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Drittes Kapitel

Katharina II.

Katharina II.
Gemälde von Schebanoff, Stich von James Walker

Sie ist das grösste weibliche Genie, das je auf einem Throne sass. Der mächtigen Zarin Elisabeth von Russland, die sich ganz dem Genussleben hingab, hatte Katharina es zu verdanken, dass sie nach Petersburg kam, als sie fast noch ein Kind war. Eine kleine deutsche Prinzessin von Anhalt-Zerbst war sie, die bis zu ihrer Berufung als russische Grossfürstin in grösster Bescheidenheit gelebt hatte. Elisabeth, die Tochter Peters des Grossen, die sich 1741 durch einen Staatsstreich selbst zur Zarin erhoben hatte, wurde von den Russen vergöttert. Aber sie hatte keinen rechtmässigen Thronerben. Und so bestimmte sie zu ihrem Nachfolger ihren Neffen, Peter von Holstein-Gottorp. Für ihn hatte sie dann die kaum 14jährige Prinzessin von Anhalt-Zerbst befohlen. Ja, befohlen! Denn auf den Befehl der Zarin reiste die hochbeglückte Mutter Katharinas – sie hiess damals noch Sophie – mit ihr nach Russland zur Brautschau. Ein Leben voll Glanz und Reichtum erwartete die junge Prinzessin, die nicht nur über die Pracht und die Verschwendung am Zarenhofe erstaunte, sondern auch weit die Augen öffnete vor den lockeren Sitten der vom Volke angebeteten mächtigen Zarin. Aber dieses kleine, kluge Mädchen verstand bereits ihren Vorteil aus den Verhältnissen zu ziehen, sich beliebt zu machen und sich Freunde zu schaffen. So jung sie war, begriff Katharina doch sofort, dass die Aussicht auf die Zarenkrone kein geringes Geschenk des Schicksals für sie sei. Als wäre sie von Kindheit auf an einem so glänzenden Hofe wie dem russischen aufgewachsen, fand sie sich bei aller Bescheidenheit ihres Wesens rasch in ihre zukünftige bevorzugte Stellung. Trotz ihrer grossen Jugend fühlte sie sich vom ersten Tage ihres Erscheinens in Petersburg ihrer schwierigen Lage in jeder Weise gewachsen. «Elle se plaît aux grandeurs qui l'environnent», schrieb ihre Mutter an Friedrich den Grossen, und Katharina selbst bemerkte später in ihren Memoiren, als sie von ihrem Bräutigam sprach: «Er war mir ziemlich gleichgültig, aber die Krone von Russland war es nicht.»

Die Kaiserin schien indes sehr zufrieden mit der Wahl der Braut für ihren Neffen und Thronfolger zu sein. Prinzessin Sophie gefiel ihr; sie fand ihre Eigenart entzückend und überhäufte sie mit Gnadenbezeugungen. Bald war auch der ganze Hof von der jungen, frischen, zukünftigen Grossfürstin begeistert.

Trotz ihrer grossen Jugend sah Sophie gleich anfangs, dass dieser junge, krankhafte und infolge einer ganz falschen Erziehung bereits lasterhafte Mensch nicht der Mann war, von dem sie sich in ihrer Ehe Glück versprechen durfte. Er bildete in jeder Hinsicht einen jammervollen Gegensatz zu ihrem Charakter und zu ihrem klaren Verstand. Grossfürst Peter war heftig, brutal, und gleichzeitig furchtsam und feige, prahlerisch, lügenhaft, kindisch. Die intelligente Katharina staunte mehr als einmal über seine grenzenlose Unwissenheit und über die Dreistigkeit, mit der er dennoch auftrat und sich der Heldentaten, die er nicht vollbracht, und seiner Liebesabenteuer rühmte. Denn der Sechzehnjährige hatte deren schon viele und scheute sich nicht, sie seiner zukünftigen Braut zu erzählen. Was ihm am meisten an der Prinzessin gefiel, sagte er, sei, dass sie seine Kusine wäre. Infolgedessen könne er ihr alle seine Geheimnisse anvertrauen. Er brachte ihr kein anderes Interesse entgegen, als das der Verwandtschaft, und doch hatte Katharina alles für sich, was sie in den Augen eines jungen Mannes hätte begehrens- und liebenswert machen können. Sie war für ihr Alter bereits sehr entwickelt, gross und wohlgebaut. Dunkle, weiche Locken, die immer reizend geordnet waren, umrahmten ein angenehmes, frisches Gesicht mit einem lachenden Kindermund und schönen ausdrucksvollen Augen. Dieses kluge, frühzeitig entwickelte junge Mädchen versprach einst eine sehr begehrenswerte Frau zu werden. Es ist erstaunlich, wie gut sie schon damals die Menschen zu beurteilen verstand. Es war ihr sofort klar, dass sie sich vor allem die Zuneigung der Kaiserin Elisabeth sichern musste und es nicht besser konnte, als wenn sie ganz nach ihren Wünschen handelte. Sie staunte über Peters Unvorsichtigkeit und den Mangel an Urteil über viele Verhältnisse, zog jedoch den Nutzen daraus, dass sie um so besser «die Verhältnisse zu beurteilen» verstand.

Um in Russland festen Boden zu gewinnen und eine Rolle zu spielen, musste Katharina vor allen Dingen Russin werden. Das wusste sie. Peter hingegen wollte weder von der russischen Sprache, noch von den Sitten und Gebräuchen des Landes, noch von der griechischen Religion etwas wissen. Man liebte ihn deswegen nicht, sondern sah in ihm nur den Fremdling. Die junge deutsche Prinzessin hingegen interessierte gerade die russische Sprache am meisten. Während sich ihr zukünftiger Bräutigam mit allen möglichen Kindereien im Kreise seiner Dienerschaft abgab, suchte die kleine Ehrgeizige soviel wie möglich zu lernen. Um recht schnelle Fortschritte zu machen, stand sie sogar nachts auf, wenn alles um sie herum schlief, und studierte barfüssig und im dünnen Nachthemd eifrig die russische Grammatik, die ihr Lehrer Adaduroff ihr gegeben. Es war mitten im Winter. Die Folge davon war, dass sie sich erkältete und eine gefährliche Brustfellentzündung zuzog. Vier Wochen lang schwebte sie zwischen Leben und Tod. Das Gerücht von ihrer Erkrankung verbreitete sich bald nicht nur am ganzen Hofe, sondern im ganzen Lande und verschaffte ihr noch grössere Sympathien. Man war im Innersten gerührt von diesem jungen Mädchen, das im eiskalten Winter nachts aufstand, um so schnell wie möglich die Sprache des Volkes zu lernen, über das es einst an der Seite des künftigen Zaren regieren sollte.

Beinahe hätte Katharinas Geschick jedoch eine andere Wendung genommen; die Krone von Russland hätte auf einem andern als auf Katharinas Haupt gestrahlt! Und schuld daran wäre allein die Mutter gewesen. Es gab stürmische Auftritte zwischen der Kaiserin Elisabeth und der Fürstin Johanna, die sich unklugerweise in die Intrigen gegen die Minister und Günstlinge Elisabeths eingelassen hatte. Sie hatte sich durch einen Briefwechsel mit dem französischen Gesandten Chetardies stark kompromittiert. Es wäre dieser unklugen Frau teuer zu stehen gekommen, hätte ihre Tochter damals nicht das ganze Vertrauen der Kaiserin besessen. Elisabeth begnügte sich, die Fürstin mit Verachtung zu strafen und sie, sobald die Hochzeitsfeierlichkeiten vorüber waren, von ihrem Hofe und aus Russland zu entfernen. Während einer solchen aufregenden Szene zwischen der Kaiserin und der Fürstin Johanna, die in Tränen vor der leidenschaftlich erregten Zarin lag, befanden sich der Grossfürst und die Prinzessin in einem nicht weit davon gelegenen Zimmer. Wie echte Kinder sassen sie auf dem Fensterbrett und lachten gerade recht lustig miteinander, als plötzlich der Günstling Lestocq hereintrat und ziemlich barsch zu beiden sagte, diese Heiterkeit werde bald ein Ende haben. Die Prinzessin solle nur anfangen, ihre Koffer zu packen; denn sie werde bald nach Deutschland zurückreisen müssen. «Es war mir klar», schrieb Katharina 40 Jahre später über diese Szene, «dass der Grossfürst mich ohne Bedauern hätte gehen lassen ... Mein Herz prophezeite mir nichts Gutes. Nur der Ehrgeiz hielt mich aufrecht.»

Ehrgeiz, Willenskraft und Eitelkeit waren bereits in diesem Kind stark entwickelt. Mit einer Ausdauer sondergleichen hatte es sich dem Studium der russischen Sprache ergeben, mit dem gleichen Ehrgeiz nahm die damals noch gläubige Lutheranerin den griechisch- katholischen Glauben an. Die kleine Prinzessin war nun nicht mehr die kleine Sophie, die mit zagendem Schritt die Schwelle des Tempels mit den goldstrotzenden Heiligenbildern überschritten hatte: als Grossfürstin Katharina Alexeiewna verliess sie die Kirche.

Dieselbe Katharina, die damals in der Kirche des Galavinski Dvarets so andächtig gekniet und die Worte in heiliger Scheu gesprochen hatte: «Ich glaube und bekenne, dass der Glaube nicht allein zu meiner Rechtfertigung genügt ...», spottete später als echte Schülerin Voltaires über die Bekehrungen im allgemeinen.

Die junge Katharina hatte keine Veranlassung, sich die Zukunft an der Seite eines solchen Gatten wie Peter schön und glücklich auszumalen. Sie fühlte sich bitter in ihrem Stolze gekränkt, beklagte sich aber gegen niemand. Ihr grenzenloser Ehrgeiz gewann immer die Oberhand. Sie weinte oft in ihrem Zimmer heisse Tränen, sobald sie aber von einer ihrer Hofdamen dabei überrascht wurde, verschwieg sie den wahren Grund. Der Gedanke, Mitleid zu erregen, war dieser Frau schon damals unerträglich. Dann hatte sie auch gleich anfangs begriffen, dass mehr als in jedem anderen Lande Geschenke Freunde machen. Sogar ihr Bräutigam kostete sie in dieser Hinsicht eine Menge Geld; denn er war sehr begierig auf Geschenke.

Es war keine rosige Brautzeit, die Katharina erlebte. Während der Grossfürst sich fast gar nicht um sie kümmerte und nur Interesse für kindische Spielereien hatte, liess sich Katharina die Werke Plutarchs, Ciceros und Montesquieus empfehlen und verschaffte sie sich so rasch wie möglich. Mit fünfzehn Jahren war sie fleissig wie ein reifer Mensch.

Ihr Aufenthalt in Moskau ging indes seinem Ende zu. Man bereitete sich langsam auf die Hochzeitsfeierlichkeiten vor, die in Petersburg stattfinden sollten. Im November trat die junge Prinzessin mit ihrem Verlobten die Reise nach der Hauptstadt an. Aber in Hatiloff musste Peter anhalten, weil er an den Pocken erkrankte. Aengstlich entfernte Elisabeth die junge Braut, die mit ihrer Mutter den Weg fortsetzte, während die Kaiserin selbst nicht von dem Krankenbett ihres Neffen wich. Katharina hatte jetzt zum ersten Male Gelegenheit, ihrem Bräutigam Briefe zu schreiben, und zwar in russischer Sprache. Es waren richtige Liebesbriefe mit jenen zärtlichen Koseworten, an denen die slawischen Sprachen so reich sind. Aber nicht Katharina war die Verfasserin jener zarten Beweise ihrer bräutlichen Liebe, sondern ihr Lehrer Adaduroff.

Erst Ende Januar 1745 konnte Peter seiner Braut nach Petersburg folgen. Er war schon früher nicht schön gewesen, jetzt aber hatten ihn die Pocken so entstellt, dass man ihn kaum wiedererkannte. Sein schwächlicher Körper war noch länger und dünner geworden. Das ganze Gesicht war geschwollen und gerötet und mit tiefen, ganz frischen Narben bedeckt. Dazu trug er eine ungeheure Perücke, weil man ihm während seiner Krankheit die Haare abgeschnitten hatte. Katharina erschrak furchtbar über seinen Anblick; sie musste all ihren Mut zusammennehmen, um ihn zärtlich zu umarmen und zu küssen. Aber sie tat es.

Sie selbst war seit ihrer Krankheit zu einem reizenden Mädchen erblüht. Die Kaiserin Elisabeth war von der bezaubernden Anmut der zukünftigen Grossfürstin ganz entzückt und sagte ihr viele Schmeicheleien. Besonders hob sie Katharinas geschmackvolle Kleidung hervor. Sie war stolz auf die Prinzessin, die sie zur künftigen Zarin ausersehen hatte.

Noch nie hatte Petersburg eine so glänzende Hochzeitsfeier gesehen, wie die, welche die Zarin Elisabeth ihrem Neffen und seiner Braut bereitete. Aber als die Feste vorüber waren, langweilte Katharina sich in ihrer Ehe; denn sie hatte niemand, mit dem sie sich hätte unterhalten können. Mit der Zeit waren alle Personen von ihr entfernt worden, deren Gesellschaft ihr angenehm gewesen war. Die Zarin fing an misstrauisch zu werden. Kurze Zeit nach der Hochzeit musste auch Katharinas Mutter abreisen. Nun war sie, die Fremde, allein an jenem grossen Hofe, wo sie nur mit Vorbehalt den Freundlichkeiten und dem Entgegenkommen begegnen konnte. Die junge Grossfürstin weinte und fühlte eine grenzenlose Leere, eine grosse Einsamkeit in sich. Ihr Mann vermochte ihr nicht einmal diese Mutter zu ersetzen, die einen so geringen Platz in ihrem Herzen eingenommen hatte. Er empfand nicht die geringste Zuneigung für seine Frau. Vierzehn Tage nach der Hochzeit machte er sie bereits wieder zur Vertrauten in seinen Liebesangelegenheiten. Er konnte für sie keinerlei Halt und Stütze sein. Aber sie war erst 15 Jahre alt und hätte es nötig gehabt, geleitet und behütet zu werden. Statt dessen sah sie eine morbide Gesellschaft um sich herum.

In Peters Gesellschaft lebte eine Menge junger, hübscher, lebenslustiger Offiziere, die nicht alle nur Sinn für die Kindereien, die läppische Soldatenspielerei und die Gelage ihres Gebieters hatten. Manche unter ihnen besassen sogar Geist, Witz und poetischen Sinn und waren einem Flirt selbst mit der anmutigen Grossfürstin nicht abgeneigt. Schon ehe Katharina verheiratet war, hatte sich zwischen ihr, den Brüdern Tschernitscheff und einem ihrer Vettern ein sehr vertrauter Verkehr entwickelt. Die Gleichgültigkeit oder Blödigkeit Peters verhinderten ihn, in der Vertraulichkeit seiner Braut mit seinem Kammerherrn etwas anderes als Neckerei zu sehen. Im Gegenteil, er ermutigte Tschernitscheff noch, sich gewisse Zärtlichkeiten und Kosenamen gegen die Prinzessin zu gestatten. Als Katharina verheiratet war, spann sich der Flirt weiter. Da sie beide jung waren, konnten sie auch das gegenseitige Interesse schlecht verbergen. Die Umgebung und Dienerschaft der Grossfürstin hatte bald das Geheimnis erraten. Die Folge davon war, dass die Zarin es erfuhr, und dass die drei Tschernitscheffs vom Hofe entfernt und zu ihren Regimentern in der Nähe von Orenburg in Sibirien geschickt wurden. Das war eine halbe Verbannung. Der Flirt Andreas' kam sie teuer zu stehen. Der Schuldige verbrachte sogar eine Zeitlang im Gefängnis.

In der Einförmigkeit des Lebens in Oranienbaum erwachte in Katharina von neuem das Interesse für die Bücher, und es ist wirklich erstaunlich, wie diese junge Frau sich an einem Hofe, wo neben dem raffiniertesten Luxus die rohesten Sitten und das wüsteste Leben herrschten, ihre geistigen und literarischen Neigungen in ihr intimes Leben hat hinüberretten können. Weder ihr Gatte noch die Zarin gaben ihr ein Beispiel in dieser Beziehung. Blutjung war Katharina in diese Verhältnisse gekommen. Ihre Erziehung war nur sehr unvollständig gewesen; sie hatte niemand, der ihr einen Rat erteilen konnte; sie blieb vollständig auf sich selbst angewiesen. Gewiss war sie nicht die Frau, die an einem solch leichtfertigen Hofe ein zurückgezogenes Leben zu führen gedachte. Schon ihre natürliche Veranlagung sprach dagegen. Aber sie ging nicht unter in ihren Sinnen. Ihr grenzenloser Ehrgeiz und der Instinkt für die Rolle, die sie einst an der Seite eines Mannes wie Peter zu spielen hatte, hielten sie aufrecht. Sie wurde sich klar, dass das Schicksal sie mit diesem Schwächling nur äusserlich zusammengeführt hatte, und ihr persönliches ehrgeiziges Interesse, ihr tiefgehendes Streben nach allem Geistigen trieben sie vorwärts und schrieben ihr die Bahn vor, die sie einzuschlagen hatte. So arbeitete sie mit bewunderungswürdiger Energie an der Erziehung und Vollendung ihres eigenen Menschen, um so mehr, da sie täglich beobachten konnte, dass die russische Gesellschaft noch nicht einmal den Firnis abendländischer Geistesbildung besass.

Da sie jedoch sehr jung war und niemand hatte, der ihr Führer in ihrem geistigen Leben hätte sein können, so las sie im ersten Jahre ihrer freudlosen Ehe ausschliesslich Romane, und nicht immer die besten. Das erste Buch von wirklichem Wert für ihr Leben waren die Briefe der Madame Sévigné. Katharina verschlang sie förmlich und wurde später eine gewandte Jüngerin dieser geistreichen Briefschreiberin. Die Briefe der Kaiserin an Voltaire, an Grimm, an Diderot zeigen am deutlichsten, zu welcher Persönlichkeit sie sich entwickelte und wie sehr sie es liebte, Briefe zu schreiben. Ihre Briefe füllen ganze Bände.

Nach der Lektüre der Sévigné verfiel sie auf Voltaires Werke, dessen gelehrigste und begeistertste Schülerin sie wurde. Trotz Montesquieu, trotz Tacitus, Plato und vielen anderen Grossen blieb Voltaire stets ihr Meister, ihr Abgott, ihr Orakel. Sie hegte eine unbegrenzte Verehrung für den Philosophen von Ferney; mit unnachahmlichem Eifer studierte sie alles, was von ihm kam. Sie, die nicht besonders empfindsam war, strömte über in Bewunderung des Ausdrucks, wenn sie später von dem Manne sprach, dem sie ihr geistiges Leben verdankte, ohne ihn je persönlich gekannt zu haben. «Hören Sie», schrieb sie später einmal an Grimm, der ihren Briefstil gelobt hatte, «wenn wirklich Kraft, Tiefe und Anmut in meinen Briefen und meiner Ausdrucksweise sind, so danke ich alles Voltaire. Denn lange lasen, studierten und lasen wir von neuem alles, was aus seiner Feder kam. Ich kann wohl sagen, ich habe ein so feines Gefühl erlangt, dass ich mich nie über das getäuscht habe, was von ihm war oder nicht. Die Klaue des Löwen hat eine Weise, alles anzupacken, die noch kein Mensch bis jetzt nachahmen konnte.» Und nach diesem bedeutenden Vorbilde entwickelte sich Katharina langsam zu der grössten und freiesten Idealistin, die je auf einem Throne gesessen. Immer eifriger widmete sie sich dem Studium philosophischer, historischer und staatswissenschaftlicher Werke, gleichsam, als wolle sie sich für ihre künftige Regierungstätigkeit vorbereiten. Zu jener Zeit ihrer Entwicklung legte sie auch tagebuchartige Notizen an, in denen sich bereits jene optimistische Weltanschauung kundtut, der sie bis ans Ende treu blieb. In diesen Tagebuchblättern finden wir auch die ersten Anfänge ihrer Rechtspflege, ihrer Gesetzgebung und aller ihrer Regierungsprinzipien.

Währenddessen ging das Leben ihrer Ehe in vollkommener Banalität hin. Immer unerträglicher wurde ihr die Gesellschaft Peters. Die Jugend und ihr lebhaftes Temperament liessen sie jedoch auch während der Jahre ihrer geistigen Verinnerlichung nicht nur über Büchern hocken.

Es fehlte ihr nicht an Jugendfrische und der Lust zu allerlei Scherz und Streichen. Sie war eine gesunde Natur voll Leichtigkeit; der Gram über ihre traurige Ehe verzehrte sie nicht. Sie war gern in lustiger Gesellschaft und amüsierte sich, wo sie konnte. Scherz und Ernst, Arbeit und Genuss konnte sie gleichzeitig in ihrem reichen Charakter vereinigen, ohne dem einen oder dem andern zu schaden. Was die Gunst des Augenblicks ihr bot, wusste sie zu erfassen. Sie tanzte für ihr Leben gern und verfehlte nie die Gelegenheit dazu. Am meisten Vergnügen aber fand sie am Reitsport. Gleich nach ihrer Ankunft in Russland lernte sie reiten und betrieb es nachher mit wahrer Leidenschaft. Am liebsten ritt sie im Herrensattel. Da das jedoch die Kaiserin Elisabeth, die selbst eine vorzügliche Reiterin war, nicht gern sah, weil sie glaubte, es sei der Grund, warum Katharina keine Kinder bekomme, so hatte die junge Grossfürstin einen besonderen Trick erfunden. Sie hatte sich einen Sattel machen lassen, den man auf beide Arten benützen konnte. Sie schien gehorsam und unterwürfig gegen die Personen, die ihr zu gebieten hatten, aber im Innern war sie frei, unabhängig, eine Herrennatur und dem ganzen Hofe in allem überlegen. Vor ihr lag eine reiche Zukunft, Ruhm und Glanz, die volle Befriedigung ihrer wahren Herrschernatur. Trotz ihres Genusslebens dachte die Kaiserin Elisabeth bisweilen auch an die Zukunft des russischen Reiches, dessen Regierung nach ihrem Tode in den Händen ihres unvernünftigen Neffen Peter ruhen sollte. Längst hatte sie seine Fehler erkannt, aber längst auch war es ihr klar, dass die Grossfürstin Katharina keine gewöhnliche Frau sei, sondern sich einst eigenwillig ihre Stellung begründen würde, wie sie es selbst getan hatte. Sie liebte aber weder Peter noch Katharina.

Der Tod überraschte die alte Zarin am 5. Januar 1762. Er änderte vieles in der politischen Lage Europas, aber in Russland ging er ohne bemerkenswerte Zeichen vorüber. Peter III. bestieg ruhig, ohne irgendwelchen Widerstand von seiten des Volkes zu finden, den Zarenthron. Als Elisabeth ihren letzten Atemzug tat, befanden sich Peter und Katharina in ihrem Sterbezimmer. Der Senator Fürst Trubetzkoi proklamierte, aus dem Schlafzimmer der verstorbenen Kaiserin heraustretend, die Thronbesteigung des neuen Zaren.

Es schien, als wenn die ersten Schritte Peters III. als Herrscher von einer sehr vernünftigen Einsicht geleitet seien. Dieser günstige Eindruck wurde jedoch sehr bald durch Peters Bizarrerien aller Art verwischt. Er beging vor allem den grossen Fehler, das russische Volk in seinem Innersten zu verletzen, indem er alles Russische verbannte und es germanisieren wollte. Ausserdem schuf er sich in seiner klugen Frau seine grösste und gefährlichste Feindin. Friedrich der Grosse soll ihn gewarnt und ihm geraten haben, sich Katharinas Freundschaft zu erwerben. Peter achtete dieses wohlgemeinten Rates nicht. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn Katharina überhaupt nicht Kaiserin geworden wäre. Absichtlich wurde sie bei allen offiziellen Angelegenheiten übergangen. In dem Manifest, das am Tage der Thronbesteigung Peters bekanntgemacht wurde, ist weder ihr Name, noch der des kleinen Grossfürsten Paul, ihres Sohnes, genannt. Angeblich, weil Peter ihn nicht für seinen Sohn hielt. Sobald Peter die Macht in Händen hatte, rächte er sich für die Ueberlegenheit, die Katharina ihm bisweilen gezeigt, als er noch nichts zu sagen hatte. Er behandelte sie mit der grössten Verachtung. Sie hatte nicht den geringsten Einfluss auf Geschäfte und öffentliche Fragen und musste täglich die gröbsten Beleidigungen von ihrem Gatten über sich ergehen lassen. Die Kaiserin musste es sich auch gefallen lassen, dass Peters Geliebte die besten und schönsten Gemächer im Schlosse bewohnte, während sie selbst einen entlegenen Flügel angewiesen bekam. Elisabeth Woronzoff wurde überall mit Ehren überhäuft, während Katharina nur einen kleinen Hof Getreuer um sich versammelte. Sie befand sich in einer äusserst kritischen und gefahrvollen Lage, um so mehr, da sie in jener Zeit dem Grafen Bobrinski, dem Kinde Orloffs, das Leben schenkte.

Alle Zeitgenossen bemerkten damals ihr niedergedrücktes Wesen, aber auch ihre würdevolle Haltung ihrem Gemahl gegenüber. Es kam nie eine Klage über ihre Lippen; sie hatte nur Tränen zu ihrer Verteidigung. Man kannte in ihr kaum die kühne Grossfürstin wieder. Sie lebte ganz für sich und abgeschieden und schien sich gegen alles mit Philosophie zu wappnen. Bei Katharinas leicht erregbarem Charakter musste ein solches Benehmen Verdacht erwecken. Die ihr Näherstehenden glaubten daher auch nicht an diese ergebene Selbstverleugnung. Man wusste ja, dass sie ihren Mann nicht nur wegen seiner Unbedeutendheit verachtete, sondern im Grunde ihres Herzens leidenschaftlich hasste. Nun galt sie nichts und war noch obendrein den tiefsten Demütigungen von diesem Manne ausgesetzt, dem sie doch geistig so sehr überlegen war. Wohl erschien sie äusserlich ruhig gegen alle Erniedrigungen, aber in ihrem Innern gewannen immer mehr die Pläne zu ihrer Befreiung Gestalt.

Bereits fünf Jahre früher hatte sie an den englischen Gesandten geschrieben: «Ich würde nicht, wie Iwan der Schreckliche, bei Ihrem Könige eine Zuflucht suchen; denn ich bin entschlossen, entweder zu regieren oder unterzugehen.» Und es kam so, wie sie gesagt hatte. Sie regierte! Sie gewann schliesslich die Oberhand. Peter schloss sich immer enger an die Gräfin Woronzoff an, und seine Anhänger, die Feinde Katharinas, waren bestrebt, in ihm den Gedanken an eine Heirat mit seiner Geliebten zu befestigen. Aber Katharina hatte neue Freunde, von denen sie alles verlangen konnte. Sie stützten und trösteten sie. Diese Freunde waren die junge und kühne Fürstin Katharina Daschkoff, Graf Nikita Panin, die fünf Brüder Orloff, Leo Narischkin und seine Schwägerin, Madame Siniawin, der Hauptmann Passek, Fürst Repnin, Teplow, ein Piemontese namens Odard, später Sekretär Katharinas, und mehrere andere Personen des Hofes. Die Fürstin Daschkoff und Graf Panin waren nicht nur miteinander verwandt, sondern auch sehr eng befreundet. Sie hatten beide die gleichen Ansichten, und die Fürstin, ein energischer, fast männlicher Geist, besass ungeheuren Einfluss auf den zukünftigen ersten Minister Russlands. Er, sie und die Brüder Orloff waren gewiss die Hauptbeteiligten an der Verschwörung gegen den Zaren Peter. Sie sahen das ganze Unheil voraus, das Katharina drohte; denn sie wussten, dass Peter III. die Absicht hatte, seine Gemahlin zu verstossen und ihren Sohn für illegitim zu erklären. Dass dies geschähe, musste durch einen Handstreich verhindert werden. Die allgemeine öffentliche Meinung gegen Peter hatte mit diesen persönlichen Verhältnissen jedoch nichts zu tun.

Auf jeden Fall war die Revolution, die Peter den Thron und etwas später das Leben kostete, durchaus nicht in allen Punkten vorbereitet und reiflich überlegt. Sie geschah ganz plötzlich durch die Gewalt der Umstände. Es wurde das Gerücht laut, dass Peter bereits ein Manifest zur Verhaftung der Kaiserin und des Grossfürsten erlassen habe; sie sollte in der Nacht vom 10. Juli (29. Juni) stattfinden. Gleichzeitig beabsichtigte er in derselben Nacht seine Trauung mit Elisabeth Woronzoff vollziehen zu lassen. Einige Tage vorher hatte er die Gräfin mit dem Katharinenorden geschmückt. Am Morgen des 8. Juli (27. Juni) verbreitete sich bereits in Petersburg die Kunde, Katharina sei nach Schlüsselburg gebracht worden. Bei einem der Verschworenen, Hauptmann Passek, erschien ein Soldat der Garde, um ihn zu benachrichtigen, dass schleunige Hilfe nottäte, um die Kaiserin zu retten. Ein nicht eingeweihter Offizier hörte diese Mitteilung und liess sofort Passek verhaften, worauf er den Zaren, der sich zu jener Zeit in Oranienbaum befand, von dem Vorgefallenen unterrichtete. Für Katharina und ihre Helfershelfer war die Stunde des Handelns gekommen.

Noch in derselben Nacht vom 8. zum 9. Juli (27./28. Juni) 1762, um 5 Uhr morgens, trat Alexis Orloff unangemeldet in das Schlafzimmer der Kaiserin in Peterhof und weckte sie. Es ist Zeit, sagte er nur. Katharina lag in tiefem Schlaf. Sie musste sich erst besinnen, um was es sich handelte. Als sie nähere Erklärungen wissen wollte, sagte Orloff, der Hauptmann Passek von der Garde sei verhaftet worden, und man müsse schleunigst nach Petersburg aufbrechen, um sie zur Selbstherrscherin ausrufen zu lassen. Katharina kleidete sich in grösster Eile an und bestieg einen Wagen, den Orloff mitgebracht hatte. Nur eine ihrer Kammerfrauen, die treue Schargorodskaja, nahm an ihrer Seite Platz. Orloff setzte sich zu dem Kutscher Schkurin auf den Bock, und fort ging's im rasenden Galopp nach Petersburg. Unterwegs begegnete man dem Friseur der Kaiserin, der jeden Morgen nach Peterhof kam, um Katharina zu frisieren. Auch er wurde mitgenommen.

Man hatte indes nicht daran gedacht, Pferde zum Auswechseln aufzustellen. Es waren 30 Kilometer von Peterhof nach der Hauptstadt zurückzulegen! Zuletzt kam man nur noch langsam von der Stelle, so sehr man auch die armen Tiere antrieb. Glücklicherweise hatten Gregor Orloff und der Fürst Bariatinski, die bereits um das Schicksal der Kaiserin besorgt waren, den guten Gedanken gehabt, ihr entgegenzufahren. Fünf Werst vor Petersburg begegneten sie ihr. Schnell bestieg Katharina ihren Wagen und gelangte nun in kurzer Zeit bis vor die Kaserne des Ismailofskischen Regiments.

Auch hier war nichts auf ein solches Ereignis vorbereitet. Nur wenige Soldaten waren da. Man trommelte jedoch den kleinen Haufen zusammen, gab ihnen viel Wodka zu trinken, und die Soldaten schrien alles, was man von ihnen verlangte. Zwei von ihnen mussten einen Priester holen. Der Pope war sogleich zur Stelle und tat ebenfalls alles, was gewünscht wurde, erhob das Kreuz und murmelte die Formeln eines Eides; die Soldaten knieten nieder und huldigten der Kaiserin als Autokratin.

Von hier aus fuhr die Kaiserin mit ihren Begleitern zur Kaserne des Preobrashenskischen Regiments. Dort stiess man anfangs auf gewissen Widerstand, weil Ssemen Romanowitsch Woronzoff, ein Bruder der Mätresse Peters, eine Kompagnie befehligte und die Sache des Kaisers und seiner Schwester zu wahren suchte. Bald aber überwog die für Katharina stimmende Partei, und das ganze Regiment brach in Hochrufe aus und leistete den Eid. Vom Grossfürsten war bei alledem nicht die Rede. Woronzoff und der Major Woijekoff zerbrachen vor Scham um diesen Treubruch gegen den Zaren ihre Degen. Sie gerieten in Gefahr, von der Menge gelyncht zu werden. Woijekoff rettete sich durch die Flucht; Woronzoff wurde verhaftet, weil man befürchtete, er werde nach Oranienbaum reiten und den Zaren von den Vorgängen in der Hauptstadt in Kenntnis setzen. Katharina vergab später beiden Offizieren, aber sie vergass nicht. General Villebois von der Garde zu Pferd, einer ihrer glühendsten Verehrer, stellte ihr vor, welchen Schwierigkeiten sie begegnen werde bei einem solchen Unternehmen. Katharina sah ihn mit grossen Augen kalt und stolz an und sagte: «Ich habe Sie nicht rufen lassen, um Ihre Meinung zu hören. Was gedenken Sie zu tun?» Da sank auch er vor ihr auf die Knie und huldigte ihr.

An der Spitze der so gewonnenen Truppen zog die Kaiserin zur Muttergotteskirche von Kasan, um dort den Treueid ihrer neuen Untertanen zu empfangen. Nikita Panin erschien hier mit dem achtjährigen Grossfürsten Paul, der auf diese Weise an seiner Entthronung teilnahm; denn nicht seiner Mutter, sondern ihm wäre die Krone zugekommen, die man Peter III. entriss. So hatte es wohl auch Panin beabsichtigt. Er wollte Katharina nur als Regentin ihres Sohnes proklamiert wissen, kam aber zu spät.

Um die Kirche herum standen 10 000 Soldaten, zum grossen Teil nur halb bekleidet, aber alle stark bewaffnet. Der Erzbischof von Nowgorod, die Grafen Rasumowski, ehemalige Günstlinge der Kaiserin Elisabeth, Graf Bruce, Graf Stroganoff, Fürst Wolkonski und andere Würdenträger waren erschienen. Im Triumphe wurde Katharina in den Winterpalast geleitet. Hier waren der Senat und die Heilige Synode versammelt. Eine Menge ordengeschmückter Menschen drängte sich um die noch junge Herrscherin, ihr die Hand zu küssen. Nur der Kanzler Woronzoff wollte das alles nicht begreifen. Er fragte die Kaiserin sehr naiverweise, warum sie Peterhof verlassen habe. Statt aller Antwort gab sie nur ein Zeichen, ihn hinwegzuführen. Man sagte ihm, er solle in der Kirche den Eid leisten, und er ging und tat es einige Tage später. Seine Nichte, die Fürstin Katharina Romanowna Daschkoff, langte etwas spät im Winterpalast an. Ihr Wagen hatte sich durch die ungeheure Menschenmenge, die das Schloss und die umliegenden Strassen umlagerte, keinen Weg bahnen können. Als sie jedoch endlich vor dem Palaste anlangte, wurde sie von den Soldaten der Garde im Triumphe bis zur Kaiserin getragen, die sie herzlich umarmte und ihr den Katharinenorden, den sie selbst trug, umhängte.

Inzwischen war von Teplow für die Kaiserin ein Manifest entworfen worden, worin Katharina besonders hervorhob, welche Gefahr dem Reiche und vor allem der Kirche durch die Regierung Peters gedroht habe, und wie übereilt sein Friedensschluss mit dem «Erzfeinde» (Friedrich dem Grossen) gewesen sei. Dann wurden die verschiedenen Massregeln getroffen, sich aller Truppen in der Umgebung der Hauptstadt zu versichern. In allen Strassen wurden Wachen aufgestellt und besonders die Strasse von Oranienbaum nach Petersburg stark militärisch besetzt. Bis dahin hatte ein grosser Teil der Soldaten an die Mär geglaubt, Peter III. sei durch einen Sturz vom Pferde plötzlich gestorben, aber bald wurde man gewahr, dass es sich hier nicht um eine regelrechte Thronfolge handelte, sondern um einen Gewaltakt. Die Anhänger Katharinas fürchteten, es könne sich doch ein Kampf entspinnen; denn Peter III. war in Oranienbaum von seinen holsteinischen Truppen umgeben. Man musste sich seiner Person versichern.

Während dessen hatte sich Peter von Oranienbaum nach Peterhof begeben, in der Absicht, sich selbst von der Wahrheit der Gerüchte zu überzeugen, die schliesslich noch unbestimmt bis zu ihm gedrungen waren. Er wollte seinen Ohren nicht trauen und durchsuchte fassungslos alle Gemächer im Schlosse nach seiner Frau. Aber das Nest war leer. Bald trafen auch zuverlässige Nachrichten bei ihm ein, die ihn überzeugten, dass Katharina das Aeusserste gewagt habe. Seine Umgebung und besonders der alte Feldmarschall Münnich rieten ihm, sich nach Kronstadt zu begeben und sich der Truppen und der Flotte zu versichern. Peter verwarf jedoch anfangs diesen Vorschlag und wollte sich in Peterhof mit seinen 1500 Holsteinern regelrecht verteidigen und den Ereignissen wie ein Soldat ins Auge sehen. Endlich gab er doch dem Drängen Münnichs nach und schiffte sich mit seinem ganzen Hofstaat, besonders mit einer Menge schöner Damen, auf einer Jacht und einem Ruderboot nach Kronstadt ein. Er zitterte an allen Gliedern und verbarg sich im tiefsten Innern des Schiffes mit Elisabeth Woronzoff, seiner Geliebten.

Um 1 Uhr morgens kam die Hafenfestung in Sicht. Eine Schildwache rief die kaiserliche Jacht an. Man antwortete: «Der Zar.» – «Es gibt keinen Zaren mehr», schallte es zurück. «Fahren Sie weiter!» Dennoch wollten Peters Ratgeber ihn zum Landen bewegen; denn sie waren fest überzeugt, dass man es nicht wagen würde, auf den Zaren zu schiessen. Aber Peter war feige. Er kehrte um, schlotternd vor Angst. Er hatte nur den einen Wunsch, mit Elisabeth in Oranienbaum in Sicherheit zu sein und dort die Ereignisse abzuwarten. Dort angelangt, überraschte ihn eine neue, unerwartete Nachricht. Katharina marschierte an der Spitze ihrer Truppen ihm und seinen holsteinischen Soldaten entgegen!

Es war ein wirklicher Triumphmarsch der Kaiserin. Sie sah wundervoll aus in der knappanliegenden Uniform der Siemionofskischen Garden, die sie sich von einem jungen Offizier geliehen hatte. Sie sass prächtig zu Pferde. Ihr langes schwarzes Haar wallte offen über ihre Schultern. Ihren schönen, klassischen Kopf schmückte ein Barett aus Zobelpelz, um das ein Eichenlaubkranz gewunden war. Der Anblick dieser herrlichen Erscheinung war bezaubernd. An ihrer Seite ritt die junge Fürstin Daschkoff, fast noch ein Kind, in der gleichen Uniform. Sie sah aus wie ein ganz junger Leutnant. Aber auf beiden Gesichtern, sowohl auf dem achtzehnjährigen wie auf dem reiferen Frauenantlitz der Kaiserin, standen Ehrgeiz, Stolz und kühne Unternehmungslust, der Sieg einer grossen geistigen und politischen Ueberlegenheit über einen tief unter ihnen stehenden Menschen und Herrscher geschrieben. Die Soldaten jubelten, einer solchen Frau wie Katharina das Geleite geben zu können. Die neuen Uniformen, die Peter ihnen vorgeschrieben, hatten sie zerrissen oder verkauft und sich so gut sie konnten mit den alten Uniformstücken ausgerüstet. Zwar hatte sie Peter der Grosse einst auch aus Deutschland importiert, daran aber dachte man nicht mehr.

Peter III. verteidigte sich nicht. Beim Anmarsch der Kaiserin überfiel ihn eine fürchterliche Angst. Er liess sie nicht einmal bis Oranienbaum kommen, sondern schickte ihr den Fürsten Alexander Michailowitsch Galitzin entgegen mit dem Vorschlag, die Herrschaft mit ihr teilen zu wollen. Katharina dachte nicht an Teilung. Als einzige Antwort sandte sie Peter die Abdankungsakte zum Unterzeichnen und setzte inzwischen den Marsch fort. Es dauerte nicht lange, so kam ein anderer Abgeordneter des Zaren, der General Ismailoff, mit der Erklärung zurück, Peter sei bereit, abzudanken. Wie ein eingeschüchterter Junge unterzeichnete er ohne Widerstand das Schriftstück und besiegelte damit sein Schicksal.

In Peterhof machte Katharina Halt. Sie verlangte, dass der Zar mit Elisabeth Woronzoff zu ihr gebracht würde. Er kam und benahm sich ganz würdelos. Er rutschte fast vor seiner Frau auf den Knien, weinte und schluchzte und wollte ihr die Hand in untertäniger Ehrfurcht küssen. Flehentlich bat er, man möge ihn nicht von seiner Geliebten trennen. Katharina konnte und musste ihn nur verachten samt der Gräfin, die vor ihr auf den Knien lag und weinte, weil sie ihre ehrgeizigen Hoffnungen versinken sah.

Ausser um seine Mätresse bat Peter noch um seinen Hund, seinen Neger Narziss und seine Geige. Diese drei Wünsche gewährte man ihm, aber die Gräfin wurde entfernt und nach Moskau geschickt, wo sie sich bald mit dem Fürsten Pallianski verheiratete. Dem Exzaren wurde ein Landhaus in Ropscha, 30 Kilometer von Petersburg entfernt, zum einstweiligen Aufenthalt angeboten. Später sollte er in der russischen Bastille, der Festung Schlüsselburg, interniert werden. Seine Umgebung bestand aus dem Fürsten Bariatinski, Alexis Orloff und einigen anderen Offizieren der Garde, den stärksten Stützen der Partei der Kaiserin. Gleichzeitig waren sie die verwegensten Männer, die vor keiner Tat, keinem Hindernis im gegebenen Fall zurückschreckten. In ihren kühnen, rücksichtslosen Händen lag von nun an das Schicksal Peters.

Katharina hatte gesiegt! Am 14. Juli (3. Juli) war sie feierlich in Petersburg als Alleinherrscherin eingezogen, und es galt nun, sich diese Stellung zu befestigen. Die geringste ihrer Handlungen wurde scharf beobachtet, nicht nur von den Russen, sondern von der ganzen Welt. Aber von Anfang an verstand sie es, allen Schwierigkeiten, allen Gefahren Trotz zu bieten. Ganz Europa war des Lobes von dieser kühnen Kaiserin voll, die ihre Herrschaft vor allen Dingen mit einem so wundervollen Apparat von Glanz und Aufwand in Szene zu setzen verstanden hatte. Sie entfaltete sich sofort als prachtliebende, freigebige Herrscherin des Orients. Reiche Schätze flossen verschwenderisch durch ihre Hände. In den ersten Monaten ihrer Regierung verteilte sie ungezählte Summen an die Freunde, die ihr zum Throne verholfen, und an solche, von denen sie wünschte, sie möchten ihr geneigt sein. Von der ersten Stunde ihres Aufenthalts in Russland an, damals, als sie noch ein Kind war, hatte sie begriffen, dass man dort mehr als anderswo Ergebenheit, Aufopferung und Zuneigung mit schimmerndem Golde erkauft, dass man mit Liebenswürdigkeit und Schmeichelei nirgends soviel erreicht als in Russland. Kein Mensch in Katharinas Umgebung konnte sich beklagen, je ein hartes Wort aus ihrem Munde zu hören. Stets wusste sie eine Liebenswürdigkeit, ein schalkhaftes Wort, eine aufmunternde Anrede an diesen oder jenen zu richten, wenn sie durch die Reihen ihrer sie bewundernden Höflinge schritt. Selbst in den ersten Tagen ihrer Regierung, als sich die Geschäfte und auch manche Unannehmlichkeiten häuften, dass sie oft nicht wusste, wo ihr der Kopf stand, zeigte sie stets ihre freundliche, liebenswürdige Miene. Ihre Persönlichkeit übte eine geradezu faszinierende Wirkung auf alle aus, die sich ihr näherten. Man merkte gleich in den ersten Tagen ihrer Regierung den gewaltigen Unterschied zwischen ihr und der indolenten, allen Einflüsterungen geneigten Kaiserin Elisabeth und der unvernünftigen, launischen, despotischen Art und Weise Peters III. Die grosse Geschicklichkeit, mit der sie die schwierigsten Situationen umging oder beherrschte, ihre geniale Virtuosität im Regieren erregte die grösste Bewunderung.

In den ersten Tagen ihrer Herrschaft hatte sie keine Minute für sich, kaum Zeit zum Schlafen und Essen. Ministerrat, Senatssitzungen, Audienzen, öffentliche Festlichkeiten folgten unaufhörlich aufeinander. Es mussten Manifeste, Ukasse, Verordnungen, neue Verfassungen erlassen, Hunderte von Bittschriften am Tage unterzeichnet werden, aber keine Müdigkeit, keinerlei physische Schwäche war im Aeussern dieser ehrgeizigen grossen Frau zu bemerken. Sie bezwang alles. Dabei verlangten die Truppen jeden Augenblick, auch des Nachts, dass sie sich auf dem Balkon des Schlosses zeige; denn man fürchtete einen zweiten Staatsstreich, der die Zarin, «das Mütterchen», entführe.

Katharina hatte jedoch die Staatszügel bereits sehr fest in ihrer Hand. Und es war ein anderer politischer Anschlag, der vier Tage nach dem feierlichen Einzuge der Kaiserin Petersburg in Aufregung hätte versetzen können, wenn die Einwohner von dem wahren Sachverhalt in Kenntnis gesetzt worden wären.

Am 18. Juli (7. Juli), als Katharina eben den Senat verlassen hatte und sich in ihrem Zimmer zur abendlichen Hofkur ankleidete, stürzte plötzlich Alexis Orloff in grosser Aufregung herein und meldete ihr, Peter sei tot. Katharina erbleichte. Das Lächeln auf ihrem Gesicht verschwand. Zwischen den Augen erschien jene energische Falte, die sich stets bei ihr zeigte, wenn sie zornig oder wenn ihr etwas unangenehm war. Sie ahnte, dass es kein natürlicher Tod sein konnte, der ihren Gatten so schnell dahingerafft hatte. Alexis Orloff versicherte ihr zwar ernstlich, Peter sei an «komplizierter Hämorrhoidalkolik» gestorben, die sich auf das Gehirn geschlagen hätte. Dass weder Katharina, noch Orloff, noch ihre weitere Umgebung an dieses Märchen glaubten, beweist der Umstand, dass die Kaiserin in einem in aller Eile zusammenberufenen geheimen Rate beschloss, das Ereignis noch 24 Stunden lang vor dem Publikum geheimzuhalten.

Auch hier zeigte sie sich als vollendete Schauspielerin und Beherrscherin der Situation. Kurze Zeit nachdem Alexis Orloff ihr die fürchterliche Nachricht überbracht hatte, erschien sie wie gewöhnlich vor versammeltem Hofe mit lächelnder, liebenswürdiger Miene, zum Scherzen aufgelegt, in bester geistiger Verfassung und ohne die geringste Erregung zu verraten. Erst als am nächsten Tag ein Manifest den Tod Peters bekanntmachte, weinte Katharina heisse öffentliche Tränen und erschien nicht bei Hofe. Sie spielte die vom Schmerz gebeugte Frau. So verlangte es der Anstand, die Hofsitte. Und Katharina hielt jederzeit streng auf äussere Etikette an ihrem Hofe. Das hinderte sie jedoch nicht, dem toten Peter nicht die Ehren zu erweisen, die ihm als Zaren bei seiner Bestattung zukamen. Ohne Prunk wurde der Leichnam in der holsteinischen Paradeuniform drei Tage ausgestellt. Seine Hände waren mit weissen Handschuhen bekleidet, an denen Augenzeugen Blutspuren gesehen haben wollen. Der Kopf war ganz verbunden und die Züge waren vollkommen unkenntlich. Darnach wurde der Leichnam nicht wie die der übrigen russischen Herrscher in der Festung beigesetzt, sondern in das Alexander-Newskikloster überführt, wo sein Grab vollständig in Vergessenheit geriet. Erst der Sohn, der furchtbarste Hasser seiner eigenen Mutter, zog nach 35 Jahren, bei Katharinas Tode, wie eine schreckliche Anklage gegen sie selbst die Gebeine seines Vaters ans Tageslicht. Er liess den toten Kaiser krönen und ihm die gleichen Ehren erweisen, wie der eben verstorbenen Kaiserin. Und, gleichsam wie zum Hohne, liess er beide Seite an Seite in der Gruft ruhen, als habe sie niemals etwas im Leben getrennt.

Katharina war gross. Aber auf ihrem Ruhme hätten die Zweifel an ihrer Unschuld am Tode des Gatten nicht wie brennende Flecken der Schande leuchten dürfen. Noch heute sind diese Zweifel nicht ganz behoben. Sie selbst tat nichts, sie aus der Welt zu schaffen; denn keiner der Beteiligten wurde von ihr verfolgt oder bestraft. Im Gegenteil, alle, die die letzten Stunden Peters geteilt hatten, kamen zu Ehren und Würden. Damit erklärte sie sich, wenn nicht mit der Absicht selbst, so doch mit der Tatsache einverstanden.

Es ist hier nicht der Ort, auf historische Untersuchungen über die Mitschuld Katharinas an diesem bedauerlichen Ereignis einzugehen oder zu ermitteln, auf welche Weise Peter den Tod fand. Man kann nur annehmen, dass die wahren Urheber des Verbrechens die Orloffs waren. Alexis Orloff, Teplow und die anderen Offiziere, die mit der Ueberwachung des gefangenen Zaren betraut waren, sollten ihn bei der Abendmahlzeit betrunken gemacht und vergiftet haben. Andere wieder nehmen auf Grund eines vorgefundenen Briefes Alexis Orloffs an die Kaiserin an, Alexis habe den Zaren mit eigener Hand während eines Gelages, bei dem alle, und Peter am meisten, betrunken waren, erdrosselt. Sicher ist, dass die Orloffs das grösste Interesse hatten, ihn ganz von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Dann war Katharina auch von der ehelichen Kette frei und konnte sich wieder verheiraten mit einem Manne, der mit ihr die Macht teilte. Gregor Orloff hatte genug Einbildungskraft, sich bereits an der Seite Katharinas auf dem Throne zu sehen. Es wäre indes von schwerwiegenden Folgen für ihn gewesen, hätte er sich selbst zum Hauptschuldigen an dem Morde Peters gemacht. Daher übernahm diese Rolle sein Bruder Alexis. So sehr Katharina vielleicht auch eine Zeitlang gewünscht hatte, Orloff durch feste Bande der Ehe an sich zu fesseln, so sehr unterlag sie doch ihren Leidenschaften, die sich aber meist auf ihr Schlafzimmer beschränkten. Ihre Liebe ging zwar oft mit der Politik Hand in Hand, niemals aber gewann sie die Oberhand über die Staatsgeschäfte. Katharina war jetzt Selbstherrscherin; einen Gatten brauchte sie nicht auf dem Thron. Hingegen führte sie das Günstlingswesen in einer Weise ein, wie man es nie an einem weiblichen Hofe gesehen hatte. Sie errichtete zu diesem Zwecke ein Hofamt, mit dem ein hohes Gehalt, Ehren und Auszeichnungen, Würden und Titel verbunden waren. Mehr als zwölf offizielle Günstlinge folgten aufeinander während ihrer Regierung. Einige dieser Männer, wie Orloff, Patiomkin, Lanskoi, Zubow, besassen Ehrgeiz, Kühnheit, Kenntnisse, bisweilen Geist und Gefühl. Mancher behielt bis zu seinem Tod die Freundschaft der Kaiserin, nachdem er längst aufgehört hatte, ihr als Mann zu gefallen. Er wurde der treue Kamerad, der Freud und Leid mit ihr teilte. Fast jedem, der eine Zeitlang ihr Leben geteilt hatte, blieb Katharina in dankbarer Freundschaft gewogen. Er konnte sicher sein, die höchsten Aemter und Würden zu erlangen und von ihr mit Reichtümern und Wohltaten überhäuft zu werden. Nie hat sie einen verabschiedeten «persönlichen Adjutanten» bestraft oder mit ihrem Hass verfolgt. Auch diejenigen, die aus eigenem Willen von ihr gingen, wie Mammoff, brauchten nichts von ihr zu fürchten. Nie hatten sie unter Katharinas Rache zu leiden. Einen einzigen ihrer Freunde nur demütigte sie, nachdem sie ihn auf die höchste Stufe des Glanzes und der Macht, auf einen Thron erhoben hatte. Poniatowski, der zärtliche Geliebte ihrer Jugend, an dessen ritterliche, leidenschaftliche, bewundernde Liebe sich für Katharina die schönsten Erinnerungen knüpften, er allein fühlte die Schmach, von der mächtigen Geliebten erniedrigt zu werden. Sie hatte ihn als König schwach und feige gesehen. Katharina aber verachtete die Schwächlinge und Feiglinge sowohl im Leben als auch in der Politik. Sie war nachsichtig und versöhnlich in der Liebe, aber unerbittlich und streng in allen politischen Angelegenheiten. Sie liess den einstigen Geliebten nach Petersburg kommen. Er musste seine entthronte Grösse vor aller Welt zur Schau tragen. Stolz, Ruhmessucht, Ehrgeiz und Eitelkeit waren ihre stärksten Leidenschaften. Die Liebe kam erst an zweiter Stelle, obwohl ihr Leben anscheinend das Gegenteil beweist. Sie liess sich nie vom Gefühl beherrschen. Ihr Genie, ihr Geist, ihre staatsmännischen Fähigkeiten standen über den Leidenschaften ihrer Veranlagung und ihres intimen Lebens.

Trotzdem sie sich mehr wie jede andere Frau dem Genusse hingab, regierte sie ihr ungeheures Reich mit bewundernswerter Geschicklichkeit. Vieles in ihrem Leben war nur Schein, aber sie wusste diesen Schein als Echtheit wirken zu lassen. Sie verstand es, in allem zu imponieren. Man wusste nicht, was man mehr bewundern sollte, ihre Eigenschaften als Staatsmann oder als Frau. Man war in beständiger Begeisterung über ihre grenzenlose Güte, ihre gewinnende Liebenswürdigkeit und ihre physische Schönheit. Könige, Staatsmänner, Gelehrte, Philosophen und Dichter, alle sahen in Katharina ihresgleichen. Voltaire wusste nicht, was er mehr hervorheben sollte, ihre grossen politischen Handlungen oder ihre literarischen Arbeiten. In lyrische Ekstase und Bewunderung gerät Diderot. «Grosse Fürstin», schreibt er, «ich werfe mich Ihnen zu Füssen; ich breite meine Arme aus, ich möchte sprechen, aber mein Herz krampft sich zusammen, mein Kopf schwindelt, meine Gedanken verwirren sich, ich bin gerührt wie ein Kind. Wie von selbst gleiten meine Finger über eine alte Leier, und ich muss singen: Vous qui de la divinité, nous montrez, sur le trône, une image fidèle ...» Selbst Friedrich der Grosse, der im allgemeinen nicht viel von weiblichen Herrschern hielt, erkannte die Fähigkeiten der grossen Katharina. Ihr Genie prägte sich auch in ihrem Aeussern aus. Obgleich klein von Gestalt, erschien sie allen gross, imponierend, majestätisch, wenn sie an ihrem Hofe erschien. Die Malerin Vigée-Lebrun konnte sich über dieses Phänomen nicht genug wundern. Graf Ségur fand zwar, als er Katharina bei einer Audienz zum erstenmal in der Nähe sah, manches an ihr theatralisch, vieles in Szene gesetzt, aber auch er wurde bald gepackt von der Erscheinung dieser merkwürdigen Frau. Ganz selten begegnen wir in der Geschichte Katharinas tadelnden Urteilen ihrer Zeitgenossen. Man warf ihr höchstens einen zu grossen, zu hochmütigen Optimismus vor. Sie war indes überzeugt, dass ihr alles gelingen müsse, dass sie alle Hindernisse beseitigen werde.

Kaiserin Katharina II.
Gemälde von G. B. Lampi.
Leningrad, Winterpalast

Sie dachte nicht daran, in ihrem Reiche so radikale Reformen einzuführen wie Peter der Grosse. Mit ihrem gesunden Menschenverstand begriff sie sofort, dass es zu grosser und weitgreifender Veränderungen bedürfe, um etwas ganz Neues aus diesem unermesslichen Staate zu machen. Deshalb war ihre Regierung eine der klügsten, die Russland je gehabt; sie ging vollkommen mit den Ideen der Zeit und ihres Landes Hand in Hand. Zwar besass Katharina nicht die Gabe, sich bedeutende Staatsmänner und Helfer auszusuchen – ihr erster Minister Panin war ein sehr durchschnittlicher Mann –, aber sie verstand es wundervoll, ihre Leute auszunützen und den grössten Vorteil aus ihren Diensten zu ziehen. Und das gelang ihr allein durch ihr gewinnendes Wesen, ihre grosse Liebenswürdigkeit, mit der sie Schmeicheleien zu sagen verstand, und die wahrhaft königliche Art, die geleisteten Dienste mit Reichtümern und Auszeichnungen zu belohnen. Dadurch schuf sie sich die ergebensten Freunde und stärksten Stützen ihrer Macht und Volkstümlichkeit. Ihre Generale, von denen einige genial und unternehmend waren, gingen für sie durchs Feuer und mit Begeisterung in den Tod. Ihre Siege belohnte Katharina glänzend. Niemals tadelte sie eine Niederlage oder eine unkluge diplomatische Handlung. Sie munterte im Gegenteil die vom Pech verfolgten Truppenführer zu neuen Taten auf und versicherte sie einer baldigen Rehabilitierung. Dadurch fühlten sich die Betreffenden doppelt verpflichtet, alles daran zu setzen, um ihren Fehler wieder gutzumachen. Schliesslich erfasste Katharinas unverwüstlicher Optimismus in allen Dingen auch ihre Feldherren und Staatsmänner. Erleidet sie irgendeine Niederlage, ob militärisch oder diplomatisch, es ist in ihren Augen stets nur ein «unbedeutender Zufall», ein Nichts, das nicht in Betracht kommt. Aber selbst der geringste Erfolg ihrer Waffen wird zum grössten, herrlichsten Siege, und nie verfehlt sie, ihn lauttönend der Welt zu verkünden und das Lob ihrer unvergleichlichen Feldherren und Soldaten zu singen.

Katharina behauptete von sich selbst, sie betriebe ihre Politik stückweise, ohne Zusammenhang. Ist auch in den äusseren politischen Angelegenheiten nicht immer alles von ihr gut ausgedacht, so fehlt doch nie eine gewisse gesunde Beurteilung der Dinge und Situationen. Sie schickt ihre Truppen nur gegen Staaten, die sich im Verfall befinden, und trägt infolgedessen stets den Sieg davon. Ihr Ruhm, ihr Reich, ihre Schätze wachsen zu ungeheurer Grösse an; die nordische Semiramis steht auf dem Gipfel ihrer Macht. Sie besucht ihre ausgedehnten Staaten wie eine wahre Herrscherin aus einem Feenreich. Ueberall sehen ihre Augen nur Glanz, Pracht, Fortschritt, Wohlstand. Nicht alles ist echt, was sie sieht. Vieles ist Schein. Patiomkin, der grosse Arrangeur, bereitet die Reise seiner Gebieterin vor. Das Schiff, das Katharina den Dnjepr hinabträgt, hat die höchsten Persönlichkeiten, die Grössen der Wissenschaft und Staatskunst an Bord, damit sich die Herrscherin überzeugen kann, welche Intelligenz, welche weisen Männer Russland hervorbringt. An den Ufern des Flusses sind wie auf Zauberworte neue Städte, Dörfer und Flecken entstanden. Eine Unmasse von Einwohnern drängt sich an den Ufern, um jubelnd das Schiff zu begrüssen, das Katharina, das «Mütterchen von Russland», vorüberträgt. Die Felder sind alle wohlbestellt, es ist eine Freude, sie anzuschauen. Auf den Wiesen weiden ungeheure Herden – alles Schein, alles Szenerie! Patiomkin, der phantastische Taurier, hat das alles für ein paar Tage hergezaubert. Aus den bevölkerten Bezirken Kleinrusslands, aus den Orten, wo die Kaiserin auf ihrer Reise nicht hinkommt, hatte man mit Gewalt die Einwohner an die einsamen Ufer des Dnjepr gebracht. Tausende von Dörfern wurden auf diese Weise in Kleinrussland auf eine gewisse Zeit entvölkert und die Bauern mit ihren Herden in die verschiedenen Gegenden geschleppt, an denen Katharina vorüberreiste. Es wurden Scheindörfer und Scheinstädte von leichtgebauten Holzhäusern errichtet, denen man ein gefälliges Aeusseres verlieh. Als die Reise der Kaiserin zu Ende war, trieb man die unglückliche Bevölkerung wieder in ihre Heimat zurück. Viele von ihnen gingen durch diesen Wechsel zugrunde. Katharina aber hatte die Genugtuung gehabt, sich selbst zu überzeugen, dass ihr Land und Volk glücklich und reich seien!

Wiederum war es eine sehr kluge Politik von Katharina, dass sie ihre Regierung, ihren Thron mit so ungeheurem Glanze umgab. Er verbarg den noch ziemlich wilden Hintergrund des Landes und seiner Bewohner. Mit ausserordentlichem Geschick verstand sie es, den Fremden an ihrem Hofe in die Illusion zu versetzen, dass er sich in der zivilisiertesten Stadt, an dem schöngeistigsten Hofe, in einem vollkommen gebildeten Staate befinde. Ohnedem wäre schwerlich die Orientierung Russlands gegen Europa zustande gekommen, und niemand kann der genialen Frau den Beinamen die «Grosse» versagen.

Die grössten Leidenschaften Katharinas waren ihre Liebe zum Manne und ihre Ruhmessucht, verbunden mit einer Eitelkeit, die einer so genialen Natur schlecht zu Gesicht stand. Diese Eitelkeit liess sie viele Handlungen begehen, die besser unterblieben wären. Viele unnütze Kriege hätten vermieden und viel vergossenes Blut erspart werden können. Aber sie hatte die Genugtuung und das Glück, den Erfolg sich an ihre Fersen heften zu sehen. Ihre Fehler und Schwächen haben dennoch nicht vermocht, ihre Grösse zu verdunkeln. Unter allen Menschen, die die Bewunderung der Welt durch Genie, Macht, Fähigkeiten und Erfolge auf sich gezogen haben, wird Katharina von Russland immer eine der ersten Stellen einnehmen. Als Frau steht sie in der modernen Geschichte sogar einzig da; denn schwerlich wird man eine zweite finden, die so Grosses vollbracht, oder besser, unternommen hat, wie sie. Sie wollte stets herrschen, nicht nur in ihrem Lande, sondern auch ausserhalb, in der Meinung der Menschen, in der Meinung und im Ansehen ganz Europas. Und sie sorgte dafür, dass man sich mit ihrer Person beschäftigte, dass man sie pries und lobte. Leider war ihr oft selbst die niedrigste, in die Augen springendste Schmeichelei nicht zu schlecht zu diesem Zweck. Das wussten ihre Freunde und Vertrauten ganz genau. Wollte einer sich bei der Kaiserin besonders beliebt machen, so rieten ihm die Eingeweihten: «Schmeicheln Sie der Kaiserin, schmeicheln Sie, soviel Sie können, und Sie werden alles erreichen.» Diese Eitelkeit war es, die Katharina auch mit den berühmtesten Geistern der damaligen Zeit in persönliche Berührung brachte. Es galt für rühmlich, ein aufgeklärter Herrscher zu sein, sich mit den Führern der Geisteswelt zu umgeben. Katharina verfehlte deshalb nicht, gleich im Anfang ihrer Regierung diesen Punkt ins Auge zu fassen. Sie hätte um alles in der Welt in dieser Beziehung nichts ihrem genialen Rivalen Friedrich dem Grossen nachgeben wollen. Aber sie war freigebiger, verschwenderischer; sie belohnte die geleisteten Dienste königlicher und hatte daher auch einen grösseren Hof von Schmeichlern um sich. Ausserdem verstand sie es, ein gewisses Zartgefühl in ihre Freigebigkeit zu legen. Dem bedrängten Diderot kaufte sie seine Bibliothek ab und setzte ihn selbst zum Bibliothekar mit einem Jahresgehalt von 1000 Francs ein. Die Gastfreundschaft, die sie Grimm angedeihen liess, das Anerbieten, das sie d'Alembert machte, die in Frankreich bedrohte Enzyklopädie in Russland weiter zu veröffentlichen, sind schöne, vornehme Züge eines weitschauenden Geistes und grosszügigen Charakters. Aber auch ihnen fehlte nicht der Grundgedanke der Eitelkeit. Alle diese Menschen hatten in der öffentlichen Meinung eine Stimme. Sie verfehlten nicht, Katharina als die grosse Herrscherin des Ostens, die Vorkämpferin der Zivilisation in dem weiten russischen Reiche zu preisen. Sie aber liebte es ungemein, sich mit solchem Weihrauch zu umgeben. Sie besass das grösste Selbstbewusstsein ihres Ruhmes und wusste, wie man es machen musste, um ihn der Nachwelt zu überliefern. An Grimm, ihren eifrigsten Korrespondenten, schrieb sie einst: «Der Ruhm ist oft nur das Ergebnis eines Wortes, das gesät, einer Zeile, die hinzugefügt worden ist; die werden die Gelehrten suchen mit der Laterne in der Hand und werden mit der Nase darauf stossen und nichts davon begreifen, wenn es ihnen am Genie dazu fehlt. Ach, lieber Herr, ein Scheffel solchen Nachruhmes wiegt alle Rühmchen auf, von denen sie mir soviel vorreden.» – Sie konnte sich nicht beklagen. Die grossen Männer, deren Bibliotheken oder Uhren sie kaufte, oder die sie mit Wohltaten überschüttete, bemühten sich redlich, den Ruhm der Semiramis des Nordens durch ein «gesätes» Wort, eine «hinzugefügte Zeile», in Scheffeln auf die Nachwelt übergehen zu lassen. Immer enger und fester schnürte sie auf diese Weise das Band, das sie mit den Freidenkern des Okzidents verknüpfte.

Katharina nannte sich die Schülerin Voltaires, seine grösste Bewunderin. Sie war es auch in gewisser Beziehung. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Voltaire nie in ihrer Nähe gelebt hat! Er konnte sich nie entschliessen, nach Petersburg zu kommen, obgleich ihn die Kaiserin wiederholt dazu aufforderte. Und es war gut so.

Als Katharina zu dem Patriarchen von Fernay in geistige Beziehung trat, war sie 35 Jahre alt und erst seit anderthalb Jahren Kaiserin. Das gute Einvernehmen zwischen beiden erhielt sich bis zu Voltaires Tode, vierzehn Jahre lang, in ungetrübter Gleichmässigkeit. Katharina war eine unermüdliche Briefschreiberin. Die Fülle von Geist, Witz und scharfem Verstand, die Art, wie sie merkwürdige Erlebnisse zu schildern weiss, machen ihre Briefe zu den interessantesten und lesenswertesten Dokumenten, die je geschrieben wurden. Sie besitzt einen köstlichen Freimut, allen ihren Gedanken Ausdruck zu geben. Sie nimmt nie ein Blatt vor den Mund, nicht einmal gegen den hochverehrten Voltaire, den sie wie eine Art Macht behandelt, die Macht des geistigen Europas. Sie war sehr stolz, mit dieser Macht in Briefwechsel zu stehen.

Voltaire geizte nie mit Schmeicheleien für sie. Das war Weihrauch für Katharina, die gross genug war und seiner nicht bedurft hätte. Aber sie brauchte ihn. Es war ihr Bedürfnis, sich in die so betäubenden Wolken der Schmeichelei einzuhüllen. Sie wusste nicht, dass derselbe Voltaire, der ihr diesen Weihrauch streute, an seinen intimen Freund d'Alembert schrieb: «Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass die Philosophie sich nicht oft solcher Schüler (wie Katharina) rühmen kann. Aber was wollen Sie, man muss seine Freunde mit ihren Fehlern lieben.»

Katharina lernte viel von den Philosophen, mit denen sie in Berührung kam oder deren Schriften sie las. Aber sie bediente sich ihrer Ideen und Grundsätze auf ihre Weise. Sie nahm von der Philosophie gerade das, was ihr zu ihrem eigenen Nutzen dienlich sein konnte. So konnte sie getrost im Jahre 1789 sagen: «Ich schätze die Philosophie, weil mein Herz stets aufrichtig republikanisch war.» Sobald sie jedoch den Thron bestieg, hörte sie auf, Republikanerin zu sein, obgleich sie während ihrer Regierung viele Reformen einführte und sich sogar liberal zeigte. Sie hatte wohl das Gefühl für Freiheit und Menschenrechte, aber es war nur eben ein Gefühl. Sie war trotz allem Autokratin. Zweifellos befreite sie die Bauern in den geistlichen Kolonien, die sie zum Schaden der Klöster sekularisierte, auf Veranlassung einer Voltaireschen Denkschrift, die er ihr im Jahre 1767 sandte, und die als Motto trug: «Si populus dives rex.»

Die Beweglichkeit ihres Geistes war so, dass sie alles kritisch betrachtete, auch die Philosophie. Die Zeiten waren vorüber, da sie Werke Voltaires lesen konnte. Die Herrscherin, die ihre Gesetzbücher selbst entwarf, die ihr eigener Minister, der Verwalter ihrer Gouvernements war, fand nicht mehr die Zeit, sich in die Werke ihres liebsten Philosophen zu vertiefen. Der Autor war zu fruchtbar in seinem Schaffen. Katharina beauftragte daher einen ihrer Sekretäre, jedes neue Werk Voltaires so mit Anmerkungen zu versehen, dass sie die vernünftigen und unvernünftigen Stellen sofort finden könne, wenn sie ihrer bedurfte. Das so zubereitete Buch lag auf dem Arbeitstisch der Kaiserin, aber nur selten kam sie dazu, darin zu blättern. Was sie von den Philosophen und besonders von Voltaire lernte, geschah nur durch ihren Briefwechsel, der ihr den höchsten Genuss bereitete. Sie sagte, es wäre ihr nicht möglich, einen Tag zu leben, ohne etwas geschrieben zu haben. Und sie gestattete sich, wie nie ein anderer Herrscher, den Luxus langatmiger Plauderei.

Einer, der nicht Katharinas Lobredner wurde, war d'Alembert, obgleich er einer der ersten Männer der Feder war, den die Kaiserin auszuzeichnen wünschte. Bereits im August 1762, wenige Wochen nach ihrer Thronbesteigung, liess sie an den berühmten Enzyklopädisten schreiben, er möge nach Petersburg kommen. Ein Jahresgehalt von 10 000 Rubel erwarte ihn mit der Erlaubnis, die Enzyklopädie, die in Frankreich verboten worden war, in Petersburg weiterzuführen. Als Gegendienst verlangte Katharina von d'Alembert nur, dass er den Grossfürsten Paul in der Mathematik unterrichte.

Aber weder Katharinas beginnende Grösse, noch die Pension, die sie verdoppelte, als sie seinen Widerstand sah, vermochten den Pariser Gelehrten zu locken. Er liebte seine Unabhängigkeit mehr als allen Glanz an einem grossen Hof. D'Alembert blieb in Paris. In Petersburg, sagte er zu seinen Freunden, stürben die Leute zu leicht an Kolik! Auch der Rang eines Gesandten, den Katharina ihm anbot, und ein prächtiges Haus, schienen ihm nicht der Mühe wert zu sein, seine Freiheit aufzugeben. Was aber schadete dieser eine! Katharina hatte ja einen ganzen Tross von Lobrednern hinter sich. Der eifrigsten einer war Diderot. Ihre gegenseitigen literarischen Beziehungen begannen ebenfalls gleich nach dem Regierungsantritt der Kaiserin. Sie wusste, dass sich der Gelehrte, der übrigens ein grosser Verschwender war, in Not befand und überdies durch das Druckverbot der Enzyklopädie von einem empfindlichen Schlage getroffen worden war. Katharina gedachte sogleich, die Gelegenheit zu benutzen und diesen bedeutenden Mann, der bereits 6 Bände des gewaltigen Werkes vollendet hatte und 50 Jahre alt war, an ihren Hof zu ziehen. Er war also kein armer Anfänger, wie es die Legende will. Die Unterhandlungen führten jedoch damals zu nichts. Diderot wollte sich und sein Werk nicht dem Unbekannten ausliefern. Russland war damals noch ein halb barbarisches Land, und der Thron, auf dem die neue Kaiserin sass, stand noch auf schwankenden Füssen.

Da Diderot schliesslich gezwungen war, seine Bibliothek zu verkaufen, um leben und arbeiten zu können, bot sich für Katharina bald eine gute Gelegenheit, sich edel und wohltätig zu zeigen. Und sie tat es auf wirklich feinsinnige Weise. Sie kaufte Diderot seine Bibliothek im Jahre 1765 für 15 000 Franken ab. Er durfte sie bis an sein Lebensende behalten. Katharina setzte ihn zu seinem eigenen Bibliothekar mit einer Pension von 1000 Franken im Jahr ein. Durch einen Zufall wurde es jedoch vergessen, dieses Gehalt ihm zwei Jahre lang auszuzahlen. Als er dann die Kaiserin auf Umwegen daran erinnerte, machte sie ihre Vergesslichkeit dadurch wieder gut, dass sie ihm die Pension auf 50 Jahre vorausbezahlte. Er erhielt also 50 000 Franken und hätte hundert Jahre alt werden müssen, um für dieses Geld zu arbeiten.

Diderot zahlte mit singendem Lob zurück. Nie hatte Katharina einen grösseren Bewunderer und Schmeichler als ihn. Damals schrieb er jenen begeisterten Brief, in welchem er sie mit einer Göttin vergleicht. Von diesem Augenblick an war er ihr eifrigster Diener. Und Katharina wusste ihn zu verwenden. Seine Kenntnisse in den Künsten waren ihr besonders von grossem Nutzen. Viele bedeutende und grosse Künstler und Gelehrte des alten Frankreichs sind auf Diderots Veranlassung hin nach Russland gegangen, um am Hofe Katharinas ihr Wissen und ihre Talente zu entfalten und der grossen Kaiserin zu dienen. Grimm, der bevorzugteste und vertrauteste von allen, verdankte seinen Aufenthalt in Petersburg eigentlich seinem Freunde Diderot, dem Kommissionär der russischen Kaiserin. Er war zu allem zu gebrauchen. Er kaufte wertvolle Bilder und Skulpturen für ihre Galerien, Münzen für ihre Sammlungen, wählte Schauspieler und Musiker für ihre Theater aus, kurz, sie gab ihm niemals vergebens einen Auftrag; er war stets bereit, ihr nützlich zu sein. Dafür geizte Katharina dann auch nicht mit Anerkennung und Geschenken.

Es war kein Wunder, dass die Philosophen diese Weltbeglückerin wie ein höheres Wesen verehrten. Ihre persönliche Liebenswürdigkeit, die vollständige Natürlichkeit im Verkehr mit den meisten ihrer Briefschreiber, ihr glänzender Geist und Witz, ihr köstlicher Spott über die Grossen der Welt, zu denen sie selbst gehörte, besonders aber ihre ungeheuren Aufmerksamkeiten gegen die führenden Geister, eroberten ihr im Sturme die Herzen aller grossen Denker. Diesen Männern erschien Katharina sogar in ihrer äusseren Politik als eine Iphigenie, die die Zivilisation nach Tauris brachte, als eine Vorkämpferin der Aufklärung.

An diesen deutschesten der Franzosen hatte sich, schon ehe Diderot den Glanz des russischen Hofes kennenlernte, der französischste Deutsche, Baron Grimm, angeschlossen. Gewissermassen infolge dieser Freundschaft war er der Vertrauteste unter den Vertrauten des geistigen Lebens Katharinas geworden. Mit keinem anderen wie mit Grimm gab sie sich so ungezwungen, so ganz menschlich. Ihr Briefwechsel mit ihm füllt zwei starke Bände und erstreckt sich auf einen Zeitraum von 20 Jahren. Wie viele Blätter und Briefe dieser interessanten Korrespondenz mögen jedoch in den geheimen Archiven von Petersburg begraben worden sein! Wieviel mag verlorengegangen sein, denn der Gedankenaustausch mit Grimm ward ihr zur unentbehrlichen Gewohnheit. Sie schrieb ihm, so oft sie konnte, in tagebuchartigen Blättern. Von Politik ist in diesen Briefen wenig die Rede. Erst später, vom Jahre 1787 an, werden politische Ereignisse des öftern erwähnt. Namentlich spielt dann die französische Revolution in diesen Meisterstücken der Briefschreibekunst Katharinas eine grosse Rolle.

Grimms Bekanntschaft machte Katharina durch seine literarischen Berichte, die «Correspondance littéraire», die er an die meisten deutschen und an einige auswärtigen Höfe schickte. Die russische Kaiserin war seit dem Jahre 1764 eine seiner ersten Abonnentinnen, und zwar eine sehr freigebige, denn sie bezahlte dafür 1500 Rubel im Jahr, während Friedrich der Grosse gar nichts und der König Stanislaus von Polen nur 400 Franken bezahlte. Im Laufe der Zeit entpuppte sich der in allen literarischen und künstlerischen Fragen wohlunterrichtete Grimm als ein sehr brauchbares Faktotum Katharinas, wie er sich später selbst zu nennen pflegte. Die enge Freundschaft, die ihn mit ihr wirklich jahrelang verband, datiert jedoch erst vom Jahre 1773.

Um diese Zeit erschien Grimm im Gefolge der Grossen Landgräfin, deren Tochter den Grossfürsten Paul heiratete, am Hofe in Petersburg. Er machte Eindruck auf Katharina, aber sie hielt ihn damals noch nicht an ihrem Hofe zurück. Er selbst spürte nicht die Lust und das Verlangen, sich in Petersburg niederzulassen, denn er liebte Paris über alles. Aber er gedachte sich von dort aus ganz dem Dienste der russischen Kaiserin zu widmen, um so mehr, da sie ihm gestattet hatte, direkt an sie zu schreiben, eine Gunst, deren sich nur wenige Auserlesene erfreuten.

Für Katharina war Grimm sehr nützlich; sie legte den grössten Wert auf seine Freundschaft. Er war ihr Agent in Westeuropa. Er verwaltete für sie bedeutende Summen, kaufte Bilder und Kunstgegenstände, Karten, Bücher, Reisewerke für sie ein, zahlte manchem armen Künstler, Schriftsteller oder Royalisten die bestimmte Pension aus, und war der Zarin stets mit seinem Rate zur Hand. Ferner liebte Katharina ausserordentlich, brieflich zu plaudern. Mit niemand konnte sie das besser als mit Grimm. Für dieses verständnisvolle Eingehen auf ihre langen Briefe ist sie ihm unendlich dankbar und behauptet, niemand wäre imstande, so auf ihre Ideen einzugehen als Grimm. Weil sie ihn fast mit Briefen bombardiert, gibt sie ihm den Namen «Souffre-douleur», wie jeder, der mit ihr in Berührung kommt, einen Spitznamen haben muss. Sie selbst nennt sich «schwatzsüchtig». «Wir sind Schwätzer», schreibt sie, oder: «Es ist nun einmal mein Beruf, zu kritzeln ... ich glaube, wir beide sind geschaffen, fortwährend die Feder in der Hand zu haben, um uns endlose Briefe zu schreiben.» «Sie brauchen ja meine Briefe nicht zu lesen», empfiehlt sie ihm ein andermal. «Ich sage Ihnen, werfen Sie sie ins Feuer.» Ueberhaupt liebt sie es, über ihren Briefwechsel zu scherzen. «Wenn Sie sich verheiraten», spottet sie, «so können Sie lange Zeit die Frau Liebste gratis mit Haarwickeln versehen, denn Sie brauchen nur diese schönen Briefe dazu zu verwenden.» Und so durchzieht ein köstlicher Humor diesen ganzen Briefwechsel. Sie war glücklich, sich gegen Grimm ganz natürlich geben zu können, während sie sich mit Voltaire immer etwas zusammennehmen musste, weil sie in ihm den Beherrscher der Geisteswelt erblickte. In weit stärkerem Masse wie mit ihm witzelte sie mit Grimm über die Grossen der Welt. «Wissen Sie, warum ich den Besuch der Könige fürchte?» fragt sie ihn und gibt sofort die Antwort: «Weil sie gewöhnlich langweilige, fade Personen sind, und man sich mit ihnen steif und gerade halten muss. Auch berühmte Leute halten meine Natürlichkeit in Respekt. Ich will witzig sein, ‹comme quatre›. Und oft brauche ich diesen Witz ‹comme quatre›, sie anzuhören; und da ich zu schwätzen liebe, langweilt es mich, zu schweigen.» Und Grimm selbst musste sich oft den grössten Spott gefallen lassen. Sie nennt ihn bisweilen «Du» oder gibt ihm die drolligsten Beinamen «Monsieur le hérétique», «George Dandin», «Monsieur le Freiherr», «Heraklit», «Monsieur le philosophe» und andere. Kurz, in diesen Briefen ist sprudelnder Humor und unverwüstliche Heiterkeit.

Als Grimm im Jahre 1776 zur Heirat Pauls nach Petersburg kam, war er persona grata. Katharina konnte stundenlang mit ihm schwatzen, und diese langen «Audienzen» erregten natürlich den Neid und die Aufmerksamkeit der fremden Diplomaten. Grimm war eine Persönlichkeit. Aber er missbrauchte seine bevorzugte Stellung nicht. Er nahm keinen der hohen Posten an, die ihm Katharina in Russland anbot. Als er, nach einem Jahre Aufenthalt, im August 1777 aus Petersburg schied, setzte ihm die Kaiserin ein Jahresgehalt von 2000 Rubel aus. Später, als er in der Revolution einen grossen Teil seines Vermögens und Einkommens verlor, machte sie ihm verschiedene Geldgeschenke. Sie beliefen sich im ganzen auf 60 000 Rubel.

Nach dem zweiten Aufenthalt Grimms in Petersburg wurde seine Freundschaft zur Kaiserin noch vertrauter, ihr Briefwechsel noch lebhafter als zuvor. Sie hatten beide den grössten Gefallen aneinander gefunden. Vielleicht hätte Katharina aus ihrem Freunde einen Minister gemacht, aber Grimm wollte nur ihr «Faktotum» sein, ihr «Souffre-douleur».

Es war kein Wunder, dass Grimm während der siebenundzwanzigjährigen Freundschaft mit einer solchen Frau ganz in ihr aufging. Katharinas Individualität war viel stärker als die seine. Sie absorbierte ihn schliesslich vollkommen. «Dieser Briefwechsel», schrieb er, als er ein alter Mann und dem Tode nahe war, «ist die einzige Wohltat, der einzige Schmuck meines Lebens geworden, die Hauptstütze meines Glücks und dermassen wesentlich zu meinem Leben, dass mir das Atmen weniger zu seiner Erhaltung scheinen würde ... Ich war dazu gelangt, mir fern von ihr (Katharina) eine Art Religion zu schaffen, die nur sie und den Kultus zum Gegenstand hatte, mit dem ich sie umgab. Der Gedanke an sie war mir so zur Gewohnheit geworden, dass er mich weder am Tage noch des Nachts verliess und alle meine Ideen sich darauf konzentrierten ... Ob ich spazieren ging, ob ich reiste, mich irgendwo aufhielt, ob ich sass, lag oder stand – mein Dasein war vollkommen mit dem ihrigen verschmolzen.» Und schliesslich kam er so weit, dass er überhaupt nur noch für sie lebte und dachte. Kurz vor ihrem Tode ernannte ihn Katharina noch zum russischen Ministerresidenten in Hamburg, und Paul I. bestätigte den Freund der Mutter in diesem Amte.

Grimm verdiente das Wort «Freund» im wahren Sinne. Nie hatte Katharina einen treueren, ergebeneren und ehrlicheren Ratgeber und Diener. Sie brauchte nie eine Indiskretion und Ungeschicklichkeit bei ihm zu befürchten; er war beinahe der einzige unter ihren Bewunderern und Freunden, der die hohe Gunst, mit der sie ihn auszeichnete, nicht missbrauchte. Ihr Tod riss eine grosse Lücke in sein Leben. Obwohl er sechs Jahre älter war als Katharina, überlebte er sie noch elf Jahre und starb als 84jähriger Greis in Gotha.

*

Das Privatleben Katharinas ist im allgemeinen in den krassesten Farben geschildert worden. Man stellt sich die Kaiserin vor, als habe sie täglich Orgien mitten unter leichtfertigen, zynischen Frauen und Männern gefeiert. Die Schlösser von Petersburg, Zarskoje-Selo, Oranienbaum und besonders die Eremitage werden als Brutstätten der Roheit und sittlichen Verderbnis hingestellt, und Katharina geht allen mit dem schändlichsten Beispiel voraus.

Betrachtet man jedoch das Leben dieser in allen Dingen und in jeder Hinsicht aussergewöhnlichen Frau etwas genauer, so erscheint es uns in einem nicht so unmoralischen Lichte, wie es Legende, Verleumdung, Klatsch und Prahlsucht uns überliefert haben. Das harmonische Gleichgewicht in ihren Charaktereigenschaften und Lebensgewohnheiten, die genaue Regelung ihrer ungeheuren Arbeitstätigkeit, ihrer Zerstreuungen und Vergnügen stehen allerdings im Widerspruch mit ihrem intimen Leben, aber sie werfen auch gleichzeitig einen Schleier der Nachsicht über das Genie, das glaubte, sich mehr gestatten zu können als eine andere ihres Geschlechts. Katharina war wohl ausschweifend, oft schlüpfrig, unersättlich in der Liebe wie im Ehrgeiz. Aber sowohl ihre sinnlichen Genüsse wie ihre ehrgeizigen Pläne wusste sie in gewisse Regeln zu lenken, die sie fast nie überschritt. Sie verlor sich weder in dem einen noch im andern. Ihre Günstlinge haben in ihrem Leben und in ihren Schlössern einen ungeheuren Platz eingenommen, sie hatten auf das wirtschaftliche, politische und moralische Leben des Staates einen verderblichen Einfluss, aber Katharina wusste sich stets und in allen Lagen ihre Stellung sowohl als Herrscherin als auch als Frau zu bewahren. Sie war die Seele ihres Hauses, ihrer Familie, ihres Hofes, ihres geselligen Kreises. So prunkvoll und luxuriös alles nach aussen hin war, so einfach waren ihre Gewohnheiten im Privatleben. Es war ihr sehr lästig, viel Dienerschaft um sich zu haben. Zwei, drei, auf die sie wirklich zählen konnte, genügten ihr. Am liebsten tat sie alles selbst, weil sie, die rastlos Tätige, damit weniger Zeit verlor, als wenn sie erst um alles bitten musste. Alle ihre Untergebenen behandelte sie mit der grössten Höflichkeit. Nie befahl sie, immer bat sie selbst den geringsten ihrer Lakaien, wenn er etwas für sie tun sollte. Stets stand das Wort «bitte» vor ihren Wünschen und Anordnungen. Da sie ein sehr heftiger Charakter war, geschah es mitunter, dass sie unwillig wurde, wenn man sie beim Schreiben oder bei einer anderen Arbeit störte. Es entfuhr ihr dann vielleicht ein hartes Wort. Im nächsten Moment tat es ihr schon leid, und sie suchte ihr Unrecht, das oft keines war, durch das Bekenntnis ihrer Heftigkeit wieder gutzumachen. «Werde ich es wohl dahin bringen, dass man mich nicht fürchtet?» sagte sie in Hinsicht auf ihre Dienstboten. Oft ging ihre Nachsicht zu weit, und ein Undankbarer missbrauchte ihre Güte, aber im allgemeinen liebte und verehrte man sie unter ihrer Dienerschaft und ging für sie durchs Feuer.

Katharinas Tagewerk begann in früher Stunde. Gewöhnlich stand sie um sechs Uhr morgens auf. In früheren Zeiten trieb sie die Rücksicht auf ihre Umgebung so weit, dass sie sich selbst das Feuer im Kamin anzündete, Kerzen ansteckte, um die müden Diener zu so früher Stunde nicht zu wecken. In späteren Jahren änderte sich das, nicht aber, weil Ihre Majestät diese kleinen häuslichen Arbeiten als ihrer unwürdig befunden hätte, nein, weil ihre Zeit zu kostbar war. Aus diesem Grunde hatte sie auch nur ein kleines Lever eingeführt, das erst gegen 1 Uhr mittags stattfand. An ihm nahmen nur wenige Freunde und einige hohe Würdenträger teil. Inzwischen arbeitete sie von sechs Uhr an teils allein, teils mit ihren Sekretären, empfing Minister, Generale und Diplomaten, Gelehrte und Künstler und fand auch noch Zeit, dem jeweiligen Günstling eine Stunde zu widmen.

Ehe sich Katharina zur Arbeit setzte, trank sie einige Tassen sehr starken Kaffee, den niemand anders vertragen konnte als sie. Ihr Koch verwendete dazu ein Pfund Kaffee auf fünf Tassen, und selten liess sie eine davon stehen. Jeder andere hätte von diesem konzentrierten Gift Herzbeschwerden bekommen; Katharina aber brauchte es zu ihrer Gesundheit.

Bis neun Uhr blieb die Kaiserin allein in ihrem Kabinett, ganz in ihre Korrespondenz vertieft oder mit Lektüre und anderen Arbeiten beschäftigt. Wir wissen, sie war eine grosse Briefschreiberin. Wenn sie auch die meisten Briefe von ihren Sekretären, deren sie immer drei bis vier beschäftigte, schreiben liess, so blieben ihr doch noch genug, die sie eigenhändig verfasste. Während der Arbeit schnupfte Katharina beständig, auch in jungen Jahren. Es galt damals durchaus nicht für unweiblich oder ungraziös, wenn eine junge hübsche Frau eine Prise nahm.

Sobald es neun schlug, stand die Kaiserin von ihrem Arbeitstische auf und begab sich wieder in ihr Schlafzimmer. Hier empfing sie die hohen Staatsbeamten, die ihre Rapporte abstatten, Generale und Minister, die irgendeine Audienz erbeten haben, sowie ihren Geheimsekretär, dem sie ihre Aufträge erteilte. Er war der erste, der von ihr gerufen wurde. Katharina reichte ihm freundlich die Hand, die er ehrerbietig küsste. Auf ihre Aufforderung «Setzen Sie sich», nahm er an einem Tische Platz, um ihre Befehle zu erwarten. Er wurde oft in seiner Arbeit unterbrochen, und die Kaiserin musste dann in ihren Anordnungen innehalten, denn jeden Augenblick wurden Minister, hohe Beamte und Offiziere gemeldet, die sie alle mit grosser Liebenswürdigkeit und Würde empfing.

Sobald Katharina mit ihrer Toilette fertig war, begab sie sich ins offizielle Ankleidezimmer, um ihre «Lever» abzuhalten, währenddem ihre vier Kammerfrauen vor einem prachtvollen Spiegeltisch aus massivem Gold noch kleine Handreichungen leisteten. Das Becken, in dem sie sich die Finger netzte, die Schale, in welcher eine Kammerfrau die Nadeln fürs Haar reichte, waren ebenfalls aus purem Golde. Inzwischen hatte sich das nicht sehr grosse Zimmer mit den Höflingen angefüllt, die die Ehre hatten, an dem Lever der grossen Herrscherin teilzunehmen. Sie ist ganz natürlich, lebhaft, liebenswürdig, geistreich, witzig. Sie sieht frisch aus, und ihre klugen grauen Augen wandern von einem Besucher zum andern.

Um ein Uhr, später um zwei Uhr, hielt Katharina Tafel. Nur wenige Personen hatten die Ehre, mit der Kaiserin zu speisen. Der Günstling sass stets an ihrer rechten Seite. In früheren Jahren wurden die vertraute Freundin der Kaiserin, die Fürstin Katharina Romanowna Daschkoff, die Gräfin Bruce, ihre Ehrendame, die Nichte Patiomkins, Gräfin Branicka, die beiden Brüder Narischkin, der Feldmarschall Fürst Galitzin, Fürst Patiomkin, Graf Tschernitscheff, Graf Stroganoff, Fürst Bariatinski, die Orloffs, Graf Rasumowski zu Katharinas Tafel hinzugezogen. Später schieden einige dieser Personen aus und wurden durch andere ersetzt. Das Ehrenfräulein Protassof, Vizeadmiral Ribas, der Erzieher des jungen Bobrinski, Katharinas und Orloffs Sohn, und andere kamen hinzu.

Nach der Tafel plauderte man noch ein wenig. Darauf verabschiedete die Kaiserin ihre kleine Gesellschaft und zog sich mit einer Handarbeit in ihr Boudoir zurück. Wie eine kleine Bürgersfrau liebte sie es sehr, ein wenig zu sticken, zu nähen oder zu knüpfen. In diesen Stunden der Ruhe, die jedoch ebenfalls durch alle möglichen Geschäfte unterbrochen wurden, denn einer oder der andere ihrer Sekretäre war immer um sie beschäftigt, liess sie oft einige Kinder, später waren es ihre Enkelkinder, zu sich kommen, mit denen sie in den Zwischenpausen der Geschäfte oder jeweiligen Unterhaltungen spielte. Sie, die für ihren eigenen Sohn Paul nichts übrig hatte, war ausserordentlich kinderliebend. Einige ihrer kleinen Lieblinge, wie den jungen Markoff und den Sohn des Admirals Ribeaupierre, erzog sie vollständig an ihrem Hofe. Die Kinder des Fürsten Galitzin, vier kleine Neffen Patiomkins, der Sohn des Grafen Nikolai Saltikoff, der kleine Graf Valentin Esterhazy, ein Kind des Grafen Schuwaloff, alle durften sie in den Gemächern Katharinas spielen, und sie selbst war das grösste Kind unter ihnen. Als sie noch jünger war, waren es wilde, tolle Spiele, die sich meist am Fussboden abspielten, und Kinder wie Kaiserin, Gregor Orloff und Zachar Tschernitscheff in die vergnügteste Laune versetzten. Später, als es Katharinas Körperfülle nicht mehr erlaubte, sich mit den Kleinen auf den Teppichen zu wälzen, schnitt sie ihnen Puppen aus, verfertigte allerhand drolliges Spielzeug aus Karton und Papier, zeichnete ihnen Karrikaturen, erzählte ihnen die herrlichsten Märchen oder die lustigsten Geschichten, und das fröhliche Kinderlachen um sie herum nahm kein Ende. Es tat ihr wohl. Sie liebte die Heiterkeit, die Jugend, alles Natürliche.

Neben den Kindern waren es die Tiere, die sich Katharinas besonderer Sorgfalt erfreuten. Sie hatte stets eine zahlreiche Hundefamilie um sich, und die berühmte «Familie Anderson» spielt in ihren Briefen an Grimm und andere eine nicht geringe Rolle.

Bis vier Uhr blieb Katharina gewöhnlich in ihrem Salon, teils mit einer Arbeit, teils mit den Kindern beschäftigt. Dann begab sie sich bis sechs Uhr mit dem Günstling in die Eremitage, ihrem Lieblingsaufenthalt. Dort hatte sie alles nach ihrem Geschmack eingerichtet. Sie hatte die Etikette ganz aus diesen wohnlichen, künstlerischen Räumen verbannt. Hier durfte man Mensch sein. Katharina selbst fühlte ein grosses Bedürfnis nach diesem freien Menschentum, nach dieser ganzen Natürlichkeit und Ungezwungenheit, die bei ihr oft in Derbheit überging.

Die «Eremitage» nahm einen ganzen Flügel des Petersburger Schlosses ein. Den grössten Teil bildete die sehr wertvolle und reiche Bildergalerie und die unschätzbaren Sammlungen von Kunstgegenständen und Büchern, die Katharina mit grossem Geschmack hier vereinigt hatte. Ferner waren zwei grosse Spielsäle und ein Speisesaal vorhanden, wo man an zwei nicht zu grossen Tischen in engster Vertrautheit speiste. Neben diesen Räumen lag ein herrlicher Wintergarten mit den seltensten Pflanzen und Blumen. Man wandelte unter tropischen Bäumen und exotischen Gewächsen wie in einem Feenreich. Buntgefiederte, reizende Vögel sangen ihre süssen Liebeslieder, und abends wurden diese bezaubernden Räume in ein magisches Licht gehüllt.

Am angenehmsten war aber die unumschränkte Freiheit, die in diesen intimen Gemächern Katharinas herrschte. Ein mächtiges Schild am Eingange des Tuskulums schrieb dem Eintretenden den Ton vor, der hier gebräuchlich war. «Es ist verboten», heisst es da, «sich zu erheben, wenn die Kaiserin erscheint, selbst wenn man sitzt und sie auf sich zukommen sieht, oder wenn sie wünscht, die Unterhaltung stehend weiterzuführen. Ferner ist es verboten, schlechte Laune mitzubringen, beleidigende Worte zu wechseln, von jemandem Schlechtes zu sprechen, sich irgendwelcher Streitigkeiten oder Gehässigkeiten zu erinnern, die man mit einem Anwesenden ausserhalb der Eremitage eventuell haben könnte; man soll sie mit seinem Hut und seinem Stock vor der Tür lassen. Es darf auch weder gelogen noch gefaselt werden.» Jeder, der diesen Vorschriften zuwiderhandelte, musste 10 Kopeken Strafe in die aufgestellte Büchse werfen. Der Ertrag – und er war nicht gering – war für die Armen bestimmt. Bezborodko war der Kassierer. Der Abend endigte meist mit einer Partie Whist oder Robber. Und da geschah es nicht selten, dass der eine oder der andere Beteiligte seine Karten wütend auf den Tisch warf, weil er meinte, die Kaiserin spiele zu seinem Nachteil. Das geschah sogar auch bisweilen während der offiziellen Spielabende vor versammeltem Hofe. Der Kammerherr Tscherthoff geriet jedesmal in hellen Zorn, wenn die Kaiserin mit ihm spielte. Eines Abends stand er brüsk vom Spieltisch auf, warf der Kaiserin die Karten vor die Füsse und behauptete, sie spiele falsch. Katharina war durchaus nicht beleidigt, sondern verteidigte sich und nahm die Mitspielenden als Zeugen.

Ganz anders verbrachte sie die Stunden, wenn sie nachmittags mit dem Günstling dort verweilte. In seiner Gesellschaft, besonders zur Zeit Lanskois und Patiomkins, gab es entweder neue Kunstsammlungen zu besehen oder ihre Anordnungen zu bestimmen, oder auch eine Partie Billard mit dem Bevorzugten zu spielen. Das waren für Katharina die liebsten Stunden des Tages. Aber punkt sechs Uhr wurde sie aus diesem beinahe bürgerlichen Leben herausgerissen. Es begann die Zeit des Diners und des öffentlichen Empfanges.

Von neuem begab sich die Kaiserin in ihre inneren Gemächer, um ein wenig ihre Kleider zu ordnen, denn sie zog sich abends nie um, nur bei besonderen Gelegenheiten. Dann legte sie die Hoftoilette an, gewöhnlich ein dunkelrotes Plüschkleid nach russischer Mode. Ihr üppiges Haar schmückte eine Diamantenkrone. Und nie stand eine Krone einem Haupte besser, als Katharinas klugem, majestätischem Kopfe. Aber es war auch, als wenn sie mit den offiziellen Kleidern ein ganz anderer Mensch würde. Sobald sie die Handschuhe angezogen hatte und in den Empfangssälen erschien, war sie nicht mehr die heitere Frau, die soviele menschliche Schwächen hatte, sondern nur noch die Herrscherin, majestätisch und würdig, huldvoll und gütig. Sie ging langsam, mit kleinen gemessenen Schritten durch die Reihen der sich vor ihr bis zur Erde neigenden Höflinge, grüsste nach allen Seiten mit einer leichten, anmutigen Verbeugung des Kopfes, richtete an diesen oder jenen ein paar verbindliche Worte, oder reichte einem Fremden, der ihr auf dem Wege zu ihren Spieltischen vorgestellt wurde, die Hand zum Kusse. Beim Spiel war sie wieder ganz menschlich, scherzte oft und lachte über ein geistreiches oder auch nur schlagfertiges Wort der Gesellschaft. Punkt zehn Uhr aber zog sie sich zurück. Der Günstling verbeugte sich vor ihr, reichte ihr den Arm und begleitete sie allein in ihr Zimmer. Er erschien nicht wieder. Der ganze Hof, ihr Sohn, ihre Enkelkinder waren auf diese Weise Zeuge ihres intimen Lebens. In diesem Augenblick war sie für sie nicht mehr die Kaiserin, die Mutter, die Grossmutter, sondern nur Frau. Von ihren Enkeln wurde sie heiss geliebt. Mit der ängstlichsten Sorgfalt wachte sie über ihr moralisches Leben, so frei und frivol sie in ihrem eigenen Leben sein konnte. Vom ersten Tage an beobachtete sie die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder, und entzückt berichtete sie in ihren Briefen an die Freunde alles Neue von den kindlichen Einfällen, den besonderen Charakterzügen und Anlagen, der Kraft und Gesundheit der kleinen Grossfürsten.

Katharina hielt in ihrer engeren Familie streng auf Moral. Sie selbst dachte ja auch nicht, dass sie durch ihren Lebenswandel ihren Kindern und Kindeskindern ein schlechtes Beispiel gab. Es erschien ihr alles, was sie tat, natürlich, und deshalb machte sie auch kein Hehl daraus. Katharinas Unsitten waren weniger die ihres Herzens, als die ihrer Zeit und der ausserordentlichen Umstände, infolge deren diese ehrgeizige, ruhmsüchtige, eitle, aber schwache Frau auf den mächtigsten Thron gelangte.

Die letzten zehn Jahre der Regierung Katharinas setzten ihrem Ruhm und ihrer Macht die Krone auf. Nachdem ihr grosser Partner Friedrich der Grosse gestorben war, regierte ihr Genie allein über Europa. Sie zog den politischen Faden, der sich in ihrer Hand befand, nach Willkür an. Die gekrönten Häupter, die miteinander im Streite lagen, wählten die russische Kaiserin zur Schiedsrichterin und liessen von ihr die Interessen ihrer Staaten regeln. Ihr unermessliches Reich, die unerschöpflichen Hilfsquellen, über die sie verfügte, der glänzende Hof, der sie umgab, der barbarische Prachtaufwand ihrer Höflinge, das fabelhafte Glück, das sich an alle ihre Unternehmungen heftete, und die Riesenpläne, die ihr unersättlicher Ehrgeiz entwickelte, erfüllten die ganze Welt mit Bewunderung und Erstaunen.

Und doch war nicht alles so glänzend im Innern des Reiches, wie es in den Augen der Aussenwelt erschien. Russland war in seinem Innersten verfault und verdorben. Unter dem Schutze des Günstlings der Kaiserin teilten sich ein paar Dutzend Grandseigneure in das Reich, plünderten die Staatskassen und -einkünfte, und bedrückten auf alle Weise das arme russische Volk. Katharina war nicht mehr die junge, kräftige Herrscherin, sondern eine alternde Frau, die sich ganz von der Leidenschaft zu einem jungen, von ihr vergötterten Manne leiten liess. In seine Hände hatte sie das Wohl ihres Staates gelegt. Und dieser junge, willkürliche Herrscher hiess Plato Zubow.

Mit sechzig Jahren sprachen noch einmal Katharinas ewig junges Herz und ihre unersättlichen Sinne. Und der in der Liebe so leichtgläubigen Frau fiel es sogar nicht schwer, sich einen neuen Liebesfrühling vorzuzaubern. Der 22jährige Zubow wusste nämlich noch besser Komödie zu spielen wie seine Vorgänger. Er nahm die Sentimentalität zu Hilfe, um den Weg zum Herzen Katharinas zu finden.

Aber dieser liebenswürdige junge Mann entpuppte sich bald als ein ehrgeiziger, tyrannischer, unersättlicher Gebieter für den ganzen Staat. Er riss allen Einfluss, alle Aemter und Würden an sich, und stopfte sich und seiner Familie mit Katharinas Gold die Taschen voll. Seine Liebenswürdigkeit erstreckte sich nur auf die Person der Kaiserin, der er zu schmeicheln wusste. Alle anderen Menschen behandelte er wie Geschöpfe einer niederen Gattung. Dabei war er selbst der grösste Ignorant in allen Staatsgeschäften und gab sich nicht die geringste Mühe, etwas zu lernen. Seine Politik, seine Führung der Geschäfte und nicht zum wenigsten sein sybaritischer Luxus wirkten geradezu verheerend auf den russischen Staat und liessen nichts als leere Kassen zurück. Zubows verderblicher Einfluss machte sich noch viel bemerkbarer, als der immerhin gefürchtete Rivale Patiomkin gestorben war. In «sieben» Herrscherjahren gelangte Zubow zu allen Ehren und Auszeichnungen, wozu Patiomkin zwanzig Jahre wirklichen Verdienstes gebraucht hatte. Zubow wurde Fürst, «Generalgouverneur des neuen Russland», Grossmeister der Artillerie und erhielt alle russischen und ausländischen Orden, die sein Vorgänger gehabt, sogar den schwarzen und roten Adlerorden. Im Jahre 1795 schrieb Graf Rastopschin an Simon Woronzoff: «Der Graf Zubow ist hier alles. Es gibt keinen anderen Willen als den seinigen. Seine Macht ist grösser als die des Fürsten Patiomkin von einst. Er ist ebenso nachlässig und unfähig wie ehedem, obgleich die Kaiserin allen und jedem wiederholt, er sei das grösste Genie, das Russland je hervorgebracht habe.»

Katharina sah nicht oder wollte es nicht sehen, dass durch Zubows Hände Millionen flossen und das Innere ihres Staates zerrüttet wurde. Die Liebe und Leidenschaft machte sie vollkommen blind gegen diesen jungen Menschen. Der ganze Hof kannte die grosse Schwäche Katharinas für Zubow. Um ihr angenehm zu sein, schmeichelte man dem Günstling in der übertriebensten Weise. Alte Generale und Minister, die im Dienst Ihrer Majestät ergraut waren, füllten die Vorzimmer des jungen Mannes und warfen sich vor diesem Idol, das der weitsehende Blick der Herrin als Genie aufgefunden hatte, wie vor einem Götzen im Staube nieder. Im Innersten ihres Herzens aber verwünschten, hassten und verachteten sie ihn. Er war zu arrogant. Einst gefiel es ihm, mit seinem Gefolge auf der Strasse, die von Petersburg nach Zarskoje-Selo führt, einen Hasen zu jagen. Um dieses Ziel zu erreichen, hielt Zubow eine Stunde lang mit seinen Wagen, Begleitern und Hunden die Strasse gesperrt, ohne sich im geringsten darum zu kümmern, dass dadurch die Höflinge der Kaiserin, die sich in ihren Equipagen an den Hof begaben, die Post, die Kuriere, die Bauern, die zur Stadt wollten, aufgehalten wurden und ihre Geschäfte versäumten. Niemand wagte, seinen Weg fortzusetzen, um die Jagd des mächtigen Zubow nicht zu stören. Katharina sah das alles nicht. Sie liebte ihn und wähnte sich von ihm geliebt. Sie war glücklich.

Ueberblickt man das Leben der Kaiserin, so muss man feststellen, dass Katharina als Frau und als Herrscherin auf eine aussergewöhnliche Reihe von Erfolgen zurückblicken konnte. Und doch hatte sie manche Enttäuschungen erlebt, wenn sie es auch nicht zugeben wollte. Wie hätte eine so kluge Frau, ein so grosses Genie nicht bemerken sollen, dass es ihr besonders in den letzten Jahren an fähigen Feldherren, getreuen und gewissenhaften Verwaltern fehlte, dass sich infolge des zunehmenden Luxus und der ungeheuren Verschwendung Zubows und seiner Kreaturen, aber auch infolge ihrer eigenen grenzenlosen Verschwendungssucht ein grosser Geldmangel bemerkbar machte, dass die Zerrüttung der Verwaltung und Finanzen, sowie die Armut des Volkes nicht im richtigen Verhältnis zu ihrem glänzenden Hofe stand? Es gab für Katharina Momente der Abspannung. Das Gelingen ihrer Unternehmungen war ihr unentbehrlich; jeder Misserfolg traf sie um so schwerer. Dann klagte sie gegen die ihr Nahestehenden, aber nie kam ein Wort des Vorwurfs oder der Sorge gegen Zubow über ihre Lippen. Ihm verschwieg sie ihren Kummer. Für ihn musste sie fröhlich und heiter sein, um ihm zu gefallen.

Ein Zeichen ihres Alters war es auch, dass sie, die sonst Klarsehende, sich einem Quacksalber, einem Abenteurer, dem berüchtigten Lambro Cazzioni, in die Hände gab. Er hatte ihr eingeredet, er könne ihre offenen Aderbeine heilen, wenn sie täglich eiskalte Seewasserfussbäder nehme. Um seiner Heilmethode mehr Gewicht zu verleihen, holte er das Wasser dazu selbst aus dem Meere herbei. Anfangs bekam ihr die Kur nicht schlecht, und sie spottete mit Lambro über die Aerzte und ihre Heilmethoden. Bald jedoch stellten sich Blutstauungen und Koliken bei ihr ein, und sie musste mit den Bädern aufhören. Von Tag zu Tag wechselte ihr Befinden; einmal war es gut, einmal schlecht. Manche Tage konnte sie sich nur mit grösster Mühe von der Stelle bewegen; sie hing am Arme Zubows und wurde von einem Diener oder einer Kammerfrau noch gestützt. Dann kamen wieder Tage des völligen Wohlbefindens. Am 5. November 1796 hatte sie einen besonders guten Tag. Es war kleine Eremitage, und Katharina lachte fröhlicher denn je. Leo Narischkin hatte sich als Trödler verkleidet und feilschte mit der Kaiserin um allerhand Kram und Spielsachen, die er aus seinen unerschöpflichen Taschen hervorbrachte. Solche Scherze liebte Katharina ausserordentlich. Sie war äusserst gut aufgelegt an jenem Abend, denn sie hatte die gute Nachricht erhalten, dass der General Moreau gezwungen worden war, über den Rhein zurückzugehen. Sie setzte auch gleich ein scherzhaftes Schreiben an den österreichischen Gesandten Cobenzl auf, worin es hiess: «Je m'empresse d'annoncer à l'excellente Excellence que les excellentes troupes de l'excellente cour ont complètement battu les Français.» Plötzlich jedoch zog sie sich etwas früher als gewöhnlich mit Zubow zurück, und zwar mit der bezeichnenden Bemerkung, sie habe Leibschmerzen, weil sie zu viel gelacht habe.

Am nächsten Morgen erhob sich Katharina zur gewohnten Stunde um 6 Uhr. Sie liess Zubow zu sich rufen, arbeitete mit ihren Sekretären und erledigte verschiedene Geschäfte. Dann drückte sie den Wunsch aus, einen Augenblick allein zu bleiben, bis sie ihren Geheimsekretär rufen werde. Dieser wartete einstweilen im Vorzimmer. Es verging jedoch eine geraume Zeit, ohne dass die Kaiserin wieder etwas von sich hören liess. Man wurde unruhig, lauschte an den Türen; nichts regte sich in den Gemächern Katharinas. Aber weder der Sekretär noch die andern Personen ihrer Umgebung wagten, ihrem Befehl zuwiderzuhandeln und in ihre Zimmer einzudringen, wenn sie allein bleiben wollte. Als sie jedoch noch eine gewisse Zeit gewartet hatten, wagte es endlich der Kammerdiener Zotoff, ihr Schlafzimmer zu öffnen. Die Kaiserin war nicht darin, auch nicht in ihrem Ankleidezimmer. Zotoff ging weiter – plötzlich stiess er einen gellenden Schrei aus – die Kaiserin lag in einem Gang, der nach ihrer Toilette führte, bewusstlos am Boden, mit Schaum vor dem Munde.

Man brachte die bewusstlose Kaiserin sofort in ihr Schlafzimmer. Da sie jedoch sehr schwer war, vermochte man sie nicht aufs Bett zu heben, sondern legte sie auf eine in der Eile herbeigeschaffte Matratze zu ebener Erde. Alles war in heftigster Bestürzung. Die Aerzte erklärten, es sei keine Hoffnung mehr, ein Schlaganfall habe Katharina überrascht. Der Todeskampf währte indes noch 37 Stunden, ohne dass sie die Sprache wiedererlangte. Man meinte, für Paul sei das ein Glück gewesen, denn sie würde ihm den Thron entzogen haben.

Eine reichangelegte Natur, vom Schicksal wie keine andere begünstigt, ein mit allen Vorzügen und Fehlern begabtes Genie schied mit Katharina II. aus der Welt und liess ihre engere Umgebung in der grössten Fassungslosigkeit zurück. Am meisten litt Zubow unter dem Ereignis. Der Tod Katharinas stürzte ihn in ein Nichts zurück, denn von Pauls Regierung hatte er nichts zu hoffen. Zubow hatte nicht allein den Grossfürsten mit der grössten Verachtung und Arroganz behandelt, sondern Paul liebte überhaupt seine Mutter und ihre Umgebung nicht. Es genügte, mit seiner Mutter auf gutem Fusse gelebt zu haben, um ihn sich zum ewigen Feind zu machen. Zubow sah alles vor sich in Trümmer fallen. Er weinte heisse Tränen, nicht um den Verlust der Geliebten, sondern um den der Wohltäterin, der mächtigen Beschützerin, der Spenderin all seines Glücks und Reichtums. Zehn Tage lang schloss er sich bei seiner Schwester, der Gräfin Jerebzoff, ein, empfing niemand, ging nicht aus, wollte mit keinem Menschen sprechen. Mit Bangen sah er seinem Schicksal entgegen, das in des neuen Kaisers Händen lag. Nie hatte er Paul geliebt und geehrt. Jetzt fürchtete er dessen Rache. Alle seine Schmeichler hatten den einst so mächtigen Günstling verlassen. Man hasste ihn, man brauchte ihn nicht mehr; er war eine abgetane Grösse. Die Kaiserin lag noch auf dem Paradebett des Todes, und schon richteten sich alle Blicke auf den neuen Zaren, und alle bemühten sich, ihm angenehm zu sein.


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