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Schule und Idealismus

Geheimrat Professor Dr. Wilhelm Ostwald

(die Versammlung bringt dem Vortragenden eine große Ovation):

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zwischen den Bedürfnissen eines jeden Lebewesens, einer jeden Gemeinschaft und den Mitteln, diese Bedürfnisse zu befriedigen, besteht immer eine Lücke. Sie rührt daher, daß die Lebewesen im allgemeinen entwicklungsmäßig organisiert sind und deshalb das Bedürfnis der Befriedigung notwendig voraus ist. Der Mensch ist aber das Entwicklungstier in erster Linie, und beim Menschen ist infolgedessen diese Distanz zwischen dem Notwendigen und Wünschenswerten und dem Wirklichen am allergrößten. Um so größer, je stärker sich der Entwicklungsvorgang selbst vollzieht. So ist es gekommen, daß zwischen unseren Unterrichtsinstitutionen, wie sie wirklich sind und wie sie sein sollten, eine Distanz entstanden ist, die in unseren Tagen sich bis zur Unerträglichkeit gesteigert hat, und die zu konstatieren und der abzuhelfen auch die heutige Versammlung dienen soll.

Es muß ja im allgemeinen so sein. Die alten Dinge haben ihren eigenen Bestand, denn sie bleiben nach dem allgemeinen Trägheitsgesetz, welches ebenso wie für die geistigen für die mechanischen Vorgänge gilt, an sich so wie sie sind; sie gehen nicht von der Stelle, wenn sie nicht fortgeschoben werden. Auf der anderen Seite läßt sich die unwiderstehliche Entwicklung der Gesamtmenschheit gar nicht aufhalten; so ist dieser Widerspruch zwischen Sein und Sollen unvermeidlich.

Dieser Widerspruch hat sich in unseren Tagen hauptsächlich in Gestalt von Anklagen gegen das gegenwärtige Schulsystem geltend gemacht, und die vielen, welche an der Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes aus irgendeinem Grunde – die Gründe sind zahlreich und gehen von durchaus achtungswerten bis zu sehr wenig achtungswerten herunter – interessiert sind, haben dann auf das eifrigste Front gemacht gegen die Anforderungen, die von allen Seiten aufgetreten sind. Sie haben uns vor allen Dingen den Vorwurf gemacht, wir zerstörten die alten Ideale der Schule. Insbesondere die rückständigste aller unserer Schulformen, das philologische Gymnasium, hat in seinen Vertretern diesen Vorwurf auf das allerlebhafteste erhoben und hat am allerbestimmtesten ausgesprochen, daß sie, die Philologen, die Humanisten, wie sie sich nennen, die eigentlichen Träger und Vertreter des Ideals seien, und daß es eine Zerstörung der höchsten Güter, nämlich der Ideale der Nation überhaupt wäre, wenn man diese Schulform zerstörte. Nun, tatsächlich ist sie schon zerstört. Vor wenigen Tagen las ich eine Anzahl Nekrologe über einen berühmten Philologen, der der Universität Berlin angehört hat, und in diesen fand ich zu meinem Erstaunen immer wieder besonders und mit ungewöhnlichem Nachdruck hervorgehoben: der Professor hat die seltene Fähigkeit besessen, ein reines und elegantes Latein fließend zu sprechen. (Heiterkeit.) Ja, wenn eine derartige Fähigkeit, um derentwillen der größte Teil unserer heranwachsenden Jugend aus den höhergebildeten Schichten neun Jahre ihres Lebens geplagt wird, ohne daß sie auch nur annähernd erreicht wird – wenn eine derartige Fähigkeit eine solche Seltenheit bleibt, daß sie unter die besonderen Werte eines ausgezeichneten Mannes gerechnet wird bei einer Gelegenheit, wo man das Beste von dem vorweist, was er in seinem Leben fertig gebracht hat – ja, wozu dann die ganze Arbeit? (Stürmische Zustimmung.)

Also, es kann sich wirklich hier nicht um ein Ideal handeln. Wir wollen doch einmal nachsehen, was ein Ideal ist und wie es beschaffen sein muß, damit es diesen Namen verdient. Wir erkennen unter einem Ideal zunächst etwas Wünschenswertes. Ferner sagen wir: ein Ideal ist ein wünschenswertes Ziel, dem man sich mit entsprechender Mühe mehr und mehr annähern kann.

Hat nun das humanistische Ideal diese Eigenschaft? Offenbar nicht, nach dem, was wir eben konstatiert haben. Jene Zeiten, die uns als Ideal vorgehalten werden und die sicher einen großen und reichen Inhalt gehabt haben, entfernen sich ja immer mehr von uns. Wir können uns von diesem Ideal also auch nur mehr und mehr entfernen; wir haben gar keine Möglichkeit, uns ihm zu nähern. Also – ich habe das oft genug ausgesprochen, noch gestern hier in dieser Stadt, aber muß es immer wiederholen – es gibt kein Vergangenheitsideal. Ein jedes Ideal, das in der Vergangenheit liegt, kennzeichnet sich durch diesen Umstand von vornherein als unfähig, als Ideal zu dienen. Folglich haben wir unsere Ideale nur und ausschließlich in der Zukunft zu suchen. Wir haben uns bezüglich der Schule vorzustellen, wie wir die Bürger des Deutschen Reiches künftig vor uns sehen wollen, und einzig und allein aus dieser Anschauung können wir das entnehmen, was wir zur Würde unserer Ideale erheben wollen.

Die Schule – das ist allmählich eine allgemein anerkannte Definition geworden – hat die Aufgabe, die Kultur der Zeit auf den Nachwuchs zu übertragen und diesen Nachwuchs fähig zu machen, die erworbene Kultur auch seinerseits noch weiter zu steigern. Wir haben uns also mit anderen Worten nach dem Kulturinhalt der Zeit umzusehen, und haben dann zu bestimmen, nach welcher Richtung die Bewegung der Kultur stattfindet, in welchem Sinne sie gehoben und gesteigert werden kann.

Nun verbindet man mit dem Begriff der Ideale gewöhnlich einen emotionellen oder Gefühlswert. Man kann das Wort oft genug hören: du sollst in deinem Herzen suchen, da wirst du die wahren Ideale finden. Ja, das Herz ist ein sehr geräumiger Behälter, und man kann da sehr vielerlei finden, wenn man sich umsieht. Es ist das wirklich nicht eine besonders sichere Anweisung, das ausfindig zu machen, was das Schicksal unserer Nation bestimmen, was uns als Leitlinie für den von uns abhängenden Teil der nationalen Entwicklung gelten soll. Wir dürfen uns daher mit dem Herzen nicht begnügen. Wir müssen uns darüber klar werden, daß die Gefühlsgebiete die ältesten Gebiete in der Entwicklungsgeschichte des Geistes sind, daß über den Gefühlen das Gebiet der Verstandestätigkeit, des rationellen Denkens, der wissenschaftlichen Arbeit steht. Nun ist das Spätere in der Entwicklung auch immer das Höhere; wir kommen damit zu der Forderung – nicht aus unserem Gefühlsleben unsere Ideale zu nehmen, da dieses vor allen Dingen durch die Erbstücke, die Vergangenheitselemente bestimmt ist. Vielmehr müssen wir aus dem Kreise des exakten, scharfen, klaren Denkens die Leitlinien entnehmen, nach welchen wir unsere werdende Kultur orientieren wollen. So werden wir auch die Schulideale finden müssen, die wir, ohne gerade auf ein Zehntel oder ein Hundertstel Grad genau die Richtung angeben zu wollen, doch mit Hilfe der Wissenschaft innerhalb einer gewissen Breite werden bestimmen können.

Fragt man nun, ob eine Wissenschaft dieser Art besteht, ob eine wissenschaftliche Pädagogik vorhanden ist, so sieht man zunächst mit Erstaunen, daß an den zwanzig und einigen deutschen Universitäten allerlei fremdeste und wenigst gefragte Gebiete mit einer ordentlichen Professur ausgestattet sind, daß dagegen ordentliche Professuren der Pädagogik in so geringer Zahl vorhanden sind, daß man nicht die zweite Hand dazuzunehmen braucht, wenn man sie an den Fingern abzählt. (Sehr richtig!) Die Pädagogik ist bisher meist einem Extraordinarius überlassen gewesen, oder es ist häufig ein Philologe gewesen, der im Nebenamt Pädagogik gelesen hat, als ob die Kenntnis der lateinischen und griechischen Grammatik und der entsprechenden Literatur irgend etwas mit der Frage zu tun hätte, wie man Kinder erzieht! Oder er ist ein Philosoph gewesen, der im Nebenamt Pädagogik gelesen hat, und auch in diesem Falle darf man zweifelhaft sein, ob dieses wichtige praktische Fach aus der angewandten Soziologie in die richtigen Hände geraten ist. Meist haben sie sich damit geholfen, daß sie Geschichte der Pädagogik gelesen haben (Heiterkeit) – und damit ist das, was man die wissenschaftliche Pädagogik an der Universität nennt, beinahe erschöpft.

Ja, ich finde, daß eine wissenschaftliche Klarheit darüber, wo man denn die Pädagogik als Wissenschaft überhaupt einzuordnen hätte, noch kaum besteht, obwohl ja die Antwort auf die Frage nicht allzu schwer zu geben ist. Ich habe sie ja eben gegeben.

Die Unterrichtstätigkeit ist eine Funktion der menschlichen Gesellschaft, und zwar eine der allerwichtigsten. Es handelt sich also zweifellos um ein Kapitel der Soziologie, und zwar der angewandten. Nun ist die Soziologie oder Kulturwissenschaft, wie ich sie lieber nenne, in der Pyramide der Wissenschaften die oberste und daher mannigfaltigste aller Wissenschaften, welche Begriffe aus allen anderen Wissenschaften für sich braucht. Daraus ergibt sich der unmittelbare Schluß, daß wir eine regelmäßige wissenschaftliche Übersicht über das Problem der Pädagogik gewinnen werden, wenn wir uns fragen: wie verhalten sich alle die allgemeineren Wissenschaften unterhalb der Soziologie zu dem Problem der Kindererziehung? Sie werden sich bald überzeugen, daß man dadurch eine durchgreifende Orientierung gewinnt.

Die allgemeinsten Wissenschaften können wir unter dem Begriff der Ordnungswissenschaften zusammenfassen: sie sind Logik und Mathematik und Geometrie. Allerdings muß hier der Inhalt der Logik etwas weiter gegriffen werden als die formale Logik des Aristoteles. In die Logik gehört insbesondere auch der geregelte Gebrauch der Sprache mit der Zuordnung zwischen Begriff, Laut und Zeichen. Wir erkennen hiernach die Ordnungswissenschaften als regelmäßigen Bestand unseres elementaren Unterrichts, die Handhabung der Worte und Begriffe, also das sprachliche Material, hernach das Rechnen und die Handhabung der elementaren geometrischen Anschauungen. Das ist das Kompendium, welches von unseren Volksschülern durchgearbeitet werden muß. Also ist der Einfluß dieser Wissenschaften auf den Unterricht soweit klargestellt, daß ihre elementare Kenntnis als notwendig für jeden Kulturmenschen anerkannt worden ist, indem man die Elemente der Ordnungswissenschaften ganz regelmäßig im Schulunterricht lehrt.

Dann kommen die physischen Wissenschaften, die man besser die energetischen nennt. Ich will mich möglichst kurz fassen und nur ein Beispiel für die pädagogische Anwendung der Energetik geben. Jeder Schüler ist ein energetisches System, ist ein Apparat, durch welchen die rohe Energie seiner Nahrung in geistige Arbeit umgewandelt wird. Das erste Postulat, welches wir hier aufzustellen, oder die erste Frage, die wir an die gegenwärtige Schule zu richten haben, ist: Geht unsere Schule mit den Energien der Kinder so um, wie sie umzugehen verpflichtet wäre, indem sie auf die Grundgesetze der Energielehre Rücksicht nimmt, oder wird die Schule ganz ohne Rücksicht darauf gehandhabt? Ich glaube, daß ich keinem Widerspruch begegnen werde, wenn ich sage, unsere Pädagogik hat noch keine Ahnung von der Anwendung der energetischen Grundgesetze auf den Schüler und verstößt unaufhörlich dagegen. Man sieht es beispielsweise als eine besondere Gnade und Wohltat an, wenn am Morgen die Kinder der Ärmsten, die ohne genügende Nahrung in die Schule kommen, mit Milch und Brot gespeist werden. Der Energetiker sagt: der Schüler soll Arbeit leisten; Energie muß aber irgendwo hergenommen werden, wenn sie transformiert werden soll; ein Perpetuum mobile ist unmöglich. Unsere Lehrer verlangen aber nach Vorschrift von ihren bedauernswerten Schülern, daß sie das Perpetuum mobile verwirklichen sollen; sie sollen, ohne den nötigen Energievorrat zu haben, in der Schule Arbeit leisten. (Sehr wahr!) Wenn also irgendeine Kommune dafür sorgt, daß die Kinder ihre Arbeit am Morgen nicht anfangen, ohne einen Energievorrat in Gestalt passender Nahrung im Leibe zu haben, so sorgt sie einfach dafür, daß sie ihre Lehrer nicht unnütz bezahlt, daß sie diese nicht einfach ihre ganze Energie den armen Geschöpfen gegenüber vergeuden läßt. (Lebhafter Beifall.)

Es ist das nur ein einziges Beispiel, um Ihnen zu zeigen, wie die Postulate der energetischen Wissenschaften ihre Anwendung auf die Pädagogik finden. Man kann das Ganze in den » energetischen Imperativ« zusammenfassen, der da lautet: Vergeude keine Energie! Und wenn Sie nur einen flüchtigen Blick über den Verlauf eines Schultages werfen, so werden Sie finden, daß fast alle fünf Minuten eine neue Verletzung oder Mißachtung des energetischen Imperativs stattfindet. (Lebhafter Beifall.)

Dann haben wir oberhalb per energetischen die biologischen Wissenschaften; zunächst die Physiologie, dann die Psychologie. Auf die physiologischen Postulate, die hier zu stellen sind, habe ich gelegentlich der energetischen Betrachtungen schon flüchtig hingewiesen; wir wollen noch einen Hauptpunkt herausgreifen. Das allgemeinste Gesetz der ganzen Biologie ist das Entwicklungsgesetz, und wir werden sofort wieder fragen müssen: Wird das Entwicklungsgesetz angewendet in der Handhabung unseres Erziehungswesens? Wenn Sie sich – Sie gestatten mir, daß ich wieder mein altes Demonstrationspräparat, das philologische Gymnasium, hernehme, weil dieses die Erscheinungen, um die es sich handelt, am allerausgeprägtesten zeigt – wenn Sie sich die öffentlichen Verhandlungen auf diesem Gebiete in den letzten Jahren vergegenwärtigen, so erinnern Sie sich auch, daß keine Klage und keine Forderung deutlicher und energischer von jener Seite erhoben worden ist, als die Bitte: Nun laßt uns doch endlich in Ruhe! Wir haben euch den Willen getan mit dieser Sache und mit jener Sache, aber nun möchten wir doch endlich Ruhe haben und ungestört unser Treiben weiter fortsetzen! Das können natürlich wiederum nur Leute sagen, die keine Ahnung davon haben, daß die Menschheit entwicklungsmäßig organisiert ist, und daß somit auch die Schule notwendig entwicklungsmäßig organisiert werden muß. Die Schule hat keine dringendere Frage immer wieder zu stellen, als die: Was muß geändert, was muß verbessert werden, wie ordne ich den Unterricht, um mit der fortschreitenden Zeit in Kontakt zu bleiben, um nicht die Kultur irgendwelcher vergessenen Vergangenheit, sondern die Kultur unserer Zeit, des zweiten Jahrzehnts im zwanzigsten Jahrhundert, auf unseren Nachwuchs übertragen zu können?

Und nun kommen wir zum letzten Gebiet der allgemeineren Wissenschaften, das wir auf das Schulproblem anwenden wollen, zur Psychologie. Hier hat sich bereits etwas wie eine wissenschaftliche Arbeit entwickelt, und ich kann nicht müde werden, immer wieder hervorzuheben, daß die Volksschullehrer in Sachsen, speziell in Leipzig, ihre wenigen Groschen – sie sind wirklich nicht reichlich bezahlt – zusammengespart haben, um als Organ des dortigen Lehrervereins ein psychologisches Experimentierinstitut zu gründen, in welchem seit Jahren segensreiche und fruchtbare Arbeit zur Erforschung der elementaren geistigen Vorgänge beim Unterricht getrieben wird. Daß eine ähnliche Veranstaltung von den Lehrern höherer Schulen, der Gymnasien und der ähnlichen Anstalten, ins Leben gerufen worden wäre, ist mir nicht bekannt geworden, obwohl doch eigentlich in diesem Gebiete die Frage nicht weniger dringend wäre als in dem anderen.

Nun, welches allgemeine Prinzip werden wir aus der Psychologie wohl entnehmen können und es als Postulat unseren gegenwärtigen Schulverhältnissen gegenüber zur Geltung bringen? Ich weiß kein durchgreifenderes zu finden als die Tatsache, daß jedes Lebewesen und vor allen Dingen jeder Mensch nichts Dringenderes, nichts Dauernderes zu tun hat in seinem ganzen Leben, als das Glück zu suchen. Das Glück wird gewonnen bei der Anpassung der eigenen Existenz an die Beschaffenheit der gesamten Umgebung, bei harmonischem Zusammenleben der eigenen Individualität mit der ganzen Umwelt, in welcher sich jeder einzelne befindet. Nach solchem Glück strebt jedes bewußte Wesen. Und wenn wir diese Tatsache auf die Schule anwenden, so kommen wir zu der Frage: Sorgt die Schule für das Glück der ihr anvertrauten Jugend? Die Antwort ist trostlos: das Problem wird nicht einmal gestellt. In der Schule herrscht noch bis auf den heutigen Tag die Vorstellung aus der Bauernmedizin: Je scheußlicher das Ding schmeckt, um so gesünder ist es. (Lebhafte Heiterkeit und Zustimmung.) So meint man: Je schlechter man die Kinder behandelt, um so besser ist es für sie vom pädagogischen Standpunkt. (Sehr wahr.) Es kann methodisch nichts Irrtümlicheres geben.

Und dabei wird noch ganz vergessen, welch ein unermeßlicher Strom von Unglück und Schmerz durch diese von Grund aus verkehrte Orientierung des Unterrichts auf unsere Jugend, auf den empfänglichsten und empfindlichsten, den widerstandslosesten und wehrlosesten Teil der Menschheit ergossen worden ist.

Aber schon vom rein technischen Standpunkt aus kann man leicht beweisen, daß, je glücklicher sich jeder Mensch, und besonders die so leicht erregbare Jugend, bei der Tätigkeit fühlt, um so erfolgreicher auch diese Tätigkeit ausgeübt wird. Es handelt sich um eine einfache Anwendung des ersten Hauptsatzes: Wenn der Mensch keinen zwecklosen Widerstand findet, wenn er seine ganze Energie auf das wenden kann, was er tun möchte und tun soll, dann wird er ganz selbstverständlich das Maximum seiner Leistungsfähigkeit erzielen. Instinktiv wissen wir es ja schon: Je glücklicher die Kinder sind, je froher es in der Lehrstunde zugeht, um so reicher an innerem Wachstum kehren die Kinder zurück. Also der experimentelle Beweis ist da. Aber wir haben uns noch nicht zu dem Mut aufgeschwungen, jeden Lehrer nach dem Maße an Glück zu zensieren, das er in seiner Klasse zu erzielen imstande ist. Das ist der einzige Maßstab, der für uns in Betracht kommt; alles übrige ist Nebensache. (Lebhafter Beifall.)

Meine verehrten Zuhörer! Ich habe nun mein System abgeklappert (Heiterkeit) und Sie sehen, daß das Schematisieren keine so öde und dürre Sache ist, wie es manchmal von solchen Leuten hingestellt wird, die es nicht richtig auszuüben verstehen. (Lebhafter Beifall.) Ich habe absichtlich diese strenge und exakte Form gewählt, weil es mir in der kurzen Zeit hier nicht möglich ist, alle die Konsequenzen, die aus diesen Betrachtungen sich ergeben, Ihnen vorzulegen. Aber Sie werden an der Hand dieses Schemas ihre eigenen Erfahrungen durcharbeiten können und werden es dann leicht finden, zu jeder einzelnen Frage des Schulwesens persönlich eine nicht gefühlsmäßig, sondern verstandesmäßig-wissenschaftlich begründete Stellung einzunehmen. (Stürmischer andauernder Beifall.)

 

Dr. Ludwig Fulda: Das Wort hat Herr Wilhelm Bölsche.


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