Ludovico Ariosto
Rasender Roland, Band 1
Ludovico Ariosto

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Zehnter Gesang.

Birens Verrath an Olympia (1–34). Rogers Ritt ins Reich der Logistilla und Alcina's Niederlage (35–68). Rogers Rückkehr mit dem Flügelpferde nach Europa (69–73). Heerschau über die englischen und schottischen Truppen (74–90). Rogers Flug nach Ebuda, sein Kampf mit der Orca und Angelica's Befreinug (91–115).

So viele je sich ächter Liebe weihten,
So viel beständ'ge Herzen je gelebt,
So viel berühmte Liebend' aller Zeiten
In Wohl und Weh den Preis der Treu' erstrebt, –
Den ersten Preis räum' ich (eh als den zweiten)
Olympien ein, und wer Einspruch erhebt,
Dem sag' ich wenigstens, kein Herz hat treuer
Geliebt als sie, in alter Zeit und neuer,
Und ihr Biren hat davon solche Zeichen,
So viele und so leuchtend und so klar,
Daß nie er mehr Gewißheit könnt' erreichen,
Säh' er ihr Herz vor Augen nackt und bar;
Und wenn jemals für Treue sonder gleichen
Der Lohn der Gegenliebe schuldig war,
So muß Biren sie lieben wie sein Leben
Und mehr noch, um gerechtes Maß zu geben. 272
Und nicht nur darf er nie nach andern fragen,
Selbst nicht nach ihr, um deren Angesicht
Europa einst und Asien sich geschlagen,
Und wenn man von noch schönren Weibern spricht:
Nein, eher noch als ihr mög' er entsagen
Der Sprache, dem Gehör, dem Sonnenlicht,
Dem Ruhm, dem Leben, und was irgend man
Kostbares nennen oder denken kann.
Ob nun Biren ihr solche Liebe weiht,
Wie er von ihr erfuhr, ob er ihr schenkte,
Was er von ihr empfing, und keiner Zeit
In andre Bahnen seine Segel lenkte,
Oder ob er so große Zärtlichkeit,
So treue Lieb' undankbar höhnt' und kränkte,
Das zeig' ich jetzt, und Wunder sollt ihr schauen
Mit starren Lippen und gewölbten Brauen.
Und habt ihr erst die Büberei vernommen,
Wie er zum Dank dies gute Weib bethört,
So wird sie euch, o Frau'n, als Warnung frommen,
Nie dem zu trau'n, was ein Verliebter schwört.
Denn der Verliebte, um ans Ziel zu kommen,
Uneingedenk, daß Gott ihn sieht und hört,
Wirrt durcheinander die Gelübd' und Schwüre,
Damit der Wind sie in die Luft entführe. 273
Die heil'gen Schwür' und die Gelübde wehen,
Zerstreut von Winden, über Meer und Land,
Sobald die Liebenden befriedigt sehen
Den heißen Durst, der erst so heiß gebrannt.
Seid also künftig, wenn sie seufzend flehen,
Nicht gleich mit eurem Glauben bei der Hand.
Beglückt ist, meine lieben Frau'n, auf Erden,
Wer lernt auf Kosten andrer klug zu werden.
Hütet vor solchen euch, die noch im Flor
Der schönen Jahre stehn mit glatten Wangen;
Denn schnell, wie Feuer brennt in Stroh und Rohr,
Entsteht und stirbt in ihnen das Verlangen.
Der Jäger, der in Hitz' und Kälte Moor
Und Berg durchstreift, ein Häslein einzufangen,
Verschmäht es, wenn er das ergriffne sieht,
Und jagt es nur, solange jenes flieht.
So macht es solch ein Jüngling auch: solange
Ihr spröde thut und wenig nach ihm fragt,
Liebt er und ehrt euch mit so inn'gem Drange
Wie einer, der um euch sich redlich plagt.
Kaum aber hat er in dem Waffengange
Den Sieg erlangt, so wird die Herrin Magd,
So seht ihr euch die falsche Lieb' entschlüpfen
Und anderswo dann neue Bande knüpfen. 274
Ich rat' euch nicht – denn Unrecht würd' es sein –
Vom Lieben ab; Weib ohne Freundes Stütze
Ist wie im Garten ungepflegter Wein,
Der keinen Pfahl hat, dessen Kraft ihn schütze.
Nur mit dem ersten Flaum laßt euch nicht ein,
Der flatterhaft und wild ist, wenig nütze;
Nur nach dem grünen Obst sollt ihr nicht greifen;
Doch rat' ich keineswegs zum überreifen.
10  In Holland hatten sie, wie wir gesehn,
Des Friesenkönigs Töchterlein gefunden,
Und für den Bruder hatte sie Biren
Zur Frau bestimmt, gleich in den ersten Stunden.
Er fand jedoch, die Wahrheit zu gestehn,
Der zarte Bissen könn' ihm selber munden,
Und thöricht sei es, sich den Mund zu wischen,
Um ihn für einen andern aufzutischen.
11  Das Dämchen zählte vierzehn Jahre nicht,
Und schöner war und frischer und gesunder
War nie ein Röslein, das die Knospe bricht
Und mit dem Morgen voller wird und runder.
Biren verliebte sich in ihr Gesicht,
Und Feuer zündet nicht so schnell den Zunder,
Ergreift so schnell nicht, wann die Hand des Neides
Es anlegt, Halme reifenden Getreides, 275
12  Wie er ergriffen ward von dieser Glut.
Bis in das Mark fühlt' er die heißen Flammen,
Als er sie sah, wie um des Vaters Blut
Die schönen Augen ganz in Thränen schwammen.
Und wie ein kochend Wasser plötzlich ruht,
Wenn man es mit dem kalten gießt zusammen,
Erlosch das Feuer, das Olympia schürte,
Als es die Macht des neuen Brandes spürte.
13  Schon ist er ihrer satt, ja, Widerwille
Erfüllt ihn, und er mag sie kaum noch sehn.
So hitzig wird indeß die neue Grille,
Er wird, wenn das nicht endet, dran vergehn.
Doch hoffend, daß er bald sein Sehnen stille,
Beherscht er sich, als wäre nichts geschehn,
Als ob er für Olympien glüh' und brenne
Und keinen Wunsch als nur den ihren kenne.
14  Und kost' er mit der andern, (denn er koste
Trotz allem mehr mit ihr als sich wohl schickt,)
So war kein Mensch, der sich darob erboste,
Und nichts als Mitleid ward hierin erblickt.
Denn traurige mit liebevollem Troste
Aufrichten, wann ein Schicksalsschlag sie knickt,
Galt nie für sträflich, sondern oft für Tugend,
Und gar ein Kind von so unschuld'ger Jugend! 276
15  Herr Gott, wie um die menschlichen Begriffe
Sich häufig doch ein dicker Nebel ballt!
Daß dieser Meister schnöder Künst' und Kniffe
Für menschenfreundlich und barmherzig galt!
Die Schiffer faßten an die Rudergriffe,
Und los vom sichern Ufer führten bald
Sie durch die salzen Sümpfe unverdrossen
Gen Seeland den Biren und die Genossen.
16  Weit hinter ihnen lag schon in den Wogen
Die Küste Hollands, die sie nicht mehr sahn,
(Denn links auf Schottland hielten sie im Bogen,
Um nicht dem friesischen Gebiet zu nahn,)
Da überfiel ein Wind sie, und sie flogen
Drei Tage ziellos in den Ocean;
Am dritten konnten sie um Abend landen,
Da sie ein Eiland, wüst und öde, fanden.
17  Im Hafen stieg, den sie gefunden hatten,
Olympia aus und speiste dort zu Nacht,
Vergnügt mit ihrem ungetreuen Gatten
Und ohne jeden Schatten von Verdacht,
Und ging mit ihm zu Bett auf weichen Matten,
Wo man ein Zelt für sie bereit gemacht.
Das übrige Gefolge ging im Hafen,
Ein jeglicher auf seinem Schiffe, schlafen. 277
18  Die Seenot und die Angst und die Beschwerde,
Die ihr den Schlaf verscheuchten Tage lang,
Das sichere Gefühl auf fester Erde,
Der stille Wald, wo kein Gebraus erklang,
Wo keine Sorg' um Unheil und Gefährde,
Solang' ihr Liebster da war, zu ihr drang,
Dies alles senkte sie in Schlaf, so tiefen,
Daß Bär und Murmelthier nie fester schliefen.
19  Biren, den seine ausgedachten Tücken
Wach hielten, schlüpfte, da sie schlafend schien,
Aus seinem Bett, macht' aus den Kleidungsstücken
Ein Bündel, ohne sonst sich anzuziehn,
Und flog, als hätt' er Flügel auf dem Rücken,
Zurück zu seinem Troß, ermuntert' ihn,
Und ohne Lärm und Rufen rasch von hinnen
Ließ er sie rudern und die See gewinnen.
20  Die Eisvögel, Halcyonen, haben nach der griechischen Sage ihren klagenden Ton, weil die Götter das unglückliche thracische Königspaar Ceyx und Halcyone in die Gestalt dieser Vögel verwandelten.  Am Ufer blieb die unglücksel'ge Frau
Und schlief ohn' ihre Augen aufzuschlagen,
Bis auf die Erde der gefrorne Thau
Herabtroff von Aurora's goldnem Wagen
Und Halcyonen auf dem Meeresgrau
Begannen um ihr altes Leid zu klagen.
Halb wach, halb schlafend streckte sie die Hand,
Ihn zu umarmen, den sie nimmer fand. 278
21  Sie findet nichts. Sie senkt die Hand und streckt sie
Noch einmal aus, – vergebens, wie vorher.
Sie reckt den rechten Arm, den linken reckt sie,
Den linken Fuß, den rechten, – alles leer.
Jetzt öffnet sie die Augen, Angst erweckt sie;
Sie sieht ihn nicht. Da schmiegt sie sich nicht mehr
In ihr verwitwet Bett; in hast'ger Schnelle
Stürzt sie vom Lager vor des Zeltes Schwelle
22  Und läuft ans Meer. Als ob sie alles wüßte,
Gräbt sie die Nägel in ihr Angesicht,
Zerrauft ihr Haar und schlägt sich auf die Brüste
Und blickt umher, (der Mond gab helles Licht,)
Ob sie noch andres sehen könn' als Küste,
Doch andres als die Küste sieht sie nicht.
Sie ruft »Biren!« – »Biren« tönt's aus den Schlünden,
Als ob die Felsen ihren Schmerz verstünden.
23  Ein Fels erhebt sich dort am Saum der Wogen,
Der, von dem Schlag der Wellen vielbenagt,
Sich unten ausgehöhlt hat wie ein Bogen
Und übers Meer gekrümmt und schwebend ragt.
Den war Olympia hinangeflogen,
Durch die Verzweiflung stark, die alles wagt,
Und droben sieht sie von der Küste fern
Die flieh'nden Segel ihres falschen Herrn. 279
24  Die sieht sie oder glaubt sie fern zu sehen;
Denn noch von Dämmrung war die See umwallt.
Da stürzt sie zitternd hin und will vergehen,
Ihr Antlitz weiß wie Schnee und auch so kalt.
Kaum aber hat sie Kraft um aufzustehen,
Als übers Meer hin ihr Geschrei erschallt;
Sie ruft, so laut die Kräft' es ihr gestatten,
Vielmals den Namen des verruchten Gatten.
25  Und Thränen helfen, wenn die Kraft gebricht,
Und Händeschlagen hilft der schwachen Kehle.
»Wohin so schnell, grausamer? sahst du nicht,
Daß deinem Schiff die rechte Ladung fehle?
Mich auch nimm mit! leicht wird es das Gewicht
Des Körpers tragen; trägt es doch die Seele.«
Und mit den Armen und mit dem Gewand
Winkt sie dem Schiff zur Rückkehr an den Strand.
26  Jedoch dieselben Winde, die den Schiffen
Des ungetreuen volle Segel wehn,
Sie wehen auch ins Meer, fort von den Riffen,
Olympia's Klagen und Geschrei und Flehn.
Dreimal reißt sie sich los, von Wut ergriffen,
Vom Strand und will im Wasser untergehn;
Doch endlich wendet sie sich von den Fluten
Dahin zurück, wo Nachts sie beide ruhten. 280
27  Sie wirft sich auf das Bett und schluchzt und weint
Das Kissen naß und spricht zu ihm: »Noch eben
Vereintest du uns zwei; warum vereint
Ließest du nicht die zwei sich auch erheben?
O schändlicher Biren! arglist'ger Feind!
Verflucht der Tag, wo ich begann zu leben!
Was soll ich thun? was kann ich, so allein?
Wer hilft mir? Himmel, wer erbarmt sich mein?
28  »Nicht Menschen seh' ich noch bebautes Land,
Noch irgend Spuren, daß hier Menschen seien.
Kein Fahrzeug seh' ich, das ich dort am Strand
Besteigen könnt' und mich vielleicht befreien.
Verschmachten werd' ich; mir wird keine Hand
Die Augen schließen und ein Grab mir weihen,
Wenn nicht ein Grab in seinem Bauch vielleicht
Der Wolf mir schafft, der dort im Walde streicht.
29  »Ich schweb' in Ängsten, und schon seh' ich immer
Löwen und Bären aus dem Walde nahn
Und Tiger oder was Natur noch grimmer
Mit mächt'ger Tatze schuf und scharfem Zahn.
Doch welches wilde Thier vermag mich schlimmer
Zu tödten als du, wildes Thier, gethan?
Sie werden mich durch einen Tod verderben;
Du lässest, weh mir! tausendmal mich sterben. 281
30  »Und käm' ein Schiffer auch in diesen Port
Und nähm' aus Mitleid mich in seinen Nachen
Und schützte mich vor Hunger, Frost und Mord,
Vor Wolf und Bären und des Löwen Rachen, –
Soll er mit mir nach Holland gehn, wenn dort
Die deinen jede Stadt und Burg bewachen?
Soll er in mein ererbtes Land mich führen,
Wenn du es mir geraubt mit falschen Schwüren?
31  »Du hast mein Erbgut unter falschem Schein
Der Freundschaft und Verwandtschaft mir entrissen;
Die eignen Vettern, nur um Herr zu sein,
Ins Land zu setzen hast du dich beflissen.
Soll ich nach Flandern, wo ich das, was mein
Geblieben war, bis auf den letzten Bissen
Für dich geopfert hab' in treuem Sinn?
Wohin soll ich verlorne gehn? wohin?
32  »Nach Friesland etwa, weil ich dir zu lieb
Daselbst verschmähte Königin zu werden
Und Vater, Brüder ins Verderben trieb
Und alles preisgab, was ich hatt' auf Erden?
Was ich gethan für dich, wie treu ich blieb,
Will ich dir nicht vorrücken; der Beschwerden
Bedarf es nicht; du selber weißt es schon:
Nun hab' ich dies davon als Dank und Lohn. 282
33  »O kömmt nur kein Korsar und trifft mich hier
Und schleppt als Sklavin mich zu fremden Herren!
Eh möge Wolf und Bär und Tigerthier
Und was man sonst in Käfig pflegt zu sperren,
Mein Fleisch zerreißen und die Knochen mir
Zermalmen und mich todt zur Höhle zerren!«
So spricht sie, und zu Kopf die Hände fahren
Und raufen Strähn' um Strähn' aus goldnen Haaren.
34  Hecuba verfiel in Raserei, als sie in der Gefangenschaft den Leichnam ihres letzten Sohnes Polydor erblickte. Sie riß dem Mörder die Augen aus und wurde in eine wütende Hündin verwandelt.  Sie rennt zurück zum Strand, zur letzten Spitze,
Und wirft den Kopf und läßt die Haare wehn,
Wie eine Hirnverrückte, als besitze
Ein Teufel sie, – nicht einer, sondern zehn;
Wie Hecuba im wilden Aberwitze,
Nachdem sie Polydors Leichnam gesehn.
Sie steigt auf einen Stein und schaut ins Meer,
Und auf dem Steine scheint sie Stein wie er.
35  Dort mag sie trauern, bis ich wiederkehre.
Ich muß doch sehn, wie Roger sich befand,
Der in der vollen Mittagsglut die schwere,
Mühsel'ge Reis' am Ufer hin bestand.
Vom Hügel prallt der Sonnenbrand, am Meere
Kocht unter ihm der feine, weiße Sand,
Und wenig fehlt, so wird um seine Glieder
Die Rüstung, was sie war, ganz Feuer wieder. 283
36  Indeß nun Durst und Mühsal in dem glatten
Und tiefen Sande dieser Einsamkeit,
Wo freien Weg die Sonnenstrahlen hatten,
Geleit ihm gaben, lästiges Geleit,
Fand er vor einem alten Thurm im Schatten
(Der in der See stand, nicht vom Ufer weit)
Drei Mädchen von dem Hof der Fee Alcine;
Denn wohl erkannt' er sie an Tracht und Miene.
37  Dahingestreckt auf indischen Geweben
Genossen sie die Kühlung, die sich bot,
Von vielen Krügen guten Weins umgeben
Und von verschiednen Arten Zuckerbrot.
Und mit den Fluten tändelnd lag daneben,
Befestigt an den Strand, ihr zierlich Boot,
Abwartend bis ein Hauch das Segel schwelle;
Denn nicht ein Lüftchen schaukelte die Welle.
38  Als jene sahn, wie durch den losen Sand
Roger sein Roß gerades Weges hetzte,
Wie auf den Lippen Durst geschrieben stand
Und Schweiß sein trauriges Gesicht benetzte,
Da riefen sie, es wär' ein Unverstand,
Wenn er den Rest der Kraft ans Reiten setzte,
Anstatt im lieblichen und kühlen Schatten
Dem müden Leib' Erholung zu gestatten. 284
39  Die eine hatte schon den Zaum ergriffen
Und hielt den Bügel ihm und lud ihn ein.
Und in dem Becher, aus Krystall geschliffen
Bot ihm die zweite dann schaumsprüh'nden Wein.
Er aber tanzte nicht, wie jene pfiffen;
Denn wollt' er hier die Zeit der Ruhe weihn,
So käm' Alcina, die ihm jedenfalls
Gefolgt und nahe war, ihm auf den Hals.
40  Nicht Schwefel, nicht Salpeter flammt so mächtig
Und plötzlich auf, den man ins Feuer hält;
So braust die See nicht, wann pechschwarz und nächtig
Der Wirbelsturm auf ihre Wogen fällt,
Wie plötzlich jetzt – weil seines Wegs bedächtig
Im Sande weiterstampft der junge Held
Und sie verschmäht, die doch sich reizend deuchten, –
Von Wut des dritten Mädchens Augen leuchten.
41  »Du bist kein Ritter und kein Edelmann,«
(So läßt sie schreiend ihre Red' ergehen,)
»Du stahlst die Rüstung dir und zogst sie an,
Und mit dem Pferde wird's nicht anders stehen.
Ja, und so wahr ich dies beschwören kann,
Möcht' ich verdienten Tod dich sterben sehen,
Gepfählt, geviertheilt oder auch im Feuer,
Spitzbube, Bauer, Prahlhans, Ungeheuer!« 285
42  Mit diesen schnöden und noch allerlei
Schimpfworten gab sie Rogern das Geleite,
Obwohl er ruhig schwieg zu dem Geschrei;
Denn wenig Ehre hofft' er von dem Streite.
Dann steigt sie ein, mit ihr die andern zwei,
Ins Boot, das fertig lag an ihrer Seite,
Und folgt mit schnellgeschwungnen Rudern dicht
Am Ufer hin und hält ihn im Gesicht.
43  Sie droht und flucht und lästert bis zuletzt,
Denn sie verstand aufs Schnupfen sich vollkommen.
Am Sund' inzwischen, wo man übersetzt
Zur schönern Fee, ist Roger angekommen,
Und sieh ein Schiffergreis kömmt eben jetzt
Vom andern Strand' im Kahn dahergeschwommen.
Als hätt' er schon von Rogers Ankunft Kunde
Vorher gehabt und sein geharrt am Sunde.
44  Er kömmt ihn in das bessre Land zu fahren,
Und wohl erkennt man, daß er's freudig thut;
Denn wenn das Herz die Mienen offenbaren,
So war er sinnig, klug und herzensgut.
Als Roß und Reiter nun im Schiffe waren,
Dankte der Jüngling Gott; durch stille Flut
Fuhr er dahin jetzt, redend mit dem Greise,
Der durch Erfahrung kundig war und weise. 286
45  Der Alte lobt' ihn, daß er früh genug
Sich losgerissen von Alcinen, ehe
Sie ihm den Zauberkelch entgegentrug,
Dem keiner ihrer Buhlen sonst entgehe,
Und daß er sich zu Logistillen schlug,
Bei der man nichts als frommen Wandel sehe,
Ewige Schönheit, Anmut reinrer Sphären,
Die unser Herz nie sättigen, doch nähren.
46  »Die (sagt' er) nimmt, wann erst sie mit dir spricht,
Die Seel' in Staunen und in Scheu gefangen.
Betrachte besser dann ihr hehr Gesicht,
Und nie nach andrem Glück wirst du verlangen.
Die Liebe gleicht der andern Liebe nicht,
Die dich verzehrt mit Hoffen und mit Bangen;
In jener Liebe quält dich nie Begier,
Und sie zu sehn ist schon Genügen dir.
47  »Sie lehrt dich bessre Kunst und schönres Streben
Als Tanz, Musik und Düft' und Schwelgerei:
Sie lehrt den Geist im Fluge sich erheben,
Weit höher als der Adler und der Weih,
Und wie im Fleische schon das ew'ge Leben
Der Seligen zu schmecken möglich sei.«
So redend fuhr der Greis auf feuchtem Pfade,
Noch immer fern vom schützenden Gestade. 287
48  Da plötzlich sieht er viele Schiff' in See,
Die alle nach dem Kahn ihr Steuer richten;
Mit ihnen kömmt die schwergekränkte Fee,
Und große Streitmacht folgt ihr; denn vernichten
Will sie ihr Reich und sich verderben, eh
Als auf den ihr geraubten Schatz verzichten.
Wohl hat die Liebe Theil an dem Entschluß,
Jedoch nicht minder Ingrimm und Verdruß.
49  Nie fühlte sie ihr Herz so schmerzlich bluten,
Seit sie geboren ward, nie solchen Groll;
Die Ruder mußten durch das Meer sich sputen,
Daß schäumend über Deck die Woge schwoll.
Von lautem Lärm ertönten Land und Fluten,
Von allen Seiten her das Echo scholl.
»Roger, enthüll' den Schild, daß er dich rettet,
Sonst stirbst du oder wirst in Schmach gekettet!«
50  So spricht der Greis in Logistilla's Schiffe
Und faßt die Tasche selbst, indem er's spricht,
Und holt den Schild hervor mit raschem Griffe
Und zeigt das nackte ungedämpfte Licht.
Der Zauberglanz von dem metallnen Schliffe
Schlägt dergestalt den Feinden ins Gesicht,
Daß blind sie niederstürzen auf der Stelle
Vom Vorderdecke hier, dort vom Castelle. 288
51  Der Wächter hatt' Alcina's Macht gesehn,
Der oben von dem Thurm des Schlosses spähte,
Und ließ der Glocke Sturmgeläut ergehn,
Und alles lief ans Meer mit Kriegsgeräte.
Artillerie wie Hagel kracht auf den,
Der gern ein Leids dem guten Roger thäte,
Und so, von wackren Helfern rings umgeben,
Rettet' er seine Freiheit und das Leben.
52  Wahrscheinlich hat Ariost mit den Namen der vier Jungfrauen auf die vier sogenannten Cardinaltugenden Tapferkeit, Klugheit, Gerechtigkeit, Mäßigung, anspielen wollen.  Vier Jungfrau'n hatten auf der Meeresdüne
Sich auf Befehl der guten Fee vereint,
Die weise Phronesia und die kühne
Andronica und, allem Laster feind,
Dicilla und die keusche Sophrosyne,
Die heut vor Eifer schier zu leuchten scheint.
Das Heer, dem keins gleichkömmt in Süd und Norden,
Rückt aus der Burg und nach den Meeresborden.
53  Unter der Burg lag im geschützten Port
Ein mächtiges Geschwader hoher Schiffe,
Kampffertig Tag und Nacht aufs erste Wort,
Beim ersten Glockenschall, beim ersten Pfiffe.
Und so begann der Kampf und blut'ger Mord
Zu Wasser und am Strand und um die Riffe;
In Trümmer sank das Reich, das ohne Scham
Alcina einst der eignen Schwester nahm. 289
54  O in wie mancher Schlacht fällt Wohl und Weh
Ganz anders aus, als man vorher sich dachte!
Den flücht'gen Buhlen fing die böse Fee
Nicht nur nicht ein, wie sie sich Hoffnung machte,
Selbst von den Schiffen, deren Zahl die See
Kaum faßte, da man sie ins Treffen brachte,
Entriß sie nichts den Flammen als ein Boot,
Auf dem sie selbst entkam mit knapper Not.
55  Alcina flieht; des Heeres armer Rest
Verbrennt, sinkt unter oder wird gefangen.
Daß ohne Roger sie das Feld verläßt,
Betrübt sie mehr, als daß ihr Reich vergangen.
Bei Tag und Nacht seufzt sie um ihn und näßt
Mit bittren Thränen seinethalb die Wangen,
Jammernd, daß – um die Qual mit einem Schlag
Zu enden – sie zu sterben nicht vermag.
56  Denn keine Fee kann sterben, bis einmal
Die Sonne weicht aus dem gewohnten Pfade;
Sonst schnitte jetzt, gerührt von ihrer Qual,
Clotho den Faden ab vom Schicksalsrade,
Oder wie Dido griffe sie zum Stahl,
Oder die Königin am Nilgestade
Nachahmend sänk' in Todesschlummer sie;
Indeß unmöglich war's, Feen sterben nie. 290
57  Sie überlass' ich ihrem Schmerz und wende
Zurück zum ruhmeswürd'gen Roger mich.
Wißt also, aus dem Kahn sprang er behende
Und fühlte sichren Boden unter sich,
Gott dankend, daß sein Plan ihm bis ans Ende
Geglückt sei, und verließ den Küstenstrich
Und eilte nun bergan auf trocknen Wegen
Zur Burg empor, die oben war gelegen.
58  So stark und schön wie diese Burg ist keine,
Die je vor Menschenaugen steht und stand;
Die Mauern köstlicher, von hellrem Scheine,
Als wären sie Pyrop und Diamant.
Hier kennt man gar nicht solche Edelsteine,
Und wer sie sehn will muß in jenes Land
Sich schon bemühn, denn nirgend würd' er diese
Sonst finden als vielleicht im Paradiese.
59  Wodurch sie sich vor jeglichem Juwele
Auszeichnen, das ist dies: blickt man hinein,
So schaut man auf den Grund der eignen Seele
Und sieht, was gut und bös ist, deutlich ein.
So wird man nicht dem Schmeichler, der die Fehle
Verkleinert, noch dem Lästrer Glauben leihn.
Vor diesem reinen Spiegel ohne Trug
Lernt man sich selbst erkennen und wird klug. 291
60  Und ihre Strahlen, gleich dem Sonnenscheine,
Leuchten und machen alles hell und froh;
Wer diese hat, kann, Phöbus, ohne deine
Tag machen, wann es ihm beliebt und wo.
Und wunderbar sind dort nicht nur die Steine,
Die Kunst wetteifert mit dem Stoffe so,
Daß, welche größer sei von diesen beiden
Vortrefflichkeiten, schwer ist zu entscheiden.
61  Auf Bogen und auf Pfeilern hoch und kühn,
Als dienten sie dem Himmelszelt als Pfosten,
Sah man so weite, schöne Gärten blühn,
Wie sie in Ebnen selbst viel Arbeit kosten.
Zwischen den lichten Zinnen sah man grün
Die duft'gen Sträucher, die dort oben sproßten,
Gewohnt in Sommer- und in Wintertagen
Anmut'ge Blüt' und reife Frucht zu tragen.
62  So stolze Bäume, wie sie dort gediehn,
Wird nicht so leicht ein andrer Garten zeigen,
Von Rosen und Violen und Jasmin
Und Amaranth und Lilien ganz zu schweigen.
Derselbe Tag, der ihr Entstehn beschien,
Sieht anderswo die Blum' ihr Köpfchen neigen,
Und trauernd, wie ein Witwer, steht ihr Stiel;
Denn sie beherscht des Himmels wechselnd Spiel; 292
63  Dort schwand das Grün des Laubes nie, es schwand
Niemals der ew'gen Blumen Glanz und Blüte;
Nicht etwa so, als ob den schönen Strand
Die freundliche Natur vor Leid behüte;
Nein, Logistilla's Sorg' und fleiß'ge Hand
Hielt, ohne daß sich höhre Macht bemühte,
(Was allen anderen unmöglich schien,)
Sie hielt den Frühling fest und kettet' ihn.
64  Sehr dankbar zeigte sich die Fee dem Gast
Und froh so edlen Herrn bei sich zu sehen,
Und sie befahl, man soll' ihm gute Rast
Bereiten, alle Ehr' ihm zugestehen.
Astolf war schon ein Weilchen im Palast,
Und Rogern freute sehr sein Wohlergehen;
Bald kam auch die gesamte andre Schar,
Die von Melissen jüngst entzaubert war.
65  Nachdem sie einen Tag gerastet dort,
Trat Roger mit Astolf vor jene Weise;
Denn einer wie der andre möchte fort
Ins Abendland und bat Urlaub zur Reise.
Und auch Melissa nahm für sie das Wort
Und bat die Fee in ehrerbiet'ger Weise,
Sie möge jenen helfen und sie lehren
Dahin, woher sie kamen, heimzukehren. 293
66  Da sprach die Fee: »Bedenken will ich's mir,
Und in zwei Tagen schaff' ich euch Genüge.«
Dann sann sie nach, was sie am besten hier
Für Roger erst, dann für Astolf verfüge.
Das beste schien ihr, wenn das Flügelthier
Erst Roger heim nach Aquitanien trüge;
Doch ließ sie erst ihm ein Gebiß bereiten,
Um seinen Flug zu zügeln und zu leiten.
67  Sie zeigt' ihm, was zu thun sei, wenn er wolle,
Daß es empor sich schwing', und was zu thun,
Wenn es sich senken oder wenden solle,
Sich sputen oder auf den Flügeln ruhn.
Und was ein Reiter auf der ebnen Scholle
Mit seinem Pferde thut, that Roger nun,
Bis er's bemeisterte, statt auf der Erde
Hoch in der Luft mit dem beschwingten Pferde.
68  Als Roger fertig war um abzufahren,
Reicht' er der edlen Fee dankbar die Hand,
(Der er in Liebe stets in spätren Jahren
Verbunden blieb,) und er verließ das Land.
Von seinem Ritt sollt ihr zuerst erfahren,
Dann wie der edle Prinz aus Engelland
Mühsamer heimgelangt', in längren Fristen,
Zum großen Karl und unter Freund' und Christen. 294
69  Roger verließ sie, aber diesmal schlug
Er nicht den Weg ein, den er früher machte,
Als immer über Meer der Greif ihn trug
Und selten Land ihm vor die Augen brachte.
Jetzt da ihm freistand seines Rosses Flug
Zu lenken, wie er selber wünscht' und dachte,
Wollt' er auf neuem Weg nach Hause reisen,
Wie einst, Herodes' wegen, die drei Weisen.
70  Als er hierherkam, war er schnurgerade
Von Spanien bis nach Indien versetzt,
Dem Kampfplatz zweier Feen, wo die Gestade
Des Morgenlandes fernste See benetzt;
Jetzt möcht' er sich umschaun auf andrem Pfade
Als dem, wo Aeolus die Winde hetzt,
Den halben Kreis voll machend, den er reiste,
So daß die Welt er, wie die Sonn', umkreiste.
71  Man bemerkt im Verlaufe des Gedichts leicht, daß Ariost eine gewisse geographische Correctheit zur Schau trägt. Dieselbe erstreckt sich jedoch auf den fernen Osten nicht. In jenen fernen, zu seiner Zeit noch halbfabelhaften Gegenden folgt er den hergebrachten Autoritäten des Mittelalters, unter denen der Venezianer Marco Polo am meisten hervorragt. Von diesem rührt die Bezeichnung Katai für China oder den Norden China's her; Quinsai heißt bei ihm die Stadt, die wir Nanking nennen, und Mangi oder Mangianien das Land, in welchem die Stadt liegt, Imaus das Himalajagebirge, u. s. w.  Über Katai flog er und Mangianien
Und sah Quinsai die große, als er flog;
Vom Berg Himavus ließ er Sericanien
Zu rechten liegen, und allmählich bog
Er ab nach den Gestaden von Hyrcanien,
Sah die Sarmaten, als er weiterzog,
Und in Europa dann die Regionen,
Wo Russen, Preußen und die Pommern wohnen. 295
72  Schleunig zurück zu seiner Bradamante
Zu kommen, sehnte zwar sich Roger sehr,
Indeß seitdem er das Vergnügen kannte
Die Welt sich anzusehn, die Kreuz und Quer,
Wollt' er auch Polen, Ungarn sehn und wandte
Nach Deutschland sich und Ländern, die noch mehr
Dem schauerlichen Pol benachbart liegen,
Und schließlich mußt' er auch nach England fliegen.
73  Denkt ja nicht, Herr, daß er die Reise macht,
Ohn' auszuruhn und stets die Luft durchschneidend;
O nein, er blieb im Wirtshaus jede Nacht,
Schlechtes Quartier, so gut es ging, vermeidend.
Und Tag' und Monde hat er so verbracht,
An Meer und Ländern seine Augen weidend.
Jetzt, nah bei London, in der Morgenstunde,
Senkt sich der Greif hinab zum Themsegrunde.
74  Dort auf den Wiesen vor der Stadt erschien
Fußvolk und Reiterei; in schöne Scharen
Getheilt ließ sie an sich vorüberziehn
Beim Schall der Trommeln und der Kriegsfanfaren
Rinald, der hochgepriesne Paladin.
Ihr habt schon, wenn ihr euch entsinnt, erfahren,
Daß er nach England ging auf Karls Gebot,
Beistand zu suchen in der großen Not. 296
75  Als Roger kam, begann der schöne Zug
Sich eben aus dem Stadtthor zu entfalten.
Und einen Ritter fand er, den er frug,
(Doch ließ er erst den Greif dort unten halten,)
Und der Bescheid ihm gab, höflich genug,
Daß jene, deren Fahnen ringsum wallten,
Engländer seien, Schotten und die Heere
Irlands und andrer Inseln jener Meere.
76  Und nach der Heerschau werde Reiterei
Und Fußvolk nach der Küste sich verfügen,
Woselbst die Flotte segelfertig sei,
Bereit die Flut des Oceans zu pflügen.
Die Franken atmeten schon wieder frei,
Hoffend daß jene dort die Mohren schlügen.
»Indeß damit du alles magst erkennen,
Will ich (so sprach er) sie dir sämtlich nennen.
77  »Du wirst das große Banner drüben sehn,
Das mit den Lilien führt die Pardelthiere;
Das läßt der Reichsfeldherr im Winde wehn,
Ihm folgen all die übrigen Paniere.
Sein Nam', in diesem Reich hochangesehn,
Ist Leonett, Vorbild der Cavaliere,
Siegreich, ob man im Rat, im Feld' ihn treffe,
Herzog von Lancaster, des Königs Neffe. 297
78  »Das ist das Königsbanner. Nah dabei,
Das zweite, das hinflattert nach dem Hügel,
Trägt Richard, Warwicks Graf; die Stickerei
Zeigt uns in grünem Feld drei weiße Flügel.
Der halbe Hirschkopf dort mit dem Geweih
Zeigt, Herzog Gloster führt daselbst die Zügel;
Der Herzog Clarence führt den Feuerbrand,
Und Herzog York wird an dem Baum erkannt.
79  »Das Banner Norfolks siehst du dort im Thale,
Darin ein Lanzenschaft, dreimal zerstückt.
Dann Kents Standarte mit dem Wetterstrahle,
Indeß der Greif die Fahne Pembroke's schmückt.
Der Herzog Suffolk führt die Wag' und Schale.
Die beiden Schlangen dort, vom Joch gedrückt,
Sind Essex gräflich Wappen, und der Kranz
Im blauen Felde das Northumberlands.
80  »Der Graf von Arundel führt in den Falten
Des Banners eine Bark' in Sturmesnot.
Von Barclay folgt der Markgraf; weiter halten
Der Graf von March und Richmonds Aufgebot.
Barclay führt einen Berg, in weiß, gespalten,
Richmond die Palme, March ein schwimmend Boot.
Von Hampton und von Dorset zwei Barone
Erscheinen mit dem Wagen und der Krone. 298
81  »Raimund, der Graf von Devon, zieht daher,
Ein Falk im Nest geduckt auf seine Krallen.
Der Hund ist Derby's, Oxfords ist der Bär;
Schwarzgelb siehst du Winchesters Fahne wallen.
Auch der Prälat von Bath ist heut beim Heer,
Wo du das Kreuz erblickst, ein Kreuz krystallen.
Dort, der zerbrochne Stuhl in Violett
Ist Arimans, Herzogs von Somerset.
82  »An Lanzen und an Schützen sind zur Schau
Hier vierzigtausend Mann zu Pferd' erschienen,
Zweimal soviel (und wenn nicht ganz genau,
Doch nicht viel wen'ger,) die zu Fuße dienen.
Sieh dort drei Fahnen gelb und grün und grau,
Ein schwarz und blau gestreiftes folgt nach ihnen;
Gottfried und Heinrich, Edward und Hermant
Führen das Fußvolk in das Frankenland.
83  »Herzog von Buckingham ist von den vieren
Der erste, Heinrich Graf von Salisbury;
Hermant, der Alte, hat Burgh zu regieren,
Und Edward ist der Graf von Shrewsbury.
Die Leute, die dort rechts sich einquartieren,
Sind all' aus England. Jetzt gen Westen sieh:
Da stehn die Schotten, dreißigtausend Mann;
Zerbin, der Sohn des Königs, führt sie an. 299
84  »Dort zwischen zwei Einhörnern sehen wir
Den Löwen hoch ein Schwert von Silber tragen:
Das ist des Schottenkönigs Kriegspanier.
Dort steht sein Sohn Zerbin, von dem sie sagen,
So schön sei keiner unter allen hier;
Ihn schuf Natur und hat die Form zerschlagen.
Herzog von Roß ist dieser, und im Heer
Ist keiner tapfer, hold und stark wie er.
85  »Ein goldner Balken auf azurnem Grund
Weht von des Grafen Athol Fahnenstangen.
Von Marr der Herzog führt im Schildesrund
Den Panther, der im Eisen sich gefangen.
Sieh jetzt von Farben und von Vögeln bunt
Des tapfren Alcabrun Standarte prangen,
Der zwar nicht Herzog noch vom Grafenstande,
Doch erster ist in seinem wilden Lande.
86  »Der Herzog Stafford führt in seinen Fahnen
Den Vogel, der den Blick zur Sonne wagt.
Dem Grafen, der in Angus herscht, Lurcanen
Gehört der Stier, vom Doggenpaar gejagt.
Des Herzogs von Sanct Albans Unterthanen
Stehn, wo das blau und weiße Banner ragt.
Der Geier, der den grünen Wurm zerreißt,
Gehört dem Herrn, der Graf von Buchan heißt. 300
87  »In Forbes herscht der tapfre Held Armand,
Und schwarz und weiß läßt er die Fahne wehen.
Der Graf von Ferrol folgt ihm rechter Hand,
Wo wir in grünem Feld die Kerze sehen.
Jetzt sieh die Irischen am grünen Strand;
Zwei Scharen sind es, und zwei Grafen stehen,
Von Kildare und von Desmond, an der Spitze,
Herbeigeeilt vom wilden Bergessitze.
88  »In Kildare's Banner lodert eine Tanne,
Und Desmond führt in weiß ein rotes Band.
Nicht eilt zum Kampfe mit dem Muselmanne
Irland und Schottland nur und unser Land;
Norwegen, Schweden folgt dem Heeresbanne;
Von Island kommen sie, von Thule's Strand,
Von allen Ländern, die da oben liegen,
Feinden des Friedens, stets bereit zu Kriegen.
89  »An sechzehntausend mögen ihrer sein,
Aus Wäldern stammend und aus Felsenhorsten.
Behaart ist ihr Gesicht und Arm und Bein
Und Brust und Leib und Rücken wie mit Borsten.
Um ihre Fahne weiß und fleckenrein
Scheint sich ein Wald von Lanzen aufzuforsten.
Weiß hat ihr Hauptmann das Panier erkoren,
Um es zu färben in dem Blut der Mohren.« 301
90  Indeß sich Roger so die stolzen Scharen,
Die hier sich rüsten Frankreich beizustehn,
Anschaut, und all die Namen zu erfahren
Bemüht ist und die Wappen durchzugehn,
Kömmt nach und nach viel Volks, den wunderbaren,
Einzigen Gaul des Ritters anzusehn,
Vor Staunen außer sich, mit offnem Munde,
Und bald umsteht ein Hauf' ihn in der Runde.
91  Und um noch höher die Verwunderung
Zu steigern und sich Kurzweil zu bereiten,
Giebt Roger seinem Zügel einen Schwung
Und setzt dem Greif die Sporen in die Seiten.
Der steigt zum Himmel mit gewalt'gem Sprung,
Und staunend sehn sie ihn von dannen reiten.
Er aber sah sich England rechts und links
Von oben an, und dann nach Irland ging's.
92  Die wunderbare Grotte in Irland, von der hier die Rede ist, heißt »das Fegefeuer des heiligen Patricius«; man glaubte, daß ein Aufenthalt in derselben schon bei Lebzeiten die Menschen für das Paradies reif mache.  Im Wunderland Hibernien langt' er an,
Wo eine Grotte ist, so reich an Gnaden,
Daß, wie es scheint, daselbst sich jedermann
All seiner Schuld und Sünde kann entladen.
Fort übers Meer nach jenen Fluten dann
Wollt' er, die Klein-Britanniens Ufer baden,
Und unterwegs, als er nach unten sah,
Erblickt' er am Gefels Angelica, 302
93  Am nackten Felsen an der Thränenküste;
Denn Thränenküste hieß das Inselland,
Woselbst sich jene mitleidlose, wüste,
Unmenschliche Bevölkerung befand,
Von der ich sagte, daß sie Kreuzer rüste,
Die bald an diesem, bald an jenem Strand
Die schönen Frau'n wegfingen auf der Reise,
Dem Ungetüm zur greuelvollen Speise.
94  Gefesselt stand sie seit dem Morgen hier,
Verschluckt zu werden, ach, mit Haut und Haaren
Von jener Orca, jenem Riesenthier,
Deß graus'ge Nahrung junge Weiber waren.
Wie sie gefunden ward, das hörtet ihr,
Am öden Meergestade von Korsaren,
Im Schlafe, mit dem alten Hexenmeister,
Der sie umgarnte durch Magie und Geister.
95  Jetzt war sie auf dem Felsen ausgestellt –
Zum Fraß dem Unthier, an der Brandung Tosen,
Das schönste Weib, nackt wie sie auf die Welt
Gekommen war, – von den Erbarmungslosen.
Kein Schleier, der auf all die Reize fällt,
Die weißen Lilien und die roten Rosen,
Die auf den feinen Gliedern sind verstreut,
Die kein December, kein August bedräut. 303
96  Der Jüngling meint, daß er ein Bildwerk nur
Von Alabaster oder Marmor sehe,
Das, aufgestellt von Meistern der Sculptur,
So täuschend an dem Riff gefesselt stehe;
Bald aber sieht er dann der Thränen Spur,
Die über frische Ros' und weiße Schlehe
Thau träufelt auf das herbe Apfelpaar,
Und deutlich spielt die Luft im goldnen Haar.
97  Und als sie nun empor die Augen schlug,
Gedachte Roger seiner Bradamante,
Und nicht zu weinen hatt' er Müh genug,
Als Lieb' und Mitleid nun vereint entbrannte.
Mit sanfter Stimme sprach er dann, den Flug
Des Pferdes hemmend an der Felsenkante:
»O Jungfrau, der die Kette nur gebürt,
An welcher Amor uns gefesselt führt,
98  »Doch nimmer solche Schmach und diese Kette,
Wer ist der aberwitzige Despot,
Der dieses Elfenbeins lebend'ge Glätte
Mit blauen Striemen zu entweihn gebot?«
Bei diesen Worten wurde sie, als hätte
Man Elfenbein getaucht in Scharlachrot,
Weil sie den Blicken preisgegeben wußte,
Was Scham, so schön es war, verbergen mußte. 304
99  Sie möchte vors Gesicht die Hände halten,
Jedoch die Kett' am Felsen litt es nicht.
Sie hatte Thränen nur; die überwallten
Ihr Antlitz, und sie senkte das Gesicht.
Sie schluchzt' ein wenig, und die Lippen lallten
Gebrochne Worte, wie ein Müder spricht,
Doch war's nicht viel, das Wort erstarb im Munde,
Denn mächt'ger Lärm stieg auf vom Meeresgrunde.
100  Sieh da, es kömmt, das ungeheure Thier,
Halb unter See, halb ragend aus den Wellen.
Wie ein gewaltig Schiff im Stromrevier
Zum Hafen strebt, wann straff die Segel schwellen,
So strebt nach seiner Mahlzeit voll Begier
Das Ungetüm, – es sind nur wenig Ellen.
Die Jungfrau ist halbtodt vor Angst und Grau'n;
Und keines Menschen Trost giebt ihr Vertrau'n.
101  Der Ritter schwang, die Orca anzurennen,
Die Lanze frei und legte sie nicht ein.
Nichts, was dem Thiere gleicht, kann ich euch nennen;
Nur Masse, die sich wälzt, scheint es zu sein.
Der Kopf nur läßt Form eines Thiers erkennen,
Mit Augen und mit Hauern wie ein Schwein.
Die Stirn traf Roger in der Augen Mitte,
Es war, als ob er gegen Felsen stritte. 305
102  Der erste Stoß ging schlecht. Er kürzt den Zügel
Und denkt, der zweite macht es wieder gut.
Die Orca sieht den Schatten großer Flügel
Bald hier, bald da hingleiten auf der Flut,
Und statt dem sichren Raub am Uferhügel
Jagt sie dem eitlen nach in blinder Wut
Und schnappt nach ihm und wirft sich hin und wider,
Und Rogers Lanze fährt auf sie hernieder.
103  Wie aus der Höh ein Adler niederfliegend
Auf eine Schlange, die durchs Gras sich streckt
Oder sich sonnt, auf nacktem Steine liegend,
Und ihre goldnen Schuppen putzt und leckt, –
Wie der es macht, nicht sie von vorn bekriegend,
Wo zischend sich empor die gift'ge reckt,
Nein, ins Genick faßt, mit den Flügeln klappend,
Damit sie nicht sich wende, nach ihm schnappend,
104  So macht es Roger: nicht wo scharfbewehrt
Das Maul von Zähnen starrt, führt er die Lanze;
Zwischen den Ohren und am Nacken fährt
Der Stoß herab, und hinten nach dem Schwanze.
Dreht sich der Fisch, so dreht sich auch das Pferd
Und senkt und hebt sich richtig wie im Tanze.
Indeß als wär' die Schuppenhaut graniten,
Scheint sie dem scharfen Stahle Trotz zu bieten. 306
105  Solch eine Schlacht kämpft mit dem Fleischerhunde
Die dreiste Flieg' im staub'gen Sonnenschein
Wann die drei sommerlichen Mond' im Bunde
Die Aehren reifen und den neuen Wein.
Sie sticht ins Aug' ihm, nach dem biss'gen Munde,
Schwirrt um ihn her und läßt ihn nie allein.
Oft schnappt er zu, und sie entwischt behende;
Doch trifft er sie einmal, so hat's ein Ende.
106  Die Orca peitscht das Meer mit solcher Wut,
Es ist als ob die See gen Himmel springe.
Kaum unterscheidet er, ob durch die Flut
Der Renner schwimm', ob durch die Luft sich schwinge.
Oft wünscht er sich ans Land in sichre Hut,
Denn wenn das Plätschern so noch weiter ginge,
Das schon die Flügel zu durchnässen droht,
Wo fänd' er dann Schwimmblasen oder Boot?
107  Ein neuer Plan, ein bessrer, fällt ihm ein,
Den Kampf mit andren Waffen zu beenden.
Er will die Orca mit dem Wetterschein,
Dem Zauber des verhüllten Schildes blenden.
Er fliegt ans Land, und wo am nackten Stein
Die Schöne steht, da, Unheil abzuwenden,
Läßt er (am kleinen Finger ihrer Hand)
Den Ring zurück, der jeden Zauber bannt. 307
108  Ich rede von dem Ring, den Bradamante
Brunellen nahm, um Roger zu befrein,
Dann durch Melissa ihn nach Indien sandte
Als Retter aus Alcina's Zauberhain.
Melissa, wie ich schon gesagt, verwandte
Den Ring, um Beistand vielen zu verleihn.
Sie hatt' ihn Rogern dann zurückgebracht,
Der ihn am Finger trug bei Tag und Nacht.
109  Damit der Ring den Schildblitz nicht vertreibe,
Steckt Roger ihn der Schönen an die Hand,
Und auch, damit geschützt ihr Antlitz bleibe,
Das schon mit seinen Schlingen ihn umwand.
Nun kömmt, das halbe Meer mit seinem Leibe
Bedeckend, der gewalt'ge Fisch ans Land;
Doch Roger steht bereit, die Hülle fällt,
Und eine zweite Sonn' erstrahlt der Welt.
110  Ins Auge traf die zauberhafte Helle
Dem Unthier, und bewährt blieb ihre Macht:
So wie den Fluß hinabtreibt die Forelle,
Den erst mit Kalk der Bauer trüb gemacht,
So greulich umgestülpt im Schaum der Welle
Lag jetzt die Orca, lahm und ungeschlacht.
Roger versetzt ihr weidlich Hieb' und Stöße,
Doch nirgend beut dem Stahl sich eine Blöße. 308
111  Die Dame fleht indeß mit Ach und Weh,
Ein Ende so fruchtlosem Kampf zu machen.
»Bedenk' o Herr, daß ich gefesselt steh',«
So jammert sie, »die Orca wird erwachen.
Nimm mich hinweg und wirf mich in die See,
Nur laß mich nicht in dieses Scheusals Rachen!
Roger, gerührt von dem verständ'gen Wort,
Erlöst' und führte sie vom Ufer fort.
112  Vom Sporn getroffen stemmt das Roß sich auf
Und steigt und galoppirt durch blaue Leere
Und trägt den jungen Herrn und hintenauf
Das schöne Mädchen über Land und Meere.
So ging des bösen Fisches Imbiß drauf,
Der auch für ihn zu fein und lecker wäre.
Roger, sich wendend, küßt nach Herzenslust
Die hellen Augen und die schöne Brust.
113  Es war sein Plan gewesen, rings um Spanien
Zu kreisen, doch er hatt' ihm jetzt entsagt.
Er ließ sich schon herab, wo Klein-Britannien
Ins Meer hinaus mit langer Küste ragt.
Am Ufer standen schattige Kastanien,
Wo unermüdlich Philomele klagt,
Darunter grünes Gras mit einer Quelle,
Und stille Hügel schirmten diese Stelle. 309
114  Dort hemmt der glüh'nde Ritter mit dem Zügel
Den kühnen Ritt und steigt herab aufs Land;
Einziehen läßt er seinen Gaul die Flügel,
Nur jenen nicht, der sie nur weiter spannt.
Kaum saß er ab, so säß' er gern im Bügel
Auf andrem Roß; doch stört ihn sein Gewand;
Der Harnisch stört; den hat er abzulegen,
Denn Schranken setzt er seinem Wunsch entgegen.
115  In blinder Hast und ungestümem Drang
Löst er die Waffenstück' und wirft sie nieder;
Noch niemals deucht' ihm das Geschäft so lang;
Ein Knoten löst, ein andrer schürzt sich wieder.
Doch allzu lange, Herr, währt mein Gesang,
Und mehr zu hören würd' euch leicht zuwider,
Daher ich die Geschicht' auf andre Zeit
Verschiebe, wo ihr aufgelegter seid. 310

 


 


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