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Die Forderungen des Goethebundes

Professor Gerhard Hellmers – Bremen:

Meine Damen und Herren! Im Auftrage der auswärtigen deutschen Goethebünde habe ich die Ehre, dem Berliner Bund zu der heutigen Kundgebung Zustimmung und Dank zu übermitteln.

Der Entschluß, gerade in diesem Augenblick eine volkstümliche Kundgebung zugunsten der Entwicklung der deutschen Schule zu veranstalten, hat uns Goethebündler im Reich berührt wie ein Motuproprio des freiheitlich gerichteten deutschen Volksgeistes, aber wie ein Motuproprio, das die Gewissen aufrütteln und befreien, nicht einschnüren und lähmen soll. Sie wissen, meine Damen und Herren, daß sich die deutschen Goethebünde zu einem Verbande zusammengeschlossen haben, in dem Gedanken der Abwehr jedes Angriffs auf die freie Entwicklung des geistigen Lebens in Deutschland, aber auch um in positiver Arbeit das Verständnis für die Bedeutung der Wissenschaft und der Kunst im Volke zu fördern.

Ein wichtigeres Mittel, diese Aufgabe zu erfüllen, als die Schule, die geistige Bildnerin des künftigen Volkes, gibt es nicht. Deshalb ist die Stellung des Deutschen Goethebundes zu der Frage der Schule der Zukunft natürlich die, daß sie instand gesetzt werden muß, immer mehr die freie Entwicklung der Wissenschaft und der Kunst zu garantieren gegen die starken Hemmungen, welche zumeist ausgehen von den bewußt reaktionären kunst- und wissenschaftfeindlichen Elementen in Staat und Kirche. Das heißt, wir fordern die einheitlich organisierte, weder durch Standesvorurteile, noch durch Konfessionen zerklüftete und von vornherein in geistige Fesseln geschlagene Schule des deutschen Volkes.

Freilich legen die Goethebünde den Nachdruck auf die Abwehr aller Angriffe auf Kunst und Wissenschaft und auf die Garantie einer freien, ruhigen Entwicklung. Soweit also die heutige Kundgebung die ungehemmte organische Entwicklung der deutschen Schule im Anschluß an das Bestehende, auch im Anschluß an die bestehende Mannigfaltigkeit der höheren Schulen fördert, soweit steht der gesamte Deutsche Goethebund heute hinter uns. Daß sich die einzelnen Bünde natürlich nicht auf alle heute hier laut werdenden Vorschläge von vornherein festlegen lassen können, versteht sich wohl von selbst. Im Grundgedanken aber sind sie mit uns einig: die Goethebünde in Bremen, Breslau, Darmstadt, Dresden, Hamburg, Kassel, Königsberg und Stuttgart, und auch der in diesem Jahre neu gewonnene und bereits kräftig blühende Goethebund in Frankfurt a. M., sie alle sind dem befreundeten Berliner Bund für seine Initiative dankbar und wünschen, den Eindruck seiner Kundgebung durch ihre Zustimmung zu verstärken.

Für den Bremer Goethebund, den ich hier im besonderen zu vertreten habe, muß ich einige das heutige Thema betreffende Gedanken ganz kurz skizzieren. Ich bitte dabei zu beachten, daß unser kleiner bremischer Stadt-Staat keine sogenannte Landeskirche mit Oberkirchenrat und Spruchgericht, keinen Summus episcopus, und in den oberen Klassen der höheren Schulen keinen Religionsunterricht besitzt, Dinge, ohne die ja das große Land, in dem einst ein gewisser Friedrich seine Untertanen jeden nach seiner Façon selig werden lassen wollte, heute nicht mehr selig werden zu können glaubt.

In Bremen war es also Aufgabe des Goethebundes, mit seinen Forderungen für die Zukunft der deutschen Schule an die vorhandenen Freiheiten anzuknüpfen. Unser Grundgedanke ist dabei der folgende:

Die Schule ist, wie das Herz im lebenden Körper, die Kraftstelle, welche die freie Zirkulation der geistigen Kräfte des Volkes in Bewegung erhält und aufwärts führt. Die gesunde Tendenz dieser Bewegung ist das Aufsteigen frischer, unverbrauchter Kräfte aus den unteren Schichten des Volkes, um unaufhörlich die durch Überanspannung und Degenerierung gelichteten Reihen der geistigen Führer der Nation zu ergänzen. Um diese freie Zirkulation zu ermöglichen, bedarf die deutsche Schule

  1. der einheitlichen, alle äußeren Standesvorrechte ausschließenden Organisation von der Volksschule bis zur Universität,
  2. der Durchführung des konfessionslosen Unterrichtsplans in dieser großen nationalen Schule und
  3. um in ihr das freie Aufwärtsdringen aller Volkselemente, auch der unbemittelten, zu sichern, der Unentgeltlichkeit des gesamten staatlichen Unterrichts. (Beifall.)

Die Ausgestaltung der deutschen Schule zu einem einheitlichen organisch gegliederten Bau denken wir uns natürlich nicht kasernenmäßig, etwa als einen großen Lehrsaal mit vielen Nischen, in den auf der einen Seite die ABC-Schützen hineingetrieben werden, und auf her entgegensetzten Seite mit dem Staatsexamen abgestempelte, angehende Beamte lebensmüde herauswanken. (Sehr gut und heitere Zustimmung.) So etwa ist ja wohl das Schreckgespenst, das reaktionäre Schlagwortredner gewöhnlich gegen das Schlagwort von der Einheitsschule vorbringen. Wir denken uns die einheitlich organisierte deutsche Schule als ein Gebäude mit drei geräumigen Stockwerken. Das unterste ist das der achtklassigen Volksschule, das zweite das der höheren Schulen mit allen ihren Spielarten, und das dritte die Universität. Von jedem Stockwerk führt zu dem nächsthöheren eine breite, allen sichtbare und allen begabten Schülern ohne Treppenzoll zugängliche Haupttreppe; doch muß jeder Schüler aus jedem Stockwerk, falls ihm das Höhersteigen nicht zweckdienlich scheint, ins Leben hinaustreten können, um mit einer in sich abgeschlossenen Bildung, sei es als Volksschüler oder als Realschul- und Gymnasialabiturient, den Kampf ums Dasein aufzunehmen.

Unsere heutige Schule ist ein merkwürdiger Bau. Die Volksschule im Parterre ist von dem ersten und zweiten Stockwerk durch dicke Brandmauern und starke Gipsdecken getrennt (sehr gut!); teures Schulgeld und Kastengeist – keine Freitreppe führt nach oben. Die Treppe für das obere Stockwerk wird von außen her angelegt und kommt von den sozial desinfizierten Vorschulen her. (Lebhafter Beifall.) Die teuren Vorschulen sind die Hindernisse für die gesunde, freie Verbindung der Volksschule und der höheren Schule. Das ist sehr zu beklagen, nicht allein wegen der sich darin ausdrückenden sozialen Unfreundlichkeit, sondern weil sie der Nation diese notwendige freie Ergänzung durch Nachwuchs talentvoller Schüler aus den unteren geistig und körperlich jungfräulichen Schichten des Volkes erschwert. Deshalb ist die breite Freitreppe zwischen dem Geschoß der Volksschule und dem der höheren Schulen nötig.

Soll dann aber das so gesichtete Schülermaterial, das die höhere Schule und die Universität aus der Volksschule empfängt, für die Erhaltung und Weiterentwicklung der geistigen Kulturschätze der Wissenschaft und der Kunst unseres Volkes geeignet sein, so dürfen die jugendlichen Individuen naturgemäß nicht schon in der Schule in die dogmatische Schablone irgendeiner religiösen Konfession eingepreßt werden. Denn die Voraussetzung jeden freien Weiterarbeitens innerhalb der wirklichen Wissenschaft und Kunst ist die Voraussetzungslosigkeit; oder um das Schlagwort zu vermeiden, die Unvoreingenommenheit durch irgendwelches Dogma. Die Religion ist ein so persönliches, von unserem Leben und Erleben untrennbares Gut, daß es vollkommen unmöglich ist, daß ein Fremder uns dieses Gut »unterrichtlich« beibringen könnte; denn es ist ja unser innerstes, heiligstes und persönliches Erleben selber. Dogmatische Floskeln und Gesangbuchverse kann man einpauken, Religion nie und nimmer. (Sehr wahr!)

Auf die Erziehung des jugendlichen Deutschen zum Staatsbürger kommt es an. Staatsbürgerkunde in der Volksschule und mehr Staatsbürgerkunde in den Realschulen und Gymnasien, das tut uns not; damit die höheren Schulen endlich einmal das zu leisten anfangen, was sie im einseitigen Anschauen der Antike, der lateinischen Grammatik und der höheren Integral- und Differentialrechnung bislang versäumten, nämlich die große Klasse der sogenannten Intellektuellen zu politisch brauchbaren und praktisch beachteten Mitgliedern unseres öffentlichen Lebens und der Gegenwart zu machen. Daß sie das heute noch nicht sind, daran ist unsere heutige Schule mitschuldig. Sie scheint noch die Aufgabe zu haben, einen in Standesdünkel und in freiwilliger kirchlicher Selbstentmündigung aufgehenden Beamtenstand, also Staatsdiener anstatt freier Mitarbeiter an der Verwaltung und Vermehrung des Kulturbesitzes der Nation zu erziehen. (Beifall.) Daher ist es noch immer möglich, daß das Wort eines einzelnen undeutschen, aber wie er sich nennt »unfehlbaren« Mannes ultra montes, jenseits der Berge, bei einem großen Teil unseres Volkes für jedes Motuproprio seines Willens blinden Gehorsam findet und bei dem anderen oft nur ein resigniertes Achselzucken.

Wenn wir einst unsere Schule zu einem einheitlichen, Standesunterschied und Konfessionalismus ausschließenden großen Erziehungsbau für deutsche und selbstbewußte Staatsbürger ausgebaut haben werden, dann erst ist anzunehmen, daß der wegen seiner Bequemlichkeit bei seinen Nachbarn und vor allem bei der römischen Kurie rühmlichst bekannte deutsche Michel (Heiterkeit und sehr gut!) auch aus eigenem Antriebe grob werden wird und auf jedes Motuproprio ein kräftiges quos ego! bereithält. (Lebhafter Beifall.)


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