Ludovico Ariosto
Rasender Roland, Band 1
Ludovico Ariosto

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Sechster Gesang.

Schluß des Abenteuers der Ginevra und des Ariodant (1–16). Rogers Ritt durch die Luft nach der Insel der Alcina (17–25). Geschichte Astolfs (26–54). Rogers Versuch, die Stadt Alcina's zu meiden (55–81).

Weh dem der böses thut und darauf baut,
Daß keine Spur die dunkle That verkünde!
Wenn alles andre schweigt, so schreien laut
Die Luft, die Erde, selbst des Grabes Gründe,
Und Gott, der ein'ge Zeit ihm zugeschaut,
Läßt plötzlich dann den Sünder von der Sünde
So führen, daß er selbst und ungefragt
Unüberlegter Weise sich verklagt.
So glaubte Polineß, sich selbst betrügend,
Den Frevel zu verhüllen ganz und gar.
Dalinda wegzuräumen schien genügend,
Die einz'ge Zeugin, einzige Gefahr.
Und zu der ersten Schuld die zweite fügend,
Beschleunigt' er, was aufzuschieben war.
Aufschieben konnt' er es, wer weiß wie lange?
Nun spornt' er selber sich zum Untergange. 154
Und Freundschaft, Leben, Reichtum war verloren,
Und Ehre, – ein Verlust von mehr Gewicht!
Ich hab' erzählt, wie sie den Mann beschworen,
Den sie nicht kannten, nach dem Kampfgericht.
Er hob den Helm, und sieh, wie neu geboren,
Erschien ein schönes liebes Angesicht:
Es war Ariodant, der todtgesagte,
Um welchen eben noch ganz Schottland klagte,
Ariodant, um dessen bittres Loos
Der Bruder jammert' und Ginevra weinte,
Der Hof, der König, alle klein und groß,
Weil er mit Güte hohen Mut vereinte.
Der Wandrer also war ein Lügner bloß,
Der es erzählt? natürlich daß man's meinte;
Und dennoch hatt' er wirklich ihn vom Cap
Kopfüber springen sehn ins Wellengrab.
Indeß man weiß von Lebensmüden ja,
Daß sie von weitem oft den Tod verlangen
Und doch ihn hassen, wenn sie dann ihn nah
Vor Augen sehn, und vor dem Schritt erbangen.
So war auch diesem Ritter, als er sah,
Daß er im Meere sei, der Wunsch vergangen,
Und weil er stark war, fing der unerschrockne
Zu schwimmen an und kam zurück aufs Trockne. 155
Und sein Verlangen nach dem Tode schalt
Er thöricht jetzt und hatt' es ganz verwunden,
Und wandernd hatt' er dann, durchnäßt und kalt,
Die Hütte eines Klausners aufgefunden.
Dort wollt' er heimlich seinen Aufenthalt
Für ein'ge Tage nehmen und erkunden,
Ob sich Ginevra seines Schicksals freue
Oder Betrübniß zeigen werd' und Reue.
Er hörte bald, sie wolle schier vergehen
Vor Schmerz, sie sollte nah dem Tode sein;
(Denn von den Dingen, die am Hof geschehen,
Sprach alles auf der Insel, groß und klein.)
Das stimmte schlecht zu dem, was er gesehen
Zu haben glaubte mit so großer Pein.
Dann hört' er, daß Lurcan vor dem Gerichte
Des Vaters sie der Unkeuschheit bezichte.
Und nun erglomm in Zorn er wider ihn,
Wie er für sie in Liebe war erglommen,
Weil ihm des Bruders Schritt zu grausam schien,
Den jener doch für ihn nur unternommen.
Dann, als es hieß, daß keiner noch erschien,
Kein Ritter, um zur Hilfe ihr zu kommen,
(Denn mit Lurcan, dem starken, tapfren Mann
Band keiner gern um andrer willen an; 156
Und wer bekannt war mit Lurcan, der glaubte,
Er sei zu klug, besonnen und gescheit,
Und wäre das nicht wahr, was er behaupte,
Er wagte nie den Kopf an solchen Streit;
Dies war's, was vielen Mut und Eifer raubte,
Das Schwert zu ziehn für Ungerechtigkeit;)
Beschloß Ariodant nach vielem Schwanken,
Den Bruder zu bekämpfen in den Schranken.
10  »Ich kann's nicht dulden, daß man mir zu Liebe
Sie tödtet,« sprach er, »schrecklich würd' es sein.
O wenn sie stürb' und ich am Leben bliebe,
Wie bitter wär' einst meine Todespein!
Sie ist und bleibt die Herrin meiner Liebe,
Mein Abgott, meiner Augen Sonnenschein.
Ob Recht, ob nicht, sie muß ich dem Verderben
Entreißen erst und auf dem Platze sterben.
11  »Das Unrecht seh' ich, – mag's denn Unrecht sein! –
Und werd' im Kampfe sterben, – mag's geschehen! –
Nur muß durch meinen Tod – das schmerzt allein –
Dies schöne Mädchen auch zu Grunde gehen.
Ein einz'ger Trost bleibt noch im Tode mein:
Daß sie erkennen wird und deutlich sehen,
Ihr Polineß, wenn schon von Lieb' entbrannt,
Rührt doch, um sie zu retten, nicht die Hand; 157
12  Und mich, den sie so schwer beleidigt hat,
Mich wird sie sterben sehn für ihre Sache.
Auch an Lurcan zugleich, der diese Saat
Des Unheils säte, nehm' ich sterbend Rache;
Denn schwer bereuen wird er seine That,
Wenn ich den Strich durch seine Rechnung mache,
Wenn er, der Ariodant zu rächen glaubt,
Erkennt, daß er das Leben ihm geraubt.«
13  Gelb und grün (vom fallenden Laube entlehnt) ist die heraldische Farbe der Verzweiflung.  Als dieses fest in seiner Seele stand,
Schafft' er sich neue Rüstung, neuen Rappen.
Schwarz war der Rock und schwarz der Schild, am Rand
Mit Gelb und Grün verbrämt und ohne Wappen.
Zufällig war ein fremder Knecht zur Hand,
Den keiner kannt'; er nahm ihn mit als Knappen
Und so verlarvt (ihr kennt schon die Geschichte)
Stellt' er dem Bruder sich zum Kampfgerichte.
14  Ihr kennt das Weitre seiner Wiederkehr;
Wie er erkannt ward, ich erzählt' es eben;
Der König freute sich darob so sehr
Wie über seines Kindes Sieg und Leben.
Er sagte sich, es könne nimmermehr
Getreuern Freund für sie und ächtren geben
Als diesen, der, obschon so schwer beleidigt,
Wider den eignen Bruder sie verteidigt. 158
15  Und theils aus Neigung, (denn er hatt' ihn lieb.)
Theils auf den Wunsch des Hofs und der Vasallen
Zumal da auch Rinald ihn spornt' und trieb,
Ließ er ihn gern als Eidam sich gefallen.
Da Polineß gestorben war, so blieb
Sein Herzogtum der Krone heimgefallen.
Zu bessrer Zeit verfiel ein Lehen nie,
Weil er als Mitgift es der Braut verlieh.
16  Auch für Dalinda Gnade zu erwerben
Verstand Rinald; die Schuld ward ihr verziehn.
Sie wünschte ganz für diese Welt zu sterben
Und künftig nur vor Gott allein zu knien.
Als Nonne ging sie in das Land der Serben,
Und wollt' in Schottland keinen Tag verziehn.
Doch Zeit ist's, daß ich Roger nicht verliere,
Der durch den Himmel streicht auf flinkem Thiere.
17  Kleinmüt'gen Herzens war der Jüngling kaum,
Und nicht verfärbten Wangen sich und Lippen;
Doch glaub' ich nie, daß nicht wie Laub am Baum
Das Herz ihm bebte hinter seinen Rippen.
Geschieden war er schon durch weiten Raum
Von ganz Europa; über jene Klippen
War er schon längst hinaus, die als die letzte
Grenzmark den Schiffern einst Alcides setzte. 159
18  Der Greif, der große Wundervogel, trug
Mit solcher Flügelschnell' ihn Meil' um Meile,
Daß weit er überholen würd' im Flug
Den Boten der olympischen Donnerkeile.
Kein Thier, das je die Luft mit Flügeln schlug,
Nähm' es mit diesem auf an hurt'ger Eile;
Ich glaube Blitz und Donner fahren kaum
Schneller zur Erd' aus dem bewölkten Raum.
19  Nachdem der Vogel weiten Raum durchflogen,
Ohn' abzubiegen vom geraden Strich,
Senkt' er, der Lüfte satt, in großem Bogen
Sich auf ein Eiland, das der Insel glich,
Wohin einst unterhalb der Meereswogen
Auf finstren Bahnen Arethusa sich
Vor dem Verliebten, den sie spröd' und karg
Lange gefoltert hatt', umsonst verbarg.
20  So schön, so lustig sieht er keins im Kreise
Der weiten Luft, wo er die Flügel spannt,
Und macht' er um die ganze Welt die Reise,
Er fände nirgend solch anmutig Land.
Und große Ringe ziehend, senkt sich leise
Der Hippogryph mit Rogern auf den Strand.
Gepflegte Fluren, Hügel, weiche Matten,
Krystallne Wogen, dunkle Uferschatten, 160
21  Lorbergebüsch und schlanker Palmenhain
Und liebliche Citron' und Pomeranze,
An denen Blüt' und Frucht zugleich gedeihn,
Vielfältig sich verschlingend wie zum Kranze,
Versprechen kühles Obdach zu verleihn
Mit dichtem Schirm vor heißem Sonnenglanze,
Und durch die Zweige sorglos flatternd schwingen
Sich Nachtigallen auf und ab und singen.
22  Wo ewig frisch auf thaugekühltem Rasen
Purpurne Rosen, weiße Lilien blühn,
Sieht man Kaninchen und behende Hasen
Und Hirsche mit erhabnen Stirnen, kühn,
Weil keine Meute schreckt, kein Hörnerblasen,
Gras rupfen oder wiederkäu'n im Grün;
Damthier' und Rehe tummeln sich und laufen
Durchs waldige Revier in hellen Haufen.
23  Als sich der Greif so nah an einen Hügel
Herabließ, daß ein Sprung zu wagen schien,
Schwang Roger sich behend aus Sitz und Bügel,
Und weich empfing der Schmelz des Rasens ihn.
Indeß behielt er in der Hand den Zügel,
Aus Furcht der Hippogryph mög' ihm entfliehn,
Und fesselt' ihn an eine Myrt' am Strand,
Die zwischen Lorberbaum und Fichte stand. 161
24  Und in der Nähe, wo ein Brunnen quillt,
Den Palmen und Citronenbäum' umhegen,
Entwaffnet er die Händ' und eilt den Schild
Und auch den Helm, den schweren, abzulegen.
Bald in die See hinaus, bald ins Gefild
Kehrt er die Stirn der frischen Luft entgegen,
Die in den Wipfeln, lieblich anzuhören,
Der Buchen säuselt und der hohen Föhren.
25  Er badet in den klaren, frischen Fluten
Die trockne Lipp' und plätschert mit der Hand,
Sein Blut zu kühlen von den Fiebergluten;
Denn seines Panzers Last setzt' es in Brand.
Daß die ihn plagte, kann man wohl vermuten:
Dies war kein Lanzenspiel, was er bestand;
In voller Rüstung, ohne zu verweilen,
Ritt er an diesem Tag wohl tausend Meilen.
26  Sein Roß derweil, das er am Waldessaum
Im tiefsten Busch an kühlem Ort versteckt hat,
Wird plötzlich wild und reißt an seinem Zaum,
Weil etwas in den Büschen es erschreckt hat,
Und zerrt dabei so stark den Myrtenbaum,
Daß bald das Laub den Boden rings bedeckt hat.
Es zerrt die Myrte, schüttelt Laub zur Erde,
Doch nicht gelingt sich zu befrein dem Pferde. 162
27  So wie ein Scheit von solchem Holz, das drinnen
Nur dünnes Mark hat, auf dem Feuerherd,
Wann ihn die Kohlen anzuglühn beginnen
Und sich die Luft im Innern nun verzehrt,
Wie der von innen saust und kocht von innen,
Bis endlich diese Wut nach außen fährt,
So ächzt und zischt, als ob er Zorn empfinde,
Der Myrtenbaum und öffnet dann die Rinde.
28  Und eine Klagestimm' ertönt aus ihr
In Worten, die sich klar und deutlich fügen,
Und spricht: »Wenn frommes Mitleid wohnt in dir,
Wie ich erkenn' an deinen schönen Zügen,
Dann schütze meinen Baum vor diesem Thier.
Daß eignes Leid mich geißelt, mag genügen,
Auch ohne daß, mit meinem Weh vereinigt,
Von außen andre Qual und Not mich peinigt.«
29  Der Jüngling, als er diesen Ton vernahm,
Sprang auf und blickte nach dem Waldessaume,
Und merkend, daß er von dem Baume kam,
Stand er erstaunt und dacht', er sei im Traume.
Dann lief er hin, die Wangen rot vor Scham,
Und löste schnell genug das Pferd vom Baume,
Und sagte: »O vergieb, wer du auch seist,
Ob Waldesgöttin oder Menschengeist. 163
30  »Ich wußte nicht und konnte nimmer denken,
Daß knorr'ge Rinde Menschengeist umschließt;
Nie ließ ich sonst dein schönes Laub so kränken,
Nie thun, was den lebend'gen Baum verdrießt.
Nun aber sprich, und ohne viel Bedenken,
Wer bist du, daß du lebst und sprichst und siehst,
Vernünft'ge Seel' in starrem, strupp'gem Leibe, –
Sprich, daß des Himmels Hagel fern dir bleibe.
31  »Und kann ich künftig oder kann ich hier
Durch irgend Dienste meine Reu' erproben,
Bei jener schönen Dame, der von mir
Das bessre Theil gehört, will ich's geloben,
Mit Wort und Werken so zu dienen dir,
Daß Grund du haben sollst, mein Thun zu loben.«
Wie Roger also sich erbot zur Buße,
Bebte der Baum vom Wipfel bis zum Fuße.
32  Dann schwitzt' er durch die Rinde seinen Saft,
Wie Holz, vom Walde frisch hereingefahren,
Sobald es kommen fühlt des Feuers Kraft
Und möcht' umsonst sich vor der Glut bewahren.
Und er begann: »So edle Ritterschaft
Zwingt mich dir alles gleich zu offenbaren,
Wer ich gewesen bin und wer zum Baum
Mich hat gemacht am schönen Meeressaum. 164
33  Nach den fabelhaften Genealogien der romantischen Dichter hatte Bernhard von Clairval drei Söhne, Haimon, Bovo und Otto König von England. Bovo's Söhne, die hernach öfter vorkommen, sind Vivian und Malagis, letzterer ein zauberkundiger Mann.  »Astolf ward ich zu meiner Zeit genannt,
Karls Paladin und keiner von den Feigen;
Mit Roland war ich, mit Rinald verwandt,
Den beiden, die des Ruhmes Höhn ersteigen;
Mein Erbrecht war's, den Thron von Engelland
Nach meinem Vater Otto zu besteigen;
Und manches Frauenherz hab' ich entflammt
Durch Reiz und Schönheit, – das hat mich verdammt.
34  »Wir kamen von den fernen Inseln her,
An die von Osten Indiens Meere branden,
Wo mit Rinald ich selbst und andre mehr
In dunklem Kerker schwere Haft bestanden
Und wo mit seiner Riesenstärke der
Von Brava uns erlöste von den Banden.
Der Weg hatt' uns den Strand entlang geführt,
Der oft die Wut des Boreas verspürt.
35  »Und wie der Weg uns führte und das harte
Schicksal es wollt', erreichten wir ein Land,
Ein schönes Uferland, wo Schloß und Warte
Der zaubermächtigen Alcina stand.
Wir fanden, daß sie nicht daheim verharrte;
Sie war allein für sich am Meeresrand,
Und ohne Netz und ohne Angel brachte
Sie Fisch' ans Land, soviel ihr Freude machte. 165
36  »In Eile kamen Schwärme von Delfinen,
Mit offnem Maule kam der dicke Thun;
Walrosse kamen, Robben zu Alcinen,
Statt auf der Bank in trägem Schlaf zu ruhn;
Meeraale, Butte, Barben, Lachs' erschienen,
Bemüht an Eil' ihr äußerstes zu thun;
Wal, Butzkopf, Pottfisch, Narval kam gezogen
Und hob den ries'gen Rücken aus den Wogen.
37  »Wir sahen einen Walfisch an der Stelle,
Den größten wohl im ganzen Ocean;
Zehn Schritt und mehr stieg aus der salz'gen Welle
Der dicke Speckhals, den wir staunend sahn.
Fest lag er da, als ob er todt sich stelle,
Und wir verfielen sämtlich in den Wahn,
Es sei ein Inselchen: so weit zu wandern
Schien's von dem einen Ende bis zum andern.
38  »Alcine lockt die Robben und Delfine
Mit bloßen Zauberworten, die sie spricht.
Die Fee Morgan' ist Schwester der Alcine,
Ob älter oder jünger, weiß ich nicht.
Alcina sah mich an, und meine Miene
Gefiel ihr, das verriet mir ihr Gesicht,
Und sie beschloß mit List mich zu berücken
Und zu entführen, und es sollt' ihr glücken. 166
39  »Mit heitrem Antlitz trat sie uns entgegen
Und neigte sich und grüßte hold und zart
Und sprach: Ihr Herren, ist es euch gelegen,
In meinem Haus zu rasten von der Fahrt,
So zeig' ich euch in meinen Jagdgehegen
Sämtliche Fische nach Geschlecht und Art,
Die schuppigen, die weichen und die rauhen,
Und mehr wird ihrer sein als Stern' im Blauen.
40  »Dann, um zu sehn, wie eine der Sirenen
Das Meer einwiegt mit süßen Melodien,
Betraten andre Dünen wir, auf denen
Sie jeden Tag um diese Zeit erschien.
Da zeigte sie den Riesenfisch uns, jenen,
Der, wie gesagt, uns eine Insel schien.
Ich, der ich immer (ach ich büßt' es theuer)
Vorwitzig war, ritt auf das Ungeheuer.
41  »Zwar winkte Dudo, nicht hinaufzugehen,
So auch Rinald; jedoch es nützte nicht,
Alcina ließ die beiden andern stehen
Und sprang mir nach mit lachendem Gesicht.
Der große Fisch begann durch salz'ge See'en
Zu schwimmen, wohl vertraut mit seiner Pflicht.
Da reute mich mein thörichtes Gelüste,
Doch allzu fern schon war ich von der Küste. 167
42  »Rinald war, mir zu helfen, nachgeschwommen
Und wäre fast ertrunken in der Flut;
Denn ein gewalt'ger Südsturm war gekommen,
Der finster sich auf Land und Meer entlud.
Was aus ihm wurde, hab' ich nicht vernommen.
Alcina sprach mir Fassung ein und Mut,
Und bis zum nächsten Morgen hielt die Fee
Mich auf dem Fische mitten in der See.
43  »Sie macht' an diesem schönen Eiland Halt,
Das sie zum größern Theil in ihrer Macht hat.
Sie nahm es einer Schwester mit Gewalt,
Der es der Vater ganz und voll vermacht hat,
Weil sie allein für ächtgeboren galt.
Denn (wie seitdem mir einer hinterbracht hat,
Der Kunde hat von dem, was er bezeugt,)
Sind die zwei andern im Incest erzeugt.
44  »Wie diese boshaft sind, voll arger List
Und jedes Lasters, das entehrt und schändet,
So lebt die andre keusch und rein und ist
Den Tugenden von Herzen zugewendet.
Drum lebt das böse Paar mit ihr in Zwist,
Hat wider sie schon manches Heer entsendet
Und nach und nach, auf ihren Sturz bedacht,
Um mehr als hundert Schlösser sie gebracht. 168
45  »Kein Fleckchen Landes blieb' an diesem Strande
Der guten, (die man Logistilla nennt,)
Beschützte nicht der Golf sie vor der Bande
Und das Gebirg, das keine Straße kennt,
Ganz wie von englischem Gebiet und Lande
Gebirg und Fluß das Reich der Schotten trennt.
Indeß Morgana und Alcina bleiben
Begierig doch, sie vollends zu vertreiben.
46  »Denn jenes lasterhafte Paar ist ihr
Von Herzen gram, der züchtigen und frommen.
Um aber auf den Anfang, wie ich hier
Zur grünen Pflanze ward, zurückzukommen:
Erst hatt' Alcina ihre Lust an mir,
Und ganz von Liebe war ihr Herz entglommen;
Von gleichem Feuer war auch ich entbrannt,
Weil ich sie schön und liebenswürdig fand.
47  »Der zarten Glieder ließ sie mich genießen;
Mir war's, als ob sie alles Glück verlieh,
Das andern nur in Tropfen pflegt zu fließen,
Bald mehr, bald minder, und in Fülle nie.
Die Sorg' um Frankreich, um die Welt verließen
Mich ganz und gar; ich schaute nur auf sie,
Und all mein Denken, all mein zärtlich Sinnen
Endigt' in ihr und schweifte nie von hinnen. 169
48  »So, oder mehr noch, liebte sie auch mich
Und kümmerte sich nicht um alles andre;
Die andern Buhlen ließ sie all' im Stich;
Denn freilich gab's vor mir schon viele andre.
Ratgeber, Freund, bei Tag und Nacht war ich;
Sie setzte mich zum Herscher über andre;
Mir glaubte sie, an mich ward stets gedacht,
Mit andern sprach sie nie bei Tag und Nacht.
49  »Warum, ach, rühr' ich an die alten Wunden,
Die ohne Hoffnung sind und ohn' Arznei?
Wozu gedenk' ich noch der schönen Stunden
Jetzt, wo ich schmacht' in tiefster Sklaverei?
Denn als ich glaubte, daß das Glück gefunden,
Daß größer nichts als ihre Liebe sei,
Nahm sie das Herz zurück, das sie mir schenkte,
Das ganz in neue Liebe sich versenkte.
50  »Zu spät erkannt' ich, daß ihr Flattersinn
Urplötzlich lieben kann und nimmer lieben.
Fort mußt' ich in des dritten Monds Beginn,
Ein neuer Buhle kam, ich ward vertrieben.
Mit Hohn verjagte mich die Zauberin,
Und nichts von ihrer Huld war mein geblieben.
Und dann erfuhr ich, daß in gleichem Falle
Schon tausend sind, und unverschuldet alle. 170
51  »Damit nun keiner ausgeh' und der Welt
Erzähle, wie sie lebt in üpp'ger Schande,
Verwandelt sie den, der nicht mehr gefällt,
In Tann' und Oelbaum, rings im schönen Lande,
In Palmbaum oder Ceder oder hält
Ihn, wie du mich hier siehst, am grünen Strande,
Oder als wildes Thier, als flüss'gen Born,
Wie es der Fee einfällt in ihrem Zorn.
52  »Du aber, der auf ungewohnter Bahn
Dies Unheilsland besuchst mit deinem Pferde,
Damit um deinetwillen ein Galan
In Wasser oder Stein verwandelt werde, –
Herrschaft und Scepter wirst auch du empfahn
Und fröhlich sein wie keiner auf der Erde;
Doch kommen wird der Tag, wo du mit mir
Baum oder Born wirst, Felsen oder Thier.
53  »Ich habe gern die Auskunft dir gegeben;
Zwar, daß sie viel dir helfe, glaub' ich nicht,
Doch besser ist's, du hast von ihrem Leben
Und ihren Bräuchen einigen Bericht.
Vielleicht sind doch Verstand und Klugheit eben
So ungleich in der Welt wie das Gesicht;
Vielleicht wirst du verstehen nicht zu stranden,
Was tausend andre vor dir nicht verstanden.« 171
54  Da Roger wußte, König Otto's Sohn
Sei der geliebten Bradamante Vetter,
So schmerzt' es ihn, so der Natur zum Hohn
Ihn umgeformt zu sehn in Holz und Blätter,
Und jener, die er liebt, zu Liebe schon
Würd' er an diesem ärmsten gern zum Retter,
Wüßt' er die Mittel nur, die ihn erlösten;
Doch helfen konnt' er nicht als nur durch Trösten.
55  Er that's so gut es ging und frug zugleich,
Ob denn kein Waldweg oder Felsengasse
Gerad' ihn führ' in Logistilla's Reich
Und das Alcina's ihn vermeiden lasse.
Solch einen geb' es, sprach der Baum sogleich,
Doch voll von Steinen sei's in diesem Passe,
Wenn er zur rechten Hand sich wend' und dann
Der Alpenhöhe folge, stets bergan.
56  Doch soll' er nur nicht hoffen, auf die Dauer
Dort unbehelligt seines Wegs zu ziehn.
Da lieg' ein frech Gesindel auf der Lauer,
Ein starker, wilder Troß, und wart' auf ihn,
Alcina halte die statt Wall und Mauer
Für solche, die aus ihrem Netz entfliehn.
Roger erklärt dem Baum sich sehr verpflichtet
Und macht sich auf, belehrt und unterrichtet, 172
57  Er macht sich auf den Weg mit seinem Pferde
Und steigt nicht auf und führt es an der Hand,
Damit es nicht noch einmal von der Erde
Ihn wegführt, wie vielleicht zu fürchten stand.
Dann sinnt er nach, wie sicher vor Gefährde
Er nun entkomm' in Logistilla's Land;
Denn keine Mühe will er sich ersparen,
Um vor Alcina's Macht sich zu bewahren.
58  Wohl fiel ihm ein, sich auf das Roß zu schwingen
Zu neuem Ritte durch den luft'gen Raum;
Nur könnt ihm das vielleicht erst recht mislingen,
Denn schlecht gehorchte dieser Gaul dem Zaum.
Will's Gott, so werd' ich mir den Weg erzwingen,
Sprach er bei sich, – und eitel war der Traum:
Noch war er keine Stunde von der See,
So sah er links die schöne Stadt der Fee.
59  Die lange Mauer tritt von fern zu Tage,
Die rund um weite Strecken Landes streicht,
So hoch als ob sie bis zum Himmel rage,
Und ganz von purem Gold, so weit sie reicht.
Mancher bestreitet dies, was ich hier sage,
Und sagt, nur Messing sei's. Er irrt vielleicht;
Vielleicht auch weiß er's besser, wie es heißt;
Ich nenn' es Gold, weil es so glänzt und gleißt. 173
60  Als Roger näher kam und schon genauer
Die Zinnen sah, die prächtigsten der Welt,
Mied er den Weg, der nach der stolzen Mauer
Breit und gerade führt durch ebnes Feld,
Und in den Pfad zur rechten Hand, der rauher,
Doch sichrer däuchte, bog der gute Held.
Doch bald begegnet' er den wilden Schwärmen
Und sah den Weg gehemmt von wüt'gem Lärmen.
61  Das war ein Trupp gar seltsam von Natur,
Das ärgste Ungetüm, die tollste Fratze;
Man sah vereinigt menschliche Figur
Mit dem Gesicht des Affen und der Katze;
Man sah Bockfüß' einprägen ihre Spur,
Centauren hurtig und behend im Satze,
Stumpfsinn'ge Greise, freche Knabenrotten,
Theils nackt und theils gehüllt in Fell' und Zotten.
62  Da reiten zwei auf ungezäumtem Gaul,
Auf den Centauren schwingt sich dort ein dritter;
Den trägt ein Ochs und den ein Esel faul;
Strauß, Adler, Kranich finden ihren Ritter;
Der setzt das Horn und der die Flasch' ans Maul;
Hier Weiber, da Mannsbilder, dort ein Zwitter;
Der trägt den Haken, der die Kletterseile,
Stemmeisen dieser, der die Diebesfeile. 174
63  Da kömmt der Hauptmann mit den dicken Backen
Und mit dem Fettwanst, der sich mächtig bauscht;
Den trägt gar eine Schildkröt' auf dem Nacken,
Die träg und langsam Fuß um Fuß vertauscht.
An beiden Seiten muß ihn einer packen;
Er wackelt mit dem Kopf und ist berauscht,
Und einer wischt ihm immer Kopf und Schädel,
Ein andrer fächelt ihn mit Tuch und Wedel.
64  Ein Unhold, unten menschlich von Gestalt,
Mit einem Hundekopf und Hundeohren,
Bellt Roger an und sucht ihn mit Gewalt
Zurückzutreiben nach den goldnen Thoren.
Der Ritter spricht: »Es soll geschehn, sobald
Hier dieser nicht mehr hauen kann noch bohren.«
Und zeigt den Degen ihm und hält ihm dicht
Die scharfgeschliffne Spitze vors Gesicht.
65  Das Scheusal will ihn mit dem Spieße schlagen,
Der Ritter aber springt nun auf ihn los
Und rennt die Klinge so ihm durch den Magen,
Daß fußweit aus dem Rücken fährt der Stoß.
Er faßt den Schild und stürzt sich ohne Zagen
In das Getümmel, doch es ist zu groß;
Der sticht ihn hinten, jener stößt ihn vorne;
Er haut um sich und ficht mit heißem Zorne. 175
66  Bis auf die Zähne, bis zur Brust gespalten,
Sinkt mancher um von der verruchten Brut.
Da ist kein Schild, den Degen aufzuhalten,
Kein Harnisch hemmt ihn und kein Eisenhut.
Jedoch so dicht von allen Seiten ballten
Die Haufen sich, daß er, um ihrer Wut
Zu steuern und zu wehren diesem Schwarme,
Mehr brauchen würd' als des Briareus Arme.
67  Fiel' ihm nur ein den Schild ans Licht zu bringen,
Den Schild, den weiland jener Zaubrer trug,
Vor dem Besinnung und Gesicht vergingen,
Den Atlas hängen ließ am Sattelbug,
Er würde leicht das blöde Volk bezwingen,
Und blind im Staube läg' es bald genug.
Und doch hätt' er's verschmäht, das möcht' ich wetten,
Um sich durch Kraft und nicht durch Trug zu retten.
68  Wie dem auch sei, den Tod hätt' er erkoren,
Eh zum Gefangnen ihn der Pöbel macht.
Da siehe kamen aus den hohen Thoren
Der goldnen Mauer, deren ich gedacht,
Zwei Mädchen, nicht in Niedrigkeit geboren,
(Das lehrt' ihr Anstand und die reiche Tracht,)
Nicht karg ernährt von Hirten, nein, aufs beste
Verpflegt im Reichtum fürstlicher Paläste. 176
69  Einhörner dienten statt des Zelters beiden,
Einhörner weiß wie weißer Hermelin,
Und jede war so schön in den Geschmeiden
Und fremden Kleidern, daß es wahrlich schien,
Man brauch' ein göttlich Aug' um zu entscheiden
Und eine vor der andern vorzuziehn.
Die Schönheit, wenn sie unsren Körper trüge,
Und holde Anmut hätten solche Züge.
70  Die beiden kamen nach dem Bergeshange,
Wo Roger hart bedrängt im Haufen stand.
Der wilde Schwarm ließ ab von seinem Drange,
Und jene boten Rogern Gruß und Hand;
Er aber, rosig überhaucht die Wange,
Dankt' ihnen für die Hilfe, die er fand,
Und war's zufrieden auch, auf ihr Begehren
Nach jenem goldnen Thor zurückzukehren.
71  Der Bogenschmuck, der über diesem breiten
Portal, ein wenig vorgebauscht, sich spannt,
Ist völlig übersät mit Kostbarkeiten,
Dem seltensten Gestein aus Morgenland.
Getragen wird das Thor an den vier Seiten
Von dicken Säulen ganz aus Diamant,
Und ob es Wahrheit ist, ob bloßer Schein,
Nichts könnte lustiger und schöner sein. 177
72  Ueber die Schwell' und um die Säulen her
Tummeln sich Mädchen schalkhaft und behende,
Die man vielleicht, wenn sie ein wenig mehr
Auf Sitte achteten, noch schöner fände.
In grünen Röckchen sprangen sie einher,
Und frisches Laub umkränzte Haupt und Hände,
Und holden Grußes, der gar viel verhieß,
Führten sie Roger in das Paradies.
73  Den Namen kann ich wohl dem Ort ertheilen,
Wo Amor, glaub' ich, einst ins Leben sprang,
Wo in beständ'ger Lust die Tag' enteilen,
Wo nichts als Spiel und Tanz ist und Gesang.
Die graue Sorge kann dort nimmer weilen,
In keinem Herzen, weder kurz noch lang;
Kein Mangel droht, kein Abbruch des Genusses,
Stets bleibt gefüllt das Horn des Ueberflusses.
74  Hier wo das ganze Jahr des Frühlings helle
Und heitre Stirn ihr Lächeln stets bewahrt,
Sind Jünglinge, sind Frauen; an der Quelle
Singt man in Weisen wonnevoll und zart,
Spielt man und tanzt man an der schatt'gen Stelle,
Vollführt man Dinge nicht gemeiner Art,
Und andre, fern vom Schwarm, vertraun dem Herzen
Des treuen Freundes ihre Liebesschmerzen. 178
75  Durch Pinienwipfel und durch Lorbergrün,
Durch hohe Buchen und durch zott'ge Tannen
Flattern die Liebesgötter schalkhaft-kühn,
Die einen froh des Siegs, den sie gewannen,
Die andern sieht man eifrig sich bemühn
Den Pfeil zu richten und das Netz zu spannen;
Dort härtet sein Geschoß im Bach der eine,
Der andre schärft es auf gedrehtem Steine.
76  Für Roger stand ein Gaul dort, stark und gut,
Ein Brauner, dessen sich kein König schämte,
Und dessen prächtiges Geschirr die Glut
Der Edelstein' und seines Gold verbrämte.
Das fluggewohnte blieb in sichrer Hut,
Das andre, das der alte Zaubrer zähmte;
Ein Jüngling führt' es langsam und im Schritt
Dem guten Roger nach, der schneller ritt.
77  Die beiden jungen reizenden Gefährten,
Die ihn gerettet aus der Bösen Hand,
Der Bösen, welche ihm die Straße wehrten,
Als er den Berg erstieg, nach rechts gewandt,
Sprachen zu ihm: »Herr, eure lobenswerten
Und tapfren Thaten sind uns wohlbekannt,
Daher wir uns der Bitte jetzt erdreisten,
Ihr möchtet uns Beistand und Hilfe leisten. 179
78  »Dies Feld theilt sich in zwei verschiedne Stücke,
Denn durch die Mitte läuft ein tiefer Spalt.
Da sitzt ein grausam Weib und sperrt die Brücke,
Eriphyle geheißen, und sobald
Ein Wandrer naht, übt sie Gewalt und Tücke.
Und eine Riesin ist sie von Gestalt,
Mit langen gift'gen Zähnen, und die Tatzen
Sind scharf, und wie ein Bär pflegt sie zu kratzen.
79  »Und nicht genug, daß sie den Weg verlege,
Der frei sein würde, wäre sie nur fort;
Sie schweift auch immer durch die Luftgehege
Und plündert und verwüstet hier und dort.
Sie zählt in jenem Volk, das euch am Wege
Vorhin bedroht hat mit Gewalt und Mord,
Viel Kinder, und die alle dienen ihr,
Ungastlich wie sie selbst, voll Tück' und Gier.«
80  Roger versetzte: »Nicht bloß eine Schlacht,
Wohl ihrer hundert will ich für euch schlagen.
Was ihr begehrt, (steht es in meiner Macht,)
Das will ich thun; ihr braucht es nur zu sagen.
Ich trage nicht die ritterliche Tracht,
Um Landbesitz und Schätzen nachzujagen,
Sondern, um Beistand anderen zu leisten,
Und schönen Frau'n, wie ihr es seid, am meisten.« 180
81  Die Mädchen dankten ihm mit holden Mienen,
Wie solchem Ritter wohl mit Recht geschah.
Und also redend ritt der Held mit ihnen,
Bis man das Wasser und die Brücke sah.
Und funkelnd von Smaragden und Rubinen,
In goldner Rüstung stand die Riesin da.
Doch bis zum folgenden Gesange bleibe
Verschoben, wie er anband mit dem Weibe. 181

 


 


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