Omar Al Raschid Bey
Das hohe Ziel der Erkenntnis
Omar Al Raschid Bey

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Vorwort

Er, der dieses Werk geschrieben, ist gestorben vor der Herausgabe. Weil sein Werk der Niederschlag eines ganzen Lebens war, konnte es auch nicht beendet werden, bis dies Leben erfüllt wurde.

Das Titelblatt, worauf ich in der Eigenschaft als Herausgeber genannt bin, fand sich im Manuskipt so entworfen vor, wie es hier gedruckt ist. Es war schon vorbereitet in einer Zeit, als der Tod gar nicht nahe war. Andere sollten aussäen, was in seiner Seele gereift war.

Daß mir die Aufgabe zufiel, ist selbstverständlich. Seine Lehre war Inhalt meines Lebens geworden. Ich hatte ihre helfenden und gestaltenden Kräfte an mir lebendig gefühlt.

Wie von einem Strom ist meine Seele von diesem Werke getragen worden, aus Einheit durch die Vielheit der Erscheinungswelt mit ihrem Heimatsverlangen, wieder zurück zur Einheit.

In diesem Werke heißt es: Aus einer Quelle fließt: sich eines Andern Seele nähern, sich von eines Andern Körper nähren.

Darüber ist gesagt: »Aus Verlangen und Nährung hat Brahma diese Welt gebildet.« »Darum lebt alles dieser Welt durch Nährung, durch einver-Leibung, durch an-Eignung; darum lebt alles Ich durch ein anderes und lebt kein Ich ohne nicht-Ich, und lebt alles Ich durch nicht-Ich, seelisch und sinnlich.

Also beschränkt sucht Ich Unbeschränktheit, also unvollständig sucht Ich Vollständigkeit, also unvollkommen sucht Ich Vollkommenheit, also verstoßen, sucht Ich nach dem verlorenen Paradiese, also einsam schreit Ich um Hilfe – es verlangt nach Allumfassen, nach All-einheit, nach Vollendung, – nach Nirvana.«

Tief wurde meine Seele von den Bildern des Verlangens dieser Welt bewegt. Zu höchstem Einklang sah ich das irrende gequälte Verlangen, dieser in Qual und Lust erbebenden Erschein-ungswelt sich vor meinen Augen verwandeln. Eine Erlösung sondergleichen, von der Natur selbst vollzogen. Trost und Ruhe stieg aus diesem Weke auf. Kein Wort traf meine Seele, das übersinnlich zu werden trachtete, aber ein gewaltiger Strom nahm die heimatlose Seele auf und trug sie unaufhaltsam einem unaussprechlichen Ziele zu, vor dem jeder Gedanke und jedes Wort umkehrt.

Mir schien dieses Werk wie eine Heimat und Zuflucht derer, die sich scheuen vor jedem Wort und jedem Bild, das sich ihrer Heimatssehnsucht erbarmen möchte.

Mit Naturnotwendigkeit fühlte ich mich über das unstillbare Verlangen dieser Welt hinauswachsen, ohne Weltflucht – durch Weltvertiefung, durch Versenken in die Welt der Erscheinung und des Verlangens. »Anziehung und Abstoßung ist Verlangen, brünstige Wünsche – inbrünstiges Gebet – Liebe wie Haß. Niederste Gier ist Verlangen nach dem Höchsten.«

Nichts ist zu niedrig, um nicht das Höchste zu bergen! Welch erbarmungsvoller Gedanke! – Von diesem Standpunkt aus – eine Heiligung sondergleichen der ganzen Natur. Ihre Geheimnisse und Schrecken, wandeln sich in uns zum Höchsten, wir brauchen der Natur nicht zu entfliehen; wir sind geborgen. Die Welt – zu Ende gedacht – ist Erlösung.

Das ist der Standpunkt, von dem es mir möglich war, alles, was diese Lehre mir bot, zu erfassen.

Und wenn ich mich frage: Was hat dem Werke, vordem es in die Welt geht, so viel Macht gegeben auf jene Menschen, die ihm bereits nahe traten, so mag es wohl dies sein, auf das ich hier hindeute, und was einer der teuren Freunde, die mit dem Werke lebten, aussprach: »Es wurde eine Heimat, ein Ruheplatz, wohin ich stets zurückkehren werde, wo ich mich hingehörig empfinde, es wurde mir ein ureigenster Besitz.«

Auch die Einheit dieses Werkes ist auf dem schweren Weg durch die Vielheit enstanden. Seine Kürze ist die Tat langer Jahre eines Lebens. Ich kenne den weiten Weg, ich durfte ihn mitgehen, der zurückgelegt werden mußte, um solches Ineinandergreifen aller Teile zu schaffen, um solche einheitliche Zusammenfassung aus dem Ganzen herauswachsen zu lassen. Ich erlebte es mit, welch starke Verbindung schärfster Verstandestätigkeit mit den Kräften seelischen Schauens dazu gehört, um die schwierigsten Gedankengänge und ihre anfänglich unmöglich erscheinenden Ergebnisse zu solcher Einfachheit der Vorstellung, zu solcher Selbstverständlichkeit des Ausdrucks auszugestalten.

Es war ein langsames Schaffen; aber ein sicheres Wachsen, immer aus dem Lebenszentrum, dem Ich-Punkt heraus. So entsteht ein Naturgebilde.

Alles von der Natur Geschaffene stellt sich uns mit so sicherer Selbstverständlichkeit dar, daß wir nur schwer dazu gelangen, seine Bedingtheit aus unendlicher Zusammensetzung zu begreifen.

Alles Vereinheitlichte und darum Einfache ist schwer zu ergründen. Das gilt auch für diese Schrift: sie lesen zu können – das ist eines schwere Kunst und Wenige werden sich dazu hinringen.

Paracelsus sagt:

»Was unmöglich gesagt wird, was unverhofflich und gar verzweiflich ist, wird wunderlich wahr werden und soll sich niemand verwundern über den kurzen Weg und kurzen Begriff, denn das Viele ist die Quelle von vielem Irrtum.«

Wir lernten »das sich dazu hinringen« durch ihn selbst. Er war uns der Pförtner, der uns das schwere Tor auftat.

Durch ihn empfanden wir, wie wenig alle Worte sagen, selbst seine Worte, die nicht mehr nur Worte der Sprache sind, die zu tiefen Bildern fast unsagbarer Dinge wachsen.

An der Bildung der Worte, der Enstehung der Sprache, waren, wie bei allem Schaffen, die höchsten Ahnungen lebendig mit am Werke.

Diese ursprünglichen Ahnungen tiefster Wahrheiten scheinen gleichsam durch die viel gebrauchten Worte hindurch, wachen wieder auf, sprechen sich im Worte selber wieder aus, sobald die Sprache schöpferisch behandelt wird.

Die kühnste Anwendung der Sprache deckt sich hier mit ihrem urprünglich einfachsten Sinn.

Es ist, als ob nicht ein einzelner Mensch spräche, sondern als ob der Geist der Sprache sein wissen von sich selbst offenbarte.

Der, der diese tief lebendige, wissende Sprache sprach, ging den Weg seines Werkes. »Wortlos das Letzte« ist dort das Schlußwort. Er hat auch davon uns noch ein Stück erfassen lassen durch seinen großen Tod. In Schweigen versank die Sinnenwelt, das unaussprechliche leuchtete auf, das gesucht, in sich und in allen Dingen, lebenslang; verklärt fühlte er es nahen.

Dieses Buch ist seine Wegspur dorthin. – Zu Ende der Weg; erreicht das Ziel; – wortlos das letzte.

Für mich ist es eine Notwendigkeit, ebenso gewollt wie schmerzlich und doch freudig, den innig behüteten Besitz, der bisher nur still und verehrt Nahestehenden dargeboten wurde, öffentlich hinauswirken zu lassen in die große, dieser Lehre so fremde Welt, damit sie die Wenigen finde, denen sie ihre Leuchtkraft mitteilen soll, die ein inneres Recht auf sie haben.

Solche wird sie finden; ich weiß es, weil nicht ich allein die heilsame Klärung im Wirrsal des Lebens daraus empfing. Ein Kreis von Schülern und Verehrern hatte sich langsam um den zurückgezogenen Denker versammelt.

Es lag mir nahe, Aussprüche der kleinen Gemeinde dem Werke mitzugeben, eine wärmende Hülle von Liebe, die sich bereits darum gebildet hatte; – scheint doch dies Werk auf den ersten Eindruck dem gegenwärtigen Leben so fern, als sei es aus dem Weltenraum auf die Erde gefallen; denn was aus Sehnsuchtsglut, die nie am Vergänglichen Genügen fand, geboren wurde, ist wie von der Unendlichkeit, die für uns nicht irdische Lebenwärme birgt, angehaucht. – Ich tat es nicht und gab ihm nur meine große Liebe mit, die ihm durch ein Leben gehörte.

Helene Böhlau al Raschid Bey.


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