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Sechstes Kapitel

Juliette Récamier

Madame Récamier
Gemälde von M me Morin.
Schloss Versailles

Unter den berühmten Frauen des Direktoriums, des Konsulats, des Kaiserreichs und der Restauration ist vor allem eine zu nennen, deren Namen die ganze Welt kennt, obwohl man eigentlich nur von ihr sagen kann, dass sie sehr schön war: Juliette Récamier. Sie hat weder eine ausschlaggebende politische Rolle gespielt, noch als Schriftstellerin, Schauspielerin oder auf irgendeinem anderen Gebiete Erfolge davongetragen. Und doch gilt sie als die Repräsentantin einer grossen Epoche. Sie hat die bedeutendsten Männer ihrer Zeit begeistert und von ihrem Salon aus Einfluss auf alle wichtigen Fragen der Politik, der Gesellschaft, der Kunst, der Literatur und des Geschmacks genommen.

Juliette Récamier, geborene Bernard, wurde im Jahre 1777 als Tochter eines Bankiers in Lyon geboren. Ihr Vater liess sich 1784 unter der Protektion des Finanzministers Calonne in Paris nieder und gewann durch glückliche Finanztransaktionen ein beträchtliches Vermögen. 1793 heiratete sie den Bankier Récamier. Fünf Jahre später erwarb ihr Gatte vom Finanzminister Necker dessen Palais, wodurch Juliette die Tochter Neckers, Madame de Staël, kennenlernte. Aus dieser Bekanntschaft entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zum Tode der Staël dauerte. Unter dem Konsulat begannen die Récamiers eine bedeutende Rolle zu spielen. Angehörige der alten Aristokratie, wie Adrien und Mathieu de Montmorency, bemühten sich ebenso um ihre Freundschaft wie die neu emporkommende Gesellschaft, in erster Linie Männer wie Lucien Bonaparte, General Moreau, General Bernadotte.

Als das Kaiserreich errichtet wurde, versuchte der Polizeiminister Fouché, die Récamiers für den neuen Hof zu gewinnen. Er bot Juliette an, Ehrendame am Hofe Napoleons zu werden. Juliette Récamier lehnte jedoch ab und geriet nach und nach in den Kreis der Opposition, die sich um Frau von Staël geschart hatte. Als ihr Gatte grosse finanzielle Verluste erlitt, zog sie sich eine Zeitlang auf das Schloss ihrer Freundin nach Coppet zurück. Dort lernte sie den Prinzen August von Preussen kennen, der sich sterblich in sie verliebte. Eine Zeitlang trug sie sich mit der Absicht, diesen Neffen des Grossen Friedrich zu heiraten. Dieser Plan kam nicht zustande, obwohl ihr Gatte sich mit der Scheidung einverstanden erklärte. Als Napoleon sie ebenso wie Madame de Staël aus Paris verbannte, lebte sie eine Zeitlang bei der Familie ihres Gatten. In den folgenden Jahren band sie sich eng an Benjamin Constant, dann an Chateaubriand. Sie war die Frau, die den Männern Hoffnungen machte, diese aber nie erfüllte. Bittere Streitigkeiten waren oft die Folge dieser Taktik, die bei einer schönen und liebenswürdigen Frau unerklärlich erscheint. Schon zu ihrer Zeit hatte man versucht, dieses rätselhafte Verhalten aufzuklären. Es wurde behauptet, dass ein physischer Mangel sie verhindere, wirklich Weib zu sein. Um diese Frau, deren Schönheit so viele Männer begeisterte, ist viel gelitten worden. Juliette Récamier starb im Jahre 1846 an der Cholera.

*

In der Zeit, als die schöne Theresia Tallien die vergnügungssüchtige Gesellschaft des Direktoriums durch ihre Extravaganzen in Staunen setzte, ging auch der Stern der Juliette Récamier auf. Beide Frauen sind anerkannt die schönsten und elegantesten Frauen der Gesellschaft des Direktoriums gewesen. Als sie sich zum erstenmal begegneten, gab es eine kleine Theaterszene. In eine Privatgesellschaft, in der Madame Tallien bisher immer als die Schönste gefeiert worden war, kam eines Tages auch Juliette Récamier mit ihrem hübschen verführerischen Gesicht, ihrer weichen geschmeidigen Gestalt. Sie betonte in ihrer Eleganz die raffinierteste Einfachheit. Madame Tallien fühlte sich sofort von dieser neuen Rivalin bedroht. Heftig stand sie auf, warf den feuerroten Schal, den sie noch über den Schultern hatte, ab und stand nun in ihrer ganzen Schönheit neben Madame Récamier. Ihre wundervolle Gestalt, die nackten Arme, die Grazie, jenes Ensemble der Schönheit, das nur wenige Frauen besitzen, wurden bemerkt und bewundert – sogar von der Récamier. Juliettes feine, bescheidene Eleganz und naive Liebenswürdigkeit erhoben nicht den Anspruch, den Glanz auszulöschen, den Theresia Tallien um sich verbreitete. Sehr bald wurden sie die besten Freundinnen. Madame Récamier war die Idealgestalt des «nach spartanischen Tugenden dürstenden Republikaners», und der Maler David hat sie in seinem berühmten Bilde als solche verewigt. Sie ruht auf einem Diwan aus Mahagoniholz im Stile der Zeit, mit ein paar Seidenrollen als einzige Kissen. Ihre Füsse und Arme sind nackt. Der schlanke Körper ist nur mit einem hauchdünnen, hemdartigen weissen Gewand bekleidet. Das Haar ist kurz gelockt à la Titus und nur mit einem Bande gehalten. Das reizende Gesicht drückt Zärtlichkeit, Weichheit, Gefühl und beinahe kindliche Bescheidenheit aus. Die ganze Gestalt atmet Anmut und Natürlichkeit. Sie hat eine halb liegende, halb sitzende Stellung inne. Es ist die Stellung und Kleidung, in der die Damen des Direktoriums ihre Gäste empfingen als Ersatz für die Levers des Ancien Régime, für die Morgenempfänge im Bett und im Bad.

Madame Récamier und Madame Tallien waren nicht nur die Königinnen der Schönheit, sondern auch der Mode. Thibaudeau spricht in seinen Memoiren ausdrücklich davon, als er die Veränderung beschreibt, die nach dem 9. Thermidor vor sich ging. «Paris riss wieder die Herrschaft der Mode und des Geschmacks an sich. Zwei durch ihre Schönheit berühmte Frauen, Madame Tallien und etwas später Madame Récamier gaben den Ton an. Zu jener Zeit vollzog sich in den Sitten und Gewohnheiten des Privatlebens jene Umwälzung, die politisch 1789 begann. Die von David bereits in die Kunst eingeführte Antike verdrängte in der Kleidung und den Frisuren der Damen, ja sogar im Ameublement alles Bizarre, Feudale und jenes schreckliche Gemisch der Formen, welches die Sklaverei der französischen Höfe erfand.»

Die Goncourts führen uns in die Chaussée d'Antin, jenes Viertel, wo der Luxus der Millionäre Orgien feierte. Und wo auch Récamier für seine entzückende Frau vom Finanzminister Necker eines der schönsten Palais gekauft hatte. Später besass sie noch viele andere. Ihre Wohnung war ganz im Stile der Zeit eingerichtet. Die Möbel waren fast alle aus Mahagoniholz. Madame Récamiers Haus nennen die Goncourts ein Pompeji, wo weder die Bronzekandelaber noch die Marmorstatuen fehlen. Ihr Schlafzimmer war ein Traum der Antike. Zwei Schwäne von Goldbronze halten über dem Kopfende des Bettes mit ihren Schnäbeln eine Girlande aus dem gleichen Material. Der Komponist Reichhardt erzählt, die Wände wären von oben bis unten mit Spiegeln bedeckt gewesen; das «ätherische Götterbett» habe sich mit seinen duftigen Decken und Kissen aus weissem hauchdünnem indischem Mull darin widergespiegelt. Wenn Madame Récamier im Bett lag, konnte sie ihre Schönheit «von dem Scheitel bis zur Zehe ganz im Spiegel» betrachten, berichtet ein wenig naiv Reichhardt. Auch das Badezimmer der schönen Juliette war mit dem gleichen Luxus ausgestattet.

Ein derartiger Luxus der Einrichtung stand nicht vereinzelt da in den Häusern der Chaussée d'Antin. Die Récamiers waren zwar reich, gehörten indes noch nicht zu den Reichsten. Juliettes Gatte hatte sein Vermögen bereits vor der Revolution erworben. Er war bedeutend älter als sie und hätte ihr Vater sein können. Uebrigens behaupten die neuesten Biographen der schönen Frau sogar, er sei ihr ausserehelicher Vater gewesen und habe sie nur geheiratet, um ihr sein Vermögen zu sichern. Damit würde auch das Rätsel gelöst sein, warum sie keine physische Gemeinschaft mit ihm hatte. Denn es war allgemein bekannt, dass sie sich nur freundschaftliche Gefühle entgegenbrachten. Juliette hätte nun nach dem Beispiel der Madame Dudeffant sich in die Arme eines Geliebten werfen können, und es fehlte ihr gewiss nicht an Bewerbern und Anbetern. Aber die Chronique scandaleuse weiss ihr nicht einen Seitensprung während des Direktoriums nachzuweisen. Und dennoch war sie die Freundin der übelbeleumundetsten Frauen der Zeit, Theresia Talliens und Josephine Beauharnais', denen man viele Liebschaften nachweisen konnte.

War sie eine jener Frauen, die unter der scheinheiligen Maske der Tugendhaftigkeit die grössten Laster verbergen können? War sie, was Arsène Houssaye von ihr sagte, eine jener «Neugriechinnen, die sich halb nackt, aber von ihrer Schamhaftigkeit bekleidet, aus den Ruinen eines blutigen Pompeji erhoben?» Jedenfalls versagte sie sich in der Gesellschaft des Direktoriums und des Konsulats kein Vergnügen und machte alles mit, was Mode war und Aufsehen erregte. Sie gehörte offiziell zu den «drei Grazien» des Direktoriums, und ihr Name wurde beständig mit dem der Tallien und der Beauharnais genannt. Alle drei machten die halbe Männerwelt von Paris verrückt mit ihren Kapricen, ihren Extravaganzen und ihren Erscheinungen. Man sah sie überall, in den Konzerten, wo der berühmte Garat sang, auf den Bällen, wo der vergötterte Trénitz tanzte. Sie waren der Mittelpunkt aller Feste, im Theater, in den Sommergärten, auf der Promenade, in den öffentlichen Tanzlokalen, dem Thélusson, dem Longueville, dem Tivoli, im Italie.

Die ganze Gesellschaft des Direktoriums hatte eine frenetische Tanzwut ergriffen. Ueberall in Paris entstanden unter den seltsamsten Namen Ballokale für die tanzenden Thermidorianer. Es gab einen «Bal des Victimes», einen «Bal de Calypso», einen «Bal des Zéphirs», einen «Bai des Tilleuls» und andere mehr. Auf dem «Bal des Victimes» (Ball der Opfer der Guillotine) begrüsste man sich à la victime, das heisst mit einem kurzen Ruck des Kopfes, der die Bewegung der zum Tode Verurteilten im Augenblick, wo der Henker das Haupt der Unglücklichen in die Oeffnung des Fallbeils legte, imitieren sollte. Zu diesem Ball hatten nur diejenigen Zutritt, die nahe Verwandte, wie Eltern und Geschwister, auf dem Schafott verloren hatten. Freunde oder weitläufige Familienangehörige zählten nicht als voll bei diesen unglaublichen Bedingungen. Ja man trieb die Geschmacklosigkeit so weit, dass die Damen auch ihre Frisuren à la victime betitelten, wenigstens anfangs. Später wurden dafür die Bezeichnungen allgemein «à la Titus» oder «à la Caracalla». Auch der feuerrote, sehr moderne indische Schal der Damen sollte an den Schal erinnern, den der Henker über die Schultern der Charlotte Corday geworfen hatte, ehe sie das Schafott bestieg. Manche trieben den frivolen Spott so weit, dass sie um den Hals ein ganz dünnes rotes Kettchen trugen, das täuschend den von Henkershand ausgeführten blutigen Schnitt markierte.

In allen diesen Tanzlokalen traf eine höchst gemischte Gesellschaft zusammen: elegante vornehme Frauen, Abenteurerinnen, Grisetten, ehemalige Aristokratinnen, Modistinnen, Schneiderinnen, ehrsame Bürgerfrauen und die grossen berüchtigten Lebedamen. In manchen dieser mondänen Ballokale, wie im «Bal de l'Elysée nationale», dem ehemaligen Palais Bourbon, dirigierte mit grossem Erfolg der Neger Julien seine Kapelle. Zwar war es nicht wie heute eine Jazzband, doch hatte der Neger damals bei der tanzenden Gesellschaft mindestens ebenso grossen Erfolg wie in unserer Zeit der Jazz der Negerkapellen. Im «Frascati», im «Pavillon de Hannovre», im «Bal de Marbeuf», im «Tivoli», überall hörte man eine ohrenzerreissende Musik, wie man sie nie zuvor in Paris gekannt hatte. In der inneren Stadt tat sich ein «Bal de la Veillée» auf, aus dem später der berühmte Prado wurde. Hier bediente man sich zur Unterhaltung der Tanzenden einer wahren Katzenmusik. Hinter dem Deckel eines Clavecins sassen ungefähr zwanzig Katzen, von denen man nur die Köpfe sah. Die Schwänze der armen Tiere waren eingeklemmt, so dass diese die jämmerlichsten Töne von sich gaben. Im Verein mit der Musik entstand dadurch ein einzigartiger Missklang, der sehr viel Anklang gefunden haben muss, denn das Lokal war immer mit tanzenden Paaren überfüllt. Eine etwas bessere aber um so frivolere Gesellschaft versammelte sich im Hotel Longueville. Hier spielte besonders die überaus kecke Madame Hamelin eine Rolle, und hundert schöne parfümierte Frauen in zarten, weichen, anschmiegenden, durchsichtigen Kleidern, «déshabillés à la Vénus» genannt, drehten sich zu den sanften Weisen des Geigers Hulin. Das Etablissement ist mit Spiegeln versehen, in denen sich alle diese wiegenden Körper, diese lachenden, vom Tanzen berauschten Gesichter widerspiegeln. Auch in Privatgesellschaften liess man am liebsten Neger zum Tanz aufspielen. Bei einem Ball, den Madame Récamier in ihrem Hause gab und zu dem auch der Komponist Reichhardt geladen war, spielte ein schwarzer Stehgeiger. «Ehe ich den Tanzsaal verlasse», schreibt Reichhardt an seine Frau, «muss ich noch der Tanzmusik erwähnen, die ein Mohr mit der Violine ausserordentlich hübsch anführte. Auf den schwarzen Vorspieler hält man so viel, und es ist so sehr Ton bei den Reichen, ihn bei ihren Bällen zu haben, dass er für die drei bis vier Stunden der Nacht – denn gegen Mitternacht versammelt sich eine solche Assemblée erst – oft 12 Louisdor erhalten soll.» Und wie diese Vorgeiger, engagierten die neuen Reichen auch noch andere Unterhalter der Gesellschaft zu ihren Bällen, vor allem Spassmacher, eine Art Kabarettisten. Es kam ihnen hauptsächlich darauf an, diejenigen Gäste zu verspotten, die ihnen durch ihre Manieren oder ihre Kleidung, oder auch weil sie vielleicht nicht so reich oder nicht so angesehen waren, den Anstoss zu geben schienen. Juliette Récamier hat sich indes dieser groben Unterhalter bei ihren Gesellschaften nicht bedient. Man tanzte meist sehr ausgiebig bei ihr. Ihre Gesellschaften waren ausgezeichnet durch feinen Takt und Geschmack. Sie selbst tanzte entzückend, besonders den berühmten «Schaltanz», den sie gemeinsam mit ihren beiden Freundinnen aufführte. Theresia Tallien, Josephine de Beauharnais und Juliette Récamier, die, wie man sich damals ausdrückte, «zur Freude des Herrgotts bekleidet waren», so sehr hatten sie den Anschein, unbekleidet zu sein, trugen auf den Armen eine Chlamys. Das Kleid war aus Gaze, an den nackten Füssen hatten sie den Kothurn mit den graziösen Kreuzbändern um die schlanken Knöchel. «Sobald die Geigen anstimmten», erzählt Arsène Houssaye, «sah man sie sich ernst auf den Schauplatz ihrer Grazie hinbewegen. Mit jenem duftigen Gewand ausgerüstet, nahmen sie bald die sinnlichsten, bald die keuschesten Stellungen ein, je nachdem sie den leichtesten Stoff um ihre Gestalt drapierten. Bald war es ein Schleier, der die Liebende oder die Leidenschaft der Liebenden verbarg, bald ein Faltenwurf, unter dem man die bedrohte Schamhaftigkeit zu verdecken suchte, bald auch nur ein Gürtel, der Venusgürtel, der, von der Hand der Grazien befestigt, von Amors Hand gelöst wurde.» Man konnte sich keine interessanteren und köstlicheren Vorführungen denken als diese Tänze der drei Damen. Selbst in der Oper hatte man nichts Aehnliches zu bieten. Oft wurden die drei mondänen Tänzerinnen halb tot vom Tanz in ein nahe gelegenes Zimmer getragen, begleitet von dem Schwarm ihrer Verehrer. Auch die übrigen Damen der Gesellschaft sahen oft totenbleich aus, teils vom übermässigen Tanzen, teils weil, wie Reichhardt sich ausdrückt, «jetzt viele der schönen Weiber die ehemalige Jungfräulichkeit dadurch betonen, dass sie sich nicht schminken.»

Madame Récamier
Gemälde von Louis David.
Paris, Louvre

Madame Récamier war in ihrer Kleidung dezenter und feiner als die herausfordernde Theresia Tallien. Sie schmückte sich niemals mit Diamanten; ihre ausgesucht einfache Eleganz vertrug nur Perlen. Ihre ganze Erscheinung hatte den Stempel des Lieblichen. Sie zog mehr an, als dass sie glänzte, und je länger man sie kannte, desto schöner erschien sie einem. Ihr Liebreiz war unaussprechlich. Reichhardt konnte sie auf einer ihrer «Assembléen» in der Chaussée d'Antin beobachten. Er sah sie tanzen «in einem Kleid aus weissem Atlas und feinen indischen Zeugen; sehr bloss, besonders hinten im schönen Nacken und Rücken». Ihr Teint «sei vollkommen durchsichtig» gewesen, so «dass man das Blut in den Adern rinnen sah». Neuere Forscher nennen sie «die Frau, die das Rokoko, wenn auch als Kind, noch erlebt hat und einen leichten Duft davon hinüberträgt in die neue Zeit, die ihre Grazie nicht abgestreift hat». Andere wieder sahen in ihrer Schönheit nicht die absolute Tugend und Unverdorbenheit, sondern ein gewisses Raffinement, tugendhaft zu scheinen, ohne es zu sein. Baron Trémont kannte sie, als sie auf dem Gipfel ihrer Frauenschönheit stand, als sie in Paris das grösste Aufsehen erregte und alle Zeitungen von ihrem Charme voll waren. «Es ist unmöglich», sagte er, «ein schöneres Gesicht zu haben. Aber wie entzückend es auch war, so waren es doch mehr die Züge einer Grisette als die einer vornehmen Dame. Nur der Ausdruck hatte nichts mit dem Gesichtsausdruck einer Grisette gemein. Madame Récamiers Gesicht war ausserordentlich bescheiden im Ausdruck, hatte indes nicht die Reinheit der Raffaelschen Madonnen, wie immer behauptet wurde. Es lag etwas Geziertes in ihr, und man merkte, dass sie absolut gefallen wollte. Ihre Augen waren schön, aber es fehlte ihnen an Seele ...»

Das war Madame Récamier mit zwanzig Jahren. Später entwickelte sie sich körperlich noch schöner. Sie bekam eine etwas vollere Figur, besonders eine herrliche Büste, die viele berühmte Bildhauer verewigt haben. In die Geschichte ist sie eingegangen als eine der schönsten Frauen, die je gelebt haben.


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