Omar Al Raschid Bey
Das hohe Ziel der Erkenntnis
Omar Al Raschid Bey

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I. Irdische Ziele – – samsâra –

Prüfung des aufzunehmenden Schülers. Das Leid der Welt; Frage aller Fragen. Ungelöste Widersprüche. Der Weg zur Erkenntnis.

So lautet die Upanishad:

om!

Auf das Geheiß des Verehrungswürdigen! Diese Unterweisung niedergeschrieben zu Stambul, im indischen Kloster auf Akssarai, begonnen am fünfzehnten Tag des Monats rebi ül evel im Jahre dreizehnhundertundvier.

*

Der Verehrungswürdige spricht:

»Frieden sei aller Erscheinung!«

»Du hast, o Teurer, deinen Wissensweg fern von uns gesucht; hast du, im Abendlande belehrt, des Wissens Ziel – : ›Befriedigung‹ erreicht? Welches Begehren führt dich hierher?«

– »Verehrungswürdiger...« –

»Suchst du weitere Gelehrsamkeit oder verlangt dich, aus Nichtigkeit hinaus, nach letzter Erkenntnis? – Erfasse es wohl! denn unermeßlich ist, in allen Ewigkeiten und Unendlichkeiten unermeßlich, was du – erkennend – erringst.«

– »Verehrungswürdiger! Ein Schüler steht vor dir, das Holz zum Opfer in der Hand...« –

»Nun wohl!... Was von großen Fragen bewegt dich?«

– »Das Leid auf Erden, o Herr! Die Unabwendbarkeit des Verderbens, das Grauen und die Qualen der Geschöpfe – Woher ist der Ursprung des Übels in unserer Welt?« –

»Ursprung des Übels? Hast du, o Teurer, was du so nennst, wohl erfaßt und vermöchtest mit klaren Worten zu antworten?«

– »Keine Antwort, Verehrungswürdiger!« –

»Hat dich, o Teurer, dein Lehrer über den Sinn der Fragebelehrt?«

– »Verlangend war ich, o Herr...« –

»So hast du im Abendlande Wissen hierüber nicht erlangt? – Wer von Lehrern dort gibt Antwort – letzte Erkenntnis, unwiderleglich?«

– »Unzureichend, Verehrungswürdiger, ist alle menschliche Vernunft! der Widersinn der Welt ist unüberwindlich« –

»Dem ist nicht also, o Sohn! – Eines nur, – nur Eines... ist unerkennbar...«

– »Verehrung sei dir, o Herr! Wie könnte sich selbst Widersprechendes bestehn? Wie könnte Unerreichbares dem Wissen erreichbar werden? – Fließt Übel und Böses aus der Gottheit, so ist es von der Gottheit gewollt. Will Gottheit Böses, so ist Gottheit böse. Wächst aber das Böse nicht aus der Gottheit, so ist es von der Gottheit nicht gewollt und ist dennoch, – so ist Gottheit in sich entzweit – zwei Gottheiten, die sich bekämpfen, widersprechen, aufheben. – Der Widersinn ist unlöslich« –

»Dem ist nicht also, o Teurer!«

– »O Herr! Woher ist Übel und Böses in der Welt? Warum ist Leiden und Tod? Wenn es eine Antwort auf diese Fragen gäbe, so würden die Wissenden von ihrer Wahrheit erfüllt sein; der Veda würde sie uns lehren, die Gita, Yadschnaválkya, der Buddha, Badaráyana, Shamkaratschárya, Lao-tse, Li-tse, die großen Lehrer des Abendlandes...« –

»Dennoch ist es nicht also, o Teurer! dennoch ist es nicht also!«

– »Diese Fragen sind ungelöstes Geheimnis; es gibt uns Menschen keine Antwort! Dies entgegne ich dir in Ehrfurcht, o Herr! Wenn aber dem nicht so ist, so wolle der Erleuchtete mich hierüber wahrhaft belehren.« –

»Eines – o Teurer, ist unerkennbar – nur Eines! – und Schweigen ist Antwort... Diese deine Fragen jedoch sind durchsichtig, tragen die Antwort in sich.«

– »Würdige mich der Belehrung, o Herr!« –

»Nahe liegt die Antwort, leicht ist die Antwort auszusprechen, mit wenigen Worten ist die Antwort auszusprechen – weit der Weg, mühevoll der Weg zu Erkenntnis...«

– »Weise mir den Weg, o Mächtiger! Laß die Erkenntnis überströmen auf mich, deinen Schüler, der ich in Demut deine Kniee umfasse!« –

 

»Wohlan! Es sei! Tritt näher, fasse meine Hand; gebiete deinem Herzen Ruhe und Ruhe den Gedanken.«

»Möge uns die Stunde günstig sein! Möge der Geist der Upanishaden uns leuchten.«

 

»Fern von hier, in unsrer aller Heimat ruht das Feuer unter der Asche des Herdes; der Mörser tönt nicht mehr unter den Händen arbeitsfreudiger Mädchen; der Lärm des Tages schweigt; aufgestiegen zum wolkenlosen Himmel ist der Opferrauch und heilige Elefanten künden die Nacht...«

»Indessen von denen da draußen, die sich Menschen nennen, der eine, gedankenlos wie ein Tier, sich dem Schlafe überläßt und im Traume weiter nach zerrinnenden Freuden jagt, – indessen andere, unfähig sich der Betäubung des Lebens zu entreißen, nichtige Reden führen, verächtliche Künste anstaunen oder übersättigt und nie befriedigt in Weibesarmen ruhen, – ist uns die Stunde gekommen, nach dem Hohenziel des Menschen zu forschen. – Wohlan, o Schüler, wiederhole deine Frage!«

– »Verehrung sei dir, o Fürst! Ursprung des Bösen, Ursprung von Selbstsucht und Zwietracht, Ursprung des Unheils dieser Welt, Quell alles Leides; Quell alles Widersinnes, alles Irrtums, aller Sünde dieser Welt, Frage aller Fragen, nie gelöste Rätsel! – : Wie ist sittliche Erkenntnis und Tat denkbar unter Herrschaft blinder Naturgesetze? Wie ist freie Willensentscheidung des Menschen vereinbar mit unabweisbarer Notwendigkeit alles Geschehens? Wie ist der Gegensatz zu überbrücken zwischen Empfindung und Bewegung, Seele und Körper, Gott und Welt? – Ich nehme meine Zuflucht zu dir, o mächtig Beseelter! Weise mir den Weg ans Ufer der Erkenntnis – mir, dem Suchenden!« –

»Wohlan! – Wisse dich aufgenommen, o Schüler! Schichte das Holz zum Opfer... Folge meinen Worten; schweigend folge, – du betrittst heiligen Weg. Folge mit offener Seele aus leicht verständlichem Beginn von Stufe zu Stufe festen Schrittes zum letzten Ziele, – uns allen bestimmt. Ich offenbare dir verhüllte Wahrheit – uralt heiliges Wissen – Upanishad.«

 

»O Teurer! Seit dem Tage Brahma stürmt unser Wohnsitz, die Erde, unaufhaltsam durch den Weltraum. Der segenspendende, totbringende Sonnenstrahl, mit jedem Augenblick rastlos vorrückend, weckt die Scharen der Geschöpfe aus tiefem Schlaf zu kurzem Tagesbewußtsein. Sie erwachen unter dem Einfluß des Erregers Savitar – und ihr erster klarer Antrieb ist, sich Nahrung zu verschaffen, um das Leben weiter zu fristen. Alsbald halten sie Ausschau nach einem schwächeren Genossen, um ihn zu berücken und zu fressen. – Sie selbst haben es sich so ins Herz gelegt: andere zu vernichten, um sich zu erhalten.

»Zu solchem Ziele ist jede Verschmitztheit, jede Frechheit, jede List und Gewalt, jedes Unrecht erlaubt und geboten, und belohnt sich auf der Stelle. Jede Unentschlossenheit, jede Abschwächung des straffen, zielbewußten Willens, etwa aufkeimendes Mitleid, die leiseste bessere Regung, rächt sich unmittelbar: der Fang ist vereitelt und Hunger die Strafe. Darum Verdruß, wenn die Beute entgeht, und Herzensfreude, wenn sie röchelnd am Boden liegt. – Kein andrer Ausweg: um zu leben – erbarmungslos morden. – Einst wirst du erkennen, aus welcher Tiefe solches fließt.

»So wird es ein gewohntes Handwerk, und seit Menschengedenken von Vater auf Sohn vererbt. Niemand weiß es anders, jedermann übt es unbedenklich aus, hält es lieb und wert, eignet sich willig die nötigen Kunstgriffe an und zieht dann, wohl ausgerüstet, tagtäglich nach lockender Beute aus.

»Sehr bald wird der Raubende den Unterschied gewahr zwischen dem leicht und dem schwer zu erlangenden Fraß, zwischen der sicheren und der gefährlichen Jagd, zwischen der wehrlosen und der wehrhaften Beute, und er lobt das Eine und schilt das Andere, betrachtet das Eine mit Haß, das Andere mit Liebe, nur sich im Auge. Was sich fressen läßt, gefällt ihm und er nennt es gut; was sich nicht willig hergibt, was widersteht, was gar ihn selber angreift, mißfällt ihm und er nennt es schlecht und böse. Fressend hält er das Tun für löblich und recht, doch selbst gefressen für unrecht und böse.

»Er trifft sonach sorgfältige Auswahl und vermeidet die Jagd auf seinesgleichen, eingedenk, daß Solche Waffen führen wie er selbst: der Kampf ist gefährlich, der Erfolg nicht sicher. Es ist geratener, Schwächere zu bekämpfen, dem gleich Wehrhaften möglichst aus dem Wege zu gehen; es ist vorteilhafter, sich mit ihm zu vertragen, gute Nachbarschaft zu halten – Frieden und Freundschaft, wenn solcher Nachbar, von gleicher Gier nach gleichem Ziel beseelt, zur Erlangung des Fraßes mitbehilflich ist.

»Notgedrungen verbindet er sich mit Gleichgesinnten, jagt und raubt gemeinsam mit ihnen, achtet auch das eingegangene Bündnis, solange es ihm dienlich scheint. Bei guter Gelegenheit jedoch kehrt er sich gegen seinen Bundesgenossen, entwendet dem Überraschten die Beute, wiederholt das bequeme Spiel so oft als tunlich und knechtet endlich den milderen oder minder schlauen Gefährten dauernd zu seinem Dienste.

»Sein böses Tun trägt ihm gute Früchte. Durch Bündnis oder Waffenstillstand nach außen leidlich gesichert, von Weib und Knecht im Jagen unterstützt, gewinnt er Zeit zur Überlegung. Er beginnt an den kommenden Tag zu denken und lernt allmählich sich die Nahrung für den Notfall zu sichern.

»Er gewöhnt sich sein Gebiet bedachtsam abzujagen; er hegt und erhält sich den Bestand nach Möglichkeit für die Zeiten des Mangels; er schont das tragende Weibchen, sorgt für den heranwachsenden Wurf und zähmt ihn, um ihn besser zur Hand zu haben. Was er nun ehrlich erworbenes Eigentum nennt, behütet er sorgsam und schützt es entschlossen gegen hungernde Mitbewerber; schützt seine Herden mit Gefahr seines Lebens gegen fremde Fresser – zum Fraß für sich.

»So im Gefühle gesicherter Nahrung schaut er mit Befriedigung und Wohlgefallen auf die anwachsende Herde und liebt sie mit aufrichtiger Liebe. Erbarmungsloser Räuber und treuer Hirte! Beides wächst aus derselben Wurzel und wird nur mit anderen Namen genannt – nur Worte, bloße Lautverschiedenheit.

»Solchem Tun und Treiben haben sich seine Glieder, seine Sinne, sein Hirn, seine Denkungsweise angepaßt, er hat seine Gewohnheiten, seine Sitten, seine Gesetze darnach gebildet; er läßt sie sich nicht abstreiten, überwacht sie eifrig, hält, was er sein gutes Recht nennt, unentwegt aufrecht und erachtet es für heilig.

»Das Rauben und Morden ist allmählich in fest gehandhabte und streng eingehaltne Ordnung gebracht, und alle Welt fügt sich freudig dieser Ordnung. Was jedermann an sich selbst als grauenvoll empfindet, wird dem Nächsten gelassen angetan. Es wird kaltblütig und mit Muße gemordet und in sanften Formen gefressen. Es ist nicht mehr das sterbende Tier im letzten vergeblichen Widerstand, mit brechendem Auge, stöhnend, blutübergossen – nein, es sind gesittet zubereitete Speisen und friedlich heitere Mahle. Es nimmt kein Vernünftiger Anstoß daran. Der Schmausende weiß sich von niederer Begierde frei, von unantastbarer Redlichkeit, auf der Höhe der Gesittung – und das Tier, das sich Herr der Schöpfung fühlt, nennt sich – Erkenntnis in ferner Dämmerung – Mensch, und seine Mitgeschöpfe – Nutzvieh.

»Nutzvieh sind ihm auch seine Weiber; er hat sie gegen Mitbewerber unter Mühen erkämpft und hütet sie nicht ohne Not. Er überwacht sie, bürdet ihnen alle Mühen auf und mißbraucht sie zu jedem Dienst; er liebt sie, wie er seine Herden und seine Helfershelfer liebt. Er zankt und spielt wieder, flätscht die Zähne und liebkost, schmeichelt und läßt sich schmeicheln, liebt und verachtet, je nach Lust.

»Und das Weib fühlt sich Mutter, – sie gebiert und sieht im Kinde sich selbst! Sie überschüttet den hilflosen Wurf mit der Liebe zu sich selbst, mit verschwenderischer, hingebender Liebe – jederzeit bereit, für ihr eigen Fleisch und Blut sich aufzuopfern.

»Der Erzeuger folgt zögernd der Mutter: pflegt, überwacht, erzieht die Brut; lernt sie mit Gefahr seines Lebens schützen – ja in freudig aufgenommenem Kampfe vergißt er sich selbst und opfert sich für sein Kind. Was selbstlose Liebe heißt, ist auch in ihm aufgegangen. Er hat sich, gleich der Mutter, in einem von ihm abgetrennten, einem fremden Wesen – sich außer sich – wiedererkannt; hat sich geopfert, um sich im Kinde zu erhalten – selbstlos aus Selbstsucht.

»Wie aus der Gier, sich bequemen Fraß zu sichern, Liebe zur Herde floß, so fließt aus starrer Selbstsucht: – Aufopferung und Selbstlosigkeit. Es ist dasselbe Tun und wird nur mit einem anderen Namen benannt. Selbstsucht, zu Ende gedacht, ist Selbstlosigkeit.

»Dies ist einfach und erklärlich. Der du mich hörst, wiß‹ es: Dies ist das Wunder aller Wunder, – ist Quell und Ursprung, Geburt aller Gottheit, aller Welten, Geburt aller Welten – Vernichtung aller Welten; Samsara – Nirvana.

»Die Welt ist Selbstsucht – Selbstlosigkeit unterliegt allüberall und siegt unablässig; erlischt und flammt auf, vergeht und wächst, ist und ist nicht – Nirvana in Samsara.

»So, o Teurer, können wir Menschen nachdenkend uns dieses vorstellen. –

»Doch, wie ein Elefant, der den Stachel des Führers nicht fühlt, vom Wege abirrt und über das Ziel hinausläuft, – so bin ich vom Gedanken abgewichen und habe mehr gesagt, als ich zunächst sagen wollte.

»Wie auch das Tun und Treiben der Menschen erscheine, welch‹ hohe Bezeichnung es auch führe, welch‹ heiligen Namen es auch trage – in diesem wirr verschlungenen Reigen ist nur Ein Gedanke, nur Ein Ziel: das Leben, das eigene Leben! – Ich! Ich, das sich aus dem Fleisch und Blut des Nächsten aufbaut, – ich, das von der Vernichtung des Anderen lebt...

»Folgst du meinen Worten, o Teurer?«

– »Mit ganzer Seele! – Du hast, o Herr, die Entstehung menschlicher Gefühle dargelegt, den Wechsel und Wandel der Gefühle, die Umkehr des Gedankens und die letzte Grundlage alles menschlichen Tuns! – Wolle der Verehrungswürdige nunmehr auslegen, wie in dem Gesagten die Antwort auf unsere Fragen liegt?« –

»Ich lehre es dich, o Teurer, du aber verstehst mich nicht. Ich habe es ausgesprochen, du aber hast es nicht gehört.

»Wohlan denn! Da ich zunächst von der Quelle redete, aus der alles Tun fließt, ist dir nicht, o Teurer, der Gedanke aufgestiegen, daß es näher läge zu fragen, nicht wie das Böse, wohl aber wie das Gute in die Welt gekommen sei? Denn die Welt des Samsara ist durch Entzweiung, ganz im Banne des Zwiespalts, not- und leiderfüllt, ganz im Banne nimmer gestillten Verlangens, ganz im Banne ewig friedloser Tat, allen Qualen preisgegeben, preisgegeben dem Tode. Wie in solcher Welt konnte der Gedanke des Guten entstehen?

»Indessen wie das Böse, oder wie das Gute in die Welt gekommen sei – beides sind müßige Fragen und die eine nicht besonnener als die andere.

»Leicht zu durchschauen sind die Fragen, offen liegt die Antwort, nahe Erkenntnis, weit der Weg. – Aus dem Dickicht aberwitziger Torheit will ich dir den Elefantensteg treten, dich hinauszuführen zu sonnenklarer Einsicht.

»Wie wenn Einer im pfadlosen Urwald irrend, vergeblich den rettenden Ausweg sucht und bei sinkender Nacht, zu Tode erschöpft und jedweder Hoffnung bar, sich zum Sterben zu Boden wirft – und erwacht am hellen Tage und erkennt die Umgebung und sieht sich nahe seiner Heimat – so erwachst du im Lichte der Erkenntnis und siehst dich nahe dem urewigen Ziel.

»Ich führe dich aus blindem Wahn zu Erkenntnis, aus Todesgrauen zu Seeligkeit, aus Verlangen zu Erfüllung – und leuchten möge uns das Licht des Veda, das Licht des Veda!«

*

So lautet in Aranada-Upanishad die Prüfung; nunmehr die Unterweisung: Akasha, dieser atmenden Welt Erscheinung.


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