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Sagen und Geschichten aus deutschen Gauen
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Aloys Wilhelm Schreiber

Trifels.

Am überrheinischen Gebirge, in der Nähe von Annweiler, liegt die ehemalige Reichsburg Trifels, wovon noch ein mächtiger Turm und einiges Gemäuer vorhanden sind. Hier wurden früher die Reichsinsignien und der Krönungsschmuck der deutschen Könige aufbewahrt. Aber herrlicher noch als in der Geschichte glänzt Trifels in der deutschen Sage, weil in seinem Turm der ritterliche König Richard Löwenherz gefangen saß und durch die Klugheit und mutige Treue eines Sängers daraus befreit wurde. Als Herzog Leopold von Österreich gezwungen war, seinen hohen Gefangenen, Richard Löwenherz, an den deutschen König Heinrich VI. auszuliefern, ließ ihn dieser nach Trifels bringen. In England wußte man, daß Richard aus Palästina zurückgekehrt, aber nicht, wohin er geraten sei. Die wahrscheinlichste Vermutung war, daß er irgendwo als Gefangener schmachte. Da faßte Richards Freund, der Minnesänger Blondel, den Gedanken, in den festen Burgen Frankreichs und Deutschlands zu spähen, wo er vielleicht aufbewahrt werden möchte. Richards Mutter, die Königin Eleonore, gab ihm fünfzig Reisige und zwei tapfere Ritter mit, um den König allenfalls mit Gewalt zu befreien, außerdem wurde er reichlich mit Geld versehen, um es nötigenfalls zu jenem Zwecke anzuwenden. Auf seinem Zuge kam Blondel auch in das Tal von Annweiler und sah hier die Feste Trifels. Er verbarg seine Begleiter im Gebirge und näherte sich als Sänger den Mauern. Er fragte einige Hirten, die in der Nähe ihre Schafe weideten, ob auf der Burg wohl Gastfreundschaft zu Hause sei und man einen wandernden Harfner nicht unfreundlich abweisen werde. Die Hirten versicherten ihn aber, die Burg werde streng bewacht; der Burgvogt sei ein harter, mürrischer Mann und werde ihn gewiß schnöde behandeln.

Blondel setzte sich in kleiner Entfernung von dem Hirten auf einen Stein, betrachtete den hohen Turm und die mit Gräben umgebenen Mauern und dachte an Richard. Da sang plötzlich ein kleines Hirtenmädchen in seiner Nähe:

»Der Pfeil von meinem Bogen
Bringt bittern Todesschmerz,
Der Pfeil aus deinen Augen
Dringt schmeichelnd in das Herz.«

Blondel schrak freudig zusammen, als er den Gesang hörte. Es war die erste Strophe eines Liedes, welches er für Richard gedichtet. Hastig ging er auf die Hirtin zu und fragte, wer sie das Lied gelehrt? »Niemand,« antwortete das Mädchen etwas verlegen, »niemand, ich hörte es aus dem Gitterfenster des Turmes singen, den Ihr hier sehet, und da blieben mir einige Zeilen im Gedächtnis.«

»Es ist also wohl ein Gefangener in diesem Turme?« fragte Blondel weiter.

»Freiwillig wird sich wohl niemand da einsperren lassen,« erwiderte die Hirtin.

Blondel sann nach. Er wartete, bis der Schleier der Nacht alles umher bedeckt hatte, dann schlich er sich unten an dem Turm hin und sang zur Harfe:

»Der Pfeil von meinem Bogen
Bringt bittern Todesschmerz,
Der Pfeil aus deinen Augen
Dringt schmeichelnd in das Herz.«

Im Augenblick antwortete eine Stimme aus dem Turme:

»Ich habe mir erfochten
Wohl manchen Warenpreis.
Nun darf ich auch wohl suchen
Ein blühend Myrtenreis.«

»Richard!« rief jetzt Blondel, und »Blondel!« rief Richard, beide wie mit einer Stimme.

»Zählt auf mich, mein König; ich verlasse diese Gegend nicht ohne Euch.«

Mit diesen Worten entfernte sich der Sänger. Tag und Nacht war sein einziger Gedanke, wie er den Gefangenen befreien möge. Mit Gewalt? – Dazu war das Kastell zu fest und hatte eine Besatzung von wenigstens sechzig Mann. Also mit List! Der Zufall begünstigte einen solchen Plan. Es nahte der Tag, an welchen! Heinrich zum König der Deutschen gewählt worden war, und an diesem Tag wurden den Reisigen der Burg Brot und Wein ausgeteilt. Dies geschah in einer Schenke, welche ganz in der Nähe von Trifels lag. Blondel ging zu dem Wirt und sagte: »Ich bin ein wandernder Sänger und komme vom Hoflager des Kaisers, der mich mehr als kaiserlich beschenkt hat. Übermorgen ist sein Wahltag, da möchte ich den treuen Burschen, so seine Burg bewachen, ein Gutes tun. Gebt ihnen das Doppelte an Wein, was sie sonst erhalten und das Beste aus Eurem Keller. Ich zahle voraus.« Der Wirt zeigte sich über diese Freigebigkeit höchst vergnügt und versprach auch, reinen Mund zu halten, bis das Gelage vorüber sein würde.

Nun ging Blondel auch mit den beiden Rittern zu Rate, die seine Reisigen anführten, und verabredete mit ihnen das Nähere.

Der Tag des Festes kam heran. Nachmittags versammelte sich die ganze Besatzung, bis auf wenige Wachtposten, in der Schenke. Die Soldaten waren überrascht, diesmal einen so trefflichen Wein zu erhalten, und ließen sich ihn aufs beste schmecken. Als die Dämmerung nachgerade hereinbrach, machten sich die englischen Ritter mit ihren Reisigen in größter Stille aus ihrem Versteck im Walde auf und marschierten eilig nach der Burg. Die Torwache wurde leicht überwältigt, und als der Schloßvogt auf den Lärm herbeieilte, zwang man ihn mit vorgehaltenem Schwert, das Gefängnis des Königs zu öffnen. Blondel folgte ihm dahin, Richard streckte dem Eintretenden die Hand entgegen mit den Worten: »Wenn ich deine Treue vergesse, so soll mein Name vergessen werden in der Geschichte. Aber jetzt ein Schwert, ein Schwert, denn zum zweiten Male will ich nicht mehr in die Hände meiner Feinde fallen.«

Inzwischen war das Gerücht von dem, was auf Trifels vorgefallen, auch in die Schenke gekommen. Die Reisigen eilten in Scharen nach der Burg, da zeigte sich Richard mit Blondel und dem Burgvogt auf dem Schloßaltan. »Gebiete diesen, sich augenblicklich in ihre Gemächer zu verfügen und mich und die Meinigen ruhig abziehen zu lassen, oder mit einem Schlage fliegt dein Haupt in den Hof hinab.« Der Burgvogt gehorchte zitternd, und König Richard zog ungehindert mit den Seinen von dannen.


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