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Zwei Neujahrsnächte.

Erste Neujahrsnacht.


Es schlug Elf.

Laßt uns dem scheidenden Jahre ein Glas bringen – rief der Wirth – und dem Andenken aller frohen Stunden, die es uns brachte!

Die Gläser klirrten munter zusammen, und in aller Augen glänzte der Widerschein genossener Freuden.

Es ist doch eine wunderliche, heiter ernste Sache um den Augenblick des Jahreswechsels – sagte Hermann – Im Grund' ist jeder Augenblick Anfang und Endpunkt eines Jahres; wenn ihr wollt, eines Jahrhunderts und Jahrtausendes, und blos die Konvenienz macht uns die Mitternachtsstunde zwischen dem letzten December und dem ersten Januar so feierlich.

Das ist es eben – entgegnete Falk – die Uebereinstimmung ganzer Nationen, die sich überdies auf religiöse Beziehungen gründet, giebt das Feierliche; und was wollen wir mehr? Die Jubelepochen in dem Leben eines Menschen mögen ihn selbst, den Einzelnen, oft näher angehn, und ich helfe gern in Lust und Fröhlichkeit sie feiern. Allein ihr werdet mir recht geben, daß die Feier von Familienfesten, wo sie aus der Freude in Ernst übergehn will, leicht in süßliche Sentimentalität ausartet. Denn, so schön der Name des Festes klingen mag, so ist es doch immer nur ein frohes glückliches Ereigniß, dessen Erinnrung gefeiert wird. Das Glück aber, welches das häusliche Leben erheitert, so werth es auch jedem fühlenden Menschen seyn wird, ist doch für den hohen Ernst der Feierlichkeit zu wenig. Es ist wahr, wir freuen uns alle, daß wir jetzt wieder in gemeinschaftlicher Lust zusammensitzen, wie vor dem Jahre, und daß der alte Jahrgreis uns in seiner Sterbestunde noch anlächelt, als hätt' er sich nichts Böses gegen uns vorzuwerfen; aber, was diese Stunde feierlich macht, ist nicht unsre Fröhlichkeit, sondern etwas Höheres. Die große Uebereinstimmung vieler Menschen gestaltet sich uns zur Allgemeinen. Wie die Kirche ihr Allerheiligen- und Allerseelenfest hat, so wird die Jahrsmitternacht eine Allerfreuden- und Allerleidenfeier für die ganze Menschheit, und, weniger egoistisch, als bei Familienfesten, feiert jeder des Nachbars Feier andächtig mit. Das alte Jahr gestaltet sich uns zur ernstlächelnden, hinscheidenden Mutter, und das neue zum frohlächelnden Kinde, und zwischen dem Sarg des Einen und der Wiege des Andern wandeln Ahndungen, die in dem Munde der Menschen zu bedeutungvollen Wünschen werden.

Laßt mir die Wünsche ruhn bis Mitternacht – fiel der Wirth dem Sprecher ein – Uebrigens möchten wir gern annehmen, daß Neujahrswünsche ausgesprochene Ahndungen seyn. Denn da wir uns gewiß alle von Herzen Gutes wünschen, so wär es der Mühe werth zu glauben, daß unsre Wünsche sich wie rechte Ahndungen durch Erfüllung bewähren. Aber leider wirft die Erfahrung deine Theorie um, wie manche andre.

Wenn ihr Leute doch vorsichtiger über Erfahrung sprächt – entgegnete Falk – oder wenn ihr euch wenigstens erst darum bekümmertet, was ihr eigentlich erfahren habt! Einer betrinkt sich und schläft schlecht, gleich hat er aus Erfahrung, daß ihm der Wein Abends nicht bekommt.

Das Beispiel belehrt wahrscheinlich nur Männer – sagte die Wirthin – Wir Frauen möchten aber gern mit Ihnen an die Magie der Neujahrswünsche glauben. Belehren Sie uns also, aber hübsch faßlich für Frauen und Mädchen, warum bleiben so viel Wünsche unerfüllt?

Wahrscheinlich – entgegnete Herrmann neckend – weil Falks Ahndungs- und Wunschtheorie nur Präludium zu den Wünschen seyn soll, die wir bald intoniren werden. Das Thema hat sich etwas gemein gemacht, Freund Falk will ihm deswegen durch Wahrscheinlichkeit ein neues Interesse geben, wie manche Erzähler ihren Anekdoten durch den Zusatz: wahre Geschichte.

Falk that als hört' er nicht auf die Neckerei, und wendete sich zur Wirthin.

Ich könnte – sprach er – Ihnen erwidern, daß die Mehrzahl der Neujahrswünsche unnützes leeres Ceremoniell ist, von dem Sie selbst keine Erfüllung erwarten. Ich könnte hinzusetzen, daß ich die magische Kraft nur den Wünschen beigelegt habe, die in der eigentlichen Neujahrsstunde gesprochen werden, und so hätt' ich schon die Zahl der unerfüllten Wünsche um ein beträchtliches verringert, aber ich thue am besten, ich trete auf Hermanns Seite und gebe zu, daß ich nur präludirt habe. Den allgemeinen Vorbereitungswunsch, daß alle unsre Wünsche für einander ausgesprochene Ahndungen seyn mögen, darf ich wohl mit Erlaubniß unsres Wirthes in dieser Vorbereitungsstunde vorläufig aussprechen.

Das ist Ihr Ernst nicht – versetzte die Wirthin – Sie möchten nur gern Ihr Wort wieder zurück haben. Entweder Ihr Publikum gnügt Ihnen nicht zu Mittheilung Ihrer Ansicht, oder Sie empfinden eine Art Scheu vor Ihrer eigenen Meinung. Wählen Sie selbst, welchem Verdacht Sie ausgesetzt seyn wollen.

Ohne Zweifel dem letzten – erwiderte Falk – mit diesem sind Sie auch der Wahrheit ziemlich nahe gekommen. Eine Stunde vor dem Eintritt des Neuenjahres scheint es wirklich etwas unschicklich mit einer Meinung hervorzutreten, welche die Wünsche in etwas zweideutigem Lichte zeigt. Uebrigens war meine ganze Behauptung nur ein Einfall des Augenblicks, im Lauf oder Sprung des Gespräches erzeugt.

Um so eher vermuthen wir – fiel die Wirthin ein – daß sie den Ahndungen ihren Ursprung dankt, die, wie Sie selbst sagen, zwischen Wiege und Sarg der beiden Jahre wandeln, und vielleicht nicht blos in Wünschen, sondern auch in Meinungen, Urtheilen und mehrern Formen sich aussprechen. Sehn Sie, wie unser junges Brautpaar aufhorcht, es lebt in der rechten Blüthenzeit der Glückwünsche. Bitten Sie den Professor, schöne Braut, daß er uns die Magie der Wünsche enthülle. Einer Braut darf nichts abgeschlagen werden.

Elisa stimmte der Wirthin bei, und Falk wurde bald von mehrern Seiten aufgefordert.

Sie haben, vielleicht durch mein Verschulden, Ihre Erwartung zu hoch gespannt – sagte Falk – und werden dafür unbefriedigt bleiben. Mir fiel im Gespräch der alte Glaube ein an die Bedeutsamkeit, unwillkührlich zu gewissen Zeiten ausgesprochener Worte oder beobachteter Zeichen. Das Alterthum hing bekanntlich sehr fest an diesem Glauben, und bis zu uns haben sich Spuren davon erhalten. Das: Glückauf! der Bergleute deutet darauf hin, und viel andre Gewohnheiten, die man noch in Dörfern, vorzüglich gebirgiger Gegenden findet. Die Menschen hüten sich da mit der größten Vorsicht für Worten von böser Bedeutung, noch mehr aber, und ganz vorzüglich vor doppelsinnigen, die vielleicht in guter Meinung ausgesprochen, von feindlichen Schicksalsdämonen im entgegengesetzten Sinne aufgefaßt, und in verderbliche Erfüllung gebracht werden könnten. So dachte ich, geht es vielleicht mit manchen Wünschen. Sie werden erfüllt, aber, wie Macbeths Weissagungen, dem Buchstaben nach, der hier tödtet. Diesen hat aber der Wünschende längst vergessen, und glaubt mithin, sein Wunsch sei vereitelt.

Ist das Ihr Ernst? fragten mehrere Stimmen und sahen den Professor mit zweifelhaftem Lächeln an.

Seltsame Erscheinungen dieser Art giebt es wirklich – sagte Anselm, als der Professor nicht sogleich zwischen Ernst und Scherz entschied, und alle schweigend seiner Antwort entgegen sahen.

Endlich – rief Hermann lachend – läßt sich doch das wortkarge Repertorium aller Wundergeschichten auch vernehmen. Ich glaube, es giebt keine Wundersage und keinen Volksglauben, wo du nicht im Stande wärst Beispiele zur Erläuterung nachzuweisen. Also geschwind her mit einem Beleg für die magische Kraft der Worte!

Ein interessantes Histörchen der Art zu erfinden – erwiderte Anselm – wär vielleicht nicht die schwerste Aufgabe. Ich soll aber, so wollt ihr, den experimentirenden Famulus bei des Professors Vorlesungen machen. Ihr müßt also blos darauf sehn, ob meine Belege beweisen, nicht ob sie eben Prachtstücke sind und sich brillant ausnehmen. Ich gebe, was ich selbst erlebt und angesehn habe.

Vor mehrern Jahren macht' ich in Karlsbad die Bekanntschaft der Geheimräthin Amalie von Kulm. Sie war seit einigen Monaten Wittwe und besuchte das Bad mit ihrer fünfjährigen Tochter, nur um einem bejahrten Oheim Gesellschaft zu leisten, denn sie selbst stand in der schönsten Blüthe der Gesundheit und Jugend. Dem Oheim bekam indessen das Bad nicht nach Wunsch. Der Brunnenarzt betrieb daher seine Abreise sehr, und da meine Badezeit eben auch abgelaufen war, so gab ich dem Wunsch der Geheimräthin nach, mit ihr zugleich abzureisen, und den unbedeutenden Umweg über das Gut des Oheims zu machen. Sie fürchtete, was sie aber nicht gestehen wollte, schon unterweges einen tödtlichen Zufall für den Oheim, denn ihre Hauswirthin, die für eine Art von Leichenseherin galt, hatte einigemal bedenklich geäußert, die Herrschaft werde wol unterweges eine Leiche bekommen.

Die Schwachheit des Alten gestattete uns nicht, die Reise ununterbrochen fortzusetzen. Wir beschlossen daher in einem Dorfe Rasttag zu halten, dessen freundliches Ansehn uns ein bequemes Unterkommen zu versprechen schien. Wir hatten Ursache zufrieden zu seyn. Die Wirthin war lauter Sorgfalt für den alten Herrn, und da er die beste Abwartung und einige Unterhaltung an ihrem muntern lebhaften Gespräch fand, so bat er am folgenden Morgen seine Nichte, einen Spaziergang in meiner Begleitung zu machen, und ihn einstweilen der Sorge der jungen Frau zu überlassen. Wir gingen einen anmuthigen Weg hinter den Gärten des Dorfes. Die ruhige Nacht des Oheims hatte auch die Geheimräthin etwas aufgeheitert und sie erzählte mir, mit einer Laune, die ich an ihr gar nicht gewohnt war, Scenen aus ihrem Leben und von ihren Bekannten. Auf einmal hörten wir volles Glockengeläut aus dem Dorfe. Gewiß eine Leiche, sagte die Geheimräthin. Kommen Sie, ich habe lang niemand auf dem Lande begraben sehn. In meiner Kindheit hätt' ich um keinen Preis ein Leichenbegängniß versäumt. Die kleine Minna weinte und bat, die Mutter sollte doch nicht auf den Gottesacker unter die Todten gehn, aber diese schalt die Tochter wegen ihrer Furchtsamkeit, und wir traten auf den Kirchhof. Der Sarg wurde, wie es auf Dörfern gewöhnlich ist, neben das Grab gesetzt und noch einmal geöffnet. Eine schöne jugendliche Leiche ward sichtbar. Bald trat ein alter Landmann mit einem kleinen Mädchen, gleich ihm in Trauer gekleidet, hinzu, und legte der Todten eine Frucht unter das Kinn, das Mädchen gab ihr Todtenblumen in die gefalteten Hände. Schlaf sanft, sagte der Alte. Ich hoffte, du solltest mir den letzten Dienst erweisen; nun, es hat nicht seyn sollen. Dann trat der Pastor hinzu, ein etwas bejahrter, doch kräftiger Mann, und hielt eine Leichenrede voll Würde und Trost. Die Geheimräthin wendete kein Auge von ihm, bis er geendet hatte. Sie war entzückt von dieser Rede, und äußerte ihr Wohlgefallen einigemal in abgebrochenen Worten gegen mich. Kurz vor dem Schluß erschien auch der Oheim, der sich von der Wirthin auf den nahen Kirchhof hatte führen lassen. O, daß Sie die herrliche Rede nicht ganz gehört haben! rief ihm die Geheimräthin zu, und als nun der Geistliche herzutrat, um nach geendigtem kirchlichen Akt den fremden Zuhörern seine Achtung zu bezeigen, rief sie ihm entgegen: Herr Pastor, keinen andern als Sie wünsche ich mir zum Leichenredner, nehmen Sie herzlichen Dank. Die kleine Minna, ihre Tochter, faßte bei diesen Worten ängstlich ihre Hand; Mutter, sagte sie halb weinend, Mutter, sprich doch nicht so 'was! Der Wunsch liegt mir wol näher, liebe Nichte, sagte der Oheim, aber jetzt rief Minna noch ängstlicher: Großonkel, wie kannst du noch so eine Auslegung machen! Der Geistliche sah mich und ich ihn betroffen an, aber die Geheimräthin nahm lächelnd das Wort. Dieser Ort, sagte sie, gestattet mir nicht eine Erläuterung meiner übereilten Rede, schenken Sie uns aber diesen Mittag Ihre Gesellschaft im Gasthofe. Der Geistliche sagte zu, und es klärte sich nun auf, daß die Geheimräthin ihm die vakante sehr einträgliche Predigerstelle auf ihrem Gute zugedacht hatte. Der Pastor erbat sich Bedenkzeit, weil ihm, ungeachtet seines geringen Einkommens, doch seine Gemeine lieb sei, und man ward einig, die Sache in Briefen abzuthun.

Allein die Briefe wurden nicht gewechselt. Man wollte am andern Morgen eben die Pferde einspannen, als die Geheimräthin über heftiges Kopfweh klagte, und Aufschub wünschte. Der Schmerz ward bedeutender, und in kurzer Zeit zeigte sich eine gefährliche Krankheit, der die Kunst der Aerzte, wenigstens in jener Gegend, nicht gewachsen war. Der Ausgang war tödtlich, und acht Tage nach jenem Leichenbegängniß hielt der Pastor die Trauerrede am Sarge der Geheimräthin. Erschütternd wirkte es auf mich, den alten Oheim und Minna am geöffneten Sarge, und so die treue Wiederholung jenes Begräbnisses zu sehen, welches zu diesem gleichsam ein Vorbild gewesen war. Der Oheim lebte nach diesem Vorfall noch einige Jahre, und wir haben uns oft der seltsamen Erfüllung des Wunsches seiner Nichte erinnert.

Noch seltsamer wär es gewesen – sagte Hermann – wenn ihr Tod durch einen Zufall erfolgt wär. Die Krankheit läßt immer noch eine natürliche Erklärung zu. Vielleicht erschrak die Geheimräthin selbst über ihr schnelles Wort, und noch mehr über die breite Bemerkung des Oheims. So erregte der Schreck wahrscheinlich erst die Krankheit und hernach den Tod.

Nehmt mir's nicht übel – fiel der Professor ein – ich muß allemal lachen, wenn von natürlicher Erklärung die Rede ist. Als ob irgend etwas in der Natur unnatürlich zugehn könnte! Was geschieht ist allemal natürlich, sonst könnte es nicht geschehn.

Treibt nur nicht alles gleich auf die Spitze – erwiderte Hermann – Unnatürlich nennen wir, was wir nicht begreifen, wofür sich kein Erklärungsgrund auffinden läßt.

Wär ich kein Professor der Philosophie – sagte Falk lachend – so fragt' ich, wie viel denn bei eurer Ansicht natürlich blieb? Unser Doktor hier kurirt seine Kranken doch wol nicht unnatürlich? Frag' ihn aber einmal, auf das Gewissen, ob er begreift, wie's zugeht, wenn einer von seiner Medicin gesund wird? Wo er's am wenigsten begreift, wo es also am unnatürlichsten zugegangen seyn müßte, sagt er gerade: die Natur hat das Beste gethan.

Ich bitt' Euch, ihr Herren – rief die Wirthin – laßt eure Wortstreite ruhn! Von natürlich und unnatürlich ist am Ende hier auch, so viel ich einsehe, gar nicht die Frage. Anselm's Erzählung scheint mir deswegen nicht ganz zu passen, weil sie zweifelhaft läßt, ob die Krankheit nicht weniger durch die Worte, als vielmehr durch das Aufmerken auf die Worte, entstand.

Eigentlich wol keins von beiden – erwiderte Anselm – Ich habe, dünkt mich, nicht unbemerkt gelassen, daß Amalie schon vor jenen Worten in exaltirter Stimmung war. Selbst ihr ungemessener Beifall, den sie jener, zwar recht braven, aber doch nicht so ganz ungemein vortrefflichen Rede schenkte, zeugte von ungewöhnlicher Spannung. So waren vielleicht jene Worte selbst Erzeugniß der Krankheit, und erhielten einen Schein des Profetischen durch das sonderbare Zusammentreffen der Umstände.

Sie gestehn also selbst – versetzte die Wirthin – daß nichts Wunderbares oder Unnatürliches dabei Statt gefunden habe?

Unnatürliches gewiß nicht – antwortete Anselm – Ich bin Falk's Meinung, daß es überall in der Natur, wo doch alles geschieht, was wir wahrnehmen, nichts unnatürliches geben kann. Aber wunderbar bleibt die Sache immer.

Das scheint wieder auf einen Wortstreit hinauszulaufen – sagte die Wirthin – und wir erfahren darüber von der Sache selbst nichts Bestimmteres.

Ich wollte Sie schon vorhin ersuchen – setzte Elise hinzu – uns zu sagen, was es mit dem sogenannten Unnatürlichen für Bewandtniß habe. Sollte es nicht Erscheinungen geben, die Sie selbst unnatürlich nennen müßten, die gleichsam die Natur verkehren und nur unwillig von ihr, wie Machtsprüche einer fremden Gewalt, ins Werk gesetzt werden? Ich bin nicht geübt genug, um meine Meinung ganz deutlich auszusprechen, vielleicht aber verstehn Sie aus meinen verworrenen Worten den Sinn zu finden.

Sie sprechen klar genug – gab Falk ihr zurück – über Dinge, von welchen, wie Sie meinen, die Natur selbst nur gezwungen spricht. Nennen Sie uns indessen eine solche Erscheinung, wir sprechen dann mit mehr Sicherheit.

So kämen wir am Ende gar auf Gespenstergeschichten – versetzte Elise lächelnd.

Was thut das? – sagte Hermann – die hört jedermann gern. Sehn Sie, wie Anselm sich schon zum Aufhorchen zurechtsetzt.

Alle drangen in Elisen, sie möchte die Wunderbegebenheit erzählen, die sie im Sinn habe. Allein sie entschuldigte sich und behauptete, so gern sie auch solche Geschichten erzählen höre, so fühle sie doch eine gewisse Scheu vor dem Selbsterzählen. Ihr Verlobter lächelte, und sagte, er könne wol vermuthen, was für einen Vorfall seine Braut meine. Wenn sie blos das Selbsterzählen scheue, so sei er erbötig die Erzählung zu übernehmen. Elise gestattete es, nur bat sie, die Namen zu verändern.

Das versteht sich – erwiderte der Baron, und begann:

Eine sehr nahe Verwandte meiner Elise und eine kleine Schwärmerin wie sie – wir nennen sie indessen Karoline – hatte mit ihrer Gutsnachbarin Angelika den innigsten Freundschaftsbund geschlossen. Beide Mädchen waren unzertrennlich, die Eltern freuten sich selbst darüber, und gewöhnlich wohnten sogar beide Freundinnen abwechselnd bei einander, vorzüglich war dies im Winter der Fall, wenn lange Nächte und üble Wege die täglichen Besuche beschwerlich machten. Angelika's Vater war in frühern Zeiten mit dem bekannten Cagliostro in Verbindung gewesen, und hatte, mancher Aufschlüsse über jenen Wunderthäter ungeachtet, noch eine große Anhänglichkeit an Mystik und Wunderglauben beibehalten. Seine Büchersammlung enthielt daher, neben den besten Werken der Literatur, eine große Anzahl von Wundergeschichten, Legenden und alten Chroniken, an denen Angelika von Kindheit an sich nicht hatte satt lesen können. Jetzt saßen beide Mädchen oft bis spät in die Nacht, und erhitzten ihre Fantasie mit Geister- und Erscheinungsgeschichten. In einer solchen Exaltation gaben sie sich einmal das heilige Versprechen, die früher aus der Welt gehende solle der Ueberlebenden erscheinen. Sie hatten eben einige Beispiele eines solchen gegebenen Wortes gelesen, und um sich recht fest zu binden, gelobten sie sich, daß selbst Erlassung dieses Versprechens sie nicht von seiner Verbindlichkeit lösen sollte. Indem sie noch feierlich ihre Hände zusammengeschlossen hielten, schlug die Glocke Mitternacht. Meine Sterbestunde schlägt, rief Angelika wie begeistert, in dieser Stunde muß das Gelübd' erfüllt werden. Karoline fuhr, über diese Rede erschrocken, mit einem heftigen Schrei auf. Was erschrickst du? sagte Angelika sich sammelnd, sei ruhig, ich versprach mich, meine Geburtsstunde, wollt' ich sagen, schlägt. Vor sechzehn Jahren in der Mitternacht ward ich geboren. Doppelt heilig ist mir also das gegebene Wort, und wahrscheinlich ist es mir bestimmt es zu lösen. Die Mädchen verloren sich noch in ihre Schwärmereien bis die abgebrannten Lichter sie in das Bett verwiesen.

Einige Zeit nach diesem voreiligen Gelübd' ward Karoline krank. Angelika kam nicht von ihrem Bett, nach einigen Tagen aber erklärte der Arzt die Krankheit für ein bösartiges, ansteckendes Fieber, und Angelika, die noch nicht diese Krankheit überstanden hatte, wurde von ihren Eltern genöthiget, Karolinens Haus zu meiden. So lang' man keine Gefahr für das Leben befürchtete, gehorchte Angelika. Als aber die Nachrichten bedenklich klangen, hielt nichts sie zurück, zu der kranken Freundin zu eilen. Jenes Versprechen übte jetzt eine furchtbare Gewalt, und nach zwei Nächten eilte Angelika zu Karolinen, entschlossen lieber den Tod in ihrer Krankheit sich zu holen, als diese Angst länger zu dulden. Sie beschwor die Kranke um Zurücknahme jenes Gelübdes, und diese, die ohnehin sich weniger gebunden glaubte, weil die Zeit nur für Angelika so feierlich gewesen war, nahm es gern zurück, da sie die Angst ihrer Freundin gewahr ward. Diese Scene, von der die Anwesenden die größte Gefahr für die Kranke befürchtet hatten, war indessen von günstigen Folgen gewesen. Die Anstrengung hatte wohlthätig gewirkt, und Karoline genas schnell, zur Verwunderung der Aerzte. Sie sah nun in Angelika ihre Retterin, aber gleichwol betheuerten sich beide Mädchen nun öfters, daß sie nie wieder einen Wunsch oder eine Frage an die unbekannte Welt wagen wollten, und der Hang zum Mysteriösen, wenn auch nicht der Glaube daran, schien aus ihrem Gemüth verdrängt.

Krankheit und Gelübd' wurden nach und nach vergessen, und die Herzen der beiden Freundinnen fanden sich von andern Seiten mehr angezogen. Angelika war eines Tages mit ihren Eltern zu einem Ball in der benachbarten Stadt gefahren. Karoline hatte wegen häuslicher Abhaltung die Freundin nicht begleiten können, vornehmlich aber hatte sie die Lustbarkeit ausgeschlagen, um Angelika mit einer Festlichkeit zu überraschen, die sie zu ihrem morgenden Geburtstage veranstaltete. Sie saß spät in der Nacht mit ihrem Mädchen bei der Arbeit, und wollte diese eben aus der Hand legen, weil die Uhr Mitternacht schlug. Indem weht sie eine sonderbare Zugluft an, daß die auf dem Tisch zerstreute Nähterei sich bewegt und umherkräuselt, und im Aufblicken sieht Karoline das Schattenbild Angelika's sich vor ihr drehen und zusammensinkend verschwinden. Auf ihr Geschrei läuft ihr Mädchen herzu, der Karoline vor Schreck ohnmächtig in die Arme fällt. Das Mädchen hatte nichts bemerkt, als jene Bewegung der Luft und das Umherflattern der Nähterei. Angelika war wirklich in derselben Nacht mit dem Glockenschlag Zwölf während des Tanzes todt hingesunken.

Es ist gräßlich – sagte die Wirthin.

Was mir das Graunhafteste ist – setzte Falk hinzu – ist ebenfalls das Dunkle, Ahndungsvolle der Worte: das ist meine Sterbestunde. Angelika sprach unwillkührlich gegen ihr Wissen ihre Todesprofezeihung.

Wie erklären Sie aber das natürlich? – fragte Elise.

Bringen Sie mich doch nicht in den Ruf eines Alleserklärers – erwiderte Falk – Erklären will und kann ich jene sonderbaren Vorfälle nicht. Aber sind sie geschehen, so sind sie auch ganz gewiß der Ordnung und den Gesetzen der Natur gemäß geschehen, nur daß wir jene Gesetze noch nicht kennen. Ich weiß nichts anmaaßenderes als den Schluß: das kann ich nicht begreifen, folglich kann es nicht seyn. Gleichwol ist dieser egoistische Satz die Basis aller Kritik über ähnliche Vorfälle. Der Jurist Höpfner gab noch vor wenig Jahrzehenden die Erfindung des Luftschiffs als Beispiel einer Unmöglichkeit und mußte in den spätern Ausgaben seines Buchs widerrufen. So urtheilte man von Steinregen und ähnlichen Dingen, die unsre Ureltern Wunder nannten und glaubten, unsre Eltern Märchen schalten und verlachten, und die uns weder Wunder noch Märchen, sondern anerkannte, wahre Naturerscheinungen sind. Der Volksglaube oder der sogenannte Aberglaube ist eine volle Fundgrube für den Naturforscher. Freilich liegen die Wahrheiten nicht immer gediegen zu Tage, aber sagt denn ein Verständiger, in einer Grube sei blos taubes Gestein, weil das Erz daraus erst durch Kunst gewonnen werden muß? Was hätte der treffliche Ritter noch entdeckt, hätt' er Zeit dazu gefunden und ein günstigeres Geschick!

Ich erinnere mich wol an seine Versuche mit dem Schlüssel – sagte der Wirth – Anselm und ich haben sie oft nachgemacht, und von auffallender Richtigkeit befunden.

Haben Sie aber nicht bemerkt – unterbrach der Baron – daß der Wille auf das Gelingen viel Einfluß hat? Man macht wenigstens diese Einwendung gegen die Resultate.

Ganz dem Geiste unsrer Kritik gemäß! – fiel Anselm ein – Ich ärgere mich so oft ich ein Wort über den Verfall unsrer Literatur lese. Verfällt sie wirklich, wer ist Schuld daran, als eben die Kritik, diese böse Blatter am Körper der Literatur. Persiflage ist ihr Wesen, sobald sie einmal parteilos erscheinen will. Denn weil die Kritiker gewöhnlich nicht wissen, was vortrefflich ist, so meinen sie, es sei auf jeden Fall das Rathsamste zu persifliren. Ist der Meßkatalog dick, so wird über seine Dicke schlechter Witz gemacht, ist er dünn, über seine Dünne. So versündigte man sich auch an Ritter, das Märchen von seiner angeblichen Bekehrung auf dem Todbette nicht ausgenommen. Ganz sicher hat der Wille Einfluß auf Gelingen und Mißlingen jener Versuche und soll ihn haben, denn der Versuch soll ja eben nichts anders als das psychische Phänomen – die Richtung des Willens – im physischen Phänomen nachweisen. Nur unterscheiden Sie den Willen, der sich absichtlich dem Körper mittheilt, und seine Bewegungen im Voraus dem erwarteten Erfolg gemäß leitet, von dem Willen, der nicht absichtlich, sondern nach innern Naturgesetzen auf den Körper wirkt. Etwas dem ähnliches ist das Erbleichen bei dem Schreck, das Zittern der Furcht, das Erglühen in heftigem Affekt. Es giebt Menschen, die willkührlich sich ein Erröthen abzwingen können, ist aber deswegen jedes Erröthen ein Akt der Willkühr? Wer experimentiren will, muß freilich kein Kind seyn, das sich selbst im Spiele gewinnen läßt. Denn eben diese unwillkührliche und unabsichtliche, ja unbewußte Einwirkung des Willens auf den Körper und sogar auf fremde Wesen, ist der Hauptpunkt, den jene Versuche nachweisen und anschaulich machen, und welcher den Aufschluß über das giebt, was man allein Magie nennen sollte. Die Unfähigkeit mancher Menschen solche Wirkungen zu äußern oder auch aufzunehmen, giebt der Sache noch einen besondern Schein des Uebernatürlichen.

Ich sollte aber meinen – wendete Hermann ein – wenn die Sache ganz in der Natur gegründet wär', so müßte jedem Menschen die Fähigkeit dazu angeboren seyn.

Ich bitte dich Bruder – nahm Falk das Wort – rede nicht so verkehrt! Du behauptetest vorhin, als wir sangen, wir intonieren beinah einen Viertelton zu hoch gegen die Stimmung im Concert. Wir stritten, aber du bewiesest deinen Satz mit der Stimmgabel. Hast du denn das mit Hexerei bewirkt, weil wir bei gleicher Uebung doch nicht so fein hören konnten als du, oder ist dein gutes Gehör ein Märchen, weil es nicht alle Leute so fein haben? Können wir alle so eine Madonna malen, wie dort die Rafaelsche mit dem Kinde, und war deshalb Rafael ein Hexenmeister? – So seid ihr Leute! Zu Dingen, für die ein gewisser Respekt als schicklich angenommen ist, statuirt ihr ohne Bedenken eine besondre Fähigkeit und nennt sie Talent und Genie. Dinge hingegen, die bei Weltleuten nicht in der Mode sind, achtet ihr gering, und meinet, jeder müßte von Natur Geschick dazu haben. Von der andern Seite gesteht ihr den Thieren unbedenklich Kräfte zu, die eben so magisch sind, z. B. Vorgefühl von Regen, Kälte, Ueberschwemmungen, und bei Menschen erklärt ihr alles Aehnliche für unmöglich.

Das ist Instinkt! – sagte Hermann und lachte.

Und das – fuhr Falk fort – ist ein Wort, über das du selbst lachen mußt. Bewirkt der Instinkt magische Kraft, und ist er natürlich, so ist auch die Magie natürlich. Angenommen, daß der Instinkt dem Menschen abgehe, wie er denn schon in den ausgebildeteren Thiergattungen immer schwächer wird, so ist dieser Verlust Folge der höhern Ausbildung, oder, was dasselbe ist, der größern Selbstständigkeit. Je selbstständiger ein Wesen ist, um so weniger wird es von der Natur afficirt. Das gilt im Physischen, wie im Moralischen. Der Egoist fühlt kein Mitleid und kennt keine Sympathie. So wirkt auch die ahndende Kraft nicht in allen Menschen, und selbst in den damit begabten Individuen nicht immer, sondern hauptsächlich in solchen Momenten, wo der physische und moralische Egoismus schweigt, und der Mensch sich gleichsam in das Allgemeine verliert. Greisen, Sterbenden, Kindern, Frauen schrieb daher immer der Volksglaube ein Ahndungsvermögen zu, nicht rüstigen Männern. In Abenden und stillen Nächten glaubt man die ahndende Kraft am thätigsten, und in Augenblicken der Exaltation, die den Egoismus verstummen machen. So rechtfertigt die Ansicht der Natur den Volksglauben und auch nebenbei meine Meinung von der Magie der Wünsche in bedeutenden Stunden.

Nun – sagte die Braut lächelnd – so sei die Magie der nahenden Stunde recht kräftig! Sie wünschen mir und meinem Louis gewiß auch recht viel Gutes.

O nur Geduld – rief Hermann – Falk bringt Ihnen gewiß einen solennen Neujahrwunsch. Er hat heute den ganzen Nachmittag gedichtet und komponirt.

Es ist aber auch sündlich – fiel die Wirthin ein – daß wir das Jahr ohne Gesang schließen. Geben Sie etwas heraus Falk, gewiß haben Sie etwas mit.

Ich hab' nichts bei mir – entgegnete dieser – das Gespräch ist uns ja auch noch nicht ausgegangen.

Gieb nur heraus – wiederholte der Wirth – ich weiß ja doch du hast etwas mitgebracht.

Das gehört dem Neuen Jahre – antwortete jener.

Aha! gewiß der Glückwunsch, von dem Hermann sagte – rief Elise und nahm ihr Glas – Nun auf seine magische Kraft als ausgesprochene Ahndung! Stoßen Sie an.

Alle stimmten ein und stießen mit der Braut an.

Die reinen Gläser klangen, und die großen Pokale, in welchen der Wirth seinen ältesten, weitduftenden Wein spendete, summten wie Feiergeläut in den Klang.

Horch! Glockenklang! – sagte Hermann leise.

Still! – rief der Wirth und öffnete das Fenster.

Vom Stadtthurme tönte der Schlag des letzten Viertels. Tiefer und stärker schloß sich der Klang der mitternächtigen Stundenglocke an: Die Gesellschaft saß lautlos und horchte mit stillem Ernst, wie die letzten Töne des scheidenden Jahres verhallten. Noch voller, tiefer und schauerlicher wiederholte die Glocke vom hohen Kirchthurme die Abschiedsklänge. Elise neigte sich sanft gegen ihren Verlobten. Ihr Blick sprach einen Himmel voll Ahndungen, Hoffnungen und Wünschen aus. Alle sahen mit froher Rührung auf die schöne Braut in der Verklärung der reinsten Liebe. Die Wirthin beugte sich zu ihr und küßte die weiße umlockte Stirn, aber keiner sprach ein Wort, um die Feier nicht laut zu unterbrechen. Noch kräftiger tönte nun der Glockenkoloß vom zweiten Kirchthurme den mitternächtigen Stundenruf nach. Falk entfaltete geräuschlos sein Papier und begann mit gedämpfter Stimme:

Horch, das sind Todtenglocken ...

Elise schauderte sichtbar zusammen. Ein durchdringender Schrei durchschnitt wunderbar das Zimmer. Elise blickte auf, und im Augenblick sank sie selbst mit einem Ausruf des Entsetzens zusammen. Der Baron und die Wirthin hielten die Ohnmächtige blaß, gleich einer Todten in den Armen.

Was war das? – schallte es von allen Seiten. Jeder hatte den schreienden Laut gehört, aber einige wollten ihn für Elisens Stimme halten, deren Zusammenschaudern schon vorher bemerkt worden war, andre behaupteten, er sei aus der Ferne gekommen, und Elise habe erst später den Ausruf des Schreckens hören lassen. Während man sich darüber besprach, hatte Elise durch Beistand der Aerzte in der Gesellschaft sich erholt. Sie behauptete, jener Schrei, den auch sie gehört, habe sie erschreckt, und dieser Schreck sei wahrscheinlich die Ursache gewesen, daß sie beim Aufblicken ein Fantom zu sehn gemeint habe. Es sei ihr nämlich vorgekommen, als blicke das Marienbild sie mit einem blassen, entstellten Todtengesicht an, und dieser Anblick habe eigentlich die Ohnmacht bewirkt.

Ueber dieses Fantom – sagte der Wirth – kann ich Sie ganz beruhigen. Meine Maria hängt für das Tageslicht gewiß an der vortheilhaftesten Stelle, aber bei der Abendbeleuchtung in diesem Zimmer bekommt sie, von manchen Standpunkten aus, ein so widerliches Ansehn, daß ich sie oft lieber mit einem Vorhang bedecken möchte. Sie sollen sich selbst überzeugen.

Es führte die noch etwas erschöpfte Braut nach ihrem vorigen Sitz und wirklich erschien von hier aus das Bild ganz verändert. Die Mutter war fast farblos, und durch den Kontrast des Kindes, das in vortheilhafterer Beleuchtung kräftig hervortrat, beinah schattenähnlich. Das Todtengesicht erkannte Elise nun selbst für Zugabe der aufgeregten Fantasie.

Den Schrei müssen wir auch untersuchen – sagte nun die Wirthin und rief nach den Domestiken.

Es war nichts von Bedeutung – berichtete das Kindermädchen, als sie befragt wurde. Das Nachtlicht löschte aus, und als ich eben es anzünden wollte, wachte der kleine Emil auf und schrie, weil er sich im Finstern fürchtete. Er schläft schon wieder ruhig.

Gottlob! – sagte Falk heimlich zu Anselm – mir war bange, und indem ich anfing zu lesen, fiel mir die Beziehung meines Anfangs zu unserm Gespräch zentnerschwer auf das Herz. Es scheint ihr aber entgegen zu seyn.

Die netten Neujahrwünsche, die auf Veranstaltung des Wirthes nun herumgegeben wurden, erheiterten die Gesellschaft vollkommen. Jeder bekam eine anmuthige oder neckende Anspielung auf sein Verhältniß oder seine Lieblingsneigung. Der Baron bekam eine alte Ritterburg, die sich in einen Tempel Hymens verwandelte, Anselm ein Weinglas, das zu einer niedlichen Hebe wurde, und Falk gar einen Tanz berauschter Zecher um ein Weinfaß, das bei Licht besehn zum Helikon mit dem Musenchor ward. Der Braut ward eine Rosenknospe zu Theil, die einen kleinen Amor, mit verschiedenen Spielwerken für Kinder umgeben, Platz machte. Man sang und scherzte nun noch einige Zelt, Falk las ohne Störung sein unterbrochenes Neujahrsgedicht, und als man aus einander gehn wollte, lud der Baron die ganze Gesellschaft für den nächsten Jahrswechsel auf sein Gut ein. Alle versprachen zu kommen und leerten die Gläser auf frohes Wiedersehn.

Halten Sie Wort – rief Elise beim Scheiden – keiner von uns darf in der nächsten Neujahrsnacht fehlen. Das erste Versprechen im Jahre duldet durchaus keine Entschuldigung, es muß unausbleiblich gehalten werden.


Zweite Neujahrsnacht.


Das Weihnachtsfest war unter mancherlei frohen Zerstreuungen vorübergegangen, und bei den Geschenken, mit welchen die Anwesenden sich gegenseitig erfreuten, vergaß man nicht manchen kleinen Scherz für den abwesenden Baron vorzubereiten, um ihn damit zum Neujahrsabend auf seinem Schloß zu überraschen, wo er mit seiner jungen Gemahlin die glücklichsten Tage verlebte. Wiederholte Einladungen und Zusagen hatten mehrmal das Jahr über gewechselt, und man freute sich gegenseitig auf den geselligen Genuß einiger Wintertage auf dem Lande.

Die letzten Tage des Decembers begünstigte das Vorhaben der Freunde durch Frost und heitern Himmel. Man war übereingekommen, den letzten Tag des Jahres auf des Barons Schlosse einzutreffen, und mit der Feier des Jahresschlusses die Reihe fröhlicher Tage anzufangen, die man dort zu verleben hoffte.

Schloß Hartenstein liegt auf einem nicht unbedeutenden Felsen, unter schönen, romantischen Umgebungen. Seine Bauart zeigt, wenn auch nicht alle Nachrichten es verbürgten, daß sein erster Ursprung in die ältesten Zeiten des Faustrechtes fällt. Oeftere Befehdungen mögen die Gebäude, sofern man den bis in seine Tiefe zu Kellern und Gängen verarbeiteten Felsen nicht dazu rechnet, mehrmals theilweise zerstört haben; wenigstens unterscheidet man deutlich, sowol in den Formen, als in der Anordnung des Raumes zur Vertheidigung und Bewohnung die Anforderungen verschiedener Jahrhunderte. In neuern Zeiten hatten die Besitzer mit möglichster Schonung des alten Aeußern sich im Innern bequemer einzurichten gesucht, und so war allerdings hier und da ein sonderbarer Kontrast zwischen der noch sichtbaren vormaligen Bestimmung eines Platzes und seinem jetzigen Gebrauch entstanden, der dem Fremden auffallend aber zuweilen nicht unerfreulich war. Man konnte nicht läugnen, daß Alles mit Ersparniß von Raum und Kosten von Grund aus weit besser und bequemer hätte aufgeführt werden können, doch söhnte man sich bald mit der zerstückelten, schwer zu übersehenden Einrichtung aus, die bei mancher angenehmen Ueberraschung im Einzelnen, dem bloßen Besucher täglich unbekannte und gleichsam von ihm neu zu entdeckende Partien des weitläuftigen Schlosses darbot. Selbst dem Besitzer waren noch manche Gegenden fremd geblieben und vielleicht von manchen Generationen nicht besucht worden.

Die feste Schneebahn hatte die Fahrt beschleunigt, und die Gesellschaft kam in der besten Laune bei hellem Tage auf dem Schlosse an. Fast alle waren hier noch Fremdlinge, und das Ungewohnte der Umgebung zog ihre Augen abwechselnd von einem Gegenstand zu dem andern, indem der Baron sie durch weitläuftige Gänge und Säle in das warme freundliche Zimmer führte.

Wo ist denn die Frau vom Hause? – fragte Falk nach den wiederholten Begrüßungen – Gewiß kommen wir zu zeitig, aber die gute Bahn brachte uns schneller an das Ziel, als wir selbst erwarteten.

Leider bin ich Strohwittwer – antwortete der Baron – und daher muß ich besonders die Damen um Nachsicht bitten, wenn sie in meiner Bewirthung die Sorge der Hausfrau vermissen. Indessen, hoff' ich, noch heut' oder doch gewiß morgen wird meine Frau das Versäumte nachzuholen suchen. Ich besuchte zum Weihnachtsfest meine Schwiegermutter mit ihr, und wollt' ich der guten Alten ihre Freude nicht verderben, so mußt' ich schon einwilligen und die Tochter ein paar Tage länger bei ihr lassen.

Also heute kommt sie doch noch – riefen mehrere von den Gästen.

Sie soll es freilich – versetzte der Baron – indessen weiß ich, wie schwer es halten wird, sich loszumachen. Die Mutter wird die Tochter nicht fortlassen, für die sie ohnedies wegen ihrer nicht weit entfernten Entbindung etwas besorgt ist. Der Arzt lacht zwar über jede Bangigkeit und will nicht von der entferntesten Gefahr wissen, indessen Sie fühlen gewiß Alle, wie wenig man mit Gründen gegen den billigen Wunsch einer besorgten Mutter ausrichten kann. Morgen aber ist sie ohn' allen Zweifel unter uns.

Den Männern hatte der Baron für den Abend noch eine kleine Jagdpartie veranstaltet. Bloß Falk blieb bei den Frauen am Theetisch, wo Cäcilie, eine nahe Verwandte Elisens in Abwesenheit der Hausfrau die Stelle der Wirthin vertrat. Er hoffte am zuversichtlichsten auf die Rückkehr der Baronin, und bei jedem Geräusch, das sich auf dem Schloßhof hören ließ, sprang er auf und sah aus dem Fenster. Seine Ungeduld ging am Ende so weit, daß ihn die Gesellschaft einigemal damit neckte.

Sie haben gut necken – sagte er – Ich bin Elisen vom vorigen Jahr her eine Genugthuung schuldig, und mir kann es am wenigsten gleichgültig seyn, wenn sie heut' ausbleibt.

Man fragte, welche Genugthuung Falk meine, und er erinnerte an den Anfang seines Neujahrsgedichtes, der doch vielleicht in den damaligen Verhältnissen auf Elisen schreckhaft gewirkt habe, wiewol sie schonend genug gewesen sei, den Grund ihres Schreckens zu verschweigen.

Cäcilie ließ sich das Nähere erzählen.

Sie haben wol Ursache – sagte sie, als sie alles vernommen hatte – der armen Elise die Bangigkeit zu vergüten, die Sie an jenem Abend ihr verursacht haben. Wie es scheint, wissen Sie aber selbst nicht, warum eben der Anfang Ihres Gedichtes so erschütternd auf Elisen wirken mußte.

Alle sahen Cäcilien voll gespannter Erwartung an, und baten um nähern Aufschluß.

Nach dem, was Sie mir erzählt haben – versetzte Cäcilie – war es schwerlich die Geschichte von der Erscheinung Angelika's, welche Elise damals sich scheute zu erzählen. Hätte sie den Vorfall erzählt, an den sie nach meiner Ueberzeugung dachte, Sie wären vielleicht aufmerksam geworden und hätten ihr Gedicht in Elisens Gegenwart nicht gelesen.

Sie machen mich höchst unruhig – sagte Falk – und gewiß uns Alle äußerst begierig auf das, was Elise damals verschwiegen haben könnte.

Die Sache ist nicht grade ein Geheimniß – erwiderte Cäcilie – doch vermuthe ich, daß der Baron davon nicht unterrichtet seyn mag. Ich bitte Sie daher, mit dem, was ich Ihnen anvertraue, vorsichtig umzugehn. In der Familie unsrer Freundin soll eine alte Sage gehn, welche indessen, wie mehrere dergleichen Sagen, durch die lange mündliche Ueberlieferung ziemlich verändert und entstellt seyn mag. Ihr zu Folge stirbt jedes Glied dieser Familie unter Glockenschall, und der letzte soll sogar seine Sterbeglocke sich selbst läuten. Den Grund dieser sonderbaren Auszeichnung habe ich niemals erfahren können, indessen ist es gewiß, daß in den Kirchenbüchern von einigen aus dieser Familie angemerkt ist, sie seien während des Geläutes gestorben. Von einem erzählt sogar eine alte Nachricht, wie er viel Tage in Todesangst gelegen, und endlich befohlen habe, sein Sterbeglöcklein zu ziehen, bei dessen Schall er entschlafen sei. Wie viel Wahrheit oder Fabel in diesen Nachrichten enthalten sei, will ich nicht entscheiden, ich erzähle Ihnen blos das sonderbare Zutreffen jener Sage bei dem Tode von Elisens Vater.

Der Major war, wie Sie wissen, der letzte seiner Familie, und dieser Umstand weckte das Andenken an die erwähnte Sage wieder auf, die in den letzten Zeiten fast vergessen war. Ohne grade abergläubisch zu seyn, schien der Major doch eine kleine Scheu vor aller Berührung mit Glocken zu haben, doch gestand er dieses nicht zu, und hörte überhaupt ungern von jener Sage sprechen. Indessen ließ er, wiewol unter anderem Vorwand, eine mäßige Glocke, mit welcher dem Hofgesinde das Zeichen zum Mittagstisch gegeben ward, abnehmen, und die Handklingel, welcher er sich in seinem Zimmer bediente, war so klein, daß es unmöglich war dabei an eine Glocke zu denken.

Als ihn seine letzte Krankheit befiel, gaben die Aerzte bald alle Hoffnung auf, ihn zu retten; die Bauern in seinem Dorfe hingegen gaben ihren Glauben nicht auf, und behaupteten, so lang' ihr Herr nur nicht Glöckner werde, habe es mit seinem Leben keine Noth. Ein Zufall, der alle Glocken noch mehr aus des Kranken Nähe zu entfernen schien, vermehrte diese Hoffnung. Bei einem Festläuten nämlich ward eine Glocke des Kirchthurms beschädigt, und um das Geläut zu verschönern, beschloß man, die andern alten Glocken ebenfalls in ein besseres Verhältniß umgießen zu lassen. Sie waren kaum abgenommen und zerschlagen, als es sich mit des Majors Gesundheit täglich mehr zu bessern schien. Nur machten ängstliche Vorstellungen, die sich bei ihm festsetzten und ihn oft bis zur Selbstvergessenheit beunruhigten, den Aerzten noch etwas bange. Besonders setzte ihn der Gedanke in Furcht, daß Feuer entstehn, und bei dem Mangel an Sturmglocken die Hülfe fehlen könnte. Die Furcht war in der That nicht grundlos, und man fand rathsam, einstweilen die alte Mittagsglocke wieder aufzuhängen. Der Major schien dadurch beruhigt, allein in der folgenden Nacht bekam er einen so heftigen Anfall seiner Krankheit, daß er seine Wächter übermannte. Er rief Feuer! Feuer! durch das Schloß, und sein Schicksal führte ihn zu der kurz vorher aufgehängten Glocke. Da faßte er das Seil und stürmte ohne Aufhören alles aus dem Schlaf herbei, und ließ sich nicht abhalten, bis er leblos zu Boden sank.

Wenn Sie mir recht geben – fuhr Cäcilie nach dieser Erzählung fort – daß Elise vielmehr an diesen Vorfall gedacht habe, als an Angelika's Erscheinung, so werden Sie begreifen, wie sehr die Erwähnung der Todtenglocken sie erschüttern mußte.

Sie haben vollkommen Recht – sagte Falk – und ich wünsche jetzt doppelt, daß ich meinem ersten Gefühl gefolgt, und jenes Gedicht nach unserm Gespräch nicht gelesen hätte. Ich werde Mühe haben, jene böse Erinnrung wieder auszugleichen.

Aber, wer steht Ihnen dafür – versetzte Cäcilie – daß nicht der Zufall doch Ihre besten Absichten wieder vereitelt?

O, dasmal hab' ich mich in Acht genommen – erwiderte Falk.

Wer lernt in solchen Dingen aus – gab Cäcilie ihm zurück – Gewiß erwarteten Sie vor dem Jahre auch keine solche Wirkung.

Nach einer solchen Erfahrung ist man vorsichtiger – antwortete Jener.

Können Sie das seyn? – sagte Cäcilie – Ich berufe mich auf Ihre eigne Meinung, so viel ich davon aus der Erzählung von der vorigen Neujahrsnacht gefaßt habe. Gesetzt, ein böses Verhängniß wär' in dieser Mitternacht verborgen, würde nicht, gegen Ihre beste Absicht, auch das überlegteste Wort jene dunkle Zweideutigkeit annehmen, und möchten Sie auf solche Gefahr es aussprechen?

Ich wollte wirklich – sagte Falk etwas betroffen – ich hätte im vorigen Jahre die ganze Sache nicht zur Sprache gebracht. Es war, wie Sie denken können, Anfangs durchaus nicht ernstlich gemeint, aber der sonderbare Zufall Elisens gab den leichthingesprochenen Worten einen so schweren Gehalt, daß ich ihren Druck das ganze Jahr durch gefühlt habe. Doch lassen Sie uns lieber von diesen und allen ähnlichen Gegenständen schweigen. Leicht aufzuwecken – sagt der Dichter – ist das Reich der Geister,

sie liegend harrend unter dünner Decke,
und, leise hörend, stürmen sie herauf.

Ich will auch so prosaisch als möglich der jungen Erstlingsmutter heut' nichts anders wünschen, als einen kernfesten Jungen zum Stammhalter, das übrige mag das Schicksal fügen.

Das Beste ist wol – erwiderte Cäcilie – daß Sie heut' gar nichts werden wünschen können, denn ich wollte wetten, was Sie verlangen, Elisa kommt erst morgen.

Und ich wollte Alles verwetten – entgegnete Falk – sie kommt heut, ich kenne Elisen, und weiß, wie gewissenhaft sie Wort hält.

Cäcilie lenkte das Gespräch, etwas verstimmt abbrechend, auf die Jäger, die wahrscheinlich bald zurückkommen würden, und entfernte sich, indem sie ein Fortepiano öffnete, und die Gesellschaft bat, sich einstweilen mit Musik zu unterhalten.

Geben Sie Achtung – sagte Falk – das ist auf eine Ueberraschung abgesehn. Wir sollen erst alle Hoffnung auf Elisen aufgeben, und dann, wenn wir es am wenigsten erwarten, wird sie sich zeigen. Ich merk' es an allem, wir wollen aber den Scherz nicht verderben, und uns nichts merken lassen.

Während man sich mit Gesang und Musik unterhielt, war es spät geworden, und die Jäger kamen mit guter Beute aus dem Wald zurück. Der Baron führte seine Gesellschaft bald in das Speisezimmer, wo Cäcilie den Abendtisch hatte bereiten lassen.

Da säßen wir denn alle zusammen, ganz wie vor dem Jahre – sagte Hermann – Aber daß gerade die Frau vom Hause fehlt, ist ein häßlicher Uebelstand. Unser runder Tisch sieht wie ein schönes Gesicht, an dem das eine Auge fehlt. Kommt sie denn nicht vielleicht noch?

Laßt doch das ewige Fragen, lieben Freunde – erwiderte der Baron – Glaubt mir, ich vermisse meine Frau mehr als ihr, aber unter solchen Verhältnissen konnt' ich ja nicht auf der größten Pünktlichkeit bestehen.

Aha! – rief Falk – da hat sich auch einer schon unter das Pantöffelchen gebeugt! Aber symbolisch muß sie wenigstens ihren Platz unter uns haben. Laßt mich machen. In manchen Klöstern ist die schöne Gewohnheit: wenn der Abt auswärts speißt, so steht vor seinem Sitz statt der Speise ein schöner Blumenstrauß. So!

Indem er sprach hatte er schnell einen Stuhl an den Tisch getragen, und einige Rosen, die einen Fruchtkorb schmückten, in ein Glas vor den leeren Tisch gestellt.

Der Baron ward etwas verlegen. Laßt uns doch froh seyn – sprach er – und nicht immer bedauern, was nicht zu ändern ist. Meine Frau dankt es euch wahrhaftig nicht, wenn ich ihr erzähle, daß sie durch ihre Abwesenheit unsre Freude gestört hat. Jetzt laßt uns trinken. Der Wein ist Sonnenschein und Regen zusammen für die Freude. Dabei muß sie sprossen und blühn.

Die muntre Laune der Gesellschaft erwachte immer mehr, je mehr die Männer der Mahnung ihres freigebigen Wirthes nachgaben. Die Frauen theilten die allgemeine Stimmung, nur der Baron und Cäcilie warfen sich zuweilen einen bedeutenden Blick zu, und standen oft wechselsweise auf. Nicht selten sah eins von ihnen auch wol durch das Fenster, als erwarteten sie jemand. Falk flüsterte den neugierigen Nachbarn seine Vermuthung zu, Elise werde die Gesellschaft mit ihrer Ankunft überraschen, und hinderte so wiederholte Nachfragen, die der Baron schon einigemal abzulehnen versucht hatte.

Es schlug eben Elf, als das Schloßthor einem Reiter geöffnet wurde, der schnell abstieg und in das Gesellschaftszimmer trat. Er brachte dem Baron Nachricht von dem Wohlbefinden seiner Gemahlin, und die Bitte, sich mit seinen Gästen in der Freude nicht stören zu lassen. Morgen mit dem frühesten hoffe sie vergnügt unter ihnen zu seyn. Ein eigenhändiges Billet der Baronin von einigen Neujahrswünschen begleitet, bestätigte die Nachricht des Boten.

Nun will ich herzlicher froh mit Ihnen seyn – sagte der Baron, als der Bote entlassen war – Jetzt kann ich's Ihnen gestehn, daß ich in peinlicher Angst die Abendstunden zugebracht habe. Morgen will ich den Grund davon erzählen, und Alle werden mir Ihre Nachsicht schenken, wenn ich bis jetzt die Pflicht des Wirthes seine Gäste aufzuheitern sehr schlecht erfüllt habe.

Man drang in den Baron, er möchte sich näher erklären.

Ich will es thun – sagte er nach einigem Weigern – wiewol wir sonderbar genug dadurch auf einen Gegenstand kommen, der uns auch in der vorigen Neujahrsnacht unterhielt.

Hast du eine Vision gehabt? – fragte Falk – Unmöglich!

So etwas ähnliches – erwiderte der Baron – wiewol nicht ich, sondern meine Frau. Ihre lebhafte Fantasie führt sie zuweilen nahe an etwas Schwärmerei, und so machte ich Anfangs wenig aus der Sache, aber jetzt, da die bedenkliche Zeit heranrückte, peinigte mich der Gedanke an den Vorfall so, daß ich mich selbst fürchtete wie ein Kind. Sie erinnern sich vielleicht noch unsrer Gespräche in der vorjährigen Sylvesternacht. Wir kamen zuletzt noch auf das dunkle aber interessante Thema von Ahndungen und Vorbedeutungen, und meine damalige Braut erschreckte uns durch eine, zum Glück unbedeutende, Ohnmacht.

Ich erinnre mich wol – sagte Adolf – die falsche Beleuchtung meines Marienbildes hattet sie mit einem Fantom getäuscht.

Richtig – fuhr der Baron fort – Ich besuchte meine Braut am andern Morgen so früh als es dem Bräutigam erlaubt war. Sie hatte sich völlig erholt, war heiter, und wir verloren uns bald in das Lieblingsgespräch junger Verlobter von möglichster Beschleunigung unserer Wünsche. Auf einmal schien sie etwas nachdenkend zu werden. Sie stimmte nicht mehr ein, wenn ich ihr von meinen Plänen zu kleinen Reisen und andern Vergnügungen für den nächsten Sommer erzählte, und als ich endlich ihr meine Befremdung äußerte, erwiderte sie bedeutungsvoll: Wir wollen uns nicht so sehr freuen; wahrscheinlich vereinigt uns dieses Jahr noch nicht.

Das war brav von dem alten Jahre – rief Hermann – daß es diese Profezeihung zunichte gemacht hat.

Es hat mich aber darum doch geängstigt – sagte der Baron.

Wie war das möglich – unterbrach Hermann nochmals – Sie vermählten sich ja, als noch Winter und Frühling miteinander stritten.

Sie werden mir beistimmen – fuhr der Baron fort – wenn Sie alles gehört haben. Elise wollte mir durchaus nicht entdecken, worauf jene mir räthselhaften Worte gegründet waren. Nach und nach kamen sie von selbst in Vergessenheit, da sich alles, auch die Wünsche meiner Schwiegermutter, mit den meinigen zu Beschleunigung unserer Verbindung vereinigten. Auch nicht der Schatten eines Hindernisses trat uns in den Weg, und in den ersten Tagen des Frühlings führte ich meine Elise in meine Behausung ein. Ich saß nun zum erstenmale mit ihr allein in den Abenddämmrungstunden, und unter mancherlei Gesprächen erwähnte ich auch scherzend ihrer nicht bewährten Profezeihung. Sie erblaßte und ward höchst ernst. O hätten wir das Jahr abgewartet, sprach sie tief bewegt. Mein Traum wird sich bewähren, aber viel trauriger für uns. Elise war zu feierlich, als daß ich nicht alle Bitten und Ueberredungsgründe hätte aufbieten sollen, um sie zur Entdeckung ihres Geheimnisses zu bewegen. Es gelang mir nur nach vieler Mühe. In jener Neujahrsnacht hatte Elise im Traum die künftige Neujahrsnacht, also die heutige, gesehn. Unsre Verabredung, sie bei mir zu feiern, hatte ohne Zweifel ihren Traum veranlaßt, und so erschien ihr also der Schauplatz ihrer Fantasien wirklich hier auf Hartenstein. Sie befand sich in der ihr bekannten Gesellschaft, aber noch als meine Braut, nicht als meine Gemahlin. Die kleine Schwärmerin hatte sich daraus die Deutung gemacht, daß sie bei dem nächsten Jahreswechsel noch meine Braut seyn werde, aber jetzt da sie, gegen ihre Auslegung doch lang vor dem Ende des Jahrs, nicht mehr Braut, sondern Frau war, fand sie die furchtbare Vorbedeutung in jenem Traum, sie werde in dieser Nacht als – eine Todte unter uns seyn.

Nun verstehe ich – unterbrach Falk – darum ist also die gute Elise nicht unter uns.

So ist's – fuhr der Baron fort – Ich suchte ihr oft diese Vorstellung auszureden, und machte sie auf den natürlichen Zusammenhang des Traums mit unserm Gespräch aufmerksam. Es gelang mir auch sie zu beruhigen, und im Sommer war Traum und Furcht vergessen. Wir freuten uns sogar auf manchen Scherz bei dem Jahreswechsel und wiederholten unsre Einladungen. Allein in dem letzten Monate behauptete die Fantasie ihr altes Recht über den Verstand, und ich will es gestehen, ich bat Elisen selbst, diese zweideutige Nacht bei ihrer Mutter zuzubringen, um so die Erfüllung des Traumes ganz unmöglich zu machen. Auch wurde ich nicht ruhig, bis ich jetzt Nachricht von ihrem Wohlseyn und von ihrem festen Entschluß bekam, vor Morgen nicht zurückzukehren. Denn sie blieb dabei, sie dürfe nicht ausbleiben, da sie selbst hauptsächlich unsre Freunde geladen habe.

Das glaub' ich – sagte Falk – es ist ein treues, wahrhaftes Gemüth. Sie hält Wort bis ins Grab.

Das ist sie – wiederholte der Baron – Nur ihre Schwärmerei macht mir oft sehr bang um sie.

Mit der Zeit verliert sich diese von selbst – fiel Hermann ein – Jugend ohn' etwas Schwärmerei hat immer etwas Kaltes und Todtes.

Das läugn' ich nicht – fuhr der Baron fort – ich sage nur, es macht mir zuweilen bange. Dergleichen Naturen lassen zu leicht auf sich einwirken. Was Andere nur geistig berührt, und auf Gedanken oder Empfindung wirkt, erschüttert sie schon in der Wurzel des Lebens. Jener Traum verursachte meiner Frau einige Wochen lang ein Uebelbefinden, das sich nur durch Zerstreuungen auf unsern kleinen Reisen hob.

Vielleicht weniger der Traum als die Deutung – sagte Hermann – An sich hatte dieser Traum gar nichts furchtbares, nur das konventionelle Vorurtheil, daß Träume ihr Gegentheil bedeuten, giebt ihm ein erzwungenes Unheimliches.

Es ist doch wol nicht so ganz und bloß konventionell – fiel Falk ein – Liebe und Tod, Brautfeier und Todtenfeier sind sich verwandt wie Frühling und Herbst, oder wie Morgen und Abend. So kann wol die symbolische Vorstellung des Einen im Traum auf die Wirklichkeit des Andern im Leben deuten, wie schon Morgenroth auf Sturm, Abendroth auf Heitre deutet. So hat wirklich jener Traum etwas Unheimliches an sich, das einem schwärmerischen Geist, dem überall alles zum Symbol wird, leicht Unruh erwecken kann.

Ich habe noch das Seltsamste dabei verschwiegen – setzte der Baron hinzu – indessen mag es als Beispiel dienen, welche seltsame Wirkungen eine solche Schwärmerei hervorbringen kann. Meine Frau war, bis ich sie als Herrin hier einführte, nie auf Hartenstein gewesen, und ich weiß, daß ich ihr niemals eine genaue Beschreibung des Lokals gemacht habe, weil ich manches einrichten ließ, um sie zu überraschen. Denn vor alten Zeiten hatte dieses Schloß ihrer Familie gehört, und sie sollte, meinem Wunsch nach, gleichsam in ein altes Eigenthum zurückkehren. Gleichwol hatte ihr jener Traum alles genau in dem Zustande gezeigt, wie sie es bei ihrem Einzuge wirklich fand. Sie zeigte mir sogar eine Seltsamkeit meines Schlosses an, die mir selbst, und vielleicht vielen meiner Vorfahren unbekannt gewesen war.

Die Versammlung sah den Baron fragend an.

Ich glaube wol – sagte Falk, als jener im Schweigen beharrte – daß dieses alte Felsennest manche Seltsamkeit der Vorwelt beherbergt, ich habe mir schon von langen unterirdischen Gängen erzählen lassen, und von Mönchen, die darin bei verborgenen Schätzen wachen. Laß uns etwas hören.

Die andern stimmten bei.

Es ist – fuhr der Baron fort – als sollten wir allemal in der Neujahrsnacht auf das Thema von Geister- und Wundergeschichten kommen. Indessen mag es seyn. Am besten thue ich vielleicht, wenn ich gleich eine alte Sage, wie ich durch Nachfragen und Nachsuchen in alten Papieren des Archives, sie aufgefunden habe, erzähle.

Daß unsre Ahnen in den alten Ritterzeiten sich öfters mehr durch wilde Rohheit auszeichneten, als durch menschliche Empfindungen, ist ziemlich allgemein bekannt. Von dieser Sinnesart war auch Ritter Wolf, der vor mehrern hundert Jahren hier auf dem Hartenstein haußte. Er war reich, tapfer und von allen Nachbarn gefürchtet. Deswegen meinte er, ihm sei Alles erlaubt, dagegen aber kannte sein Zorn keine Gränzen, wenn sich Andre gegen ihn nur das geringste erlaubten.

Einmal hatten ein paar junge Leute aus der benachbarten Stadt in des Ritters Forsten ein Wild erlegt. Die Knappen hatten sie aufgefangen, und Ritter Wolf ließ sie nach damaliger Gewohnheit in das Burgverließ werfen, und befahl, sie nach einigen Tagen mit Pfeilschüssen zu tödten. Der Vater der beiden Gefangenen, ein nicht ganz unbemittelter Mann, bot vergebens ein großes Lösegeld, der Ritter blieb unerbittlich und höhnte den Alten noch obendrein. Da regte sich denn die beleidigte Menschheit in dem Unglücklichen, er vergaß, daß die Macht auf der Seite des Ritters war, und verging sich gegen ihn durch einige Scheltworte. Der Ritter kannte sich vor Wuth nicht. Er befahl, den Greis in das tiefste Gefängniß zu werfen, und sann auf die ausschweifendste Bestrafung. Endlich gelang es aber doch der Bürgerschaft den Alten und einen der beiden jungen Leute wegen ihrer Kunst vom Tode loszukaufen; sie waren nämlich als Glockengießer weit und breit berühmt. Allein der Ritter machte in frevelhaftem Uebermuth die grausame Bedingung: der alte Vater sollte noch zum Lösegeld eigenhändig eine Glocke gießen, die zum erstenmal zu seines Sohnes Tode geläutet werden sollte. Dabei bestimmte er eine äußerst kurze Frist, um den Vater selbst zu recht geschäftiger Eilfertigkeit bei der Arbeit an dem Todeswerkzeug seines Sohnes anzuhalten.

Um wenigstens den einen Sohn zu retten, sah sich der Alte genöthigt, in die gräßliche Bedingung zu willigen und die Todtenglocke des Sohnes zu gießen. Die Knechte und Unterthanen des Ritters wurden selbst von dem Anblicke des Greises erschüttert, der zitternd und gebeugt durch die Last der Jahre und des Kummers mit seinem Arbeitsgeräth umherwankte. Sie trösteten ihn und halfen ihm bei der Arbeit. Viele brachten ihm sogar, was sie selbst von Metall besaßen, um es mit einzuschmelzen, denn die gegebene Frist war so kurz, daß der Meister das nöthige Metall von seinen gewöhnlichen Handelsleuten nicht herbeibringen konnte. Manch metallenes Heiligenbild brachten seine armen Verwandten aus der Stadt und entzogen es ihrer Andacht, indem sie es zum Guß dieser Trauerglocke ablieferten. So ward unter Thränen und Wehklagen und gewiß unter vielen Verwünschungen das traurige Werk vollbracht und die verderbliche Glocke gegossen.

Die Mitbürger des Alten und fast alle Unterthanen des Ritters versuchten nochmals eine Vorbitte. Alle glaubten Ritter Wolf werde sich an der Angst, die der unglückliche Vater bei seiner Arbeit ausgestanden hatte, gnügen lassen, und die gräßliche Vollziehung seines Urtheils nicht fordern. Allein die Vorbitte blieb fruchtlos. Die Glocke ward im Gefängnißthurm aufgehängt, und kaum war sie mit Klöppel und Seil versehen, als der Ritter gebot, sie zum Tode seines Gefangenen zu läuten. Da verließen den alten Vater die Sinne. Außer sich rannte er selbst auf den Thurm, faßte das Seil und zog die verhängnißvolle Glocke. Man hörte ihn wild in das schreckliche Geläut schreien. Er beschwor die Heiligen, deren Bilder er in den unseligen Guß verschmolzen hatte, um Rache, und verfluchte die Glocke, daß jeder Schlag von ihr Unglück dem Hause des Ritters läuten, und ihr Todtenruf nicht verstummen sollte, so lange der Name seines Geschlechts genannt werde. Die Verwünschung bewährte sich auf der Stelle. Des Sohnes Blut war geflossen, aber oben auf dem Thurm stürmte der alte Vater noch wahnsinnig fort. Der Sturmwind braußte in sein Geläut und trieb eine Donnerwolke heran. Der Blitz zündete die Burg, und ein ansehnlicher Theil der Gebäude ward ein Raub der Flammen, die nicht gelöscht werden konnten, bis der wahnsinnige Glöckner entseelt zu Boden sank, und sein Geläut verstummte.

Wenn auch das Läuten den Blitz heranzog – sagte Hermann – so bleibt doch das Zusammentreffen des Unglücks mit der Schuld und der Verwünschung höchst sonderbar.

Der Fluch des Alten bewährte sich noch kräftiger – fuhr der Baron fort – Nach Jahren, wo wahrscheinlich jener Vorfall vergessen war, feierte der Ritter das Hochzeitfest seiner Tochter. Der einziehende Bräutigam sollte mit dem festlichsten Prunk empfangen werden, und auch Glockenschall sollte ihn verherrlichen. Das Fräulein stand in bräutlichem Schmuck auf dem Balkon, und sah den prächtigen Zug ihres Verlobten. Da ertönte die Trauerglocke, und indem das Fräulein sich dem herwinkenden Geliebten zuneigt, schaudert sie zusammen, und sinkt über das Gitter des Balkons in die Tiefe hinab. Ein Sturmwind rauschte durch die erschrockenen Brautbegleiter, und man fand das Fräulein unbeschädigt aber leblos in den Büschen am Fuße des Bergfelsens.

Mehr Unglücksfälle ähnlicher Art machten die Burgbesitzer aufmerksam. Man hätte vielleicht die Glocke zerschlagen, wenn nicht eben jene Verwünschung den Schein gehabt hätte, als binde sie die Dauer des Geschlechtes an jene Glocke. Man begnügte sich deswegen den Klöppel abzunehmen, und zum Ueberfluß alle Oeffnungen jenes Thurmes zu vermauern. Allein der Fluch des wahnsinnigen Vaters war dadurch noch nicht gehoben. So oft ein Unglück den Besitzern dieser Burg drohte, regte sich die einsame Glocke in dem Thurme, und ihre dumpfen profetischen Töne drangen furchtverbreitend durch die Mitternacht. Die stete Bangigkeit vor diesem metallenen Käuzlein – so nennt es eine alte Schrift – bewog endlich die Besitzer ihre Stammburg zu veräußern, und seit mehr als drei Jahrhunderten, so lang' besitzt meine Familie das Schloß, hat sich die Glocke auch nicht wieder hören lassen. Ihr Andenken ist sogar in dem langen Zeitraum erloschen, wenigstens erinnere ich mich nicht, jemals von dieser Sage etwas gehört zu haben. Der alte vermauerte Thurm galt immer für ein altes Gefängniß, das wegen lang' verschlossener Luft und ziemlicher Baufälligkeit niemand zu untersuchen Lust hatte.

Erst durch den Traum meiner Frau wurde ich zu Nachforschungen veranlaßt. Denn wie sie das ganze Schloß wieder erkannte, das sie im Traume gesehn hatte, so war ihr auch eine Glocke ohne Klöppel erinnerlich, die sich doch nirgends fand. Ich fragte lange vergebens bei den ältesten Leuten, und gab schon alle Hoffnung auf, als ich endlich in dem Archiv einige Spuren fand, und nach und nach den Zusammenhang entdeckte. Meiner Gemahlin sagte ich nichts davon, und ich wünsche auch nicht, daß sie davon höre. Ihre Schwärmerei könnte dadurch eine nachtheilige Nahrung erhalten.

Höchst sonderbar! – riefen Alle.

Hu! das sind Trauerglocken! sagte Falk schaudernd, und sah Cäcilien bedeutungsvoll an.

Komm nicht in dein profetisches Neujahrslied – unterbrach Hermann – Die Freudenglocke wird bald schlagen, die das neugeborne Jahreskindlein begrüßt.

Sie läutet doch zugleich die Mutter des Kindleins zu Grabe – sagte Falk ernst. – Mir grauset es und die Geschichte hat mich düster gemacht. Ich sehe den wahnsinnigen Glöckner oben im Thurm, wie der Sturmwind ihm den grauen Profetenbart durchweht, und seinen Vaterschmerz und Fluch mit dem gräßlichen Glockenschall zum kräftigen Zauber zusammenwirkt, und sein Geläut einen Sohn in den Tod und den andern an das Licht ruft! Mir könnte nicht wohl werden in der Nähe dieses metallenen Käuzleins. Ich ließ es vergraben, und statt seiner hing ich eine freundliche Sühnungsglocke auf den Kirchthurm.

Du sprichst meinen Vorsatz aus, Falk – sagte der Baron – Sobald der Frost es nicht mehr hindert, soll die letzte Spur jener Unthat vertilgt werden. Ich lasse die Glocke in den Fluß versenken; der alte Thurm soll einem freundlichen Pavillon Platz machen, und du fertigst mir die Inschrift zu der Sühnungs- und Freudenglocke, die wir an einem frohen Feste taufen und einweihen wollen.

Das wollen wir bald thun – erwiderte Falk – Gott weiß, was für Unglück diese Trauerglocke noch in das Haus brächte!

Ich bin eurer Meinung nicht – entgegnete Anselm – So klug hätten die vorigen Besitzer auch seyn können, eh sie die Burg der Glocke wegen verkauften. Aber sie fürchteten jene dunkle Verbindung dieser Unglücksprofetin mit der Dauer ihres Geschlechtes.

Darum soll sie auch nicht zerschlagen werden – unterbrach der Baron – Sie soll fortdauern, aber an einem Orte, wo sie nicht klingen und die Einwohner des Schlosses schrecken kann. Uebrigens, genau genommen, hat jene Verwünschung nun ausgewirkt. Der Name jenes grausamen Ritters ist nicht mehr vorhanden. Mein Schwiegervater war der letzte jenes Stammes, und meine Frau führt zum Glück jenen Namen nicht mehr.

Ich bin Anselms Meinung – sagte Cäcilie – In solchen Dingen führt man oft durch seine Vorsicht das Uebel herbei, das man abwenden will.

Laßt mir jetzt die Glocke und das ganze düstre Gespräch ruhen – rief Hermann – die alte Jahrsmutter hat kaum eine kleine Viertelstunde noch zu leben, und wir müssen ihr das Abschiedslied und ihrem Kind seine Vigilien singen. Still! Erst vierstimmig, dann im Chor die Schlußworte wiederholt.

Alle horchten, und Herrmann, Falk, Adolf und Julie fingen vierstimmig den Gesang an:

Lieb' freundliche Mutter, du fährst nun dahin,
Willst scheidend die Freunde verlassen;
Wir blicken dir nach mit treuem Sinn,
Wir sehn sich so ungern erblassen:
die Freuden, die all' deine Lieb' uns gab
Sie behüten gleich Engeln dein Muttergrab.

Alle begleiteten im Chor die Wiederholung der letzten Zeilen. Dann fuhren die vier Stimmen fort:

Und hast du nicht jegliches Sehnen gestillt,
Ward jegliches Auge nicht trocken,
So schenkst du uns scheidend dein Ebenbild,
Bald grüßen es feirende Glocken;
Und im Tode verklärt sich dein Muttergesicht:
Dein lächelndes Kind tritt tröstend ans Licht.

Der Chor hatte die Wiederholung noch nicht geendet, als ein gewaltiger Schall das Haus beinah erschütterte. Alle fuhren erschrocken von ihren Sitzen auf. Der Baron öffnete das Fenster, denn von außen schien der wunderbare Schall gekommen zu seyn. Indem man sich nach der Ursache des seltsamen Vorfalls umsah, wiederholte sich jener Schall noch gewaltiger und ein lautes Geschwirr zitterte lange nach.

Das klang wie Glockenton – sagte der Baron bebend. Einigen von der Gesellschaft schien der Schall Aehnlichkeit mit dem Krachen einstürzenden Mauerwerks zu haben. Das Hofgesinde lief aus den Häusern, denn alle hatte das furchtbare Getös aufgeschreckt.

Der Baron wollte eben fragen, ob Jemand wisse, woher das Getös entstanden sei, als noch ein Schall gehört wurde, wie wenn mit ungewöhnlicher Gewalt an eine Glocke geschlagen würde. Der Klang tönte gellend fort, endlich folgte wieder ein dumpfes Krachen, und mehrere Stimmen auf dem Hofe riefen ängstlich, der alte Thurm stürze ein.

Der vermauerte Glockenthurm – setzte der Baron schaudernd hinzu.

Jetzt schlug die Uhr Mitternacht. Der furchtbare Schall ließ sich nicht wieder vernehmen, aber indem die Gesellschaft sich von dem Fenster wendete, erblickten sie auf dem Stuhle, den Falk im Scherz für die Baronin gesetzt hatte, die Schattengestalt der Abwesenden. Sie verschwand mit dem letzten Glockenschlage, ehe die Bestürzten Zeit hatten, mehr als einen Ausruf des Schreckens vernehmen zu lassen.

Von dem Hofe brachte man indessen die Nachricht, das Dach des alten Thurmes sei beinah ganz eingestürzt, und man sehe in dem Schutt Stücken einer Glocke, die wahrscheinlich durch den Fall zerschlagen sei und das Getös verursacht habe.

Es trifft furchtbar zusammen – sagte der Baron mit banger Ahndung. Die Glocke zerspringt in dem Augenblick, da meiner Frau Schatten sich uns zeigt. Ihr Traum von dieser Mitternacht .... Ich kann an meinem Verlust nicht mehr zweifeln.

Ein reitender Bote ward sogleich abgeschickt mit dem Befehl, eiligst mit Nachrichten von der Baronin zurückzukehren. Untergelegte Pferde sollten seine Rückkehr beschleunigen.

Noch ehe die Sonne heraufstieg, kam der Bote zurück. Seine Miene verkündigte schon die Trauerbotschaft. Unzeitige Wehen hatten die Baronin überfallen, und kurz vor Mitternacht hatte sie zwar ein gesundes Kind zur Welt gebracht, aber in der zwölften Stunde war sie selbst, aller Bemühung der Aerzte ungeachtet, verschieden.

Alles bekommt seine Bedeutung – rief der Baron im bittersten Schmerz – auch jener Schrei und das profetische Erblassen des Marienbildes in voriger Neujahrsnacht.

Niemand versuchte mit eitlem Trost den Schmerz des Barons zu entweihen. Er verschloß sich, und sprachlos lebte er nur seiner tiefen Trauer. Am folgenden Tag ward Elisens Sohn ihm gebracht. Die Wärterin erzählte, wie die Selige im Augenblick des Todes noch einmal freundlich gelächelt, und im Scheidekuß auf des Neugebornen Stirn entschlafen sei. Da nahm der traurende Vater das Kind in seine Arme, leise sprach er:

Im Tode verklärt sich dein Muttergesicht,
Dein lächelndes Kind tritt tröstend ans Licht!

küßte des Kindes Stirn, und die tröstende Zusprache seiner Freunde durfte wieder zu seinem Herzen sprechen.



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