirklichkeit, Karma – durch dich – auf dich wirkend; Kreislauf des Verlangens.

 

* * *

 

Und ferner, o Teurer, Karma, Wirklichkeit dieser Welt wirkt sich in dir aus Freiheit und Notwendigkeit.

Freiheit des menschlichen Tuns, o Teurer? oder unabwendbare Gesetzmäßigkeit alles Geschehens? Offenbar wird dem Erkennenden die Lösung der großen Frage an aller Gestaltung, in jedem Vorgang, an allem Werden, an allem Sein. Dasein; alles Gewordene aus gebundener Freiheit. Du durchschaust das Rätsel am aufsteigenden Opferrauch, am Lauf der Gestirne, am Monde, an jeder Zelle. Alles Gebilde ist davon Bildnis; Urbild aller Gebilde – der Zwölfflächner.

Erwäge es wohl! So lange du die endlose Flucht der Erscheinung ›teilend‹ zu beherrschen glaubst, so lange irrst du im Wege zu Erkenntnis – : ›einigend‹ nahst du dem Hohenziel.

Erwäge es wohl! Nur die voll erkannte Lehre löst dich aus den Fesseln der Unwissenheit – : nicht eher offenbart sich dir das Geheimnis; nicht eher erwachst du aus vieltausendjährigem Schlummer.

Nicht überliefert wurde mir die Lehre von der Gemeinschaft schauender Meister; aus dem Urquell alles Gedankens ward mir die Lösung, die seit dem Erwachen der Menschheit gesuchte.

*

Also ist die Unterweisung:

Wie ein Ball, aufschlagend, sich abflacht –

– wie runde Beeren, in der Traube zusammengedrängt, zu kantigen Formen auswachsen –

– wie Wasserblasen im Schaumballen, einander bedrängend, aus der erstrebten Kugelgestalt mit Notwendigkeit zu Zwölf-flächnern werden –

– wie die gewollte Kreisform dicht aneinandergeschlossener Bienenzellen sich mit Notwendigkeit zum Sechseck gestaltet –

– so widerfährt dem Ich im nimmer endenden Verlangen, nach allen Seiten frei und ungehemmt sich auszubreiten, – notwendig Hemmung von allen Seiten, von allen Gegen-ständen Widerstand –

– so gestaltet sich, was du Freiheit nennst, zu Notwendigkeit; das ist: durch freien Willen Aller – notwendig gebundener Wille Aller –

und du erkennst:

Aller Freiheit ist Aller Notwendigkeit.

Dies ist Lösung der großen Frage, um die du mich angingst: Freiheit des Willens oder unabweisbare Notwendigkeit alles Geschehens – restlose Lösung. Was unergründlich schien, was Jahrtausende vor mir Morgen- und Abendland, alte und neue Welt, Rishi und Mahatma, vergeblich suchten – gefunden ist die Lösung des tiefen Rätsels, durchschaut der Widerspruch, erkannt die Einheit im Gegensinn.

*

Einfach ist alle Wahrheit: Freiheit – zu-Stand des Ich, Notwendigkeit – gegen-Stand. Als frei getan empfindest du, was dein eigen, als notwendig geduldet, was dir entfremdet; Freiheit, was du willig in dir, Notwendigkeit, was du unwillig als draußen erachtest. Im Bereich des Ich-bewußtseins heißt Freiheit, was darüber hinaus, dem Weichbild des Ich in Raum entwichen, Notwendigkeit heißt.

Aller Ich bewegt frei den eigenen Willen, Aller Ich empfindet sich mit Notwendigkeit bewegt vom frei bewegten Willen Aller.

Freien Willen, also gehemmt, empfindest du als Unwillen; empfundenen Unwillen legst du aus als fremder Kraft not-wen-dige Wirkung; auf dich rückwirkende Freiheit nennst du Notwendigkeit; Wirkung aus dir – Wirkung auf dich. – Was du frei aus dir tust, bindet dich notwendig.

Freier Wille durch gegen-Stand not-wend-ig bestimmt; freier Wille in der Sinnenwelt gebunden.

Was ich will, will ich frei – ist Freiheit und Lust; was ich wider meinen Willen dulde, ist Unlust, Beschränkung, Notwendigkeit. Je nachdem ich dem mächtigen Zuge der Welt willig folge oder unwillig widerstehe – je nach dem ich willig-un-willig umfasse oder un-willig-willig entlasse – je nach meinem Ziel im Verlangen – erscheint verschieden, was Eines ist.

Was du in dir freien Willen oder fremden Willen außer dir nennst, ist einheitliche Beziehung inzwischen Ich und Ich, von beiden Seiten gleichzeitig als eigene Freiheit, von beiden Seiten gleichzeitig als fremder Zwang empfunden.

Kein Gesetz dem Wissenden:

Aller Freiheit ist aller Gebundenheit – Aller Wille ist Aller Gesetz.

Davon ist gesagt: »Gebunden ist Seele durch Seele.« Was sie Gesetz nennen, ist gehemmtes Verlangen.

*

Es verlangt dich im Zuge der Welt zur Erscheinung – es verlangt dich zur Erscheinungswelt hinaus. Je nachdem du voreilst oder zurückbleibst, je nach deinem zustimmenden oder abweisenden Verlangen erscheint dir das Werden-ver-Werden der Welt als eigenes Wirken aus dir oder als fremdes Wirken auf dich – je nach seelischer oder sinnlicher Auffassung – verinnerlicht oder entäußert.

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Hinfällig ist aller Streit, der feste Bau ist gegründet. Freiheit, zu Ende gedacht, ist Notwendigkeit; Notwendigkeit, zu Ende gedacht, ist Freiheit.

Eines ist, was du zwiefach benennst: Freiheit und Notwendigkeit, willkürliche, in sich nichtige Unterscheidung in dir.

Dein Verlangen schafft was du Freiheit, dein Verlangen schafft was du Notwendigkeit nennst. Karma, Wirklichkeit dieser Welt willig in dich aufgenommen scheint ›freie‹ Wirkung aus dir; Karma unwillig abgewiesen ist notwendig Wirkung wider dich.

Freiheit und Notwendigkeit ununterschieden in sich, weder das eine, noch das andere, Eines doppelt benannt, zwei Namen für das Selbe – ; unendliches Verlangen – endloser Widerstand – Karma in dir atmend.

Verloren ist Freiheit – gewonnen ist Freiheit; du selbst bist Herr und Gesetz, du selbst bist Schöpfer – Vernichter. Atma ist sich selbst Gesetz.

Noch einmal: Gib es auf, die Welt zu durchschauen, ehe dir die volle Erkenntnis von Karma auf geleuchtet ist.

 

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Und ferner, o Teurer! karma, Wirklichkeit dieser Welt wirkt sich in dir aus Tun und Dulden. Ich Dasein ist Tat. Tat erfüllt das Ich, Tat bewegt, belebt, beseelt das Ich. Ich ist nur durch Tat. Ich in allen seinen Gestaltungen ist Tat. Alle Tat ist Ich-Tat; keine Tat ist selbstlos.

Keine Tat geschieht um ihrer selbst willen: du tust, um durch Tat zu Tat-Frieden zu gelangen. P. W.

Tat ist Frucht des Verlangens, das Verlangen ist endlos. Keine Tat bringt das Heil. Kein Tun stillt das Verlangen; Verlangen ist ewig wach; Befriedigung ist ewig Täuschung.

Unerreichbares wähnst du durch Tat zu erreichen. Tat fördert neue Tat. Tat fordert neue Tat. Tat führt endlos zu Tat. Jede erfolgte Tat fesselt dich an den Erfolg der Tat. Tat verschuldet dich irdischen Mächten. Unselig ist alle Tat – eine ewige Kette. Alle Tat, gute wie böse, schafft neues karma. Keine Erlösung durch Tat – tuend wirkst du diese Welt.

Darum ist gesagt: »der bös Handelnde, der gut Handelnde bleibt durch sein Tun gebunden.«

Darum sagt Shamkara, der Lehrer: »die Seele von Bösem und Gutem befleckt.«

»Seele wird nicht höher durch gutes Werk, Seele wird nicht geringer durch böses Werk.« – »Sein Reich leidet durch keine Tat mehr; über Gutes und Böses – über beides ging der Vollendete hinaus.«

Darum sagt Shri-shagavad-gitâ-upanishad: »alles Tun ist von Schuld umhüllt.«

Darum spricht die Gottheit Krishna: »ich bin außerhalb dieses Tuns.«

Darum lehrt des Heilweges Buch: »das Höchste ist ohne Tun.« »Wer, solches wissend, von Gutem und Bösem sich rettet, der rettet sich von Sinnen zu Seele; der rettet sich zu Atma, der solches weiß.«

*

Ich rede zu Suchenden, zu dir, o Schüler! draußen Stehenden ein zu bewahrendes Geheimnis. Ehe du es wagst von Tat zu lassen, erfasse die Lehre wohl.

Der Gedanke dieser Welt ist suchendes Verlangen; blind irrende Gedanken des Verlangens walten übermächtig allüberall. Was von Gedanken seelisch sinnlich in dir haftet, lebt, schlägt Wurzel in dir, schafft sich zu deiner Seele. Es denkt und will und handelt in dir. Irresuchenden Gedanken Stätte gewährend, irrst du im Wege zum Hohenziel.

Sei tätig so lange dir Tat Befriedigung gewährt; sei tätig, doch sei nicht in der Tat. Wahre die Ruhe deiner Seele – unberührt von Tat und Taterfolg – selbstvergessen. Also tuend wird dir Erkenntnis von Tat – Tat ohne Täter. Von Leid und Tat ungeblendet wirst du sehend.

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In dir, o Teurer, wächst mit jeder neuen Erkenntnis der Gedanke: ›unausführbar in diesem Leben ist die Lehre‹.

Nun wohl! Wende dich von diesem Leben ab, das dir des Lebens höchstes Gut versagt: ›Seelenfrieden‹. Suche höheres Ziel! Du selbst bist Schöpfer und Vernichter. Aus deinem Verlangen schaffen sich die Welten; dein Verlangen schafft diese, dein Verlangen schafft andere Welten.

 

* * *

 

Was ist, ist durch Gegensatz: daß die Welle sich hebe, muß ein Wellental sich bilden. Tat ist unablösbar von Leid; kein Tun ohne Dulden. Ich-dasein ist Tat und Duldung.

Tat ist am gegen-Stand; Tat ist gegen wider-Stand. Was dem Täter Tat und Lust ist, ist Leid und Duldung dem Widerstehenden. Aller Fraß ist Fressen und Gefressenwerden. Lust und Leid ergänzt sich in Täter und Dulder.

Alle Tat ist Frucht des Verlangens: das Verlangen treibt dich; den Trieb erleidend, tust du. Tuend leidest du und leidend tust du. Leid aus sich hinaus verlegt, nennt sich Tat.

Wir blinden Menschen erkennen das Leid nicht, wenn wir es Tat nennen.

Durch Tat ist Leid, durch Leid Tat. Ich tue das Leid, ich leide die Tat. Ich tue oder dulde Leid. Ich leide, weil du mir Leid antust; ich leide, wenn du mir leid tust. Ich mache mich selbst leiden. Ich empfinde mich außer mir, ich leide in dir.

Darum sagt Shánkar-atschárya, Verehrung sei ihm: »Tat – dem Wesen nach Leid«. Tat und Widerstand – zwiefach Leid.

Leid fordert Lust – Lust fordert Leid.

Lust – fremdes Leid, Leid – fremde Lust; Lust ist Wirkung aus dir, Leid – Wirkung auf dich. Der Hammer ist zum Schlag, der Amboß zum Widerstand bestellt. Im Hammer Lust und Leid, im Amboß Leid und Lust. Darum ist Ein Wort für beides: ashma.

Was deiner Empfindung-Anschauung gegensätzlich erscheint, Duldung wie Tat, wächst aus derselben Wurzel, unterschieden nur durch unterscheidende Benennung, wie Wille und Unwille, wie Ursache und Wirkung, wie Freiheit und Notwendigkeit, wie Zeit und Raum, wie oben und unten – unterscheidende Namen in dir – Zerfall im Ur-sprung in Ich und Du.

*

Eines in sich ist, was du in karma mit gegenteiligen Namen bezeichnest; Eines, was du verlangend Lust, abweisend Leid nennst; dasselbe un-willig-willig getan, willig-un-willig gelitten.

Was von Gedankenwellen dir willkommen zuströmt, erbaut dich, baut das Ich in dir; was dir behagt, was du willfährig aufnimmst, was du zustimmend, bejahend, wohlwollend umfaßt; was du einwilligend dir aneignest, was sich dir willig fügt, was dir zu Willen ist, was dein Wille, was du selbst bist, gebärt in dir, deine Seele bewegend – : Zeit, Ursache, Freiheit, Tat und Lust – du tust, dein gegen-Ich-duldet.

Was, aus deinem Willen geboren, zu Unwillen in dir wird, was dir als Widerwille Abbruch tut, was dir entgeht, was du unwillig hingibst, unwillig entbehrst, was du widerstrebend empfindest, was dir widersteht, was erwidert, anwidert, was widrig, widerwärtig ist, was wider deinen Willen geschieht, wendet sich gegen dich, gewinnt Macht über dich, unterdrückt dich – aus dem Raum deine Sinne bewegend – als Duldung und Leid, Wirkung fremder Tat, Notwendigkeit – dein nicht-Ich tut, du duldest.

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Du irrst in anfang-endlosem Kreislauf der Erscheinung; du irrst nach Lust, und irrend – irrst du. Dich gelüstet und du wandelst, lustbefangen, deine Empfindung zur Vorstellung, deine Einbildung zur Anschauung, zu-Stand zu gegen-Stand; Wille wird Kraft, Zeit wird Raum, Ursache Wirkung; du schaffst, lustgebunden, Zwang, Gesetz, Duldung, Notwendigkeit; es ist Schrecken und Qual, Nacht und Tod.

Dich gelüstet und du ziehst das Abgestoßene, Unlust, Gegenstand, Raum, Kraft, Wirkung, Notwendigkeit Gewordene wieder zustimmend an dich an; nimmst, wider-Stand aufgebend, den Gegensatz wieder wollend in dich auf; wandelst Vorstellung zu Einbildung, wandelst Anschauung zu Empfindung; – durchbrochen ist der Zauber; fremder Gegenstand ist eigener Zustand, was fern schien, ist in dir, was zu fallen schien steigt an, was niederging geht auf und alles Geschehen, was Rückbildung schien wird Entfaltung, was Vernichtung – Entstehen; Kraft wird zu Willen, Raum wird zu Zeit, Wirkung wird Ursache, Duldung – Tat, Notwendigkeit – Freiheit, und was du Leiden und Tod nanntest, ist Leben und Lust.

Du wandelst aus eigener Kraft schlaftrunken in eigener Schöpfung; und wandelnd wandelst du dich selbst, wandelnd wandelst du die Welt.

*

Freudvoll sind diese Welten – doch vergänglich sind Freuden dieser Welt; vergänglich wie Blüten, welkend wie Jugend, enttäuschend wie Liebesgenuß.

Grauenvoll sind diese Welten, wahnbefangen, not und leiderfüllt; ganz im Banne nimmergestillten Verlangens, ganz im Banne ewig friedloser Tat, allen Schrecken preisgegeben, preisgegeben dem Tode. – Eine Welt, in der aller Sieg auf Niederlage ruht, alle Freude auf Schmerz, alle Lust auf Leid, alles Leben auf Vernichtung: vom Brunstschrei bis zum Todesröcheln – eine Welt aus Gier und Fraß, aus Angst und Flucht, aus Kampf und Qual; ein ewig stürmendes Meer – unabsehbar an Raum, endlos an Zeit – an rastlos quellendem Leben übervoll – nur von Einem Gedanken erfüllt, voll nimmer gestillter Gier, ringsum zu töten! und tötend zu leben! Henker und Opfer zugleich, wir blinden Menschen. In allen Höllen und allen Erden dieser Welt – in allen Himmeln! – eine Welt, die sich selbst frißt – nie auszumessendes Maß von Leid. – Wohl dir – wehe dir, daß du blind bist!

Wie vermöchte wohl, o Teurer, eine Welt auf tieferem Grauen zu ruhen? Wie vermöchtest du wohl, o Teurer, eine Welt zu ersinnen, grauenvoller als diese? Welten, die andere Welten verschlingen, selbst von anderen Welten verschlungen werden.

Grauenvoll sind diese Welten, doch vergänglich ist alles Grauen. Grauenvoll sind diese Welten; – alles Grauen dieser Welten ruht auf Lust!

*

Die, erkenntnislos, sich zu Lehrern aufwerfen, reden von guten, reden von schlechten Welten; Toren klagen über Verschlimmerung dieser Welt, Toren träumen von einer Besserung dieser Welt – einer Welt, die ewig auf Verlangen und Widerstand ruht, ewig auf Tat und Duldung, ewig auf Lust und Leid.

Dieser Welt Dasein ist durch ur-Sprung, durch zwie-Spalt; durch ent-Zweiung ist diese Welt, durch gegen-Satz, durch wider-Spruch. Wie vermöchte, o Teuerer, bei Menschen, bei Göttern, in Felsen oder Pflanzen, Tat zu schwinden, da Verlangen lebt? Wie vermöchte in der Welt Leid zu schwinden, solange Lust und Tat lebt? Wie gäbe es ein Wirken ohne Ziel, Verlangen ohne Tat, Tat ohne Widerstand, Widerstand ohne Leid? Wie vermöchtest du, o Teurer, in dieser Welt Sieger zu sein ohne Besiegten? Wie ein Selbst ohne Selbstsucht? Ein Ich ohne Du? Wo in dieser Welt weißt du ein Leben ohne Tod?

Die Welt ist durch Kampf, Leben durch Vernichtung, aller Aufbau durch Zerstörung, alles Entstehen durch Vergehen: – in allem Werden liegt ver-Werden. Wie vermöchtest du dieser sich also gestaltenden Welt in die Arme zu fallen? Wie vermöchtest du, o Teurer, – Zeit und Raum durchschauend – solcher Täuschung nachzuhangen?

Erblinde für diese Welt! von dieser Welt ungeblendet wirst du sehend.

*

Wir Menschen steigen an zu Göttern und über Götter hinaus und mit uns steigt alle Gestaltung dieser Welt. Was wir heute Tier oder leblos nennen, ist dann Mensch – Mensch, wie wir heute Menschen sind, mit all unserer Lust und Qual. Menschen steigen an zu Göttern und Menschen bleiben im ewigen Kreislauf und Welt bleibt Welt – ewig wie heute – ewig nach Erlösung dürstende Seele. Ein unabsehbar ewiger Strom, von Welten und Wesen, der, das All durchmessend, in seiner eigenen Quelle mündet.

Wie Meeresatem: Flut folgt auf Ebbe, Ebbe auf Flut; Meeresbewegung wohl, doch keine Fortbewegung des Meeres. Wohl ist Ziel-Bewegung innerhalb dieser Welt, doch keine Fortbewegung der Welt – wohin auch, wenn nicht über die Welt hinaus?

Wohl ist hier oben, doch ist kein oben allein. Wohl ist jetzt Flut, doch Flut ist durch Ebbe; wohl tagt es, doch Nacht war es vor Tag und Nacht folgt dem Tage und Nacht ist es bei Tag.

Nicht Tag allein ist Leben und Welt, Nacht nicht die Kehrseite des Tages: ewig ist Tag und Nacht zu gleich. Aus Einhauch und Aushauch ist Atem, aus Flut und Ebbe Meeresbewegung, aus Tag und Nacht, aus Lust und Leid die atmende Welt.

Der Nacht Schlaf ist Erwachen des Tages, Vergehen des Tages ist Entfaltung der Nacht: Was Entwicklung scheint ist ewiger Kreislauf Einheit in sich, in dir unterscheidende Namen.

*

Verlangen in dir äußert sich, Wille aus dir gewinnt außer dir Gestalt, Tat aus-geführt, im gegen-Stand, selbständig geworden, stellt sich als eigene Kraft wider dich. Bewußter Wille wandelt sich – aus deinem Bewußtsein entlassen – zu auf dich wirkender Kraft. Aus dir geboren, dein eignes Kind legt Hand an dich. Du wirst von dem ergriffen, was du ergreifst; du bist dem zu eigen, was du dein eigen nennst, und was du schlägst, schlägt dich. Dein Werk, aus dir gewirkt, ist Wirklichkeit und wirkt auf dich zurück.

Vorstellend wirkst du und wirkend stellst du vor. Vorstellung ist Wirkung aus dir; gegen-ständlich Vorgestelltes ist Gegenstand; Gegenstand widersteht; Widerstand ist Wirkung auf dich. Wirkend wirkst du auf dich selbst. Freier Wille, als Unwillen aus dir entlassen, nötigt dich, sich gegen dich wendend, als Not-wend-igkeit – karma. – Alle Tat, alles Wirken, alle Wirklichkeit ist wider dich selbst.

Darum ist gesagt: »gebunden ist Seele durch sich selbst.«

Du tust und leidest deine Tat; alle Tat aus dir trifft dich selbst. Was du dem Andern zu tun vermeinst – Gutes wie Böses – tust du dir selbst. Deine Tat ist dein Urteil, deine Tat ist dein Schicksal. Alles Geschehen dieser Welt – der Gottheit ewig ausgleichende Gerechtigkeit – karma.

Darum ist gesagt: »Vergeltung der Tat am Täter.«

Darum ist gesagt: »das Trinken der Vergeltung.«

Darum wird gesagt: seine Lust büßen.

*

Im verlangenden Ich wirkt sich das Werden dieser Welt.

Alle Wirklichkeit ist atmendes Verlangen in dir; in dir ist alles Geschehen und alles Geschehens Wertung. Die ganze Welt ist Inhalt deiner Seele, Ausdruck deines Verlangens, Abbild deiner selbst, sinnliche Ent-Gegnung seelischer Bewegung in dir. Deine Vorstellung, dein Verhalten, deine Auffassung, Gesinnung, Neigung – deine über-Zeugung – schafft unterscheidende Namen und unterschiedene Dinge. Eins an sich ist, was du Ursache oder Wirkung, Freiheit oder Notwendigkeit, Tat oder Duldung, Leben oder Tod nennst.

Du selbst bist Ur-sache; aus deinem Verlangen schaffen sich die Welten.

Dein Verlangen schafft Alles, dein Verlangen wandelt Alles. Endloses Verlangen in dir erscheint als endloses Werden. Aus deinem Verlangen wird die Welt – erscheint und ist.

*

Alles Wirken und Geschehen – in dir, o Teurer, alle Bewegung und aller Stillstand, alle Unterscheidung und aller Wandel – in dir, o Teurer – Werden ver-Werden – in dir. Im Weichbild deiner Welt spaltet Alles, spielt Alles gegen einander, hält Alles sich die Wage; alle Tat findet Vergeltung, alles Geschehen gleicht sich aus, aller Gegensatz hebt sich auf, alles Außereinander kehrt in sich zurück, wie Wellen sich ebnen.

Dieser Welt Gleichgewicht im ewigen Kreislauf durch ur-Teil und gegen-Teil; Vergeltung durch Ausgleich, Frieden durch Gleichmut – in dir, o Teurer, als ewige Gerechtigkeit, als Tugend und Glück, als Erkenntnis und Weisheit wach.

Aller Gegensatz und aller Ausgleich ist in dir, o Teurer.

Wie auch Verlangen und Tat, wie auch Liebe und Haß, Lust und Grauen, Leben und Tod dieser Welt gegen einander stürme – der Welt Wesen ist unbewegt. Wie auch Tag und Dunkel dieser Welt wechsle – dem Wissenden leuchtet ewiges Licht. –

*

Du erkennst:

Was du in karma mit widersprechenden Namen belegst, ist willkürliche, in Gegenteile auseinander spaltende, an sich nichtige Unterscheidung in dir –

Was von solchen Unterscheidungen – in dir als Urteil – außer dir als Eigenschaft der Dinge erscheint, ist nur Kennzeichnung deines wechselnden Verlangens, deines wechselnden zu Standes zum selbstgeschaffenen gegen-Stand.

Eines ist, was du – urteilend – willkürlich scheidest; Eines, was du durch Willensgegensatz in dir zu Gegensätzen außer dir prägst: Willensgestaltung; dein Willen und was wider deinen Willen, wieder dein Wille ist.

Urteil und Eigenschaft der Dinge und des Geschehens ist deine Empfindung und Widerspiegelung deines innen-Befindens; ist deine Einbildung und nach außen Verlegung – Auslegung deiner Einbildung, das ist Vorstellung; unbewußt bewußte Einbildung, bewußt unbewußte Vorstellung.

Eigen Geschaffenes legen wir den Dingen bei und nennen es der Dinge Eigenschaften; eigen Gewirktes – Wirklichkeit dieser Welt.

Ich aus s-Ich wirkend, wirkt die Wirklichkeit dieser Welt – Ich ist karma.

Du selbst bist Ur-sache: bist Anziehung und Abstoßung, Liebe und Haß; Lust und Leid ist Abbild deiner selbst, dein Werden ver-Werden. Einheit an sich – in dir unterscheidende Namen. In deinem Herzen sind die Auseinandertretungen, Unterscheidung deine eigene Schöpfung. Nur in deiner Empfindung ist Wandel, nur in dir ist Leben und Atem, nur wo du bist, ist Welt: Spiel deiner Seele, lebendige Schöpfung aus eigner freier selbstherrlicher Kraft.

Du erkennst dich Atma in allen Namen, du erkennst dich Atma in allen Wesen dieser Welt: das Alles bist du, endlos an Gestaltung und Zahl.

Darum ist gesagt: »Himmel und Erde in deinem Herzen.«

*

Durch ur-Sprung – ur-Teil, sich ab-scheidend unter-scheidet: Ich – Welt; weiß sich Bestand – Akâsha; fühlt Verlangen – Kama; erfährt Wirklichkeit – Karma; unterscheidet in Akasha atmend: Zeit und Raum; unterscheidet in Kama atmend: Wille und Kraft; unterscheidet in Karma atmend: Tat und Duldung – : all-so ur-Teil – gegen-Teil atmend wirkt s-Ich in dir die Wirklichkeit dieser Welt.

Alle unter-Scheidung durch ab-Scheidung im ur-Sprung; – alle ver-Schiedenheit, alle Umwandlung, alle Vielheit bloße Worte, nur Namen – Eines ist es in Wahrheit.

Sehend geworden erkennst du:

Es ist der Welt, die dich lebt, Atmen:

– âtmâ –

*

So, o Teurer, mögen wir Menschen, die Erscheinung durchschauend, uns Karma vorstellen. Vorstellung, nicht letzte Erkenntnis. Weg zur großen Lehre, draußen Stehenden ein zu bewahrendes Geheimnis – verhüllte Wahrheit – upanishad.

 

* * *

 

So lautet in âranâda-upanishad der vierte adhâyâ: Karma, Wirklichkeit; nunmehr: Manas, Verstand und Urteil.


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