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Fünftes Kapitel

Letizia Bonaparte

Letizia Bonaparte
Gemälde von F. Gérard.
Schloss Versailles

Letizia Bonaparte, die bestimmt war, einem Geschlecht von Fürsten das Leben zu geben, ist in allen Lebenslagen, selbst auf der höchsten Stufe des Glanzes, immer dieselbe geblieben. Sie ist von den Geschichtsschreibern meist stiefmütterlich behandelt worden. Aber gerade sie, die Charakterstarke, deren Leben fast ein Jahrhundert währte, jene wahrhafte Kaisermutter, die in antiker Grösse alle Schicksalsfügungen, die freudigen wie die leidvollen, an sich vorübergehen liess, verdient gewürdigt zu werden.

Ueber ihr Geburtsjahr ist viel gestritten worden. Der Wahrheit am nächsten kommt wohl der 24. August 1749. Ihre Wiege stand gleich der ihres Gatten Carlo Bonaparte in Ajaccio. Letizia entstammt dem Patriziergeschlecht der Ramolino, die ebenfalls, wie die Bonaparte, aus Norditalien eingewandert waren. Später hatten sie sich mit einer der reichsten italienischen Adelsfamilien, dem gräflichen Geschlecht der Collalto, durch Heirat verbunden.

Letizia galt für das schönste Mädchen in Ajaccio. In ihrem dreizehnten Jahre hatte sie sich bereits zur vollendeten Schönheit entwickelt, wie man das häufig bei korsischen Frauen trifft. Sie war mittelgross und wohlgestaltet in den Formen, deren jugendliche Anmut mit der ganzen Erscheinung prächtig harmonierte. Hände und Füsse waren zierlich und feingegliedert: ein Merkmal, das auch ihrem Sohn Napoleon eigen war. Der Mund, vielleicht etwas herb im Ausdruck, aber formvollendet im Schwunge der Lippen, barg zwei Reihen perlenähnlicher Zähne; wenn er sich zum Lächeln verzog, war er bezaubernd. Das etwas vorgeschobene Kinn deutete auf Energie. Prachtvolle kastanienbraune Zöpfe schmückten den klassisch geformten Kopf, dem die dunklen Augen mit den langen Wimpern und die schmale, gebogene Nase den edelsten Ausdruck verliehen. Alle ihre Züge und Glieder verband die wundervollste Harmonie. Napoleon sagte später auf Sankt Helena: «Meine Mutter hatte ebensoviel Tugenden wie weibliche Reize: sie war das Glück ihres Mannes, und ihre Kinder liebten sie zärtlich.»

Von den dreizehn Kindern aus Letizias einundzwanzigjähriger Ehe blieben nur die acht am Leben, die sie zwischen der Blüte der Jugend und der höchsten Entwicklung als Weib zur Welt brachte. Sie war ihren Kindern eine vortreffliche Mutter mit einem grossen, erhabenen Herzen voll Güte und Stolz. Sie liess ihnen keinen Fehler durchgehen, sondern strafte, wenn es sein musste, oft recht hart. Carlo Bonaparte, den Geschäfte und Vergnügungen häufig fern von seiner Familie hielten, suchte bisweilen die Unarten der Kinder zu entschuldigen, aber Letizia liess sich in dieser Beziehung nicht dreinreden. «Lass das meine Sorge sein», sagte sie dann zu ihrem Gatten in halb vorwurfsvollem, halb gebieterischem Tone, «ich habe über sie zu wachen!» Und sie wachte im wirklichen Sinne des Wortes mit unvergleichlicher Sorgfalt über die ersten Eindrücke ihrer Kinder. «Alle niedrigen Gefühle in uns wurden beseitigt», sagte Napoleon, «denn sie verabscheute sie. Nur das Grosse, Erhabene liess sie an ihre Kinder herantreten. Sie hatte die grösste Abneigung gegen die Lüge, wie gegen alles, was auch nur den Schein einer niedrigen Gesinnung an sich trug. Sie wusste zu strafen und zu belohnen. Sie beobachtete alles bei ihren Kindern.» Letizia Bonaparte war eben eine Mutter, eine echte Korsin. Der Name «Madame Mère», den sie unter dem Kaiserreich offiziell erhielt, hätte für sie nicht besser gewählt werden können: er entspricht durchaus dem bescheidenen Wesen, das die Kaisermutter stets bewahrte. Die Erziehung freilich, die Letizia ihren Kindern in bezug auf die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten geben konnte, war äusserst mangelhaft. Dafür gab sie ihnen etwas mit auf den Lebensweg, das keines von ihnen unbenutzt gelassen hat: die Erkenntnis der Notwendigkeit, stets zueinander zu halten, um hoch zu kommen! «Du starke und gute Frau, du Vorbild aller Mütter!» ruft ihr ältester Sohn Joseph später aus; «wieviel Dank schulden dir deine Kinder für das Beispiel, das du ihnen gegeben!»

Im Hause ihres Onkels Arrighi di Casanova in Corte, wo Carlo, um dem General Paoli näher zu sein, sein Heim aufgeschlagen hatte, gebar Letizia am 7. Januar 1768 ihr erstes lebensfähiges Kind, Joseph, den späteren König von Spanien. Nicht lange nach der Niederkunft folgte sie ihrem Manne ins Feld, entschlossen zum Kampfe für die Freiheit des Vaterlandes. Jeder, der in Korsika imstande war, Waffen zu tragen, schloss sich den Patrioten an. Männer, Frauen, Kinder, Greise, alle wollten ihr Scherflein Mut zu der guten Sache beisteuern. Der Heldenmut der korsischen Frau konnte zu jener Zeit dem des Mannes gleichgestellt werden. Tapfer ritt oder marschierte Letizia an der Seite Carlos auf den manchmal kaum gangbaren Wegen einher. Ihre Schönheit, ihr sanfter Blick, die feinen Linien ihres edlen Gesichtes schienen schlecht zu jener abenteuerlichen Kühnheit zu passen, die sie mit fortriss. Aber die stolze Biegung der Nase, die fest zusammengepressten Lippen, um die ein verachtender Zug schwebte, die wie Feuer aus den dunklen Augen hervorschiessenden Blicke deuteten auf eine eiserne Willenskraft. Hinter dieser glatten Frauenstirn türmten sich männliche Gedanken!

Eines Tages war man genötigt, durch den Liamone, einen angeschwollenen Gebirgsstrom, zu reiten. Infolge einer falschen Bewegung verlor Letizias Pferd den Boden unter den Füssen und wurde von der Strömung ein Stück mit fortgerissen. Man rief der in Gefahr schwebenden Frau zu, das Tier preiszugeben, und wollte ihr schwimmend zu Hilfe eilen, sie aber hielt sich mit dem kleinen Joseph im Arm tapfer im Sattel. Es gelang ihr, das Pferd wieder zu beherrschen und glücklich das Ufer zu erreichen. Und dabei stand ihr binnen kurzem eine neue Niederkunft bevor!

Nach der Schlacht bei Pontenuovo, an der Letizia keinen Anteil nehmen konnte, weil ihre Schwangerschaft zu weit vorgeschritten war, flüchtete sie bis nach Ajaccio, um dort ihre Stunde zu erwarten. Es war die höchste Zeit für die junge Frau. Die Anstrengungen des beschwerlichen Feldzuges waren auch an ihr trotz der kräftigen Körperbeschaffenheit nicht spurlos vorübergegangen; die Rückwirkungen machten sich bemerkbar. Dennoch wollte sie es sich nicht nehmen lassen, am 15. August 1769, zu Mariä Himmelfahrt, in die in der Nähe ihres Hauses gelegene Kathedrale zur Messe zu gehen. Für das Kind unter ihrem Herzen wollte sie den Segen der Jungfrau erflehen.

Es war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne goss ihre goldenen Strahlen über die mit Blumen und Girlanden geschmückten Häuser. Sonntäglich geputzte Menschen strömten in die weitgeöffnete Kirche und erfüllten Strassen und Plätze mit ihrer Fröhlichkeit, unter die sich feierlich der Klang der Glocken mischte. Die Messe begann. Andächtig hing die Menge an den Lippen des Priesters, der das «Gloria in excelsis Deo» anstimmte. Nur Letizia Bonaparte war unruhig und nervös. Sie fühlte die ersten Anzeichen ihrer Niederkunft. Hastig verliess sie die Kirche und eilte, so schnell ihre Füsse sie tragen konnten, in namenloser Angst nach Hause. Sie hatte jedoch nicht mehr Zeit, bis zu ihrem Schlafzimmer zu gelangen, sondern gab in einem näher gelegenen Raume auf einem Sofa ihrem Sohne Napoleon das Leben.

Dieses Kind, ihr Napoleon, wurde der Mutter äusserlich, wie im Charakter, am meisten ähnlich. Sein schnelles Auffassungsvermögen und Eindringen in die geringfügigsten Dinge, seine Energie und seine seltene Tatkraft, seinen Ordnungssinn in Geldangelegenheiten erbte er von ihr, nur ihre Wahrheitsliebe hat er nicht immer bewahrt.

Letizias Bildung war, wie die aller Korsinnen zu jener Zeit, sehr dürftig. Sie wusste fast nichts ausser ihren Hausfrauen- und Mutterpflichten, ausser den Gebeten zur Jungfrau Maria, deren Schutz sie ihre Kinder empfahl und deren Namen alle ihre Töchter trugen. Weder von der italienischen noch von der französischen Literatur hatte sie eine Ahnung. Sie sprach ihr ganzes Leben lang, selbst am Kaiserhof ihres Sohnes, ihren korsischen Dialekt. Die französische Sprache machte ihr grosse Schwierigkeiten. Ihr italienischer Akzent brach immer wieder durch. So sagte sie stets «houreuse» anstatt «heureuse», «ma» für «mais», «oune» für «une», «je souis» anstatt «je suis» usw. Ganz besonders ärgerte sich Napoleon darüber, dass sie seinen Namen korsisch aussprach. Als Konsul sagte er einmal zu Lucien und Joseph: «Ihr könnt übrigens Mama sagen, dass sie mich nicht immer Napolione nennen soll. Das ist italienisch. Mama soll mich, wie jedermann, Bonaparte nennen, aber nicht etwa Buonaparte. Das wäre noch schlimmer als Napolione. Nein, sie mag «der Erste Konsul» oder einfach «Konsul» sagen! Ja, das ist mir lieber. Aber Napolione, immer dieses Napolione, das stört mich.» Als Letizia später als Kaisermutter gezwungen war, französische Briefe zu schreiben, diktierte sie sie stets in ihrer Muttersprache. Die grösste Tugend dieser Frau war ihr Sinn für Pflicht, Ordnung und Sparsamkeit, die man ihr allerdings oft als Geiz ausgelegt hat. Letizia war ihr ganzes Leben lang anspruchslos. Als ihr Sohn sich bereits Namen und Vermögen erworben hatte und im politischen Leben eine bedeutende Rolle spielte, war sie in ihrer Kleidung sparsamer als die einfachste Bürgerin. Einst kam sie für einige Wochen zu ihrer schönen, an den General Leclerc verheirateten Tochter Pauline zu Besuch und brachte nur ein einziges Kleid mit. Die elegante Paulette spottete über die Sparsamkeit der Mutter, aber Letizia entgegnete ernst: «Schweig, Verschwenderin! Ich muss doch für deine Brüder sorgen; nicht alle sind schon selbständig. Ich will nicht, dass Bonaparte sich beklagt. Du missbrauchst seine Güte.»

Später, als der Kaiser der Mutter bedeutende Summen zur Verfügung stellte, artete diese Sparsamkeit in eine dem Geiz sehr ähnelnde Eigenschaft aus. Man sagt Frau Letizia nach, sie hätte selbst das Geld, das sie von ihrem Sohne zur Verteilung unter die Armen erhielt, für sich behalten. Das entspricht jedoch nicht der Wahrheit, denn Madame Mère gab viele Almosen im geheimen. Wenn die Kinder ihr bisweilen Vorstellungen machten, dass sie für eine Kaisermutter zu sparsam wäre, so antwortete sie kalt: «Bin ich nicht gezwungen, etwas auf die Seite zu legen? Werde ich nicht früher oder später einmal sieben bis acht Souveräne auf dem Hals haben?» Sie war nämlich die einzige in der Familie, die nicht so recht an die Dauer all des Reichtums und Glanzes glauben wollte. «Pourvu que cela doure (dure)» pflegte sie zu sagen. Ihre Sparsamkeit ging schliesslich so weit, dass sie wie eine Spiessbürgerin in den geringsten Dingen ihrer kaiserlichen Haushaltung zu sparen suchte. So soll sie Luciens Frau, der guten Christine Boyer, stets empfohlen haben, zeitig zu Bett zu gehen, um das Licht zu sparen.

Eine Entschuldigung aber für diese in den Tagen des Glücks und des Glanzes unangebrachte Knauserei müssen wir Letizia werden lassen: sie wusste, was es hiess, aller Mittel entblösst zu sein! Sagte sie doch einmal zum Grafen Girardin: «J'ai oun millione, l'année. Je ne le mange pas à beaucoup près. Je n'ai pas des dettes, ... je me trouve toujours avoir cent mille francs au service d'un de mes enfants. Qui sait, peut-être un jour seront-ils bien contents de les avoir. Je n'oublie pas que pendant longtemps je les ai nourris avec des rations.» – Sie war Skeptikerin und hatte nicht so unrecht, denn später, als alles in Trümmer fiel, kam ihren Kindern das von ihr aufgestapelte Vermögen zustatten. Grossmütig bot sie dem unglücklichen Sohn auf der Insel der Verbannung alle ihre Schätze an.

Als die sechsunddreissigjährige Frau mit ihren acht Kindern, von denen nur Josef ihr eine schwache Stütze sein konnte, Witwe wurde, hatte sie schwer zu kämpfen. Carlo Bonaparte hatte für die Zukunft der Seinen schlecht gesorgt. Glücklicherweise fand Letizia in dem alten Gouverneur Barbeuf in Ajaccio einen väterlichen Freund, der ihr über die bitterste Not hinweghalf. Er war Pate ihrer Kinder, der Freund des Gatten gewesen, und fühlte sich in dieser Eigenschaft verpflichtet, für die Verwaisten zu sorgen. Ungerechterweise hat man die Mutter Napoleons beschuldigt, diesem Mann mehr als nur Freundin gewesen zu sein. Ihr strenger, ernster Charakter spricht allein für die Ungereimtheit eines solchen Gerüchtes. Letizia lag Tändelei und Liebelei fern. Sie besass nicht den Leichtsinn, der sich später bei ihren Töchtern bemerkbar machte. Ihre strenge klassische Schönheit, die sie bis ins Alter bewahrte, erweckte übrigens mehr stumme Bewunderung als Begehren. Sie war viel zu sehr Hausfrau und Mutter, als dass sie sich zur Geliebten geeignet hätte. Die Sorge um das Wohl ihrer zahlreichen Familie und die Pflege des alten gichtkranken Onkels Luciano liessen ihr auch nicht Zeit, an Liebeleien zu denken.

Nach dem Tode ihres Mannes nahm Letizia ihre Aufgabe sehr ernst. Sie betrachtete sich als Oberhaupt der Familie, an dem kein Makel haften durfte. Jetzt lasteten die Pflichten und Sorgen noch schwerer auf ihr. Wie hätte sie wohl an etwas anderes denken können als an ihre Familie? Wohl stand ihr der Archidiakon Luciano mit seinen Ratschlägen zur Seite, aber Geld und Einkünfte waren knapp. Der Onkel hätte helfen können, denn er war wohlhabend; er besass grosse Schafherden, versteckte aber die blanken Goldstücke in seinem Bett. Nur mit List gelang es bisweilen den Kindern, ihn zur Hergabe von einigen Talern zu bewegen. Nichtsdestoweniger wurde er von allen geliebt und geachtet und übte nicht nur auf die Familie, sondern auf ganz Ajaccio einen heilsamen Einfluss aus.

Letizia aber wurde in dieser Zeit noch sparsamer. Sie lebte mit ihren Kindern so zurückgezogen wie nur möglich. Der siebzehnjährige Joseph war, nachdem er den Vater in «fremder Erde» – wie sich Napoleon ausdrückte – bestattet hatte, zur Mutter nach Korsika zurückgekehrt. Napoleon hingegen befand sich auf der Militärschule von Paris. Da hiess es sparen, und Letizia verstand zu sparen. Ein Mädchen für alles, das drei Franken Lohn im Monat erhielt, ging der künftigen Kaisermutter zur Hand, und diese scheute sich nicht, selbst die niedrigsten Hausarbeiten zu verrichten.

Die politischen Ereignisse übten einen ständig wachsenden Einfluss aus. Die französische Revolution war auch in Korsika nicht spurlos vorübergegangen; sie entfachte von neuem den Krieg auf der Insel, der durch Paolis Niederlage im Jahre 1769 beendet worden war. Je mehr General Paoli sich indes den Engländern näherte, desto weiter entfernte sich die Familie Bonaparte von ihm. Letizia, ihr Bruder, der spätere Kardinal Fesch, ihre Söhne Joseph, Napoleon und Lucien hatten sich eifrig der französischen Revolution in die Arme geworfen. Letizia war, wenn auch anfangs schweren Herzens, Französin geworden, und blieb es nun. Wie sie damals dachte, spricht sich klar in den Worten aus, die sie zu Napoleon sagte, als dieser klagte, nicht in Korsika sein zu können, um das teure Vaterland vor einer neuen Invasion der Engländer zu schützen. «Napolione», sagte die Mutter, «Korsika ist nur ein unfruchtbarer Felsen, ein kleines unbedeutendes Fleckchen Erde! Frankreich hingegen ist gross, reich, bevölkert; es steht in Flammen! Frankreich zu retten, mein Sohn, ist eine edle Aufgabe, die verdient, dass man sein Leben dafür in die Waagschale wirft.»

Immer bedenklicher wurde die Lage der Bonaparte auf Korsika. Der Aufstand brach auf der Insel aus. Von neuem versammelten sich die Korsen unter dem Banner Paolis. Napoleon versuchte an der Spitze der republikanischen Truppen gegen den einst glühend verehrten Helden anzukämpfen, aber vergebens. Eine Zeitlang behielten die Patrioten die Oberhand. Luciens Adresse an den Konvent brachte die Paolisten bis zur äussersten Wut gegen die Bonaparte. Napoleon sah sich und die Seinigen in Gefahr. Um Paoli zu entrinnen, der geschworen hatte, die Familie lebendig oder tot in seine Hände zu bekommen, war Letizia gezwungen, mit ihren Kindern zu fliehen.

«Eines Nachts», erzählt Lucien, «wurde meine Mutter durch Stimmengewirr aus dem Schlafe geweckt. Als sie sich in ihrem Bett aufrichtete, sah sie das ganze Zimmer mit bewaffnetem Bergvolk angefüllt. Sie glaubte sich von den Leuten Paolis überrascht. Da fiel der Schein einer brennenden Fackel auf das Gesicht des Anführers. Es war Costa aus Bastelica, der eifrigste und ergebenste unserer Anhänger. Schnell, Signora Letizia, rief er, die Unsrigen, die nicht mehr die Unsrigen sind (die Leute Paolis), folgen uns auf dem Fusse! Wir haben keinen Augenblick zu verlieren! Ich bin hier mit allen meinen Leuten; man soll sich nicht rühmen, Sie zur Gefangenen gemacht zu haben. Das übrige erkläre ich Ihnen unterwegs. Wir werden Sie retten oder mit Ihnen sterben! Schnell! Schnell!»

Mutter und Kinder erhoben sich hastig, rafften in Eile ein paar Kleidungsstücke zusammen, in die sie sich hüllten; andere Gegenstände mitzunehmen war keine Zeit. Die Schlüssel des Hauses übergab man der Familie Braccini, die während der Nacht alle bloßstellenden Papiere beiseite schaffte. Darauf verliess die Familie Bonaparte, ausser den beiden jüngsten Kindern Carlotta (Karoline) und Girolamo (Jerôme), die man bei einer Verwandten zurückliess, in der Mitte der bewaffneten Kolonne schweigend die noch schlafende Stadt. Zuerst ging es nach Milelli, der Bonaparteschen Besitzung unweit Ajaccios; sie bot indes zu wenig Sicherheit als Zufluchtsort. Man flüchtete in die Berge. Oft hörten die Flüchtlinge die feindlichen Truppen unten im Tal vorüberziehen, aber die Vorsehung verhütete ein Zusammentreffen, das gefährlich hätte werden können.

Letizias grosser, starker Charakter überwand alle Anstrengungen, alle Sorge und flösste den verzagten Kindern Mut ein. Mariannas (Elisas) dünne Schuhe hielten den beschwerlichen Wegen in den Bergen nicht stand; ihre Füsse waren bereits wund, und sie weinte vor Schmerz. Die Mutter wusste sie immer wieder zu trösten und zu ermahnen, bis zuletzt tapfer auszuhalten. Von weitem sah Letizia ihr Haus, das die Leute Paolis geplündert und teilweise zerstört hatten, in Trümmer fallen; sie zuckte nicht mit der Wimper, obwohl ihr das Herz bluten musste, denn sie stand nun mittellos da. Nur ein herber Zug legte sich um die schmalen, festgeschlossenen Lippen.

Nachdem sie zwei Nächte hindurch marschiert waren, bemerkten sie endlich durch eine Lichtung des Maquis die Segel des französischen Geschwaders, das die flüchtende Familie vorläufig nach Calvi bringen sollte. Napoleon, der an der Küste herumgeirrt war und nach ihnen ausgespäht hatte, empfing sie.

Nach grossen Gefahren traf Letizia mit den Ihrigen im Juli 1793 in Toulon ein. Der Aufenthalt in dieser Stadt aber war für die korsischen Flüchtlinge nicht sicher genug. Ausserdem war das Leben in Toulon für den kargen Geldbeutel Letizias viel zu teuer. Sie zog daher mit ihren Kindern in das Dorf La Valette, ein wenig später nach Bandol und schliesslich nach Nizza, wo Napoleons Regiment stand. Später suchte sie in Marseille eine Zuflucht.

Letizia glaubte in Frankreich als emigrierte Patriotin aufgenommen zu werden und die ihr so ausserordentlich nötige Unterstützung zu finden. Sie täuschte sich. Kein Mensch kümmerte sich um die zahlreiche arme korsische Familie. Aller Mittel bar, nachdem man ihre Habe in Korsika teils geraubt, teils zerstört oder beschlagnahmt hatte, sah sich Frau Bonaparte mit ihren Kindern im grössten Elend. Jetzt kam ihr die so oft verspottete Sparsamkeit sehr zustatten.

Anfangs bewohnte die Familie in Marseille eine kleine Dachwohnung in der Rue Pavillon; nachher bezog sie ein Kellergeschoss in einem von der Schreckensherrschaft teilweise verwüsteten Hause, in dem verschiedene korsische Emigranten Unterkunft gefunden hatten. Die Mutter Napoleons ertrug alles, überwand alles mit einer Klugheit, mit einer Würde, die in Erstaunen setzten. Der Kaiser sagte später von ihr: «Sie hatte den Kopf eines Mannes auf dem Körper einer Frau!» – Auch in Marseille lebte Letizia mit ihren Kindern mehr als bescheiden. Schliesslich aber überwand sie ihren korsischen Stolz und nahm ihre Zuflucht zum Wohltätigkeitsbureau. Sie musste für sich und die Ihrigen um Brot bitten, denn der magere Offizierssold, mit dem Napoleon fast alle Bedürfnisse der Familie bestritt, langte nicht weit. Jetzt erhielt Frau Bonaparte wenigstens täglich ein Brot, und Joseph und Lucien beschafften Soldatenrationen von Fleisch und Gemüse. Mit einem Wort: die Bonaparte hatten gerade so viel, um nicht Hungers zu sterben. Die einfache Frau litt nicht sehr unter diesen kläglichen Umständen, mehr litten ihre hübschen lebenslustigen Töchter. Marianna (Elisa) war achtzehn, Maria Annunziata (Pauline) fünfzehn und Maria Carlotta (Karoline) dreizehn Jahre alt. Letizia hielt sie alle drei fleissig zur Arbeit an. Die späteren Königinnen und Fürstinnen mussten tüchtig putzen und waschen. In dürftigen Kleidern und billigen Hüten zu vier Sous besorgten sie die mageren Einkäufe für den Haushalt. Zu Hause sah man Mutter und Töchter nähen und sticken; sie waren damals ihre eigenen Schneiderinnen und Putzmacherinnen.

Dank Letizias unablässigen Bemühungen um Unterstützung verbesserte sich ihre Lage ein wenig. Man konnte sich bald eine anständige Wohnung nehmen und zog nach der Rue du Faubourg de Rome. Um Napoleon zu schmeicheln, der anfing, einen gewissen Einfluss auf seine Umgebung auszuüben, hatten die Kommissare des Wohlfahrtsausschusses der Familie Bonaparte eine Unterstützung zukommen lassen, die Letizia gestattete, für sich und ihre Töchter Kleider und etwas Wäsche zu kaufen, deren sie sehr nötig bedurften.

Beziehungen zu anderen Familien hatten die Bonaparte anfangs in Marseille fast keine. Sie waren viel zu arm, als dass sie gesellschaftlichen Verkehr hätten pflegen können. Später, als ihre Lage etwas besser wurde, schlossen sie sich der reichen Kaufmannsfamilie Clary an, deren älteste Tochter im Jahre 1794 Josephs Frau wurde. Einige Korsen, darunter der General Cervoni, der Zahlungsanweiser Villemanzy, später ein glühender Bewunderer des napoleonischen Genies und damals wohl der Schönheit Letizias, sowie die beiden Volksvertreter Fréron und Barras, das war der von der Familie Bonaparte besuchte Gesellschaftskreis. Infolge des Einflusses der beiden Volksvertreter und der Bemühungen Josephs erhielt Letizia die längst ersehnte Pension, die die Regierung allen geflüchteten korsischen Patrioten bewilligte. Sie belief sich auf je 75 Franken monatlich für die Mutter und die beiden ältesten Töchter, sowie auf je 45 Franken für die beiden jüngsten Kinder.

Als Napoleon Ende 1793 zum Bataillonschef der Belagerungsartillerie vor Toulon ernannt worden war, übersiedelte Letizia, um dem Sohne näher zu sein, in die Umgebung der belagerten Stadt. Hier konnte er sie besser und leichter unterstützen. Bald strahlte sein Ruhm auf die ganze Familie aus: mit der Eroberung von Toulon hatte auch die grösste Not der Bonaparte vorläufig ein Ende.

Nachdem Napoleon Brigadegeneral und gleichzeitig mit dem Kommando der Artillerie der italienischen Armee und mit der Inspektion der Küstenbatterien betraut worden war, riefen ihn seine Pflichten nach Antibes. Dorthin liess er auch im Frühjahr seine Mutter und Schwestern kommen. Er brachte sie im Schlosse Sallé unter. Hier lebte Letizia immer noch sehr einfach, obwohl ihre Lage im Vergleich zu den ersten Wochen in Marseille glänzend war. Sie hat den Aufenthalt in dem alten, malerisch gelegenen, von Licht und Sonne umflossenen Schlosse niemals vergessen. Noch als Kaisermutter erzählte sie, dass sie dort die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht habe. Und doch erinnerten sich die Einwohner von Antibes noch lange, dass Frau Bonaparte ihre Wäsche in dem vorbeifliessenden Flusse selbst gespült hatte.

Dies hinderte Madame indes nicht, auch «ihre Salons» zu eröffnen. Die lebenslustigen Töchter bestanden darauf. Der Sohn brachte seine Kameraden, junge liebenswürdige Offiziere, ins Haus seiner Mutter, bei deren Gesellschaften er stets zugegen war. Man spielte ein wenig Theater, deklamierte, sang und tanzte, und Fröhlichkeit herrschte von morgens bis abends im Schlosse Sallé; dafür sorgte schon die tolle Paulette.

Im darauffolgenden Sommer ging Letizia mit dem Sohne nach Nizza. Erst nach fünfmonatiger Abwesenheit kehrte die Familie nach Marseille zurück. Inzwischen hatte sich Joseph verheiratet. Die Mutter hoffte, ihr Sohn Napoleon werde die junge Schwägerin Josephs, Désirée Clary, heimführen, aber böse Zungen behaupteten, die Clary hätten mit einem Bonaparte in der Familie genug gehabt. Auch Lucien schloss einen Bund. Seine Heirat mit Christine Boyer, der Tochter eines Gastwirts, war nicht nach dem Geschmack der Familie. Aber die einfache Letizia söhnte sich bald mit der Schwiegertochter aus, weil diese bescheiden und anspruchslos war, ihren Mann über alles liebte und ihm Kinder schenkte. Das gefiel der Korsin.

Mehr Enttäuschung erlebte Frau Bonaparte durch die Heirat ihres Napoleon mit der ehemaligen Vicomtesse de Beauharnais. Letizia war über diesen Schritt ihres Sohnes so ärgerlich, dass sie ihren Aufenthalt in Marseille verlängerte, obwohl Napoleon immer drängte, sie solle nach Paris kommen. Ein besonderer Grund zur Sorge für sie war, dass dieser Ehebund nicht durch die priesterliche Weihe geheiligt worden war. Letizias frommer Glaube litt darunter. Abergläubisch, wie alle Bonaparte, sah sie darin ein böses Omen für die Zukunft ihres Napoleon. Letizia glaubte nicht, dass Josephine ihren Sohn glücklich machen könne. Am meisten fühlte sie sich in ihrem Mutterstolze dadurch verletzt, dass Napoleon, ganz gegen korsische Sitte, sie, die Mutter, das Oberhaupt der Familie, nicht um ihre Einwilligung zur Heirat gebeten hatte.

Bald jedoch wurde Letizias Sorge über diese Heirat durch die Ernennung Napoleons zum Oberbefehlshaber der italienischen Armee verdrängt. Und als der General auf seiner Reise nach Italien durch Marseille kam, um von den Seinen Abschied zu nehmen, umarmte Letizia ihn mit den Worten: «Nun bist du ein grosser General!» Darin lag der ganze Stolz, das ganze Glück der Mutter. Ihr Segen begleitete ihn ins Feld. Als er von ihr ging, dem Ruhme und Glanze entgegen, da rief sie ihm nach: «Sei ja nicht unvorsichtig, nicht waghalsiger, als es dein Ansehen erfordert! Gott! Mit welcher Angst werde ich jeder Schlacht entgegensehen! Gott und die Heilige Jungfrau mögen dich schützen!» In Gedanken folgte die Mutter seinem Ruhme mit ihren Wünschen für sein Wohlergehen.

Als Letizia später in Begleitung ihrer Kinder den Sieger von Montenotte, Millesimo, Castiglione und Arcole in Italien wiedersah, den bleichen mageren General, der nicht Rast noch Ruhe kannte, presste sie ihn voll Stolz an ihr Herz und sagte: «O Napolione, ich bin die glücklichste aller Mütter!» Es entschlüpften ihr aber auch die sorgenden Worte: «Du tötest dich.» – «Im Gegenteil», erwiderte Napoleon heiter, «es scheint mir, dass ich lebe!» – «Sage lieber», warf Letizia ein, «dass du in der Nachwelt leben wirst – aber jetzt ...!» – «Nun, Signora», entgegnete der Sohn – sie hatte es besonders gern, wenn er sie Signora nannte – «nun, Signora, heisst das etwa sterben?»

Noch einmal kehrte Frau Bonaparte nach Marseille zurück. Von dort begab sie sich mit ihrer Tochter Elisa, die inzwischen Frau Baciocchi geworden war, nach der jetzt endlich vom englischen Einfluss befreiten Heimatinsel. Mit welcher Freude begrüsste sie die alten lieben Felsen! Arm und hilflos war sie einst vor ihren Verfolgern geflüchtet – als Mutter des gefeierten italienischen Siegers kehrte sie jetzt zurück. Aber ihr Haus fand sie verwüstet. Sofort machte sie sich an die Arbeit, das Nest für sich und die Ihrigen wieder aufzubauen. Uebergrosse Anstrengungen aber warfen sie aufs Krankenlager und verlängerten ihren Aufenthalt in Korsika. So erfuhr sie von dem Triumphe, den man ihrem «grossen General» bei seiner Rückkehr nach Paris entgegenbrachte, nur vom Hörensagen und durch die Zeitungen.

Während Napoleon in Aegypten war, versuchten englische Nachrichten oft, die Ruhe der Mutter des Siegers zu stören, indem sie das Gerücht von seinem Tode verbreiteten. Aber Letizias festes Vertrauen auf sein Genie liess sich nicht so leicht erschüttern. Eines Tages sagte sie zu verschiedenen bei ihr in Ajaccio anwesenden Personen mit leichter Zuversicht: «Mein Sohn wird in Aegypten nicht so elend umkommen, wie es seine Feinde gern möchten. Ich fühle, dass er zu Höherem bestimmt ist!» Auch sie glaubte an den Stern Napoleons. Um dieselbe Zeit, als sich der General Bonaparte in Aegypten nach Frankreich einschiffte, verliess auch seine Mutter die heimatliche Insel. Sie traf einige Tage vor ihrem Sohne in Paris ein, ohne zu ahnen, dass sie ihn so bald wiedersehen werde.

Der Staatsstreich vom 18. Brumaire fand statt. Frau Letizia, die bei ihrem Sohn Joseph wohnte, zitterte um das Geschick ihrer Kinder, wie die Mutter der Gracchen. Aeusserlich merkte man ihr zwar nicht viel an, nur Totenblässe bedeckte ihr Gesicht, und jedes Geräusch erschreckte sie. Die spätere Herzogin von Abrantes, die sich am 19. Brumaire mit ihrer Mutter, Letizia und Pauline im Theater Feydeau befand, erzählte von Letizias Gemütsverfassung an diesem Tage folgendes: Frau Bonaparte schien ausserordentlich aufgeregt und besorgt zu sein. Sie sagte freilich nichts, sah aber öfter nach der Tür der Loge, und meine Mutter und ich merkten, dass sie jemand erwartete. Der Vorhang ging auf, das Stück begann ganz ruhig. Plötzlich trat der Regisseur vor die Rampe, verbeugte sich und sagte mit lauter Stimme: «Bürger! Der General Bonaparte ist soeben in Saint-Cloud einem Attentat der Vaterlandsverräter entgangen!»

Bei diesen Worten stiess Pauline, die Schwester des Generals, einen markerschütternden Schrei aus und war furchtbar erregt. Ihre Mutter, ebenfalls tief erschüttert, suchte sie zu beruhigen. Letizia war bleich wie eine Statue. Wie sehr sie jedoch innerlich litt; auf ihrem Gesicht sah man nichts als einen ganz leisen schmerzhaften Zug um die Lippen. Sie neigte sich zu ihrer Tochter, nahm deren Hände, drückte sie fest, und sagte in gebieterischem Tone: «Pauline, warum dieses Aufsehen! Schweig! Hast du nicht gehört, dass deinem Bruder nichts zugestossen ist? Sei ruhig und steh auf; wir müssen jetzt gehen und uns nach den näheren Umständen erkundigen.»

Zum ersten Male entschloss sich Frau Letizia, zu ihrer Schwiegertochter Josephine zu gehen, bei der sie die beste Auskunft über das Geschick ihres Sohnes erhalten konnte. Sie hatte es bisher vermieden, sie zu besuchen, denn sie meinte, Josephine nehme keinen Anteil an ihrer Sorge um den geliebten Napoleon. Letizia konnte Josephine die Untreue gegen Napoleon, während er in Italien und Aegypten war, nicht verzeihen. Auch dass Josephine ihr noch kein Enkelkind geschenkt hatte, grämte sie: die Mutter so vieler Kinder blickte verächtlich auf die kinderlose Schwiegertochter. Aeusserlich bewiesen sich diese beiden Frauen Höflichkeit und Achtung.

Als Napoleon zum Ersten Konsul ernannt worden war, wollte er, dass Letizia einen der Mutter des Staatsoberhauptes würdigen Haushalt führe. Er bot ihr die Tuilerien zum Aufenthalt an. Dieses grosse, weite Königsschloss flösste der einfachen Frau, die bisher nicht in Ueberfluss und Prunk gelebt hatte, Scheu ein. Sie zog es vor, noch eine Zeitlang bei Joseph zu wohnen, bis Napoleon ihr das Hotel Montfermeil in der Rue du Mont-Blanc einrichtete. Hier lebte Letizia, wie sie es gewöhnt war, einfach und ohne Luxus. Aber gerade von seiner Mutter hätte Napoleon gern gesehen, dass sie ihr Einkommen, 120 000 Franken jährlich, verausgabte. Er hatte damit kein Glück bei ihr. Geldausgeben machte ihr nicht die geringste Freude. Sogar die Reparaturen in ihrem Hause liess sie von ihrem Sohn Napoleon bezahlen. Später noch, als sie als Kaisermutter ein Jahrgeld von einer Million bezog, beschränkte sie ihre Hofhaltung aufs nötigste. Auf Napoleons Einwände pflegte sie gewöhnlich zu erwidern: «Wenn Sie doch wieder einmal ins Unglück geraten sollten, so werden Sie mir Dank wissen, dass ich so sparsam gewesen bin.»

Es ist weniger anzunehmen, dass diese Voraussetzungen Letizias Scharfblick entsprangen, weil sie dem so schnell aufgebauten Glücksgebäude wenig traute. Sie hatte ganz einfach die Zeiten nicht vergessen, da es ihr und ihren Kindern an allem gebrach. Sie wusste aus Erfahrung, dass Schicksalsschläge über Nacht kommen konnten. So blieb sie lieber bei ihren bescheidenen Gewohnheiten, selbst auf die Gefahr hin, unter all den glänzenden Frauengestalten, die ihren Sohn und seinen Hof umgaben, in ihrer einfachen ernsten Kleidung wunderlich zu erscheinen.

Letizia brauchte übrigens weder Luxus noch Pracht, um schön und anziehend zu wirken. Ihre ganze Erscheinung war vornehm, edel und königlich. Sie sprach wenig, einesteils, weil sie in der neuen Gesellschaft dazu gezwungen war, denn sie beherrschte die Sprache nicht und besass kein Wissen, andernteils schwieg sie aus Stolz. Ihre Manieren hatten, obgleich sie sich in Gesellschaft unbequem fühlte, angeborene Würde und eine Hoheit, die jedermann Achtung gebot. Selbst die Streitigkeiten unter ihren Kindern verstummten, sobald Letizia zugegen war. Ihre Anwesenheit genügte, um allen eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Sie erteilte ihnen immer die weisesten Ratschläge und ermahnte sie zum Guten. Immer und immer wieder erinnerte sie ihre Söhne und Töchter, die sich oft gegen den Willen Napoleons auflehnten, daran, was sie ihm schuldig seien, und dass er es gewesen war, der sie zu Ansehen gebracht hatte. Es tat ihr weh, den unversöhnlichen Zwist zwischen Napoleon und Lucien mit ansehen zu müssen, ohne dass sie durch ihren Einfluss etwas zu erreichen vermochte. Das einzige, was Letizia tun konnte, war, Lucien in seinem Unglück nicht zu verlassen. Sie schlug ihm vor, er solle sie nach Italien begleiten, wo sie ihrer Gesundheit wegen im Jahre 1804 einige Zeit verbringen wollte. Vielleicht diente ihr diese Reise aber auch nur als Vorwand. Sie wollte gewiss nicht Zeuge des Triumphes ihrer Schwiegertochter sein, deren Krönung bevorstand.

Dem Ersten Konsul missfiel der Vorschlag seiner Mutter. Er warf ihr vor, dass sie Lucien mehr liebe als ihre anderen Kinder. Darauf antwortete Letizia einfach: «Wenn Sie in seiner Lage wären, würde ich Sie in Schutz nehmen.» Ihre Zuneigung und Fürsorge gehörte immer dem nach ihrer Meinung unglücklichsten Kinde. So war ihr Grundsatz, und danach hat sie ihr ganzes Leben lang gehandelt. Und hatte sie wirklich für Lucien eine Vorliebe, so geschah es, weil sie ihm ewig dankbar dafür war, dass er ihr im Jahre 1802 eine Rente von 24 000 Franken aussetzte, damit sie den Armen mehr zu Hilfe kommen konnte. Diese Feinsinnigkeit hatte sie nie vergessen.

Mit Napoleon lebte Letizia, abgesehen von der Meinungsverschiedenheit in der Angelegenheit Luciens, im besten Einvernehmen und grösster Vertraulichkeit. Selten war sie, selbst als Kaisermutter, gezwungen, seiner hohen Stellung Rechnung zu tragen. Sie liess sich nie ihre Würde als Oberhaupt der Familie nehmen. Er hingegen nannte sie nie Du, nicht einmal im engsten Familienkreise. Aber er sprach mit ihr italienisch, weil ihr diese Sprache geläufiger war. Die Briefe an sie schrieb er indes französisch, ebenfalls sie die ihrigen an ihn, die sie ihrer Vorleserin italienisch diktierte. Napoleon verdankte seiner Mutter vor allem seinen Sinn für Ordnung und gedachte noch in Sankt Helena daran. «Ihr verdanke ich mein Vermögen und alles, was ich Gutes getan habe», sagte er. Auch den Stolz hatte er von der Mutter. Mit grosser Genugtuung wiederholte Letizia oft die Worte, die ihr Sohn ausgesprochen hatte, als er der Schwiegersohn des Kaisers von Oesterreich wurde, und als dieser Nachforschungen über seine Abstammung machen liess: «Mein Adel datiert von Millesimo und Montenotte her!» hatte er da gesagt, und die Mutter hatte vor Stolz gestrahlt.

Sie wusste auch ihm, trotzdem er Kaiser war, zu imponieren. Als er einmal in Gegenwart der Kaiserin Marie Luise seiner Mutter die Hand zum Kusse darbot, stiess Letizia ihn mit einer entrüsteten Gebärde zurück und hielt dafür dem Sohne ihre eigene Hand hin, damit er sie küsse. Beschämt unterzog er sich dieser Pflicht. Marie Luise verstand das Benehmen ihrer Schwiegermutter in diesem Falle nicht und sagte, sie habe in Wien ihrem Vater, dem Kaiser von Oesterreich, zum Zeichen der Ehrerbietung vor dem Herrscher, oft die Hand geküsst. «Ja», erwiderte Letizia, «der Kaiser von Oesterreich ist Ihr Vater; der Kaiser der Franzosen aber ist mein Sohn!»

Uebrigens brachten ihr alle ihre Kinder die grösste Liebe und Hochachtung entgegen, wie sie auch ihnen die grösste Fürsorge und Zuneigung bewies. Beständig war sie um das Leben des Ersten Konsuls besorgt. Das Attentat der Höllenmaschine am 24. Dezember 1800 versetzte sie in die grösste Aufregung. Nur mit Josephine und deren Tochter Hortense stand sie auf gespanntem Fusse. Sie gehörten zur Gegenpartei. Nie fühlte Letizia sich von dem geselligen Leben in Malmaison angezogen, weil dort die Beauharnais eine Rolle spielten. Ebensowenig liebte sie Mortefontaine; die Gesellschaft, die bei ihrem Sohn Joseph verkehrte, passte ihr nicht; sie war ihr zu gelehrt. Am liebsten war sie mit ihrem Bruder Fesch beisammen. Mit diesem konnte sie von Korsika, von alten Bekannten und Verwandten sprechen, alte Erinnerungen ausgraben, und das gefiel ihr.

Die Thronbesteigung Napoleons erfuhr Letizia in Rom durch die Zeitungen. Dort lebte sie mit Lucien und Pauline unter dem Schutze des Papstes. Pius VII. schätzte sie ganz besonders darum, weil er wusste, mit welcher Freude die strenge Katholikin das Konkordat begrüsst hatte, das Napoleon im Jahre 1801 in Rom schloss. Letizia galt diese Handlung ihres Sohnes mehr, als alle seine Siege, als all sein Ruhm. Aber zur Krönung des Kaisers erschien sie nicht. Der Platz, den ihr der Maler David auf seinem wundervollen Krönungsgemälde zuweist, blieb leer.

Zu jener Zeit hielt sie sich in den Bädern von Lucca auf, wo auch ihre Tochter Paulette weilte. Erst 17 Tage später, am 19. Dezember 1804, kehrte Frau Bonaparte nach Paris zurück und nahm in dem einst von Lucien bewohnten Hotel de Brienne Wohnung. Es ist offenbar, dass Letizia nicht Zeuge der Einsegnung des Kaiserreiches sein wollte, dessen Einrichtung die noch von republikanischen Grundsätzen erfüllte Korsin nicht billigen konnte. Auch war sie tief in ihrem Mutterstolze verletzt, dass Napoleon sie nicht durch einen besonderen Boten von seiner Thronbesteigung in Kenntnis gesetzt hatte. Durch derartige Vernachlässigungen fühlte sich Letizia immer tief gekränkt. Und so traf sie absichtlich erst später, als alles vorüber war, in Paris ein. Der nunmehrige Kaiser empfing seine Mutter mit einfacher Herzlichkeit, und Letizia ergriff von neuem die Gelegenheit, ihn mit Lucien auszusöhnen. Aber es blieb alles beim alten.

Jetzt galt es, der Mutter des Herrschers von Frankreich die gebührende Rolle zuzuweisen. Welchen Rang sollte Letizia einnehmen? Welche Würde sollte ihr zukommen? Nach den alten römischen Annalen stand immer die Mutter der Cäsaren, hiess sie nun Agrippina oder Poppeia, an erster Stelle. Und so wollte es auch Napoleon.

Letizia empfing diese Auszeichnung ohne grosse Erregung, ohne Eitelkeit. Sie liess sich nicht blenden von all dem Glanze, den man um sie verbreitete. Nur zu dem Genie ihres Sohnes hatte sie Vertrauen. Alles andere schien ihr unbeständiges Scheinglück. Sie meinte, Napoleon würde sich einen grösseren Namen in der Geschichte erworben haben, wenn er sich nicht zum Kaiser gemacht hätte. Sein Emporsteigen machte sie nicht blind. Alle Grösse um sie her vermochte keine Herrschaft auf sie auszuüben, wenn sie auch stolz war, dass ihrer Familie so grosses Glück widerfuhr.

Der Kaiser aber wünschte, dass auch seiner Mutter alle Auszeichnungen und Ehren zuteil würden, wie den Müttern der römischen Imperatoren. Frau Letizia erhielt daher, wie ihre Söhne und Töchter, den Titel «Kaiserliche Hoheit» und wurde offiziell «Madame» genannt. Um Verwechslungen zu vermeiden, wenn der Kaiser Töchter bekäme, die nach der Sitte der alten Königsgeschlechter ebenfalls den Titel «Madame» führen würden, fügte man für Letizia hinzu «mère de l'empereur». Bald aber hiess sie nur noch «Madame Mère». Welcher Name hätte für diese Frau, für diese Mutter besser gepasst?

Letizias Rente als Kaisermutter belief sich auf eine Million Franken. Sie legte davon jährlich die Hälfte zurück. Für ihre eigene Person brauchte sie wenig. Am Hofe ihres Sohnes verkehrte sie selten und ersparte sich dadurch viele Ausgaben. Einesteils vermied sie es, wo es ging, mit Josephine zusammenzutreffen, und andernteils verabscheute sie alles Förmliche und die damit verbundenen Oberflächlichkeiten. Obgleich sie äusserlich mit ihrer antiken Matronengestalt, den feinen strengen Zügen, den langsamen, vornehmen Bewegungen sehr gut repräsentierte, scheute sie die Oeffentlichkeit. Sie fühlte sich verletzt, dass sie der Schwiegertochter den Vortritt bei Hofe lassen musste. Beugen konnte sich diese Korsin nicht.

Seit dem Jahre 1805 wohnte Letizia teils in Paris, im Schlosse Luciens, das sie von diesem für 600 000 Franken gekauft hatte, teils im Schlosse Pont-sur-Seine, im Departement Aube. Dieses hatte ihr der Kaiser geschenkt. War Napoleon abwesend, so wünschte er, dass seine Mutter, wenn sie in Paris weilte, jeden Sonntag bei Josephine speiste. Aber Letizia suchte sich dem soviel wie möglich zu entziehen. Der Kaiser war deshalb oft gezwungen, seine Mutter wie ein Kind zu tadeln. Dann schmollte sie und zog sich nach Pont zurück.

Letizia empfing bei sich nur wenige wirkliche Freunde, deren Ansichten und Gewohnheiten mit den ihrigen übereinstimmten. Die Minister und Würdenträger, ausser dem Erzkanzler Cambacérès, beachteten die Mutter des Kaisers wenig und verkehrten selten bei ihr. Das verletzte die stolze Frau, aber sie brachte es nicht über sich, von Napoleon zu fordern, dass jene Männer ihr huldigten. Am liebsten sah sie die Freunde ihres Halbbruders, des Kardinals Fesch, bei sich, meist geistreiche, unterhaltende und liebenswürdige Geistliche, die mit ihr eine Partie Reverse, ihr Lieblingsspiel, spielten.

Es lebte sich übrigens sehr angenehm mit ihr. Alle die zu ihrer Umgebung gehörten, waren von dieser wahrhaften Kaisermutter des Lobes voll. Sie war mit allem zufrieden und fand sich in alles. Am liebsten hörte sie, wenn man ihre Kinder lobte. Es lag ihr besonders daran, dass man gut von ihnen sprach. Dann belebte sich das in der Regel kalte Gesicht, und ihre dunklen Augen leuchteten voll Stolz und Glück. Bis ins hohe Alter hat Letizia Reste ihrer einstigen Schönheit bewahrt. Besonders waren ihre Füsse und Hände wunderbar schön. Ihre Gestalt war edel und auch im Alter immer noch schlank. Sie kleidete sich sehr sorgfältig und gepflegt und immer ihrem Alter angemessen. Als Letizia 59 Jahre alt war, schuf Canova nach ihrem Ebenbilde die wundervolle Statue der Agrippina, ein vollendetes Meisterwerk.

Wenn Napoleon im Felde weilte, lebte die Kaisermutter noch stiller und zurückgezogener als gewöhnlich. Trotz ihres Vertrauens in sein Genie und in seinen Stern umschwebte Letizia doch immer die Angst, es könne ihm ein Unglück zustossen. Sie war die einzige in der Familie, die nicht unbedingt an die Beständigkeit des Glücks glaubte.

Sie war auch nicht immer mit den Handlungen ihres Sohnes einverstanden. Am meisten schmerzte es sie, dass er alle Rücksichten ausser acht liess, wenn seine Politik auf dem Spiele stand. Da halfen selbst die stärksten Familiengefühle nichts. Tief betrübt war sie über die Hinrichtung des Herzogs von Enghien. Damals sprach sie die prophetischen Worte: «Napoleon, du wirst der erste sein, der in den Abgrund versinkt, den du jetzt unter den Füssen deiner Familie gräbst.» Aber weder die Tränen seiner Mutter, noch Josephines und Hortenses Flehen konnten Napoleon von dem Schritt abhalten, den seine Politik ihm vorschrieb. Interessant ist zu wissen, dass Madame Mère dem unglücklichen Herzog von Enghien kurz vor seinem Tode noch einen Dienst erwies. Er hatte den Wunsch geäussert, dass sein Lieblingshund und einige Gegenstände, die ihm teuer waren, einer Dame übergeben würden, deren Adresse er nannte. Man fragte Frau Letizia, wer wohl diese delikate Angelegenheit erledigen solle. Da sich niemand fand, nahm die Mutter Napoleons es selbst auf sich, der betreffenden Dame die letzten Grüsse und Erinnerungen des Prinzen zukommen zu lassen.

Da Letizia eine strenge Katholikin war und in dem Oberhaupt der Kirche eine unantastbare, unfehlbare Person sah, litt sie im Jahre 1809 sehr darunter, als der Kaiser den Heiligen Vater verhaften und nach Frankreich in Gewahrsam bringen liess. Eine solche Massnahme schien ihr ungeheuer, kaum fassbar. Sie vermochte nichts daran zu ändern, denn sie hatte keinen Einfluss auf die politischen Angelegenheiten ihres Sohnes.

Wenn sich Letizia indes im allgemeinen nicht in die Staatsgeschäfte Napoleons mischte, so hat sie doch im besonderen dem Kaiser hin und wieder mit ihrem Rate, nicht nur in Familiensachen, beigestanden. Man sagt sogar, sie habe immer mit Napoleon, wenn dieser nicht in Frankreich weilte, einen geheimen Briefwechsel unterhalten. So war sie es, die den Kaiser im Jahre 1808, als er sich in Spanien aufhielt, zuerst von der Verschwörung benachrichtigte, die der Polizeiminister Fouché und Talleyrand gegen ihn schmiedeten. Napoleon reiste darauf sofort nach Paris zurück.

Auch Aemter und Würden hat Madame Mère, besonders ihren Verwandten und Landsleuten, verschafft. Nie wandte sich ein Korse vergebens an sie. Nur musste der Bittsteller einer von den «Ihrigen» sein, denn sie unterschied auch als Kaisermutter noch die Korsen von Ajaccio und die von Bastia. Vor allem erhielt die ganze Sippe der nahen und fernen Verwandten durch Letizia Anstellungen und Titel. Im grossen und ganzen aber stand die Mutter Napoleons den Ereignissen, die durch die Handlungen ihres Sohnes hervorgerufen wurden, fern. Sie hatte genug in ihrer Familie zu schaffen und zu schlichten.

Da sie schliesslich einsehen musste, dass alle ihre Bemühungen, die feindlichen Brüder Napoleon und Lucien zu versöhnen, erfolglos blieben, gab sie sich damit zufrieden, wenigstens das Glück der Kinder Luciens zu begründen. Sie meinte das am besten dadurch zu können, dass sie Luciens älteste Tochter aus erster Ehe, Charlotte Marie, im stillen zur Frau des Kaisers bestimmte und erzog. Denn Letizia war von der Notwendigkeit einer Scheidung ihres Sohnes von der kinderlosen Josephine vollkommen überzeugt. Da es Lucien, dem einzigen ihrer Söhne, nicht beschieden war, auf einem Throne zu sitzen, so sollte dieses Glück wenigstens nicht seinem Kinde entgehen. So dachte die Mutter und Grossmutter. Ihr Plan scheiterte jedoch an den politischen Absichten ihres Sohnes Napoleon.

Dennoch hiess Letizia die Scheidung des Kaisers willkommen und wohnte jenem dramatischen Familienrate der Bonaparte von 1809 bei, in dem Josephines Urteil gesprochen wurde. Sie hatte die Schwiegertochter nie geliebt, später noch weniger, als bevor sie sie persönlich kannte. Ja, sie hasste sie aus tiefstem Grunde ihres Herzens, und dieser Hass übertrug sich sogar auf ihre andere Schwiegertochter, die sanfte Hortense und deren Kinder. Jetzt trennte sich Letizia ohne Bedauern von Josephine.

Napoleons Heirat mit Marie Luise befriedigte Letizia fast ebenso wie den Kaiser selbst, nur in anderem Sinne. Nicht, weil die neue Schwiegertochter ein Kaiserkind war, sondern weil sie jung war und ihr die Hoffnung liess, Enkel zu bekommen. Sympathisch war ihr auch Marie Luise nicht. Als diese später ihrem Gatten nicht in die Verbannung folgte, verachtete Madame Mère sie sogar.

Vorläufig jedoch teilte auch sie das Glück des Sohnes, besonders als der so sehnlichst erwartete Thronfolger geboren wurde. Welche Gefühle mögen an diesem Tage Letizias Herz erfüllt haben? Was mag sie empfunden haben, als sie dieses Kind über die Taufe hielt und es dann dem vor Freude strahlenden Vater übergab, damit er es der jubelnden Menge zeige!

Noch ein anderes Glück war Madame Mère im Jahre zuvor beschieden gewesen. Auf einer Reise nach Westfalen zu ihrem jüngsten Sohn Jérôme lernte sie den edlen Charakter der Königin Katharina kennen und schätzen. Von allen ihren Schwiegertöchtern war ihr diese deutsche Prinzessin die liebste. Als beide Frauen sich wieder voneinander trennen mussten, fühlten sie, was sie sich gegenseitig gewesen waren. Besonders spürte die mutterlose Katharina die Leere in ihrem Herzen, als Letizia nicht mehr bei ihr war. Nur der Briefaustausch mit Madame Mère vermochte ihr einigermassen das Verlorene zu ersetzen. Bis an Letizias Lebensende ist Katharina ihr eine treue, ergebene und liebende Tochter geblieben.

Mit dem Jahre 1812 begann auch für die Mutter Napoleons die sorgenvolle, unruhige Zeit. Der schreckliche Krieg in Russland und die Nachrichten, die über das Heer ihres Sohnes zu ihr gelangten, versetzten sie in die furchtbarste Angst und Besorgnis. Sie wusste, dass Napoleon auf seinem Rückzug aus den russischen Eissteppen den grössten Gefahren ausgesetzt gewesen war, und dass er die Reise von Wilna bis Dresden ohne Aufenthalt fortgesetzt hatte, um der Rache seiner Feinde zu entgehen. Als er endlich, wenn auch geschlagen und von den Elementen besiegt, am 18. Dezember 1812 wieder in den Tuilerien eintraf, da war die Mutter überglücklich. Ihre Freude war grösser als die der Gattin. Sie bot dem Sohne sofort alle ihre Ersparnisse an, damit er das Geld zur Bildung einer neuen Armee verwende. Napoleon aber brauchte die Schätze Letizias diesmal noch nicht. Noch standen ihm andere Hilfsquellen zur Verfügung. Es sollten schlimmere Tage kommen, an denen er gezwungen war, die Hilfe seiner Mutter in Anspruch zu nehmen.

Und in der Tat waren sie nicht fern, die Tage des Unglücks. Zwar begann das Jahr 1813 unter den günstigsten Voraussetzungen, besonders für die gläubige Letizia. Ihr sehnlichster Wunsch, die Vereinigung von Kirche und Staat, ward von neuem durch ein Konkordat befestigt. Voller Freude darüber schrieb sie ihrer Tochter Elisa: «Das ist eine der besten Nachrichten, deren wir uns erfreuen können.» Aber das Ende dieses Jahres brachte wiederum Kummer und Sorgen. Die Korsin bot dem Unglück die Stirn. Im Zusammenhalt der Familie allein sah sie ihr Heil. Aus jedem ihrer Worte sprach die Hoffnung auf ihren grossen Sohn, auf sein Genie, auf seine unerschütterliche Tatkraft.

Es war indes vorbei mit dem Kriegsglück Napoleons. Viele seiner Getreuen hatten kein Vertrauen mehr zu ihm; selbst Murat, sein Schwager, fiel von ihm ab. Das betrübte die Mutter tief. Nur noch einmal empfand ihr Herz Freude, wenn auch nur für kurze Zeit. Ihr Sohn Louis, der ehemalige König von Holland, hatte sich wieder Frankreich genähert. Schon glaubte Letizia, die Versöhnung ihrer beiden Söhne sei nahe. «Ich bin entzückt», schrieb sie an ihren Bruder Fesch, «zu hören, dass sich Louis bei Ihnen befindet. Der Kaiser hat mich gefragt, warum er nicht sogleich nach Paris gekommen ist. Sagen Sie ihm, dass ich ihn bei mir erwarte.» Und dann fügte sie als echte Kaisermutter hinzu: «Es ist jetzt nicht mehr am Platze, sich an die Hofsitte zu halten. Die Bourbonen sind zugrunde gegangen, weil sie nicht verstanden haben, mit den Waffen in der Hand zu sterben!» – Welche Frau!

Sie konnte die Katastrophe nicht aufhalten. Das Kaiserreich fiel in Trümmer, aller Glanz, alle Pracht, aller Ruhm und aller Ehrgeiz versanken in ein Nichts! Da bewies sich Letizia als wahrhaft bewunderungswürdiger grosser Mensch. Im alltäglichen Leben hatte sie sich bisweilen kleinlich gezeigt, jetzt war sie gross. Die Ereignisse vermochten sie nicht zu beugen. Wie ein starker Baum breitete sie die Arme über ihre vom Unglück heimgesuchte Familie aus und dünkte sich kräftig genug, alle die Ihrigen zu schützen. Jetzt war der Augenblick gekommen, wo sie ihre Rolle spielen konnte, die Rolle als Helferin mit dem ersparten Gelde.

Marie Luise hatte ihr bei ihrer Abreise aus Paris angeboten, sich mit ihr nach Oesterreich zu begeben. Welche Zumutung für diese Mutter! Schlicht hatte Letizia der Schwiegertochter geantwortet, dass sie sich nie von ihren Kindern trennen werde.

Am meisten aber betrübte es sie, dass die Frau ihres Sohnes in Rambouillet die fremden verbündeten Fürsten, die Feinde Napoleons, empfangen hatte. Sie konnte nicht begreifen, dass ihre Schwiegertochter so wenig Stolz zeigte und dem Zaren gestattete, den kleinen König von Rom, das Kind desjenigen, den er soeben vom Throne gestürzt und somit auch den Sohn seines Eigentums beraubt hatte, zu herzen und zu küssen! Die stolze Korsin konnte eine solche Handlungsweise nicht verstehen. In Letizias Herzen lebte noch die alte Blutrache ihrer Väter, die Vendetta fort. Wäre sie Marie Luise gewesen, sie hätte die Feinde ihres Mannes mit flammenden, hasserfüllten Augen von der Schwelle gewiesen!

Am gleichen Tage, am 9. April, als die Kaiserin Blois verliess, um sich nach Wien zu begeben, trat auch Letizia ihre Reise nach Rom an. Beim Abschied hatte Marie Luise ihr noch zugerufen: «Ich hoffe, Madame, Sie bewahren mir das Wohlwollen, das Sie mir bisher geschenkt haben!» – «Madame», hatte die Mutter des entthronten Kaisers kalt erwidert, «das hängt von Ihnen und Ihrem künftigen Verhalten ab.»

Joseph und Jérôme begleiteten Letizia ein Stück. Der Kardinal Fesch, der von seinem Schloss Pradines vor den Oesterreichern fliehen musste, war seiner Schwester auf Umwegen unter den grössten Schwierigkeiten entgegengereist, um sie über den Mont Cenis sicher und ungefährdet nach der Ewigen Stadt zu geleiten. Niemals war es den beiden Geschwistern so zum Bewusstsein gekommen, was sie sich gegenseitig waren. Letizias Charakter zeigte sich jetzt in antiker Grösse. Sie hatte in ihrem Leben zuviel Veränderungen und Schicksalsschläge erlebt, als dass ihr dieser härteste von allen überraschend gekommen wäre. Ueberdies hatte sie zehn Jahre lang in der Unbehaglichkeit eines Hofes zugebracht, dessen Etikette und Steifheit ihr nicht zusagen konnten. Jetzt war sie beinahe glücklich, ihre Ruhe und Einfachheit im stillen Privatleben zu finden. Nur die traurige Erinnerung an ihre Flucht aus Korsika schmerzte sie. Denn wie einst in Frankreich mussten die Flüchtlinge jetzt in Italien eine Zufluchtsstätte suchen. Wie einst in Ajaccio musste Letizia auch jetzt ein brennendes Haus zurücklassen, denn als sie Paris verlassen hatte, erfuhr sie, dass ihr schönes Schloss Pont in Flammen stünde. Es war den Plünderern zum Opfer gefallen.

In der Nacht vom 14. Mai traf sie mit Fesch in Rom ein. Der erst vor kurzem aus der Gefangenschaft freigelassene Papst Pius VII. empfing die Mutter Napoleons wie immer mit Auszeichnung. Bereits in Cesena, wo er einige Zeit vor der Ankunft Letizias eingetroffen war, hatte er sie mit den schlichten, schönen Worten begrüsst: «Seien Sie hier ebenso willkommen wie in Rom, das immer die Heimat der grossen Verbannten gewesen ist.»

In Rom bewohnte Madame Mère mit ihrem Bruder den Palazzo Falconieri. Kaum aber war sie dort angelangt, so wünschte sie sehnlichst die Verbannung ihres Sohnes Napoleon zu teilen. Früher hatte sie stets Lucien als das unglücklichste und hilfsbedürftigste ihrer Kinder angesehen. Jetzt, da er der einzige war, der nicht von einem Throne gestossen wurde, erschien er ihr als das glücklichste von allen. Napoleon hatte das Unglück am schwersten getroffen. Ihm galt nun die ganze Fürsorge und Liebe. Nur eine Mutter konnte so handeln wie Letizia. Sie stellte ihm alle Schätze zur Verfügung, die sie in den Jahren des Glücks und Glanzes angehäuft hatte. Mit Recht durfte der Sohn von ihr sagen, dass sie gern trockenes Brot gegessen haben würde, wenn sie dadurch sein Missgeschick hätte mildern können.

Im Juli endlich durfte sie zu dem verbannten Kaiser. Vorher hatte sie noch das Glück gehabt, ihren geliebten Lucien ans Herz zu drücken, den sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dann machte sich die Fünfundsechzigjährige zur Reise nach Elba auf. Sie musste jedoch drei Tage in Livorno verweilen und kam erst am 2. August, von Sir Neil Campbell geleitet, mit der Brigg «The Grasshopper» in Porto Ferraio an.

Die freiwillige Verbannung lastete nicht schwer auf Letizia. Auf Elba führte sie ein ihrem einfachen Wesen weit mehr zusagendes Leben als in den Tuilerien. Auch war sie dem Sohne näher als in Paris, wo ihn Staatsgeschäfte, Empfänge und Feste von ihr entfernten. Auf Elba sah sie ihn täglich. Es verging nie ein Tag, an dem Napoleon sich nicht persönlich nach dem Befinden seiner Mutter erkundigt hätte. Oft besuchte auch sie ihn oder fuhr mit ihm spazieren. Anfangs, als ihre Wohnung noch nicht vollkommen eingerichtet war, speiste sie sogar mit dem Kaiser. Kurz, Napoleon sorgte bis ins kleinste dafür, dass seiner Mutter der Aufenthalt so angenehm wie möglich gemacht wurde.

So verbrachte Letizia ihre Tage in ruhiger Abgeschiedenheit auf Elba. Die Sorge um die Armen, Handarbeiten und Lektüre füllten sie aus. Besonders liess sie sich gern über die grossen Taten ihres ruhmreichen Sohnes vorlesen. Vor ihr auf dem Tisch, an dem sie gewöhnlich sass, stand ein Bild Napoleons, umgeben von den Bildnissen ihrer anderen Söhne, Töchter, Enkel und Enkelinnen. So befand sich die Mutter, obgleich fern von den meisten ihrer Familie, doch im Kreise der Ihrigen.

Erst als Prinzessin Pauline in Porto Ferraio eingetroffen war, öffnete auch Madame Mère ihre Salons den Elbanern, die sie sehr verehrten. Merkwürdigerweise zeigte sie, die in Paris alle Oeffentlichkeit gescheut hatte, sich jetzt öfter in Gesellschaft. Konnte sie doch hier in ihrer geliebten Muttersprache reden, ohne befürchten zu müssen, belächelt zu werden.

Napoleon vergalt ihr die Fürsorge, die sie ihm angedeihen liess, in reichem Masse; er erkannte, welche Opfer ihm seine Mutter gebracht hatte und noch bringen würde, wenn es sein müsste. Sie war die einzige von der ganzen Familie, die fühlte, was sie Napoleon verdankte. Als sie später von dem Uebergang Murats zu den Verbündeten erfuhr, schrieb sie in höchster Entrüstung an ihre Tochter Karoline: «Wenn Du Deinem Gatten nicht befehlen konntest, so musstest Du ihn bekämpfen! Welche Kämpfe aber hast Du geliefert! Ueber Deinen Leib hinweg nur durfte Dein Gatte Deinen Bruder, Deinen Wohltäter, Deinen Gebieter töten!» Das war die Korsin.

Aber auch in Elba blieben der Mutter die Sorgen um den Sohn nicht erspart. Es kamen ihr Gerüchte zu Ohren, dass man auf dem Wiener Kongress, besonders aber im englischen Kabinett, die Absicht hege, Napoleon auf eine entfernte einsame Insel zu verbannen, wo er für immer für Europa unschädlich sein würde. Ferner zahlte man ihm die festgesetzte Rente nicht aus, und weder Letizia noch Pauline erhielten etwas von den Unterhaltungsgeldern, die ihnen die französische Regierung zugesprochen hatte. Bis auf ein Wertpapier von 500 000 Piastern hatte Madame Mère alle ihre Wertsachen dem Sohne zur Bestreitung seiner Ausgaben gegeben. In ihrem Innern zitterte sie vor der Zukunft. Nicht vor der pekuniären Not bangte ihr, sondern vor der Schmach, dass ihr grosser Napoleon in der Verbannung einen unehrenhaften, ruhmlosen Tod erleiden sollte. Das beunruhigte Letizias Seele, ohne dass sie jedoch ihren starken Mut und ihre Zuversicht verlor.

Währenddessen reiften in des Kaisers Kopf kühne Pläne. Seine Lage auf Elba ward immer bedenklicher. Nur rasches Handeln, ein Gewaltstreich, wie er noch nie erlebt worden war, konnte ihn retten! Er beschloss, nach Frankreich zurückzukehren.

Es wird behauptet, Letizia und auch Pauline hätten von diesem Unternehmen lange vorher gewusst. Die Schwester soll sogar mehrere Reisen zu seiner Vorbereitung nach Italien unternommen haben. Für Letizias Anteilnahme an dem Plane sind jedoch nicht die geringsten Beweise vorhanden. Sie selbst erzählt in ihren leider unvollendeten Erinnerungen: «Eines Abends erschien mir der Kaiser heiterer als gewöhnlich. Er forderte mich und Pauline zu einer Partie Karten auf, aber schon einen Augenblick später verliess er uns und ging in sein Arbeitszimmer. Da er nicht wieder zurückkam, lief ich zu ihm, um ihn zu rufen. Der Kammerherr sagte mir, er sei in den Garten gegangen. Ich erinnere mich, es war ein wunderschöner lauer Frühlingsabend. Der Mond schien durch die Bäume. Mit eiligen Schritten ging der Kaiser ganz allein auf den Wegen auf und ab. Plötzlich hielt er in seiner Wanderung inne, lehnte den Kopf an einen Feigenbaum und seufzte: «Ich muss es aber doch meiner Mutter sagen!» – Als er dies sprach, näherte ich mich ihm und rief erregt aus: «Was haben Sie heute abend? Ich sehe, Sie sind nachdenklicher als sonst.»

Die Hand gegen die Stirne gepresst antwortete der Kaiser mir nach einigem Zögern: «Ja, ich muss es Ihnen sagen. Aber ich verbiete Ihnen, das Geheimnis, das ich Ihnen anvertraue, irgendwem zu erzählen. Sie dürfen es nicht einmal Pauline verraten.» Darauf lächelte er, küsste mich und fuhr fort: «Heute nacht reise ich ab!» – «Wohin?» – «Nach Paris. Vorher aber bitte ich um Ihren Rat.» – «Ach! Lassen Sie mich einen Augenblick vergessen, dass ich Ihre Mutter bin!» – Ich dachte eine Weile nach und fügte hinzu: «Der Himmel wird es nicht zugeben, dass Sie durch Gift oder in einer Ihrer unwürdigen Abgeschiedenheit sterben, sondern nur mit dem Degen in der Hand! Und so reisen Sie, mein Sohn, und folgen Sie Ihrer Bestimmung.»»

Am 26. Februar 1815 verliess Napoleon die Insel, Mutter und Schwester der Obhut der Elbaner überlassend. Letizia wollte so lange in Porto Ferraio bleiben, bis sie Nachricht hatte, dass ihr Sohn in Lyon angelangt sei. Nur Pauline, die es eilig hatte, wieder ins Leben zu kommen, liess sie nach Rom abreisen. Ende März verliess auch Madame Mère nicht ohne Bedauern die stille Insel. Hatte sie doch dort in einer gewissen Zufriedenheit gelebt. Jetzt sollte sie von neuem ein Leben voll Aeusserlichkeiten beginnen.

Zuerst begab sich Letizia nach Neapel zu ihrer Tochter Karoline. Von dort aus trat sie am 20. April mit dem getreuen Fesch ihre letzte Reise nach Frankreich an. Ueber Lyon begab sich die Kaisermutter nach Paris, wo ihr Sohn sich zum zweitenmal den Thron erobert hatte. Dort kam sie am Abend des 1. Juni an. An diesem Tage hatte das Fest auf dem Maifelde stattgefunden, bei welcher Gelegenheit der Eid auf die Verfassung geleistet wurde. Der Kaiser hatte ihn auf einem Throne sitzend feierlich seinen Untertanen abgenommen. Die ganze Familie war um ihn versammelt, nur die Mutter fehlte, trotz der gegenteiligen Behauptung mancher ihrer Biographen.

Der so leicht wiedergewonnene Thron des Sohnes aber stand auf schwankenden Füssen. Das französische Volk hatte Napoleon den Treueid nur mit den Lippen geleistet, nicht mit dem Herzen. Die erste Niederlage, die er erlitt, stürzte ihn von neuem in den Abgrund, und diesmal war er rettungslos verloren. Vergebens hatte er bei Waterloo auf dem Schlachtfelde mit dem Degen in der Hand den Tod gesucht, wie es seine Mutter wünschte. Ihm, dem grossen Helden, dem Schlachtenmeister sollte eine qualvolle Verbannung, auf einer rauhen Insel des Weltmeeres ein ruhmloses Hinsterben in Abgeschiedenheit und Vergessenheit beschieden sein.

Noch aber wusste Frau Letizia nicht das ganze, schmachvolle Unglück. Noch wusste sie nicht, dass ihr Sohn zum zweitenmal seinen Thron aufgegeben hatte! Erst in Malmaison, wohin sich der Kaiser die letzten Tage zurückgezogen hatte, musste sich die Mutter überzeugen, dass alles Wahrheit war, was man ihr nach und nach über das Geschick ihres Sohnes hinterbracht hatte. Napoleon war seelisch und physisch gebrochen. Er hatte die Absicht, nach Amerika zu gehen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Seine Mutter, Joseph und Lucien, der im Unglück zu ihm geeilt war, wollten seine Verbannung teilen. Letizia hatte nur einen Wunsch: ihre letzten Lebensjahre mit ihrem unglücklichen Sohne zu verbringen, ihm, so gut sie konnte, Trost zu spenden und einst an seiner Seite zu sterben.

Der Tag kam heran, an dem sie von ihrem Napoleon Abschied nehmen musste. Aber noch hatte sie ja die Hoffnung, ihm bald zu folgen! Auch jetzt zeigte Letizia sich als Heldin. Weder ihr Gesicht noch ihre Stimme verrieten die Bewegung ihrer Seele, als sie dem Kaiser zum letztenmal die Hand zum Lebewohl reichte. Erst als sie ihn küsste, liefen ihr zwei grosse Tränen aus den traurigen Augen über die blassen Wangen; im bittern Schmerz pressten sich die schmalen Lippen aufeinander. Die Gemütsbewegungen der letzten Tage waren aber selbst für diese Frau zuviel. Sie war ausserstande, Paris vor dem Einzuge der verbündeten Herrscher zu verlassen. Erst am 19. Juli reiste sie unter der grössten Anstrengung in Begleitung Feschs von der Hauptstadt ab. Ueber die Schweiz suchte sie von neuem eine Zuflucht in Italien, wo sie der gütige Pius wieder in Rom aufnahm.

Dankerfüllt schrieb sie durch Vermittlung des Kardinals Consalvi dem Papste: «Ich bin wirklich die Mutter aller Schmerzen. Der einzige Trost, der mir geblieben, ist, dass der Heilige Vater das Vergangene vergisst und sich nur der Güte erinnert, die er allen Mitgliedern meiner Familie erweist ... Wir finden nur bei der päpstlichen Regierung Schutz und unsere Dankbarkeit für eine solche Wohltat ist gross.»

So lebte die Mutter des verbannten Kaisers der Franzosen endlich in Ruhe und Frieden. Ihr einziger Wunsch war und blieb, in St. Helena bei ihrem Sohne zu sein und sein freudloses Dasein ein wenig zu verschönen. Noch als 70jährige erneuerte sie die Bitte bei den verbündeten Mächten. Umsonst! Und wie gern hätte sie Napoleon geholfen! Unter ihren Kleidern verborgen wollte sie ihm alles bringen, was sie noch an Vermögen und Schätzen besass, ihm, dem grössten und unglücklichsten ihrer Kinder! Ihm, dem Begründer dieses Vermögens! Es war ihr versagt. Aber sie hoffte immer. Als die verbündeten Souveräne sich auf dem Aachener Kongresse versammelten, schrieb Letizia am 29. August 1818 an einen jeden von ihnen folgenden beredten, von der Mutterliebe eingegebenen Brief: «Eine über alle Massen betrübte Mutter hat seit langem gehofft, dass die Versammlung Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestäten ihr das Glück wiedergäbe. Es ist unmöglich, dass die lange Gefangenschaft des Kaisers Napoleon Ihnen nicht Gelegenheit gibt, sich über ihn zu unterhalten, und dass Ihre Seelengrösse, Ihre Macht, die Erinnerung an die vergangenen Ereignisse Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten nicht veranlassen, sich für die Befreiung eines Fürsten zu interessieren, der soviel Anteil an Ihren Interessen, ja sogar an Ihrer Freundschaft gehabt hat.

Wollen Sie in einer qualvollen Verbannung einen Souverän zugrundegehen lassen, der im Vertrauen auf seinen Feind sich in dessen Arme warf? Mein Sohn hätte den Kaiser, seinen Schwiegervater, um eine Zuflucht bitten können; er hätte sich dem grossen Charakter des Kaisers Alexander anvertrauen und sich zu seiner Majestät dem König von Preussen flüchten können, der sich gewiss bei einer solchen Bitte nur seiner früheren Allianz erinnert haben würde. Kann England ihn für das Vertrauen bestrafen, das er ihm bewiesen hat?

Der Kaiser Napoleon ist nicht mehr zu fürchten. Er ist krank. Und wäre er auch bei voller Gesundheit, hätte er auch alle Mittel, die die Vorsehung ihm einst in die Hände gab, so verabscheut er doch aus tiefstem Grunde seines Herzens den Bürgerkrieg.

Sire, ich bin Mutter! Das Leben meines Sohnes ist mir teurer als mein eigenes. Verzeihen Sie um meines Schmerzes willen die Freiheit, die ich mir nehme, an Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten diesen Brief zu richten.

Lassen Sie eine Mutter, die sich über die lange Grausamkeit gegen ihren Sohn beschwert, diesen Schritt nicht vergebens tun!

Im Namen des Allergütigsten, dessen Ebenbild Eure Kaiserlichen und Königlichen Majestäten sind, veranlassen Sie, dass die Qualen meines Sohnes aufhören! Verwenden Sie sich für seine Freiheit! Dies fordere ich von Gott und von Ihnen, die Sie seine Stellvertreter auf Erden sind!

Die Staatsgründe haben hier Grenzen, und die Nachwelt, die alles unsterblich macht, bewundert vor allem die Grossmut der Sieger.»

Der Brief, der Schmerzensschrei einer Mutter, blieb unbeantwortet. Nur die Erinnerung an Napoleon, an sein grosses Genie, seine Tatkraft und seine unsterblichen Handlungen konnte man der Mutter nicht entreissen. Täglich dachte sie seiner, schloss ihn in ihre Gebete ein und wand im stillen einen Glorienschein um sein Haupt. Ihre Tränen allein waren ein Trost für sie. Sie sollte noch viele Jahre den Schmerz mit sich herumtragen, der eine schwächere Natur vielleicht getötet hätte.

Trotz allem versuchte Letizia des öfteren, ihrem Sohne Unterstützungen zukommen zu lassen. Aber die Sendungen gelangten fast nie in seinen Besitz. Die Briefe wurden aufgefangen oder dem Kaiser geöffnet übergeben. Nur einmal erhielt er von seiner Mutter 100 000 Franken, um die er sie gebeten hatte, damit er sich das Leben ein wenig erträglicher machen konnte. Wie gerne hätte sie ihm alles gegeben, was sie besass, besonders als er krank war! Für ihn sparte sie ja, für ihn allein suchte sie ihr Geld zusammenzuhalten. Sie meinte immer, ihm Rechenschaft ablegen zu müssen, weil sie all den Reichtum erst durch ihn erlangt hatte. Fast war sie die einzige von der ganzen Familie, die nicht mittellos dastand. Alles hatte sie um sich her versinken sehen. Ihre Söhne und Töchter waren von ihren Thronen verstossen, andere Herrscher hatten diese eingenommen. Manche von Letizias Kindern befanden sich direkt in Not. Sie allein hatte im Glück nicht vergessen, dass es unbeständig ist. Jetzt konnte sie helfen. Und sie half, soweit sie es vermochte.

Jérôme war das ärmste ihrer Kinder. Er konnte am wenigsten rechnen und war am verschwenderischsten. «Wenn man nicht mehr König ist, so ist es lächerlich, als solcher leben zu wollen», sagte ihm die Mutter wohl bisweilen, aber sie gab ihm doch mit vollen Händen. Und nicht nur ihm, sondern auch den andern. Elisa, Lucien, sogar Karoline suchten von der Mutter Geld zu erhalten. Drängten sie allzusehr, dann sagte sie ihnen allerdings auch, dass sie ihr Vermögen zusammenhalten müsse, denn es gehöre nicht ihr, sondern dem Kaiser. Uebrigens verlor sie bereits im Jahre 1816 die Pension von 300 000 Franken, die ihr durch den Vertrag vom 11. April 1814 von der französischen Regierung ausgesetzt worden war. Durch ein Gesetz vom 12. Januar 1816 war alles Eigentum der Familie Bonaparte für beschlagnahmt erklärt worden.

Letizias grösster Trost in Rom blieben die Beziehungen zu ihren Kindern und Kindeskindern. Mit ihnen stand sie in regem Briefwechsel. Am liebsten hätte sie alle um sich versammelt und in ihrer Mitte gelebt. Aber nur einigen war es gestattet, die Mutter zu besuchen oder in den letzten Jahren ihren Aufenthalt zu teilen. Von dem teuersten aber, der ihr am meisten ans Herz gewachsen war, von ihrem kleinen Napoleon in Wien, hörte sie nichts. Er war sowohl für den Vater als auch für die Grossmutter tot. Nur seine Kinderbildnisse waren Letizia geblieben. Sie hatte sie alle mit den übrigen Familienbildern in ihrem Salon aufgestellt. Fühlte sich die alte Dame einsam und verlassen, dann unterhielt sie sich auf ihre Weise mit den Abwesenden.

Alles in der Umgebung der Kaisermutter war ernst und düster, gleichförmig und still. Sie empfing nur wenige Leute. Fremde hatten fast nie Zutritt. Nur bisweilen machte sie davon eine Ausnahme, wenn sie ihr Nachrichten von dem verbannten Sohne brachten. So war sie sehr glücklich über den Besuch des Doktors O'Meara, der Napoleon eine Zeitlang auf St. Helena gepflegt hatte. Auch mit Lord Holland unterhielt sie sich gern, denn er war ein Verteidiger des Gefangenen. Im März 1819 hatte Marie Luise die Absicht, als sie mit ihrem Vater durch Italien reiste, die Mutter Napoleons aufzusuchen. Da sie jedoch nicht wusste, wie sie aufgenommen werden würde, liess sie Letizia durch den österreichischen Gesandten in Rom von ihrem Plane unterrichten. Ungläubig schüttelte die Matrone den Kopf. «Was Sie mir da sagen, Herr Gesandter», erwiderte sie ernst, «erstaunt mich wirklich. Sie tun meiner Schwiegertochter unrecht, wenn Sie glauben, sie mache grosse Reisen, anstatt sich zu ihrem unglücklichen Gatten nach Sankt Helena zu begeben. Die Frau, von der Sie mir sprechen, kann nicht meine Schwiegertochter sein. Ohne Frage ist es eine Abenteurerin, die sich mit meinem Namen schmückt. Und Abenteurerinnen empfange ich nicht!» Damit wusste Marie Luise genug.

Bald aber räumte der Tod unter den Reihen derjenigen auf, die Letizia lieb hatte. Ihre Tochter Elisa machte den Anfang im Jahre 1820. Im nächsten Jahr traf die Mutter der härteste Schlag, der sie treffen konnte: der Tod Napoleons. Sie erfuhr ihn erst zweieinhalb Monate später, am 22. Juli. Ihr Schmerz war unbeschreiblich und löste sich in heissen Tränen aus. Als sie aber etwas später den Arzt ihres Sohnes, den Doktor Antommarchi empfing, zeigte sie die grösste Selbstbeherrschung und fragte ihn immer wieder über alle Einzelheiten des Lebens Napoleons aus, unaufhörlich die Tränen zurückdrängend. Sie konnte sich kaum beruhigen, dass ihr grosser Sohn unter solchen Leiden, und einsam wie ein Ausgestossener, gestorben war. Da man ihr nicht gestattet hatte, mit ihm zu leben, wollte sie wenigstens seinen Leichnam in ihrer Nähe bestatten. Aber man gewährte ihr auch das nicht.

Bisher war Letizias Dasein mehr als einsam gewesen, jetzt verschloss sie sich ganz der Aussenwelt. «Mein Leben», sagte sie selbst, «hörte mit dem Sturze Napoleons auf. Als ich meinen Sohn nach Sankt Helena überführen sah, sagte ich mir: Du, die Mutter dieses Mannes, du musst jetzt die Welt vergessen; es gibt kein Glück mehr für dich. Dein Sohn ist unglücklich; du wirst von nun an traurig und einsam sein.» Und von seinem Tode an war für Letizia das Leben nur noch ein Hindämmern, ein Träumen von Vergangenem. Denn sie sprach wenig über die Tage des Glücks. Nur das Unglück ihrer Familie erwähnte sie bisweilen. «Mein Sohn», sagte sie dann wohl traurig, «ist gestürzt worden. Fern von mir ist er elend zugrunde gegangen. Meine anderen Kinder sind verbannt; eins nach dem andern sehe ich sterben. Sogar diejenigen meiner Enkel, die am meisten versprachen, scheinen alle bestimmt zu sein, von dieser Welt zu verschwinden. Ich bin alt und verlassen, ohne Glanz, ohne Ehre! Und doch würde ich mein Dasein nicht gegen dasjenige der ersten Königin der Welt vertauschen wollen!» Sie hatte den Becher noch nicht ganz geleert. Nichts sollte ihr erspart bleiben.

Glücklicherweise ward ihr jetzt wenigstens die Freude, einige ihrer Kinder in Rom um sich zu haben. Mehrere Mitglieder der Familie Bonaparte, worunter Lucien, Louis, Fesch und Pauline, schienen, da Napoleon nun tot war, den Regierungen nicht mehr verdächtig. Madame Mère selbst hätte sogar, wenn sie gewollt, nach Frankreich zurückkehren können. Sie wollte nicht. «Ich habe meine Kinder in ihrem Unglück und Schmerz nicht verlassen, und werde sie jetzt ebensowenig wie früher verlassen. Ich will lieber mit ihnen aus Frankreich verbannt sein, als dort ohne sie leben», sagte sie.

Im Jahre 1825 wurde die schwergeprüfte Frau wiederum durch Trauer heimgesucht. Ihre Tochter Pauline, die Letizia trotz ihrer Fehler und ihres leichtsinnigen Lebens am meisten geliebt hatte, starb am 7. Juni. Und am Ende desselben Jahres verlor sie auch ihre alte treue Dienerin Saveria durch den Tod. Alle, alle starben um sie her, nur sie verschonte der Tod.

Sie war jetzt nahezu achtzig Jahre alt. Ihre einst aufrechte stolze Gestalt war verfallen und hager. Aber die schwarzen Augen glänzten noch unter dem Turban, den sie nach der Mode des Kaiserreiches trug. Im übrigen kleidete sie sich stets in tiefe Trauer. Ihr Mund schien das Lächeln, das ihn einst so anziehend gemacht hatte, verlernt zu haben. Als sie jedoch der Geschichtsschreiber Capefigue im Jahre 1835 besuchte, fand er Letizias Züge, obwohl sie fast ganz erblindet war, noch schön. Er nannte ihren Kopf eine «antike Kamee der Agrippina».

Die liebsten Erinnerungen waren Letizia die Totenmaske Napoleons, die der Doktor Antommarchi von dem Gesicht des Kaisers geformt und der Mutter übergeben hatte, sowie eine kleine Büste des Königs von Rom. Von diesem hatte sie nie etwas erfahren. Sie hatte zwar bisweilen indirekte Nachrichten über das Leben ihres Enkels erhalten, aber sie waren mehr oder weniger ungenau. Sie wusste nicht einmal, dass man ihm alles, was die Geschichte seines Vaters betraf, verschwieg. Verschiedene Male schrieb Letizia an die Herzogin Marie Luise von Parma oder an den Kaiser von Oesterreich selbst, um etwas über das Kind ihres Sohnes zu erfahren. Aber die Briefe blieben unbeantwortet. Erst im Jahre 1832 erhielt die Grossmutter nähere Nachricht von ihrem Enkel. Dessen ehemaliger Erzieher, Graf Prokesch- Osten, hatte Madame Mère auf einer Reise durch Rom am 21. Juli einen Besuch abgestattet. Sie war tief bewegt von allem, was der Graf ihr erzählte. Sie fragte ihn lebhaft über jede Einzelheit des Charakters Napoleons II. Sie fand auch, dass er sehr viele ähnliche Charakterzüge mit seinem Vater haben müsse. Als Prokesch sich von der einstigen Kaisermutter verabschiedete, schien sie, die in einem Lehnsessel sass, sich mit aller Kraftanstrengung aufrichten zu wollen. Ihre Enkelin Charlotte, die Tochter Luciens, war ihr dabei behilflich. Letizias Person schien zu wachsen und ganz von majestätischer Würde umhaucht zu sein. Prokesch fühlte, dass sie zitterte. Da legte sie die alten, schmalen Hände auf sein Haupt. Er ahnte, was Letizia zu tun wünschte. Still kniete er vor ihr nieder, und sie segnete ihn mit den Worten: «Da ich nicht bis zu ‹ihm› gelangen kann, so nehmen Sie an seiner Statt den Segen seiner Grossmutter entgegen, die bald diese Welt verlassen wird. Meine Gebete, meine Tränen, meine Wünsche werden bis zum letzten Augenblick meines Lebens für ihn sein. Bringen Sie ihm das, was ich Ihrem Herzen anvertraue!» Darauf küsste sie den Freund und Erzieher ihres Enkels und blieb noch lange schweigend über ihn gebeugt.

Prokesch wusste nicht, dass sein Zögling schon am Tage nach dieser Zusammenkunft mit Madame Mère nicht mehr am Leben war. Er erfuhr es erst einige Zeit später in Bologna. Letizia erhielt die Trauerbotschaft durch ihre Schwiegertochter selbst. Sie war untröstlich und liess Marie Luise durch Fesch schreiben.

Jetzt waren es der Schicksalsschläge genug. Da Letizia im Jahre 1830 durch einen Fall während eines Spazierganges einen Oberschenkelbruch erlitten hatte, war sie für die letzten Jahre ihres Lebens gelähmt und fortan ans Zimmer gefesselt. Sie hatte oft die entsetzlichsten Schmerzen zu leiden, wollte sich jedoch keiner Operation unterziehen, wie es die Aerzte rieten. Endlich, am 2. Februar 1836, machte der Tod ihrem Leiden ein Ende. An ihrem Sterbelager standen von ihren Kindern nur Jérôme und Alexandrine, die Gattin Luciens. Die Mutter Napoleons starb, «aller Verehrung würdig» und mit der Hoffnung, dass doch einmal der Tag kommen werde, an dem auch Frankreich wieder ihrer Familie die Tore öffne.


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